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GLEICHHEIT/3792: Nato lässt Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Nato lässt Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken

Von Peter Schwarz
12. August 2011


Seit Beginn des Libyen-Kriegs im März sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR 1.500 Flüchtlinge bei dem Versuch umgekommen, das Mittelmeer von Libyen nach Europa zu überqueren. Die Süddeutschen Zeitung vom 4. August zählt 1.820 Tote seit Anfang des Jahres.

Bei den Opfern handelt es sich um Menschen aus Libyen und anderen afrikanischen Ländern, die versuchen, wirtschaftlicher Not, politischer Verfolgung oder dem Libyen-Krieg zu entrinnen und dafür ihr Leben riskieren. Von skrupellosen Schlepperbanden auf kleine, seeuntüchtige Boote gepfercht, ertrinken sie jämmerlich oder verdursten auf offener See.

Zwischen der italienischen Insel Lampedusa, dem Ziel der meisten Flüchtlingsboote, und Tunesien, der nächstgelegenen afrikanischen Küste, liegen nur 130 Kilometer. Bis zur libyschen Küste ist es etwa doppelt so weit.

In diesem überschaubaren Seegebiet kreuzt derzeit eine der größten Kriegsflotten der Welt. Rund zwanzig Kriegsschiffe aus zehn Nato-Ländern, darunter mehrere Flugzeug- und Hubschrauberträger, unterstützen dort den Nato-Krieg gegen Libyen. Sie sind mit hochwertigen Radar- und sonstigen Ortungsgeräten ausgestattet und können jede Bewegung auf dem Meer mit Leichtigkeit entdecken.

Die Region wird außerdem ständig von AWACS-Flugzeugen der Nato überwacht, die ebenfalls die kleinsten Objekte wahrnehmen.

Hinzu kommen die Boote und Flugzeuge der italienischen Grenzpolizei und der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, die zwischen Lampedusa und der nordafrikanischen Küste unterwegs sind, um Flüchtlingsboote frühzeitig zu entdecken und zur Rückkehr zu zwingen.

Die gefährdeten Flüchtlinge hätten also mit Leichtigkeit rechtzeitig entdeckt und gerettet werden können. Die zahlreichen Toten waren vermeidbar. Sie sind Opfer von unterlassener Hilfeleistung, einer strafbaren Handlung. Die Nato hat sie durch den Krieg gegen Libyen in die Flucht getrieben, und wenn sich der Fluchtweg als tödliche Falle erweist, werden sie von derselben Nato hilflos ihrem Schicksal überlassen.

Dabei beschränkt sich die Nato nicht darauf, die Flüchtlinge zu "übersehen". Sie weigert sich auch, schiffbrüchigen Flüchtlingen Hilfe zu leisten, wenn sie direkt alarmiert und dazu aufgefordert wird. Erst letzte Woche wurde wieder ein solcher Fall bekannt. Die Verantwortung der Nato war derart offenkundig, dass sogar die italienische Regierung, die selbst massiv gegen Flüchtlinge vorgeht, dagegen protestierte und eine Untersuchung verlangte.

Die italienische Küstenwache brachte am 4. August südlich der Insel Lampedusa ein 20 Meter langes, havariertes Holzboot mit fast 300 Flüchtlingen auf, das seit einer Woche mit defektem Motor auf dem Meer trieb. Auf dem Boot hatten sich schreckliche Szenen abgespielt. Nach Angabe der Überlebenden waren bereits an die hundert Menschen an Durst und Erschöpfung gestorben und über Bord geworfen worden. Die Geretteten selbst waren stark dehydriert, schwebten teilweise in Lebensgefahr und mussten in Krankenhäuser auf dem italienischen Festland ausgeflogen worden.

Wie sich herausstellte, war das beschädigte Boot schon frühzeitig von einem zyprischen Schlepper entdeckt worden, der ein SOS-Signal abgab, selbst aber weiterfuhr. Die italienische Küstenwache alarmierte daraufhin die Nato. Diese lehnte es aber ab, den Flüchtlingen zu helfen, obwohl ein Nato-Schiff in nur 27 Seemeilen (etwa 50 km) Entfernung operierte.

Der italienische Außenminister Franco Frattini warf der Nato deshalb unterlassene Hilfeleistung vor und beantragte eine Untersuchung des Vorfalls. Gleichzeitig schlug er vor, das Nato-Mandat so auszudehnen, dass die Nato auch für die Rettung ziviler Kriegsflüchtlinge zuständig ist. Das ist allerdings Augenwischerei. Nach geltendem internationalem Recht ist jedes zivile und Kriegsschiff unter allen Umständen verpflichtet, Schiffbrüchigen zu helfen.

Die Nato wird nicht zum ersten Mal vorgeworfen, gegen diese Regel verstoßen zu haben. Bereits Ende März sollen Nato-Schiffe Hilferufe eines beschädigten Flüchtlingsboots aus Libyen ignoriert haben. Ein Militärhubschrauber, der das Boot entdeckte, warf zwar Wasserflaschen und Kekse ab. Doch auf Rettung warteten die Flüchtlinge vergebens. Auch ein Flugzeugträger, der sich in Sichtweise befand, reagierte nicht, wie der britische Guardian berichtete. Schließlich verdursteten 61 Menschen.

Der Nato-Einsatz gegen Libyen trägt den Namen "Unified Protector" und wird offiziell mit dem "Schutz von Zivilisten" vor Angriffen der libyschen Regierung gerechtfertigt. Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass dies lediglich ein zynischer Vorwand für einen imperialistischen Krieg ist, so hat ihn das Schicksal der Mittelmeer-Flüchtlinge geliefert. Das Leben von Flüchtlingen und Zivilisten ist das Letzte, was die Nato interessiert.

Auch von Seite der europäischen Regierungen gibt es kein Interesse, den Flüchtlingen zu helfen. Es wäre ein Leichtes, Schiffe auszurüsten, die die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer aufspüren und retten, und würde nur ein Bruchteil dessen kosten, was der Libyen-Krieg täglich verschlingt. Doch das ist politisch nicht gewollt, weil man fürchtet, so weitere Flüchtlinge anzulocken. Die gesamte europäische Flüchtlingspolitik ist auf Abschreckung ausgerichtet. Die Tausende von Toten im Mittelmeer werden dabei bewusst in Kauf genommen. Sie dienen der Abschreckung.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 12.08.2011
Nato lässt Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken
http://www.wsws.org/de/2011/aug2011/flue-a12.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2011