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GLEICHHEIT/3917: US-Finanzhändler stürzt über Eurozonenkrise


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

US-Finanzhändler stürzt über Eurozonenkrise

Von Nick Beams
3. November 2011


Alle Illusionen, dass US-Banken und Finanzinstitute in irgendeiner Weise von den finanziellen Turbulenzen in Europa isoliert wären, wurden am Montag zerstört, als bekannt wurde, dass der Wertpapierhändler MF Global bankrott sei.

MF Global, an dessen Spitze der prominente Demokrat John Corzine steht, ein ehemaliger US-Senator und Gouverneur von New Jersey, war einer der weltgrößten Händler im Bereich börsengehandelter Termingeschäfte (Futures und Optionen). Bei einem Anlagevermögen von 41 Milliarden US-Dollar ist sein Untergang der siebtgrößte Bankrott in der Konzerngeschichte der USA und der größte seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers.

Corzine übernahm die Firma im März 2010. Er versuchte, sie aus einem Derivatehändler in eine Investmentbank im Stile von Goldmann Sachs zu verwandeln, deren Vorstandsvorsitzender er bis zu seiner Wahl in den US-Senat 1999 war.

Corzines Strategie beinhaltete umfangreiche Wetten auf europäische Staatsschulden, die durch Tagesgelder finanziert wurden. Er ging davon aus, dass die Anleihen ungeachtet der unmittelbaren Probleme auf dem staatlichen europäischen Schuldensektor schlussendlich an Wert gewinnen würden, weil - wie er einem anderen Wall-Street-Manager anvertraute, "Europa diese Länder nicht fallen lassen wird".

Folglich baute MF Global seine Bestände an europäischen Schuldtiteln auf 6, 3 Milliarden US-Dollar aus und erhöhte die Rate von Verschuldung zu Eigenkapitaldeckung auf 40:1, was dem Verschuldungsniveau beim Crash von 2008 gleichkommt. "Nach unserem Ermessen tragen unsere Positionen für den gesteckten Zeitrahmen ein relativ geringes Grundrisiko", sagte er Analysten Ende September.

Kaum drei Wochen später begann der Zusammenbruch der Maklerfirma, als sie für das zweite Quartal Verluste in Höhe von mehr als 190 Millionen US-Dollar bekannt gab. Dies führte zu einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit auf Ramschstatus, nachdem Moody's, Standard & Poor's und Fitch entschieden, die Firma sei mit ihrem Bestand an europäischen Staatsanleihen ein zu hohes Risiko eingegangen.

Am Wochenende versuchte Corzine, einen Käufer zu finden, aber seine Bemühungen schlugen endgültig fehl, als aufgedeckt wurde, dass auf den Kundenkonten größere Summen fehlten. Es ist Maklerfirmen eigentlich untersagt, mit Kundengeldern auf eigene Rechnung zu handeln. Jetzt werden Fragen laut, ob die Firma Kundengelder eingesetzt hat, um ihre Verluste auszugleichen.

Zum Zeitpunkt ihres Bankrotts hielt MF Global 7,3 Milliarden US-Dollar an Kundengeldern. Der Verbleib von wenigstens 600, möglicherweise 700 Millionen US-Dollar, muss noch geklärt werden.

CME Group, die gigantische Börse, an der MF Global handelte, verkündete, dass sie zusammen mit anderen Regulierungsbehörden eine Untersuchung über den Verbleib der fehlenden Gelder eingeleitet hätte. "Während wir gegenwärtig noch nicht in der Lage sind, das Ausmaß der Verfehlungen der Firma einzuschätzen, untersuchen wir die Umstände ihres Zusammenbruchs", sagte Craig Donahue, der Vorstandvorsitzende von CME.

Sollte sich herausstellen, dass MF Global Kundengelder eingesetzt hat, um damit auf eigene Rechnung zu handeln, so könnte dies Folgen für den gesamten Handelsmarkt mit Futures haben, auf dem, zumindest bisher, eine strikte Trennung aufrechterhalten wurde. Sollten sich die Vorwürfe als zutreffend erweisen, wäre dies "eine Katastrophe für alle kleineren Makler und Banken, da niemand ihnen mehr vertrauen würde."

Das Ende von MF Global wirft erneut ein Schlaglicht auf den Sumpf parasitärer Spekulation, politischer Einflussnahme, dubioser Praktiken und unverhüllter Kriminalität im Herzen des US-Finanzsystems.

Corzines Karriere veranschaulicht die engen Verbindungen zwischen Wall Street und politischem Establishment, das die Forderungen des Finanzkapitals bereitwillig erfüllt. Insider aus Konzernen und Politik wechseln mühelos von der einen Seite zur anderen. Sie streichen heute Millionen durch Finanztransaktionen ein und verabschieden morgen Gesetze, die diese Aktivitäten angeblich regulieren sollen.

Nachdem er bei Goldmann Sachs als Händler die Karriereleiter hinaufgeklettert war, trat Corzine 1999 mit einer Abfindung von 400 Millionen Dollar zurück und wurde Mitglied des US-Senats. Danach wurde er 2005 Gouverneur von New Jersey, bis er 2009 abgewählt wurde. Im März 2010 wurde er CEO von MF Global und begann, die Firma in eine größere Investmentbank umzuwandeln.

Doch selbst als Corzine an die Wall Street zurückkehrte, waren ihm die Türen zur Politik nicht gänzlich verschlossen. Er wurde als potenzieller Nachfolger für Timothy Geithner in seinem Amt als US-Finanzminister gehandelt, den ein Kolumnist der Financial Times kürzlich als Botschafter der US-Investmentbanken bezeichnete.

Corzine hielt letztes Jahr an der Princeton-Universität eine Rede, in der er zeigte, dass er die für alle kapitalistischen Politiker erforderliche Doppelzüngigkeit glänzend beherrscht. Er behauptete dort, er habe sich "seit Jahrzehnten gegen die Bonus-Sünden an der Wall Street ausgesprochen". Wäre er in der Lage gewesen, MF Global übers Wochenende zu verkaufen, hätte er selbst 12,1 Millionen US-Dollar eingesteckt - als "Abfindung".

Der Bankrott von MF Global ist als "Lehman Brothers im Kleinen" beschrieben worden. Aber es könnte zu noch größeren Zusammenbrüchen kommen, während sich die Finanzkrise in Europa weiter verschärft.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 03.11.2011
US-Finanzhändler stürzt über Eurozonenkrise
http://www.wsws.org/de/2011/nov2011/glob-n03.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2011