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GLEICHHEIT/3929: Nach dem Scheitern des G-20-Gipfels - Die Eurokrise verschärft sich


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Nach dem Scheitern des G-20-Gipfels: Die Eurokrise verschärft sich

Von Nick Beams
10. November 2011


Nach dem Scheitern des G-20-Gipfels in der vergangenen Woche beginnen sich die Schockwellen im globalen Finanzsystem auszubreiten. Inzwischen wird klar, welche Folgen es hat, dass keine Einigung über ein Rettungspaket für die Eurozone erzielt wurde.

Die Eurofinanzminister tagen seit Montag wieder, um über die Krise zu beraten. Aktuelles Thema ist die Frage, ob die Tranche von acht Milliarden Euro, die Griechenland zur Vermeidung des Staatsbankrotts benötigt, freigegeben werden soll. Noch drängender stellt sich die Frage nach der Aufstockung des Umfangs der EFSF (Europäischen Finanz-Stabilitäts-Fazilität), die nun vor dem viel größeren Staatschuldenproblem Italiens steht.

Der Financial Times zufolge wird das Treffen wohl kaum klare Entscheidungen treffen und "wichtige Fragen unbeantwortet lassen".

Am Montag schnellten die Zinsaufschläge auf italienische Staatsanleihen bis auf 6,68 Prozent in die Höhe - ein Bereich, der als gefährlich gilt. Die Zinssteigerung wird durch zwei Faktoren ausgelöst: die wachsende Sorge angesichts der Finanzlage Italiens und den abgesprochenen Druck, mit dem die Berlusconi-Regierung aus dem Amt gedrängt werden soll, um einer Regierung Platz zu machen, das in der Lage ist, schärfste Sparmaßnahmen gegen die italienische Arbeiterklasse durchzusetzen.

Alle Voraussetzungen für eine größere Finanzkrise in Italien sind bereits vorhanden. Hätte es keine Aufkäufe italienischer Anleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) gegeben, hätten die Zinsen längst das Niveau erreicht, das im Fall Irlands und Portugals zum Bailout geführt hat.

Die Financial Times schreibt: "Bei einem Zinsniveau von sechs Prozent und mehr besteht die Gefahr, dass ein negativer Rückkoppelungseffekt auftritt, der zu einem weiteren Ausverkauf von italienischen oder anderen Eurozonenanleihen führt.

Die EFSF hat nicht die Kraft, den italienischen Schuldenstand zu stützen, der sich momentan auf 1,9 Billionen Euro beläuft. Sie wird durch anhaltende Zweifel untergraben, ob Frankreich, der zweitgrößte Bürge, seine AAA-Rating wird behalten können.

Finanzmärkte haben ein so geringes Vertrauen in die EFSF, dass der Fond letzte Woche gezwungen war, den Versuch aufzugeben, 5 Milliarden Euro am Markt aufzunehmen, und sich wegen mangelnder Nachfrage mit drei Milliarden begnügen musste.

Die Versuche der Eurozonenländer, auf dem G-20-Treffen weitere Gelder für die EFSF aufzutreiben, entweder durch einen Beitrag über den Internationalen Währungsfond (IWF) oder direkt, scheiterten kläglich. Wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel anmerkte: "Es gibt hier wirklich kaum Länder, die sich bereit erklärt haben mitzumachen."

An der Spitze der Gegner einer weiteren Aufstockung durch den IWF standen die USA und Großbritannien. Der britische Premierminister David Cameron sagte, das Schlimmste wäre es, den Versuch zu unternehmen, "eine Zahl in den Raum zu werfen, ohne sich darüber klar zu sein, wer wem zustimmt. Der Job des IWF ist es, in Schwierigkeiten geratenen Ländern zu helfen und nicht, Währungssysteme zu stützen."

Man hatte gehofft, dass einige der BRIC-Staaten unabhängig zum Fond beitragen würden. Aber die Chinesen sagten, sie bräuchten mehr Informationen, bevor sie eine Entscheidung treffen könnten. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff reagierte ein wenig direkter auf den Versuch europäischer Länder, mehr Unterstützung zu erwirken. "Ich habe nicht die geringste Absicht, direkt zum Rettungsfond beizutragen; wenn sie das schon nicht wollen, warum sollte ich?"

In Finanzkreisen machen sich zunehmend Sorgen breit, dass das andauernde Scheitern der europäischen Gipfel die Bedingungen für eine erheblich tiefere Krise geschaffen hat. Joachim Fels, Leiter der Abteilung globale Volkswirtschaft bei Morgan Stanley, erklärte, dass Deutschland und Frankreich zum zweiten Mal in vier Monaten ein "Tabu"-Thema angesprochen hätten.

Zum ersten Mal sei das auf dem Gipfel am 21. Juli geschehen, als die Entscheidung getroffen wurde, private Banken in das Rettungspaket für Griechenland einzubeziehen. Das habe signalisiert, dass Staatsschulden nicht länger frei von Risiken seien, und damit eine Krise auf den spanischen und italienischen Anleihemärkten ausgelöst. Zum zweiten Mal sei es letzte Woche geschehen, als Frankreich und Deutschland klar machten, dass Griechenland, wenn es die Bedingungen des Sparpaketes nicht akzeptiere, die Eurozone verlassen müsse.

"Indem sie die Möglichkeit angesprochen haben, dass ein Land zum Verlassen des Euroraumes gezwungen werden könnte, haben die Regierungen Kerneuropas möglicherweise eine Kettenreaktion ausgelöst, die die Zentralbanken in den Peripherieländern unter Druck setzen könnten. Das könnten alles, was wir bisher gesehen haben, wie ein Kinderspiel aussehen lassen", schreibt Fels.

Die Unfähigkeit der Eurozonenländer, die Krise auch nur ansatzweise in den Griff zu bekommen, liegt darin begründet, dass es sich bei ihr nicht um ein Produkt falscher Politik handelt. Sie ist das Ergebnis objektiver und unlösbarer Widersprüche innerhalb der europäischen und der weltweiten kapitalistischen Wirtschaft.

Die Einführung des Euro 1999 sollte die Expansion der europäischen Wirtschaft erleichtern und den Forderungen des Finanzkapitals nach einem integrierten einheitlichen Markt nachkommen. Weit davon entfernt, zu einer harmonischen Entwicklung der Volkswirtschaften der Eurozone zu führen, resultierte sie in einer ungleichmäßigen Entwicklung, die zu Zerwürfnissen unter ihren Mitgliedern führte.

Das deutsche Kapital profitierte vom im Vergleich zur D-Mark niedrigeren Wert des Euro an den Weltmärkten, während der Wert des Euro für andere Länder höher als die frühere eigene Währung war. Dieser Nachteil wurde durch die niedrigeren Zinssätze ausgeglichen, die die Mitgliedschaft in der Eurozone ermöglichte.

Gavyn Davies, Kolumnist der Financial Times, merkt an, dass man das Staatsschuldenproblem für gewöhnlich in Sinne der Tragfähigkeit von Staatsschulden in Peripherieländern diskutiert. Man sollte es aber besser als ein sich aus der Struktur der Eurozone ergebendes Zahlungsbilanzproblem sehen.

Zusammengenommen verfügen Italien, Spanien, Portugal und Griechenland - die Länder mit den größten Problemen - derzeit über ein Leistungsbilanzdefizit von 182 Milliarden Euro oder 5 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes.

Davies: "In diesem Licht betrachtet, wird klar, dass es alljährlich eine Kapitalübertragung von etwa fünf Prozent aus dem Kern der Eurozone in die Peripherie geben muss. Ohne sie würde der Euro zerbrechen."

Bis zur Finanzkrise von 2008 fand dieser Transfer durch den Fluss privaten Kapitals in die Peripherieländer statt und durch den Kauf von Wirtschaftsgütern, zum Beispiel von Häusern, in Spanien. Mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers endete dieser Prozess allerdings, da die Kapitalströme austrockneten.

Um die Eurozone angesichts ihrer ernsthaften Ungleichgewichte in Gang zu halten, müssen öffentliche Gelder vom Kern der Zone in die Peripherie fließen. Aber einer solchen Politik widersetzen sich die Kernländer Deutschland und andere Mächte des Nordens vehement, da sie fürchten, sie könne ihre Stellung innerhalb der Weltwirtschaft schwächen.

Anders ausgedrückt: Die Krise der Eurozone ist der Ausdruck zweier miteinander verbundener Prozesse: dem Zusammenbruch des Finanzsystems, der 2008 begann, und dem Ausbruch des unüberwindbaren Widerspruchs zwischen der Weltwirtschaft und dem System rivalisierender Nationalstaaten, in dem das kapitalistische Profitsystem wurzelt. Das ist der Grund, warum alle sogenannten "Lösungen", die die Bourgeoisie vorschlägt, fast über Nacht in sich zusammenfallen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.11.2011
Nach dem Scheitern des G-20-Gipfels: Die Eurokrise verschärft sich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2011