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GLEICHHEIT/3958: Die ägyptische Revolution richtet sich gegen das Militär


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Die ägyptische Revolution richtet sich gegen das Militär

Von Johannes Stern
29. November 2011


Das Jahr 2011 begann mit großen Kämpfen der Arbeiter und Jugendlichen in Nordafrika gegen Diktatoren, die lange Jahre von den USA unterstützt wurden. Sie fanden ihren Höhepunkt im Sturz Hosni Mubaraks am 11. Februar. Am Ende des Jahres erschüttern neue Demonstrationen Ägypten; sie richten sich gegen das Militär, das an Mubarak Stelle getreten ist.

Die erneuten revolutionären Unruhen stellen die Antwort der Arbeiterklasse auf die Behauptung des ägyptischen Militärs dar, es führe einen "demokratischen Übergang" durch. Im ganzen Land wurden Demonstrationen gegen die Militärjunta, die immer noch vom amerikanischen Imperialismus mit Milliarden von Dollars finanziert wird, brutal niedergeschlagen, dabei kamen bereits mehrere Dutzend Menschen ums Leben und Tausende wurden verwundet.

Versuche, für Wahlen unter Aufsicht der Militärjunta zu werben, wurden mit der Parole "Nieder, nieder mit der Militärherrschaft!" quittiert. Als die Junta einen neuen Premierminister ernannte - Kamal El-Ghanzouri, der unter Mubarak von 1996 bis 1999 dasselbe Amt bekleidete - um am Dienstag eine neue Regierung zu bilden, waren die Demonstranten sofort dagegen.

Mit diesen Massenkämpfen haben Arbeiter und Jugendliche deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie den "demokratischen Übergang" der Junta für einen Betrug halten. Sie spüren, dass Wahlen, die vom Militär organisiert und unter Notstandsgesetzen stattfinden, nichts mit Demokratie zu tun haben. Solche Wahlen würden darauf hinauslaufen, dass die Legislative von der Junta und ihren imperialistischen Hintermännern kontrolliert würde, um der zukünftigen Unterdrückung und rechten Politik von Mubaraks alten Komplizen den Mantel parlamentarischer Demokratie umzuhängen.

Während das Militär mit dem Widerstand der Massen konfrontiert ist, bieten verschiedene politische Kräfte ihre Dienste an, um den Status Quo zu erhalten. Einige Jugendorganisationen und selbsternannte revolutionäre Bewegungen behaupten, eine "Regierung zur Rettung der Nation" unter dem liberalen Politiker Mohamed ElBaradei sei etwas anderes. Das ist eine Lüge. Unter der Vorherrschaft der Junta wären ElBaradei und seine Regierung nur weitere Marionetten, die die Interessen der ägyptischen herrschenden Klasse und des US-Imperialismus verteidigen.

Am Sonntag trafen sich ElBaradei und der ehemalige Chef der Arabischen Liga Amr Moussa mit dem Vorsitzenden der Junta, Mohamed Hussein Tantawi. Tantawi forderte sie auf, Premierminister Ghanzouri zu unterstützen und wies darauf hin, dass die Armee sich keinem Druck beugen oder ihre Befugnisse durch eine Verfassung beschneiden lassen würde.

Die neuen Massenkämpfe haben die große Kluft zwischen der Arbeiterklasse und dem ganzen politischen Establishment offengelegt. Das Establishment versucht, Illusionen in die angeblichen Reformen der Junta zu schüren. Die Demonstranten erlaubten es am Freitag keiner Partei, auf dem Tahrir-Platz Bühnen aufzustellen, da sie allgemein als Werkzeuge der Junta gelten.

Die Proteste waren ein schwerer Schlag für die islamistische Moslembruderschaft, die darauf gehofft hatte, von der allgemeinen Desillusionierung darüber, dass die "linken" kleinbürgerlichen Parteien die Junta unterstützen zu profitieren, die heutigen Wahlen zu gewinnen und die Macht zu ergreifen. Die Moslembrüder kritisierten sogar öffentlich die Proteste gegen die Junta. Jetzt sind sie als konterrevolutionäre Kraft und Verbündete der USA entlarvt. Am Montag wurde der Führer der Moslembrüder, Mohamed El Beltagi, von Demonstranten vom Tahrir-Platz vertrieben.

Die Hauptunterstützer der Junta sind verschiedene kleinbürgerliche pseudolinke Gruppen wie die Revolutionären Sozialisten (RS), die Partei für ein Sozialistisches Volksbündnis (SPAP) und die Sozialistische Partei Ägyptens (ESP). Sie behaupten, Mubaraks Generäle könnten unter Druck gesetzt werden, um die Forderungen der Revolution zu erfüllen, indem "unabhängige" Gewerkschaften gegründet und mit pro-kapitalistischen Kräften zusammengearbeitet wird - den Islamisten, ElBaradei und der Junta selbst.

In einem Artikel vom 31. Mai fasste Mustafa Omar von den RS ihre Perspektive zusammen: "Trotz ihrer repressiven Maßnahmen weiß [der Oberste Militärrat, d.h. die Junta], dass die Aufstände vom 25. Januar Ägypten in vieler Hinsicht dauerhaft verändert haben... Der Rat will das politische und wirtschaftliche System reformieren, damit es demokratischer und weniger repressiv wird."

Nach zehn Monaten Militärdiktatur, tödlicher Unterdrückung und der Verurteilung von mehr als zwölftausend Arbeitern und Jugendlichen zu Gefängnisstrafen enthüllen die Klassenkämpfe in Ägypten den Bankrott dieser Perspektive. Kräfte wie die RS, die SPAP und die ESP vertreten nicht die Arbeiter, sondern einen kleinen Teil der begüterten Mittelschicht, die untrennbar mit der bürgerlichen Herrschaft, dem Militär und seinen imperialistischen Geldgebern verbunden ist.

Am Sonntag gab das Wahlbündnis "Die Revolution geht weiter" - das unter anderem aus der SPAP, der ESP, liberalen und islamistischen Gruppen besteht - in einer Stellungnahme bekannt, dass es an den Wahlen teilnehmen werde, und bezeichnete sie als wichtigen Schritt zur Demokratie. Sie veröffentlichten außerdem eine gemeinsame Stellungnahme mit dem Wahlbündnis Ägyptischer Block, in dem sie sich für eine "Regierung zur Rettung der Nation" aussprachen.

Dass die Arbeiterklasse sich direkt an dem Kampf gegen die Versprechen eines "demokratischen Übergangs" beteiligt, hat große politische Bedeutung. Das Ziel dieser Kämpfe sind keine Reformen der Militärregierung, sondern ihr Sturz. Allerdings sind die grundlegenden Probleme des politischen Programms und der Führung noch ungelöst.

Der Ausbruch neuer Massendemonstrationen in Ägypten findet vor dem Hintergrund der ausartenden Krise des Kapitalismus und der weltweit zunehmenden Kämpfe der Arbeiter und Jugendlichen statt. Die Weltwirtschaft steht vor einem neuen, noch katastrophaleren Abschwung, und die herrschende Klasse ist entschlossen, die Arbeiterklasse dafür zahlen zu lassen.

Die Ereignisse in Ägypten zeigen den Millionen von Arbeitern, dass der einzige Weg vorwärts über die sozialistische Revolution führt. Der Sturz von Mubarak war zwar ein wichtiges Ereignis, aber er hat keine der politischen und gesellschaftlichen Fragen gelöst, vor denen die Massen stehen.

Dass es wieder zu Kämpfen der Arbeiterklasse gegen die von den USA finanzierte Junta kommt, bestätigt eindrücklich die Perspektive des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI). Wie die WSWS am 14. Februar erklärte: "Die Fortsetzung der Revolution und der Kampf für ihre Interessen bringt die Arbeiterklasse und die unterdrückten Massen in immer direkteren Konflikt mit dem Militär, der offiziellen Opposition und dem US-Imperialismus."

Unter Berufung auf Leo Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution, laut der die Bourgeoisie in unterdrückten Ländern wie Ägypten nicht in der Lage ist, für Demokratie gegen imperialistische Herrschaft zu kämpfen, erklärte die WSWS, dass nur ein unabhängiger sozialistischer Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Klassenbrüder- und Schwestern in aller Welt die Ziele der Revolution erreichen kann.

Die Bedingungen für solch einen internationalen Kampf für den Sozialismus werden immer günstiger. Die ägyptischen Arbeiter und Jugendlichen haben der internationalen Arbeiterklasse bereits ein wertvolles Beispiel für einen entschlossenen Kampf geliefert. Um die Revolution zum Erfolg zu führen, muss vor allem eine Sektion des IKVI in Ägypten gegründet werden und sie muss für eine sozialistische Perspektive und den Sturz der Junta kämpfen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 29.11.2011
Die ägyptische Revolution richtet sich gegen das Militär
http://www.wsws.org/de/2011/nov2011/egyp-n29.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2011