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GLEICHHEIT/3999: Die Sozialistische Bewegung Russlands - eine politische Falle für die Arbeiterklasse


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Die Sozialistische Bewegung Russlands - eine politische Falle für die Arbeiterklasse

Von Wladimir Wolkow
28. Dezember 2011


Einer der Hauptgründe für das Ende der Sowjetunion bestand darin, dass die Arbeiterklasse in den späten 1980ern und frühen 1990ern plötzlich den Kampf gegen die stalinistische Bürokratie aufnahm. Sie war jedoch nicht in der Lage, rechtzeitig eine eigene Führung aufzubauen und eine Partei zu schaffen, die, wie die Bolschewiki 1917, ein unabhängiges revolutionäres und internationalistisches Programm entwickelte.

Seit der Wiederherstellung des Kapitalismus in der ehemaligen Sowjetunion ist es die wichtigste Aufgabe für alle ernsthaften sozialistischen Arbeiter, Intellektuellen und Jugendlichen, eine politische Avantgarde aufzubauen, die sich an der Perspektive des internationalen revolutionären Sozialismus orientiert.

Die gegenwärtigen historischen Bedingungen sind davon geprägt, dass der sowjetische Stalinismus seine Macht als konterrevolutionärer Gegner und Totengräber der Revolution festigen konnte. Der Große Terror von 1937-38 rottete nicht nur mehrere Generationen sozialistischer Arbeiter und Intellektueller aus, sondern beseitigte auch alle Wurzeln marxistischer Kultur und sozialistischen Bewusstseins in der Sowjetgesellschaft.

Daraus erwächst die historische Aufgabe, den Marxismus wieder in die ehemalige UdSSR zurückzubringen. Das erfordert eine bewusste Aufarbeitung der Lehren aus dem Kampf für eine sozialistische Perspektive im 20. Jahrhundert. Diesen Kampf verkörpert die Geschichte der Vierten Internationale, die Leo Trotzki im Jahr 1938 gründete, um gegen die stalinistische Entartung der bolschewistischen Partei, des Sowjetstaates und der Kommunistischen Internationale zu kämpfen.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) ist weltweit die einzige politische Bewegung, die sich stets für die Erhaltung der historischen Kontinuität von Trotzkis Perspektive eingesetzt hat. Sie hat dafür gekämpft, die Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus und die Bürokratien von Sozialdemokratie, Gewerkschaften und Stalinisten zu mobilisieren.

Die Rückkehr des Marxismus in die ehemalige UdSSR bedeutet den Aufbau von Sektionen des IKVI in Russland und in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken.

Im Gegensatz zu dieser Perspektive versucht die Sozialistische Bewegung Russlands (RSM), die Anfang März diesen Jahres gegründet wurde, in Russland eine Kultur des pseudolinken Opportunismus zu etablieren, der die Arbeiterklasse in die Irre führen und daran hindern soll, wirkliches Klassenbewusstsein zu entwickeln.

In Europa wird diese Tendenz unter anderem von der französischen Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) und der deutschen Linkspartei vertreten, mit denen die RSM eng verbunden ist. In Russland ist einer der "Hauptimporteure" dieser Politik der Chef des Instituts für Globalisierung und Soziale Bewegungen, Boris Kagarlitzki.

Die Stellungnahmen der RSM, das Wesen der in ihr aktiven Tendenzen, ihre derzeitige Politik und die ihrer internationalen Verbündeten deuten darauf hin, dass die RSM gegründet wurde, um Russlands amtierendes Regime von Oligarchen und Bürokraten zu verteidigen. Dieses Regime verliert in den Augen der Bevölkerung immer mehr an Autorität, vor allem unter dem Eindruck der wachsenden Weltwirtschaftskrise, der arabischen Revolutionen und dem Anwachsen der Massenproteste im Westen, darunter auch der "Occupy-Wall-Street"-Bewegung.

Trotz ihres Namens hat die RSM nichts mit dem Kampf für den Sozialismus oder für den Sturz des russischen Kapitalismus und die Errichtung einer revolutionären Arbeiterregierung zu tun. Die Bewegung versucht, dem Regime ein etwas "demokratischeres" Erscheinungsbild zu verleihen und die Illusion zu schüren, es könne reformiert werden. Die RSM behauptet, die Massen von oben her mobilisieren zu wollen. Gleichzeitig verteidigt sie ihre zum Scheitern verurteilte Perspektive, die Institutionen des Kreml und der kapitalistischen Oligarchie in Russland "modernisieren" zu wollen.


Der Pessimismus und seine Beziehung zur Arbeiterklasse

In den Dokumenten der RSM taucht immer wieder die Behauptung auf, die Arbeiterklasse habe in der "realen" Politik keinen unabhängigen Platz.

Im Gründungsmanifest der Bewegung mit dem Titel "Über den Aufbau einer Organisation der antikapitalistischen Linken" heißt es: "Die Konfrontation zwischen Regierung und liberaler Opposition ist weiterhin der grundlegende Vektor der Opposition gegen die Haushaltspolitik... Andererseits... bauen die Ultrarechten und Nationalisten ebenfalls ihre Ressourcen auf... Letzten Endes werden die politischen Kräfte, die es schaffen, ihre Agenda zur Agenda der breiten Masse, und ihre Organisation zum Zentrum der gesellschaftlichen Mobilisierung zu machen, die weitere Entwicklung der Lage bestimmen können (leider sind das nicht zwingend linke Kräfte)."

Dieses Statement will darauf hinaus, dass es sich beim entscheidenden Faktor im gesellschaftlichen und politischen Leben Russlands nicht um den Klassenkampf handelt, sondern um Meinungsverschiedenheiten innerhalb der herrschenden Elite. Im Manifest ist zu lesen, dass "vom Standpunkt der Interessen der arbeitenden Mehrheit der Bevölkerung dieser Konflikt [zwischen Regierung und liberaler Opposition] nicht sehr wichtig ist." Jedoch ist diese Formulierung nur als Alibi gemeint und ändert nichts an der Klassenorientierung der RSM.

Der politische Reifegrad der Arbeiterklasse, ihre wirkliche Teilnahme am politischen Leben hängt nicht nur, bzw. nicht hauptsächlich davon ab, wie viele spontane Kämpfe sie führt, egal wie wichtig diese sind. Er hängt ab vom Grad des Einflusses, den eine revolutionäre Partei auf diese Kämpfe hat. Ohne sie kann die Arbeiterklasse politisch entwaffnet und von feindlichen Klassenkräften manipuliert werden. Aber die RSM wendet sich gegen die Schaffung solch einer revolutionären Avantgarde. Damit sorgt sie dafür, dass eine Fraktion der herrschenden Elite "ihre Agenda zur Agenda der breiten Masse macht", wie die RSM es formuliert.

Der Führer der RSM, Ilja Budraitzkis, drückt in einem Artikel mit dem Titel "der Pablo Escobar der russischen Politik", der am 3. Juli auf der Webseite Rabkor.ru veröffentlicht wurde, seinen Pessismus gegenüber der Arbeiterklasse aus. Der Artikel wurde als Reaktion auf die Wahl von Michail Prochorow zum Parteichef der liberalen Partei "Rechte Sache" veröffentlicht und liest sich wie eine Lobschrift auf die Leistungen und den "Populismus" eines Mannes, der zu Russlands verhasstesten Milliardären gehört.

In diesem Artikel sagt Budraitzkis Prochorows Partei bei den Wahlen 2011 großen Erfolg voraus und geht sogar so weit, vom "vorhersehbaren Sieg der Rechten Sache" zu sprechen. Warum ist er sich so sicher, das Prochorow Erfolg haben wird? Weil die Masse der russischen Arbeiter, zumindest nach Budraitzkis' Meinung, in kleinbürgerlichen Illusionen gefangen sind.

Budraitzkis fährt fort: "Der soziale Rückschritt Russlands hat einen neuen Menschenschlag kultiviert: Den gestrengen Pionier des Überlebens des Kapitalismus, dessen politische Präferenzen zwischen zynischem Unglauben gegenüber jeglichem Kampf für kollektive Interessen, Hass auf den parasitären Staat und verschiedenen Stufen von radikalem Engagement für die 'russische Frage' schwankt." Die Angehörigen dieses Menschenschlages sind vielleicht keine politischen Aktivisten, weil sie sich angewöhnt haben, nur für sich selbst zu arbeiten und sich nicht mit überflüssigem Wissen aufzuhalten. Aber sie sind bereit, denjenigen zu wählen, in dem sie sich selbst wiedererkennen oder denjenigen, der so ist, wie sie gerne wären. Zu diesen Typen zählt der zukünftige Wahlmagnet Michail Prochorow."

Nur drei Monate später wurde Prochorow vom Kreml aus der Rechten Sache ausgeschlossen, weil man ihn nicht für vertrauenswürdig hielt. Seither steckt die Rechte Sache in einer tiefen Krise und hat bei den Parlamentswahlen am 4. Dezember nur einen unbedeutenden Anteil der Stimmen erhalten.


Keine sozialistische Revolution, sondern eine "demokratische"

Die RSM orientiert sich an der Perspektive einer demokratischen Revolution, die im kapitalistischen Russland angeblich möglich ist, da es eine breitgefächerte Koalition von "Oppositions"-Kräften gibt, zu denen alle, von Liberalen bis hin zu Nationalisten, gehören. In solch einer objektiv rechten Koalition kann die Arbeiterklasse ihr eigenes revolutionäres, internationalistisches Programm nicht verwirklichen.

Diese Orientierung ist das genaue Gegenteil von Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution, laut der die moderne Kapitalistenklasse, die sich aus politischen Tendenzen aller Art zusammensetzt, unfähig ist, für die Demokratie zu kämpfen, weil ihre Klasseninteressen denen der Massen zuwiderlaufen. Die Aufgabe, für Demokratie zu kämpfen und die anderen unterdrückten Klassen in einer internationalen sozialistischen Revolution zu führen, fällt allein der Arbeiterklasse zu.

Beispiele für "demokratische" Revolutionen, wie sie die RSM fordert, sind die "Farben-Revolutionen" in ehemaligen Sowjetrepubliken in den Jahren 2003 und 2004. Durch sie kamen in Georgien und der Ukraine proamerikanische Regimes an die Macht, die sofort einen brutalen Angriff auf die Rechte und den Lebensstandard der Arbeiter begannen.

Viele der politischen Gruppierungen, die sich zur RSM zusammengeschlossen haben, und besonders Budraitzkis' Gruppe, haben aktiv an der "Orangenen Revolution" in der Ukraine teilgenommen und dabei als Werkzeuge des Imperialismus und korrupter Cliquen der nationalen Bourgeoisie gehandelt.

Die Perspektive einer demokratischen Revolution, an der sich die RSM orientiert, wurde in dem Artikel "Wenn Putin zurücktritt" vom 1. Juli auf der Webseite der RSM, Anticapitalist.ru, theoretisch erklärt. Darin heißt es: "Trotz der scheinbaren Unterschiede zur sogenannten 'westlichen Demokratie', trotz des autoritären Charakters, den Putin in den 2000er Jahren annahm, war sein Staat viel näher an einer echten bürgerlichen Demokratie als Jelzins Russland. In jedem Fall ist eine politische Liberalisierung, wie sie in den 1990ern ausgeblieben ist, jetzt technisch möglich."

Diese beeindruckende Schlussfolgerung - Autoritarismus als Weg zur Demokratie (!) - könnte glatt als neue Entdeckung im Bereich der Politikwissenschaft durch die RSM angesehen werden, wäre es nicht eine direkte Anleihe aus dem Repertoire der aggressivsten Antikommunisten, die mindestens seit der Herrschaft von Pinochet behauptet haben, Autoritarismus könne zum Aufbau einer blühenden Demokratie beitragen.

Laut der RSM hat Putin zwar zehn Jahre lang die Kulisse eines bürgerlichen Parlamentarismus' niedergerissen, die Jelzin nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aufgebaut hatte, aber in Wirklichkeit hat er den Weg für das Entstehen einer "echten bürgerlichen Demokratie" freigemacht! Im Endeffekt ist die Position der RSM kaum etwas anderes als eine Verteidigung von Putins angeblicher "historischer Mission", einem Schlüsselelement der offiziellen Kreml-Ideologie, wie sie von Leuten wie Wjatscheslaw Surkow propagiert wird.

Der Kreml versucht, seinen Autoritarismus damit zu rechtfertigen, er sei eine progressivere Stufe des Kapitalismus als die der "anfänglichen Anhäufung" während der "wilden Neunziger" und verspricht für die nahe Zukunft eine Demokratisierung "von oben." Besonders Medwedew wurde als nominelles Sprachrohr für Modernisierungstendenzen innerhalb der Machtelite propagiert, um dieses Täuschungsmanöver durchzuführen.

Die RSM nahm diesen ganzen Schwindel für bare Münze und unterstützte die Perspektive, auf Reformen von oben zu warten. Damit arrangiert sie sich vollständig mit der "Agenda" des Regimes, die bis zum 24. September 2011 formuliert wurde - bis statt Medwedew Putin zum Präsidentschaftskandidaten der kommenden Wahlen erklärt wurde.

In einem weiteren Text, dem "Manifest des Teams der Analysten", der von der Webseite Sensus Novus kopiert wurde, erklärt die RSM, dass "bestimmte Machthaber immer klarer verstehen, dass eine Modernisierung 'von oben' nötig sei, um ein Zerreißen 'von unten' zu verhindern, das früher oder später kommen würde." Dann erklärt es das Dokument zu seinem wichtigsten Ziel, "ein positives Programm des Wandels" zu erarbeiten, "durch das Russland endlich von einem bürokratischen Dinosaurier zu einem modernen demokratischen Staat wird."

Der RSM geht es in Wirklichkeit um die Schaffung eines "modernen demokratischen" kapitalistischen Staates.

Diese Perspektive ist auch deshalb bankrott, weil die Demokratie in den westlichen Ländern, wo die parlamentarische Herrschaft zuerst begann, nicht blüht, sondern verfault. Die Gegenwart ist geprägt von unablässigen Angriffen auf demokratische Rechte und den Lebensstandard der Arbeiterklasse. In allen diesen Ländern sind Kürzungen bei Löhnen und Sozialausgaben einhergegangen mit der Erweiterung von Polizeibefugnissen im Rahmen des "Kriegs gegen den Terror" - bei dem diese Regimes Afghanistan, den Irak und Libyen nach brutalen imperialistischen Kriegen besetzt haben.

Die sozioökonomische und politische Perspektive der RSM drückte sich am offensten auf der Konferenz "Die gesellschaftliche Krise und die Zukunft der Linken" vom 9. bis zum 10. Juli aus. Diese Konferenz fand in Boris Kagarlitzkis Institut für Globalisierung und Soziale Bewegungen (IGSO), einem der Mitglied der RSM, statt. Unterstützt wurde sie von der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung (die in Deutschland mit der Linkspartei verbunden ist, ihrerseits die Nachfolgepartei der stalinistischen SED).

IGSO-Vertreter Wasili Koltaschow sprach auf der Konferenz. Er betonte, das Programm, das er vorschlug, könne nicht "sozialistisch" genannt werden und er empfinde es auch nicht als sozialistisch.

Koltaschow fügte hinzu: "Aller Wahrscheinlichkeit nach wollen Länder, die der Wirtschaftskrise zum Opfer gefallen sind, keine sozialistischen Revolutionen, sondern bürgerlich-demokratische."

Ein anderer Redebeitrag kam von dem bekannten liberalen Philosophen und Journalisten Boris Meschujew. Er sprach von der Notwendigkeit für eine demokratische Koalition, bemerkte aber zutreffend, die russische Bourgeoisie "kann die Anforderungen der Demokratie nicht erfüllen."

Er betonte: "Angesichts der Unfähigkeit der russischen Bourgeoisie, die führende demokratische Kraft zu werden und den Menschen das erforderliche Minimum an demokratischen Rechten und Freiheiten zu bringen, muss die Linke die führende demokratische Kraft werden." Kein Konferenzteilnehmer widersprach Meschujew in dieser Frage.

In dem Schlussdokument der Konferenz war von der Notwendigkeit die Rede, "einen neuen Sozialstaat zu schaffen... Das bedeutet nicht nur ein Ende der zerstörerischen Maßnahmen im Bildungs- und Gesundheitswesen, sondern auch die Ausweitung der staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft, vielleicht auch die Verstaatlichung des Energiesektors und der Monopole auf natürliche Rohstoffe."

Das Programm der Sozialistischen Bewegung Russlands, wie es bis Ende dieses Jahres bestand, kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Die "Linken" müssen dem russischen Kapitalismus helfen, sich selbst zu retten, notfalls sogar mittels Verstaatlichungen. Dabei überspielt sie etwas Entscheidendes: Wegen ihrer Unterordnung unter die "Liberalen" und die Kreml-Oligarchen können die Kräfte rund um die RSM die Oligarchie nur insoweit zu einer solchen Politik drängen, wie sie deren Interessen entspricht. Damit aber ist es keine progressive Verstaatlichung mehr, sondern eine Umverteilung zwischen den Oligarchen, die den Staatsapparat kontrollieren.

Die RSM will die Massen so organisieren, dass diese ihre Klasseninteressen nicht offen erklären, sondern sich freiwillig auf "Basispolitik" beschränken, d.h. auf unpolitische Organisation. Die so mobilisierten Massen sollen bestimmte Schichten der herrschenden Elite unterstützen - und es diesen Schichten ermöglichen, den Rest des Establishments zu Reformen zu zwingen, die nur kosmetischer Natur sind. Der Sinn dieser Übung ist es, die Entwicklung eines unabhängigen Kampfes der Arbeiterklasse zu verhindern und damit die "Gefahr" einer sozialistischen Revolution zu bannen.


Die historische Degeneration der internationalen "Linken"

Die RSM wurde als Koalition aus pseudolinken, stalinistischen, liberalen und anarchistischen Gruppen, Gewerkschaftsorganisationen und sozialen Bewegungen gegründet. Ihr Name wurde nach langen Diskussionen gewählt, um nicht eindeutig mit Marxismus in Verbindung gebracht zu werden. Die RSM redet scheinbar vom Sozialismus, lässt aber nicht nur Liberale mitreden, für die jeder staatliche Eingriff in die Wirtschaft schon Sozialismus ist. Auch Anarchisten dürfen mitreden, obwohl diese eine parteiliche Organisation des Proletariats für inakzeptabel halten. Und auch viele andere Kräfte, die nichts mit Marxismus oder Arbeiterpolitik zu tun haben, sind willkommen.

Die RSM will zwischen liberalen, stalinistischen und nationalistischen Kräften lavieren, ohne deren politische Macht zu untergraben. Während sie sich einer Bewegung anpasst, sucht sie Anknüpfungspunkte mit bürgerlichen Politikern, statt sich aus Prinzip von ihnen abzugrenzen. Sie verurteilt revolutionäre Sozialisten für ihr "Sektierertum" und versucht, Klassenfragen abzuwürgen, weil es angeblich dringend erforderlich ist, sich "gemeinsame Ziele" zu setzen. Letzten Endes will sie eine Waffe in den Händen reaktionärer Kräfte sein, darunter auch der russischen Oligarchen und des westlichen Imperialismus. Ihr Handeln und ihr Programm werden die Arbeiterklasse in eine historische Niederlage führen.

Ihre Koketterie mit Liberalen zeigt sich unter anderem in ihrer Position zum Akademiker A. Sacharow. Anstatt die rechten Implikationen seiner liberalen antikommunistischen Politik in den 1970ern und 1080ern ehrlich zu bewerten, plappern die Vertreter der RSM abgedroschene Phrasen über "Sacharows moralische Autorität" nach.

Ihr Kokettieren mit den Stalinisten zeigt sich an der Weigerung, die stalinistische Unterdrückung und die Auflösung der UdSSR uneingeschränkt zu verurteilen und erbarmungslos gegen das Erbe des Stalinismus zu kämpfen. Im Gründungsmanifest der RSM ist im Abschnitt über die postsowjetische Epoche der ersten Hälfte der 1990er zu lesen: "Stalinismus und Revanchismus waren... die dominante Kraft. [...] Radikale Linke, die auf die eine oder andere Weise im Rahmen dieser breiten Bewegung agierten, versuchten von innen für deren internationalistische und demokratische Komponente zu kämpfen."

Als ihre engsten politischen Partner sieht die RSM eine Bewegung namens "Linke Front", die aus Überbleibseln der stalinistischen Kommunistischen Arbeiterpartei Russlands (russ. RKRP) geschaffen wurde. Der populäre Anführer der Linken Front, Sergei Udalzow war eine zeitlang Mitorganisator der Protestaktionen der liberalnationalistischen "Gegen das System"-Opposition. Der führende Apparatschik der Linken Front, Anatoli Baranow war lange Zeit führender Ideologe und Medienspezialist in der Führungsriege von Sjuganows Kommunistischer Partei der Russischen Föderation (KPRF)

Der formelle Grund für die Entstehung der RSM war die Vereinigung von zwei ehemaligen pseudotrotzkistischen Gruppen - der sozialistischen Bewegung "Vorwärts" unter Leitung Budraitzkis, und der Gruppe "Sozialistischer Widerstand" von Owsiannikow. Beide Gruppen waren einmal Mitglieder der pablistischen Strömung "Komitee für eine Arbeiterinternationale", die auf der britischen Bewegung "Militant" basiert.

Der Pablismus ist eine Strömung des antitrotzkistischen Revisionismus, der Ende der 1940er Jahre in der trotzkistischen Bewegung entstand und das Ziel hatte, die Vierte Internationale als unabhängige politische Kraft zu zerstören. Er ist nach Michel Pablo benannt und lehnt die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse ab. Dagegen hält er die Sowjetbürokratie - und ebenso die nationalen bürgerlichen Bewegungen und verschiedene reformistische Gewerkschaften und sozialdemokratische Bürokratien - für fähig, die Vierte Internationale als Führung im Kampf für den Sozialismus zu ersetzen. Der Pablismus versuchte umgehend, die Sektionen der Vierten Internationale in verschiedenen stalinistischen oder bürgerlich-nationalistischen Bewegungen aufzulösen.

Der revolutionäre Flügel der trotzkistischen Weltbewegung, der sich 1953 zum IKVI zusammenschloss und seither die einzige internationale Bewegung ist, die immer für die Perspektive des revolutionären Sozialismus gekämpft hat, verurteilt seit mehr als einem halben Jahrhundert den Verrat der Pablisten.

Nach der Kapitulation der Sowjetbürokratie vor dem Weltimperialismus während Gorbatschows Perestroika und der Auflösung der Sowjetunion rückten die pablistischen Organisationen auf der ganzen Welt noch weiter nach rechts. In den letzten zwanzig Jahren haben sie einen revolutionären Anspruch nach dem anderen aufgegeben. Inzwischen sind sie zu direkten Werkzeugen der herrschenden Elite zur Beeinflussung der Arbeiterklasse geworden.

Die französische pablistische Gruppe, die jetzt als Neue Antikapitalistische Partei firmiert, unterhält enge Beziehungen zur französischen Sozialistischen Partei und hat den Libyenkrieg unterstützt. Ein Vertreter dieser Partei war als Ehrengast zur Gründungskonferenz der RSM eingeladen und hielt dort eine Grußadresse.

Die RSM drückt offen ihre Solidarität mit dieser rechten bürgerlichen Partei und ihrem Gegenstück in Deutschland aus - der Linkspartei, die seit vielen Jahren in den Bundesländern mitregiert und direkt an dem Sozialabbau mitschuldig ist, den die deutsche Bourgeoisie durchführt.

Diese politische Degeneration der Pablisten und anderer linker Radikaler ist kein Zufall. Die objektiven Wurzeln dieses Prozesses sind verbunden mit der historischen Krise des weltweiten Profitsystems und der Erschöpfung aller Möglichkeiten, die bestehende Gesellschaft zu reformieren.

Weltweit stehen Arbeiter vor der Aufgabe, ein einheitliches internationales Programm für den revolutionären Kampf um den Sozialismus zu entwickeln. Ohne ein solches Programm ist es nicht möglich, soziale und demokratische Rechte auch nur ansatzweise zu verteidigen. Für Russland heißt das: Alle Illusionen, das Regime von Oligarchen und Bürokraten könne sich selbst reformieren oder demokratischer werden, müssen ausgeräumt werden. Die Arbeiterklasse muss auf den revolutionären Kampf gegen das Profitsystem im eigenen Land und der ganzen Welt vorbereitet werden und dazu klar erkennen: Die RSM ist ein Hindernis auf diesem progressiven Weg in die Zukunft.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 28.12.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2011