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GLEICHHEIT/4076: Spanischer Richter Baltasar Garzón erhält elfjähriges Berufsverbot


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Spanischer Richter Baltasar Garzón erhält elfjähriges Berufsverbot

Von Vicky Short
16. Februar 2012


Am Donnerstag, den 9. Februar verhängte der spanische Oberste Gerichtshof ein elfjähriges Berufsverbot gegen den Richter am Nationalen Gericht Baltasar Garzón.

Wenn das Berufsverbot abläuft, wird Garzón 68 Jahre alt sein, womit seine Karriere als Richter praktisch beendet ist. In diesem Urteil, gegen das kein Einspruch möglich ist, erklärten die sieben Richter des Obersten Gerichtshofs, dass Garzón seinen Status als Richter dauerhaft verliere.

Die Richter Joaquín Giménez, Andrés Martínez Arrieta, Miguel Colmenero, Francisco Monterde, Juan Ramón Berdugo, Luciano Varela und Manuel Marchena verurteilten Garzón einstimmig wegen Amtsanmaßung, weil er das Abhören von Gesprächen zwischen Untersuchungshäftlingen in einem Korruptionsfall und ihren Anwälten anordnete. In diesen Fall ist die rechte Volkspartei (PP) verwickelt, die jetzt die Regierung stellt.

Das Verfahren gegen Garzón hatten die beiden Hauptfiguren in dem berüchtigten "Gürtel"-Korruptionsfall angestrengt: Der Geschäftsmann Francisco Correa und seine rechte Hand Pablo Crespo. Correa pflegten Beziehungen zu Vertretern der PP und stehen wegen Bestechung, Geldwäsche und Steuerbetrugs vor Gericht.

Nach einer vierjährigen Untersuchung ist Garzón jetzt die erste Person in diesem Fall, die bestraft wird.

Garzón wird außerdem der Rechtsbeugung beschuldigt. Er soll das Amnestiegesetz von 1977 gebrochen zu haben, das alle Verbrechen der Franco-Ära straffrei stellte. Er hatte eine Untersuchung wegen des Verschwindens von 114.000 Menschen im Spanischen Bürgerkrieg und unter der faschistischen Diktatur begonnen. Das Urteil in diesem Fall wird noch im Laufe des Monats erwartet.

Das wirkliche Ziel der Hexenjagd gegen Garzón und seines Berufsverbots besteht darin, ihn dafür zu bestrafen, dass er das korrupte Übereinkommen zwischen allen Fraktionen der politischen Elite und der herrschenden Klasse Spaniens aufzubrechen drohte. Die Einführung eines parlamentarischen Regimes in Spanien und die Integration des Landes in die bürgerlichen Institutionen Europas wie die Europäische Union, die in den späten 1970er Jahren begann, hing davon ab, den Mantel des Schweigens über die Verbrechen der Faschisten und ihrer Erben in der PP zu breiten.

Garzón schlug 2005 die Einsetzung einer "Wahrheitskommission" vor, die die Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter der Diktatur von General Francisco Franco untersuchen sollte, der Spanien seit dem Ende des Bürgerkriegs 1939 bis zu seinem Tod 1975 regierte.

2008 eröffnete er auf Bitten von Angehörigen der Opfer die Untersuchung. Er ordnete die Öffnung von neunzehn geheimen Massengräbern an. In einem von diesen wurden die Gebeine des Dichters Federico Garcia Lorca vermutet.

Garzóns Untersuchung sollte drei Perioden abdecken: den Bürgerkrieg vom 17. Juli 1936 bis Februar 1937, die Zeit des Ausnahmezustands von März 1937 bis Anfang 1945 und die Zeit der "Repressionen" von 1945 bis 1952, die "von der Eliminierung von Guerilleros und ihren Unterstützern charakterisiert war".

Garzóns Anklage machte die Begrenztheit seiner Absichten klar. Er wollte keine politischen Fragen aufwerfen, sondern etwas "viel Bescheideneres" erreichen, er wollte das "erzwungene Verschwinden von Personen" untersuchen. Einen Monat später ließ er auf Druck des Generalstaatsanwalts den Fall gegen Franco und seine Verbündeten wieder fallen und gab die Verantwortung für die Öffnung der neunzehn Massengräber mit Hunderten Opfern an regionale Gerichte ab.

Das rettete den Richter aber nicht mehr. 2010 wurde Garzón suspendiert und der Amtsanmaßung im Zusammenhang mit der Untersuchung von Massenmorden im Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 beschuldigt. Die zwei anderen Verfahren wurden später eingeleitet.

Die herrschende Elite fürchtet, das seine solche Untersuchung nicht nur die standrechtlichen Erschießungen, die Massengräber, das Verschwinden von Menschen, die gestohlenen Kinder und die faschistische Unterdrückung offen legen, sondern auch die Verantwortlichen für diese Verbrechen identifizieren würde. Viele ihrer Nachkommen und Unterstützer halten hohe Positionen im Staat, der PP-Regierung und in der Justiz selbst.

Vor allem würde eine Untersuchung die politische Übereinkunft nach dem Tod des Diktators in Frage stellen, die den Faschisten, dem Militär, der Guardia Civil, den Richtern, Kirchenführern und all denen, die in die Verbrechen des Franco-Regimes verwickelt waren, eine politische Amnestie gewährte.

Das demokratische Regime, das in den Jahren nach Francos Tod etabliert wurde, rettete den spanischen Kapitalismus mithilfe der Kommunistischen Partei und der sozialdemokratischen PSOE vor der Rache der Arbeiterklasse. Aber diese Übereinkunft gerät zunehmend in die Kritik, weil die sozialen Spannungen in Spanien wieder zunehmen. Ein Teil der herrschenden Elite ist zu der Auffassung gekommen, dass die Zeit der Abrechnung schnell näher kommt und hat beschlossen einen präventiven Gegenschlag gegen Garzón zu führen, auch wenn das erhebliche Auswirkungen auf das Rechtssystem hat.

Die unmittelbare Folge des Richterspruchs soll sein, dass niemand in der Justiz je wieder etwas unternehmen wird, was den Interessen der herrschenden Elite zuwider läuft.

Garzón kommentierte: "Dieses Urteil vernichtet alle Chancen, Korruption und damit in Zusammenhang stehende Verbrechen zu verfolgen und eröffnet eine Ära der Straflosigkeit. Um einen bestimmten Richter loszuwerden, wird die Unabhängigkeit der spanischen Justiz untergraben."

Gegen das Urteil demonstrierten etliche zehntausend Menschen mit Parolen wie "Genug von der Justizmafia", "Entlasst die Franco-Richter" und "Francisten raus aus dem Obersten Gerichtshof". Auf Transparenten war zu lesen: "Spanien steht auf dem Kopf. Die Korrupten und die Faschisten richten den Richter" und "Um ihre Verbrechen zu verschleiern, schicken sie Garzón in die Wüste".

Die Justizsprecherin Gabriela Bravo verteidigte den Obersten Gerichtshof gegen die öffentliche Empörung. "Ich kann verstehen, dass ein Teil der Bürger mit dem Urteil nicht übereinstimmt", sagte sie, "aber ich halte es für unerträglich, dass sie [die Richter des Obersten Gerichtshofs] deswegen als Faschisten bezeichnet werden."

Auch mehrere Vertreter der Justiz reagierten auf das Urteil in dem "Gürtel"-Fall mit Unglauben und Empörung und warnten vor den Folgen auf Korruptionsverfahren vor anderen Gerichten. Jaume Asens von der Verteidigungskommission der juristischen Fakultät in Barcelona nannte das Urteil "einen Angriff auf die Unabhängigkeit der Richter... Die Richter des Obersten Gerichtshofs haben klar gemacht, dass es riskant ist, gegen die Mächtigen zu ermitteln."

In der Stellungnahme des Bundeskoordinators der Vereinigten Linken (IU) Cayo Lara war von einer ähnlichen Empörung nichts zu spüren. Die IU ist ein von der Kommunistischen Partei geführtes Bündnis. Lara begnügte sich mit der Erklärung: "Heute ist ein sehr trauriger Tag für die spanische Justiz und für Demokraten."

Aber dann versuchte er die Bedeutung des Urteils kleinzureden. Nach seiner Meinung müsse dieses Urteil gegen Garzón "kein Präzedenzfall sein". Er vertraue darauf, dass die anderen Prozesse "nicht den gleichen Weg gehen werden".


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Quelle:
World Socialist Web Site, 16.02.2012
Spanischer Richter Baltasar Garzón erhält elfjähriges Berufsverbot
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2012