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GLEICHHEIT/4240: Parteitag in Göttingen - Krise der Linkspartei spitzt sich zu


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Parteitag in Göttingen: Krise der Linkspartei spitzt sich zu

Von Lucas Adler
5. Juni 2012



Der dritte Parteitag der Linkspartei, der am vergangenen Wochenende in Göttingen stattfand, bot das Bild einer von Krisen gebeutelten und zutiefst zerstrittenen Partei. Das zweitägige Treffen war von heftigen Flügelkämpfen und erbitterten Auseinandersetzungen um die personelle Neubesetzung des Vorstandes geprägt.

Der Parteitag fand vor dem Hintergrund bitterer Wahlniederlagen und eines starken Mitgliederschwunds statt. War die Linkspartei 2009 noch mit 11,9 Prozent der Stimmen in den Bundestag eingezogen, muss sie inzwischen auch auf Bundesebene um ihre Wiederwahl fürchten.

Der Ältestenrat der Partei hatte in einem Brief an alle Delegierten, der mit der Einladung zum Parteitag verschickt wurde, ein düsteres Bild der Lage gezeichnet. Das im vergangenen Jahr beschlossene Parteiprogramm habe im Leben der Partei kaum eine Rolle gespielt und sei teilweise unterlaufen worden. "Wahlen gehen verloren, Verlust von 8.000 Mitgliedern, Verlust an politischem Einfluss, fehlende Transparenz im innerparteilichen Leben", monierten die Verfasser.

Der scheidende Vorsitzende Klaus Ernst schilderte in seiner Rede den Zustand der Partei mit den Worten: "Wir haben Umfragewerte von 6 Prozent auf Bundesebene. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben wir den Einzug in den Landtag deutlich verpasst. In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sind wir krachend herausgeflogen. Auch im Osten bröckeln unsere Umfragewerte. Insgesamt haben wir seit 2009 9.000 Mitglieder verloren. Ganze Kreisverbände im Westen haben sich aufgelöst. Wir haben Zerfallserscheinungen in unserer Partei."

Der Parteitag war unfähig, sich mit den politischen Ursachen dieses Niedergangs zu konfrontieren und darüber zu diskutieren. Stattdessen fielen die verfeindeten Flügel übereinander her und warfen sich gegenseitig vor, in der Öffentlichkeit ein Bild der Zerstrittenheit zu präsentieren.

Ernst sah das Problem darin, dass es nicht gelungen sei, die zentrifugalen Kräfte der Partei durch ein starkes Zentrum zu organisieren. "Die Zukunft unserer Partei liegt nur im Zusammenbleiben und in gemeinsamen Kämpfen", appellierte er an die Delegierten.

Auf Ernst folgte der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Gregor Gysi, der in einer aufgebrachten Rede seinem Frust über die ständigen Kämpfe zwischen den Ost- und Westverbänden der Partei Luft machte.

Eine bestimmte Kritik von Mitgliedern aus den alten Bundesländern erinnere ihn an die "westliche Arroganz bei der Vereinigung unseres Landes", sagte Gysi. "Aber in unserer Fraktion im Bundestag herrscht auch Hass. Seit Jahren befinde ich mich zwischen zwei Lokomotiven, die aufeinander zufahren. Und ich weiß, dass man dabei zermalmt werden kann. Seit Jahren bin in der Situation, mich entweder bei der einen oder bei der anderen Gruppe unbeliebt zu machen, und ich bin es leid."

Gysi drohte sogar mit der Spaltung der Partei. "Entweder wir sind in der Lage, eine kooperative Führung zu wählen, die die Partei integriert und die organisiert, dass wir in erster Linie wieder politisch wahrgenommen werden. Oder aber wir sind dazu nicht in der Lage. Für den Fall sage ich Euch offen: Es ist dann besser, sich fair zu trennen als weiterhin unfair, mit Hass, mit Tricksereien, mit üblem Nachtreten eine in jeder Hinsicht verkorkste Ehe zu führen."

Die meisten Medien stellen die Auseinandersetzung in der Linkspartei als Kampf zwischen einem linken und einem rechten Flügel dar, wobei der linke vor allem im Westen, in den alten Bundesländern verankert ist und sich um den ehemaligen Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine schart, während der rechte oder Reformer-Flügel seine Basis in den neuen Bundesländern hat und sich um den ehemaligen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch sammelt.

Doch diese Darstellung ist irreführend. Es handelt sich im Wesentlichen um zwei rechte Flügel, die sich in ihrer Politik nicht groß voneinander unterscheiden. Es ist noch kein Jahr her, da haben die Delegierten beider Flügel mit 97 Prozent ein gemeinsames Grundsatzprogramm verabschiedet, das alle Grundpfeiler des Kapitalismus verteidigt.

Auch die Behauptung, der Lafontaine-Flügel sei nicht zur Zusammenarbeit mit der SPD und Teilnahme an bürgerlichen Regierungen bereit, ist nicht wahr, wie Lafontaine höchstpersönlich auf dem Parteitag betonte. "Wer hat denn in Hessen angeboten, eine Regierung zu bilden? Das war die Linke in Hessen", sagte er. "Wer hat die Regierung Kraft (die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW; die Red.) überhaupt erst mal ermöglicht? Das war die Linke in Nordrhein-Westfalen. Wer hat im Fernsehen der SPD einen Ministerpräsidenten angeboten nach einer erfolgreichen Wahl? Das war ich."

Die innerparteiliche Auseinandersetzung dreht sich vielmehr um die Frage, wie man diese Politik am besten verkauft.

Oskar Lafontaine, der vierzig Jahre lang in der SPD höchste Partei- und Staatsämter ausübte, verließ diese 1999, weil er feststellte, dass die Politik von Bundeskanzler Gerhard Schröder jedes Vertrauen der Arbeiter in die SPD verspielte. Lafontaine glaubt, dass man unbedingt eine Partei braucht, die die Arbeiter kontrollieren und größere Klassenkämpfe unterdrücken kann. Er ist ein Schüler Willy Brandts, der als Bundeskanzler mit der Parole "Mehr Demokratie wagen" und durch einen massiven Ausbau der Universitäten und des öffentlichen Dienst die rebellierenden Studenten von der Straße geholt hatte, während er gleichzeitig mit den Berufsverboten jede ernsthafte Opposition unterdrückte.

Mit dem Zusammenschluss der WASG und der PDS zur Linkspartei, der maßgeblich auf seine Initiative zurückging, versuchte Lafontaine ein Auffangbecken schaffen, um eine politische Radikalisierung der Arbeiter aufzufangen und in harmlose Kanäle zu lenken. Lafontaine vertrat dabei nie eine sozialistische oder gar revolutionäre Politik. Er schürte vielmehr die Illusion, die längst gescheiterte sozialdemokratische Reformpolitik der Ära Brandt könne trotz der Globalisierung und der Dominanz der internationalen Finanzmärkte wieder belebt werden.

Die Vertreter des Lafontaine-Flügels sind ebenso staatstragend und konservativ wie jene des Bartsch-Flügels. Sie rekrutieren sich aus erfahrenen Gewerkschaftsfunktionären aus dem Umfeld der SPD und ehemaligen kleinbürgerlichen Radikalen, für die die Linkspartei die letzte Chance bot, zu Amt und Einkommen zu kommen. Klaus Ernst, der bisherige Vorsitzende und Lafontaine-Vertraute, war vollamtlicher Bezirksleiter der IG Metall in Schweinfurt, sein Nachfolger Bernd Riexinger ist Verdi-Sekretär in Stuttgart.

Lafontaine ist der Ansicht, dass die Linkspartei ihre Aufgabe nur erfüllen kann, wenn sie verbal auf die Pauke haut und eine gewisse Distanz zur SPD hält - zumindest in Wahlkampfzeiten und solange sie in der Opposition ist. Wie Bartsch verfolgt aber auch er das Ziel, der SPD wieder an die Macht zu verhelfen, sobald die Linkspartei dafür das nötige Gewicht hat.

Lafontaines radikale Rhetorik und gelegentlichen Seitenhiebe auf die SPD sind den Bartsch-Anhängern ein Dorn im Auge, die aus der DDR-Staatspartei SED kommen und in den neuen Bundesländern tief in Staat und Verwaltung verwurzelt sind. Sie arbeiten in Ländern und Kommunen reibungslos mit der SPD (und auch der CDU) zusammen und empfinden die radikale Rhetorik eines Lafontaine als Störung ihrer tagtäglichen Politik und als unzulängliche Aufwiegelung der Bevölkerung. Ihre Devise lautet wie einst in der DDR: "Ruhe ist oberste Bürgerpflicht".

Die Zuspitzung der kapitalistischen Krise hat den im Grunde rechten Charakter der Linkspartei ans Licht gebracht. Das ist der Grund für ihren Niedergang, der heftige Flügelkämpfe ausgelöst hat, die denn auch auf dem Parteitag in Form eines regelrechten Kleinkrieges um die Wahl eines neuen Vorsitzendenduos ihren Ausdruck fanden.

Lafontaine wollte um jeden Preis verhindern, dass Bartsch an die Spitze der Linken gewählt wird, weil das die Partei direkt in die Arme der SPD getrieben und damit für die Bourgeoisie unbrauchbar gemacht hätte. Allerdings war Lafontaine nicht bereit, mit politischen Argumenten um eine Mehrheit zu kämpfen. Stattdessen bediente er sich allerlei Tricks und Hinterzimmerabsprachen, um die Wahl von Bartsch zu verhindern. Dabei musste er sein gesamtes Gewicht in der Partei in die Waagschale werfen.

Zunächst hatte er wenige Tage vor dem Parteitag seine eigene Kandidatur angekündigt und mit der Bedingung verknüpft, dass Bartsch nicht antrete. Als Bartsch nicht darauf einging, zog er seine Kandidatur wieder zurück und forderte nun von Bartsch, im Gegenzug das Gleiche zu tun. Dann wurde ein Führungsduo aus Katja Kipping und Katharina Schwabedissen ins Gespräch gebracht, dass dem Parteitag als eine ausgewogene Alternative zur Wahl von Bartsch präsentiert wurde. Gleichzeitig schickte Lafontaine den Gewerkschafter Bernd Riexinger als Gegenkandidaten zu Bartsch ins Rennen. Auch Lafontaines Lebensgefährtin Sarah Wagenknecht behielt sich vor, im Zweifelsfall gegen Bartsch anzutreten.

Unmittelbar vor dem ersten Wahlgang, in dem nur Frauen kandidieren durften, zog Schwabedissen ihre Kandidatur wieder zurück. Kipping wurde daraufhin mit zwei Dritteln der Stimmen gewählt. Vor dem zweiten Wahlgang, in dem Männer wie Frauen kandidieren durften, verzichtete dann auch Wagenknecht in einer persönlichen Erklärung auf eine Kandidatur und begründete dies damit, dass sie als Vertreterin einer der beiden Flügel die Partei zu sehr polarisieren würde. Gleichzeitig riet sie dem Parteitag davon ab, Bartsch zu wählen.

In einer Kampfabstimmung konnte sich dann schließlich der zuvor weitgehend unbekannte Riexinger mit 53,5 Prozent knapp gegen Bartsch (45,2 Prozent) durchsetzen. Damit wird die Linkspartei nun mit Katja Kipping und Bernd Riexinger von je einem Vertreter der beiden zerstrittenen Flügel geführt. Beide vereint jedoch ihre Treue zum bürgerlichen Staat und ihre tief empfundene Verachtung gegenüber der Arbeiterklasse.

Kipping ist Mitglied im Vorstand des Vereins "Institut Solidarische Moderne"[1], den sie Anfang 2010 gemeinsam mit Vertretern von SPD und Grünen gegründet hatte, um mit äußerst reaktionären Konzeptionen eine Grundlage für eine engere Zusammenarbeit der drei Parteien zu schaffen. Während sich die sozialen Gegensätze zuspitzen, lehnt der Verein den Kampf für soziale Gleichheit ab und ersetzt ihn durch Fragen des subjektiven Lebensstils und der individuellen Selbstverwirklichung des Kleinbürgertums.

Der 56-jährige Riexinger ist ein erfahrener Gewerkschaftsbürokrat. Der gelernte Bankkaufmann war die ganzen 1980er Jahre hindurch freigestellter Betriebsrat bei der Leonberger Bausparkasse und wurde 1991 Gewerkschaftssekretär. Heute ist er Geschäftsführer der Gewerkschaft Verdi in Stuttgart und Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der Linkspartei in Baden-Württemberg.

Gelöst ist durch diese Entscheidung allerdings gar nichts. Die Widersprüche in der Linkspartei existieren fort und werden sich mit zunehmendem Tempo der politischen Entwicklung weiter verschärfen. Eine Spaltung der Partei ist nicht ausgeschlossen.

Trotzdem sollte man die Linke nicht vorzeitig abschreiben. Die herrschende Klasse könnte sie noch brauchen, wenn sich die Wirtschaftskrise weiter verschärft. Auch die griechische Schwesterpartei der Linken, die Koalition der Radikalen Linken (Syriza), durchlief eine schwere Krise und eine Spaltung, bevor sie angesichts des Niedergangs der sozialdemokratischen PASOK reaktiviert wurde. Nun steht sie bereit, in der tiefsten Krise die Führung des Landes zu übernehmen und das Diktat der internationalen Banken gegen die griechische Bevölkerung durchzusetzen.

[1] http://www.wsws.org/de/2010/feb2010/soli-f19.shtml

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Quelle:
World Socialist Web Site, 05.06.2012
Parteitag in Göttingen: Krise der Linkspartei spitzt sich zu
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2012