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GLEICHHEIT/4261: Griechenland - Knapper Wahlsieg der Konservativen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Griechenland: Knapper Wahlsieg der Konservativen

Von Chris Marsden
19. Juni 2012



Die konservative Partei Nea Dimokratia (ND) liegt bei den gestrigen Parlamentswahlen in Griechenland knapp vor Syriza.

ND gewann 30 Prozent der Stimmen, Syriza lag mit 26,5 Prozent auf dem zweiten Platz. Sie konnte hauptsächlich durch ihre Kritik an den Sparmaßnahmen, die das von der Troika aus Europäischer Union (EU), Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) diktierte Memorandum vorschreibt, Stimmen gewinnen.

Nun beginnen heftige Verhandlungen über die Bildung einer Koalitionsregierung. Laut den meisten Beobachtern wird innerhalb von 48 Stunden ein Ergebnis erwartet. Die EU fordert die Einhaltung der wichtigsten Bedingungen für das griechische Rettungspaket in Höhe von 130 Milliarden Euro. Diese Bedingungen haben bereits zu verheerenden Sozialkürzungen geführt und die Wirtschaft des Landes zerstört.

Während des Wahlkampfs hatte die EU gedroht, ihre Zahlungen an Griechenland einzustellen, wenn es sich den Bedingungen des Rettungspaketes widersetze. Die Folgen wären entweder ein Zusammenbruch des griechischen Finanzsystems, oder die Wiedereinführung einer eigenen Währung, um die Banken zu refinanzieren. Regierungsvertreter erklärten letzte Woche, das Land werde am 20. Juli nicht in der Lage sein, die Renten und Gehälter für den öffentlichen Dienst zu zahlen, wenn es nicht eine weitere Milliarde Euro aus dem Rettungspaket erhielte.

Trotz dieser Erpressungsversuche gegen die griechische Arbeiterklasse ist der Stimmenanteil von Syriza von 16,7 Prozent bei der letzten Wahl vor einem Monat um zehn Prozent gestiegen.

Es ist mathematisch möglich, dass Nea Dimokratia nur mit den Parteien der Anhänger des Memorandums eine Koalitionsregierung bildet. Parteichef Antonis Samaras sagte, die Griechen hätten dafür gestimmt, im Euro zu bleiben, und forderte eine "Regierung zur Rettung der Nation."

Syriza-Chef Alexis Tsipras erklärte, als erstes solle die ND versuchen, eine Koalition zu bilden.

Die Bildung einer Koalition aus Anhängern des Memorandums ist jedoch nicht einfach. Der wichtigste Verbündete von ND in solch einer Koalition - die sozialdemokratische Pasok, die 12,5 Prozent der Stimmen geholt hat - hatte am Abend zuvor angekündigt, sie werde keiner Koalition beitreten, an der nicht auch Syriza beteiligt ist. Der hohe Stimmenanteil von Syriza und die allgemeine Unzufriedenheit, die sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung äußert, überzeugte die Pasok davon, dass es gefährlich wäre, weiterzumachen als hätten die Anhänger des Memorandums ein Regierungsmandat.

Pasok hat eine Regierung der nationalen Einigkeit vorgeschlagen, die aus den vier größten Parteien bestehen soll - d.h. auch aus der kleinen Demokratischen Linken, einer rechten Abspaltung von Syriza. Ihr Kalkül war klar: Eine Regierung, die sich offen gegen den Widerstand der Bevölkerung stellt und Syriza ausschließt, müsste mit massivem Widerstand rechnen und könnte nicht effektiv regieren.

Sollte die Regierungsbildung scheitern, gäbe es eine dritte Wahl und die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland aus der Eurozone ausgeschlossen wird, würde steigen.

Der Sieg von Nea Dimokratia und ihre erneute Chance, eine Regierung zu bilden, sind hauptsächlich das Ergebnis der Einschüchterungskampagne der europäischen und internationalen herrschenden Elite.

Bundesbank-Chef Jens Weidmann erklärte am Freitag in einem Interview mit dem Titel "Europa blufft nicht mit dem Ausschluss", das in der Zeitung Kathimerini erschien: "Es gibt eine Vereinbarung, der alle Teilnehmer zugestimmt haben, auch die griechische Regierung... Wir dürfen es nicht erlauben, dass ein Land uns mit der Gefahr der Folgen seiner Finanzkrise erpresst."

Das Interview erschien auch in anderen europäischen Zeitungen, darunter der italienischen Corriere della Sera und der spanischen El Pais und war als Drohung an andere Länder gedacht, die in einer Finanzkrise stecken.

Der Chef der Eurogruppe Jean-Claude Juncker warnte am gleichen Tag in der österreichischen Zeitung Kurier: "Wenn die radikalen Linken gewinnen - was nicht auszuschließen ist - sind die Folgen für die Währungsunion nicht vorherzusehen."

Syriza ist eine pro-kapitalistische Organisation und entschlossen, Griechenland in der EU und der Eurozone zu halten. Sie war vollkommen unfähig, diesen Bedrohungen entgegenzutreten, indem sie an den Widerstand der Arbeiterklasse appellierte. Stattdessen tat sie trotz ihrer rhetorischen Kritik am Sparkurs im Wahlkampf alles, um die Märkte und die Schuldner Griechenlands von ihren guten Absichten zu überzeugen.

Der Abgeordnete und ehemalige Parlamentssprecher Tasos Kourakis sagte am Freitag auf Athens News, Syrizas Wirtschaftsteam werde "über die Senkung der Ausgaben und die Beschaffung neuer Gelder sprechen, z.B. aus den EU Strukturfonds." Er erwartete eine "Umstrukturierung und Rationalisierung des öffentlichen Verwaltungswesens" voraus.

Er drängte auf eine internationale Prüfung der griechischen Schulden, will aber nur den Teil von der Rückzahlung ausschließen, der durch Bestechungsgelder an "Siemens, Rüstungsaufträge und ähnliches" entstanden sind. Er erklärte, der Rest werde bezahlt werden.

Um klarzustellen, dass es keine Verstaatlichung der Banken oder Unternehmen geben werde, fügte er hinzu: "Wenn Sie uns richtig zuhören, wir fordern öffentliche Kontrolle... Man kann ein Unternehmen leiten, ohne Mehrheitsaktionär zu sein."

Syrizas Sirenenklänge gegenüber der EU haben bisher noch kaum Auswirkungen auf deren harten Kurs gehabt. Die herrschende Elite weiß allerdings sehr gut, dass ihr nicht nur durch eine Verschlimmerung der Finanzkrise, die auf ganz Europa übergreift, Gefahr droht, sondern auch durch eine Explosion der Proteste der Arbeiterklasse mit revolutionären Folgen.

Der Sydney Morning Herald war eine von vielen Zeitungen, die zu dem Schluss kamen, dass Griechenland letzten Endes aus dem Euro gedrängt werden müsse, "unabhängig vom Wahlergebnis." Er warnte jedoch auch, dass Griechenland "zwar heute fast unregierbar ist... das Problem ist jedoch nicht nur wirtschaftlicher Natur. Soziale Unruhen könnten sich wie ein Lauffeuer ausbreiten."

Unter diesen Bedingungen könnte Syriza immer noch ins Spiel gebracht werden, um die Arbeiterklasse den Diktaten der Troika unterzuordnen - vor allem wenn diese ein paar kleine Korrekturen an den Bedingungen des Rettungspaketes macht. Ob an der Regierung oder nicht, Syriza desorientiert die Arbeiterklasse und konzentriert den Protest auf eine Perspektive, die die Grundinteressen des griechischen und europäischen Kapitalismus nicht gefährdet.

Gestern Abend waerf sich Tsipras in eine milde oppositionelle Pose. Er erkannte an, dass ND-Parteichef Antonis Samaras "die Möglichkeit [hat], auf der Grundlage seines Mandats und seiner Politik eine Koalitionsregierung zu bilden."

"Wir werden uns bei der Ausarbeitung der Positionen der Opposition einbringen," erklärte er. Das war allerdings der Standpunkt eines loyalen Kritikers, der die ND politisch berät: "Die Regierung und Nea Dimokratia müssen große Fragen im Hinterkopf behalten - sie können nicht weitermachen wie bisher, ohne mit dem Volk zu reden."

Die zentrale Aufgabe ist nicht, die nächste Regierung dazu zu bringen "mit dem Volk zu reden." Diese Regierung wird entschlossen sein, die Arbeiterklasse anzugreifen.

Die griechische Bourgeoisie wird alles in ihrer Macht stehende tun und vor nichts haltmachen, um die Arbeiter dazu zu zwingen, die Kosten für die wirtschaftliche Katastrophe zu tragen, die die Bourgeoisie mit ihren Spekulationen verursacht hat. Auch Unterdrückung durch Polizei und Militär werden nicht tabu sein. Die europäischen Mächte werden auf ihrem Tribut beharren, egal ob sie sofort auf einen Ausschluss Griechenlands hinarbeiten oder nicht.

Die griechischen Arbeiter und Jugendlichen haben bereits einen historischen Niedergang ihres Lebensstandards erlitten. Sie werden ruiniert werden, gezwungen sein, für Hungerlöhne zu arbeiten und auf sich allein gestellt sein, wenn sie auch nur einen Moment lang glauben, dass Verhandlungen mit der EU ihnen eine Atempause bringen werden.

Jetzt hängt alles von der unabhängigen politischen Mobilisierung der Arbeiterklasse Griechenlands und Europas auf Grundlage eines sozialistischen Programms ab, Sie muss sich gegen die herrschende Klasse, ihre Regierungen und die Institutionen der EU richten.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.06.2012
Griechenland: Knapper Wahlsieg der Konservativen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2012