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GLEICHHEIT/4268: Was Washington unter "Demokratie" versteht - in Ägypten und im Iran


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Was Washington unter "Demokratie" versteht - in Ägypten und im Iran

Von Bill Van Auken
22. Juni 2012



Der US-Imperialismus behauptet, er kämpfe weltweit für Demokratie. Die Heuchelei wird offensichtlich an der prinzipiell unterschiedlichen Reaktion Washingtons auf die Wahlen im Iran 2009 und auf den aktuellen Militärputsch in Ägypten.

Vor fast genau drei Jahren führten die US-Regierung und die Medien als Reaktion auf die Wahlen im Iran eine erbitterte Propagandakampagne. Sie behaupteten damals, das Wahlergebnis sei ein Betrug, um den herrschenden Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad an der Macht zu halten.

Für den Vorwurf massiven Wahlbetrugs gab es keine glaubwürdigen Beweise, aber das war auch gar nicht wichtig. Hauptsache, die amerikanische Propagandamaschinerie kam erst einmal ins Rollen. Die Behauptungen des geschlagenen Oppositionskandidaten Mir Hossein Musawi und der "Grünen Bewegung", die ihn unterstützte, wurden als Tatsache hingestellt und weiterverbreitet.

Hochrechnungen und Stimmenzählungen ergaben, dass Ahmadinedschad über sechzig Prozent der Stimmen erhalten hatte; seinen stärksten Rückhalt fand er bei der Arbeiterklasse und der armen Landbevölkerung. Diese fürchtete, dass ihr Lebensstandard, der bereits durch hohe Arbeitslosigkeit und schwere Inflation geschmälert wurde, unter Musawi noch weiter sinken würde, denn dieser hatte im Wahlkampf angekündigt, die Sozialausgaben stark zu kürzen.

Die Obama-Regierung und die großen Medien unterstützten offen die Demonstrationen der Grünen Bewegung nach der Wahl. Diese wurden im Wesentlichen von bessergestellten Schichten getragen, die darauf hofften, von einer stärkeren Orientierung auf die Politik des freien Marktes und einer Annäherung an Washington zu profitieren. Die Arbeiterklasse beteiligte sich kaum daran. Dennoch wurden die Proteste als Freiheitsbewegung dargestellt, die den Willen des iranischen Volkes ausdrücke.

Amerikanische Regierungsbehörden lieferten verdeckte Unterstützung und Mittel für die Demonstrationen. US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte später in einem Interview: "Hinter den Kulissen haben wir viel getan [...] um die Demonstranten zu unterstützen."

Vor drei Jahren bestand das Ziel nicht darin, dem iranischen Volk Demokratie zu bringen, sondern eine innenpolitische Krise zu provozieren und zu manipulieren, um einen Regimewechsel zu erreichen. Die US-Regierung hoffte, auf diese Weise eine Regierung an die Macht zu bringen, die bereit sein würde, den Iran zu einem amerikanischen Marionettenstaat zu machen, die also eine ähnliche Rolle spielen sollte wie der verhasste Schah, der bis zu seinem Sturz 1979 diktatorisch regiert hatte.

Die Pose leidenschaftlicher Sorge um "Demokratie" im Iran von 2009 steht stark im Gegensatz zu dem Stillschweigen, womit der jüngste Militärputsch in Ägypten aufgenommen wird. Das Militär hat in Ägypten während der Präsidentschaftswahlen vom Sonntag eingegriffen, nicht nur um den Ausgang der Wahl zu bestimmen, sondern um die diktatorische Macht in den Händen einer von den USA unterstützten Junta, dem Obersten Militärrat (SCAF), zu konsolidieren. Unter dem Militärrat wird jeder Präsident nichts anderes als eine machtlose Marionette der ägyptischen Generäle sein.

Der Putsch der Generäle macht das Ergebnis der Präsidentschaftswahl bedeutungslos und annulliert die Ergebnisse bisheriger Parlamentssitzungen. Das Parlament und die verfassungsgebende Versammlung sind aufgelöst und ihre Sitzungssäle von Soldaten eingenommen worden.

Außerdem nimmt sich das Militär das Recht heraus, Zivilisten zu verhaften und zu unterdrücken, wenn sie das Regime, "Ordnung" und "Eigentum" bedrohen. Diese Maßnahmen zielen eindeutig auf die ägyptische Arbeiterklasse ab. Ihre Massenstreiks und Demonstrationen waren die treibende Kraft der ägyptischen Revolution, die im Februar 2011 die dreißigjährige Herrschaft von Hosni Mubarak beendete.

Während das Pentagon und das amerikanische Außenministerium auf die jüngsten Ereignisse in Ägypten reagiert haben, schweigt Präsident Obama. Die erste öffentliche Reaktion aus Washington kam von Außenministerin Hillary Clinton, kurz nach der Auflösung des Parlaments und der verfassungsgebenden Versammlung.

Clinton vermied es auffällig, den Militärputsch zu verdammen oder seinen Abbruch zu fordern. Sie erklärte vor der Presse: "Es kann im demokratischen Übergang, den das ägyptische Volk fordert, kein Zurück geben."

Die Ereignisse zeigen, dass der "demokratische Übergang" schon immer ein Betrug war, eingefädelt vom Militär und seinen Hintermännern in Washington. Im Januar und Februar 2011 war die ägyptische Regierung der verlängerte Arm der US-Politik. Obama und Clinton unterstützten Mubarak lange Zeit gegen die Massen in den Straßen. Erst als der Griff des Diktators um die Macht zu schwach wurde, versuchten sie, diese auf den Chef des Geheimdienstes, Omar Suleiman, zu übertragen. Hinter der Fassade der Wahlen war es jedoch immer Washingtons Ziel, die Macht des militärischen Oberkommandos aufrechtzuerhalten, das als wichtigster Garant der US-Interessen und des ägyptischen und ausländischen Kapitals gilt.

Clinton fügte hinzu: "Es liegt jetzt am ägyptischen Volk, seine eigene Zukunft zu bestimmen, und wir erwarten, dass die Präsidentschaftswahl an diesem Wochenende in einer Atmosphäre stattfinden wird, die dazu beiträgt, dass sie friedlich, gerecht und frei ist."

Wen will sie eigentlich zum Narren halten? Das Vorgehen der Militärjunta sorgte dafür, dass die Wahl unter Gewaltandrohung stattfand. Massen von ägyptischen Arbeitern und Jugendlichen boykottierten die Wahllokale und weigerten sich, zwischen Mubaraks ehemaligem Premierminister und einem rechten Islamisten zu wählen.

Am Sonntag festigte das ägyptische Militär seinen Putsch durch umfassende Verfassungserlasse. Nur einen Tag später, am Montag, folgte ein privates Gespräch zwischen US-Verteidigungsminister Leon Panetta und dem Vorsitzenden des SCAF, Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi. Aus dem Pentagon verlautete, Panetta habe angerufen, um "aktuelle Ereignisse in Ägypten zu diskutieren". Er habe Tantawi gedrängt, den politischen Übergang in Ägypten zügig fortzusetzen und so schnell wie möglich neue Parlamentswahlen abzuhalten. Wie es heißt, waren sich beide "einig über die Bedeutung der strategischen Beziehungen zwischen den USA und Ägypten".

Eine derartige Unterredung bedeutet, dass die USA das Vorgehen der Generäle billigen, aber in der Öffentlichkeit ihre Position für "Demokratie" beibehalten wollen. Weder Panetta noch das Außenministerium forderten, dass Tantawi und seine Kumpane in Uniform die Aktionen der vergangenen Tage rückgängig machen sollten, noch verlangten sie den Abzug der Truppen aus dem Parlament und die Wiedereinsetzung der gewählten Abgeordneten. Stattdessen drückten sie die Hoffnung aus, dass es dem Militär gelingen werde, eine neue, bessere Wahl zu seinen Gunsten durchzuführen.

Die wahre Einstellung der Obama-Regierung zeigte sich letzten März, als Clinton 1,3 Milliarden Hilfsgelder an das ägyptische Militär wiederherstellte. Sie ignorierte damit Forderungen des Kongresses, laut denen das Geld dem Übergang der Macht auf eine zivile Regierung dienen und den Schutz demokratischer Rechte finanzieren sollte. Damals berief sich die Obama-Regierung ebenfalls auf die "strategische Beziehung", und hinter vorgehaltener Hand erklärten Regierungsvertreter, dass die amerikanische Rüstungsindustrie es sich nicht leisten könne, die Verträge zu verlieren, die mit den Hilfsgeldern verbunden sind.

Washingtons Position wurde am 18. Juni in einer Stellungnahme der Sprecherin des Außenministeriums, Victoria Nuland, nochmals bekräftigt. Als sie gefragt wurde, ob die USA forderten, dass die Junta ihre diktatorischen Maßnahmen rückgängig mache, und ob die Militärhilfe infrage gestellt werde, antwortete sie mit der stereotypen Phrase: "Wir wollen niemandem etwas vorschreiben." Sie erklärte, die USA hofften, dass die Militärdiktatoren Ägyptens sich als "gute Steuermänner" auf dem Weg des "demokratischen Übergangs" erweisen würden.

Alles in allem kommen die öffentlichen Reaktionen aus Washington einer Komplizenschaft mit dem Putsch in Ägypten gleich.

Den wohl stärksten Kontrast zwischen dem Putsch in Ägypten und den Wahlen im Iran 2009 weist die wichtigste amerikanische Zeitung auf, die New York Times, deren Leitartikel sich voll hinter die Politik und die Interessen des US-Imperialismus stellen.

Im Jahr 2009 führte die Times eine Kampagne der offenen Provokation gegen den Iran. Sie schickte ihren rechten Außenpolitik-Kolumnisten Roger Cohen und ihren Chefredakteur Bill Keller nach Teheran, um Material zu liefern, das nicht einmal ansatzweise objektiv war. Ohne irgendwelche Beweise vorzulegen, nannte die Zeitung die Wahl einen "Betrug" und sogar einen "Staatsstreich", weil der Kandidat, den Washington bevorzugt hätte, nicht gewonnen hatte.

Im Falle Ägyptens verwendete die Times das Wort "Putsch" im Zusammenhang mit der Machtübernahme durch das Militär nur in Anführungszeichen. Es wird Oppositionellen in den Mund gelegt, um anzudeuten, dass der Begriff übertrieben sei.

Am Dienstag beklagte sich die Zeitung in einem Leitartikel zynisch, dass die Ereignisse in Ägypten ein "schreckliches Beispiel" für den Rest der arabischen Welt gesetzt hätten, und kritisierte die Obama-Regierung, weil sie im März die "falsche Botschaft" ausgesandt habe, als sie die 1,3 Milliarden Dollar Militärhilfe wiederherstellte. Die Zeitung erklärte, die Regierung hätte "etwas von den Hilfsgeldern zurückbehalten sollen", um die Generäle unter Druck zu setzen, und betonte die Bedeutung des ägyptischen Militärs für die Sicherheit Israels.

Wenn die Regierung in Washington den Putsch des ägyptischen Militärs derart mit Samthandschuhen anfasst, während sie die Wahlen im Iran hysterisch verurteilt hatte, zeigt sie dadurch, wie heuchlerisch und selbstsüchtig ihre Pose zur Verteidigung der Demokratie in Wirklichkeit ist. Ihre Einstellung zu den beiden Ländern ist nicht von demokratischen Erwägungen bestimmt. Solche sind mittlerweile selbst aus dem amerikanischen Wahlsystem praktisch verschwunden. Ihr geht es um die Ausweitung der imperialistischen Hegemonie, und dazu ist ihr jedes Mittel recht.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 22.06.2012
Was Washington unter "Demokratie" versteht - in Ägypten und im Iran
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2012