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GLEICHHEIT/4467: Großbritannien - Koalition erleidet Niederlage bei Abstimmung über EU-Haushalt


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Großbritannien:
Konservative Koalition erleidet Niederlage bei Abstimmung über EU-Haushalt

Von Julie Hyland
7. November 2012



Die Regierung von Premierminister David Cameron hat am Mittwoch im Streit um die Finanzierung der Europäischen Union (EU) ihre bisher größte Niederlage im Parlament erlitten.

Der Siebenjahreshaushalt für 2014 bis 2020 wird Ende des Monats in Brüssel verhandelt. Die Europäische Kommission hat eine Erhöhung der Finanzierung über das Inflationsniveau hinaus auf insgesamt 1,033 Billionen Euro gefordert. Cameron versprach, für ein "Einfrieren des Haushalts plus Inflationsausgleich" zu kämpfen, aber eine Korrektur, die von dem rebellischen konservativen Hinterbänkler Mark Reckless eingebracht wurde, forderte eine reale Kürzung des Haushaltes.

Die Korrektur wurde mit 307 zu 294 Stimmen angenommen, mehr als 50 konservative Abgeordnete stimmten gegen die Regierung. Den rechten Euroskeptikern schloss sich die Labour Party an, nachdem Ed Miliband seine Abgeordneten mit der Verhängung eines Fraktionszwags nötigte, für die Korrektur zu stimmen.

Die Fraktionsführer der Tories versuchten, die Rebellen auf Kurs zu bringen, und Cameron versprach in einer erbitterten Debatte im Unterhaus, er werde in den Haushaltsverhandlungen die "härteste Haltung" einnehmen. "Am besten wäre eine Kürzung, am schlechtesten eine Nullrunde", erklärte er.

Der Versuch scheiterte. Die Rebellion der Hinterbänkler ist kleiner als die vom letzten Jahr, als 81 Tory-Abgeordnete ein Referendum über Großbritanniens Mitgliedschaft in der EU unterstützten. Aber Camerons Versuch, die Rebellen daran zu hindern, sich mit Labour zu vereinigen, um die Regierung niederzustimmen, wurde allgemein als Zeichen interpretiert, dass der Premierminister die Kontrolle verliert.

Die Tories erweisen sich als größere Bedrohung für das Überleben der Regierung als ihre Koalitionspartner, die Liberaldemokraten, die Cameron in allem unterstützt haben.

Obwohl der Premierminister nicht an die parlamentarische Abstimmung gebunden ist, aber die endgültige Entscheidung über den Haushalt müsste von den Abgeordneten ratifiziert werden. Berichten zufolge haben wichtige konservative Abgeordnete, die sich enthalten oder auf die Seite der Regierung gestellt haben, um ihre Mehrheit zu retten, Cameron gewarnt, dass sie ihm die Unterstützung versagen, wenn er sich in den Verhandlungen nicht an seine Forderung nach einer Nullrunde hält.

Die Unterstützer der Korrektur konnten sich damit profilieren, dass nicht gewählte EU-Bürokraten eine fünfprozentige Erhöhung ihrer Bezüge fordern, während die EU in ganz Europa massive Sparmaßnahmen durchsetzt. In Griechenland, Spanien, Portugal und anderen Ländern werden im Auftrag der europäischen und internationalen Banken brutale Haushaltskürzungen durchgesetzt, die Millionen in Arbeitslosigkeit und Armut stürzen.

Die Rebellion hat jedoch nichts mit Widerstand gegen den Sparkurs zu tun, sondern mit der Forderung, dass dieser insgesamt noch unnachgiebiger umgesetzt wird. Labour selbst hat die Position als härtester Verteidiger dieser Haltung eingenommen. Schatten-Finanzminister Ed Balls erklärte: "In einer Zeit, in der im eigenen Land bei Schulen und der Polizei gekürzt werden muss, kann es nicht richtig sein, dass der Haushalt der EU so stark steigt wie die Inflation. Wir brauchen eine Realkürzung und eine Reform des EU-Haushaltes..."

Im Unterhaus höhnte Miliband, Cameron verhalte sich wie John Major, der Tory-Premier, dessen Regierung von Spaltungen in der eigenen Partei über Europa geprägt war und der 1997 aus dem Amt gedrängt wurde.

Labour wurde Opportunismus vorgeworfen, weil sie einerseits Großbritanniens EU-Mitgliedschaft unterstützen, aber andererseits mit Tory-Hinterbänklern gemeinsame Sache machen, die für Großbritanniens Austritt sind.

Viele Kommentatoren fürchten, dass das Bündnis zwischen den Euroskeptikern und Labour Cameron dazu zwingen wird, eine Verhandlungsposition einzunehmen, die Großbritannien in der EU noch weiter isolieren wird. Die Financial Times schrieb in einem Leitartikel, Labour habe einen "großen strategischen Fehler" begangen, und "keine überzeugende Antwort auf die Frage, wie Großbritannien mit einer Union umgehen soll, die sich ändert..."

Sie warnte: "Bevor die Labour Party sich über Brüssel aufregt, sollte sie erst etwas nützliches zu dem Thema sagen."

Anfang der Woche erklärte der ehemalige Premierminister Tony Blair in einer Rede vor dem Rat für die Zukunft Europas in Berlin: "Es ist auch stark in Großbritanniens Interesse, in dieser Frage nicht nur kurzfristige Politik zu machen. Es wäre mir auch lieb, wenn Großbritannien eine konstruktive Rolle bei der Gestaltung dieser neuen Union einnähme."

Seine Kommentare wurden als Warnung an Cameron verstanden, waren aber eher gegen Miliband gerichtet. Cameron argumentierte, dass die Krise der Eurozone benutzt werden kann, um die EU im Sinne britischer Interessen "neu auszurichten" - eine Position, die Blair im Grunde teilt. In diesem Szenario soll Großbritannien ein Vorgehen in Richtung von mehr finanzieller und politischer Konsolidierung in der Eurozone unterstützen, da die Sparpolitik und Bankenrettungen, die damit verbunden sind, wichtig für die Finanzoligarchie in der City of London sind. Im Gegenzug wird Großbritannien Zugeständnisse durchsetzen können, die die City vor Gefahren für ihre eigenen Interessen schützt.

Aber die Dinge sind nicht gelaufen wie es geplant war. Letzten Dezember drohte Cameron damit, sein Veto gegen den Fiskalpakt einzulegen, der strenge Haushaltsdisziplin in der Eurozone vorsieht, wenn es keine Garantien dafür gebe, dass die City of London verschont bliebe. Er konnte keine derartigen Garantien herausschlagen und musste seine Drohung wahrmachen. Damit brachte er nicht nur seine angeblichen Partner in Europa gegen sich auf, sondern konnte auch den Fiskalpakt nicht verhindern.

Seither wurden die Bestrebungen zu mehr politischer und wirtschaftlicher Konsolidierung in der Eurozone noch verstärkt. Vor allem Berlin macht sich für Diskussionen stark, in denen es unter anderem um eine Bankenunion unter Aufsicht der Europäischen Zentralbank, eine Finanztransaktionssteuer und ein neues, gesamteuropäisches Außenministerium geht.

Letzten Monat erklärte die konservative Innenministerin Theresa May im Parlament, die Regierung beabsichtige, ihr Recht auszuüben, sich von 130 Polizei- und Justizmaßnahmen zurückzuziehen, die die EU zwischen dem Vertrag von Maastricht 1992 und dem Vertrag von Lissabon 2007 ausgehandelt hatte. Damit - und mit der Entscheidung, welche davon sie wieder unterstützen wird, hofft die Regierung, zusätzlichen Zugeständnisse in weiteren Verhandlungen mit der EU zu bekommen.

Aber obwohl Großbritannien weiterhin dieselben Knöpfe drückt, haben sie nicht mehr den erwünschten Effekt. Es geht dabei nicht nur um die Unnachgiebigkeit der Tory-Euroskeptiker, sondern auch darum, dass das Projekt eines vereinigten kapitalistischen Europas unter den Auswirkungen wachsender nationaler Spannungen auseinanderbricht.

Philip Stephens schrieb letzten Monat in der Financial Times, dass im Jahr 2010, kurz nachdem die Koalition gebildet wurde, einer von Camerons euroskeptischen Ministern gesagt haben soll, "es ist nicht mehr notwendig, dass Großbritannien Europa verlässt, denn Europa verlässt Großbritannien. Es hat sich gezeigt, dass diese Beobachtung weitsichtiger war als er es sich vorstellte."

"Europa ist Londons Forderungen nach Schonung und Ausstieg aus den Regeln der Union leid... Auf dem Kontinent sagen jetzt Politiker, wenn Großbritannien raus will, soll es gehen."

Die Diskussionen drehen sich laut Stephens nicht mehr um einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, sondern um einen "Brexit," wie es das Zentrum für Europäische Reformen nennt - den Austritt Großbritanniens aus der EU.

Douglas Fraser von der BBC schrieb, die Vorstellung eines "Brexit" gewinne auch in Londoner Finanzkreisen ernsthafte Unterstützung.

Im August beauftragte die japanische Investmentbank Nomura laut Fraser einen ihrer Topanalysten damit, Großbritanniens Beziehung zur EU auszuwerten, um "ihre Investoren und Kunden über die wirtschaftlichen Auswirkungen zu informieren... die plausible Möglichkeit, noch vor einem Brexit wäre es, dass Großbritannien sich in einer Verhandlungsposition wiederfinden könnte, in der es zu schwach ist, um weitere Machtübertragungen von London nach Brüssel zu verhindern."

Das würde nicht nur die Kampagne für ein Referendum zur EU-Mitgliedschaft Großbritanniens unterstützen, sondern die Antwort der europäischen Partner "könnte ein vielsprachiges 'und tschüss!' sein."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.11.2012
Großbritannien:
Konservative Koalition erleidet Niederlage bei Abstimmung über EU-Haushalt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2012