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GLEICHHEIT/4612: Italien - Parteien bemühen sich um Regierungsbildung


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Italien: Parteien bemühen sich um Regierungsbildung

Von Marianne Arens und Peter Schwarz
6. März 2013



Nach den Parlamentswahlen vom 24. und 25. Februar bemühen sich alle italienischen Parteien, eine handlungsfähige Regierung zu bilden, die den Sparkurs des bisherigen Regierungschefs Mario Monti fortsetzt.

Das Wahlergebnis war eine schallende Ohrfeige für diese Politik. Das Mitte-Links-Bündnis Pier-Luigi Bersanis und die Wahlliste Mario Montis, die sich für die Fortsetzung des bisherigen Kurses ausgesprochen hatten, erhielten zusammen nur 40 Prozent der Stimmen. Knapp 30 Prozent der Wähler unterstützen dagegen das Mitte-Rechts-Bündnis Silvio Berlusconis und 25 Prozent die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) Beppe Grillos, die beide gegen Montis Sparkurs und gegen die Europäische Union aufgetreten waren.

Bersani hat zwar im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit, da das italienische Wahlgesetz dem stärksten Bündnis 54 Prozent der Sitze zugesteht. Im Senat ist er aber auf die Unterstützung der Grillo- oder der Berlusconi-Abgeordenten angewiesen, um eine regierungsfähige Mehrheit zu bilden.

Derzeit sind alle denkbaren Regierungsvarianten im Gespräch: Eine Große Koalition des Bersani- und des Berlusconi-Lagers, eine Koalition Bersanis mit der Fünf-Sterne-Bewegung, eine Minderheitsregierung Bersanis, die von einigen oder allen "Grillini" unterstützt wird, oder eine Technokraten-Regierung, die von sämtlichen Parteien getragen wird. Auch ein Scheitern der Verhandlungen und baldige Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen.

Die Regie liegt in den Händen des 87-jährigen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano. Er ist verpflichtet, mit allen Parteien Gespräche zu führen und den aussichtsreichsten Kandidaten mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Napolitanos Amtszeit endet im April, und das Parlament muss Anfang Mai ein neues Staatsoberhaupt wählen. Bis dahin muss eine neue Regierung zustande kommen, oder es gibt Neuwahlen.

Napolitano, der von 1945 bis zu deren Auflösung 1991 der Kommunistischen Partei Italiens angehörte, unterstützt die Europäische Union und deren Austeritätskurs. Er hat Mario Monti im Dezember 2012 zum Chef einer Technokratenregierung ernannt und ihm in den folgenden Monaten den Rücken freigehalten. Montis Sparkurs hatte verheerende Auswirkungen auf das Leben der italienischen Bevölkerung. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt mittlerweile bei 39 Prozent, viele Rentner leben in bitterer Armut, soziale Leistungen sind drastisch reduziert und die Rechte von Arbeitern aufgeweicht.

Nun versucht Napolitano sicherzustellen, dass der brutale Sparkurs weitergeführt wird. Dabei kann er grundsätzlich mit der Unterstützung aller Parteien, auch der Fünf-Sterne-Bewegung, rechnen. Die Rivalitäten und taktischen Differenzen zwischen den politischen Lagern sind allerdings so tief, dass die Regierungsbildung trotzdem scheitern kann.

Silvio Berlusconi drängte unmittelbar nach der Wahl als erster auf die Bildung einer Großen Koalition mit der Demokratischen Partei Bersanis. Seine Angriffe auf Sparpolitik und Europäische Union während des Wahlkampfs waren offensichtlich rein taktisch motiviert. Als Ministerpräsident hatte Berlusconi die Politik der EU jahrelang mitgetragen.

Dem 76-jährigen Multimilliardär geht es vor allem darum, sich dem Zugriff der Justiz zu entziehen. Neben Verfahren wegen sexueller Delikte und Steuerbetrug ermittelt die Justiz nun auch noch wegen Abgeordnetenbestechung gegen den ehemaligen Regierungschef. Er soll dem Senator Sergio de Gregorio 2008 drei Millionen Euro bezahlt haben, damit dieser das Lager wechselte und den Sturz des damaligen Regierungschefs Romano Prodi ermöglichte.

Bersani hat Berlusconis Koalitionsangebot umgehend eine Absage erteilt. Er fürchtet offenbar, dass die Demokraten den letzten Rest an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie mit Berlusconi eine gemeinsame Regierung bilden.

Es gibt jedoch in der Demokratischen Partei auch andere Stimmen, die für eine Große Koalition mit Berlusconi eintreten. Zu ihnen gehört der 38-jährige Florentiner Bürgermeister Matteo Renzi, der vergangenen Herbst bei den Primärwahlen der Demokraten von Bersani besiegt worden war.

Renzi sagte, er könne sich vorstellen, als Premier zur Verfügung zu stehen, "wenn die Demokratische Partei mit mehreren Namen möglicher Kandidaten zu Giorgio Napolitano gehen würde, um die Pattsituation zu überwinden, die für das Land nicht gut ist". Eine Große Koalition zu führen, die auch Grillo oder Berlusconi umfasste, wäre für ihn "eine fesselnde Herausforderung", sagte Renzi.

Bersani bemüht sich indessen um die Unterstützung der Fünf-Sterne-Bewegung. Beppe Grillos Bewegung ist in den beiden Kammern des Parlaments mit 160 Angeordneten vertreten, die größtenteils keine politischen Erfahrungen haben. Sie verkörpern eine Schicht junger, gut ausgebildeter Mittelständler. 88 Prozent von ihnen sind Akademiker, im Vergleich zu 67 Prozent bei den übrigen Abgeordneten. Ihr durchschnittliches Alter liegt bei 37 Jahren und damit weit unter dem Durchschnittsalter von 54 Jahren im Abgeordnetenhaus und 57 Jahren im Senat.

Grillo selbst hat angedeutet, dass die Fünf-Sterne-Fraktion einer Minderheitsregierung in einzelnen Fragen zur Mehrheit verhelfen könnte. Er sagte, die Fünf Sterne würden die Maßnahmen der künftigen Regierung Schritt für Schritt unterstützen oder ablehnen. "Wir sind nicht gegen die ganze Welt. Wir werden uns Reform für Reform und Gesetz für Gesetz ansehen", erklärte er.

Auf ähnliche Weise praktiziert das seine Bewegung seit Oktober bereits auf Sizilien. Dort kann Regionalpräsident Rosario Crocetta von der Demokratischen Partei ebenfalls nur mit Unterstützung der "Grillini" regieren. Er erhält praktisch in jeder Sachfrage im Parlament ihre Unterstützung. Crocetta sagte, die "Grillini" seien junge, pragmatische Leute mit dem Willen zur Veränderung. Man könne sehr gut mit ihnen zusammenarbeiten.

Auch jetzt wächst unter den Anhängern Grillos der Druck, sich an einer Regierung der Demokraten zu beteiligen. So forderte Nobelpreisträger Dario Fo, der Grillo aktiv unterstützt, diesen öffentlich zur Zusammenarbeit mit Bersani auf. Die 24-jährige Grillo-Wählerin Viola Tesi sammelte im Internet Unterschriften für einen offenen Brief, der Grillo zu einer Koalition mit Bersani auffordert. "Ich habe euch gewählt, jetzt seid bitte auch verantwortungsvoll", heißt es darin. Innerhalb weniger Stunden erhielt sie 120.000 Unterstützungsunterschriften.

Grillo selbst hat allerdings einer solchen Koalition eine Absage erteilt. Er beantwortete die Avancen Bersanis in rüdem Ton und bezeichnete ihn als "sprechenden Toten". Beim ersten Zusammentreffen der Fünf-Sterne-Abgeordneten in Rom sprach sich Grillo stattdessen für eine Technokraten-Regierung aus. "Wenn uns eine technische Regierung vorgeschlagen wird, werden wir darüber nachdenken, aber wir bleiben bei unserem 'Nein' zu einer Regierung politischer Parteien", sagte er.

Vito Crimi, Führer der Fünf-Sterne-Fraktion im Senat, bestätigte diese Linie. "Unsere Gruppen im Senat und der Kammer werden alle Vorschläge prüfen, die eine Alternative zu einer Regierung der politischen Parteien darstellen", erklärte er. Und auf die Frage, ob dies auch für eine Regierung Monti 2.0 gelte, antwortete er: "Welche Wahl Napolitano auch trifft, wir werden sie prüfen."

Die Bewegung Beppe Grillos ist wegen ihrer heftigen Angriffe auf den verheerenden Sparkurs der Regierung Monti aus dem Stand heraus zur stärksten Partei im Abgeordnetenhaus geworden. Dass sie sich nun überlegt, eine Regierung Monti 2 oder eine andere Technokratenregierung zu unterstützen, zeigt, wie verlogen und hohl Grillos Agitation ist.

Er greift die Korruption der alten Parteien und im Staatsapparat vom Standpunkt des Kleinbürgers und kleinen Unternehmers an, der selbst einen größeren Teil vom Kuchen abhaben will. Die drastischen Sparmaßnahmen, die die Sozialsystem zerstören und für breite Schichten Not und Elend bedeuten, unterstützt er dagegen - teilweise verbrämt mit ökologischen Argumenten.

Schon das Wahlprogramm der Fünf-Sterne-Bewegung spricht sich für die "Reduzierung der Staatsschulden durch starke Sparmaßnahmen" aus. Seit der Wahl hat sich Grillo noch deutlicher für eine Fortsetzung der Sparpolitik ausgesprochen. Dem deutschen Magazin Focus gab er am Samstag ein Interview, in dem er sagte: "Wir werden erdrückt - nicht von dem Euro, sondern von unseren Schulden. Wenn die Zinsen hundert Milliarden Euro pro Jahr betragen, sind wir tot. Es gibt da keine Alternativen."

Das überraschende Ergebnis der italienischen Wahlen hat die enormen Spannungen und sozialen Verwerfungen in Italien und ganz Europa gezeigt. Aber die Unterschiede zwischen den Parteien, die im neuen Parlament vertreten sind, bleiben minimal. Grundsätzlich können alle mit allen zusammenarbeiten - das gilt auch für die Grillini.

Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die für ein sozialistisches Programm kämpft, kann die gesellschaftliche Krise überwinden und eine fortschrittlichen Ausweg zeigen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 06.03.2013
Italien: Parteien bemühen sich um Regierungsbildung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2013