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GLEICHHEIT/4640: Regierungskrise in Italien


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Regierungskrise in Italien

Von Marianne Arens
27. März 2013



Vier Wochen nach den Parlamentswahlen hat Italien noch immer keine neue Regierung. Vergangenen Freitag erteilte Staatspräsident Giorgio Napolitano dem Chef der Demokratischen Partei (PD), Pier Luigi Bersani, den Auftrag zur Bildung einer Regierung.

Die meisten politischen Beobachter in Italien und auch im Ausland sind der Meinung, dass Bersani nur geringe Chancen habe, eine Regierung zustande zu bringen. Bersanis Dilemma besteht darin, dass er auf Verlangen der EU und der Banken eine Regierung der strikten Austerität schaffen muss, obwohl eine Mehrheit dies in den Februarwahlen ausdrücklich abgelehnt hat.

Bersanis Mitte-Links-Lager und die Wahlliste Mario Montis, die sich beide für eine Fortsetzung der Sparpolitik einsetzen, erhielten bei der Wahl zusammen nur vierzig Prozent der Stimmen. Fast dreißig Prozent der Wähler unterstützten Silvio Berlusconis Mitte-Rechts-Koalition, und ein Viertel aller Wähler stimmte für die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo. Diese beiden Parteien hatten einen lautstarken populistischen Wahlkampf gegen Montis Kürzungspolitik und die EU geführt.

Bersani hat eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus, weil das italienische Wahlgesetz der stärksten Allianz mindestens 54 Prozent der Sitze zuspricht. Im Senat jedoch ist Bersani auf Unterstützung entweder von Grillo oder von Berlusconi angewiesen. Aus eigenen Kräften fehlen ihm 35 Stimmen zur Regierungsmehrheit.

Also führt Bersani Gespräche mit Wirtschaftsführern, Gewerkschaften und den Fraktionschefs anderer Parteien auf der Grundlage seines Acht-Punkte-Programms. Darin sind Forderungen der Banken und der EU (Mehr Wirtschaftswachstum, Sparmaßnahmen) mit Punkten gepaart, die auf Unterstützung durch die Grillini abzielen (Kürzung der Parlamentariergehälter, Kampf gegen Korruption).

Der 87-jährige Staatspräsident Napolitano, dessen Amtszeit im Mai zu Ende geht, will um jeden Preis Neuwahlen vermeiden. Sollte Bersani keinen Erfolg haben, könnte Napolitano eine weitere Technokratenregierung, ähnlich der Monti-Regierung, einsetzen, oder er könnte jemand anderen, beispielsweise den Florentiner Bürgermeister Matteo Renzi (PD), damit beauftragen, eine Große Koalition mit Berlusconis PDL zu schließen.

Im Wahlkampf hatte Bersani eine Koalition mit Berlusconi ausdrücklich ausgeschlossen. Nun, nach der Wahl, weiß Bersani, dass ein Zusammengehen mit dem ehemaligen Premierminister nur den Grillo-Leuten weiteren Auftrieb verschaffen würde, die einen Wahlkampf gegen alle etablierten Parteien geführt hatten.

Was Berlusconi betrifft, so hat der 76-jährige Milliardär in den letzten Wochen alles Mögliche unternommen, um an einer Regierung beteiligt zu werden. Zu einer großen Koalition wäre er sofort bereit. Berlusconi versucht verzweifelt, sich ein Regierungsamt und die damit verbundene Immunität zu sichern, um einer Verurteilung zu entgehen. Seit einigen Wochen jagen sich die Prozesse, bei denen er wegen Stimmenkauf, Steuerbetrug oder Prostitution mit Minderjährigen vor Gericht steht.

Gleichzeitig stellt er seine eigenen Bedingungen. Berlusconi verlangt, dass ein Mitglied seiner PDL den Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten in der neuen Regierung erhält, und dass seine Partei auch ein Wort bei der Nominierung des nächsten Staatspräsidenten mitreden darf.

Um seine Verhandlungsposition gegenüber Bersani zu stärkern, hat Berlusconi in den letzten Tagen die Bildung einer neuen Fraktion im Senat gebilligt, die sich Grande Autonomie e Libertà (GAL) nennt. Sie besteht aus Mitgliedern von Lega Nord, PDL und der ehemaligen rechten MPA auf Sizilien.

Die Publikation Blogo.it schreibt zu der neuen Fraktion, es könne sich "um eine Art Pölsterchen handeln, das eine Regierung der Linken Mitte unterstützen könnte. Zehn kleine Indianer, von Maroni [Chef der Lega Nord] und Berlusconi da hineingesetzt, bereit, Bersani eine Hand zu reichen".

Gleichzeitig pflegt Berlusconi seine Beziehungen zur Ultrarechten. Am Samstag, den 23. März, organisierte seine Partei unter dem Motto "Alle mit Silvio" eine Demonstration von mehreren tausend Anhängern auf der Piazza del Popolo in Rom. Daran nahmen auch der römische Bürgermeister und frühere Faschist Gianni Alemanno und die Duce-Enkelin Alessandra Mussolini teil.

Berlusconi erklärte auf der Kundgebung, seine Partei sei zu Neuwahlen bereit, wenn Bersani nach wie vor auf "dem absurden Versuch einer Minderheitsregierung ohne ausreichende Mehrheit" bestehe.

Als Alternative zu einer Koalition mit Berlusconis PDL bleibt Bersani nur der Versuch, Unterstützung aus dem Lager Beppe Grillos zu gewinnen.

Die Grillini konnten praktisch aus dem Nichts zur größten Parlamentspartei aufsteigen, weil sämtliche Nachfolgeparteien der frühern KPI sich vollkommen ins Lager der Bourgeoisie integriert haben. Dies trifft nicht nur auf die Demokratische Partei von Bersani zu, sondern auch auf Nichi Vendolas SEL (Linke Ökologie Freiheit), die im Wahlkampf Bestandteil von Bersanis Mitte-Links-Lager war, wie auch auf Rifondazione Comunista, die mit Antonio di Pietros Staatsanwälten gemeinsam kandidierte und haushoch verlor. In dieses Vakuum konnte der Populist Grillo stoßen.

Bersanis Hoffnungen, mit Grillo ins Geschäft zu kommen, stützen sich inzwischen darauf, dass die Grillini am 16. März im Senat den Kandidaten des Mitten-Links-Lagers, Piero Grasso, mit zum Senatspräsidenten gewählt haben. Das rechte Lager stimmte geschlossen für den bisherigen Präsidenten und Berlusoni-Gefolgsmann, Renato Schifani (PDL). Aber ein gutes Dutzend Grillini aus Sizilien stimmte für Grasso, den bekannten Mafiajäger und Staatsanwalt von Palermo. Wie sie im Internet schrieben, hätten sie sich sonst "zu Hause nicht mehr blicken lassen können".

Auf Sizilien regiert seit Oktober der Demokrat Rosario Crocetta mit kritischer Unterstützung der Grillini. Das Beispiel Sizilien macht ebenfalls klar, dass die Fünf-Sterne-Bewegung kein Problem mit der Art Sparpolitik hat, wie sie die Banken fordern. Vor wenigen Tagen beschloss die sizilianische Regierung, die Provinzen auf der Insel abzuschaffen, um fünfzig Millionen Euro einzusparen, und Crocetta jubelte: "Wir sind mehr Grillini als die Grillini selbst."

Trotz der Zusammenarbeit seiner Bewegung mit Regionalpolitikern hält Grillo daran fest, mit keiner andern Partei eine Koalition eingehen zu wollen: "Wir sprechen niemandem unser Vertrauen aus", erklärte er. Er hofft auf Neuwahlen, um sein eigenes Programm durchzusetzen (siehe dazu: "Die politische Bedeutung der Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo" [1]). Grillo wäre sogar bereit, einen Staatsbankrott zu riskieren.

Bersani sprach am vergangenen Samstag als erstes mit führenden Wirtschaftsvertretern, die ihn daran erinnerten, dass das Land in einer tiefen Rezession stecke und wenig Zeit habe. Giorgio Squinzi, Präsident des Unternehmerverbands Confindustria, sagte Bersani, Italien stecke in der schwierigsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Er forderte die Parteien auf, so rasch als möglich eine tragfähige Regierung zu schaffen.

Auch die Gewerkschaftsführer, die Bersani am Montag traf, unterstützten eine Regierung der nationalen Einheit im Interesse der Wirtschaft und der Banken. Die Chefin des größten Gewerkschaftsverband CGIL, Susanna Camusso, forderte Bersani auf, so schnell wie möglich eine Regierung im nationalen Interesse zu bilden. Eine ähnliche Botschaft formulierte der Chef der christlichen Gewerkschaft CISL, Raffaele Bonanni. Er warnte: "Italien könnte enden wie die Weimarer Republik. (...) Wir brauchen jetzt um jeden Preis eine neue Regierung."

Anmerkung
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2013/03/09/gril-m09.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.03.2013
Regierungskrise in Italien
http://www.wsws.org/de/articles/2013/03/27/ital-m27.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2013