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GLEICHHEIT/4696: Die verrottete Grundlage der italienischen Regierung


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Die verrottete Grundlage der italienischen Regierung

Von Marianne Arens und Peter Schwarz
15. Mai 2013



Ein Urteil gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi hat die verrottete und brüchige Grundlage der kürzlich gebildeten italienischen Regierung von Enrico Letta ans Licht gebracht.

Am 8. Mai bestätigte ein Mailänder Berufungsgericht ein erstinstanzliches Urteil vom Oktober 2012, das Berlusconi wegen Steuerhinterziehung zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Mediaset-Gruppe des 76-jährigen Milliardärs soll beim Kauf von Medienrechten mehr als 350 Millionen Dollar Einnahmen am Fiskus vorbei auf Auslandskonten verschoben haben.

Das Urteil muss zwar noch in dritter Instanz bestätigt werden und wird voraussichtlich auf ein Jahr Haft verkürzt. Aber seine Bestätigung könnte die politische Karriere Berlusconis beenden, da es mit einem fünfjährigen Verbot einhergeht, ein öffentliches Amt zu bekleiden.

Am Montag wurde außerdem der so genannte "Ruby-Prozess" gegen Berlusconi wegen Sex mit einer Minderjährigen und Amtsmissbrauch fortgesetzt. Chefanklägerin Ilda Boccassini warf dem ehemaligen Ministerpräsidenten "systematische Prostitution" in seiner Villa Arcore vor. Sie forderte sechs Jahre Haft sowie ein lebenslanges Verbot, politische Ämter zu übernehmen. Ein Urteil könnte noch in diesem Monat fallen.

In einem dritten Prozess steht der ehemalige Regierungschef wegen Bestechung vor Gericht. Er soll Senator Sergio De Gregorio mit drei Millionen Euro dazu gebracht haben, von der Partei Italien der Werte zu seiner eigenen Partei Volk der Freiheit (PdL) zu wechseln, um die Regierung von Romano Prodi zu Fall zu bringen.

Berlusconis PdL ist der wichtigste Koalitionspartner von Regierungschef Enrico Letta, der aus der Demokratischen Partei (PD) stammt. Die beiden Parteien, die sich zwanzig Jahre lang bekämpft hatten, bildeten im April eine gemeinsame Regierung, um den Sparkurs fortzusetzen, dem die Wähler zwei Monate zuvor eine eindeutige Abfuhr erteilt hatten.

Berlusconi selbst bekleidet zwar kein Regierungsamt, als Senator zieht er aber nach wie vor die Fäden in der PdL. Sein engster politischer Vertrauter, PdL-Sekretär Angelino Alfano, ist als Vizepremier und Innenminister die Nummer 2 in der neuen Regierung.

Nun hat das Urteil gegen Berlusconi den undemokratischen und halbkriminellen Charakter der Regierung Letta aufgedeckt, bevor sie ihre Tätigkeit richtig aufgenommen hat. Innenminister Alfano beteiligte sich am Samstag, den 11. Mai, an einer Demonstration gegen die Justiz in der PdL-Hochburg Brescia und sorgte damit für die erste Regierungskrise.

Berlusconi trat in Brescia persönlich vor mehreren tausend Anhängern auf und erklärte unter "Alle für Silvio"-Rufen, er lasse sich von der Justiz nicht stoppen. "Hier bin ich und hier bleibe ich", rief er.

Dass sich der für die Polizei und die innere Sicherheit des Landes verantwortliche Innenminister an einer Demonstration gegen die eigene Justiz beteiligt, ist für einen demokratischen Staat mehr als außergewöhnlich. Deutlicher könnte Alfano nicht zum Ausdruck bringen, dass er sich keinen Deut um Recht und Gesetz kümmert. Von der öffentlichen Herabsetzung der Justiz durch ein Regierungsmitglied bis zur offenen Diktatur ist es nur ein kleiner Schritt.

Aus der Demokratischen Partei gab es zwar vereinzelte Kritik an Alfanos Verhalten. So beschwerte sich Wirtschaftsminister Stefano Fassina in einem Interview mit der Stampa, die Demonstration gegen die Justiz erschwere die Beziehungen zwischen den Parteien. Die Autonomie und Unabhängigkeit der Justiz dürfe nicht verhandelbar sein.

Doch Regierungschef Enrico Letta zeigte sich entschlossen, die Koalition mit der PdL fortzusetzen. Er verschob wegen der Demonstration in Brescia sogar eine Klausurtagung um einen Tag, zu der er sämtliche Minister in ein toskanisches Kloster eingeladen hatte.

Bereits zuvor hatte er Berlusconi weitgehende Zugeständnisse gemacht und seiner Partei eine weitgehende Kontrolle über Schlüsselstellen im Justizapparat eingeräumt.

So wurde Berlusconis Freund und Wunschkandidat, Staatsanwalt Giorgio Santacroce, zum Präsidenten des Kassationsgerichts in Rom ernannt. Dieses Gericht hatte bisher alle Anträge Berlusconis abgelehnt, seine Strafprozesse aus den Händen der Mailänder Richter, die er für befangen hält, in ein anderes Gericht zu verlegen, das ihm wohlwollender gesonnen ist.

Außerdem konnte die PdL durchsetzen, dass Berlusconis früherer Justizminister Francesco Nitto Palma zum Vorsitzenden des parlamentarischen Justizausschusses ernannt wird. Palma gilt als Gönner eines PdL-Abgeordneten, der enge Verbindung zur Camorra, der Entsprechung der Mafia in Neapel, unterhält.

Auch Alfano selbst kann als Innenminister dazu beitragen, Berlusconi aus seinen juristischen Schwierigkeiten zu helfen, ist er doch der Urheber der so genannten Lodo Alfano, eines speziell auf Berlusoni zugeschnittenen Amnestiegesetzes.

Zu Berlusconis Verteidiger-Team ist inzwischen auch der Staranwalt Franco Coppi gestoßen, der schon den vor kurzem verstorbenen Senator Giulio Andreotti vor der Verurteilung wegen Mafia-Verstrickung und Mord gerettet hatte.

Nach dem Revisionsurteil gegen Berlusconi hatten Medien spekuliert, dieser könnte die Regierung zu Fall bringen und Neuwahlen anstreben, da die PdL gegenwärtig in den Umfragen vorne liegt. Berlusconi hat jedoch versichert, er habe nicht die Absicht, die Regierungskoalition zu gefährden. Sein Anwalt Niccolò Ghedini beruhigte die Presse mit den Worten, zwischen dem Urteil und der Stabilität der Regierung gebe es keinen Zusammenhang.

Berlusconi schimpft zwar gegen die Justiz, ist aber auffällig zurückhaltend mit Kritik an den Demokraten, die offensichtlich zu jedem Zugeständnis bereit sind, um die Regierungskoalition nicht zu gefährden.

Regierungschef Enrico Letta hat wiederum die volle Unterstützung der EU-Kommission in Brüssel und der deutschen Regierung in Berlin, die ihn als Garanten für die Durchsetzung ihres unpopulären Spardiktats betrachten. Um dies zu erreichen, sind sie bereit, vor den Verflechtungen der PdL mit dem Mafia- und Camorra-Milieu und der offenen Missachtung der Justiz beide Augen zu schließen. Ihr Spardiktat, das breite Teile der Bevölkerung zu Armut und Arbeitslosigkeit verdammt, lässt sich nur mit diktatorischen Methoden durchsetzen.

Nicht nur die Regierung Letta, sondern auch die Europäische Union stehen dabei zunehmend mit dem Rücken zur Wand. Eine neue Studie des US-Forschungsinstituts Pew hat ergeben, dass die Zustimmung zur EU innerhalb eines Jahres europaweit von 60 auf 45 Prozent gesunken ist. In Italien hält nur noch ein Viertel aller Bürger das Krisenmanagement der Regierung für zufriedenstellend, halb so viele wie im Vorjahr. Nur drei Prozent betrachten die eigene Wirtschaftslage als gut.

Die Demokratische Partei von Regierungschef Letta, ein Zusammenschluss der Erben der Kommunistischen Partei und der Christdemokraten, zerfällt mittlerweile unter dem Druck der Krise. Zum Parteikongress am vergangenen Wochenende erschienen nur gut 500 von über 900 geladenen Delegierten.

Der Kongress war notwendig geworden, weil nach dem Wahldesaster bei der Präsidentenwahl die ganze Führung unter Pier Luigi Bersani zurückgetreten war. Als Nachfolger Bersanis wurde schließlich der langjährige Gewerkschaftschef Guglielmo Epifani gewählt. Epifani hatte von 1994 bis 2010 erst als Vizepräsident und dann als Präsident an der Spitze des größten italienischen Gewerkschaftsverbands CGIL gestanden. Dieser spielte eine Schlüsselrolle dabei, unter diversen Mitte-rechts- und Mitte-links-Regierungen den Widerstand gegen die Zerschlagung des Sozialstaats zu unterdrücken.

Die Wahl Epifanis zeigt, dass sich auch Letta, der aus dem christdemokratischen Lager stammt, auf die Gewerkschaften stützen wird, das Spardiktat der EU durchzusetzen. Den Niedergang der PD kann er damit allerdings nicht aufhalten.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 15.05.2013
Die verrottete Grundlage der italienischen Regierung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2013