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GLEICHHEIT/4779: Verfassungsänderung in Japan bereitet autoritäre Herrschaft vor


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Verfassungsänderung in Japan bereitet autoritäre Herrschaft vor

Von John Watanabe
2. August 2013



Japans regierende liberaldemokratische Partei (LDP) unter Ministerpräsident Shinzo Abe errang am 21. Juli bei den Oberhauswahlen einen überwältigenden Sieg und erhielt 65 der 121 umkämpften Sitze. Die auf dem zweiten Platz liegende Demokratische Partei Japans (DPJ erhielt lediglich siebzehn Sitze.

Die LDP hofft nun, mit ihrer Mehrheit im Oberhaus ihre rechte Agenda leichter durchsetzen zu können. Sie will vor allem die Verfassung Japans revidieren. Die Änderungen untergraben die demokratischen Grundrechte und legalisieren eine Beteiligung Japans an Aggressionskriegen; sie werden zu einer explosiven Konfrontation mit der Arbeiterklasse führen.

Der Verfassungsentwurf, den die LDP im April vorbereitet hatte, ist von japanischem Nationalismus durchtränkt. Zu den bedeutsamsten Veränderungen gehören die Abschaffung wesentlicher demokratischer Rechte, neue "Notstandsrechte" für den Ministerpräsidenten, die formelle Wiedereinsetzung des Kaisers als Staatschef und die Aushöhlung des Pazifismus-Artikels Neun der Verfassung.

Die aktuelle Verfassung wurde nach Japans Niederlage im Zweiten Weltkrieg von den amerikanischen Besatzungsbehörden entworfen. Angesichts der drohenden sozialen Revolution und tief sitzender Feindschaft in der Bevölkerung gegen Japans blutiges Militärregime machten die amerikanischen Behörden wichtige politische Zugeständnisse. So wurden demokratische Grundrechte ausdrücklich in der Verfassung verankert. Artikel Neun sollte die breite Antikriegsstimmung auffangen und sicherstellen, dass Japan nicht noch einmal gegen die USA in den Krieg zöge.

Die LDP erklärt, die geplanten "Verfassungsänderungen (...) werden das Land aus einem System befreien, das von der Besatzungsmacht geschaffen wurde. Sie werden Japan zu einem wirklich souveränen Staat machen."

Wie Regierungschef Abe in nationalistischen Tönen erklärte, soll Japan seinen Status als "ganz normales Land" zurückgewinnen. Die gültige Verfassung verbietet Japan genau genommen, eine Armee zu haben. Allerdings gehören seine so genannten "Selbstverteidigungskräfte" zu den größten und modernsten der Welt. Was ihnen noch fehlt, sind wichtige Offensivkapazitäten.

Der neue Artikel Neun soll von "Verzicht auf Krieg" in "Nationale Sicherheit" umbenannt werden. Der Satz, Japan "verzichtet auf Krieg als Instrument nationaler Politik" soll beibehalten werden. Aber die Selbstverteidigungskräfte sollen künftig Nationale Verteidigungskräfte heiße, und der Ministerpräsident wird zum Oberkommandierenden ernannt, mit der Pflicht, "Frieden, Unabhängigkeit und Sicherheit des Landes und der Bevölkerung zu sichern". Praktisch strebt die LDP die legale Möglichkeit an, als Partner amerikanischer Militäroperationen zu handeln und Streitkräfte mit Offensivfähigkeiten aufzubauen, die auch so genannte "Präventivschläge" gegen feindliche Staaten führen können.

Der wachsende Militarismus geht Hand in Hand mit weitreichenden Angriffen auf demokratische Rechte. Die Präambel der aktuellen Verfassung betont die Universalität der Volkssouveränität und der "Gesetze der politischen Moral". Es heißt dort bisher: "Wir, das japanische Volk, beschließen, dass wir niemals wieder als Folge von Regierungshandeln die Schrecken eines Kriegs erleben wollen."

Die LDP will diese Passage tilgen und begründet dies damit, ihr liege "die westliche Theorie von Naturrechten zugrunde". Sie stellt diesen Worten in einer Präambel die japanische Einmaligkeit gegenüber, die so beginnen würde: "Japan ist eine Nation mit langer Geschichte und einmaliger Kultur. Der Kaiser ist ein Symbol der Einheit des Volkes."

Ohne weitere Erläuterung schlägt die LDP die Streichung des Artikels 97 vor, der bisher lautet: "Die von dieser Verfassung dem japanischen Volk gewährten Menschenrechte sind für alle Zeiten unverletzlich." An seiner Stelle will die LDP "Pflichten" verankern wie: "Das Volk muss die Nationalflagge und die Nationalhymne respektieren", und: "Das ganze Volk muss diese Verfassung respektieren."

Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt. In dem Entwurf heißt es: "Aktivitäten mit dem Ziel der Schädigung des öffentlichen Interesses oder der Störung der öffentlichen Ordnung, wie auch der Zusammenschluss mit anderen zu diesen Zwecken, sind nicht erlaubt." Das bedeutet, dass Reden und Demonstrationen, die sich gegen staatliche Behörden richten, künftig als verfassungswidrig gelten sollen.

Die neuen Notstandsbestimmungen des Verfassungsentwurfs machen die diktatorischen Herrschaftsformen deutlich, die sich daraus ergeben. Staat und Sicherheitsdienste könnten per Dekret regieren. Sie lauten: "Im Fall bewaffneter Angriffe aus dem Ausland, von Störungen der gesellschaftlichen Ordnung infolge innenpolitischen Streits oder anderer Notstandssituationen (...) kann der Ministerpräsident den Notstand ausrufen."

In diesem Fall "kann das Kabinett Verordnungen erlassen, die Gesetzeskraft haben", und "alle Personen müssen den Direktiven nationaler oder anderer staatlicher Institutionen Folge leisten, die dem Schutz des Lebens und Eigentums des Volkes dienen."

Weil die Parteien in Japan weitgehend diskreditiert sind, will die LDP die Rolle des Kaisers stärken, der als Schiedsrichter über den Parteien oder Klasseninteressen thront. Er soll wieder offiziell zum "Staatsoberhaupt" erklärt werden, und nicht mehr als "Symbol der nationalen Einheit" gelten, wie in der jetzigen Verfassung.

Der LDP-Entwurf streicht auch die gegenwärtige Bestimmung, dass "der Kaiser oder Regent (...) die Verpflichtung hat, diese Verfassung zu respektieren und zu verteidigen". Damit bereitet die LDP praktisch vor, dem Kaiser wieder eine Rolle wie vor dem Zweiten Weltkrieg zuzuweisen, d.h. als quasi göttliche Figur, die über dem Gesetz steht und dazu diente, die faschistische Politik im In- und Ausland zu rechtfertigen.

Die LDP versucht auch die Rolle der Religion im Staat zu stärken. Ihr Entwurf beseitigt Bestimmungen, die die Verwendung öffentlicher Gelder "für den Gebrauch, zum Nutzen oder zur Erhaltung religiöser Institutionen oder Vereinigungen" verbietet. Es werden Ausnahmen eingeführt, die solche Ausgaben erlauben, wenn religiöse Inhalte "gesellschaftliche Etikette oder übliches Verhalten" nicht übersteigen. Das würde vor allem religiöse Zeremonien in Verbindung mit dem Kaisertum betreffen.

Wie in Europa und den USA versucht auch der japanische Imperialismus autoritäre Herrschaftsformen wiederzubeleben. Damit soll jede Opposition der Arbeiterklasse, die sich gegen die rücksichtslose soziale Konterrevolution im Inland und Kriegspolitik im Ausland entwickelt, im Keim erstickt werden.

Die LDP ist nur deshalb in der Lage, diese militaristische, anti-demokratische Agenda zu forcieren, weil sie im Großen und Ganzen vom gesamten politischen Establishment unterstützt wird. Die DPJ, die einst als "liberale" Alternative zur LDP auftrat, setzte die Kriegspolitik der LDP und ihren Austeritätskurs fort, als sie 2009 an die Regierung kam. Sie brachte die Verdopplung der Mehrwertsteuer auf den Weg und unterstützte die amerikanischen "Hinwendung nach Asien" ["Pivot to Asia"], die auf eine militärische Konfrontation mit China hinausläuft.

Die DPJ versinkt inzwischen im Chaos, nachdem sie im Dezember die Regierungsmehrheit und im Juli die Mehrheit im Oberhaus verlor. Sie hat sich gegen den Plan der LDP gewandt, den Artikel 96 so zu ändern, dass Verfassungsänderungen nur noch eine einfache Mehrheit erfordern und nicht eine Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Parlaments. Auf diese Frage konzentriert sie ihre ganze Kampagne, um in der Öffentlichkeit von der Tatsache abzulenken, dass die LDP grundlegende demokratische Rechte abschaffen will.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 02.08.2013
Verfassungsänderung in Japan bereitet autoritäre Herrschaft vor
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2013