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GLEICHHEIT/4806: Mannings Offener Brief an Obama - Es ging um die Enthüllung von Kriegsverbrechen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Mannings Offener Brief an Obama:
Es ging um die Enthüllung von Kriegsverbrechen

Von David Walsh
27. August 2013



Vergangenen Mittwoch wurde der amerikanische Soldat Bradley Manning zu 35 Jahren Militärhaft verurteilt. Diese Strafe ist ohne Beispiel für einen Whistleblower wie Manning, der geholfen hatte, der Öffentlichkeit zahllose Verbrechen der amerikanischen Regierung und ihrer Streitkräfte zugänglich zu machen.

Am gleichen Tag las Mannings Anwalt David Coombes auf einer Pressekonferenz einen offenen Brief [1] des 25-jährigen Soldaten an Präsident Barack Obama vor. Die Stellungnahme wird Teil einer Anfrage an den Staatssekretär für Armeefragen sein, worin Obama um die Begnadigung Mannings oder um die Verkürzung der Strafe auf die bereits abgesessene Zeit gebeten werden soll.

Der Brief ist ein ehrliches und starkes Dokument, das die Motive enthüllt, warum Manning hunderttausende von vertraulichen Dokumenten zur Veröffentlichung weitergereicht hat. Es unterscheidet sich stark von dem inszenierten "Geständnis", das Manning am 14. August vor dem Militärtribunal in Fort Meade, Maryland, ablegen musste, in dem er sich für seine Taten entschuldigte.

In seinem Brief an Obama erklärt Manning, dass er die Entscheidung, das belastende Material zu veröffentlichen, aus "Sorge um mein Land und die Welt, in der wir leben" gefällt habe. Er fügt hinzu, am Anfang sei er noch mit den Methoden einverstanden gewesen, die die amerikanische Regierung nach dem 11. September 2001 ergriffen hatte. Erst als Manning im Irak eingesetzt war und "täglich geheime Militärberichte las", begann er "zu hinterfragen, ob wir das Richtige taten".

Der Soldat schreibt, das US-Militär habe "bewusst entschieden, im Irak und in Afghanistan das menschliche Leben abzuwerten". Wenn amerikanische Soldaten "unschuldige Zivilisten getötet haben, übernahmen wir keine Verantwortung für unser Tun, sondern versteckten uns hinter dem Deckmantel nationaler Sicherheit und Geheimhaltung, um zu vermeiden, dafür öffentlich Rechenschaft übernehmen zu müssen".

Manning nennt noch weitere Verbrechen: "Wir hielten Personen jahrelang ohne Verhandlung in Guantanamo fest. Wir ignorierten aus unerklärlichen Gründen Folter und Hinrichtungen durch die irakische Regierung. Und wir verschmerzten zahllose weitere Taten im Namen unseres Kriegs gegen den Terror".

Der junge Whistleblower vergleicht die "moralisch fragwürdigen Handlungen", die im Irak und in Afghanistan begangen werden, mit anderen "dunklen Kapiteln" der amerikanischen Geschichte: dem "Trail of Tears [Pfad der Tränen; Zwangsumsiedlung amerikanischer Ureinwohner in den 1830ern], dem Urteil im Fall Dred Scott [zugunsten der Sklaverei], der McCarthy-Ära und der Internierung von Amerikanern japanischer Abstammung, um nur einige zu nennen". Er erklärt weiter, er gehe fest davon aus, dass "vieles von dem, was wir seit dem 11. September getan haben, irgendwann einmal in ähnlichem Licht gesehen wird".

Manning zitiert den verstorbenen Howard Zinn: "keine Flagge [ist] groß genug, um die Schande zu verdecken, Unschuldige getötet zu haben".

Er beendet seinen Brief an Obama mit der Erklärung, falls sein Gnadengesuch abgelehnt werde, "werde ich meine Strafe im Bewusstsein ertragen, dass man manchmal einen hohen Preis zahlen muss, um in einer freien Gesellschaft zu leben. Ich zahle diesen Preis gerne, wenn er dazu beiträgt, dass wir ein Land bekommen, das wirklich in Freiheit gegründet ist und alle Menschen, Männer wie Frauen, als gleich geschaffen betrachtet".

Die US-Regierung, das Pentagon und die amerikanischen Medien tun alles in ihrer Macht Stehende, um Manning zu stigmatisieren, zu verleumden und ihn in den Augen der Bevölkerung schlecht zu machen. Man muss jedoch sagen, dass Manning durch die Direktheit, mit der er die Themen angeht, durch seinen Abscheu vor den Verbrechen im Irak und in Afghanistan und durch seinen Mut viel stärker der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung ähnelt als jenen, die in ihrem Namen regieren.

Tatsächlich teilen Millionen Amerikaner die Ansichten und Gefühle, die Manning zum Ausdruck gebracht hat. Sie stehen zu den Prinzipien, die Abraham Lincoln in der Gettysburger Rede formuliert hat. ("Vor 87 Jahren gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind.")

Das offizielle Amerika hat diese Prinzipien seit langem verraten und zurückgewiesen und herrscht über eine Nation, in der die Reichen alles besitzen oder stehlen können, was sie in die Hände bekommen, während das US-Militär überall, wo es die Interessen dieser winzigen Elite schützen muss, Krieg anzettelt.

Im offiziellen Washington wird Mannings Brief auf taube und sogar feindselige Ohren stoßen. Barack Obama, der im Jahr 2008 als Kandidat des "Wandels" gewählt wurde und vom Hass der Bevölkerung auf die Bush-Cheney-Regierung profitieren konnte, hat sich als unermüdlicher Verteidiger der Interessen des amerikanischen Kapitals erwiesen, während er die Arbeiterklasse und ihre demokratischen Grundrechte unversöhnlich bekämpft.

Wie Obamas wütende Reaktion auf die Taten des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden zeigt, gibt es nichts, was die Geheimdienstbürokraten im Weißen Haus stärker aufbringt, als wenn ihre Geheimnisse der "nationalen Sicherheit" aufgedeckt werden.

Laut Associated Press erklärte das Weiße Haus mit der ihm eigenen Brutalität und Gleichgültigkeit, Mannings Gesuch werde "wie jedes andere" behandelt. Weiter heißt es von AP: "Eine Begnadigung scheint jedoch unwahrscheinlich. Mannings Fall war Teil einer beispiellosen Kette von Anklagen der US-Regierung im Rahmen des Vorgehens gegen Sicherheitslücken. Die Obama-Regierung hat sieben Menschen angeklagt, Informationen veröffentlicht zu haben; unter allen vorherigen Präsidenten zusammen wurden nur drei Menschen angeklagt."

Die illegalen Kriege und Invasionen im Irak und in Afghanistan werden von der herrschenden Elite der USA einhellig gebilligt. Das zeigt sich daran, dass Obamas Justizministerium in San Francisco am Tag vor Mannings Urteilspruch vor ein Bundesgericht zog, um George W. Bush, Dick Cheney und andere zu verteidigen, die von einer Irakerin wegen Verstößen gegen das Völkerrecht angeklagt worden waren.

Sundus Shaker Saleh, eine alleinstehende dreifache Mutter, die heute in Jordanien lebt, ist die erste Klägerin in einem Klassenprozess gegen sechs führende Mitglieder von Obamas Vorgängerregierung: Bush, Cheney, Donald Rumsfeld, Condoleezza Rice, Colin Powell und Paul Wolfowitz.

Die Anklage lautet, Vertreter der Bush-Regierung hätten das Gesetz gebrochen, indem sie sich zu einem Angriffskrieg gegen die irakische Bevölkerung verschworen und ihn ausgeführt hätten. Sie wirft den Angeklagten außerdem vor, dass sie "den Krieg gegen den Irak schon 1998 geplant haben. Sie haben die Bevölkerung der USA dazu manipuliert, ihn zu unterstützen, indem sie sie mit der Drohung von Atomangriffen verängstigt und das Regime Husseins mit Al Qaida in Verbindung gebracht haben. Außerdem haben sie internationales Recht gebrochen, indem sie die Invasion ohne rechtliche Grundlage begonnen haben."

Salehs Anklage führt weiter aus: "Vor mehr als 60 Jahren verurteilten amerikanische Ankläger in Nürnberg die Naziführung wegen der Verschwörung zur und Führung von Angriffskriegen. Sie erklärten, die Nazis waren schuldig, Kriege zu planen und zu führen, die keine rechtliche Grundlage hatten und Millionen von Unschuldigen das Leben kosteten."

Die Klägerin ist "ein unschuldiges ziviles Opfer des Irakkrieges. Sie fordert Gerechtigkeit nach den Nürnberger Prinzipien und dem US-amerikanischen Recht für die Schäden, die sie und andere durch den vorbereiteten Plan der Angeklagten zum Einmarsch im Irak erlitten haben".

Salehs Klage spricht einen wichtigen Punkt an, auf den sich auch die WSWS schon oft bezogen hat: Der entscheidende Anklagepunkt gegen die Nazis in den Nürnberger Prozessen bezog sich auf das Führen von Angriffskriegen, die Führung eines geplanten Krieges ohne rechtmäßigen Grund. Der Kommentar des amerikanischen Chefanklägers in Nürnberg, Robert H. Jackson, lautete: "Jede Kriegsführung - jede Art von Krieg - bedeutet einen Rückgriff auf inhärent kriminelle Mittel. Krieg führt unweigerlich zu Morden, Angriffen, Freiheitsentzug und der Zerstörung von Eigentum."

Die Klage führt, ebenfalls zu Recht, aus: "Die Angeklagten nutzten, kaum dass sie an der Macht waren, die Anschläge vom 11. September als Deckung für ihren Angriffskrieg gegen den Irak aus". Außerdem "führten die Angeklagten einen Plan aus, um die amerikanische Bevölkerung zu verängstigen, damit sie im Irak einfallen konnten", und: "Die Angeklagten haben einen Angriffskrieg gegen den Irak geführt."

Das juristische Dokument geht von einer Klasse von "irakischen zivilen Opfern" aus und erklärt: "Es ist wahrscheinlich, dass Hunderttausende oder sogar Millionen Iraker Schaden durch das Vorgehen der Angeklagten erlitten haben."

Die Klage, die genau und gut formuliert den aggressiven und kriminellen Charakter der amerikanischen Intervention im Irak zusammenfasst, hat keine Aussicht, vor einem amerikanischen Gericht durchzukommen, da das Rechtssystem in allen bisherigen Klagen gegen die Kriegspolitik die amerikanischen Machthaber verteidigt hat.

Am 20. August reichten Beamte des Justizministeriums als Reaktion auf Salehs Klage Papiere ein, in denen sie argumentierten, dass Bush, Cheney und andere Personen Immunität genießen sollten, weil sie zum Zeitpunkt der Vorfälle, um die es bei der Klage ging, "im Rahmen ihres Amtes oder ihrer Beschäftigung" gehandelt hätten.

Mit anderen Worten, sie haben nur "ihre Pflicht getan", genau wie die angeklagten Naziverbrecher bei den Nürnberger Prozessen. Natürlich haben sie ihre Pflicht getan: als gehorsame Diener der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzelite.

Am 20. August ging die Obama-Regierung vor Gericht, um die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen im Irak zu schützen. Am 21. August verhängten amerikanische Behörden ein hartes Urteil gegen eine Person, die geholfen hatte, einige dieser Verbrechen zu enthüllen. Die Lage könnte kaum klarer sein.

Anmerkung:
http://www.wsws.org/en/articles/2013/08/23/lett-a23.html
Die Übersetzung des Briefes siehe unter:
http://www.wsws.org/de/articles/2013/08/27/brad-a27.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.08.2013
Mannings Offener Brief an Obama:
Es ging um die Enthüllung von Kriegsverbrechen
http://www.wsws.org/de/articles/2013/08/27/mann-a27.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2013