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GLEICHHEIT/4821: Flüchtlinge besetzen Gewerkschaftshaus in München


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Flüchtlinge besetzen Gewerkschaftshaus in München

Von Markus Salzmann
7. September 2013



In München halten seit Dienstag 55 Asylbewerber das Haus des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) besetzt. Die Flüchtlinge protestieren gegen die menschenunwürdigen Bedingungen der bayerische Asylpolitik und fordern unter anderem die Abschaffung von Essenspaketen, der Residenzpflicht und von Arbeitsverboten. Zuvor waren sie zwei Wochen lang demonstrierend durch Bayern gezogen.

Nach Polizeiangaben zogen am Dienstag dann rund 750 Flüchtlinge und Unterstützer durch die Münchner Innenstadt. Während der Demonstration kollabierte eine Frau und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Später am Abend mischten sich Neonazis unter den Demonstrationszug. Dies nutzte die Polizei, um die Demo gegen 22 Uhr aufzulösen. Die Flüchtlinge versteckten sich daraufhin im Gewerkschaftshaus.

In der Besetzung des DGB-Hauses in der Münchner Innenstadt sehen die Flüchtlinge ihre letzte Chance, den Protest fortzusetzen. Flüchtlinge und Unterstützer hätten zum Schutz von Leib und Leben keine andere Möglichkeit gesehen, als im DGB-Haus zu bleiben, teilten die Organisatoren der Demonstration am Mittwoch mit.

Die Demonstranten hatten sich am 20. August in zwei Gruppen von Bayreuth und Würzburg aus auf den Weg gemacht, um sich in der Landeshauptstadt zu treffen. Beide Züge wurden von massiven Polizeikontrollen begleitet und waren heftigen Schikanen ausgesetzt. Noch immer befinden sich zwei Marschteilnehmer in ärztlicher Behandlung, die bei den Kontrollen verletzt wurden.

"Fast jeden Tag wurden wir von der Polizei kontrolliert, teilweise schikaniert", sagte ein Flüchtling der Tageszeitung junge Welt. Er berichtete auch von einer Polizeikontrolle in der Nähe von Freising, bei der sieben Teilnehmer verletzt wurden. Von den 50 Flüchtlingen konnten nur neun den Marsch fortsetzen. "Die anderen wurden festgenommen und in die zugewiesenen Lager zurückgeschickt", ergänzte er.

Einen anderen Polizeiübergriff schilderte Alexander Thal vom bayrischen Flüchtlingsrat der Zeitung. Er wurde Zeuge, als einer der Protestzüge bei der Ankunft im Münchner Stadtteil Feldmoching vom Unterstützungskommando (USK) der bayerischen Polizei gewaltsam aufgelöst wurde. "Es war ein schauerlicher, fast gespenstischer Anblick", erklärte Thal.

Die Augsburger Allgemeine sprach mit Ghlam Vali, der nach der Polizeiaktion ins Krankenhaus und anschließend wieder ins Asylbewerberheim Hauzenberg bei Passau gebracht wurde. "Die Polizisten haben mich gepackt und meinen Kopf mit Gewalt auf die Straße gedrückt", erklärte Vali. "Ich hatte starke Schmerzen am Auge und mein Rücken tat weh."

Die Situation der Flüchtlinge in Deutschland und in besonderem Maße in Bayern ist katastrophal, was immer mehr Asybewerber zu Protestmaßnahmen treibt. Besonders deutlich wurde dies während eines Hungerstreiks vor zwei Monaten am Münchner Rindermarkt.

Der verzweifelte Hungerstreik von rund 50 Flüchtlingen wurde schließlich gewaltsam beendet und das Camp aufgelöst. Der Hungerstreik hatte eine Woche gedauert. Er zeigte nicht nur, wie katastrophal die Lage von Flüchtlingen ist, sondern auch wie die etablierten Parteien darauf reagieren. Keine, und auch nicht die Gewerkschaften, unterstützten die Flüchtlinge und ihre berechtigten Forderungen.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach den Flüchtlingen generell jedes Recht ab, ihren Protest zu äußern, und versuchte ihn zu kriminalisieren. Ausländer hätten in Deutschland kein Grundrecht auf Demonstration und Versammlung. Das sei allein deutschen Staatsbürgern vorbehalten, erklärte der Innenminister.

Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, der als SPD-Kandidat gegen Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) zur bayerischen Landtagswahl in zwei Wochen antritt, ist für seine radikale Haltung gegen den Protest von Flüchtlingen bekannt. Er hatte die Räumung des Protestcamps am Rindermarkt angeordnet und dies in zynischer Weise mit der Rettung von Menschenleben gerechtfertigt.

Im Laufe des Protests hatte die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bayerischen Landtag, Ulrike Gote, Herrmann wegen der Polizeieinsätze beim Flüchtlingsmarsch kritisiert. Sie warf dem Innenminister vor, er wolle im Wahlkampf ein Exempel statuieren. Sie forderte die Residenzpflicht vorübergehend auszusetzen, um die Proteste zu ermöglichen.

Tatsächlich ist auch dies reine Heuchelei und in großem Maße dem Wahlkampf geschuldet. Die Grünen arbeiten im Münchner Rathaus seit langem mit Ude und der SPD zusammen und unterstützen deren rechte Ausländer- und Flüchtlingspolitik. Auch auf Landesebene streben sie eine Koalition mit der SPD an.

Auch die Linkspartei vertritt keine grundlegend andere Position. Der Stadtratsabgeordnete Orhan Akman unterstützte die Beendigung des Hungerstreiks am Rindermarkt und lobte ausdrücklich "Udes Bemühungen".

Der DGB hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass ihm der Aufenthalt der Flüchtlinge in seinen Räumlichkeiten keinesfalls recht ist, und dass er den Protest nicht unterstützt. Am Donnerstagnachmittag ersuchte Matthias Jena, Vorsitzender des DGB Bayern, in persönlichen Gesprächen mit den Asylbewerbern diese, das Haus zu verlassen. Er erklärte, der DGB unterstütze ihre Forderungen, könne sie aber dennoch nicht länger beherbergen, weil das Gewerkschaftshaus eben kein Hotel sei.

Gegenüber der Presse erklärte Jena: "Ich habe die Flüchtlinge dringlich gebeten, unsere Gastfreundschaft nicht zu überspannen."

Jena hat den Flüchtlingen angeboten, auf Kosten des DGB in das Jugendcamp "The Tent" umzuziehen. Sollten sie dieses "Angebot" nicht wahrnehmen, drohten Gewerkschaftsvertreter mit einer Räumung durch die Polizei. Diese hat bereits am Donnerstag erklärt, man werde einschreiten, wenn der Eigentümer nicht mehr bereit sei, die Flüchtlinge zu beherbergen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.09.2013
Flüchtlinge besetzen Gewerkschaftshaus in München
http://www.wsws.org/de/articles/2013/09/07/asyl-s07.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2013