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GLEICHHEIT/5022: Großbritannien - Konservative in der Krise wegen EU-Referendum


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Großbritannien:
Konservative in der Krise wegen EU-Referendum

Von Julie Hyland
14. Februar 2014



Der britische Premierminister David Cameron droht damit, den Parliament Act anzuwenden, um einen Gesetzesentwurf durchzusetzen, der ein Referendum in Großbritannien über die Bedingungen der EU-Mitgliedschaft des Landes gesetzlich verankert.

Damit reagiert er auf das Scheitern eines entsprechenden Gesetzentwurfs im Oberhaus, den der konservative Abgeordnete James Wharton im letzten Monat im Unterhaus eingebracht hatte. Der Grund, weshalb hier ein einzelner Abgeordneter den Gesetzentwurf einbrachte, und nicht die Regierung, liegt darin, dass die Liberaldemokraten, die eine Koalitionsregierung mit den Konservativen bilden, Camerons Bedingungen für das Referendum ablehnen. Die Liberaldemokraten und die oppositionelle Labour Party hatten gemeinsam für ein Ende der Debatte über das Gesetz zum Referendum über die EU gestimmt und die Abstimmung mit 180 zu 130 Stimmen gewonnen.

Der Parliament Act, der als "ultimative Option" gilt, die nur in außergewöhnlichen Fällen angewandt werden sollte, ermöglicht es der Regierung, Gesetze gegen den Widerstand des Oberhauses durchzusetzen. [Dieses Gesetz von 1911 legt fest, dass das Oberhaus ein vom Unterhaus beschlossenes Gesetz nicht mehr aufheben darf. Anm. d. Übers.]

Cameron hatte versprochen, die Bedingungen für Großbritanniens Mitgliedschaft in der EU neu zu verhandeln und bis 2017 ein Referendum darüber abzuhalten. Er hoffte, damit einen Großteil der EU-feindlichen Hinterbänkler ruhigzustellen und die zunehmende Gefahr durch Stimmverluste an die rechte United Kingdom Independence Party (UKIP) abzuwehren.

Um dies zu erreichen, versprach Cameron, das Gesetz so zu ändern, dass eine künftige Regierung verpflichtet wäre, ein Referendum mit der Alternative Ja- Nein über die EU-Mitgliedschaft abzuhalten. Dies sollte es den Konservativen ermöglichen, bei der Europawahl im März und der Parlamentswahl im nächsten Jahr zu behaupten, eine konservative Regierung sei der einzige Weg, eine Abstimmung über Großbritanniens Mitgliedschaft zu garantieren. Seine Hoffnung war, so Stimmenverluste der Tories an die UKIP zu verhindern und Liberaldemokraten und Labour Stimmverluste beizubringen, da beide ein Referendum ablehnen.

Der Premierminister - genau wie ein Großteil der britischen Bourgeoisie und des Großkapitals - ist gegen einen Austritt aus der EU, da sie fürchten, er würde anderen europäischen Mächten ermöglichen, politische Vorgaben und Gesetze zu verabschieden, die den Interessen des britischen Kapitals abträglich wären. Angesichts der Tatsache, dass die Mitgliedsstaaten der Eurozone momentan Maßnahmen planen, die sich direkt gegen diese Interessen richten - beispielsweise ein Abkommen über eine Harmonisierung der Haushaltspolitik in Europa - unterstützen sie gemeinsam Camerons Strategie, ein Referendum als Druckmittel in den Verhandlungen mit der EU zu benutzen.

Die Ereignisse der letzten Woche haben gezeigt, dass Camerons Position ziemlich wackelig ist.

Der Premierminister hatte monatelang gewartet, bevor er seine Ziele in einer umfassenden politischen Erklärung zum Thema darlegte. Datum und Ort seiner Ausführungen wurden mehrmals geändert. Zuerst beabsichtigte er, seine Bemerkungen in Europa als Erklärung vor EU-Ministern über die Notwendigkeit von Veränderungen zu halten, aber dieser Plan wurde angeblich von Bundeskanzlerin Angela Merkel zunichte gemacht, da er sich mit dem 50. Jahrestag des deutsch-französischen Elysee-Vertrages überschnitt. Dann wurde er nochmals wegen des Anschlags auf eine Gaspipeline in Algerien verschoben, schließlich konnte er seine Rede am 23. Januar in London halten.

Cameron skizzierte darin einen vierstufigen Plan für ein Referendum. Zuerst sollte ein Gesetzentwurf für das Referendum vor der Unterhauswahl 2015 festgelegt werden. Ein Manifest sollte jede nachfolgende konservative Regierung verpflichten, eine "neue Vereinbarung" mit der EU auszuhandeln und bis Juni 2015 die entsprechenden Gesetze vorbereiten, sofern die Konservativen die Wahl gewönnen; die letzte Frist für das Referendum sollte 2017 sein.

Camerons Pläne gerieten schon unter die Räder, bevor der Gesetzentwurf abgewiesen wurde.

Es hieß, Cameron sei vor seiner Rede von US-Präsident Barack Obama kontaktiert worden. Laut einer Stellungnahme des Weißen Hauses hatte ihm dieser erklärt, die USA setzten auf "ein starkes Großbritannien in einer starken Europäischen Union."

Washington hat Großbritanniens EU-Mitgliedschaft immer als Mittel gesehen, seine eigenen Interessen in Europa durchzusetzen und die Gefahr der Bildung eines Blocks der europäischen Großmächte gegen die USA zu verringern.

Das Büro des Premierministers stellte dies zwar als Unterstützung für Camerons Strategie dar, Großbritannien durch Neuverhandlung der Bedingungen der Mitgliedschaft in der EU zu halten, allerdings ist die Intervention nur ein weiteres Anzeichen für wachsende Spannungen und Sorge über die möglichen Folgen seiner Politik.

Der französische Präsident Francois Hollande warf ihm während eines deutlich frostigen britisch-französischen Gipfeltreffens am 31. Januar einen weiteren Knüppel zwischen die Beine. Das Treffen, das auf dem Flugplatz Brize Norton begann und in einer örtlichen Landgaststätte endete, dauerte zwar nur wenige Stunden, dabei wurde jedoch Frankreichs Widerstand gegen Camerons Plan deutlich. Hollande erklärte, Camerons Forderungen nach einer Revision der Verträge hätten für Frankreich "keine Priorität". Hollande erklärte, die französische Bourgeoisie wolle keine lockerere Integration, sondern eine engere und erklärte, Frankreich wünsche sich, "dass die Eurozone besser koordiniert und besser integriert" sei, und wenn es Ergänzungen zu dem Text geben sollte, halte er diese "momentan nicht für dringend".

Hollande erinnerte den Premierminister daran, dass jede nennenswerte Vertragsrevision mit Sicherheit ein Referendum in Frankreich zur Folge hätte, das möglicherweise scheitern würde.

Zuvor hatte der französische Außenminister Laurent Fabius angeblich geprahlt: "Ich hatte vorgestern ein Treffen mit britischen Geschäftsleuten und ich habe ihnen gesagt: 'Hören Sie, wenn Großbritannien beschließt, Europa zu verlassen, werden wir ihm den roten Teppich ausrollen'."

Vor diesem Hintergrund richtet Cameron seine Hoffnungen auf die Unterstützung Deutschlands für Vertragsänderungen mit dem Ziel, Großbritannien in der EU zu halten. Anders als Hollande wird Merkel bei ihrem bevorstehenden Besuch in Großbritannien mit dem roten Teppich empfangen werden. Unter anderem ist vorgesehen, dass sie eine Rede vor dem Unterhaus hält und sich mit der Queen trifft. Merkel hat sich bisher nur vage über Camerons Forderungen geäußert und erklärt, Deutschland und sie persönlich wollten, dass Großbritannien eine wichtige Rolle in der Europäischen Union spiele und ein aktives Mitglied sei.

Sie erklärte: "Wir sind bereit, über Großbritanniens Wünsche zu reden, aber wir müssen immer im Hinterkopf behalten, dass andere Länder andere Wünsche haben, und wir müssen einen fairen Kompromiss finden."

Ein Großteil der europäischen Bourgeoisie interpretiert Camerons Strategie als die Forderung: "Gebt uns, was wir wollen, oder wir gehen." So erklärte der CDU-Vorsitzende des Bundestagsausschusses für EU-Angelegenheiten, Gunther Krichbaum, es gebe keinen Grund, eine Abstimmung über Großbritanniens Mitgliedschaft zu verzögern, da "alle Argumente auf dem Tisch liegen. Es wird und kann keine Neuverhandlung in Camerons Sinn geben."

Der ehemalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle erklärte, Großbritannien könne sich nicht die "Rosinen herauspicken."

Er erklärte, Deutschland strebe eine ehrgeizige Reform der Wirtschafts- und Währungsunion in so entscheidenden Fragen wie der Zukunft der gemeinsamen Währung an. Nicht weniger Integration sei erforderlich, sondern mehr.

Der Daily Telegraph zitierte auch Martin Schulz, den deutschen Präsidenten des Europaparlaments, der erklärte: "Premierminister Cameron spielt mit seiner Ankündigung eines Referendums aus taktischen, innenpolitischen Gründen ein gefährliches Spiel. Er erinnert an den Zauberlehrling, der die Geister nicht mehr los wird, die er gerufen hat..."

Berichten zufolge versucht Cameron, das Gesetz in der nächsten Parlamentssitzung erneut vorzulegen und es notfalls mit dem Parliament Act durchzusetzen. Hochrangige Konservative glauben, die Zeit sei zu knapp, um dies erfolgreich durchzuführen.

Inzwischen scheitern auch Camerons Versuche, seine Partei mit solchen Manövern zusammenzuhalten. Mehrere Konservative fordern, dass die Regierung ihren eigenen Entwurf eines Referendumsgesetzes gegen den Widerstand der Liberaldemokraten durchdrückt, was die Koalition gefährden könnte. Anfang des Monats verschärften 95 konservative Hinterbänkler die Lage mit der Aufforderung an Cameron, sich für ein nationales Veto-Recht über EU-Gesetze einzusetzen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 14.02.2014
Großbritannien: Konservative in der Krise wegen EU-Referendum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2014