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GLEICHHEIT/5423: Deutschland gleitet in Deflation ab


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Deutschland gleitet in Deflation ab

Von Nick Beams
31. Januar 2015



Die deutsche Wirtschaft ist zum ersten Mal seit 2009 in die Deflation gerutscht. Dies ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass sich die Trends zur Rezession in der Eurozone verschärfen.

Das Statistische Bundesamt veröffentlichte am Donnerstag vorläufige Statistiken, die zeigen, dass die Verbraucherpreise im Dezember im Vergleich zum Vorjahresmonat um 0,3 Prozent gesunken sind. Das Amt erklärte, wenn die Ergebnisse mit den Zahlen von Eurostat für die gesamte Eurozone harmonisiert würden, die am Freitag veröffentlicht wurden, läge der Rückgang bei 0,5 Prozent.

Der Rückgang der Ölpreise war zwar ein wichtiger Faktor, aber auch die sogenannte Kerninflation, bei der die Kosten für Energie und Nahrung abgezogen werden, ist vermutlich gesunken.

Es wurde zwar mit einem Rückgang der Preise gerechnet, er war jedoch größer als erwartet. Wirtschaftsanalysten prognostizieren, dass Deutschland bis Ende des Jahres in der Deflation bleiben wird.

Jörg Kramer von der Commerzbank äußerte dazu: "Die Aussichten zeigen jetzt ein deutliches Abschwungrisiko. Der Rückgang der Ölpreise deutet darauf hin, dass die Gesamtinflation bis Herbst unter null bleiben wird."

Anfang des Monats kündigte die Europäische Zentralbank (EZB) ein Programm zur quantitativen Lockerung an, in dessen Rahmen sie bis mindestens September 2016 Staatsanleihen für 60 Milliarden Euro pro Monat aufkaufen wird. Die EZB erklärte, dies sei notwendig, um ihr Mandat zu erfüllen, die Inflation nahe an, aber unter zwei Prozent pro Jahr zu halten. Die Erfüllung dieser Vorgabe scheint nun weiter entfernt als zuvor.

Der Grund für die offizielle Angst vor Deflation sind ihre finanziellen Folgen, vor allem für Staatsschulden. Jeder Rückgang der Preise erhöht das reale Niveau der Schuldenlast, würgt Investitionen ab und verschlimmert den wirtschaftlichen Abschwung.

Die Wirtschaft der Eurozone liegt noch immer nicht auf dem Niveau von 2007, die Investitionen liegen noch immer unter dem Niveau, das sie vor der weltweiten Finanzkrise hatten. Der depressive Charakter der Realwirtschaft zeigt sich am deutlichsten auf den Finanzmärkten.

Weil die Profit versprechenden Anlagemöglichkeiten in der Realwirtschaft zurückgehen, wird Geld in die Anleihemärkte gepumpt, was die Preise in die Höhe treibt und die Zinsen auf historische Tiefstände senkt. Der Preis einer Anleihe, die feste jährliche Erträge bringt, und der Zinssatz, der auf der Grundlage ihres Marktwertes berechnet wird, stehen in einem umgekehrten Verhältnis zueinander.

Am Donnerstag erreichte der maßgebliche Zinssatz für britische Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit während des morgendlichen Handels einen Tiefstand von 1,396 Prozent. Das war schlechter als zum Tiefpunkt der Eurozonenkrise 2012, und das erste Mal in der Geschichte, dass er unter 1,4 Prozent gesunken ist. Der Ertrag für Anleihen mit 30 Jahren Laufzeit sank ebenfalls auf ein Rekordtief von 2,102 Prozent.

Am Rückgang der Zinsen für Anleihen zeigt sich die Überzeugung der Finanzmärkte, dass es keinen Wirtschaftsaufschwung gibt, und dass die einzige Möglichkeit, Gewinne zu machen, immer parasitärere Formen von Spekulation sind.

Es ist viel Geld in die Anleihemärkte geflossen, weil sowohl eine sichere Geldanlage als auch die Möglichkeit gesucht wird, von den Anleihenkaufprogrammen der EZB und der Zentralbanken zu profitieren. Als Ergebnis sind die Zinssätze in mehreren Märkten faktisch in den Negativbereich gesunken.

Der Chefökonom der Citigroup, Matt Kind, sagte der Financial Times: "Die Leute neigen dazu, das für ein europäisches und japanisches Problem zu halten, aber die Abwärtsbewegung der Zinsen ist ein globaler Trend. Dadurch nimmt die Befürchtung zu, dass die Ökonomien auf all diese Konjunkturmaßnahmen nicht reagieren."

Die Zeitung wies auf die bemerkenswerte Geschwindigkeit hin, in der sich dieses "Negativuniversum" ausdehnt. Sie schrieb unter Berufung auf Berechnungen von JP Morgan, dass "Anleihen aus der Eurozone im Wert von 1,5 Billionen Euro mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr - das sind fast ein Viertel aller Anleihen - weniger als null Prozent Zinsen einbringen. Auch für Schweizer und japanische Anleihen sind die Zinsen negativ."

Auf den ersten Blick scheint das Phänomen negativer Zinsen ein Widerspruch zu sein, da alle Anleihen einen festen Betrag einbringen, den die Regierung, die sie ausgegeben hat, regelmäßig zahlt, und der bei Ausgabe der Anleihe festgelegt wurde. Am Ende der Laufzeit erhält der Besitzer der Anleihe den Nennwert von der Regierung zurück.

Doch bevor Anleihen fällig werden, werden sie auf den Finanzmärkten wegen der festen Zinsen gehandelt, die sie abwerfen. Sie können für mehr als den Nennwert gekauft und verkauft werden.

Folglich kann der Preis der Anleihe auf dem Markt höher steigen als der Nennwert und der Zinsertrag, was zu einer negativen Gewinnrate führt.

Daher scheint es, als gäbe es keinen Grund für solche Investitionen. Wenn die Anleihen jedoch in der Annahme gekauft werden, dass ihr Preis auf dem Markt weiter steigen wird, nicht zuletzt wegen Anleihekäufen durch die Zentralbanken, können sie mit Gewinn gekauft und verkauft werden.

Die schnellen Entwicklungen der Währungskurse in der jüngeren Vergangenheit bedeuten außerdem, dass sich riesige Gewinne machen lassen, wenn man auf die richtige Entwicklung setzt. Der Economist stellte dazu vor kurzem fest: "Internationale Investoren, die vor dem jüngsten Anstieg des Schweizer Franken [gegen den Euro] Schweizer Anleihen gekauft haben, werden ein Vermögen gemacht haben."

Die sinkenden Zinsen für Staatsanleihen und die Entstehung von negativen Zinssätzen weisen auf den enormen Druck hin, den die Finanzmärkte auf die Zentralbanken ausüben, ihnen weiterhin billiges Geld zur Verfügung zu stellen.

Wenn dieser Zufluss aufhört und wieder Bedingungen einkehren würden, die früher als "normal" galten, wird der Prozess des Ankaufs von Anleihen zu erhöhten Preisen in der Hoffnung, sie teurer zu verkaufen, zu einem abrupten Ende kommen. Die potenziellen Folgen könnten sogar diejenigen der Finanzkrise von 2008 in den Schatten stellen.

Da es in der Realwirtschaft keine profitablen Anlagemärkte für Investitionen gibt, geht das Phänomen des "gedopten Parasitismus" weiter - woran sich der fortdauernde Zusammenbruch der kapitalistischen Weltwirtschaft zeigt.

Alan Ruskin, ein Stratege der Deutschen Bank, sagte der Financial Times: "Vor weniger als einem Jahr kannte man negative Zinssätze nur aus einem zerlesenen Geschichtsbuch über die Geldpolitik der Schweiz in den 1970ern. Entweder stimmen die Preise für Anleihen nicht und Investoren stehen große Verluste bevor, oder wir stehen vor einem großen Problem."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 31.01.2015
Deutschland gleitet in Deflation ab
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2015


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