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GLEICHHEIT/5652: In Griechenland wächst die Unzufriedenheit mit Syriza


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

In Griechenland wächst die Unzufriedenheit mit Syriza

Von Robert Stevens
5. September 2015


Vor der Parlamentswahl in Griechenland am 20. September verschärft sich die Krise in der Regierungspartei. Durch seinen Rücktritt hatte Ministerpräsident Alexis Tsipras Neuwahlen nötig gemacht. Zuvor hatte Syriza gemeinsam mit anderen Parteien einen Gesetzentwurf durchgepaukt, der die bisher schärfsten Angriffe auf die Arbeiterklasse beinhaltete.

Im Juli unterzeichnete Syriza nach monatelangen Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) und der Europäischen Zentralbank (EZB) das dritte Sparmemorandum. Wenige Tage davor hatte die Bevölkerung im Referendum vom 5. Juli mit großer Mehrheit weitere Austeritätsprogramme abgelehnt.

Seitdem fallen Syrizas Umfragewerte in den Keller, obwohl die meisten Kürzungsmaßnahmen erst noch durchgesetzt werden müssen. Jüngste Umfragen zeigen, dass sich die konservative Neo Demokratia (ND) und Syriza schon ein Kopf an Kopf Rennen liefern.

Am Donnerstag wies ein Umfrageinstitut zum ersten Mal eine leichte Führung der ND aus: Sie lag mit 25,3 Prozent vor Syriza mit 25 Prozent.

Bevor Alexis Tsipras den neuen EU-Austeritätsmaßnahmen zustimmte und damit sein Versprechen brach, er werde sämtliche Kürzungsprogramme aufkündigen, hatte er in allen Umfragen meilenweit vorne gelegen. Noch Mitte Juni hatte Syriza fast fünfzig Prozent erreicht, das war mehr als doppelt so viel wie die ND.

Meinungsumfragen unterliegen natürlich vielfachen Einflüssen, und die Umfragen zeigen bisher Ergebnisse, die keiner Partei die Möglichkeit zur Regierungsbildung verschaffen. Klar ist jedoch, dass die Unzufriedenheit mit Syriza ständig wächst. Unabhängig vom Wahlergebnis wird die politische Lage zwangsläufig immer instabiler.

Die rechte Tageszeitung Kathimerini zitierte einen "hohen EU-Diplomaten" mit den Worten, eine weitere Wahl nach dem September wäre eine "absolute Katastrophe". Er fügte hinzu: "Der Staatshaushalt ist schon außer Kontrolle. Die EU hat im Juli beschlossen, Griechenland in der Eurozone zu halten, aber seine Zukunft steht nach wie vor auf der Kippe. Langsam stirbt seine Wirtschaft. Politische Stabilität wäre das Mindeste."

Unter jenen Schichten der griechischen Gesellschaft, die bisher Syriza unterstützten und Illusionen in sie hegten, wächst die Unzufriedenheit. Die Guardian-Journalistin Helena Smith sprach in Athen mit zwei Studentinnen. Eine Zwanzigjährige, die kurz vor ihrem Abschluss steht, sagte Smith: "Wir haben wirklich gedacht, unser bisher jüngster Ministerpräsident Alexis Tsipras werde sich für unser Land einsetzen. Er tat es nicht."

Ihre Freundin (21), ebenfalls im Abschlussjahr, sagte der Journalistin: "Offenbar stand Griechenland vor dem Bankrott, und dann kam Tsipras, als Hoffnungsträger. Ich habe für ihn gestimmt, und war sehr glücklich darüber." Dann sagte sie: "Er hat so viel versprochen. Er hätte besser geschwiegen. Am Ende machte er genau das, wovon er sagte, er würde es niemals tun. Natürlich bin ich enttäuscht."

Reuters zitiert einen 72-jährigen Rentner mit den Worten: "Er [Tsipras] versprach uns, er werde die Rente nicht anrühren, und werde bessere Bailout-Bedingungen aushandeln. Überhaupt nichts hat er verbessert. Durch ihn sind wir heute noch schlimmer dran, und die griechische Bevölkerung leidet noch mehr."

Als Tsipras Neuwahlen ausrief, verließ die Linke Plattform die Partei, die sie bis dahin an der Macht gehalten hatte. Die Linke Plattform ist ein Bündnis verschiedener pseudolinker Kräfte, die bis zum August innerhalb der Syriza-Regierung arbeitete.

In der Voraussicht, dass Syrizas Verrat zu einem gewaltigen Rückschlag führen werde, haben diese Kräfte die Gruppe Volkseinheit [1] gegründet. Ihre wichtigste Funktion besteht darin, zu verhindern, dass die Arbeiterklasse Lehren aus der Rolle Syrizas als Stütze der bürgerlichen Herrschaft zieht und eine unabhängige Arbeiterbewegung gegen alle Syriza-Fraktionen aufbaut.

Die Linke Plattform stellte einen beträchtlichen Teil der Syriza-Führungsmitglieder. Sie spielte einen wichtigen Part beim Verrat dieser Partei. Stathis Kouvelaki, eine Führungsfigur in der neuen Volkseinheit, schrieb diese Woche auf Facebook, die meisten Zentralkomitee-Mitglieder, die auf dem Kongress von 2013 gewählt worden waren, seien zurückgetreten. Er fügte hinzu: "Die meisten von ihnen sind ganz aus der Partei ausgetreten ... und die größte Gruppe ist der Volkseinheit entweder beigetreten oder unterstützt sie."

Diese Woche sind weitere hochrangige Syriza-Politiker zur Volkseinheit umgeschwenkt, darunter Zoe Konstantopoulou, die frühere Parlamentssprecherin, und Nadia Valavani, die ehemalige Finanzstaatsekretärin. Wie viele andere Syriza-Kader war Valavani früher auch Mitglied der stalinistischen Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) [2].

Konstantopoulou sagte, sie werde bei der Wahl als Unabhängige kandidieren und, falls sie gewählt werde, die Volkseinheit unterstützen. Umfragen lassen erwarten, dass die Volkseinheit die Dreiprozenthürde überspringt und ins Parlament einziehen wird. Eine Umfrage gibt ihr sogar acht Prozent.

Selbst der Redenschreiber und Berater von Tsipras, Theodoros Kollias, ist zur Volkseinheit übergelaufen.

Die Krise von Syriza verschärfte sich am Dienstag, als ihre Jugendorganisation sich spaltete und erklärte, sie werde die Mutterpartei bei der Wahl nicht unterstützen.

In den Wochen vor der Wahl versuchen Syriza und andere bürgerliche Parteien neue Allianzen zu zementieren. In einigen Fällen sind das verzweifelte Versuche, die letzten Reste an Unterstützung und Einfluss zu erhalten.

Nach der Wahl könnten bis zu neun Parteien im Parlament sitzen. Mehrere Umfragen zeigen, dass die faschistische Goldene Morgenröte, die sich seit langem als Anti-Austeritäts-Partei inszeniert, von Syrizas Verrat profitieren konnte und mit etwa sechs Prozent der Stimmen drittstärkste Kraft werden könnte. An nächster Stelle kommt die KKE mit etwa fünf Prozent. Für die sozialdemokratische Pro-Austeritäts-Partei Pasok und die To Potami (der Fluss) werden etwa vier Prozent vorhergesagt.

In den meisten Umfragen erhält die fremdenfeindliche Rechtspartei Unabhängige Griechen (Anel), Syrizas ehemaliger Koalitionspartner, nicht genug Stimmen, um ins Parlament einzuziehen. Syriza und Anel haben erklärt, sie würden in einer künftigen Koalition wieder zusammen arbeiten.

Während Tsipras zynisch erklärte, Syriza lehne die Beteiligung an einer Regierung mit ND und Pasok ab, die er als die "Parteien des alten Establishments" bezeichnete, schlossen andere Syriza-Funktionäre eine solche Koalition nicht aus.

Der Nea Dimokratia-Vorsitzende Evangelos Meimarakis erklärte letzten Sonntag in einem Interview mit Proto Thema, er schließe eine künftige Koalition mit Syriza im Rahmen einer "Allparteienregierung" nicht aus. Er erklärte zwar, sein Ziel sei es, stärkste Partei zu werden, fügte aber hinzu: "Sobald wir stärkste Kraft werden, kann es eine breitere Zusammenarbeit von politischen Kräften der europäischen Front für eine Regierung für vier Jahre geben, deren Grundlage ein nationaler Plan zum Wiederaufbau der Wirtschaft und der Gesellschaft ist."

Andere Pro-Austeritäts-Parteien, darunter Pasok und die Demokratische Linke (eine rechte Abspaltung von Syriza), die vor kurzem ein gemeinsames Wahlbündnis angekündigt haben, könnten ebenfalls Teil einer solchen Gruppierung sein. Nach der Spaltung mit Syriza im Jahr 2010 beteiligte sich die Demokratische Linke nur zwei Jahre später an einer ND- und Pasok-Regierung, die im Auftrag der EU brutale Sparmaßnahmen durchsetzte.

Diese Wahl ist ein Versuch der herrschenden Klasse, eine Parlamentsdiktatur zu errichten, um der Bevölkerung den Sparkurs aufzuzwingen. Die Zeitung Kathimerini schrieb am Mittwoch in einem Leitartikel: "Egal welche Regierung entsteht, und egal in welcher Form, sie wird die Aufgabe haben, das dritte Rettungspaket durchzusetzen, das vom Parlament mit der Mehrheit von Syriza, Nea Dimokratia und Pasok verabschiedet wurde."


Anmerkungen:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2015/08/27/syri-a27.html
[2] http://www.wsws.org/de/articles/2015/09/01/grie-s01.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 05.09.2015
In Griechenland wächst die Unzufriedenheit mit Syriza
http://www.wsws.org/de/articles/2015/09/05/grie-s05.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2015

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