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GLEICHHEIT/5782: Politik und Medien fordern Staatsaufrüstung


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Politik und Medien fordern Staatsaufrüstung

Von Dietmar Henning
12. Januar 2016


Die Bundesregierung lässt keine Zeit verstreichen. Sie benutzt die Ereignisse der Silvesternacht in Köln, um den Staatsapparat aufzurüsten und ihre Politik gegen Flüchtlinge zu verschärfen.

Der Bundesvorstand der CDU unter dem Vorsitz von Kanzlerin Angela Merkel beschloss dazu auf seiner Klausurtagung am Freitag und Samstag eine "Mainzer Erklärung", in der die CDU ihre künftigen Vorhaben ankündigt.

Straffällige Asylberechtigte, Asylsuchende und Flüchtlinge sollen danach leichter abgeschoben werden können - "künftig bereits dann, wenn sie rechtskräftig wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe auch unter Bewährung verurteilt wurden". Bislang ist eine Ausweisung von Flüchtlingen und Asylbewerbern erst nach der rechtskräftigen Verurteilung zu einer Haftstrafe von mindestens zwei Jahren möglich.

Insgesamt will die CDU "die Hürden für die Ausweisung und Abschiebung straffälliger Ausländer absenken" sowie "insbesondere abgelehnte Asylbewerber zügig zurückführen". Gleichzeitig sollen die Außengrenzen abgeschottet und "Abschiebehindernisse klarer formuliert" werden, "um Missbrauch auszuschließen".

Zudem sollen Flüchtlinge "fair" auf andere europäische Länder verteilt und "Fluchtursachen durch Hilfen für Transit- und Herkunftsländer" bekämpft werden. So werde es gelingen, "die Zahl der Flüchtlinge spürbar zu reduzieren". Die meisten europäischen Länder lehnen eine solche Verteilung von Flüchtlingen ab. Unter "Bekämpfung von Fluchtursachen" versteht die Bundesregierung die Festsetzung von Flüchtlingen in sogenannten "Hotspots" in Griechenland oder Italien sowie die enge Zusammenarbeit mit der autoritären türkischen Regierung, damit diese die Grenzen abriegelt.

Kanzlerin Merkel versicherte am Samstag: "Mit Hochdruck und Nachdruck arbeiten wir an einer nachhaltigen Reduzierung." CDU und CSU dringen auch auf eine Verabschiedung des sogenannten Asylpakets II [1], das für eine große Gruppe von Flüchtlingen die Abschaffung des grundgesetzlich verbrieften Rechts auf Asyl bedeutet und so ebenfalls Abschiebungen erleichtert.

Gleichzeitig soll die Polizei gestärkt werden. "Zum Zwecke der Gefahrenprävention" soll sie in die Lage versetzt werden, "verdachtsunabhängige Personenkontrollen ('Schleierfahndung') durchzuführen", heißt es in der Mainzer Erklärung.

Im "Umfeld von Bahnhöfen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln" sollen verstärkt Videokameras eingesetzt werden. Kameras könnten aber Polizisten vor Ort nicht ersetzen, heißt es in der Erklärung weiter. "Unsere Polizei muss an Brennpunkten präsenter sein und im Ernstfall sofort eingreifen können." Zu diesem Zweck soll die Polizei personell aufgestockt werden. Die CDU will dafür auf die zuständigen Länder einwirken. Die Bundestagsfraktion der SPD hat bereits zuvor bundesweit 12.000 neue Stellen für Polizisten gefordert.

Die Polizisten sollen durch einen "neuen Straftatbestand gegen körperliche Übergriffe und eine deutlich höhere Freiheitsstrafe bei solchen gewalttätigen Angriffen" geschützt werden.

Die Mainzer Erklärung stellt stolz die bisherige Ausweitung der Befugnisse der Geheimdienste dar, um eine weitere anzukündigen. "Extremisten" kann nicht nur der Pass, sondern auch der Personalausweis entzogen werden, um sie an einer Ausreise zu hindern. Personen, die im Ausland für eine Terrormiliz kämpfen und neben der deutschen eine weitere Staatsbürgerschaft besitzen, soll zukünftig die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden können.

Die Kommunikationsdaten aus der kürzlich wieder eingeführten "Vorratsdatenspeicherung" sollen demnächst auch Verfassungsschutzbehörden zugänglich sein. Die Inlandsgeheimdienste erhalten auch die Befugnis zur sogenannten "Online-Durchsuchung". Darüber hinaus setzt sich die CDU "mit Nachdruck" für die Überwachung auch verschlüsselter Kommunikation ein.

Die Sicherheitsbehörden des Bundes werden "in beispiellosem Maße gestärkt", heißt es in der Erklärung: "Insgesamt erhalten sie rund 4.000 Stellen zusätzlich, ihre Ausrüstung wird erheblich verbessert." Stolz wird auf die neue Sondereinsatztruppe BFE+ [2] verwiesen. Auch der Anfang Dezember des letzten Jahres vom Innenausschuss des EU-Parlaments beschlossene Austausch von Fluggastdaten soll rasch umgesetzt werden.

Die SPD sowie die beiden Oppositionsparteien Linke und Grüne stimmen grundsätzlich mit dieser Staatsaufrüstung überein. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, er werde in Kürze Vorschläge dazu vorlegen. Mit Justizminister Heiko Maas (SPD) sei er bereits "in guten Gesprächen darüber, welche Konsequenzen zu ziehen sind und zwar schnell".

SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel meldete sich am Freitag aus Kuba zu Wort, wo er in seiner Eigenschaft als Bundeswirtschaftsminister weilte. Er forderte im Gespräch mit der Bild-Zeitung straffällige Flüchtlinge schneller auszuweisen. Sie sollten ihre "Haft im Heimatland" verbüßen. "Warum sollen deutsche Steuerzahler ausländischen Kriminellen die Haftzeit bezahlen?" fragte er.

Zur Aufrüstung der Polizei hatte Grünen-Parteichef Cem Özdemir der Welt bereits am Donnerstag gesagt: "Dass mehr Personal, auch mit Migrationshintergrund, notwendig ist, drängt sich auf."

Ganz ähnlich forderte die Bundestagsfraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, die Polizei müsse über die notwendigen technischen Möglichkeiten und ausreichend Personal verfügen, das den Migrationshintergrund der Bevölkerung widerspiegele. Sollte es sich bei den Tätern um Menschen handeln, die keine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland haben, sollten sie auch abgeschoben werden dürfen, sagte die Grüne.

Ebenfalls am Donnerstag erklärte der Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, in einer Mitteilung: "Massiver Personalabbau im Öffentlichen Dienst ... destabilisiert das Land." Es gehe nicht, so Riexinger, dass "auf Kosten der Funktionsfähigkeit des Staates" gespart werde. Er bemängelte, dass "in den vergangenen Jahren 16.000 Polizei-Stellen entfallen sind oder abgebaut wurden". "Nicht zuletzt die Ereignisse von Köln in der Silvesternacht zeugen von einem Kaputtsparen der Haushalte bis an die Grenze zum Staatsversagen."

Die von Parteien, Polizei und Medien immer weiter getriebene Hetze ist Wasser auf die Mühlen der Neonazis und Rassisten. Am Samstag versammelten sich etwa 1700 Pegida-Anhänger in Köln. Weil sie den Hitlergruß zeigten und wiederholt Polizisten und Pressevertreter mit Feuerwerkskörpern und Flaschen angriffen, setzte die Polizei Wasserwerfer ein und löste die Versammlung auf.

Weil sich auch eine Gegendemonstration mit etwas weniger Teilnehmern sowie eine Demonstration von Frauengruppen gegen gewaltsame Übergriffe angekündigt hatten, rückte die Polizei mit einem Großaufgebot an. Rund 1700 Landespolizisten sowie mehrere Hundertschaften der Bundespolizei standen den Demonstranten gegenüber.

Am Samstag schrieben wir [3]: "Die Ereignisse in Köln sind der Vorwand und nicht der Grund für die Forderung nach staatlicher Aufrüstung." Wir verwiesen unter anderem auf einen Artikel in der Zeit vom vergangenen Jahr, der zu einem "starken Staat" [4] aufgerufen hatte.

Jetzt hat der Autor dieses Artikels, der stellvertretende Ressortleiter Politik Heinrich Wefing, seiner Forderung Nachdruck verliehen. Gegen "Gewalt und Frauenverachtung" in "migrantischen Milieus" helfe nur konsequente Strafverfolgung durch eine gut ausgestattete Polizei, schreibt er. "Wir brauchen einen starken Staat."

Der Ruf nach Staatsaufrüstung richtet sich unmittelbar gegen Migranten und Flüchtlinge. Er ist jedoch untrennbar mit der Rückkehr Deutschlands zum Militarismus und einer aggressiven Außenpolitik verbunden. Die Kriegseinsätze in Afghanistan, Syrien und Mali provozieren ebenso wie die wachsende soziale Ungleichheit massiven Widerstand. Dagegen richtet sich die Staatsaufrüstung.


Anmerkungen:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2015/11/07/asyl-n07.html
[2] http://www.wsws.org/de/articles/2015/12/23/bupo-d23.html
[3] http://www.wsws.org/de/articles/2016/01/09/koel-j09.html
[4] http://www.wsws.org/de/articles/2015/12/24/zeit-d24.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 12.01.2016
Politik und Medien fordern Staatsaufrüstung
http://www.wsws.org/de/articles/2016/01/12/koel-j12.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2016

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