Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


GLEICHHEIT/6443: Junckers Rede zur Lage der EU - Europa bereitet sich auf Krieg mit der ganzen Welt vor


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Junckers Rede zur Lage der EU: Europa bereitet sich auf Krieg mit der ganzen Welt vor

Von Alex Lantier
15. September 2017


Am Mittwoch skizzierte der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der EU einen aggressiven militärischen und wirtschaftlichen Kurs für die EU nach dem Brexit.

Die Europäische Kommission ist für die Spar- und Polizeistaatsmaßnahmen der EU verantwortlich und unter Arbeitern zu Recht verhasst. Obwohl Juncker in seiner Rede immer wieder "europäische Werte" als Grundlage seiner Politik anführte, verbirgt sich hinter diesen hohlen und irreführenden Phrasen eine eindeutige Botschaft: angesichts des Zusammenbruchs der langjährigen Verbündeten der EU, vor allem Washingtons und Londons, muss sie sich auf einen globalen Handelskrieg vorbereiten und eine von den USA unabhängige Militärpolitik verfolgen.

Zu Beginn seiner Rede gratulierte Juncker der EU dafür, dass fast zehn Jahre nach dem Wall-Street-Crash von 2008 ein seit fünf Jahren andauernder Wirschaftsaufschwung "endlich in jedem Mitgliedstaat ankommt". Von diesem sogenannten Aufschwung haben jedoch überwiegend die reichsten Schichten der Gesellschaft profitiert. Juncker hob den Aufschwung zwar hervor, schlug aber dennoch einen besorgten Ton an: "Europa hat wieder Wind in den Segeln. Uns öffnet sich jetzt ein Fenster der Möglichkeit. Aber es wird nicht ewig offenbleiben. Lassen Sie uns das Meiste aus diesem Schwung herausholen, lassen Sie uns den Wind in unseren Segeln nutzen."

Juncker erwähnte die Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und Japan, sowie Pläne für ähnliche Abkommen mit Mexiko, Südamerika und Neuseeland. Dabei machte er deutlich, dass die EU gleichzeitig wirtschaftliche Maßnahmen gegen Europas Handelspartner und eine umfangreiche militärische Aufrüstung plant.

Juncker erklärte: "Lassen Sie es mich ein für alle Mal sagen: Wir sind keine naiven Freihändler. [...] Deshalb schlagen wir heute einen neuen Europäischen Rahmen zur Überprüfung von Investitionen vor, ein ,Investment Screening', wie es so schön auf Englisch heißt. Wenn ein ausländisches Staatsunternehmen die Absicht hat, einen europäischen Hafen, einen Teil unserer Energie-Infrastruktur oder ein Unternehmen im Bereich der Verteidigungstechnologie zu übernehmen, dann sollte dies in aller Transparenz sowie nach eingehender Prüfung und Debatte geschehen. Es ist eine Frage der politischen Verantwortung, dass wir wissen, was vor unserer eigenen Haustür passiert, so dass wir unsere kollektive Sicherheit schützen können, wenn es sein muss."

Es ist jetzt ein Jahr her, dass die Gespräche über das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU an Einsprüchen von Deutschland und Frankreich scheiterten. In seiner Rede vom Mittwoch erwähnte Juncker die USA weder als wichtigen Handelspartner noch als ein Land, mit dem die EU ein Freihandelsabkommen anstrebt.

Drei Jahre nachdem Berlin die Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik angekündigt hat, forderte Juncker, den Aufbau einer EU-Armee zu forcieren.

Juncker erklärte: "Die Europäische Union muss sich auch um mehr Gewicht auf der Weltbühne bemühen. Um mehr Gewicht zu erlangen, muss sie außenpolitische Beschlüsse schneller fassen können. Deshalb bitte ich die Mitgliedstaaten zu prüfen, welche außenpolitischen Beschlüsse nicht mehr einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden könnten. [...] Im Verteidigungsbereich sind weitere Anstrengungen vonnöten. Die Schaffung eines europäischen Verteidigungsfonds steht auf der Tagesordnung; die Permanente Strukturierte Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich ist auf gutem Weg. Bis 2025 brauchen wir eine funktionierende Europäische Verteidigungsunion. Wir brauchen sie. Und die NATO hätte sie gerne."

Junckers Behauptung, die Nato, eingeschlossen Washington und London, wollten den Aufbau einer Europäischen Verteidigungsunion, ist nur ein Versuch, die rapide wachsenden amerikanisch-europäischen Konflikte herunterzuspielen.

Angesichts der weltweit eskalierenden Kriegsentwicklung verschärfen sich auch die militärischen Spannungen zwischen Washington und der EU und vor allem zur Achse Berlin-Paris in alarmierender Geschwindigkeit. Washington hat Europa in den letzten Jahren mehrfach dazu gedrängt, seine Militärausgaben zu erhöhen, um von den europäischen Staaten zusätzliche Hilfe bei seinen eigenen Kriegen zu erhalten. Solange Großbritannien in der EU war, hat Washington darauf gesetzt, dass London sein Veto gegen Pläne für eine EU-Armee einlegt. Doch nach Großbritanniens Austritt aus der EU haben Deutschland und Frankreich ihre Pläne für eine aggressive und von den USA unabhängige EU-Militärpolitik innerhalb kürzester Zeit wieder hervorgeholt.

Mit der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie 1991 verloren die europäischen imperialistischen Mächte und die USA ihren gemeinsamen Feind. Ein Vierteljahrhundert später bringen die Spannungen zwischen den wichtigsten Nato-Mächten das Bündnis an den Rand des Zusammenbruchs. Die Grundlagen des transatlantischen Bündnisses wurden zerstört. Donald Trump hat seit seinem Wahlsieg mehrfach angedeutet, seine Regierung könnte Strafzölle auf europäische Auto- und Stahlexporte erheben. Ein solcher Schritt würde einen offenen Handelskrieg zwischen der EU und den USA auslösen.

Diese wirtschaftlichen Spannungen sind ein Ausdruck brisanter strategischer Konflikte, die sich innerhalb der Nato anbahnen, während die Konfrontation der USA mit Russland und China die Welt an den Rand eines offenen Krieges treibt. Trumps Kriegsdrohungen gegen Nordkorea waren auch Thema des gestrigen Treffens der EU-Außenminister. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass die europäischen Mächte Washington in einem Krieg unterstützen würden, der sich zu einem direkten Krieg gegen China ausweiten könnte.

Bezeichnenderweise erwähnte Juncker Russland in seiner Rede nicht, gegen das die Nato in Osteuropa seit dem Putsch in Kiew 2014 unablässig aufrüstet. Berlin und Paris hatten dann 2015 interveniert, um die USA daran zu hindern, rechtsextreme Milizen in der Ukraine gegen russischsprachige Kräfte im Osten des Landes zu bewaffnen. Angesichts der Drohung der Trump-Regierung, das ukrainische Regime zu bewaffnen, erreichen diese Konflikte erneut ein gefährliches Niveau.

Die internationale Arbeiterklasse ist allerdings die einzige Kraft, die den Kriegskurs aufhalten kann. Die EU entwickelt sich derweil zum Werkzeug für eine brutale und konkurrenzfähige Interessenvertretung der europäischen imperialistischen Mächte, und könnte damit neue und noch blutigere Konflikte auslösen.

Dass die EU keine Friedenspolitik betreibt, zeigt ihre Unterstützung für Kriege in Libyen und Syrien und ihre rücksichtslose Durchsetzung von Polizeistaatsmaßnahmen im Inland, u.a. des Ausnahmezustands in Frankreich. Sie repräsentiert die Interessen eines Blocks imperialistischer Mächte, die mit Washington in Konkurrenz treten. Den Aufbau ihrer eigenen Kriegsmaschinerie sollen die europäischen Arbeiter bezahlen. Juncker sprach in weiten Teilen seiner Rede über eine ganze Reihe von Staaten, die mit der EU in Konflikt geraten sind.

Als Reaktion auf das brutale Vorgehen des türkischen Regimes gegen innenpolitische Opposition nach einem gescheiterten Putschversuch im letzten Jahr, der von den USA und Deutschland unterstützt wurde, schloss Juncker einen EU-Beitritt der Türkei aus. Er erklärte: "Bei allen Beitrittsländern haben Rechtsstaatlichkeit, Justiz und Grundwerte oberste Priorität. Das schließt eine EU-Mitgliedschaft der Türkei in absehbarer Zukunft aus. Die Türkei entfernt sich seit geraumer Zeit mit Riesenschritten von der Europäischen Union."

Juncker richtete auch eine strenge Warnung an Großbritannien. Als Reaktion auf den Jubel der britischen UK Independence Party, die den Brexit unterstützt hatte, drohte er, Großbritannien werde diesen Schritt "bald bereuen".

Junckers Forderung nach der Überwachung ausländischer Investitionen in Europa und des Aufkaufs europäischer Häfen durch andere Staaten war eine versteckte Drohung gegen China, das in großem Stil in europäische Unternehmen investiert und eine Aktienmehrheit am Hafen von Piräus bei Athen erworben hat.

Und obwohl Juncker mit seiner Rede versucht, einen Kurs unter der Führung von Berlin und Paris zu entwerfen, bestehen seit dem Wahlsieg des französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Mai und der deutschen Bundestagswahl am 24. September auch innerhalb der EU selbst tiefe Spaltungen.

Macron hatte letzte Woche bei einem Besuch in Athen eine deutliche Umgestaltung der EU-Institutionen gefordert, u.a. die Schaffung eines gemeinsamen Parlaments und eines Etats der Eurozone. Er forderte außerdem einen Schuldenerlass für Griechenland und die Ausweisung des Internationalen Währungsfonds (IWF) vom griechischen Schuldenprogramm. Berlin hat diesen Schritt lange Zeit abgelehnt.

Junckers Rede war eine gezielte Abfuhr an Macron und dessen Vorschläge. Stattdessen forderte er ein europäisches Finanzministerium und die Gründung eines Europäischen Währungsfonds als Ersatz für den Washingtoner IWF. Die französische Tageszeitung Le Monde erklärte dazu, Juncker bereite "den Kompromiss vor, der aus den Verhandlungen über die Zukunft der Eurozone hervorgehen könnte. Er könnte bereits im Herbst beginnen und sich zu einem Duell zwischen Macron und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel entwickeln, die aller Wahrscheinlichkeit nach eine vierte Amtszeit gewinnen wird."

*

Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: sgp[at]gleichheit.de

Copyright 2017 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten

*

Quelle:
World Socialist Web Site, 15.09.2017
Junckers Rede zur Lage der EU: Europa bereitet sich auf Krieg mit der ganzen Welt vor
http://www.wsws.org/de/articles/2017/09/15/junk-s15.html
Vierte Internationale (SGP)
Postfach 040 144, 10061 Berlin
Telefon: (030) 30 87 27 86, Telefax: (032) 121 31 85 83
E-Mail: sgp[at]gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang