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GRASWURZELREVOLUTION/1181: Interview - Umsteigen auf Ökostrom


graswurzelrevolution 359, Mai 2011
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Umsteigen auf Ökostrom

Martin Baxmeyer im Gespräch mit Kerstin Ramsauer, Mitarbeiterin der Verbraucherzentrale NRW


Ein Ausstieg aus der Atomenergie wird nur durch lang anhaltenden, öffentlichen Druck zu erreichen sein. Aber auch im Privatleben bieten sich Möglichkeiten, einer Wende in der Energiepolitik zuzuarbeiten. Martin Baxmeyer sprach für die Graswurzelrevolution mit Kerstin Ramsauer, Mitarbeiterin der Verbraucherzentrale (VZ) Nordrhein-Westfalen, über Möglichkeiten und Grenzen, durch einen Wandel des Verbraucherverhaltens den Atomausstieg zu beschleunigen, und über die gegenwärtige Situation regenerativer Energien auf dem Markt.


GRASWURZELREVOLUTION: Frau Ramsauer, was hat sich seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima für die Arbeit der Verbraucherzentralen geändert?

KERSTIN RAMSAUER: Nach Japan kommen viele Bürgerinnen und Bürger in die Beratungsstellen mit dem Ziel, auf Ökostrom umzusteigen. Vor Japan sind punktuell auch schon Anfragen dazu gekommen, aber jetzt, nach der Katastrophe, wird die Flut spürbar größer.
Die Leute haben das Bedürfnis, tatsächlich zu wechseln, und kommen mit den Fragen: "Was ist Ökostrom? Bewirke ich damit wirklich etwas? Was steckt eigentlich dahinter?"
Sie wollen sichergehen, dass sie auch wirklich Ökostrom bekommen, wenn sie wechseln. Der Begriff "Ökostrom" ist ja zunächst einmal nicht geschützt. Viele Anbieter werben mit Öko-Strom. Aber die Verbraucherzentrale hat ganz klare Kriterien, was als Ökostrom gelten darf und was nicht.
Um in dieser Situation eine Orientierung für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu bieten, haben das Öko-Institut v.V., WWF Deutschland und die Verbraucherzentrale NRW einen gemeinsamen Trägerverein gegründet, den EnergieVision e.V., der das Gütesiegel "ok-power" erarbeitet hat und der qualifizierte Ökostromprodukte mit diesem Gütesiegel zertifiziert. Ein zusätzlicher Nutzen für die Umwelt entsteht nur dann, wenn Ökostrom konventionell erzeugten Strom vom Markt verdrängt. Dafür müssen die Anbieter die Stromerzeugung aus Wasser, Sonne, Wind und Co vorantreiben - und zwar über die Förderwirkung des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) oder vergleichbarer Instrumente im Ausland hinaus.

GRASWURZELREVOLUTION: Welches sind die Kriterien?

KERSTIN RAMSAUER: Um das ok-power-Gütesiegel zu erhalten, werden die Öko-Stromprodukte in einem Zertifizierungsverfahren von unabhängigen Gutachtern überprüft. Dafür gibt es das sogenannte Händlermodell und das Fonds- und Zuschussmodell. Beim Händlermodell sieht es so aus, dass die Versorger Strom aus regenerativen Energiequellen kaufen oder selber gewinnen. Maßgebend ist hierbei nicht der physikalische Stromfluss, sondern die vertragliche Lieferung von Öko-Strom.
Mindestens ein Drittel dieser Energie beziehungsweise der sie produzierenden Anlagen darf nicht älter als sechs Jahre sein. Weil diese Bedingungen jedes Jahr neu erfüllt werden müssen, wird daraus ein erheblicher Druck in den Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien erzeugt.
Die Kriterien für das Fonds- und Zuschussmodell besagen, dass der Mehrpreis, den man für Ökostrom zahlt, in den Bau neuer regenerativer Anlagen fließen muss - also Wind, Sonne, Wasser oder Biomasse. Es genügt nicht, einfach nur Strom aus regenerativen Energiequellen zu kaufen. Es müssen auch Impulse für den Bau neuer Anlagen gegeben werden.

GRASWURZELREVOLUTION: Nun könnte es ja sein, dass ein Zertifikat für Ökostrom auch für die großen Energieanbieter eine lukrative Möglichkeit ist, sich auf dem Markt zu präsentieren? Ist dem so?

KERSTIN RAMSAUER: Das ok-Power-Gütesiegel zeichnet ähnlich wie beim Bio-Siegel Produkte aus und keine Anbieter oder Händler. Der Ökostrom-Kunde kann analog zum Bio-Siegel-Beispiel selbst entscheiden, ob er beim Discounter, beim Marktführer oder beim regionalen Anbieter kauft.
Für eine umfangreiche Wende in der Energiewirtschaft ist es wichtig, dass sich möglichst viele Marktteilnehmer - vom neuen, unabhängigen Anbieter bis hin zur etablierten Energiewirtschaft - den erneuerbaren Energien zuwenden und deren Ausbau fördern.
Wenn Strom zum Beispiel allein aus bestehenden Wasserkraftanlagen stammt und nur auf dem Papier einem Verbraucher zugeordnet wird, hat das mit Ökostrom nur wenig zu tun. Zu Recht werden solche Angebote auch als "Grünstromwäsche" bezeichnet, weil die Belieferung mit Strom aus alten Wasserkraftwerken z. B. in Österreich oder Norwegen nach Deutschland zu einer "Rücklieferung" von Strom aus Kohle- oder Atomkraftwerken in diese Länder führt. Ob dieses Geschäft mit Herkunftsnachweisen (z.B. RECS-Zertifikate nach dem "European Energy Certification System") oder mit Nutzungsvereinbarungen erfolgt, spielt keine Rolle. Das RECS-Zertifikat ist zunächst nichts anderes als ein Herkunftszertifikat.
Mit Attributen wie "Ökostrom", "Klimastrom", "100 Prozent Erneuerbare" oder "100 Prozent Wasserkraft" locken Stromanbieter wechselwillige Kunden zum "grünen Strom".
Doch nicht alle Ökostromtarife halten, was sie versprechen. Strenge Maßstäbe legen die Siegel ok-power, das Grüner-Strom-Label gold und die Liste EcoTopTen des Öko-Instituts Freiburg an.
Wir unterstützen in erster Linie die Verbraucherinnen und Verbraucher, die wechseln wollen und wissen möchten, worauf sie sich einlassen.

GRASWURZELREVOLUTION: Wie groß ist bis jetzt der Anteil von Öko-Strom im Netz?

KERSTIN RAMSAUER: Auf dem deutschen Strommarkt nimmt der Anteil des zertifizierten Ökostroms kontinuierlich zu. Allein über das ok-power-Label wurden 2009 knapp 3,3 Milliarden kWh Ökostrom vermarktet und an über 980.000 Haushalte geliefert.
Es ist zurzeit im EEG festgelegt, dass jede sechste Kilowattstunde Strom im allgemeinen Strommix aus regenerativen Energien stammen muss. Das sind ungefähr 17 bis 18%. Wir wollen mehr. Es sind eben nur 18% und nicht 100%.

GRASWURZELREVOLUTION: Wie groß Ist Ihrer Ansicht nach die Chance, durch eine Änderung des Verbraucherverhaltens den Atomausstieg zu beschleunigen?

KERSTIN RAMSAUER: Nun, bei uns meldet sich nur ein geringer Teil der Interessierten. Wir merken aber eine deutliche Steigerung und es gibt viele Bürgerinnen und Bürger, die sich in Eigeninitiative informieren und umsteigen. Aber ich denke schon, dass auch die größeren Anbieter merken, dass die Leute nach Ökostrom fragen und definitiv die Anbieter wechseln.
Zumal es nicht unbedingt nur ine Preisfrage ist. Selbst in unserem Sinne gesiegelter Ökostrom ist nicht notwendig teurer als der Strom der Grundversorger, also der herkömmliche, konventionelle Strom. Um sich da einen Überblick zu verschaffen, gibt es sogenannte Tarifrechner. Z.B.: www.vz-nrw.de/oekostrom. Hier kann man die Postleitzahl und den durchschnittlichen Kilowattverbrauch eingeben und der Tarifrechner zeigt an, welcher Stromanbieter zu welchem Preis Ökostrom anbietet.
Da wird schnell klar, dass Ökostrom nicht per se teurer ist. Eine Vorauskasse ist allerdings nicht zu empfehlen. Aber von der raten wir generell ab, bei jedem Wechsel des Anbieters: Angebote, bei denen man das erste Jahr im Voraus bezahlen soll.

GRASWURZELREVOLUTION: Ist das üblich?

KERSTIN RAMSAUER: Durchaus. Angebote mit Vorauskasse sind häufig billiger. Doch auf diese Angebote sollten Verbraucherinnen und Verbraucher verzichten, denn es gibt auch Stromanbieter, die Pleite gehen. Aber das gilt für den Stromanbieterwechsel im Allgemeinen. Der Anbieter geht Pleite und das Geld ist weg.

GRASWURZELREVOLUTION: Volker Kauder (CDU) hat jüngst behauptet, wenn Deutschland aus der Atomenergie aussteigen würde, wäre der Lebensstandard nicht zu halten. Aber gehört zu einem Wechsel in der Energiepolitik nicht auch das sinnvolle Einsparen von Energie, die womöglich nutzlos verschwendet wird?

KERSTIN RAMSAUER: Auf jeden Fall. Die Energieeffizienz gehört unbedingt dazu. Wer zu Ökostrom wechselt, sollte sich auch weiterhin um einen möglichst effizienten Umgang mit Energie bemühen.
Im Schnitt können Privathaushalte ihren Stromverbrauch um etwa ein Fünftel reduzieren, indem sie ihr Verhalten ändern und alte, besonders energiefressende Haushaltsgeräte stilliegen. Wir führen Beratungen durch, wie man Strom besser und effizienter einsetzen kann.

GRASWURZELREVOLUTION: Zum Beispiel?

KERSTIN RAMSAUER: Elektrogeräte im Stand-by-Modus verbrauchen in Büros und Privathaushalten jährlich 22 Milliarden Kilowattstunden Strom. Den Energieverbrauch kann man leicht senken, indem man einen Zwischenstecker mit Schalter oder schaltbare Steckdosenleisten, die gleichzeitig mehrere Geräte vom Strom nehmen, einbaut.
Beim Kauf von Großgeräten sollte man nicht nur auf den Preis achten, sondern auch auf die Energieeffizienz. Eine Orientierung bietet hier das EU-Label. Es informiert über die Energieverbrauchseigenschaften von Haushaltsgeräten.
Bisher wurde die Energieeffizienz in die Klassen A bis G unterteilt, die Einordnung mit farbigen Pfeilen abgebildet. "A"-Geräte galten als besonders sparsam, bei der Klasse G war der Energieverbrauch dagegen sehr hoch. Seit dem 20. Dezember 2010 gibt es ein neues Energielabel, zunächst einmal für Waschmaschinen, Geschirrspüler und Kühlgeräte. Die Energieeffizienzklassen dieser Geräte erweitern sich aufgrund technischer Entwicklungen bis zur Kasse "A+++".
Die Verbraucherzentrale verleiht Strommessgeräte, mit denen man den Energieverbrauch der einzelnen Haushaltsgeräte überprüfen kann. Dann kann man entscheiden, ob man hier und da ein Gerät austauschen sollte. Auch in der Industrie und im öffentlichen Bereich gibt es enorme Möglichkeiten zu sparen. Zum Beispiel bei der Beleuchtung. Da könnte man generell auf LED-Leuchten umstellen.

GRASWURZELREVOLUTION: Was ist der Unterschied zwischen der vielgeschmähten Energiesparlampe und einer LED-Leuchte?

KERSTIN RAMSAUER: LED-Leuchten sind noch wesentlich energiesparender. Das Licht ist allerdings eher punktuell. Die Technik ist in manchen Bereichen noch nicht ganz ausgereift. Und zurzeit eben auch noch ziemlich teuer.

GRASWURZELREVOLUTION: Die großen Energieversorger haben sich jahrelang bemüht, regenerative Energie unlukrativ zu machen, etwa durch lächerliche Preise für die Rückspeisung von Strom aus Windrädern oder Blockheizkraftwerken in "ihr" Netz. Die Regierung Merkel hat herzlich wenig dafür getan, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Wie sieht die Situation heute aus?

KERSTIN RAMSAUER: Wichtig ist, dass Ökostrom heute die VerbraucherInnen nicht notwendig teurer kommt als konventioneller Strom. Auch ist der Preis von der Höhe des Verbrauchs abhängig. Nur beim Nachtstrom ist Ökostrom noch deutlich teurer.

GRASWURZELREVOLUTION: Was, bitte, ist Nachtstrom?

KERSTIN RAMSAUER: Manche Leute heizen mit Nachtstrom.

GRASWURZELREVOLUTION: Um Gottes Willen!

KERSTIN RAMSAUER: [Lacht] Tja. Das ist nun mal so. Für Nachtstrom bieten die Grundversorger bis jetzt noch einen wesentlich günstigeren Tarif an. Weil man unheimlich viel Strom braucht. Wenn man da ganz auf Ökostrom umsteigen würde, dann wäre das sehr teuer. Wobei Heizen mit Strom natürlich nicht empfehlenswert ist.

GRASWURZELREVOLUTION: Ich sehe im Geiste den alten Heizlüfter vor mir...

KERSTIN RAMSAUER: Man sollte dann doch einmal nachdenken, ob man nicht anders heizen könnte.


Interview: Martin Baxmeyer


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Quelle:
graswurzelrevolution, 40. Jahrgang, Nr. 359, Mai 2011, S. 13
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2011