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GRASWURZELREVOLUTION/1565: Charta von Nuit Debout Marseille


graswurzelrevolution 409, Mai 2016
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Charta von Nuit Debout Marseille


Nuit Debout (Aufstehen/wach bleiben in der Nacht) Marseille gibt es seit dem 31. März 2016 und den ersten Mobilisierungen gegen das Arbeitsreformgesetz El Khomri. In den ersten Nuits Debout entstanden Kommissionen zu vielen Themen, darunter auch eine Programmkommission, die folgende Charta von Nuit Debout Marseille erarbeitet hat, welche auf der Nuit Debout am 16. April vorgestellt und verabschiedet wurde:

"Nuit Debout" ist eine kollektive Bewegung, in der jedes Individuum seinen/ihren Platz hat und sich so einbringt, wie sie/er es wünscht. In diesem Rahmen gibt es keine Monopolisierungen, keine "Repräsentanten" oder endgültige und starr festgelegte Funktionen.

"Nuit Debout" versteht sich als eine Bewegung mit horizontalen und dezentralisierten Mitwirkungsformen.

"Nuit Debout" eröffnet einen Raum für soziale Kämpfe im besten Sinne des Wortes. Das bedeutet, dass es gegenseitigen Austausch, vielfältige sowie unterschiedliche Diskussionen und Stellungnahmen fördert. Denn nur in solch einem Raum werden Gedankengänge geschaffen, und nur mit solchen, durch eine Gemeinschaft von Personen geschaffenen Gedankengängen nehmen Hoffnungen und verrückte Projekte Form an.

In diesem Rahmen kann auch Raum frei werden für Stimmen von Individuen, die unterschiedliche und sogar gegensätzliche Vorstellungen zu den unseren haben; diese Bewegung kann vernünftigerweise niemandem das Maul stopfen unter dem Vorwand, dass seine/ihre Meinung doch stark anfechtbar erscheint.

"Nuit Debout" gibt es, weil andere Kämpfe bereits vorher existierten und gegenwärtig koexistieren. Ein Zusammenfluss all dieser Kämpfe, die sich heute gegenseitig aufeinander beziehen, ist die notwendige Bedingung für die Dauerhaftigkeit der Bewegung und der alltäglichen Kämpfe, die überall geführt werden. Darum werden alle Aktiven, ob sie schon AktivistInnen sind oder nicht, alle Widerstandsleistenden, die nicht erst auf "Nuit debout" gewartet haben, um aufzustehen, aufgefordert, in diese Bewegung einzufließen, um sie noch stärker zu machen.

Zusammen können wir alles!

"Nuit Debout" muss diese Zusammenführung mit der Aussendung einer starken Message verbinden. Es muss Assoziationen, Kollektive, ArbeiterInnen, prekär Lebende, Arbeitslose und alle Personen ansprechen, die mit der Regierung weder einverstanden sind, noch sich von ihr repräsentiert fühlen, noch das Gefühl haben, sie höre ihnen zu. Politik ist keine Angelegenheit von BerufspolitikerInnen, sie ist die Sache von allen.

"Nuit Debout" ist eine kollektive Bewegung populärer Kämpfe, die von niemandem vereinnahmt werden darf. Jede/r hat das Recht, sich frei über das auszudrücken, was ihr/ihm wichtig erscheint - aber nur in eigenem Namen. Eine persönliche Meinung kann nicht im Namen der Gesamtbewegung abgegeben werden.

Jeden Tag sind wir Tausende, die öffentliche Plätze besetzen, um uns unseren Raum in der Republik wieder zu nehmen. Vereinigt euch mit uns, entscheiden wir zusammen über unsere gemeinsame Zukunft!

Weißt du, was dort vor sich geht? Hunderte von Menschen versammeln sich auf dem Juliansplatz oder in den Stadtvierteln von Marseille und von ganz Frankreich. Und das seit dem 31. März. Es entstehen Versammlungen, in denen die Menschen diskutieren und sich austauschen. Jede/r eignet sich so seine/ihre Stimme und den öffentlichen Raum an.

Menschen mit allen möglichen Hintergründen, denen nicht zugehört wurde und die sich auch nicht repräsentiert fühlen, eignen sich wieder das Nachdenken für die Zukunft unserer Welt an. Die Politik ist keine Angelegenheit von BerufspolitikerInnen, sie ist die Angelegenheit aller. Der Mensch müsste eigentlich im Zentrum der Anliegen unserer Führungskräfte stehen. Doch die Privatinteressen haben das Gemeinwohl in den Hintergrund gedrängt.

Nuit Debout Marseille. 16.4.2016

Übersetzung aus dem Französischen für die GWR: af

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Quelle:
graswurzelrevolution, 45. Jahrgang, Nr. 409, Mai 2016, S. 18
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2016

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