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GRASWURZELREVOLUTION/980: Die Geburt des Krieges aus der Krise


graswurzelrevolution 336, Februar 2009
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Die Geburt des Krieges aus der Krise
Wir brauchen wirtschaftliche Kampforganisationen von unten

Von Torsten Bewernitz (FAU)


Krise und Krieg sind Geschwister. Das ist nichts Neues. Das bekannteste Beispiel ist die Weltwirtschaftskrise ab 1929, die über den Weg faschistischer Diktaturen direkt in den Zweiten Weltkrieg führte.


Ökonomisch gesehen basierten die faschistischen Regime Europas auf einem nationalen Radikalkeynesianismus. Auch der 'New Deal' der USA nahm seinerzeit die eigene Volkswirtschaft vor 'fremder' Wirtschaft in Schutz. Dieses Vorgehen muss nicht direkt in diktatorisch-militärische Regime führen, hat aber die Verstärkung eines standortnationalistischen Denkens zur Folge. Von dort ist der Schritt zu einem exkludierenden Nationalismus destruktiven Charakters nicht weit.

Die Konsolidierung der 'Volksökonomien' erfordert gleichzeitig auch eine verdichtete Arbeitsdisziplin, der hegemoniale Teil der Bevölkerung wird in Arbeit gebracht. Ein anderer Teil, der in die Arbeitsverhältnisse nicht zu integrieren ist, wird zu "Überzähligen" (Marx) gemacht. Der Nationalsozialismus sortierte die in der Krise überschüssige Arbeitskraft aus, indem er einen Teil der Bevölkerung - vor allem die von ihm als jüdisch definierte - stigmatisierte, aussortierte und letztlich vernichtete. Auschwitz war auch Bestandteil einer Konsolidierung der deutschen Nationalökonomie.

Obwohl die aktuelle Weltwirtschaftskrise die Krise ab 1929 quantitativ übertrifft, stehen wir heute nicht vor einer solchen Situation. Die Friedens- und Konfliktforschung hat oft genug festgestellt, dass demokratische und marktwirtschaftliche Staaten nicht dazu tendieren, gegeneinander Krieg zu führen, u.a., weil die weltmarktpolitischen Abhängigkeiten dafür zu groß sind. Im Gegenteil. sieht es z Zt. noch so aus, als hätte die Krise sogar einen friedenspolitischen Vorteil: Barack Obama ist schon aus finanziellen Gründen gezwungen, die Einsätze im Irak und Afghanistan abzuwickeln oder zumindest massiv zu reduzieren.[1]

Andererseits hatte die Krise ein erstaunliches Säbelrasseln aus Russland gegen die USA zur Folge.

Momentan ist zwar kein konkreter krisenkompensierender Krieg in Sichtweite, aber die Stimmung kann ganz schnell kippen. Schließlich ist die Krise noch nicht auf ihrem Höhepunkt angelangt - dieser wird im Laufe des Jahres 2009 erwartet.


Von der jugoslawischen Krise zu den Balkankriegen der 1890er

Ein Vergleich, der diesbezüglich näher liegt als der mit der Situation 1929 ist der Vergleich mit den Geschehnissen in Jugoslawien.[2]

1980 war Jugoslawien mit ca. 14 Milliarden Dollar im Ausland verschuldet. Im Rahmen der nachholenden industriellen Entwicklung hatte es - auch, um im Rahmen der Arbeiterselbstverwaltung den ArbeiterInnen zu ermöglichen, neue wirtschaftliche Projekte zu beginnen - seit Anfang der 1970er Jahre westliche Kredite ins Land geholt, die nun unrentabel wurden. Jugoslawien trat dem IWF bei, der 1981 den bis dato höchsten Kredit an den Staat vergab. Über den IWF verhandelte die jugoslawische Regierung mit 600 westlichen Gläubigerbanken über eine Umschuldung.

Mit dem IWF-Kredit einher gingen die üblichen Strukturanpassungsprogramme (SAP), in diesem Fall Lohnbegrenzungen, Freigabe der zuvor festgesetzten Preise, Zinserhöhungen und eine 25prozentige Abwertung des Dinars. Viele der lokalen, selbstverwalteten Betriebe gingen durch diese Maßnahmen in Konkurs, während die Banken immer mehr Dinare druckten, um der Krise Herr zu werden. Ähnliches tun die USA z. Zt. übrigens auch.

Zusammengefasst: So, wie die US-amerikanischen Banken in Immobilien investiert haben, die aufgrund der hohen Verschuldung durch Hypotheken ihren vermeintlichen Wert gar nicht hatten, so investierten - mit Hilfe einer entsprechenden Auslandsverschuldung - die jugoslawischen Banken in Betriebe, die ebenfalls den Gegenwert gar nicht liefern konnten. Die Kredite dienten dem Ausgleich betrieblicher Verluste.

Da Jugoslawien - auch und gerade aufgrund des Drucks der Bevölkerung - die wirtschaftlichen Forderungen des IWF nicht einhalten konnte, kam es 1988 zum Bruch. Bis dato hatten IWF, Weltbank und Konsorten durch ein neues Akkumulationsregime und die Reduzierung des Lebensstandards 30 Milliarden US-Dollar aus dem Land gepresst. Mit dem Bruch setzte sich nach einem internen Machtkampf der ehemalige Direktor der Belgrader Bank an die Spitze des ZK des BKJ: Slobodan Milosevic.

1989 unternahm die neue Regierung unter Ministerpräsident Ante Markovic einen letzten Versuch, 19 Milliarden Dollar durch den IWF umschulden zu lassen. Die Strukturanpassungsprogramme scheiterten ein weiteres Mal an einer großen Streikbewegung. Stattdessen wurden weiter Dinare gedruckt, um unrentable Betriebe zu finanzieren. Die Inflation lag nun bei 2.000 Prozent.

Die Belgrader Regierung führte daher im Januar 1990 einen neuen Dinar ein, der überbewertet wurde. Diese Überbewertung führte zu einem Zusammenbruch des Exports. Schnell standen weitere Industriebetriebe vor dem Konkurs und erhielten keine Kredite mehr.

Serbien führte 1989 Steuern auf slowenische und kroatische Produkte ein, um die eigene Wirtschaft zu konsolidieren. Kroatien fing an, serbische Ferienhäuser an der Adria mit Sonderabgaben zu belasten, und Slowenien stellte die Zahlungen an den Entwicklungsfond für die 'unterentwickelten' Gebiete (Kosovo, Mazedonien, Montenegro) ein. Die Zahlungen des reichen Sloweniens machten 40 Prozent dieses Ausgleichsfonds aus. Der jugoslawische Wirtschaftsraum wurde praktisch unter den Republiken aufgeteilt. Die föderative Solidaritätsidee wurde unter der Krise durch einen regionalen Standort-Egoismus ersetzt. Konsequenterweise löste sich die BKJ in Folge dieser Ereignisse auf und zerfiel in eine Vielzahl von Parteien - in ihrer Mehrheit nationalistisch.

Nach den 1990 in den meisten Teilrepubliken abgehaltenen Wahlen, die in der Regel von den nationalistischen Parteien gewonnen wurden, begannen diese, eigene Armeen aufzubauen. Es kam zu ersten Übergriffen zwischen Serben und Kroaten. Diese Übergriffe wurden dramatisiert, der Krieg wurde als Lösung der Wirtschaftskrise forciert.


Krieg und Krise - ein notwendiger Zusammenhang

Wie die Geschichte weiterging, ist zur Genüge bekannt. Den Provinzen und Republiken Jugoslawiens ging es darum, ihre jeweiligen regionalen Ökonomien gegenüber den krisengeschüttelten Gebieten abzuschotten - ebenso wie den Nationalökonomien in der Folge des Schwarzen Freitags in den 1930er Jahren. Zu diesem Zweck wurde ein nationales Bewusstsein rekonstruiert: Der Bänker Milosevic etwa war niemals 'heißer' Nationalist, er wusste die jugoslawischen Nationalismen, insbesondere den serbischen Nationalismus, nur für die 'Volkswirtschaft' zu nutzen. Ein entscheidender Unterschied zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den Balkankriegen liegt allerdings darin, dass die "totalitären" Regime der 1930er Jahre ihre Volksökonomien nicht nur vor den anderen Ökonomien schützen wollten (also eine kriegerische, nationalistische Politik verwendeten, um Globalisierung zu verhindern), sondern durch eine internationale Raubökonomie (Imperialismus) die eigene Volkswirtschaft erweitern wollten - jeweils auf Kosten der anderen.

Dass die aktuelle Krise noch keine Kriege zur Folge gehabt hätte, ist ein Irrtum, der die Laufzeit dieser Krise unterschätzt. Es wurde von verschiedener Seite angemerkt, dass es sich bei den aktuellen ökonomischen Ereignissen um die Fortsetzung der Krise von 1973 handelt, die nun - vorerst - zu ihrem Höhepunkt kommt.

Als sich mit dem chilenischen Experiment der Chicago Boys 1973 der Neoliberalismus als ökonomisches Dogma zu etablieren begann, war dies der Versuch, der Krise Herr zu werden. Dazu gehörte auch der Bruch mit dem System von Bretton Woods. Der Neoliberalismus war aber nie ein vorgefertigtes Programm, sondern eher ein try-and-error, das immer wieder an seine Grenzen stieß: Die Krisen in den Entwicklungsländern der 1980er, neben der jugoslawischen etwa die mexikanische Peso-Krise, waren erste Grenzen, an die der Neoliberalismus stieß. Die letzte Grenze des Neoliberalismus war die geplatzte dot.com-Blase Ende des 20. Jahrhunderts, und zu diesem Zeitpunkt war auch schon die Krise der Automobilindustrie ausgemachte Sache, durch das Platzen der US-amerikanischen Immobilienblase nur beschleunigt und intensiviert.

Die Marktrettungsversuche bedeuten neue ökonomische Fluchtbewegungen (fixes) - offenbar ist dies momentan der Energiemarkt: ein erhebliches Konflikt- und auch Kriegspotential. Der Gazprom-Konflikt verdeutlicht dies: In der Ukraine ist "die Finanzkrise [...] bereits in Form einer Währungs- und Bankenkrise weit fortgeschritten",[3] und dies ist selbstverständlich der Grund, weshalb das russische Gas nicht bezahlt wird. Intensivere Natur-(Erschließung neuer Ressourcen) und Arbeitsausbeutung sind die "Notprogramme", um der Krise Herr zu werden.

Dabei wird aber nur die Arbeitskraft derjenigen, die nun schon arbeiten, intensiver ausgebeutet, d.h.: mehr Arbeit, weniger Lohn, weniger soziale Absicherung. Es werden nicht mehr oder neue Menschen in Arbeit (und damit Brot und Lohn) gebracht. Seit 1973 produzieren die Krise und der Neoliberalismus mehr und mehr Überflüssige. Die ILO geht, bei einem positiven Verlauf der jetzigen Krise, von einer weltweiten Steigerung der Arbeitslosigkeit um elf Prozent auf 210 Millionen Menschen aus.[4]

Die autoritären Regime des Kriegs-Keynesianismus haben diesen Überschuss durch geplante Vernichtung reguliert. Im Neoliberalismus wird auch die Behandlung der überschüssigen Arbeitskraft der "unsichtbaren Hand des Marktes" überlassen. In den "Neuen Kriegen" sucht sich die überschüssige Arbeitskraft die Arbeit, die noch bleibt, die der SoldatInnen oder SöldnerInnen. Gleichzeitig tragen die SoldatInnen zur weiteren Reduzierung des Überschusses bei: Die "neuen Kriege" sind logische Konsequenz der neoliberalen Krisenökonomie: Krieg ist die Fortsetzung der Ökonomie mit anderen Mitteln.

Mit den Verhandlungen im Rahmen der WTO, Freihandelsverträgen nach dem Vorbild von NAFTA, den Strukturanpassungsprogrammen von IWF und Weltbank oder dem 1998 gescheiterten OECD-Abkommen MAI (Multilaterales Abkommen über Investitionen) wird aber auch versucht, die Kriege zu vermeiden.

Die Zahl der Opfer dieser Politik ist aber nicht zwingend geringer. Eduardo Galeano und Subcomandante Marcos haben den Neoliberalismus nicht umsonst den "Vierten Weltkrieg" genannt. Diese Form der Politik ist die Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln.


No War but Class War

Vieles spricht dafür, dass die aktuelle Krisensituation das endgültige Scheitern der neoliberalen Projekte einleitet. Der "Vierte Weltkrieg" ist zu Ende. Ob der kommende Weltwirtschaftskrieg ein 'heißer' oder ein 'kalter' wird, ist noch nicht ausgemacht. Konfliktförmig wird die Krisenbewältigung aber in jedem Fall. Eine Nationalisierung sozialer Konflikte und eine Ethnisierung des Sozialen, sowieso schon im Trend, wird diese maßgeblich beeinflussen, begonnen bei einem Standortnationalismus, wie ihn teilweise sogar DGB-Gewerkschaften verfechten. Es gilt, die eigene Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Das heißt vor allem, sich nicht ökonomisch vereinzeln und infolge dessen verheizen zu lassen. Die Vereinzelung war die schärfste Waffe des Neoliberalismus.

Jede bisherige Krise ist auch mit Widerstand und teilweise mit revolutionären Projekten einhergegangen, ähnlich wie es für Kriegsenden üblich ist: Die 1980er Jahre in Jugoslawien waren geprägt von Streikwellen, die mexikanische Krise der frühen 1990er und die Einführung von NAFTA wurden mit dem Aufstand der EZLN beantwortet, zahlreiche Aufstände verhinderten die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank in Afrika und Lateinamerika.

Die Reaktionen auf den aktuellen Höhepunkt der Krise bestehen auch keineswegs in blanker Schicksalsergebenheit: Die Zahl der ArbeiterInnenkämpfe in China nimmt stetig zu, sie wird aufgrund der Zensur nur kaum bemerkt. Und die sogenannten Hungerrevolten in Ägypten waren ebenfalls eine Verteidigung der Gesellschaft vor der Überausbeutung aus den Staaten der Ersten Welt, mit der diese die Krise eine Zeit lang kompensieren wollten.

Die aktuellen Ereignisse in Griechenland sind ebenso Reaktion auf die Krise wie hiesige Bildungs- und vor allem Proteste gegen Hartz IV, auch wenn sich letztere momentan in einer Klagewelle erschöpfen.[5]

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir lassen uns verheizen, als untereinander konkurrierende Arbeitskräfte und gegeneinander kämpfende SoldatInnen, oder aber wir bündeln unsere Kraft. Es gibt zur Zeit zu wenige wirtschaftliche Kampforganisationen von unten. Wenn wir ihre Krise nicht zahlen wollen, mit unserem Blut (als SoldatInnen) und unserem Schweiß (als ArbeiterInnen), muss sich das schleunigst ändern.


Anmerkungen:

[1] So hieß es zumindest vor der Wahl. Der finanzielle Druck kann auch dazu führen, dass Obama - höflicher als sein Amtsvorgänger - mehr Engagement der Bündnispartner einfordert. Jürgen Wagner merkt an, das Obama zusätzlich 10.000 SoldatInnen nach Afghanistan entsenden und den Einsatz auf Pakistan ausweiten will. Vgl. Jürgen Wagner: Prototyp Afghanistan: Neoliberales Nation Building und zivil-militärische Aufstandsbekämpfung, in: GWR 333, Nov. 2008, S. 1, 10 f.; Jürgen Wagner: Kriegs-Demokrat Barack Obama. Die Renaissance der NATO und die Fortsetzung der militaristischen US-Außenpolitik, in: GWR, Januar 2009, S. 1, 8 f.

[2] Die folgenden Ausführungen basieren auf: Osteuropaarchiv (Hg.): Jugoslawien. Klassenkampf - Krise - Krieg. Berlin 1992; und Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 6. Die Ethnisierung des Soziales. Die Transformation der jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges. Erweiterte Auflage, Grafenau 1999.

[3] Joachim Becker: Immer neue KandidatInnen für den Crash. Die Abhängigkeit von Kapitalimporten macht die osteuropäischen Länder extrem Krisenanfällig, in: ak 533, Nov. 2008. S.11.

[4] Zit. nach Wildcat: 23 Thesen zur kapitalistischen Krise:
http://www.wildcat-www.de/aktuell/a064_thesen.html.
Auch weitere Infos zur Krise in diesem Beitrage entstammen Wildcat-Beiträgen. Besonders lesenswert: Karl Heinz Roth: Globale Krise - globale Proletarisierung - Gegenperspektiven:
http://www.wildcat-www.de/aktuell/a068_khroth_krise.htm, eine Vorarbeit zu dem kommenden Buch Globales Proletariat - Provinzelle Linke? Zur "Multitude" der Gegenwart im Hamburger VSA-Verlag.

[5] 21.000 Verfahren hatte das Sozialgericht Berlin 208 in Sachen Hartz IV zu bearbeitern, bei der Einführung waren es 7.000. Vgl. Jochen-Martin Gutsch: Die 0,0416-Euro-Frage. Spiegel 49/2008. S. 80-86. Zynismus am Rande: Damit wird Hartz IV dann zumindest für JuristInnen zur Jobmaschine, das Sozialgericht Berlin hat 40 neue Stellen eingerichtet. Spaß beiseite: Für die Regierenden folgt daraus bekanntlich die Konsequenz, Prozesskostenbeihilfen für ALG II-EmpfängerInnen zu streichen.


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Quelle:
graswurzelrevolution, 38. Jahrgang, GWR 336, Februar 2009, S. 6
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2009