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IMI/1192: Die Ära der Aufrüstung - Brüssel und Berlin planen gigantische Rüstungsschulden


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Standpunkt 2025/018 (update: 7.3.2025)

Die Ära der Aufrüstung

Brüssel und Berlin planen gigantische Rüstungsschulden

von Jürgen Wagner, 5. März 2025


Mit einem fast zeit­gleich ver­kün­de­ten Dop­pel­wumms prä­sen­tier­ten die wahr­schein­li­che künf­ti­ge Schwarz-Rote Bun­des­re­gie­rung und auch Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin Ur­su­la von der Leyen am 4. März 2025 ihre Vor­schlä­ge, wie mas­si­ve Er­hö­hun­gen der Mi­li­tär­aus­ga­ben fi­nan­ziert wer­den sol­len: über Schul­den. Es fol­gen die wich­tigs­ten De­tails so­weit bis­lang be­kannt.

Ber­lin: Rüs­tung geht immer I

Laut Schät­zun­gen der NATO [1] be­lie­fen sich die deut­schen Mi­li­tär­aus­ga­ben im Jahr 2024 auf 90,58 Mrd. Euro (2,12 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­duk­tes, BIP). Der Be­trag setzt sich zu­sam­men aus dem of­fi­zi­el­len Ver­tei­di­gungs­haus­halt von 51,95 Mrd. Euro,

hinzu soll­ten 19,8 Mrd. aus dem Son­der­ver­mö­gen und 18,83 Mrd. Euro nach NATO-Kri­te­ri­en (mi­li­tär­re­le­van­te Aus­ga­ben aus an­de­ren Haus­hal­ten, v.a. für Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne) kom­men (weil ein zei­ti­ger Mit­tel­ab­ruf teils nicht ge­lang, waren es real wohl rund 4,6 Mrd. Euro we­ni­ger [2]).

Ob­wohl die Aus­ga­ben damit zwi­schen 2014 (34,75 Mrd. Euro) und 2024 (90,58 Mrd. Euro) be­reits dras­tisch ge­stie­gen sind (wie­der laut NATO [3]), soll damit das Ende der Fah­nen­stan­ge noch lange nicht er­reicht sein. Schon im Wahl­kampf lie­fer­ten sich die Kan­di­da­ten einen re­gel­rech­ten Über­bie­tungs­wett­be­werb in Sa­chen Mi­li­tär­aus­ga­ben. Den An­fang mach­te Grü­nen-Spit­zen­kan­di­dat Ro­bert Ha­beck, der Mi­li­tär­aus­ga­ben von 3,5% des BIP for­der­te [4]. Auch CSU-Chef Mar­kus Söder gab zum Bes­ten [5], die Ver­tei­di­gungs­aus­ga­ben müss­ten künf­tig "deut­lich über drei Pro­zent" des BIP lie­gen. Und Uni­ons-Spit­zen­kan­di­dat Fried­rich Merz äu­ßer­te [6] sich: "Ob es nun zwei 2,5 oder 5 Pro­zent sind, ehr­lich ge­sagt, das hat für mich nur eine zweit­ran­gi­ge Be­deu­tung." Es müsse si­cher­ge­stellt sein, "dass wir das not­wen­di­ge Geld haben, um die Bun­des­wehr wie­der in die Lage zu ver­set­zen, ihren Auf­trag zu er­fül­len", wovon sie ak­tu­ell "ziem­lich weit ent­fernt" sei.

Noch vor der Wahl wurde dann auch in der Pres­se [7] be­rich­tet, die NATO be­ab­sich­ti­ge auf ihrem Gip­fel­tref­fen im Juni 2025 eine Er­hö­hung des Min­dest­aus­ga­ben­ziels von bis­lang 2 Pro­zent des BIP auf 3 bis 3,5

Pro­zent des BIP zu be­schlie­ßen. Um an diese Werte kon­kre­te­re Preis­schil­der zu kle­ben: 2024 be­lief sich das deut­sche BIP auf 4305 Mrd. Euro, der Haus­halt um­fass­te 476,81 Mrd. Euro. 3,5% des BIP hät­ten Mi­li­tär­aus­ga­ben von ziem­lich genau 150 Mrd. Euro be­deu­tet - rund 32% des ge­sam­ten Haus­hal­tes. Wür­den eu­ro­pa­weit min­des­tens 3,5 Pro­zent des BIP aus­ge­ge­ben, wür­den die Mi­li­tär­aus­ga­ben auf knapp 600 Mrd. Euro ex­plo­die­ren - Russ­land kam laut Mi­li­ta­ry Ba­lan­ce 2024 auf Mi­li­tär­aus­ga­ben von 145,9 Mrd. Dol­lar [8]. Ob­wohl sich hier völ­lig zu­recht die Frage auf­drängt, ob die hier durch die Ge­gend geis­tern­den Zah­len noch in ir­gend­ei­nem auch nur ent­fernt plau­si­blen Ver­hält­nis zur po­ten­ti­el­len Be­dro­hung ste­hen, war die mas­si­ve Er­hö­hung der Mi­li­tär­aus­ga­ben bei fast allen Par­tei­en völ­lig un­strit­tig - un­eins war man sich le­dig­lich lange wie dies fi­nan­ziert wer­den soll.

Zur Aus­wahl stan­den haus­halts­in­ter­ne Um­schich­tun­gen, die aber in die­sen Grö­ßen­ord­nun­gen schlicht nicht zu ma­chen sind, wie auch die Union ir­gend­wann ein­se­hen muss­te. Zwi­schen­zeit­lich schien es, als werde ein neues Bun­des­wehr-Son­der­ver­mö­gen aus­ge­lobt, die Rede war zu­nächst von 200 Mrd. Euro., dann von 400 Mrd. Euro. Nun schei­nen sich Union und SPD auf eine drit­te Va­ri­an­te ver­stän­digt zu haben: Mi­li­tär­aus­ga­ben ober­halb von 1 Pro­zent des BIP sol­len künf­tig von der Schul­den­brem­se aus­ge­nom­men wer­den, wobei es dabei wohl weder eine zeit­li­che noch eine fi­nan­zi­el­le Gren­ze zu geben scheint. Das Fach­por­tal Eu­ro­päi­sche Si­cher­heit &

Tech­nik schreibt [9] dazu: "Die Höhe der zu­sätz­lich ver­füg­ba­ren Fi­nanz­mit­tel ist, so­weit be­kannt, nicht be­grenzt. Be­ob­ach­ter schät­zen, dass bis zu 400 Mil­li­ar­den Euro be­reit­ge­stellt wer­den könn­ten."

Bei die­sem de­mo­kra­tisch über­aus frag­wür­di­gen Hau­ruck­ver­fah­ren war des­halb so große Eile ge­bo­ten, weil Linke und AfD im nächs­ten Bun­des­tag an­ge­sichts der für diese Än­de­rung er­for­der­li­chen 2/3 Mehr­heit eine Sperr­mi­no­ri­tät hät­ten. An­ge­peilt wird des­halb eine Ab­stim­mung im Bun­des­tag in der Ka­len­der­wo­che 11 ab dem 10. März 2025. Der vor­aus­sicht­li­che Fahr­plan ist bei den grie­phan-Brie­fen (Nr. 10/2025) zu fin­den: 13.03.25: 1. Le­sung Ple­num; 14.03.25: Ab­schluss im Aus­schuss; 18.03.25: 2./3. Le­sung Ple­num; 21.03.25: Bun­des­rat; Spä­tes­tens 25.03.25: Kon­sti­tu­ie­rung des 21. Bun­des­ta­ges.

Brüs­sel: Rüs­tung geht immer II

Na­he­zu par­al­lel dazu ver­kün­de­te EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin Ur­su­la von der Leyen am 4. März 2025 ein aus fünf Punk­ten be­stehen­des Maß­nah­men­pa­ket zur "Wie­der­auf­rüs­tung Eu­ro­pas" ("ReArm Eu­ro­pe"). De­tails fin­den sich in der ent­spre­chen­den Pres­se­er­klä­rung [10] von der Leyens:

Punkt 1: Mi­li­tär­aus­ga­ben sol­len von den Schul­den­re­geln des Sta­bi­li­täts- und Wachs­tums­pakts (Maas­tricht-Kri­te­ri­en) aus­ge­nom­men wer­den. Ob dies voll­stän­dig oder nur zum Teil der Fall sein soll, geht aus

den bis­he­ri­gen In­for­ma­tio­nen nicht her­vor. Die Kom­mis­si­on spe­ku­liert, da­durch könn­ten Er­hö­hun­gen der Mi­li­tär­aus­ga­ben um 1,5 Pro­zent des BIP be­för­dert und al­lein hier­durch in­ner­halb der nächs­ten vier Jahre zu­sätz­li­che 650 Mrd. Euro mo­bi­li­siert wer­den. Punkt 2: Es soll ein eu­ro­päi­sches Fi­nan­zie­rungs­in­stru­ment im Um­fang von 150 Mrd. Euro ein­ge­rich­tet wer­den. Dar­über sol­len den Mit­glieds­staa­ten "Dar­le­hen" für "In­ves­ti­tio­nen im Ver­tei­di­gungs­be­reich" ge­ge­ben wer­den, was auch Rüs­tungs­gü­ter für die Ukrai­ne ein­schlie­ßt. Punkt 3: Hier soll an die Mit­tel der Ko­hä­si­ons­fonds ge­gan­gen wer­den, die ei­gent­lich über die Fi­nan­zie­rung von Um­welt und In­fra­struk­tur­maß­nah­men in den är­me­ren Mit­glieds­län­dern eine schritt­wei­se An­glei­chung der Le­bens­ver­hält­nis­se be­för­dern sol­len. Nun heißt es aber in der Pres­se­mit­tei­lung der Kom­mis­si­on: "Dies­be­züg­lich kön­nen wir kurz­fris­tig viel tun, um mehr Mit­tel für In­ves­ti­tio­nen im Ver­tei­di­gungs­be­reich be­reit­zu­stel­len. An die­ser Stel­le möch­te ich ver­kün­den, dass wir den Mit­glied­staa­ten zu­sätz­li­che Mög­lich­kei­ten und An­rei­ze vor­schla­gen wer­den, damit sie ent­schei­den kön­nen, ob sie die ko­hä­si­ons­po­li­ti­schen Pro­gram­me nut­zen wol­len, um die Ver­tei­di­gungs­aus­ga­ben zu er­hö­hen." Hier geht es für die är­me­ren Mit­glieds­län­der um be­trächt­li­che Mit­tel: Im ak­tu­el­len EU-Haus­halt 2021 bis 2027 sind für die Ko­hä­si­ons­fonds 42,6 Mrd. Euro ein­ge­stellt [11]. Punkt 4: Es soll ver­stärkt pri­va­tes In­ves­ti­ti­ons­ka­pi­tel ge­won­nen wer­den. Punkt 5: Die Eu­ro­päi­sche In­ves­ti­ti­ons­bank (EIB) soll vor den Rüs­tungs­kar­ren ge­spannt wer­den. Lange war dies gänz­lich tabu, dann er­folg­te eine

Öff­nung für Güter mit dop­pel­tem Ver­wen­dungs­zweck. Ohne dass dies aus der Pres­se­mit­tei­lung di­rekt her­vor­gin­ge, ist davon aus­zu­ge­hen, dass nun EIB-Gel­der für die ge­sam­te Rüs­tung­skla­via­tur ver­wen­det wer­den kön­nen sol­len.

Wirt­schaft­li­cher Holz­weg

Das eben­falls von Union und SPD vor­ge­schla­ge­ne In­fra­struk­tur-Son­der­ver­mö­gen von 500 Mrd. Euro ist an sich zu be­grü­ßen, auch wenn hier erst ein­mal ab­ge­war­tet wer­den soll­te, wie­viel davon in die Er­tüch­ti­gung von In­fra­struk­tur ge­steckt wird, die aus rein mi­li­tä­ri­schen Ge­sichts­punk­ten für den schnel­len Trup­pen- und Gü­ter­ver­kehr er­folgt. Auch mil­li­ar­den­schwe­re In­ves­ti­tio­nen in den Be­völ­ke­rungs­schutz sol­len schein­bar aus die­sem Topf be­zahlt wer­den, wie bei den grie­phan-Brie­fen (Nr. 10/2025) nach­les­bar ist: "We­sent­li­che Teile (wie Ver­kehrs­in­fra­struk­tur, Zivil- und Be­völ­ke­rungs­schutz) sind ver­tei­di­gungs­re­le­vant."

Ab­ge­se­hen von der grund­sätz­lich not­wen­di­gen Kri­tik an den Plä­nen zur Er­hö­hung der Mi­li­tär­aus­ga­ben, ist es si­cher bes­ser, dass sie nun über Kre­di­te fi­nan­ziert wer­den soll, statt den Ver­such zu un­ter­neh­men, die

Gel­der durch mas­si­ve Kahl­schlä­ge sämt­li­cher an­de­rer Bud­gets unter Ein­hal­tung der Schul­den­brem­se auf­zu­brin­gen.

Si­cher­heits­po­li­tisch las­sen sich diese Sum­men al­ler­dings schon lange nicht mehr be­grün­den, wes­halb in jüngs­ter Zeit vor allem unter Be­ru­fung auf eine neue Stu­die des In­sti­tuts für Welt­wirt­schaft auf die ver­meint­li­chen wirt­schaft­li­chen Seg­nun­gen kre­dit­ge­stütz­ter Rüs­tungs­aus­ga­ben ver­wie­sen wird. Doch der Glau­be, man könne sich aus den ak­tu­el­len wirt­schaft­li­chen Schwie­rig­kei­ten her­aus­rüs­ten, ist eine teure Il­lu­si­on (siehe dazu IMI-Stand­punkt 2025/008 [12]). Der wirt­schaft­li­che Nut­zen von Rüs­tungs­aus­ga­ben ist ex­trem be­grenzt, wes­halb sich die dar­aus re­sul­tie­ren­den Schul­den als schwe­re Be­las­tung er­wei­sen wer­den, schlie­ß­lich wer­den ihre Zin­sen aus dem lau­fen­den Haus­halt be­zahlt wer­den müs­sen.

Be­un­ru­hi­gend ist auch, dass es für diese Aus­nah­me­re­ge­lung wohl keine Be­gren­zun­gen geben soll, weder zeit­lich noch was die Summe an­be­langt. In­so­fern ist Ur­su­la von der Leyen in ihrer Pres­se­er­klä­rung lei­der recht zu geben, wenn sie fest­hält: "Wir be­fin­den uns in einer Ära der Auf­rüs­tung."


Anmerkungen:

[1] https://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/2024/6/pdf/240617-def-exp-2024-en.pdf

[2] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-01/verteidigungshaushalt-boris-pistorius-ausgaben-niedrig-gaedechenshttps:/www.zeit.de/politik/deutschland/2025-01/verteidigungshaushalt-boris-pistorius-ausgaben-niedrig-gaedechens

[3] https://www.nato.int/cps/en/natohq/news_226465.htm

[4] https://www.stern.de/politik/verteidigungshaushalt--wo-das-geld-fuer-die-bundeswehr-herkommen-koennte--35366096.html

[5] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/heftige-kritik-an-trumps-forderung-fuer-hoehere-nato-beitraege,UZIzcpy

[6] https://www.tagesspiegel.de/politik/20-35-oder-5-prozent-merz-bezeichnet-debatte-uber-prozente-bei-verteidigung-als-zweitrangig-12990709.html

[7] www.faz.net/aktuell/politik/ausland/nato-ringt-um-hoehere-verteidigungsausgaben-110241619.html

[8] https://www.iiss.org/online-analysis/military-balance/2025/02/global-defence-spending-soars-to-new-high/

[9] https://esut.de/2025/03/fachbeitraege/featured-fachbeitraege/57882/einigung-ueber-die-finanzierung-der-bundeswehr/

[10] https://europa.eu/newsroom/ecpc-failover/pdf/statement-25-673_de.pdf

[11] https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/96/kohasionsfonds

[12] https://www.imi-online.de/2025/02/16/waffen-und-wachstum/

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Quelle:
IMI-Standpunkt 2025/018 vom 5. März 2025 (update: 7.3.2025)
Die Ära der Aufrüstung
Brüssel und Berlin planen gigantische Rüstungsschulden
https://www.imi-online.de/2025/03/05/die-aera-der-aufruestung/
Herausgeber: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 14. März 2025

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