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IMI/1195: Wissenschaftsfreiheit als Prämisse von Friedens- und Konfliktforschung


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Standpunkt 2025/024 vom 10. April 2025

Wissenschaftsfreiheit als Prämisse von Friedens- und Konfliktforschung

Staatsräson und Selbstzensur in Zeiten des Krieges

von Claudia Brunner


Wie in an­de­ren dis­zi­pli­nä­ren Fel­dern, so gilt auch für die deutsch­spra­chi­ge Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung: Die Be­dro­hung der Wis­sen­schafts­frei­heit in fer­nen Län­dern zu be­kla­gen fällt leicht. Wi­der­spruch ist so­lan­ge er­wünscht, wie die An­grif­fe auf For­schung, Lehre und Zi­vil­ge­sell­schaft im ei­ge­nen Land von weit rechts auf die so­ge­nann­te po­li­ti­sche Mitte ab­zie­len.

Wenn die Wis­sen­schaft selbst daran be­tei­ligt ist, die Räume des (Un)Sag­ba­ren zu de­fi­nie­ren und zu kon­trol­lie­ren, wird es kom­pli­ziert - und kon­tro­vers.

Vor die­sem Hin­ter­grund haben sich An­fang des Jah­res Mit­glie­der des Ar­beits­krei­ses Herr­schafts­kri­ti­sche Frie­dens­for­schung [1], der sich 2015 in der Ar­beits­ge-

mein­schaft für Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung (AFK e.V. [2]) ge­grün­det hatte, dazu ent­schlos­sen, eine Stel­lung­nah­me [3] zur zu­neh­men­den Be­dro­hung der Frei­heit der Wis­sen­schaft in For­schung und Lehre im deutsch­spra­chi­gen Raum zu ver­fas­sen. Drei Jahre nach dem Über­fall der Rus­si­schen Fö­de­ra­ti­on auf die Ukrai­ne und ein­ein­halb Jahre nach dem Über­fall der Hamas auf Is­ra­el hiel­ten wir es für höchs­te Zeit, sich nicht nur im Rah­men an­de­rer Pe­ti­tio­nen und als Ein­zel­per­so­nen, son­dern auch als Fach­com­mu­ni­ty von Frie­dens- und Kon­flikt­for­scher*innen zu den Kon­se­quen­zen der bei­den Krie­ge auf dem Ter­rain von Wis­sen­schaft und Bil­dung zu äu­ßern. Aus­ge­rech­net jenes dis­zi­pli­nä­re Feld, das von sich be­haup­tet, die Mög­lich­keits­be­din­gun­gen von Krieg und Frie­den be­for­schen zu wol­len und auch zu kön­nen, war näm­lich be­mer­kens­wert stumm ge­blie­ben, wenn Kol­leg*innen aus­ge­la­den, Räume ent­zo­gen, For­schungs­pro­jek­te und Pu­bli­ka­tio­nen be­hin­dert wur­den, wel­che die enger wer­den­den Räume des Sag­ba­ren zu über­schrei­ten droh­ten.

Den letz­ten Aus­lö­ser für die In­itia­ti­ve des AK bil­de­ten die bei­den Re­so­lu­tio­nen des Deut­schen Bun­des­ta­ges zum Thema An­ti­se­mi­tis­mus, mit deren Hilfe nicht nur Po­li­tik, Öf­fent­lich­keit, Kul­tur und Zi­vil­ge­sell­schaft, son­dern auch die Wis­sen­schaf­ten auf eine pro­ble­ma­ti­sche und fol­gen­rei­che De­fi­ni­ti­on von An­ti­se­mi­tis­mus ver­pflich­tet wer­den sol­len. Dem AK Herr­schafts­kri­ti­sche Frie­dens­for­schung geht es dabei nicht um So­li­da­ri­täts­be­kun­dun­gen für ein­zel­ne Kol­leg*innen, die

immer wie­der not­wen­dig sind. Dar­über hin­aus soll vor allem pro­ble­ma­ti­siert wer­den, wie auch das Feld der Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung po­ten­zi­ell ver­strickt ist in die ganz kon­kre­ten Po­li­ti­ken des Krie­ges und des­sen dis­kur­si­ver Recht­fer­ti­gung, Dul­dung oder gar Un­ter­stüt­zung.

Nicht nur, aber der­zeit vor allem dann, wenn es um die Ein­he­gung und Un­hör­bar­ma­chung kri­ti­scher Po­si­tio­nen zum Krieg in Pa­läs­ti­na/Is­ra­el und die dies­be­züg­li­che Kom­pli­zen­schaft west­li­cher Ak­teur*innen geht, wer­den Staats­rä­son und Selbst­zen­sur auch unter Wis­sen­schaft­ler*innen zu wirk­mäch­ti­gen Werk­zeu­gen des Krie­ges selbst. In ge­rin­ge­rem Aus­maß und ent­lang an­de­rer Kri­te­ri­en ist Ver­gleich­ba­res auch bei Kon­tro­ver­sen um den Krieg in der Ukrai­ne und die damit ge­recht­fer­tig­te mas­si­ve Auf­rüs­tung der EU zu be­ob­ach­ten. Auch hier wer­den Räume des (Un)Sag­ba­ren ho­mo­ge­ner und enger - und ver­in­ner­licht.

Dafür will die Stel­lung­nah­me des AK Herr­schafts­kri­ti­sche Frie­dens­for­schung sen­si­bi­li­sie­ren, da­ge­gen wol­len wir mo­bi­li­sie­ren. Bis­lang war es auf­grund er­wart­ba­rer Kon­tro­ver­sen nicht mög­lich, den ge­sam­ten Dach­ver­band der AFK für eine Un­ter­stüt­zung des Texts zu ge­win­nen. Über die Ar­beits­ge­mein­schaft der Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung hin­aus wird die­ser nun allen In­ter­es­sier­ten als Dis­kus­si­ons­grund­la­ge für eine Aus­ein­an­der­set­zung über die, in Zei­ten des Krie­ges be­son­ders re­le­van­te, Be­zie­hung von Ge­walt- und

Wis­sens­ver­hält­nis­sen zur Ver­fü­gung ge­stellt, die uns vor­aus­sicht­lich noch lange be­schäf­ti­gen und her­aus­for­dern wird.


Die Stellungnahme selbst kann hier heruntergeladen und gelesen werden:
https://afk-web.de/cms/wp-content/uploads/2025/04/stellungnahme-wissenschaftsfreiheit-ak-herrschaftskritische-friedensforschung-veroeffentlichung.pdf


Anmerkungen:

[1] https://afk-web.de/cms/arbeitskreise-der-afk/arbeitskreis-herrschaftskritische-friedensforschung/

[2] https://afk-web.de/

[3] https://afk-web.de/cms/wp-content/uploads/2025/04/stellungnahme-wissenschaftsfreiheit-ak-herrschaftskritische-friedensforschung-veroeffentlichung.pdf

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Quelle:
IMI-Standpunkt 2025/024 vom 10. April 2025
Wissenschaftsfreiheit als Prämisse von Friedens- und Konfliktforschung
https://www.imi-online.de/2025/04/10/wissenschaftsfreiheit-als-praemisse-von-friedens-und-konfliktforschung/
Herausgeber: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 22. April 2025

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