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IMI/231: Beijing rüstet sich für die Absicherung der Macht


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Magazin AUSDRUCK - Februar 2009

Beijinger Täubchen
Beijing rüstet sich für die Absicherung der Macht -
Harmonische Weltsicht auch nach Innen?

Von Andreas Seifert


Weißbücher verschweigen traditionell mehr als sie offenbaren und das chinesische Weißbuch macht hier keine Ausnahme. Dabei ist es weniger die übliche Undurchsichtigkeit der Zahlenbezüge und das Fehlen einer Aufstellung über die tatsächlichen Truppenstärken noch ist es das wiederholt eingefügte Attribut der "informationization", mit dem man zukünftige Cyberwars zu antizipieren scheint. Vielmehr fällt auf, dass man bei lauter ausgesprochenem Friedenswillen und dem Ziel einer "harmonischen Welt" leicht übersieht, dass es hier immer noch um eine schlagkräftige Armee und ihren möglichen Einsatz geht.

In vielen Punkten ist das am 20.1.2009 vorgestellte Weißbuch 2008 [1] eine Fortschreibung vergangener Editionen und so gilt vieles in der bisher geäußerten Kritik auch für die neue Edition. Es gibt aber auch interessante Neuerungen, die in gewisser Weise ein Licht auf eine neue Interpretation der Welt durch die militärische Führung in China werfen. Auffälligstes Element ist dabei die neue Sicht auf die Absicherung der Entwicklung, die stärker nach Innen zu schützen ist, als nach Außen. Das Weißbuch schreibt eine Umgestaltung des Gewaltmonopols zugunsten zentraler Institutionen fort und legt damit die Grundlage dafür, dass die politische Führung bei inneren Konflikten handlungsfähig bleibt:

(bewaffnete) Macht wird von den Regionen in die Zentren zurückverlagert,
Ressourcen werden in den Städten konzentriert und ländliche Gebiete zusehends abgehängt,
das Militär wird auf "Kernaufgaben" konzentriert und andere Funktionen zu Polizeiaufgaben erklärt und auf andere Institutionen übertragen.


Zahlenspiele - Truppenstärke

Chinas Militäretat ist für die Außenwelt bisher ein kleines Rätsel geblieben - daran ändert auch das neue Weißbuch nicht viel. Das US-amerikanische Verteidigungsministerium geht nach alter Gewohnheit von einem mindestens doppelt so hohen Budget aus [2], womit China zumindest zu Großbritannien aufschließen würde. Anstelle von brauchbaren Zahlen wird der chinesische Etat in verschiedene Relationen gesetzt, die ihn als Anteil am Bruttosozialprodukt, als pro-(Soldaten-)Kopf-Ausgabe gemessen an der Truppenstärke oder gar als Anteil am Staatshaushalt ausweisen (siehe Grafik). Diese Form der Darstellung macht aus chinesischer Sicht durchaus Sinn, denn China kann so bei einem Vergleich mit anderen Ländern nur ein besseres Bild abgeben - die Ausgaben an sich sind damit allerdings noch nicht gerechtfertig. Am tragfähigsten ist dabei der Vergleich von Ausgaben für Verteidigung gemessen am Bruttosozialprodukt - so wandern nach chinesischen Angaben in den USA 4,5% der Wirtschaftsleistung in die Bewaffnung, in Großbritannien noch 2,7% aber in China nur 1,38%. Die chinesische Regierung rechnet dabei allein die staatlichen Ausgaben als Anteil im Staatshaushalt und übergeht dabei großzügig die lokalen Ausgaben (nicht wenige Garnisonen erhalten z.B. Wasser und Strom umsonst von der Kommune, in der sie stationiert sind). Auch vorhandene Querfinanzierungen über Subventionen für bestimmte Unternehmen oder sogar für die Armee direkt, wenn sie sich denn an anderen als militärischen Programmen beteiligt (z.B. Aufforstung, Bereitstellung von medizinischen Dienstleistungen, etc.), werden nicht berücksichtigt. Überdies offenbart der Vergleich mit dem Weißbuch von 2006 [3] einen anderen Punkt, der die Validität der Zahlen mehr als in Frage stellt: so war im Weißbuch von 2006 die Rede davon, dass "die Bewaffnete Polizei ein unabhängiges Budget innerhalb des Staatshaushaltes hat".[4]

Die Bewaffnete Polizei, von der weiter unten noch die Rede sein wird, ist Teil der "Bewaffneten Kräfte der Volksrepublik China" und untersteht dem Staatsrat und der Zentralen Militärkommission - sie ist damit Teil der chinesischen Armee. Im Weißbuch von 2006 blieb bereits unklar, inwieweit die Ausgaben der PAP (People's Armed Police Force) in das Verteidigungsbudget eingerechnet wurden, oder ob überhaupt. Für 2008 verwischt dies endgültig, da nicht einmal der Verweis auf die separate Budgetierung angebracht wurde - ein durchaus interessanter Punkt, da das Aufgabenspektrum der PAP deutlich erweitert wurde und es nicht um eine kleine Truppe geht, sondern um mehr als 660.000 Mann.[5] Letztlich ist anzunehmen, dass das Budget der PAP nicht im angegebenen Gesamtetat enthalten ist und sich so Aufgabenverschiebungen "erleichternd" auf das Budget der PLA auswirken.

Spannender aber als die totalen Zahlen sind die Anteile für verschiedene Arten von Ausgaben, die eine Änderung verdeutlichen. Aufgeteilt in "Ausrüstung", "Personal" und "Training und Pflege der Einrichtungen" werden nur drei Positionen benannt (siehe Tabelle).



2005*
Anteil %
2007*
Anteil %
Ausrüstung
Personal
Training,
Maintenance
83.654
83.159
80.683
33,8
33,6
32,6
114.434
120.015
121.042
32,19
33,76
34,05
Summe
247.496

355.491

*alle Angaben in Millionen Yuan (1 Yuan ca. 0,1 Euro)


Die "leichte Verschiebung" von "Ausrüstung" zu "Training" ist eine in der Strategie angelegte Tendenz und kein Zufall. Personalabbau in der Armee ist auch in China ein Thema - diese Budgetverschiebung ist ein Anzeichen dafür, dass die Umstrukturierung der PLA (People's Liberation Army) im Gang ist: weg von der Massenarmee hin zu einer technisierten kleineren Truppe, die speziellere Aufgaben auf einem Schlachtfeld wahrnehmen kann. Dazu gehören mehrere Elemente, wie die Reduktion der Gesamttruppe, aber besonders des Offizierkorps und die Aufstockung von Zeitsoldaten. Bisher teilen sich die bewaffneten Kräfte der VR ungefähr jeweils in ein Drittel Wehrpflichtige, Zeitsoldaten und Berufssoldaten. Mit der Reduktion des Wehrdienstes auf 2 Jahre durch alle Waffengattungen 1999 stellte sich für die Marine, wie für die Luftwaffe, aber auch für die technisierte 2. Artillerie (strategische Interkontinentalwaffen/ Raketen) das Problem ein, nicht genügend qualifiziertes Personal zu haben, da Wehrpflichtige kaum "Einsatzreife" erlangen.

Dass die PLA versucht, als Arbeitgeber attraktiver zu werden, erkennt man genau an diesen Ausgaben für Personal und Training, in denen alle damit zusammenhängenden Kosten verbucht werden. Die Zielgröße für die Umgestaltung ist eine Erhöhung des Anteils der Zeitsoldaten und eine Reduktion der anderen Bereiche. Sollte China eine weitere [6] signifikante Reduktion der Truppenstärke erreichen, wird sich auch das Verhältnis der Ausgaben zueinander verändern und technische Neuerungen kostentreibend auf das Budget durchschlagen.

Mit Bezug zur Rekrutierung von hochqualifiziertem Personal enthält das neue Weißbuch interessante Verweise. So sind knapp 1000 Mittelschulen [7] ausgewählt worden, von denen man zu einem möglichst frühen Zeitpunkt bevorzugt Kandidaten für Offizierslaufbahnen auswählt und ihnen ein Studium ermöglicht. Des Weiteren werden die Programme für Zeitsoldaten, die erst ein Studium absolvieren bevor sie in den aktiven Dienst treten, weiter ausgebaut. China schließt sich hier internationalen Trends an, reduziert damit aber nach Innen das Image der PLA als "Armee des Volkes". Strukturschwache Gebiete, in denen nur bedingt eine höhere Schulbildung möglich ist, werden so dauerhaft von Karrieren in der Armee ausgeschlossen. Die Armee, bisher gerade in solchen Gebieten als Institution zur "Ausbildung" angesehen, vertieft damit die Kluft zwischen Stadt und Land, indem sie Zeitsoldaten aus Städten vorzieht (vorziehen muss, will sie die Technisierung der Truppe vorantreiben) und nur noch wenige qualifizierte Kandidaten aus ländlichen Regionen (als Wehrdienstleistende) einzieht.

Als "Armee des Volkes" griff die PLA bis 1983 allein auf die Miliz als Reserve zurück. Die Miliz wird von der Armee organisiert, ausgerüstet und trainiert und ist in Kriegsfällen direkt den Kommandostrukturen der Armee unterstellt - ansonsten hat auch die (lokale) Parteizelle Zugriff auf Einheiten der Miliz. Die Miliz war lange Zeit vor allem ein ländliches Phänomen und umfasst heute 110 Millionen registrierte Mitglieder, von denen eine Truppe von 10 Millionen als ausgebildete Kerntruppe begriffen werden kann. Die Miliz wurde bisher vor allem für Großvorhaben, Katastropheneinsätze, aber auch in kleineren lokalen Konflikten eingesetzt. In staatlichen Betrieben sind Milizangehörige für Trainingszwecke freizustellen. Auch hier sind in den letzten Jahren Veränderungen bemerkbar, die sich nun im Weißbuch niederschlagen: die Milizstärke wird reduziert (um 2 Millionen auf dann 8 Millionen im Jahr 2010) und Milizeinheiten werden vor allem in Bereichen gebildet und trainiert, wo sie ergänzend zu den militärischen Anforderungen an die PLA sinnvoll erscheinen und das sind technisch spezialisierte Einheiten in den Städten.[8] Diese Bewegung an sich entfernt die Miliz weiter von ländlichen Regionen und kommt einer "Entwaffnung" der Landbevölkerung gleich.

Im Gegenzug wird die Reserve der PLA als eigenständige Truppe weiter ausgebaut. Erst 1983 überhaupt eingerichtet ermöglicht sie es der PLA auf qualifiziertes Personal zurückzugreifen, was das Einsatzspektrum der Armee erweitert. Die Aufstellung einer regulären Reserve bedeutet aber in erster Linie die Entkoppelung von lokalen Machtstrukturen und eine "Re-Zentralisierung" der bewaffneten Kämpfe, da die Reserve immer und ausschließlich den militärischen Kommandostrukturen untersteht.


Verschiebung der Aufgabenspektren zur PAP

Die Struktur des Weißbuchs von 2008 wurde gegenüber der von 2006 verändert. Einerseits sind die Waffengattungen Heer, Marine, Luftwaffe und 2. Artillerie ausdifferenziert, was anzeigt, dass die Teilstreitkräfte sich stärker von dem alles (vor allem zahlenmäßig) dominierendem Heer emanzipieren, andererseits wurde das Kapitel zur Grenzverteidigung fallen gelassen und Teile des ursprünglich dort aufgeführten Einsatzspektrums finden sich nun verteilt in den Abschnitten zur Armee und der PAP. Zusätzlich wird mit "Die bewaffneten Kräfte und das Volk" ein Kapitel eingeführt, das die Problemlage einer Armee und ihres Einsatzes im Inneren mehr als deutlich hervorhebt.

Die Geschichte der PLA ist in erster Linie eine Geschichte des Heeres - die Waffengattungen von Marine und Luftwaffe waren lediglich ein notwendiges Anhängsel, dem man sich nicht verschließen konnte. So ist die Marine mit ihren drei Flotten entlang der Küste (Qingdao Nordmeerflotte, Ningbo, Ostmeerflotte und Zhanjiang, Südmeerflotte) den Regionalkommandos der Militärregionen unterstellt und damit dem Heer untergeordnet. Sie nun eigenständig zu behandeln zollt dem Umstand ihres gestiegenen Gewichts Rechnung. Hier wäre es in der Tat interessant gewesen, anhand der Veränderung der Truppenstärken zu sehen, ob sich hinter diesem Schritt der Anerkennung auch eine Verschiebung im Etat ergeben hat. Gerade die Marine wie die Luftwaffe sind zentrale Kräfte, wenn es darum geht, die Drohgebärde einer militärischen Lösung der "Taiwanfrage" aufrecht zu erhalten. Chinas Bestrebungen auch auf hoher See eigene Interessen abzusichern sind im Weißbuch nicht aufgeführt, sondern lassen sich nur aus anderen Texten ablesen. Dass die Konflikte um die Inseln im südchinesischen Meer und mit Japan um mögliche Gas-Fördergebiete im Seegebiet zwischen beiden Ländern nicht einmal erwähnt werden stimmt eher suspekt.

Die Verteidigung der Landesgrenzen ist Kernaufgabe der PLA, doch wird diese Aufgabe hier schrittweise auf die PAP übertragen, die nun erstmals offiziell für die öffentliche Sicherheit in Grenzregionen zuständig ist. Diese Rolle hat sie in der Vergangenheit in bestimmten Fällen bereits übernommen, doch war sie hier immer der PLA untergeordnet. Nun ist sie es, die in polizeilicher Arbeit illegale Grenzübertritte ahndet und Schmuggel zu unterbinden sucht.[9] Die grenzpolizeilichen Aufgaben werden damit weiter von der Armee isoliert - ebenso, wie die Bewachung (und der Betrieb) von Gefängnissen endgültig an die PAP übergeht.

Weitere Punkte, die in das Aufgabenspektrum der PAP fallen, sind die Bewachung zentraler Einrichtungen wie Brücken, staatlicher Gebäude und Goldminen, die PAP ist auch für sämtliche Feuerwehren in China zuständig. Zudem übernimmt die PAP in "ausgewählten Städten und Regionen" [10] die öffentliche Sicherheit und damit die Aufgaben der Polizei. Die Formulierung im Weißbuch beschränkt diesen Einsatz auf mittelgroße bis große Städte [11] und ausgewiesene Gebiete, lässt aber offen, was sich dahinter verbirgt - letztlich zieht die Zentralmacht die Verantwortung für Öffentliche Sicherheit an sich, ein Vorgang der einem "Entzug" lokaler Autonomie gleicht - rechtlich auch in China kein einfacher Vorgang. Terrorismusbekämpfung wird ebenfalls in Teilen der PAP zugesprochen. Sie hat hierfür Spezialeinheiten (Schneewölfe) und administrative Abteilungen gebildet. Die PAP entsendet im Zusammenhang mit Terrorbekämpfung Delegationen in andere Länder und führt selbst Schulungen in anderen Ländern durch (Rumänien und Aserbaidschan werden erwähnt). Mit russischen Einheiten hat man 2007 z.B. bereits eine größere Übung durchgeführt.[12]

Die PAP, noch vor einigen Jahren vom Westen als kleine Truppe ohne nennenswerte Relevanz behandelt hat sich, und dies verdeutlicht das Weißbuch in seltener Klarheit, zu der zentralen Sicherheitsinstitution Chinas entwickelt, die auf unterschiedlichsten Ebenen agieren kann. Einerseits ist dies das Ergebnis der Konzentration der Armee auf ihre Kernaufgaben, andererseits möchte die Zentralregierung neue Aufgaben, wie z.B. Terrorismus- und Aufstandsbekämpfung keiner untergeordneten Polizeibehörde überlassen. Teilweise paramilitärisch organisiert greifen bestimmte Einheiten der PAP ebenso wie die PLA auf Wehrpflichtige zurück. Bisher ist die Kommandostruktur der PAP so vielseitig wie das Einsatzspektrum, doch zeigt sich die Tendenz, spezielle Aufgaben stärker in die Hierarchie vom Staatsrat abwärts einzubinden als sie lokalen Behörden zu überlassen. Prinzipiell sind PAP-Einheiten den lokalen Innenministerien zugeordnet und können von diesen, der örtlichen Polizei und selbstverständlich von der Partei angefordert werden. Im Falle von Katastrophen und lokalen Krisen behält sich der Staatsrat vor, die Koordination der Einsätze zu übernehmen.

Deutlich wird, dass der Begriff der öffentlichen Sicherheit erweitert und vom eigentlichen Militär entkoppelt wird, aber weiter militärisch/hierarchischen Strukturen unterliegt. Mit der Umgestaltung der PAP zu einer universellen Sicherheitstruppe gewinnt die Zentralregierung Handlungsspielraum gegenüber den Regionen und verfügt über eine schlagkräftige Truppe, ohne auf die Armee (und mögliche Befindlichkeiten) Rücksicht nehmen zu müssen. Auch dies zeigt das Weißbuch auf, indem es als Beispiele die Einsätze von PAP-Einheiten im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen in Lhasa und Xinjiang erwähnt.[13]

Die Nennung zweier Gebiete, in denen ethnische Konflikte eine Rolle spielen, führt allerdings ein wenig an den Intentionen dieser Umgestaltung vorbei. Yu Jianrong, Wissenschaftler der chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften und spezialisiert auf soziale Konflikte, geht davon aus, dass soziale Konflikte in China immer öfter zwischen den ländlichen Regionen und den Städten entstehen werden. Solche Konflikte an der Grenze von Stadt und Land haben für ihn das Potential, gewaltsam ausgetragen zu werden.[14] Angesichts aufkommender Massenarbeitslosigkeit erhöht sich diese Gefahr weiter, da es gerade die ländliche Bevölkerung ist, die nun als "Wanderarbeiter" keine Anstellung mehr findet.[15]


China in Waffen:

aktive Miliz: 10 Mio

PAP: 1,5 Mio davon 800.000 "internal force"

PLA: 2,3 Mio davon 1,55 Mio Heer, 255.000 Marine, 400.000 Luftwaffe, 100.000 2. Artillerie

PLA Reserve: 800.000

Polizei Staatssicherheit: ca. 1,7 Mio (nicht Teil der "Bewaffneten Kräfte")

imi 2009


... und das "Volk"

Unter der etwas pathetischen Überschrift "Die bewaffneten Kräfte und das Volk" führt das Weißbuch Beispiele jüngster Einsätze und ihre unmittelbaren Konsequenzen für die Organisation von militärischer Macht in China auf.[16] So ist die PLA in den letzten Jahren immer wieder zu Katastropheneinsätzen ausgerückt und hat Einheiten für spezielle Einsatzarten (Flutkatastrophen, Evakuierungseinsätze, u. a.) ausgebildet. Darüber hinaus offeriert sie unter anderem im Umfeld ihrer Standorte medizinische Dienstleistungen für die Bevölkerung.

Bei der Schneekatastrophe, die Südchina Anfang 2008 heimsuchte, sind Einheiten der PLA, der PAP (zusammen 224.000) und Milizen (1,2 Millionen) zum Einsatz gekommen, um Hilfeleistungen zu erbringen und Reparaturen an beschädigten Straßen, Gleisen und Stromnetzen durchzuführen. Beim Erdbeben in Wenchuan (Provinz Sichuan) sind über 200.000 Soldaten und Milizionäre zum Einsatz gekommen. Mit solch gigantischen Einsätzen profiliert sich die Zentralregierung einerseits gegenüber der Bevölkerung als kompetente Staatsführung, zum anderen unterstreicht sie damit auch ihren Anspruch gegenüber den Regionen, nach eigenem Ermessen, in ihre Angelegenheiten einzugreifen. Nach Jahren, in denen die Autonomie der einzelnen Provinzen gestärkt wurde, sind diese Einsätze ein Beleg für den Willen der Regierung, Kompetenzen zurück in die Hauptstadt verlagern zu wollen. Letztlich erscheint dies der Führung in Beijing unumgänglich, um die ausstehenden Umverteilungsprozesse von den reichen Küstenregionen in die ärmeren Provinzen zu ermöglichen, zu denen diese nicht aus eigenem Antrieb bereit sind. In dieser Logik ist die Verschiebung zugunsten der Zentralregierung aber auch notwendig, um das Übergreifen von (sozial motivierten) Protesten von einer Region auf die andere verhindern zu können.

Die Olympiade, ebenfalls prominent im Weißbuch angesprochen, gibt hier ein gutes Beispiel. Zu den Aufgaben der PLA gehörte die Luft- und Seeraumüberwachung um die Stätten der Spiele, wozu sie nach dem Weißbuch 46.000 Mann, 98 Flugzeuge, 60 Hubschrauber, 63 Schiffe und ein paar Raketen einsetzte. Die PAP stellte für den Einsatz nicht nur 85.000 Mann ab, die für die Sicherheitsbelange zentraler Ereignisse und den geordneten Ablauf der Spiele sorgten, sondern war letztlich auch für die Notfallszenarien terroristischer Bedrohungen zuständig. Allerdings erscheinen im Weißbuch nicht nur überflüssige Details, sondern auch ein paar brauchbare und neue Informationen. So war die PAP demnach auch dafür zuständig, die Wege nach Beijing zu kontrollieren und so großräumig für Sicherheit zu sorgen, d.h. über Stadt und Provinzgrenzen hinweg (Beijing entspricht in etwa der Fläche Thüringens).

Dem Wortlaut nach dienen alle diese Elemente dazu, dass Leben der Chinesen sicherer zu machen, sie bedeuten jedoch eine fortschreitende Zentralisierung militärischer Kräfte und die Verschlankung der Sicherheitsorgane auf effizientere Strukturen. Das dabei die polizeiliche Hoheit der Regionen ausgehöhlt und die Kontrolle der Bevölkerung perfektioniert wird, ist ein gewollter Umstand.


Fazit und Ausblick

Im Hinblick auf die internationale Gemeinschaft betont die chinesische Regierung, dass sie zu allem bereit ist, was den Frieden in der Welt fördert und so nimmt sie zusehends mehr an internationalen Verträgen und Manövern auf dem Gebiet der militärischen Kooperation teil. Dies immer stärker und immer öfter unter dem Aspekt einer vertrauensbildenden Maßnahme. Der durchgängig defensive Grundtenor der Aussagen des Weißbuchs hierzu steht im Einklang mit den Aussagen, wie sie seit dem Ende des Koreakrieges in Beijing wiederholt werden. Bewaffnung stellt für China, folgt man der offiziellen Argumentation, lediglich ein Abschreckungspotential dar, das in erster Linie stabilisierend wirken soll. Konsequent wird der Bewaffnung des Weltraums und der allzu leichtfertigen Auflösung von Souveränitätsrechten widersprochen. Womit China sich bewusst gegen die Position u. a. der der USA stellt. In beiden Fällen liegt in den Aussagen des Weißbuchs also Konfliktpotential.

Aber auch hier ist ein wenig mehr Bewegung im Spiel - in den vergangenen Jahren übten chinesische Soldaten erstmals zusammen mit russischen außerhalb des chinesischen Territoriums und man verankerte im neuen Weißbuch als neues Element "military operations other than war (MOOTW)" als wichtigen Bestandteil zukünftigen Handels, dem auch das Training der Truppen angepasst wird.[17] Hier wird auch auf den Terrorismus verwiesen, womit deutlich wird, dass China zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus als mögliches Einsatzgebiet auch Orte außerhalb des eigenen Territoriums begreift. China signalisiert damit nicht nur der UNO den Willen in mehr und komplexeren Missionen eingebunden werden zu können, sondern auch die Bereitschaft nicht nur Pioniertruppen zu stellen.

China fühlt sich nach wie vor von den USA und anderen bedrängt und weist in der Analyse des Weißbuchs durchaus scharfsinnig darauf hin, das die generelle Tendenz, diplomatische Auseinandersetzungen militärisch zu unterfüttern, in nicht wenigen Regionen zu Aufrüstung führt und somit eine neue Herausforderung für die Kontrolle des Waffenhandels bedeutet. In der Tat sind oftmals die USA direkter Adressat des Papiers, die als destabilisierend empfunden werden. Gepaart mit dem Datum der Veröffentlichung, am Tag der Vereidigung des neuen amerikanischen Präsidenten, wird deutlich, dass man sich einen neuen Stil in internationalen Angelegenheiten wünscht. Das Papier schließt die Analyse der internationalen Situation mit einem umfassenden Versprechen: China wird weder jetzt noch in Zukunft nach Hegemonie streben, noch eine militärische Expansion betreiben, unabhängig davon, wie entwickelt es sein wird.[18] Umgekehrt wird bei dem Papier aber auch deutlich, dass China keinerlei Einmischung in die inneren Angelegenheiten wünscht, egal wie sehr es sich rüstet, die Herrschaft der augenblicklichen Elite auch militärisch abzusichern.


Anmerkungen

[1] Information Office of the State Council, Whitebook on China's National Defense in 2008, January 2009, Volltext unter
http://www.china.org.cn/government/central_government/2009-01/20/cont ent_17155577.htm
im Folgenden wird die Bezeichnung Weißbuch 2008 angeführt.

[2] Office of the Secretary of Defense (US), Annual Report to Congress, Military Power of the People's Republic of China, Washington 2006, S. 20
(http://www.dod.mil/): "DIA estimates that China's total spending will amount to between $70 billion and $105 billion in 2006 - two to three timest he announced budget.", Office of the Secretary of Defense (US), Annual Report to Congress, Military Power of the People's Republic of China, Washington 2008, S. 33
(http://www.defenselink.mil/): "The Department of Defense estimates China's total military-related spending for 2007 could be between $97 billion and $139 billion." (ebenfalls das Doppelte des angegebenen).

[3] Information Office of the State Council, Whitebook on China's National Defense in 2006, December 2006 (Weißbuch 2006).

[4] "The State Council exercises leadership over the PAPF through relevant functional departments, assigns routine tasks to it, decides its size and number of organizations, and is responsible for its command, operations, and financial and material support. The PAPF has an independent budgetary status in the financial expenditure of the state." Weißbuch 2006.

[5] Weißbuch 2006. Die Truppenstärke der PAP ist über das Weißbuch 2008 nicht nachzuvollziehen - so gibt das Weißbuch eine Zahl von 260.000 Servicemen an, beschreibt aber nur einen Teil des Aufgabenspektrums. Blasko rechnet die Gesamtstärke der PAP auf über 1,5 Millionen hoch. Dennis Blasko, The Chinese Army Today: Tradition and Transformation for the 21st Century, New York 2006, S. 23.

[6] Seit 1952 wird die chinesische Armee permanent reduziert, besonders aber seit den 1980er Jahren: 1985-1987 um 1.000.000; 1997-2000 um 500.000 und zuletzt 2003-2004 um weiter 200.000 auf die heutige Größe von 2.3 Millionen. Nach: Office of Naval Intelligence (US), China's Navy 2007
(http://www.fas.org/irp/agency/oni/chinanavy2007.pdf ).
Es ist hinzuzufügen, dass die Demobilisierung von mehreren Bataillonen im ersten Zeitrahmen (1985-1987) eine Umwandlung von Einheiten von PLA zu PAP war - also in Teilen lediglich eine Verschiebung und keine wirkliche Truppenreduktion.

[7] Mittelschulen sind die höchste Schulstufe in China und der Abschluss der oberen Mittelschule qualifiziert zum Hochschulstudium.

[8] Weißbuch 2008, S. 52.

[9] Weißbuch 2008, S. 47-49.

[10] Weißbuch 2008, S. 44.

[11] Der Terminus große Städte verweist in der Regel auf Städte oberhalb der Millionengrenze.

[12] Weißbuch 2008, S. 47.

[13] Weißbuch 2008, S. 46.

[14] Yu Jianrong, Social Conflict in Rural China, China Security, Vol. 3, No. 2, S. 2-17, S. 3.

[15] Bernhard Bartsch, Hiobsbotschaften aus China, 20 Millionen Wanderarbeiter verlieren ihre Jobs/ Regierung befürchtet Unruhen, Frankfurter Rundschau, 3 Februar 2009, S.22.

[16] Weißbuch 2008, S. 44-59.

[17] Weißbuch 2008, S. 12.

[18] Weißbuch 2008, S. 7.


Anmerkung der Schattenblick-Redaktion: Dieser Text kann direkt heruntergeladen werden unter: http://www.imi-online.de/download/AS-China-Weissbuch.pdf


*


Quelle:
AUSDRUCK - Das IMI-Magazin - Februar 2009, S. 24
Die komplette Ausgabe zum download:
http://www.imi-online.de/download/AUSDRUCK-Februar2009.pdf
Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0304 - 19. Februar 2009
Herausgeber: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2009