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IMI/270: Es brennt ... überall


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
Ausdruck - IMI-Magazin - Oktober 2009

Es brennt ... überall
Ein Kommentar zu Geburtstagskerzen und anderen Dingen

Von Andreas Seifert


Die Volksrepublik China hat am Vorabend ihres 60-jährigen Bestehens nicht nur rote Fahnen, viele feierliche Reden und schöne Grußworte aufgelegt, sondern Beijing eine eiserne Halskrause verpasst, die jede Freude erdrücken wird. Der stählerne Ring, wie ihn die Beijinger Presse bereits getauft hat, besteht aus einem umfangreichen Aufgebot von über 7.000 Polizisten, einer nicht genannten Zahl von Milizangehörigen ("Tausende") und jede Menge weiterer Sicherheitskräfte, die jeden strategisch wichtigen Winkel der Stadt unter wachsame Beobachtung stellen. An den Zugängen zu den U-Bahn-Stationen und einigen Unterführungen wurden Taschenkontrollen eingerichtet, um auszuschließen, dass Bomben platziert oder unliebsame Flugblätter verbreitet werden. Damit nicht genug, wird auch der Gebrauch von Radios und Mobiltelefonen rund um den Tiananmen-Platz genau kontrolliert. Die Ausgabe von Benzin in Kanister wird reglementiert: Tankstellen sind aufgefordert, Kopien der Personalausweise von Leuten einzufordern, die mit einem Kanister um Benzin bitten. Und nun wird nach einem blutigen Zwischenfall in den großen Supermärkten sogar der Verkauf von langen Messern für die nächste Zeit ausgesetzt.

Solche Vorbereitungen mögen kurios erscheinen, als eine Art Überreaktion des Regimes auf reale oder eingebildete Gefahren, aber sie sind spürbare Einschränkungen aller chinesischen Bürger. Diese Maßnahmen bilden aber nur die Spitze einer umfangreichen und gezielten Repression gegen jede Form des Protestes - sie sind Ausdruck einer Anpassung der Sicherheitsapparate an Bedrohungen, die aus der sozialen und politischen Ungerechtigkeit in China resultieren, aus hausgemachten Problemen.

Chinas wirtschaftliche Entwicklung seit den 80er Jahren hat Millionen aus der absoluten Armut geführt. Umgekehrt wurde dabei die Entwicklung von gesellschaftlichen Institutionen, die eine politische Artikulation breiter Schichten ermöglichen würde, nicht nur vermieden, sie wurde verhindert. Die Niederschlagung der Demokratiebewegung von 1989 hat den Keim solcher Institutionen vernichtet und aktive Bürgerrechtler kriminalisiert. Konzentriert auf die Entwicklung der Exportindustrie, hat sich die chinesische Öffentlichkeit damit abgefunden, keine Mitsprache zu haben - das Primat des Konsums, der persönlichen Bereicherung und damit einhergehend die Akzeptanz ungleichzeitiger Entwicklung in China bildet das Lebensgefühl seit 1990. Mit der Krise der westlichen Industrienationen bricht auch für China eine neue Zeit an. Der soziale Kampf um die besten Plätze in den Branchen der Entwicklung ist schärfer geworden. Wanderarbeiter, die Träger der Exportproduktion, werden in ihre Heimatdörfer geschickt und damit aus dem Bewusstsein der Städter getilgt. Dass die Rückkehrer schon längst keine Zukunft mehr in ihrer "Heimat" haben, versucht man zu verdrängen. Arbeitslosigkeit greift um sich und erzeugt ein Gefühl von Unzufriedenheit und Neid, das sich in Gewaltakten niederschlägt. Dies gilt ganz besonders für Regionen, in denen die Entwicklung vor allem bestimmten ethnischen Gruppen zugute gekommen ist: die Randregionen Xinjiang, Qinghai und Tibet. Minderheitenkonflikte entladen sich nicht gerade jetzt, weil ein Feiertag vor der Tür steht, sondern weil es soziale Konflikte um Teilhabe am chinesischen Wirtschaftswachstum sind, das nun ins Stocken gerät. Die Milliarden Yuan, die Beijing in die Entwicklung von Infrastruktur, Wirtschaftsförderung und auch soziale Projekte steckt, sind nicht nur ein Rettungsversuch der chinesischen Wirtschaft, sie sind ein letzter Versuch, den sozialen Frieden über die Krise zu retten.

Flankiert wird dies durch den systematischen Umbau der Sicherheitsstruktur. Lokale Polizei wird durch Einheiten ergänzt, die in der Hierarchie der Partei stehen. Diese stehen bei aller regionaler Anbindung vor allem unter einem zentralen, von Beijing aus geleiteten, Befehl: Die People's Armed Police ist in der Lage, jeden Aufstand im Zaume zu halten. Darüber hinaus wird die Regierung jeden Vorwand nutzen, Kritiker aus dem Verkehr zu ziehen - auch wenn die Entwicklung des chinesischen Rechts dies inzwischen gar nicht mehr zulässt und Protest möglich macht. Der Spitzelapparat aus Polizei, Partei und Nachbarschaftskomitees bildet ein fast lückenloses Netz, in dem sich jeder Widerstand verfängt.

Zum Geburtstag der Volksrepublik China werden viele Kerzen auf der Torte stehen - brennen wird es auch an anderen Stellen. Es wird Aufgabe der Chinesen sein, darüber zu befinden, wie das Land mit den Ansprüchen nach breiter wirtschaftlicher Entwicklung für alle Teile der Bevölkerung umgeht. Es wird auch Aufgabe der Chinesen sein, Lösungen für soziale, wirtschaftliche und umweltpolitische Probleme zu finden - die Verbesserung von Repressionsmechanismen ist kein Weg, der langfristig tragen wird.


Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
Dieser Text kann direkt heruntergeladen werden unter:
http://imi-online.de/download/AS-AusdruckOktober2009.pdf


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Quelle:
IMI-Standpunkt 2009/058 vom 12.10.09 in:
Ausdruck - IMI-Magazin - Oktober 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2009