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IMI/344: Per Flugverbotszone in den Krieg in Nordafrika?


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.

IMI-Standpunkt 2011/013 vom 23.02.2011

Per Flugverbotszone in den Krieg in Nordafrika?

Von Christoph Marischka


Jetzt ist die Katze aus dem Sack: Am Vormittag des 22.2.2011 forderte der ehemalige britische Außenminister Lord David Owen gegenüber Aljazeera eine außerordentliche Sitzung des UN-Sicherheitsrats, in der die Situation in Libyen als "Gefährdung des Weltfriedens" deklariert wird und nach Kapitel VII der UN-Charta, das militärische Zwangsmaßnahmen zulässt, eine Flugverbotszone über Libyen eingerichtet wird. Keine zwei Stunden später wird dieselbe Forderung von der einflußreichen International Crisis Group über ihren Newsletter verschickt. Doch auch in bedeutend staatsferneren Medien taucht dieser Vorschlag auf: Im Namen der dubiosen Anonymous-Gruppe, die mit ihrer Solidaritätsaktion für Wikileaks mehr von sich Reden machte, als Konkretes zu erreichen, wird in zahlreichen Internetforen, darunter Indymedia, folgender Aufruf verbreitet: "An die Vereinten Nationen ... Anonymous verlang von Ihnen, dass sie alle nötigen Maßnahmen zum Schutze der Libyschen bevölerung starten...[Dazu gehört] das Einrichten einer Flugverbotszone, sodass kein Zivilist mehr Bombardiert werden kann." [Fehler im Original] Auch die Forderung des ehemaligen britischen Außenministers passt sich - so scheint es - ganz den neuen Mobilisierungs- und Protestformen, wie sie die Aufstände in Nordafrika geprägt haben, an: Sie findet sich weniger auf Nachrichtenportalen, als dass sie weltweit getwittert wird.

Der Ruf nach einer Intervention ist angesichts der unglaublich heftigen Repression des libyschen Militärs gegen den Aufstand verständlich - aber auch gefährlich. Und er droht wiederum missbraucht zu werden. Zunächst klingt alles sehr harmlos: Die UN richten eine Flugverbotszone ein. Doch die UN kann diese nicht durchsetzen, infrage käme hierzu eigentlich nur die NATO. Genau darin bestand auch Owens Vorschlag: die NATO solle - evtl. gemeinsam mit der ägyptischen Armee - diese Flugverbotszone durchsetzen, libysche Flugzeuge abschießen und Flugplätze bombardieren. Angesichts der militärischen Ausrüstung Libyens bedeutet dies einen handfesten Krieg. Alleine im Jahr 2009 wurde der Export italienischer Kampfflugzeuge im Wert von 107 Mio. Euro nach Libyen genehmigt, Portugal lieferte Drohnen im Wert 4.6 Mio. Euro. Deutschland hat ebenfalls 2009 u.a. Störsender für 43,2 Mio. Euro geliefert, die nicht nur die Kommunikation unter den Protestierenden und auch die Evakuation von Ausländern behindern, sondern auch militärische Angriffe erschweren können.

Bislang wurden zwei Mal von der UN mandatierte Flugverbotszonen eingerichtet und auch durchgesetzt: 1991 über dem Nordirak (Operation Provide Comfort) und 1993 über Bosnien und Herzegowina. Beide Einsätze mündeten letztlich - wenn auch mit unterschiedlichen Zeitabständen - in den Einsatz von Bodentruppen und die anschließende militärische Besatzung. Eine Evaluation beider Einsätze durch den US-Luftwaffenmajor Michael V. McKelvey für die Forschungsabteilung der US-Luftwaffe versucht anhand dieser die Ziele einer Flugverbotszone zu systematisieren: Flüge nicht verbündeter Kräfte zu verhindern, Zivilisten vor Bombardements zu schützen und die Lufthoheit für "andere Missionen" zu sichern. Die Erfolgsmaßstäbe seien dabei erstens der Erfolg der Luftoperationen, zweitens die Kongruenz zwischen den Luftoperationen und "höheren Zielen" und drittens die tatsächlichen Auswirkungen dieser Luftoperationen für die Erreichung der "höheren Ziele" und des "gewünschten Endzustands". Die Evaluation trägt den bezeichnenden Titel "Luftüberlegenheit in MOOTW [Military Operations other than War]: Eine kritische Analyse des Einsatzes von Flugverbotszonen zur Durchsetzung nationaler Interessen".

Worin die nationalen Interessen hinter einem Krieg in Nordafrika und speziell gegen Libyen bestehen, liegt auf der Hand. Libyen verfügt über gewaltige Vorkommen an Erdöl und Erdgas und ist einer der wichtigsten Energielieferanten Europas. Es übt Kontrolle über wesentliche Teile der Sahara und einen großen Einfluss auf deren Anrainerstaaten aus. Auch innerhalb der Afrikanischen Union war Libyen als einer der größten Finanziers de facto eine Vetomacht. Deshalb und wegen der Überflugsrechte musste bislang jeder EU-Militäreinsatz in Afrika zuerst mit Gaddafi verhandelt werden. Europäische Rüstungslieferungen "erzwang" er nach Logik der europäischen Sicherheitspolitiker durch die Drohung, die Öl- und Gasleitungen nach Europa abzudrehen und stattdessen Flüchtlinge nach Europa kommen zu lassen.

Doch auch jenseits solcher klassischer geopolitischer Interessen könnten viele westliche Politiker entscheidende Vorteile in einer solchen Intervention sehen. Ein Internationaler Konflikt in Nordafrika könnte die Protestwelle zum Erliegen bringen oder zumindest eine massive Repression gegen die unerwünschten Teile des Protests im Schatten des Krieges ermöglichen. Dies wäre zumindest in Ägypten anzunehmen, falls es zu einer Flugverbotszone und einer Zusammenarbeit mit der NATO kommt. Wo westliche Einflußnahme von großen Teilen der Protestbewegung abgelehnt wird, ist mit einer enormen Eskalation zu rechnen, sollte sich die Militärregierung während des "Übergangs" Seite an Seite mit der NATO in einen Krieg stürzen oder ihr auch nur Truppenstationierungen erlauben. Ähnliches gilt für die anderen nordafrikanischen Staaten, weshalb davon auszugehen ist, dass eine Flugverbotszone überwiegend von Flugzeugträgern aus dem Mittelmeer durchgesetzt werden würde - dort, wo jetzt schon Flüchtlinge ihr Leben riskieren, um nach Europa zu kommen.

Den Protestierenden in Libyen wird ein solcher militärischer Aufmarsch nichts nutzen. Luftangriffe eignen sich nicht zur langfristigen Aufstandsbekämpfung sondern allenfalls als einmalige, menschenvernichtende Machtdemonstration. Bis die NATO aufmarschiert ist, wird entweder die Protestbewegung die Oberhand über das mittlerweile unkontrollierte Militär gewonnen haben oder durch dieses vernichtet worden sein. Einen Anlass für ein solches, noch härteres Vorgehen und eine Reorganisation der libyschen Streitkräfte könnte die bevorstehende Intervention jedoch allemal darstellen - oder auch schon deren Androhung.


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Quelle:
IMI-Standpunkt 2011/013 vom 23.02.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2011