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KAZ/152: Die Krise - Wer zahlt die Zeche? - Teil 2


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 331, Juli 2010
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Die Krise: Wer zahlt die Zeche - Teil 2
(Teil 1 in KAZ 330)*

Kämpfen auf der Wachstumsinsel?


Unser Artikel, im März dieses Jahres für die April-Nummer der KAZ geschrieben, wird hier zum Stand Mitte Juli fortgeschrieben.

Wir sagten:
Erstens: "Die zyklische Krise auch des deutschen Kapitalismus dauert an. Die Krisen folgen werden in der 2. Hälfte 2010 voll sichtbar." Stimmt das denn noch, wenn man z.B. in der Financial Times Deutschland (FTD vom 6. Juli), Informationsblatt für Manager der deutschen Großindustrie, auf Seite 1 lesen kann: "Deutschland wird zur Wachstumsinsel"? Während der Rest Europas nicht aus der Krise herauskommt, werden in deutschen Autowerken Sonderschichten gefahren, und "in wichtigen Branchen wie der Chemie oder dem Maschinenbau stapeln sich die Aufträge". Vor allem die Aufträge aus China seien höher als erwartet.

Ökonomen verdoppeln (!) ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum des laufenden Jahres von ca. 1% auf ca. 2%-nach einem Einbruch von 5% im Vorjahr. Im nächsten Jahr soll das Wachstum dann wieder abflauen.

Geht es also erstmal aufwärts? Diese Frage ist ja nicht ganz unwichtig. Für unsere Kampfbedingungen spielt das eine große Rolle. Wenn die Kapitalisten Arbeitskräfte wieder verstärkt benötigen, erleichtert das die Entwicklung der spontanen Bewegung gegen Kapital und Regierung. Bei Andauern der Krise dagegen spielt die Aufklärung über die Krisenursachen eine bedeutende Rolle, um den Widerstand in der Defensive zu organisieren.

Zweitens: Die Wahl in NRW ist von Bedeutung für die Handlungsfähigkeit der Bürgerblock-Regierung.

Drittens: Die geplanten Grausamkeiten werden verschwiegen, aber: Die Notverordnungen sind schon geschrieben und werden nach der Wahl Schritt für Schritt bekannt gegeben und versucht durchzusetzen.

Viertens: Strategische Klarheit hilft, die Verteidigung aufzubauen.


Zu 1: Woher kommt der unerwartet hohe Export?

Der Maschinenbau ist in der Tat ein wichtiges Element im kapitalistischen Krisenzyklus: Der Tiefpunkt des Abschwungs wird erst erreicht, wenn die Krise "ausreichend" Kapital vernichtet hat, wenn die überlebenden Kapitalisten dann wieder verstärkt Maschinen bestellen, und so den Weg nach unten unterbrechen und umdrehen. Marxisten sprechen dann von Belebung, wenn es wieder zur massenhaften Neuanlage von fixem Kapital kommt; die bürgerliche Ökonomie spricht von einem "selbsttragenden Aufschwung". Marxisten sprechen erst von einem Aufschwung, wenn das Produktionsmaximum des vorangegangenen Krisenzyklus überschritten wird. (1)

Die Aufträge im Maschinenbau gingen 2009 um 38% zurück. Die Produktion sank um ein Viertel. Für 2010 war Stagnation auf diesem niedrigen Niveau prognostiziert. Jetzt steigen die Aufträge, im Mai waren es 61% mehr als im Vorjahr. Woher kommt das Wachstum? Einen Hinweis gibt der Artikel von Herbert Wulff in der jungen welt vom 23. Juni: Dank Kurzarbeit statt Entlassungen kann die Auslastung der Werke rasch hochgefahren werden. Die Auslastung ist aber immer noch unter der Normalauslastung. China ist zum größten Abnehmer des deutschen Maschinenbaus geworden. "Ohne das Land hätten wir die Kurve nur schwer gekriegt", sagt Hannes Hesse, der Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbands VDMA. Einige Bereiche, wie der Textilmaschinenbau, seien fast vollständig von der weiteren Entwicklung in China abhängig.

Für die Autoindustrie kommt zu China die Nachfrage nach teuren Autos aus den USA dazu. Vor allem Daimler und BMW konnten hier mehr verkaufen. Die Chemieindustrie ist Vorlieferant für fast alle Industrien. Auch hier wurde die Exportsteigerung von Asien und Südamerika laut VCI (Verband der ehem. Industrie) vom billigen Euro getragen.


Warum kam der unerwartet hohe Export im 2. Quartal 2010?

Die unerwartet hohe Nachfrage kommt also fast ausschließlich aus dem Nicht Euro-Gebiet. Sie wurde durch den Absturz des Euro ausgelöst. In der FTD vom 26. Mai ist dargestellt, dass die Exporte aus dem Euro-Raum ab April diesen Jahres zeitgleich zum Verfall des Eurokurs gegen den US-Dollar stiegen. Im Herbst 2009 musste für einen Euro noch 1,50 bezahlt werden, im Mai 2010 waren es noch 1,20. Zum Beispiel ein BMW für 100.000 Euro kostete den US-Banker statt 150.000 US-Dollar nur noch 120.000 $. Da brauchte man keine Rabattprogramme mehr zur Verkaufsförderung. Von dem Euroverfall profitierten natürlich nicht nur die Käufer in den USA, sondern in allen Nicht-Euro Ländern, zum Beispiel China und der Schweiz, in die 2008 noch mehr exportiert wurde als nach China. Aufgrund des starken Exportwachstums nach China 2009 und 2010 dürfte China inzwischen allerdings weiter nach vorn gerückt sein. Insgesamt brach der Export in Deutschland 2009 um knapp 18 Prozent ein - auf 808,2 Milliarden Euro, der Export nach China stieg um 7%. Vor zehn Jahren machten die Exporte in die Volksrepublik nur 1,4 Prozent der gesamten Exporte aus Deutschland aus, 2009 waren es schon 4,5 Prozent.

Auf den Zusammenhang zwischen dem Euro-Kurs und dem Bankenrettungsprogramm haben wir im Artikel "750 Mrd. für die Bankenrettung ..." hingewiesen. Es ist ja gerade ein schwacher Euro, den zumindest die exportorientierten Monopole verlangten - gegenüber dem Mediengeschwafel vom stets harten Euro, der verteidigt werden muss.


Perspektive:

Durch die höher als geplanten Exporte wurde in einigen Firmen die stark ausgedünnte Personaldecke zu kurz. Die Kurzarbeit ist seit dem 4. Quartal 2009 rückläufig, bei (offiziell) nur relativ gering angestiegener Erwerbslosigkeit. Die Hoffnung der Konjunkturexperten, dass dadurch der Konsum ansteigen würde, ist windig.

Noch im Mai lag der Auftragseingang der Konsumgüterindustrie zweistellig unter dem Vorkrisenniveau. Die Spitze der Nachfrage nach Konsumgütern war 2007 erreicht worden, kurzzeitig mit ganzen 10% mehr als 1991, nachdem die Werte den Nettoreallöhnen entsprechend meistens unter diesem Wert gelegen waren. Ob die durch den Export steigende Beschäftigung im 2. Halbjahr 2010 ausreicht, die durch das Notprogramm der Merkel-Regierung sinkenden Einkommen auszugleichen, darf bezweifelt werden. Konsumsteigerung als Konjunkturstütze beschwört die leeren Taschen der Kollegen. Und die Kapitalisten der drei Kernindustrien Maschinenbau, Auto und Chemie setzen zudem voll auf Lohndrückerei, um zusätzlich zum abgewerteten Euro noch weiter mit den Billiglöhnen aus der BRD der Konkurrenz durch wachsenden Export Marktanteile abjagen zu können. Das hält natürlich die viel beschworene Massenkaufkraft im Inland weiter am Boden.

Aus den europäischen Ländern, in die drei Viertel des deutschen Exports gehen, ist weiterhin Nachfrageflaute, von Portugal bis Russland. Die Konjunkturprogramme sind ausgelaufen. Wegen der überall einsetzenden Sparprogramme wird mit sinkender Nachfrage, besonders 2011, gerechnet. Den Vogel dabei scheint die neue konservative Regierung in Großbritannien abschießen zu wollen, deren Gewaltsparprogramm unmittelbar über eine Million Arbeitslose verursachen wird, durch die sinkende Inlandsnachfrage dann wohl noch mehr. Good night and good luck!

Vor allem auf den Nicht-Euro-Märkten, die den Exportboom der vergangenen Monate getragen haben, China und USA, wird die Nachfrage aller Wahrscheinlichkeit nach so nicht weitergehen.

Zu China: Es hat sich bis zur FTD herumgesprochen, dass die VR China 2007 einen grundsätzlichen Wechsel in der Wirtschaftspolitik beschlossen hat, der Zug um Zug umgesetzt wird. Grundsatz: Wachstum mehr in Qualität als in Quantität (Vgl. Rolf Berthold, Chinas Weg, zum 17. Parteitag der KPCh 2007). Weg von der Low tech Produktion mit Billiglöhnen, Stärkung der Binnenkaufkraft, Erhöhung der Produktivität vor allem durch Stärkung des High tech Sektors. Bremsen des Bau- und Autobooms, sobald die chinesische Wirtschaft die Schläge weggesteckt hat, die sie durch die Krise des Kapitalismus auf den entsprechenden Exportmärkten erlitten hat. Der Bauboom soll gebremst werden, weil er zu überhöhten Preisen geführt hat, mit einer Politik der Verknappung des Kredits und gleichzeitigen Erweiterung des Angebots. Der Zuzug in die Metropolen wird durch attraktivere Bedingungen in kleineren Städten gebremst. Hauptsächlich aus Umweltgründen wird die exzessive Nachfrage nach PKW durch eine Vielzahl von Maßnahmen gedämpft.

USA: Auch der dort ausgerufene Aufschwung will nicht recht in die Gänge kommen. Die Beschäftigung steigt nicht, die Erwerbslosigkeit bleibt auf hohem Niveau; damit bleibt die Konsumnachfrage schwach. Abzusehen ist, dass die US-Wirtschaft trotz kontinuierlichen und riesigen Leistungsbilanzdefiziten, trotz der massiven Konjunkturprogramme, trotz Rüstung und Kriegen keine Wachstumsimpulse für die Weltwirtschaft mehr erbringt. Die Rechnung in Form von Staatsverschuldung und überbewertetem US-Dollar wurde bisher dank der hoch gerüsteten militärischen Stärke dem Rest der Welt präsentiert. Nun scheinen zumindest die Konsumenten nicht mehr an die Wirksamkeit der Maßnahmen zu glauben. Die Bereitschaft sich weiter privat zu verschulden läßt nach.

Darüber, ob der US-Staat sich weiter verschulden kann, toben heftige Auseinandersetzungen zwischen den US-Großkapitalisten, je nach Risikobereitschaft und Konzerninteresse.


Die Kernbranchen der Exportindustrie in Deutschland:

Maschinenbauindustrie:
Die Steigerung von 61 % bei den Aufträgen ist bei Licht besehen kein Grund zum Jubeln. Fast zwei Drittel mehr von sehr wenig ist noch immer wenig. Damit wird in etwa das Niveau der Jahre 2005/6 erreicht, die keine Höhepunkte waren. Der Verband der Maschinenbauer überprüft jetzt seine Nullwachstumsprognose vom Anfang des Jahres: es könne auch ein leichtes Wachstum herauskommen, heißt es. (Bericht der VDMA laut FTD 04.07.2010) Wegen der nach wie vor nicht hohen Auslastung der eigenen und der anderen Branchen ist eine höhere Nachfrage aus dem Inland nicht zu erwarten.

Die KFZ-Industrie prognostiziert jetzt eine Gesamtproduktion im Inland von 5,45 Millionen Pkw. Davon sollen 4,15 Millionen Fahrzeuge exportiert werden, 20% mehr als 2009. In Deutschland rechnet man wegen der Abwrackprämie 2009 mit einem Rückgang der Neuzulassungen um rund 25%. Der Boom in den USA flaut ab. (Meldungen des VDA in der "Automobilindustrie" vom 6.7.2010).

Der Verband der chemischen Industrie (VCI) gab am 7. Juli einen vorsichtigen Ausblick, schrieb das Handelsblatt online am gleichen Tag: Die Geschäftserwartungen in der Branche seien weiterhin positiv. Teilweise auslaufende Konjunkturprogramme weltweit und die Sparvorgaben auf dem wichtigen europäischen Markt dürften aber nach Einschätzung des Verbands das gesamtwirtschaftliche Wachstum, und damit auch das Wachstum der Branche dämpfen. Ein umfangreicher Lageraufbau wird bei den Industriekunden auf absehbare Zeit nicht erwartet. Das Vorkrisenniveau wird noch nicht erreicht werden. Im Inland wird das Wachstum geringer sein. Man hofft weiter auf Asien und den billigen Euro.


Und die Risiken im Finanzbereich steigen

In der Krise ab 2007 ging es den Regierungen darum, einen Absturz des Finanzsystems zu verhindern, auf das der Imperialismus für sein Überleben angewiesen ist. Den Banken und Großunternehmen, die in Finanzpapiere aller Risikoklassen investiert hatten, wurde erlaubt, ihre Bilanzen "vorläufig" zu schonen. Nur die Papiere, die definitiv wertlos waren, mussten abgeschrieben werden. Bis dato galt als Betrug und kriminell, wenn z.B. Schulden, die nicht mehr eintreibbar waren, nicht in der Bilanz gezeigt wurden, auch wenn der Schuldner noch nicht Insolvenz angemeldet hatte. So durften jetzt z.B. Schuldverschreibungen von Wackelfirmen - sagen wir Opel - in der Bilanz gehalten werden, in der Hoffnung, dass ein baldiger Aufschwung eine Stabilisierung bringen würde. Nur im Notfall wollten die Regierungen diese Schulden garantieren, um die Garantien in einem irgendwie noch glaubwürdigen Rahmen zu halten. Notwendig wurde dieses - in traditioneller Betrachtung kriminelle - Verfahren, weil die Schulden wieder durch die bekannten und im letzten Krisenzyklus ungemein beliebten Kreditausfallversicherungen (CDS=Credit Default Swaps) in unbekannter Höhe abgesichert und gegen abgesichert waren. Nun hat sich die Waren und Mehrwert produzierende sogenannte Realwirtschaft nicht stabilisiert, dafür wird die Zahlungsfähigkeit der Staaten angezweifelt und zu den Risiken der Firmenschuldverschreibungen kommen die Risiken der Staatspapiere und der dazugehörigen völlig unübersehbaren Risiken ihrer CDS.

Laut einer Studie der internationalen Wirtschaftsprüfergesellschaft PwC, die in der FTD vom 29. Juni zitiert wird, lagen per Ende 2009 mehr faule Kredite und Risikopapiere in den Bankbilanzen als Ende 2008 und zwar - in Mrd. Euro - in Deutschland 233 (+50%!), GB 155, Spanien 97, Italien 59. Frankreich, dessen Banken laut Statistik der BIZ (Bank für internationalen Zahlungsausgleich Basel) mit ca. 700 Mrd. Euro (!) Staatspapiere von Italien, Portugal, Griechenland, Irland und Spanien haben, sowie die USA werden nicht erwähnt. Auf derselben Seite wird aber in der FTD groß berichtet, dass die BIZ vor einer neuen Finanzkrise warnt. Bisher waren die Einschätzungen der BIZ, zumindest in diesem Krisenzyklus, zutreffend.

Konsequenzen für uns: Nutzen wir das Dilemma der Kapitalisten und ihrer Medien: Sie müssen einerseits die Lage besser darstellen als sie ist, um wieder Vertrauen in die "Selbstheilungskräfte" des Kapitalismus herzustellen und andererseits müssen sie rabiate Maßnahmen vorbereiten, um aus der prekären Situation herauszukommen. Nicht von den Gesundbetern beeindrucken lassen! Dort, wo es kurzzeitig aufwärts geht, die Chancen nutzen, um Zugeständnisse der Kapitalisten zu erreichen. Nicht beeindrucken lassen vom Geschwätz, dass nur Zurückhaltung den Aufschwung und die Arbeitsplätze sichert.

Der nächste Einbruch steht ohnehin bevor. Und nicht vergessen, dass in konjunkturell besseren Zeiten die Spannung der Kette um den Hals nur lockerer wird, dass es aber immer noch Kette ist, mit der wir an die Kapitalisten geschmiedet sind.


Zu 2. Die Wahl in NRW ist von Bedeutung für die Handlungsfähigkeit der Bürgerblock-Regierung

Merkel wollte in NRW gewinnen, um das Sparprogramm des Großkapitals ohne Behinderung im Bundesrat durchziehen zu können. Das hat nicht geklappt. Das Bewusstsein in der Arbeiterklasse in NRW und anderswo, das nach NRW hineinwirkt, war stark genug geworden, um die Taktik von Merkel nicht aufgehen zu lassen. Besonders nach der Wahl zeigte sich, dass die Arbeiterklasse in NRW und ihre Verbündeten ihre Rolle als Stimmvieh nicht mehr so ohne Weiteres spielen: in der SPD, bei den Grünen und auch in der Partei Die Linke (PDL) wurde der Druck der Basis von innen und außen so stark, dass die Parteiführungen entgegen ihrem anfangs offen erklärten Willen zu der jetzt vereinbarten Minderheitsregierung gekommen sind. Die PDL hat mit den "Haltelinien" klare Grundsätze für ihre Zusammenarbeit formuliert, und diese nicht auf dem Altar der Regierungsposten geopfert. Dieser Druck der Basis, dieses wachsende Klassenbewusstsein wurde nicht zuletzt durch die Aktionen unter dem Motto " Wir bezahlen Eure Krise nicht" gestärkt. Wir haben nun den nicht zu unterschätzenden Vorteil, die Worte von SPD, Grünen und der PDL an ihren Taten messen zu können. Die starken Sprüche von SPD und Grünen aus der Opposition, mit denen sie versuchen, ihre gegen die Arbeiterklasse gerichtete Politik in der sozial-grünen - und in der Großen Koalition vergessen zu machen, werden nun auf den Prüfstand gestellt.


Zu 3. Die geplanten Grausamkeiten werden verschwiegen, aber: Die Notverordnungen sind schon geschrieben und werden nach der Wahl Schritt für Schritt bekannt gegeben und versucht durchzusetzen

Nach NRW versucht Merkel eine Sparpolitik mit Salamitaktik, bekommt aber vom Großkapital per Medien die Rute gezeigt. Der Kampf Jeder gegen Jeden und der ganz unbürgerlich rüde Umgangston in der schwarz-gelben Koalition zeigen an der Oberfläche, dass sich im Kapitallager heftige Kämpfe abspielen.

Die Niederlage in NRW und auch die EU-Bankenrettungsaktion vom 8. Mai haben die Widersprüche im deutschen Kapitalistenlager verschärft. Es geht um die taktische Umsetzung der strategischen Interessen, die die deutschen Großkapitalisten gemeinsam haben:

Strategische Gemeinsamkeit ist zunächst einmal, dass mit Hilfe ihres Staatsapparats möglichst viel Mehrwert das eigene Kapital vermehrt. Dazu muss diese superreiche Mikrominorität mit Hilfe desselben Staates zweitens an der Macht bleiben. Konkret in Deutschland haben sie ihr hauptsächliches Nachkriegsziel noch nicht erreicht, auf gleicher Augenhöhe mit den anderen Großkapitalisten zu konkurrieren, die Dank ihres Staatsapparats über mehr internationale Ausbeutungsmöglichkeiten verfügen. Um international noch stärker zu werden, brauchen sie auch intern einen starken Staat, der den Rahmen für eine möglichst hohe Profitrate bietet, ohne die interne Ruhe zu gefährden. Dazu braucht der deutsche Imperialismus im Inneren Verbündete in den Mittelschichten und Einfluss in der Arbeiterklasse. Um die optimale Umsetzung dieser strategischen Gemeinsamkeiten konkurrieren die bürgerlichen Politiker. Je nach Herkunft und Karriere verbünden sich die jeweiligen bürgerlichen Politiker mit konkreten Interessen, von bestimmten Konzernen, Konzerngruppen, des Mittelstands, oder dem Interesse des Kapitals, Einfluss in der Arbeiterklasse zu haben (Profi-Sozialpartner aller Parteien). Die jeweiligen kapitalistischen Interessengruppen versuchen dann mit ihren Einflussmöglichkeiten, direkt oder indirekt durch ihre Medien, ihre Champions, die durchaus wechseln können - siehe Stoiber - in die Regierung zu bekommen. Die jeweilige Regierung ist dann natürlich ein Kompromiss zwischen den Kapitalgruppen, weil jeder versucht, die Prioritäten so zu setzen, dass es dem eigenen Interesse, dem eigenen Konzern, der eigenen Kapitalgruppe und ihren jeweiligen Verbündeten am meisten nützt.

Die Auseinandersetzung im Lager der deutschen Monopolbourgeoisie über den Weg aus der Krise ist nach dem Ausgang der NRW-Wahlen und den Beschlüssen im Zusammenhang mit der Bankenrettung am 8. Mai schärfer geworden.

Der ursprüngliche Auftrag von schwarz gelb war die Konsolidierung des Staatshaushalts nach den Krisenmaßnahmen 2008/2009, zu Gunsten des Großkapitals, auf Basis des sozialen Bündnisses mit reaktionärem Kleinbürgertum und oberen Angestellten (FDP) - auf Kosten der Priorität sozialer Frieden, die während der Krise galt (Große Koalition). Konkret zielt das schwarz-gelbe Programm auf einen umfassenden Abbau sozialer und politischer Rechte ab, der mit der SPD schwer durchzusetzen ist, will die SPD nicht weiter Einfluss in der Arbeiterklasse verlieren und dadurch für die Monopolbourgeoisie überflüssig werden.

Das schwarz gelbe Programm hatte folgende Hauptpunkte, deren Ausführung nun auf Schwierigkeiten stößt:

a) Die verfassungsmäßig garantierte Neutralität des kapitalistischen Staats in der Tarifrunde aushebeln - Lohnraub. Die taktisch - auch von Linken - oft unterschätzte Merkel rät nach der NRW-Niederlage zu Vorsicht und lenkt ihre Auftraggeber im Großkapital und deren Hofstaat wieder stärker in Richtung Sozialpartnerschaft.

b) Die großen und kleinen Kapitalisten und ihre Profitrate von sog. Lohnnebenkosten "entlasten": Seit die Sozialversicherung Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde - das Deutsche Reich brauchte die Sozialpartnerschaft, um nach außen aggressiver vorgehen zu können -galt die Sozialregel der 50/50 Finanzierung. Die von den vorigen Regierungen relativ vorsichtig ausgetestete Aufgabe dieser Regel soll nun konsequenter durchgezogen werden: Erhöhung des Rentenalters, also Rentenraub Verschärfung von Hartz 4, also Kürzung der Leistung der Arbeitslosenversicherung Krankenversicherungs"reform". Auch hier zögert Merkel nach NRW und lenkt in Art der Großen Koalition auf eine Salamitaktik.

c) Ländern und Kommunen, die den sozialen Frieden nicht gefährden wollen, wird das Sparen mit Hilfe der Schuldenbremse aufgezwungen, wodurch ihre verfassungsmäßige Autonomie ausgehebelt ist. Merkel versucht, dem sich abzeichnenden Widerstand die Spitzen abzubrechen.

d) Kleinere Kapitalisten und größere Angestellte sollten durch Steuergeschenke der FDP bei der Stange gehalten werden. Hier ergibt sich ein Konflikt mit dem Sparziel. Nach NRW sind diese Steuergeschenke der Arbeiterklasse, die die Krisenfolgen bezahlt, noch schwieriger zu vermitteln.

e) Die Militarisierung, deren Kosten auch die Kleinbürger belastet, soll kostengünstiger werden, durch direkteren Zuschnitt auf den strategischen imperialistischen Zweck: Gleichziehen mit den USA bei internationalen Konflikten. Dazu braucht es keine Wehrpflichtigen, sondern weniger, aber schnell und weltweit einsetzbare Berufssoldaten. Durch die massive Schließung von Standorten werden dadurch weitere Einnahmequellen von Ländern und Kommunen gekappt. In Frage gestellt werden kann auch das Milliardenprogramm der Raketenabwehr. Angesichts der Raketenbedrohung Deutschlands ist das eher eine Droh- und Propagandarüstung, die nicht dem gesamtem Großkapital, sondern hauptsächlich den beteiligten Rüstungskapitalisten und ihren Zulieferern dient. Auch hier ist typisch, dass Guttenberg die Karten nicht auf den Tisch legt, sondern in Bezug auf die imperialistischen Rüstungsprogramme, die unbedingt durchgezogen werden sollen, behauptet, man könne wegen der Konventionalstrafen bei Vertragskündigung von den Bestellungen nicht zurück.

Die Kapitalisten, die aus ihrer Interessenslage Merkel nicht folgen, sehen in ihrer Taktiererei und ihrer Drohung mit der Rückkehr der Großen Koalition eine Art Vertragsbruch. Man hat die Bildung der schwarz-gelben Regierung auf den Weg gebracht, nun setzt sie das Programm nicht um.

Der Konflikt, die Widersprüche unter den Monopolkapitalisten und zwischen ihnen und den nicht-monopolistischen Kapitalisten und Kleinbürgern, ist allerdings tiefer und grundsätzlicher, worauf wir auch in dem Artikel zur Bankenrettung hinweisen.

Zum einen sollen durch den als "Sparprogramm" getarnten Raubzug begonnen werden, die Kosten der Krise und ihrer versuchten Überwindung von den Großkonzernen und der Monopolbourgeoisie abzuwälzen und dabei die Schmerzgrenze der Arbeiterklasse und der anderen sozialen Schichten getestet werden. Dadurch sollen auch die Risiken für den Staat des deutschen Imperialismus verringert werden und er instand gesetzt werden, wieder stärker nach außen zu wirken. Zum anderen ist der deutsche Imperialismus durch die Beschlüsse der Bankenrettungsaktion vom 8. Mai schneller als erwartet in die dominierende Rolle in der EU gekommen, jedenfalls solange er wirtschaftlich stärker ist als die anderen. In der oben geschilderten Konjunktur-Risikolage der deutschen Wirtschaft wollen Teile des Monopolkapitals die Wirtschaftsaufsbelebung auf keinen Fall gefährden und drängen zu einem vorsichtigen Sparkurs. In einen Abschwung hineinsparen sollen sich erst die anderen Euroländer - bei Griechenland und Spanien zeichnet sich das bereits ab. Dafür nimmt dieser Teil des deutschen Monopolkapitals ein höheres Risiko im Fall einer sich verschärfenden Finanzkrise in Kauf.

Durch das Auspressen der Arbeiterklasse über die Zerschlagung des Sozialversicherungssystems ist das Kapital noch stärker auf Auslandsnachfrage angewiesen. Das verstärkt die Konflikte mit den anderen Imperialisten, und zwar sowohl mit den französischen Imperialisten als auch mit dem USA-Imperialismus, auf deren Wohlwollen man noch angewiesen ist.

Je aggressiver seine Politik nach außen, und nach dem 8. Mai ist der Vorherrschaftsanspruch der deutschen Imperialisten kaum noch verhüllt, desto mehr braucht er Ruhe an der Heimatfront. Die Ruhe kann durch Sozialpartnerschaft à la SPD hergestellt werden, oder durch die terroristische Variante, die "deutsche Volksgemeinschaft". Wie hart im Monopolkapital bereits um diese Frage gerungen wird, zeigen nicht nur die Angriffe auf unsere grundlegenden sozialen und politischen Rechte, sondern auch die Abgänge von Volksgemeinschaftlern wie Koch, Köhler und Rüttgers in die politische Reserve. Wären wir wirklich überrascht, wenn die zusammen mit Merz und Gauweiler in einer Bewegung zur Rettung des Vaterlandes oder so ähnlich wieder auftauchen würden? (s. auch "Granatsplitter").

Den Versuch, mit der Euro-Verbilligung den Aufschwung in Deutschland hinzubekommen, die EU zu dominieren und gleichwertig gegen die USA anzutreten, lassen sich die anderen Länder auf Dauer nicht gefallen. Die Warnungen vor und auf dem G20-Gipfel Ende Juni übertönte Merkel mit viel Gedöns um die eher harmlose Finanztransaktionssteuer. Das viel stärkere und durchaus selbstbewusste China war da vorsichtiger und lancierte rechtzeitig vor dem G20-Gipfel Beschlüsse, seine Währung nach oben anzupassen - dies für die Leute, die nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass China den Prozess weg von der Exportabhängigkeit längst eingeleitet hat, siehe oben. Einer der Supermächtigen in der imperialistischen Finanzwelt, der US-Großgeldhändler und Multimilliardär George Soros, warnte in der FTD am 24. Juni, kurz vor dem G20-Gipfel, indem er "den Deutschen" riet, sich in einem "Gedankenexperiment" mal ihre Wirtschaft ohne den Euro vorzustellen - die Rolle des Exportmeisters und des Zuchtmeisters der EU wäre zu Ende. Sarkozy, mit Unterstützung von Berlusconi und Zapatero, hatte am 8. Mai ebenfalls mit dem Ende des Euro gedroht.


Zu 4. Strategische Klarheit hilft, die Verteidigung aufzubauen

Durch die Niederlage in NRW sind die Kapitalisten etwas vorsichtiger geworden. Durch die Exportwelle in Folge der Euroabwertung hat sich unsere Ausgangsposition verbessert. Ob wir sie nutzen, um unsere Verteidigungskräfte zu stärken gegen die weitere Abwälzung der Krisenlasten auf unsere Schultern, liegt an uns.

Stand 16.7.2010
AG Krise (Corell, Flo, Georg, O'Nest)


Anmerkung:

(1) Als Index bietet sich hierzu generell die "Produktion im Produzierenden Gewerbe", der für das 4. Vierteljahr 2007 das Maximum mit 115,7 erreicht hatte (2005 = 100). Im 1. Vj. 2010 lag dieser Index bei 96,0, im Mai bei 101,4 und im Juni bei 103,2. Das sind die Fakten. (Quelle: http://www.bundesbank.de/statistik)
Für den Maschinenbau wurde das Maximum im 4. Vj. 2008 festgestellt mit 129,6. Im 1. Vj. 2010 liegt dieser Index bei 88,1, für Mai bei 92,9 für Juni bei 96,5 (a.a.O.)


(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Teil 1 dieses Artikels siehe unter:
SCHATTENBLICK -> INFOPOOL -> MEDIEN -> ALTERNATIV-PRESSE
KAZ/144: Die Krise - Wer zahlt die Zeche?


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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 331, Juli 2010, S. 10-14
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2010