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KAZ/311: Wie kriegsfähig ist der deutsche Imperialismus - Teil 2


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 369, Dezember 2019
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Wie kriegsfähig ist der deutsche Imperialismus (II)


In der KAZ 355 analysierten wir unter dem gleichnamigen Titel die Entwicklung des deutschen Imperialismus, die wirtschaftliche Hegemonie in eine militärische (Stichwort EU-Armee) zu verwandeln. In der KAZ 366 - Die EU, ein imperialistisches Experiment - wird die Wandlung von einer US-gestützten Institution zur Lenkung, Einbindung und Begrenzung deutscher Expansionsgelüste zur aggressiv agierenden Weltmacht in Wartestellung nachgezeichnet.

Das PESCO-Abkommen (Permanent Structures Cooperation) und Deutschlands Vorpreschen im Syrien-Krieg sind Kennzeichen für eine verschärfte Gangart Deutschlands im Kampf um Bestand und Neuformierung imperialistischer Allianzen.


Seit der Jahrtausendwende erleben wir nun schon die sich verschärfende allgemeine Krise des Kapitalismus in seiner letzten Stufe - dem Imperialismus. Viele Staaten widersetzen sich ihm, der zerbröselnde Imperialismus versucht deshalb, sich mit Gewalt nach innen und außen am Leben zu erhalten. Diese Politik ist nicht das Werk irgendeines oder einiger Staaten, sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung des Monopolkapitals, eine internationale Erscheinung, ein Ganzes, das nur in allen seinen Wechselbeziehungen erkennbar ist und dem sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag.

Seit Trumps Präsidentschaft findet beschleunigt eine Entwicklung statt, die dem deutsche Imperialismus die Rolle einer "Zentralisationsachse" (Rosa Luxemburg) zuweist, um die herum die abwechselnden Gegensätze zwischen den imperialistischen Staaten in einen überwiegenden starken Gegensatz münden können: dem Gegensatz zwischen US-Imperialismus und EU-Deutschland als bestimmende Akteure auf der Bühne der imperialistischen Barbarei.

Beim Kampf um die Neuaufteilung der Welt werden Bündnisse und Einflusssphären nach der jeweils erreichten Machtposition vermessen und neu bestimmt. Ausdruck dieses Kampfes sind die sog. Freihandelsverträge ebenso wie die Politik der Strafzölle, Beiträge zum NATO- wie zum EU-Rüstungshaushalt, Fragen der Abschottung der EU-Außengrenzen wie die Regelung von Flüchtlingskontingenten. Zugehörigkeit zu den imperialistischen Allianzen wird zur Überlebensfrage für von dieser Entwicklung abgehängte Staaten - Afrika zahlt hier den höchsten Preis.

Zeitweilige Bündnisse zwischen den Imperialisten sind möglich, wusste schon Lenin aufgrund seiner Imperialismusanalyse. Die Anti-Hitler-Koalition hielt gut 4 Jahre, dann erinnerten sich die imperialistischen Koalitionäre daran, dass es eigentlich um die Zerschlagung der Sowjetunion ging, dem eigentlichen und einzigen antifaschistische Faktor in diesem Bündnis. Die NATO funktionierte gut 40 Jahre ohne entscheidende Reibungsfaktoren, dann kam nach dem Zusammenbruch des europäischen Sozialismus eine Macht daher, die in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit[1] auf der Anklagebank saß und fordert Gleichberechtigung auf Augenhöhe.

Imperialistische Bündnisse sind labil, funktionieren als Einheit im Widerspruch der Monopolkonkurrenz, verändern sich, lösen sich auf und entstehen unter veränderten Bedingungen aufs Neue. Und vor allem haben sie die Tendenz, im großen Schlagabtausch eines imperialistischen Weltkriegs zu enden. Denn unter gleichwertigen Konkurrenten entscheidet letztlich die Gewalt. Bertolt Brecht schrieb dazu: "Die Kapitalisten wollen den Krieg nicht, sie müssen ihn wollen."

Deutsche Expansionsträume - überall den Fuß in der Tür

Besonders scharf trat die Absicht, die Gewichte zu verschieben, bei der scheinbar unvermittelten Syrien-Initiative von Kriegsministerin Kramp-Karrenbauer (AKK) ins Blickfeld. Nach jahrzehntelanger Unterstützung der Türkei in ihrem unerklärten Krieg gegen die Kurden glaubte sie nun in Syrien Völkerrecht in Gefahr und forderte eine EU-Schutztruppe unter deutscher Beteiligung.

Mit Rückendeckung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aber Vernachlässigung des SPD-geführten Auswärtigen Amtes erklärte sie, der Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" in Nordsyrien sei angesichts der Militäroffensive der Türken und des Abzugs der Amerikaner quasi eingestellt worden. Sie wolle eine international kontrollierte Schutzzone in Nordsyrien unter Einbeziehung der Türkei und Russlands, um den Kampf gegen die Terroristen fortzusetzen und Wiederaufbauarbeit leisten zu können. Warum die Initiative dazu aus Europa kommen müsse, dazu lieferte sie den Grund gleich mit: "Europa könne nicht nur beklagen, was in der Region geschehe und keine Antworten geben."[2]

Während AKK bei einem Treffen der NATO-Kriegsminister Ende Oktober in Brüssel ihren "Partnern" mit diesem Vorschlag förmlich auf den Füßen stand, wurde diese Möglichkeit der weiteren Einmischung in Syrien grundsätzlich begrüßt - das russisch-türkische Abkommen musste ja relativiert werden. Ansonsten gab es keine direkte Unterstützung, man erkannte die Absicht und war aufs höflichste verstimmt.

Damit war die Debatte eröffnet und in der Öffentlichkeit. In einem Leitkommentar der Süddeutschen Zeitung beklagt sich Paul-Anton Krüger, im Nahen Osten habe "nun wirklich jeder verstanden, wie wenig Verlass auf die USA unter Trump ist". Neben Russland stoße auch China in das Vakuum. "Die Europäer dagegen, für die der Nahe Osten und Nordafrika unmittelbare Nachbarschaft sind, stehen daneben wie der Ritter von der traurigen Gestalt: tatenlos, ideenlos, machtlos."

Kramp-Karrenbauer habe "mit dem Vorstoß für eine Sicherheitszone in Nordsyrien einen dringend nötigen Kontrapunkt setzen" wollen. Das sei aber "gründlich misslungen". Sie habe vielmehr offenbart, "in welch erbärmlichem Zustand die deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik sind, trotz allem Gerede von strategischer Autonomie. Niemand muss sich da wundern, wenn Europa und auch Deutschland in einer für sie eminent wichtigen Region kaum mehr ernst genommen werden."

Noch deutlicher äußert sich Mark Schieritz in der Zeit. "Man muss die Militarisierung Europas als progressives Projekt begreifen", fordert er. Der "Verrat von Donald Trump an den Kurden" bedrohe "die Weltordnung und unsere Sicherheit" und kennzeichne den "Beginn einer neuen Ära".

"Macht kennt kein Vakuum", betont Schieritz. "Wo sich die Amerikaner zurückziehen, werden sich andere Mächte breitmachen. ... Für die Europäer bedeutet das: Sie müssen selbst zum machtpolitischen Akteur werden." Ähnliche Entschlossenheit wie in der Wirtschaftspolitik sei auch in der Verteidigungspolitik nötig. "Europa sollte entweder auf eine gemeinsame Armee setzen oder zumindest die nationalen Armeen stärken und einen glaubwürdigen nuklearen Abschreckungsschirm aufbauen. Das ist unumgänglich in einer Welt, in der sich alte Bündnisse auflösen."[3]

Für den FAZ-Herausgeber Berthold Kohler und den Chefkommentator der Welt, Torsten Krauel, hat AKK ihre Befähigung als künftige Bundeskanzlerin bewiesen. Offenbar war der AKK-Vorstoß alles andere als spontan, sondern sorgfältig vorbereitet. Am 26. Oktober berichtete der Spiegel, dass die Bundeswehr "bei einem möglichen Syrien-Einsatz etwa 2.500 Soldaten stellen" könnte. Die deutschen Militärs gingen von "einem Szenario" aus, "das vorsieht, eine solche Zone in Sektoren von etwa 40 Kilometer Breite und 30 Kilometer Tiefe aufzuteilen". In einem dieser Sektoren könnten dann "die Deutschen als sogenannte Rahmennation die Führung einer internationalen Truppe übernehmen und dafür selbst drei robuste Kampfbataillone stellen". Die Militärstrategen sprächen von einem "kompletten Paket", das sie dann bereitstellen würden: "Aufklärer, Spezialeinheiten, 'Boxer'-Radpanzer, schwere Bewaffnung, Panzerhaubitzen, Pioniere, Minenräumer." Und auch die Luftunterstützung für die eigenen Kampftruppen traue sich die Bundeswehr zu, "sowohl die Aufklärung mit 'Tornado'-Kampfflugzeugen als auch eine bewaffnete Komponente mit 'Eurofightern'." Nur in zwei Bereichen wäre man "auf Hilfe angewiesen: bei Hubschraubern und der Sanitätsversorgung."[4]

"Die türkisch-russische Einigung ist womöglich keine nachhaltige Lösung", orakelte der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger - insbesondere wenn man sie nicht aufgreift und unterstützt. Aufgrund der fortdauernden Aktivitäten des IS sei "die Gefahren in der Region ... real". Ischinger will außerdem erkannt haben, dass Russland - fürchtend, durch stetige Attacken etwa des IS in einen Abnutzungskrieg gezogen zu werden - "ein Interesse daran entwickelt, die Verantwortung Abnutzungskrieg für den Einsatz an die UN zu übertragen": "Dann käme ihm die Initiative von Annegret Kramp-Karrenbauer vielleicht durchaus gelegen."[5] Schon zuvor hatte Ischinger geurteilt, Moskau werde Syriens Wiederaufbau kaum alleine bezahlen können: "Ich bin sicher, dass diese Rechnung am Ende der EU präsentiert wird." Dies wiederum biete "uns einen Hebel: Wenn wir schon zur Kasse gebeten werden, sollten wir zur Bedingung machen, dass die Vereinten Nationen das weitere Vorgehen im Syrienkonflikt legitimieren."[6] Vorteilsnahme Deutschland, so zahlungswillig können deutsche Imperialisten sein.

PESCO - ein weiterer Baustein auf dem Weg zur EU-Armee

Drei Wochen nach den Bundestagswahlen 2017 traf die bereits abgewählte Bundesregierung eine politisch und finanziell weitreichende Entscheidung. Auf Basis einer Vorlage von Ursula von der Leyen und Sigmar Gabriel wurde die Teilnahme an einem hochgerüsteten und potentiell aggressiven militärischen Kerneuropa beschlossen.

Konkret geht es um die Schaffung einer so genannten Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ, englisch PESCO) und damit einer Verteidigungsunion aus ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten - korrekter wäre die Bezeichnung Interventions- oder Angriffsunion. Die Möglichkeit ein hochgerüstetes Kerneuropa zu schaffen ist umstritten. Nicht nur das ausscheidende Großbritannien und mehrere kleinere EU-Staaten, sondern auch Länder wie Polen oder Schweden befürchten ein Auseinanderdriften der EU und schlussendlich einen nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch weiter steigenden Einfluss Deutschlands.

Obgleich PESCO rechtlich bereits mit In-Kraft-Treten des Vertrags von Lissabon (EUV) im Dezember 2009 verankert worden war und sie als eines der wichtigsten Elemente zum Ausbau der EU-Militärkomponente gilt, wurde ihre Aktivierung lange blockiert. Die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen der letzten Jahre, wie die Wahl des US-Präsidenten Donald Trump, die zunehmenden Konflikte an den östlichen wie südlichen Grenzen und vor allem der bevorstehende Ausstieg Großbritanniens aus der EU bildeten nun aber den Nährboden für das schwindelerregende Tempo, mit dem seit einiger Zeit neue Vorhaben im Bereich der "Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (GSVP) der EU durchgepeitscht werden. Unter anderem scheinen die europäischen Entscheidungsträger nun nach jahrelangem Feilschen am Ziel ihrer Träume angekommen zu sein, nachdem der formellen Meldung am 8. Dezember 2017 ein offizieller Ratsbeschluss zur Begründung der PESCO und drei Tage später dessen Unterzeichnung folgte.

Bestimmend ist dabei die im Juni 2016 verabschiedete EU-Globalstrategie (EUGS), die die Europäische Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003 ersetzt. Sie legt dar, dass in einer instabilen Welt "Soft Power" - also zivile Machtmittel - allein nicht mehr ausreichen würden. Aus diesem Grund müsse man "die Glaubwürdigkeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung verbessern". Diese Glaubwürdigkeit, wie sie hier genannt wird, soll mit der gemeinsamen militärischen Aufrüstung Europas und seiner Staaten gewährleistet werden und somit das militärische Handeln wieder in den Vordergrund rücken. In der EUGS heißt es hierzu: "Wir werden höhere Investitionen und Qualifikationen in allen Mitgliedsstaaten durch gemeinsame Forschung und Entwicklung, Ausbildung, Übungen und Beschaffungsprogramme fördern. [Hierfür] benötigen die Mitgliedsstaaten bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen, um auf externe Krisen reagieren und die Sicherheit Europas aufrechterhalten zu können."[7]

Diese Ziele definieren das Niveau, das die Mitgliedsstaaten erreichen wollen und für das zivile und im Besonderen militärische Mittel gestellt werden müssen. Um dies zu bewerkstelligen, seien höhere - und effizientere - Investitionen in den militärischen Bereich notwendig, wofür wiederum eine ehrgeizige PESCO vonnöten sei, wie unter anderem die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 22. und 23. Juni 2017 festhielten.[8]

Die am 11. Dezember 2017 auf der Ratssitzung - auf Grundlage des Vertrags von Lissabon - offiziell beschlossene PESCO soll hierfür vor allem militärische Fähigkeiten und Kapazitäten bündeln, den Bedarf im Verteidigungsbereich harmonisieren, einen gemeinsamen Rüstungsmarkt schaffen und demnach gemeinsame EU-Militärstrukturen aufbauen, Militärische Kooperationsprojekte mehrerer Mitgliedsstaaten sollen künftig innerhalb der PESCO entwickelt und umgesetzt werden und damit offiziell unter dem Dach der EU erfolgen.

Ziel ist es, hierüber "militärische Spitzenfähigkeiten" zu generieren und gleichzeitig ein militärisches Kerneuropa zu etablieren. Denn mit PESCO können Teile der EU-Militärpolitik per Mehrheitsentscheidung auf Kleingruppen ausgelagert werden, wodurch das bisher geltende Konsensprinzip einfach umgangen wird. Kleinere und mittlere EU-Länder drohen so Mitsprache- und Einflussrechte über substanzielle Teile der EU-Militärpolitik einzubüßen, da die Mitgliedsstaaten bindende (Rüstungs-Verrpflichtungen erfüllen müssen - z.B. die Erhöhung der Verteidigungshaushalte oder die Bereitstellung von Truppenverbänden -, um überhaupt an PESCO-Projekten teilnehmen zu dürfen. So wird hierüber ein immenser Aufrüstungsdruck erzeugt, während die Einführung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen gleichzeitig Macht und Einfluss der EU-Großmächte weiter vergrößert. Darüber hinaus wurden mittlerweile bereits die ersten PESCO-Projekte auf den Weg gebracht, die belegen, dass sich die EU hierüber einen erheblichen Schritt weiter in Richtung einer Aufrüstungs- und Interventionsunion begibt.

Die EU soll eine "autonome Handlungsfähigkeit", gestützt von militärischen Ressourcen, erlangen, die es ermöglicht, dass sie nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine militärische Macht wird. Dies soll über eine weitgehende Integration der Verteidigungspolitik und der Aufrüstung militärischer Kapazitäten und Fähigkeiten erfolgen, wofür PESCO eines der wichtigsten Mittel darstellen soll. Die PESCO ist also ein zentrales Instrument zur Verwirklichung der Ziele der GSVP und der EUGS und der damit einhergehenden Interessen und kann dadurch zum neuen (militär-)politischen Machtzentrum der EU werden. Um diese autonome Handlungsfähigkeit zu erreichen, bedient PESCO verschiedene Interessen, die im Wesentlichen die Ambitionen der EU-Großmächte Deutschland und Frankreich widerspiegeln und die dementsprechend federführend das Vorhaben vorantreiben. Hierzu verlautbarten die damaligen Außenminister Jean-Marc Ayrault / Frank-Walter Steinmeier in einer gemeinsamen Stellungnahme: "In einem stärker von divergierenden Machtinteressen geprägten Umfeld sollen Deutschland und Frankreich gemeinsam dafür eintreten, die EU Schritt für Schritt zu einem unabhängigen und globalen Akteur zu entwickeln."[9]

PESCO und die Rüstungsprogramme der EU

Mit dem PESCO-Tatsbeschluss verpflichten sich die Unterzeichnerländer zur "Teilnahme an mindestens einem Projekt im Rahmen der PESCO, mit dem von den Mitgliedsstaaten als strategisch relevant festgestellte Fähigkeiten entwickelt oder bereitgestellt werden". Mit diesen Projekten soll "die strategische Autonomie Europas erhöht und die technologische und industrielle Basis der europäischen Verteidigung (European Defence Technological and Industrial Base - EDTIB) gestärkt werden." Die Anfangsliste der Projekte, die mit dem Ratsbeschluss im Dezember 2017 veröffentlicht wurde, beinhaltet zunächst 17 Vorhaben, die in den kommenden Jahren umgesetzt werden sollen. Jedes Projekt hat eine "Führungsnation", welche das Vorhaben leitet und durch mehrere Beteiligte unterstützt wird.

Dabei sind drei Merkmale entscheidend für die beschleunigte Aufrüstung in der EU von Bedeutung: Erstens bricht PESCO mit dem bis dato im Bereich der EU-Militärpolitik geltenden Konsensprinzip, indem an einigen entscheidenden Stellen Abstimmungen mit doppelter Mehrheit (65% der Bevölkerung und 55% der Staaten) eingeführt wurden. Dies ist schon allein deshalb von großer Bedeutung, weil das Konsensprinzip bislang den kleinen und mittleren Mitgliedsländern erhebliche Einflussmöglichkeiten eröffnete. Bei qualifizierten Mehrheitsabstimmungen wurden dagegen seit der Einführung neuer Stimmgewichtungen mit dem Vertrag von Lissabon ab 2009 die Machtverhältnisse massiv zugunsten der großen EU-Staaten verschoben. Im Ergebnis hat dies zur Folge, dass Deutschland und Frankreich bei diesem Abstimmungsmodus zusammen faktisch über eine Sperrminorität verfügen und jede Entscheidung, die ihnen nicht passt, blockieren können.

Für PESCO ist dies insofern hochgradig relevant, weil zwar über die Anbahnung von Projekten immer noch einstimmig im Konsens entschieden werden muss - stimmberechtigt sind allerdings nur die Mitgliedsstaaten, die bereits im PESCO-Boot sitzen, alle anderen verlieren die Möglichkeit, unliebsame Vorhaben zu stoppen. Hier liegt der Grund, weshalb sich zahlreiche skeptische EU-Länder entschlossen, dennoch von Anfang an auf den fahrenden PESCO-Dampfer aufzuspringen. Ihnen hätte ansonsten die Gefahr gedroht, dauerhaft von wesentlichen militär- und rüstungspolitischen Fragen ausgeschlossen zu werden, da sie später vom Wohlwollen der deutsch-französischen Sperrminorität abhängig gewesen wären. Weil auch die Aktivierung der PESCO nur einer qualifizierten Mehrheit bedurfte und ebenfalls nicht per Veto blockiert werden konnte, hatte dies zur Folge, dass am Ende trotz weitverbreiteter Vorbehalte nur noch Großbritannien, Dänemark und Malta auf eine Teilnahme verzichteten.

Das zweite wichtige PESCO-Merkmal besteht darin, dass eine Teilnahme buchstäblich nicht umsonst ist. Denn alle Länder, die formal ihr Interesse bekundeten, sich einklinken zu wollen, mussten sich parallel dazu auf die Einhaltung zahlreicher "Rüstungskriterien" verpflichten, die von Deutschland und Frankreich bereits im Vorfeld im Alleingang festgezurrt worden waren.

Weitgehend sind auch die Kriterien im finanziellen Bereich: Sie beinhalten eine stärkere "gemeinsame Finanzierung militärischer GSVP-Operationen", eine "schrittweise Aufstockung der Investitionsausgaben für Verteidigungsgüter auf 20 Prozent der Gesamtausgaben im Verteidigungsbereich" sowie die Festlegung auf eine "regelmäßige reale Aufstockung der Verteidigungshaushalte." Dem Wortlaut nach ist dies wohl als eine jährliche Anhebung über der Inflationsrate zu verstehen - eine Reduzierung des Rüstungshaushaltes wird damit (abseits einer schweren Wirtschaftskrise) per PESCO-Kriterium unmöglich gemacht![10]

Diese Kriterien führen schließlich zum dritten und wohl entscheidenden Punkt der raffinierten PESCO-Architektur: Der faktischen Einführung von Sanktionsmöglichkeiten für rüstungsunwillige Staaten. Dies geschieht über ein weiteres PESCO-Kriterium, mit dem sich die Mitgliedsländer bereit erklären, jährlich von der EU-Verteidigungsagentur (EVA) evaluieren zu lassen, ob sie den eingegangenen Rüstungsverpflichtungen in "zufriedenstellendem" Umfang nachgekommen sind. Sollte der Bericht zu dem Ergebnis gelangen, dass das nicht der Fall ist, eröffnet dies die Möglichkeit, den "angeklagten" Staat mit einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung wieder aus der PESCO hinauszubefördern.[11]

Deutschland übernimmt die Führung bei vier Vorhaben: Der Aufbau eines "Netzwerks von Logistik-Drehscheiben" soll die Transportfähigkeiten in- wie außerhalb der Union "verbessern"; ein "Europäisches Sanitätskommando" soll europaweit die medizinische Versorgung effizienter gestalten; ein "EU-Trainingszentrum" soll vor allem Kräfte für GSVP-Einsätze zur militärischen Ertüchtigung ausbilden; und - potenziell zunächst wohl am weitreichendsten - die "Krisenreaktionsinitiative" (EUFOR CROC), in deren Rahmen eine "gemeinsame Analyse bezüglich potentieller Bedrohungen" vorgenommen sowie die "Verbesserung der Planung von Material und Personal" und die "Verkürzung der Reaktionszeit und Planungen bei Krisen" erreicht werden soll. EUFOR CROC ist durchaus ambitioniert, sollen sich darüber doch künftig 60.000 Soldaten ins Feld führen lassen - dies aber nun ohne den Beitrag Großbritanniens.

Von anfangs 30 Projekten sind mittlerweile noch 17 aktiv, wobei die Vorhaben lange sorgsam unter Verschluss gehalten wurden. Erst am Tag der Abstimmung selbst tauchte dann eine Projektliste auf, in der sich auch einige Details zu den einzelnen Vorhaben finden lassen. Insgesamt haben sich vor allem drei EU-Großmächte schadlos gehalten: Deutschland und Italien führen sieben PESCO-Projekte an, gefolgt von Frankreich mit sechs, kein anderes Land (mit Ausnahme Griechenlands) hat die Führung über mehr als ein Vorhaben inne.

Besonders drei der neuen Projekte stechen dabei ins Auge: Unter tschechischer Führung und mit Deutschland als einzigem Partner sollen Kapazitäten zur "Elektronischen Kampfführung" (EloKa) aufgebaut werden. In der Beschreibung zum "Electronic Warfare Capability and Interoperability Programme for Future Joint Intelligence, Surveillance and Reconnaissance (JISR) Cooperation" heißt es dazu: "Das schlussendliche Ziel des Projektes besteht in der Schaffung einer stehenden EloKa-Truppe. (...) Diese Truppe sollte zu gemeinsamen EloKa-Operationen in einem elektromagnetischen Umfeld sowie dazu in der Lage sein, die EU-Kampftruppen mit einzigartigen elektronischen Kampffähigkeiten zu unterstützen."[12]

Unter französischer Führung, aber wiederum mit deutscher (und spanischer) Beteiligung, soll künftig die "Tiger Mark III" genannte Weiterentwicklung des "Tiger"-Kampfhubschraubers im PESCO-Rahmen vonstattengehen. Es geht dabei darum, die "gesamte 'Tiger'-Flotte Deutschlands, Spaniens und Frankreichs" ab 2020 mit einem "Mid-Life Update" auszustatten, damit könne "der Kampfwert des Waffensystems gesteigert werden".[13]

Das zweifellos größte Projekt hat allerdings Deutschland an Land gezogen, denn es führt das bis dato "prominenteste" Rüstungsprojekt an, das fortan im PESCO-Rahmen entwickelt werden soll: Die bewaffnete Eurodrohne (MALE RPAS). Bereits früh an Bord waren Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, nun scheint auch die Tschechische Republik mit aufgesprungen zu sein, nachdem sie ebenfalls als teilnehmendes Land am entsprechenden PESCO-Projekt genannt wird. Ein erstes 1:1-Modell der Drohne wurde bereits auf der ILA Ende April 2018 vorgestellt.[14] Als erklärtes Ziel wurde ausgegeben, erste der von Airbus D&S (DEU), Dassault Av (FRA), Leonardo (ITA) sowie Airbus S.A.U. (ESP) entwickelten Drohnensysteme bereits 2025 ausliefern zu können.

Bei der Drohne handelt es sich um eines der großen drei europäischen Rüstungsprojekte, die anderen beiden sind der geplante Bau eines deutsch-französischen Kampfpanzers (MGCS) und eines Kampfflugzeuges (FCAS), die im Grundsatz beim Gipfeltreffen beider Länder im Juli 2017 beschlossen wurden. Ziel ist es, dass sich alle drei Großvorhaben künftig als europaweite Standardsysteme durchsetzen und auf dieser Grundlage "erfolgreich" auch auf den Weltmarkt drängen werden. Lange war allerdings bei jedem dieser Projekte zwischen beiden Ländern hart darum gerungen worden, welcher Konzern schlussendlich die Führung übernehmen sollte. Schon auf der ILA hatte sich eine Paketlösung für alle drei Vorhaben abgezeichnet, die nun weiter festgezurrt wurde. Wohl nicht von ungefähr am selben Tag, an dem die nächste PESCO-Runde eingeläutet wurde, am 19. November 2018, verkündeten die Kriegsministerinnen Deutschlands und Frankreichs, Florence Parly und Ursula von der Leyen, man habe sich auf das weitere Vorgehen verständigt.[15] Schon länger ist klar, dass Deutschland die Führung der Eurodrohne übernimmt, Dassault soll nun augenscheinlich beim Bau des Kampfflugzeugs den Hut aufhaben, während beim Kampfpanzer dann wiederum erneut die deutschen Konzerne die Nase vorn haben sollen. Wie das Handelsblatt betont, geht es hier sowohl um riesige Beträge als auch um grundlegende Richtungsentscheidungen: "De facto bestimmen beide Ministerinnen damit die Industrieführerschaft für die begehrtesten militärischen Großaufträge Europas. Sie dürften den beteiligten Firmen bis 2040 zusammen Umsätze im dreistelligen Milliardenbereich bescheren. Der Verkauf des (FCAS) wird laut Schätzungen aus der Branche einen Umsatz von 500 Milliarden Euro bringen. Für den Kampfpanzer fallen rund 100 Milliarden Euro an."[16]

PESCO und die NATO

Seit dem Jugoslawienkrieg wird der Ausbau der EU zur Militärunion vom US-Imperialismus mit Misstrauen verfolgt. Mit PESCO werden strategische Differenzen auch auf den Bereich der Rüstungsproduktion ausgedehnt. Wie und von wem diese Probleme gelöst werden sollen, beschreibt ein von der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) veröffentlichter Artikel folgendermaßen: [17]

"Die EU betont, dass die PESCO nicht in Konkurrenz zur Nato stehen wird. Am Ende der Zusammenarbeit stünden nationale militärische Fähigkeiten, die sowohl unter EU-, Nato- oder UN-Flagge eingesetzt werden könnten. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen die EU und die Nato ihre Verteidigungsplanungsprozesse aufeinander abstimmen. Es ist jedoch fraglich, ob die gewünschte Kohärenz alleine durch geänderte Verfahren erreicht werden kann. ...

So hat die Diskussion um die Einrichtung der PESCO gezeigt, dass es zwischen den EU-Staaten gravierende Unterschiede in der strategischen Zielsetzung gibt. Länder wie Frankreich und Italien wollen, dass die EU in Zukunft eigenständig auf Krisen in der südlichen Nachbarschaft reagieren kann. Dahingegen haben Polen und die baltischen Länder die östliche Bedrohungslage im Blick und versammeln sich hinter dem Nato-Ziel einer glaubhaften Abschreckung an der EU-Ostgrenze. ...

Die 17 PESCO-Projekte, die Mitte Dezember beschlossen wurden, legen den Akzent auf die Entwicklung von Fälligkeiten in der Krisenintervention. Zu den ehrgeizigen Vorhaben gehört der von Deutschland beigetragene Aufbau der logistischen Drehscheibe, die ab 2024 die Planung und Durchführung von Auslandseinsätzen erleichtern soll. Die stärkste operative Ausrichtung hat die deutsch-französische Krisenreaktionsinitiative (EUFOR Crisis Response Operation Core, CROC). Dabei handelt es sich um einen eng abgestimmten Fähigkeitskatalog, der die Planungszeit einer militärischen EU-Mission verkürzen soll.

Ein Anknüpfungspunkt dafür könnte das Rahmennationskonzept ('Framework Nations'-Konzept, FNC) der Nato sein. Auch hier schließen sich Gruppen von Staaten zusammen, um ihre Verteidigung enger zu koordinieren. Der von Deutschland eingeführte FNC-Verbund richtet sich auf die Entwicklung gemeinsamer Fähigkeiten und den Aufbau multinationaler Truppenkörper (SWP-Aktuell 62/2017). 19 Partnerländer, darunter auch Nicht-Nato-Länder wie Finnland und Schweden, docken in verschiedenen Clustern an die Bundeswehr als 'Ankerarmee' an und können auf diese Weise Fähigkeiten erhalten. Im Idealfall könnten Fähigkeiten, die innerhalb von PESCO entstehen, in das deutsche FNC-Projekt integriert werden und wiederum in EU-Missionen zum Einsatz kommen. ...

In wichtigen Punkten - von der Terrorismusbekämpfung bis zur Ausrichtung der EU-Verteidigungspolitik - liegen die Positionen der EU- und der Nato-Länder weiterhin auseinander.

Deutschland hat ein militärisches und politisches Interesse, die EU und Nato eng zu verknüpfen. Es sollte daher Vorschläge einbringen, die den bisher technischen Mitarbeiterdialog auf eine politische Ebene heben. Informelle Außenministertreffen, wie das Gymnich-Format in der EU, könnten auch unter Beteiligung aller EU- und Nato-Minister stattfinden.

Deutschland kann zudem eine zentrale Rolle in der Verbindung der PESCO mit dem FNC spielen. Das Bundesverteidigungsministerium leitet die zentralen Gremien des deutschen FNC und erfüllt somit bereits heute eine lenkende Funktion in der europäischen Nato-Fähigkeitsplanung. Deutschland kommt daher nicht umhin, auch als Impulsgeber in der PESCO zu fungieren und Synergien beider Kooperationsformate zu suchen. Deutschland könnte zukünftig PESCO-Projekte einbringen, die sich stärker an den strategischen Zielen der Nato orientieren. Die Nato ist an Projekten interessiert, welche die Interkonnektivität, Digitalisierung und die gemeinsame Aufklärung der Truppen verbessern. Dadurch könnte Berlin den EU-Zusammenhalt fördern und die EU-Partner enger einbinden, die sich eher an der Nato orientieren."

Worin das deutsche militärische und politische Interesse besteht, zeigt sich konkret im Aufbau einer Kommandozentrale für die Kriegsvorbereitung, JSEC (Joint Support and Enabling Command) in Ulm und den Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) in Verbindung mit den bereits eingerichteten NATO Force Integration Units (NFIU).

"Mit großer Geschlossenheit der NATO-Partner wurden weitreichende Entscheidungen, sowohl was die Vorwärtsverteidigung an der Ostflanke als auch die Aufrüstung der Streitkräfte angeht, getroffen", schreibt das Verteidigungsministerium der Bundesregierung in entlarvender Offenheit am 15. Februar 2018 auf seiner Homepage.[18] Mit dem Begriff Vorwärtsverteidigung greift die Bundeswehr sprachlich auf die Strategie der NATO aus den 1950er Jahren gegen die Sowjetunion zurück. Am 7. und 8. Juni trafen sich die NATO-Kriegsminister und beschlossen auf Wunsch der Bundesregierung, dass die Kommandozentrale für die Kriegsvorbereitung, JSEC (Joint Support and Enabling Command) genannt, im baden-württembergischen Ulm aufgebaut werden soll. Das Ziel der Planungen des JSEC sei es, die Verlegbarkeit und Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte und ihrer Ausrüstung im gesamten Bündnis und darüber hinaus zu stärken. Die militärische Mobilität auf dem Land, in der Luft und zur See solle so schnell wie möglich verbessert werden. Das heißt, dass die neue Kommandozentrale die Bewegung von Truppen und Kriegsgerät an die NATO-Ostflanke besser und schneller machen soll. Ende 2021 soll die Kommandozentrale voll funktionsfähig sein.

Dafür hat die EU eingeplant, in den nächsten sieben Jahren 6,5 Milliarden Euro auszugeben. "Damit sollen Schienennetze, Straßen und Brücken panzertauglich ausgebaut werden", schreibt Die Welt am 8. Juni 2018. Bis Ende 2019 "soll ein Netzwerk zwischen der NATO und den zivilen und militärischen nationalen Stellen einschließlich der zentralen nationalen Anlaufstellen eingerichtet werden, um die Kommunikation und die Koordinierung am Grenzübergang zu erleichtern und zu beschleunigen" und bis Ende 2020 "soll eine NATO-Initiative für den schnellen Einsatz mit Namen 4x30 umgesetzt sein". Dabei gehe es um eine neue "Einsatzbereitschaftskultur", die Truppenteile in hoher Einsatzbereitschaft halten soll, erklärte von der Leyen, damals noch Kriegsministerin, in einem Interview Juni 2018.[19] Hinter dem Kürzel "4x30" verbirgt sich der Plan, 30 schwere und mittlere Infanteriebataillone, 30 Kampfflugzeugstaffeln und 30 Schiffe innerhalb von 30 Tagen kampfbereit zu haben.

"Wir bekräftigen unsere auf den Gipfeltreffen in Wales und Warschau zu Russland getroffenen Beschlüsse. Wir reagieren weiter auf das verschlechterte Sicherheitsumfeld, indem wir unser Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv (Dispositiv = Maßnahme) unter anderem durch eine Vornepräsenz im östlichen Teil des Bündnisses verbessern. Außerdem haben wir jegliche praktische Zusammenarbeit im zivilen und militärischen Bereich zwischen der NATO und Russland ausgesetzt" und weiter: "Wir haben beschlossen, das Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv des Bündnisses in allen Bereichen zu stärken. Wir verstärken das maritime Dispositiv und haben konkrete Schritte ergriffen, um unser gesamtes maritimes Lagebild zu verbessern. Wir haben militärisch-strategische Bewertungen der Ostsee, des Nordatlantiks, des Schwarzen Meeres und des Mittelmeers vorbereitet." So steht es in der Abschlusserklärung des NATO Gipfels vom 11. und 12. Juli 2018.[20] Ein kurzer Blick auf den Globus zeigt, dass dies nichts anderes ist, als ein weiterer Schritt zur Einkreisung Russlands und zusätzlich eine klare Kriegsdrohung.

Anfang 2019 übernahm Deutschland die Führung der schnellen Eingreiftruppe 'Very High Readiness Joint Task Force' (VJTF). "Mit der 'Very High Readiness Joint Task Force' (VJTF) kann die NATO noch schneller und flexibler auf sicherheitspolitische Entwicklungen reagieren", schwärmt das Verteidigungsministerium auf seiner Homepage. Der Plan wurde 2014 bei einer NATO-Planungstagung in Wales beschlossen und sieht vor, dass innerhalb von 48 bis 72 Stunden NATO-Truppen an jedem Ort einsatzfähig sind, an dem sie benötigt werden. Dazu bedarf es allerdings Kriegsgerät, das bereitstehen muss. Dafür sorgt eine Projekt mit dem Kürzel NFIU (NATO Force Integration Units) das "in Osteuropa eingerichtet (wurde), um zum Beispiel den Einsatz von Reaktionskräften zu erleichtern und die künftige Vorauseinlagerung von militärischem Material und Gerät zu koordinieren."[21] Seit 2017 sind unter der Bezeichnung 'Army Prepositioned Stock' (APS) vier riesige Militärlager der US-Streitkräfte in Europa aufgebaut und als einsatzbereit gemeldet worden. Sie befinden sich in Zutendaal (Belgien), in Eygelshoven (Niederlanden), Dülmen bei Münster (Deutschland) und Miesau bei Ramstein (Deutschland). Die beiden deutschen Lager sind die größten. Sie haben die Aufgabe "... die nationale Militärstrategie (der US-Streitkräfte) zu unterstützen, indem es kritische Kriegsmaterialien weltweit ... vordisponiert und so die Einsatzzeiten der modularen Expeditionsarmee verkürzt".[22]

Wenn du den Frieden willst, bekämpfe die Kriegstreiber

80 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs propagieren führende Politiker aller Parteien wieder offen Krieg und militärische Gewalt und erklären, dass nur so die Interessen des deutschen Imperialismus im Nahen Osten und weltweit verteidigt werden könnten. Wütende Verteidigung des Imperialismus - so charakterisierte Lenin die Entwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die schließlich in die Barbarei des Ersten Weltkrieges mündete. Die Bundestagsdebatte über die Verlängerung der bereits laufenden Einsätze im Irak und in Syrien erbrachte nicht nur das gewünschte Ergebnis: Verlängerung des Einsatzes der Luftwaffe, die mit Tornados und Tankflugzeugen vom jordanischen Militärstützpunkt in al-Azraq operiert, um weitere fünf Monate bis Ende März 2020. Die Ausbildungsmission der Bundeswehr im Zentralirak und in der kurdischen Autonomieregion im Norden des Landes wurde sogar um ein weiteres Jahr bis zum 31. Oktober 2020 verlängert. Alle bürgerlichen Parteien forderten eine Politik, die Möglichkeiten für eine offensive Militärpolitik zu nutzen. Einwände seitens der PdL und den Grünen nach Beachtung des Völkerrechts und Abstimmung mit den Regierungen der betroffenen Länder blieben ohne Wirkung.

Ob sich alles so entwickeln wird, wie die Herrschaften in Berlin und Paris es sich vorstellen, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht endgültig ausgemacht: Sowohl die USA als auch viele kleine und mittlere EU-Länder stehen PESCO skeptisch gegenüber und möchten aus eigenen politischen Erwägungen weiterhin den Fokus auf die NATO legen.

Dass die Verankerung der PESCO allerdings auch und gerade unter der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine hohe Priorität haben wird, ist leider sicher. Denn Frau von der Leyen hatte als ehemalige deutsche Kriegsministerin diese Entwicklungen und den Aufbau der PESCO stark forciert.

Sie war als deutsche "Verteidigungs"ministerin federführend beteiligt, den Ausbau des EU-Militärapparates in nur wenigen Jahren mit forciertem Tempo voranzutreiben. Auch bei der Aktivierung der PESCO spielte sie eine wesentliche Rolle, wie ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer zu von der Leyens Verabschiedung beim Großen Zapfenstreich am 15. August 2019 deutlich machte:

"Europa, die Europäische Einigung - da verrate ich hier kein Geheimnis mehr - das ist Dein Herzensthema. (...) Du hast in einer für Europa sehr schwierigen Phase die europäische Einigung vorangebracht. Du hast die Initiative zu mehr Zusammenarbeit, mehr Miteinander im Bereich der Verteidigung ergriffen. Du hast die PESCO aus dem Dornröschenschlaf erweckt. (...) Dafür steht die Rüstungskooperation allen voran mit Frankreich, um Kampfflugzeug und Kampfpanzer der Zukunft zu entwickeln. Dafür steht der Einstieg in die Europäische Verteidigungsunion."[23]

2020 wird der NATO-Machtblock mit einer Testmobilmachung gen Osten den Ernstfall proben. Die USA und ihre Verbündeten in Europa werden mit dem Manöver "Defender 2020" die militärische Infrastruktur, Kommandostrukturen und Nachschubrouten prüfen, die sie im Laufe der vergangenen Jahre in Osteuropa aufgebaut haben. Für die USA wird "Defender 2020" die größte Militärübung in Europa seit 25 Jahren. Bis zu 20.000 US-Soldaten plus Panzer und weiteres Gerät werden ab Anfang 2020 durch Deutschland nach Polen und in die Baltischen Staaten verlegt werden. Neben den USA werden sich 16 weitere NATO-Mitglieder an dem Manöver beteiligen, darunter auch die BRD. In einem Krieg der NATO gegen Russland würde Deutschland laut Konzeption der Bundeswehr als "Basis für Operationen, rückwärtiges Einsatzgebiet und Drehscheibe der Unterstützung" dienen. "Defender 2020" bietet Berlin die Gelegenheit, diesem Anspruch Nachdruck zu verleihen. Während die Debatten über Onkel Sams Unberechenbarkeit im Parlament weiter laufen, je nach sich bietender Gelegenheit. Auch das ist Einheit im Widerspruch.

Der General und ehemalige Präsident der Republik Frankreich Charles de Gaulle soll davon gesprochen haben, Staaten hätten keine Freunde, sondern Interessen. Das "nackte Interesse", von dem Marx und Engels im Kommunistischen Manifest sprachen, bestimmt die Welt der Monopolbourgeoisie. Völkerfreundschaft und Solidarität, wie sie von der kleinen vom US-Imperialismus bedrängten Insel Kuba seit Jahrzehnten praktiziert wird und selbst die freundschaftliche Erinnerung an die Geschichte gewordene DDR kann es da nicht geben.

Die imperialistischen Kriegstreiber sind sich einig in der Frage, dass die VR China und die Russische Föderation ökonomisch und militärisch eingekreist werden, dass Kuba und Venezuela wirtschaftlich stranguliert werden, dass überall die Konterrevolution gestützt und gefördert werden soll. Aber sie geraten sich immer öfter in die Haare über die Frage, wann - wo - wer - mit wem die Führung inne hat. Dabei spielt der deutsche Imperialismus eine immer gefährliche Rolle, weil er das labile Gleichgewicht bestehender Allianzen unterläuft mit seiner Forderung nach "Gleichberechtigung" auf Augenhöhe. Frieden wird es erst geben, wenn den deutschen Kriegstreibern "die Hände gebrochen werden" (B. Brecht).

AG Antimilitarismus

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Weitere Milliarden für den Krieg

Im Windschatten der Berliner Propagandaoffensive für eine aggressivere Außen- und Militärpolitik sind in den vergangenen Tagen mehrere voluminöse Aufrüstungsvorhaben für die Bundeswehr beschlossen worden. Bereits am Mittwoch hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages Rüstungsprojekte im Wert von 560 Millionen Euro gebilligt. Demnach können nun bis zu 2.200 ergänzende "Führungsausstattungen" gekauft werden, mit denen dem Verteidigungsministerium zufolge "die Gefechts-, Führungs- und Unterstützungsfahrzeuge sowie die verlegbaren Führungseinrichtungen" in einen "digitalen Informations- und Kommunikationsverbund" integriert werden sollen.(6) Die Geräte werden zunächst für die NATO-"Speerspitze" (Very High Readiness Joint Task Force, VJTF) benötigt und kosten mehr als 115 Millionen Euro. Fast 300 Millionen sind für 50 Lenkflugkörper des Typs Patriod PAC-3 MSE vorgesehen; rund 73 Millionen sind für die Überholung von 196 Kleinpanzern des Typs Wiesel eingeplant. Darüber hinaus verlangt der Verteidigungsausschuss des Bundestages die Beschaffung von 80 zusätzlichen Kampfpanzern des Typs Leopard 2A7V. Auch diese werden für die VJTF benötigt, in der die Bundeswehr aktuell die Führung innehat und diese im Jahr 2023 erneut übernehmen soll. Mit den neuen Fahrzeugen stiege die Zahl der Kampfpanzer, über die die deutschen Streitkräfte verfügen, auf über 400. Die Kosten werden mit rund einer Milliarde Euro beziffert.

Quelle: german-foreign-policy, 11.10.2019, Novembertrommeln
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Anmerkungen

[1] Da der englische Begriff "humanity" sowohl mit "Menschlichkeit" als auch mit "Menschheit" übersetzt werden kann, halten wir es in diesem Fall mit Hannah Arendt. Sie schrieb dazu in ihrem Buch über den Eichmann-Prozess 1963: "Das den Nürnberger Prozessen zugrunde liegende Londoner Statut hat (...) die 'Verbrechen gegen die Menschheit' als 'unmenschliche Handlungen' definiert, woraus dann in der deutschen Übersetzung die bekannten 'Verbrechen gegen die Menschlichkeit' geworden sind; als hätten es die Nazis lediglich an 'Menschlichkeit' fehlen lassen, als sie Millionen in die Gaskammern schickten, wahrhaftig das Understatement (Untertreibung - d.Autor) des Jahrhunderts.

[2] FAZ online vom 22.10.2019.

[3] Die Zeit online.

[4] Spiegel online.

[5] Zitiert nach: german-foreign-policy, 28.10.2019, Krieg um Nordsyrien (IV).

[6] Ebenda.

[7] Vgl. Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, Brüssel, 28.6.2016. (S. 38 f.) - zitiert nach IMI-Studie 2/2018.

[8] Vgl. Mitteilung des Europäischen Rates. 23.6.2017. (S. 6). Zitiert nach: IMI-Studie Nr. 2/2018, Die PESCO der Großmächte, S. 2.

[9] Ayrault, Jean-Marc; Steinmeier, Frank-Walter: Ein starkes Europa in einer unsicheren Welt. 27.6.2016. Seite 4.Quelle: Ebenda, S. 5.

[10] IMI-Analyse 218/25 (Update 27.11.18): Jürgen Wagner, PESCO-Rüstungsprojekte:

[11] Ebenda.

[12] Ebenda.

[13] Ebenda. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Die deutsch-französische Rüstungskooperation, Sachstand, 28.6.2018.

[14] Borchers, Detlef: EuroMALE: Airbus zeigt Modell der europäischen Drohne, netzpolitik.org, 27.4.2018.

[15] Gemeinsame europäische Verteidigungspolitik, bmvg.de, 21.11.2018.

[16] So wollen Deutschland und Frankreich ihre Rüstungsindustrie neu aufstellen, Handelsblatt, 26.11.2018.

[17] SWP-Aktuell Dezember 2017, Dr. Niklas Helwig, Neue Aufgaben für die Zusammenarbeit zwischen EU und Nato, Eine inklusive EU-Verteidigungspolitik setzt eine enge Kooperation mit der Nato voraus.
Dr. Niklas Helwig ist Transatlantic Post-Doc Fellow for International Relations and Security (TAPIR) in der Forschungsgruppe EU/Europa.

[18] Marxistische Blätter Nr. 6/2018, Stefan Kühner, Eine neue NATO-Kommandozentrale in Ulm, S. 19.

[19] Ebenda, S. 20.

[20] Ebenda, S. 20.

[21] Ebenda, S. 21.

[22] Ebenda, S. 22.

[23] Zitiert nach: Jürgen Wagner, PESCO - Das militärische Herz der europäischen Verteidigungsunion, Europäische Studien zur Außen- und Friedenspolitik Nr. 1/2019.

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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 369, Dezember 2019, S. 9-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2019

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