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LICHTBLICK/170: Interview über den Berliner Strafvollzug


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel - 2/2010

INTERVIEW
Über den Berliner Strafvollzug

Interview mit Minka Dott und Klaus Lederer (DIE LINKE) Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses


LICHTBLICK: Frau Dott und Herr Lederer, warum hat DIE LINKE 700 Euro für den Kauf einer neuen Redaktions-Druckmaschine gespendet?

Dott: Die Weiterführung der von Gefangenen herausgegebenen und unzensierten Zeitschrift erschien uns wichtig. Wir lesen den Lichtblick auch und schätzen ihn als ein wichtiges Instrument demokratischen Engagements im Vollzug in Tegel. Für uns ist er eine unabhängige Informationsquelle über die Haftverhältnisse.

LEDERER: Wir haben von Rechtsanwalt Olaf Heischel gehört, dass die alte Druckmaschine irreparabel hinüber ist und das auch das Erscheinen der Zeitung bedroht. Und da war die Frage, was können wir tun? Neukaufen? Dazu brauchte es Geld. Und sowohl wir als auch der Verein unserer Bundestagsfraktion haben dann etwas dazugegeben. Und es war schon schön, die Maschine vorhin zu sehen, und vor allem, wie Sie das neue Druckereiambiente schaffen.

LICHTBLICK: Das Kammergericht hat jüngst entschieden, dass die länger andauernde Unterbringung in Haus1 hier in Tegel gegen die Menschenwürde verstößt. Was sagen Sie zu diesem Beschluss? Wie hat der Rechtsausschuss im Abgeordnetenhaus dazu diskutiert?

Dott: Wir sind ja regelmäßig in Berlins Haftanstalten, auch in Tegel. Daher sind uns die Verhältnisse bekannt. Wir wissen, dass der Vollzug in Berlin über eine zum Teil katastrophale Bausubstanz und vor allem über sehr überkommene Anstaltsstrukturen verfügt. Mag ja sein, dass hier mal die modernsten Gefängnisse des Landes standen, aber das ist schon mehr als ein Jahrhundert her. Deshalb überrascht uns diese Situation nicht. Wir haben seit Jahren mit einer Überbelegung zu tun, die die Haftverhältnisse zusätzlich erschwert. In unserem Sinne ist das nicht. Resozialisierung braucht auch die nötigen baulichen Verhältnisse.

LEDERER: Wir haben seit Jahren damit zu tun, dass uns die Gerichte zu unseren Unterbringungsverhältnissen die teilweise unzumutbare Situation ins Stammbuch schreiben. Gerade die Überbelegung hat es in den letzten Jahren kaum ermöglicht, Sanierungen und Umbauten vorzunehmen. Einige zusätzliche Haftplätze mit vernünftigem Standard konnten zwar geschaffen werden, zum Beispiel in der Jugendstrafanstalt oder durch die Eröffnung des Justizvollzugskrankenhauses. Aber dauerhafte Abhilfe war das nicht. Wir versprechen uns von dem Neubau in Großbeeren eine wirklich veränderte Situation, die auch in den Berliner Haftanstalten grundlegendere strukturelle Schnitte ermöglichen. Haus 1 sollte geschlossen werden, auch der Bau in der Lehrter Straße. Leider lässt sich das nicht alles von heute auf morgen regeln.

LICHTBLICK: DIE LINKE hat bis 2004, 2005 diesen Neubau in Großbeeren abgelehnt...

LEDERER: ... weil wir meinten, dass sich das Problem der Überbelegung und der zum Teil schlechten Infrastrukturen auch ohne einen solchen Neubau lösen ließe. Linke sind nicht unbedingt Fans des Baus von Knästen. Und nach wie vor hat Berlin eine vergleichsweise schlechte Quote vorzeitiger Entlassungen. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass da was passieren muss. Deshalb haben wir uns für frühere, bessere, verlässlichere Vollzugsplanung stark gemacht und vieles mehr. Allein, darüber entscheiden unabhängige Strafvollstreckungskammern und wir können dort eine andere Praxis nicht anordnen. Das Problem ließ sich nicht grundsätzlich beheben. Als Berlin dann wiederholt Gerichtsentscheidungen über verfassungs- und rechtswidrige Unterbringungen ins Haus flatterten, mussten wir handeln. Auch wenn die Auswirkungen dessen erst nach und nach spürbar sein werden. Es erschien uns populistisch und verantwortungslos, pausenlos die miesen Zustände zu beklagen, den Weg für eine grundlegende Änderung aber zu blockieren.

DOTT: Wir haben uns Haftanstalten in Österreich angeschaut, in denen sich moderne Resozialisierungsarbeit auch im baulich-architektonischen Anspruch an die Haftanstalt widerspiegelt. Auch wenn Strafvollzug ultima ratio ist, es werden Menschen zur Haft verurteilt. Dann hat der Staat auch die Verantwortung für die Voraussetzungen einer zeitgemäßen Vollzugsgestaltung. Wir wollen als LINKE, dass sie dort die bestmögliche Unterstützung erhalten und auch die Bedingungen so gut wie möglich sind, um dem Resozialisierungsanspruch des Strafvollzugs zu genügen. Das ist ohnehin nicht einfach bei Berlins Haushaltslage. Aber dafür machen wir uns trotzdem stark, durchaus mit einigem Erfolg. Die Justizvollzugsanstalt Heidering in Großbeeren wird in dieser Hinsicht wiederum verbesserte Möglichkeiten bieten.

LICHTBLICK: Wird aber nicht das Gefängnis in Wahrheit steril sein und ausgrenzend, auf Rieselfeldern, außerhalb der Stadt, nach amerikanischen Vorbildern, welche die Eingesperrten dem Sozialen noch mehr entfremden?

DOTT: Die neue Haftanstalt wird in ihrer baulichen Anlage wesentlich mehr Freiräume für soziales Miteinander bieten, als es hier in Tegel nur denkbar ist. Schauen Sie sich doch vor der Tür um: Das Sterngebäude hat nach meinem Gefühl mehr Ähnlichkeit mit Alcatraz und dem, was Sie als amerikanischen Vollzug beschreiben. Leben in modernen Wohngruppenstrukturen, zukunftsgerechte Arbeits- und Freizeitbedingungen, das alles garantiert wesentlich Besseres, als wir bisher aufbieten können. Und mit Sicherheit werden sich die Bediensteten mehr um die Resozialisierungsarbeit kümmern können. Wer will denn ernsthaft, dass die Haftsituation in Berlin so bleibt, wie sie jetzt ist?

LEDERER: Bei einer Generalkritik des Vollzugs können wir gern ansetzen. Mit Haft übt der Staat immer eine Form struktureller Gewalt auf Menschen aus. Das wird sich nicht ändern lassen, solange es Gefängnisse gibt. Da ist Michel Foucault so aktuell wie je. Die Frage ist doch: Wie kann man so weit wie möglich dem Anspruch gerecht werden, das Leben in Haft an das Leben in Freiheit anzunähern und auf ein Leben ohne Straftaten vorzubereiten? Das muss durch soziale Arbeit geschehen, durch Bedingungen, die eine Auseinandersetzung mit der Tat und ihren Folgen ermöglichen. Man kann bei Loic Wacquant nachlesen, welche Entwicklungen der Strafvollzug in den USA und anderen westlichen Nationen genommen hat: er ist Teil der Armuts- und Arbeitslosigkeitsverwaltung geworden, Teil der Ökonomie, zunehmend privatisierter Zugriffsraum für Vollzugskonzerne. Das ist ein Weg, den Deutschland und Berlin nicht gehen dürfen. Deshalb haben wir uns auch ganz klar gegen Vorschläge entschieden, den Strafvollzug zu privatisieren. Wir als Abgeordnete können versuchen, Grundlinien der Vollzugspolitik zu beeinflussen. Das tun wir mit all unseren Kräften. Der Strafvollzug ist als Verwaltung und Reparaturbetrieb sozialer Probleme ungeeignet. Wir werden mit ihm weder die Armut bekämpfen noch alle anderen gesellschaftlichen Probleme lösen. Er ist eine Krücke, aber die einzige, die wir haben. Das wird so bleiben. Eine neue Anstalt kann daran natürlich nichts ändern.

LICHTBLICK: Gibt es sonstige Neuerungen?

LEDERER: Wir haben mit dem neuen Berliner U-Haft- und dem Jugendstrafvollzugsgesetz grundsätzlich eine Standardverbesserung im Vollzug zustandegebracht. Besuchszeiten ausgeweitet, Betreuungsansprüche begründet und vieles mehr. Und obgleich in Berlin nach wie vor Personal im öffentlichen Dienst abgebaut wird, stellen wir im Allgemeinen Vollzugsdienst ein und bilden aus. Auch wenn wir demnächst über das neue Strafvollzugsgesetz reden werden, haben wir erneut vor, für die Verbesserung der Resozialisierungsstandards zu streiten. Und auch das neue Gesamtkonzept für den geschlossenen Männervollzug bietet aus unserer Sicht Chancen, wenn wir es richtig machen. Über die Zäune der Anstalten hinausreichende und mit Sozialisierungs- und Entlassungsarbeit verbundene Einbeziehung freier Träger, wie der Freien Hilfe und anderer. Nicht als Lückenbüßer, sondern als ergänzende und qualifizierte Angebote. Da werden wir sehr genau drauf achten. Der Vollzug hat - auch auf unsere Initiative hin - in den vergangenen Jahren nicht die Hauptlast der Konsolidierungsanstrengungen getragen, ganz im Gegenteil. Das war nicht immer einfach.

LICHTBLICK: Wo sehen Sie hier die zentralen Probleme?

DOTT: Strafvollzug steht immer dann in der öffentlichen Aufmerksamkeit, wenn Skandale passieren. Dann wird oftmals symbolische Politik gefordert, die nicht wirklich nützt. Dem sind wir zum Teil auch ausgesetzt. Wir wollen aber vor allem bei den wirklichen Schwierigkeiten ansetzen. Wenn wir über die reden, ist im Ausschuss die Pressebank leer.

LEDERER: Wir sind die Lobby für die Gefangenen. Das nehmen wir ernst und handeln danach. Es ist nicht unser Ding, auf dem Rücken des Vollzugs und der inhaftierten Menschen ein populistisches Süppchen zu kochen. Aber wir wären schon noch glücklicher, wenn wir in Berlin noch bessere Bedingungen hätten, auch mal etwas Innovatives ausprobieren könnten, selbst wenn das kostet. Leider haben wir auch auf das Strafrecht selbst als Landesgesetzgeber wenig Einfluss, da fiele mir manches ein. Nun versuchen wir zusätzlich, intensiver mit Brandenburg zu kooperieren. Vielleicht können wir unsere Kräfte in manchen Bereichen zusammentun, zum Beispiel bei der guten Betreuung von Sicherungsverwahrten. Das wird zunehmend ein größeres Problem. Wir arbeiten daran!

LICHTBLICK: Frau Dott, Herr Lederer, wir danken Ihnen für das Gespräch.


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Quelle:
der lichtblick, 42. Jahrgang, 2/2010, Heft Nr. 343, S. 20-21
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2010