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LICHTBLICK/181: Parteien im Interview - SPD


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 348 - 3/2011

Parteien im Interview: Die SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands), vertreten durch den Abgeordneten und Juristen Sven Kohlmeier

Ein subjektiver Bericht



"Last but not least": Einige Anläufe waren notwendig, um mit der SPD - die zusammen mit den Linken Berlin regiert - in Kontakt zu treten: E-Mails und Anrufe blieben unbeantwortet, das Fraktionsbüro reagierte unwirsch; aber dann ging's ganz zügig: "Übermorgen?", tönte mir Sven Kohlmeiers vitale Stimme aus dem Hörer entgegen, "um 10.00 Uhr?" Ich bestätigte den Termin und erläuterte ihm, wie er zu uns kommen kann. Zumindest in den letzten Jahren stand die SPD weder mit der lichtblick-Redaktion, noch mit der Gesamtinsassenvertretung in Kontakt. Für Sven Kohlmeier war es nicht nur der erste Besuch in der Redaktion, sondern auch der erste in der Teilanstalt 3 der JVA Tegel - einem der Altbauten aus dem vorletzten Jahrhundert, der - zumindest baulich - mehr mit verwahrendem Zuchthaus, als mit Resozialisierungsvollzug gemein hat.

"Genau das ist auch ein Grund für Heidering: Wir werden in dem Gefängnis-Neubau in Großbeeren einen modernen Vollzug installieren und praktizieren.", sagt Sven Kohlmeier. Vehement vertritt er das nicht unumstrittene Projekt, das den Steuerzahler über 120 Millionen Euro kostet: "Heidering ist Chance. Vieles wird dort besser werden.", fasst er zusammen.

"Aber - betrachtet man die rückläufigen Belegungszahlen im geschlossenen Männervollzug - am Bedarf vorbei: Berlin hat - Gott sei Dank! - nicht mehr genug Gefangene, um allein die bestehenden Knäste zu füllen. Und Heidering wird Platz für über 600 weitere Gefangene bieten, die es gar nicht gibt.", stelle ich fest.

"648", penibel benennt Sven Kohlmeier die Zahl der in der JVA Heidering vorgesehenen Haftplätze. Man könne mit der Eröffnung von Heidering eben die zu Recht in der Kritik stehenden Altbauten in der JVA Tegel schließen.

Da ist was dran, das wäre prima, denke ich mir; aber: "Der Offene Vollzug ist überbelegt - wieso also wird Heidering nicht Offener Vollzug?", frage ich.

"Ob es aus der JVA Heidering Lockerungen geben wird, vermag ich nicht zu sagen.", antwortet Sven Kohlmeier - und fährt fort: "Wir haben uns ganz genau verschiedene Gefängnisse in Europa angeschaut und geguckt, welche baulichen Voraussetzungen wir benötigen, um einen modernen Wohngruppenvollzug verwirklichen zu können - Heidering wird neue Maßstäbe setzen bei Arbeit, Bildung und Freizeit! Die Gestaltung mit großen Fenstern, lichten Räumen und ansprechender Architektur ist auf den Geschlossenen Vollzug ausgerichtet. Denn Gefangene, die tagsüber überwiegend nicht in der Anstalt sind, sondern Lockerungen haben und im Berufsfreigang sind, können für die Nachtruhe in durchaus weniger aufwendigen Hafträumen untergebracht werden."

"Im letzten lichtblick wurde über den PPP-Gefängnis-Neubau in Burg berichtet - scheußlicher Verwahrvollzug wird dort betrieben. Nur nette Architektur vermag es nicht, einen Vollzug zu praktizieren, der den gesetzlichen Vorgaben gerecht wird. Besonders die Privatisierung steht in der Kritik: PPP bedeutet, dass der Bau und Betrieb der Strafanstalt durch Private Firmen erbracht wurde und wird. Wie steht die SPD dazu ?", frage ich.

Sven Kohlmeier: "Eine solche Privatisierung wird es mit der SPD in Berlin nicht geben. Strafvollzug ist hoheitliche Aufgabe." De facto ist es aber wohl geplant, dass einige Leistungen in der JVA Heidering durch Private Firmen erbracht werden. Kritiker bemängeln schon jetzt, dass beispielsweise die Kontrolle der Besucher durch Private Unternehmen erfolgen soll - hier werden unter anderem datenschutzrechtliche Bedenken geäußert.

Stichwort Datenschutz - jüngst wurde das Justizvollzugsdatenschutzgesetz im Abgeordnetenhaus verabschiedet ...

"Wir sind stolz darauf!", sagt Sven Kohlmeier. " Als erstes Bundesland haben wir ein solches Gesetz geschaffen, dass endlich den Datenschutz im Strafvollzug umfassend regelt."

Dem stimmt der lichtblick zu - er wird in seiner nächsten Ausgabe detailliert über's neue Gesetz informieren.

Das Gespräch mit Sven Kohlmeier ist nicht unangenehm - obschon er, charakterisiert mit einem Anglizismus, sehr "straight" ist. In unserer lebhaften Diskussion werden teilweise differierende Ansichten ausgetauscht; obwohl rote und grüne Politik überwiegend meine Zustimmung und Stimme erhält, stimme ich nicht mit Sven Kohlmeier überein, der darauf besteht, dass "Schwarzfahrer selbstverständlich in das Gefängnis gehören. Das Erschleichen von Leistungen ist Betrug!" Sven Kohlmeier fährt fort: "Eine Gesellschaftsordnung bedarf der Unterscheidung von Recht und Unrecht - und Schwarzfahren ist Unrecht, Betrug. Dementsprechend gehören Schwarzfahrer bestraft!"

Kritisch jedoch hinterfrage ich, wem damit geholfen ist? Also das Problem beginnt doch früher: Warum fährt da einer schwarz? Und löse ich das mit Einsperren? Denn im Knast landen eben genau die, die sich nicht anders helfen können - denen nicht geholfen wird: Es sind die Armen und Schwachen, die die Geldstrafe, zu der sie verurteilt wurden, nicht zahlen können; es sind Menschen mit Handicaps, die Arbeit-statt-Strafe-Angebote nicht angenommen haben - haben gar (aufgrund von Handicaps) nicht annehmen können? "Ich finde, dass es vielmehr Unrecht ist, wenn man um die Unzulänglichkeit, Unwirksamkeit und gar Schädlichkeit einer Handlung weiß, diese aber trotzdem vollzieht - wäre also nicht auch die Politik aufgefordert, besseren Wissens zu handeln? D.h. ja noch lange nicht, dass man Betrug billigen muss - aber durchaus gibt es Lösungsvorschläge, die Rechts- und Sozialstaatlichkeit vereinen."

Sven Kohlmeier nickt zustimmend: "Man kann bestimmt auch andere Lösungen finden; beispielsweise kann man darüber nachdenken, ob nicht bei Arbeitslosengeld-Beziehern das BVG-Ticket im Regelsatz enthalten sein muss und dann direkt die Kosten für ein Monatsticket abgezogen werden."

Bei der Diskussion über die Kosten, die das Einsperren von Schwarzfahren verursacht, trägt er vor, dass "der Rechtsstaat Geld kostet. Der Rechtsstaat darf keine Frage des Geldes sein - und niemand ist gut beraten damit, diese Frage aufzuwerfen!"

Dicht beieinander sind Sven Kohlmeier und ich beim Thema "Innere Sicherheit": "Bestehende Instrumentarien sind ausreichend, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. 100%ige Sicherheit kann es nicht geben - vielmehr wird mit übertriebenen Maßnahmen nur eine Sicherheit suggeriert - gar versprochen -, die in der Realität nicht vorhanden ist, gar nicht versprechbar ist!", legt Sven Kohlmeier überzeugend dar.

"Und warum hat die SPD das bessere Strafvollzugskonzept, als die anderen Parteien? Wieso betreibt die SPD eine bessere Kriminalpolitik ?", frage ich.

"Wir schaffen - trotz knapper Mittel - einen ganz ordentlichen Strafvollzug: Wir bemühen uns, ausreichend Personal bereitzustellen - auch wenn es vielleicht keiner merkt, aber die personelle Ausstattung der Berliner Haftanstalten liegt über dem Bundesdurchschnitt. Wir sind bestrebt - besonders mit der JVA Heidering - bewährte Konzepte auszubauen, und messen Bildung und Arbeit einen hohen Stellenwert bei. Auch Entlassungsvorbereitungsprogramme fördern wir."

Stichwort "Neues Rahmenkonzept": "Kann das die von der Senatsverwaltung selbst skizzierten Probleme im Strafvollzug beheben?", frage ich.

"Das Rahmenkonzept ist ein ziemliches Erfolgsmodell. So ist es z.B. durch die Verlagerung der Einweisungsabteilung nach Moabit gelungen, dass jeder Gefangene, auch Kurzstrafer, einen Vollzugsplan erhält. Dies führt dazu, dass die Quote der im Offenen Vollzug Inhaftierten auf 31 % - gemessen an der Gesamtzahl der inhaftierten Männer - gesteigert werden konnte. Ich weiß aber auch, dass es unter Bezugnahme auf das Rahmenkonzept in Tegel Umstellungen im Tagesablauf, bei den Aufschlusszeiten und den Langzeitbesuchen gab. Dies hat nicht direkt mit dem "Rahmenkonzept" zu tun, sondern sollte einen gerechteren Vollzug für alle Gefangenen gewährleisten. Im Ergebnis dürften von diesen Änderungen mehr profitiert, als nicht profitiert haben. Ich stimme aber zu, dass wir uns Detailregelungen auch nochmal anschauen müssen."

"Wäre es aber nicht für alle - die Resozialisierung des einzelnen Delinquenten und die Sicherheit der Bevölkerung - am "günstigsten", wenn man die Berliner Misere der vorzeitigen Entlassungen (§ 57) in den Griff bekommen würde?", frage ich; und erläutere, dass Berlin schließlich mit deutlichem Abstand Schlusslicht bei den vorzeitigen Entlassungen ist. "Haben wir also in Berlin schlimmere Gefangene, oder ist die Vollzugsarbeit in Berlin so schlecht?"

"Nein die Vollzugsarbeit in Berlin ist nicht so schlecht.", sagt Sven Kohlmeier lachend; und fährt fort: "Es ist richtig, dass Berlin im unteren Drittel bei den vorzeitigen Entlassungen ist. Ich habe keine schlüssige Antwort dafür und könnte auf Erklärungsmodelle und viele Zahlen verweisen. So werden 47 % der im Offenen Vollzug Inhaftierten vorzeitig entlassen, gleichzeitig ist die Quote der vorzeitig aus Tegel entlassenen aber bei 3,4 %. Es gibt leider keine einfache Antwort, warum wir in Berlin bei den vorzeitigen Entlassungen so schlecht dastehen. Es könnte z.B. an den Gesamtumständen liegen, denn ganz anders sieht die Lage beim Offenen Vollzug aus."

Vorbildlich und Spitzenreiter ist Berlin nämlich bei der Quote der im Offenen Vollzug untergebrachten Straftäter - Sven Kohlmeier berichtet, dass man sehr zufrieden damit ist: "Dieses Winning-Team wollen wir beibehalten. Der Missbrauch ist gering und die Chance für ein straffreies Leben erhöht der Offene Vollzug ungemein."

"Prima!" Ausdrücklich lobe ich, dass die rot-rote Strafvollzugspolitik den Offenen Vollzug fördert. Auch wenn in der Strafvollzugspolitik selten Lob ausgesprochen wird - Justizsenatorin von der Aue sprach im letzten Jahr anlässlich einer Veranstaltung, zu der auch der lichtblick eingeladen war, davon, dass ihr Amt meist wenig Lob bringe, dafür aber viel Tadel - umso wichtiger ist, Positivem Anerkennung zu verleihen: "Prima - die Gefangenen wünschen sich, dass das Winning-Team "Offener Vollzug" noch lange läuft und alle gewinnen."

Sven Kohlmeier, der später mit Justizsenatorin von der Aue zusammensitzen wird, fragt, ob wir noch etwas auf dem Herzen haben. Überrascht von dieser freundlichen und empathischen Nachfrage schießt mir blitzartig vieles durch den Kopf - manches ist im Vollzug im Argen - aber am dringlichsten erscheint es mir, dass der Vollzug sich öffnet - für die Gefangenen: "Lockerungen bitte nicht wie Goldstaub behandeln!", sage ich

Es ist eine Binsenweisheit, dass der Geschlossene Vollzug wenig geeignet ist, aus Menschen mit Handicaps und Fehlern bessere Menschen zu machen - jahrelanges Wegsperren bringt nix! Lockerungen vermögen es vortrefflich, schädliche Folgen des Freiheitsentzuges zu mildern und das Vollzugsziel zu erreichen. Und: die Missbrauchsquote liegt unter 0,1 %! Das wäre ebenso ein Winning-Team. Sven Kohlmeier notiert den Wunsch - werden wir erhöht? Das bleibt abzuwarten.

In der neuen Legislaturperiode würde er sein Augenmerk auch auf "Altern im Knast" richten. Das Alter der Gefangenen steige kontinuierlich - da seien neue Konzepte gefordert. Gut, dass Sven Kohlmeier sich mit dem Thema beschäftigt.

Mein persönliches Fazit: Auch wenn ich mir - als Strafgefangener - vom energischen und sachverständigen Sven Kohlmeier in manchen Punkten noch mehr Sozialdemokratie erhofft hatte - die SPD hat in Berlin eine ganz ordentliche Strafvollzugspolitik betrieben; besser geht's natürlich immer - aber das Berliner Gefängniswesen ist human, sozialstaatlich und wissensbasiert. Können wir Gestrauchelte mehr erhoffen?

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Quelle:
der lichtblick, 43. Jahrgang, Heft Nr. 348, 3/2011, Seite 14-15
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2011