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LICHTBLICK/206: Tegel-Knigge


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 356 - 3/2013

Tegel-Knigge

von Ralf Roßmanith



Morgens halb zehn in Deutschland, der Zoowärter steht vor dem Käfig seines Affengeheges und schaut dem Treiben der Affenbande zu. Mit geübtem Wurf gibt's Bananen durch die Käfigstäbe, bevor der, meist in grünen Trägerhosen gekleidete, Tierpfleger sich der Innenbehausung seiner Affen zuwendet.

Der erfahrene Knacki erkennt schnell, dass es eine Analogie zu dem Gefängniswärter - äh - Beamten gibt.

Wir sind aber weder Affen, noch leben wirin einem Innen- oder Außengehege, meine Damen und Herren Justizvollzugsbeamte.

Wir sind Menschen und wollen, trotz all unserer Fehler und Schwächen, auch als solche behandelt werden. Schlimm genug, dass der Bedienstete einer Justizvollzugsanstalt dies oft genug missachtet. Diese Missachtung äußert sich ganz besonders, wenn es um den direkten und persönlichen Kontakt des Vollzugsbediensteten mit dem Gefangenen geht, denn hier beweist sich, dass doch zeitweise animalische Verhalten der Spezies Justizvollzugsbeamter.

1971 hat Phillip Zimbardo an der Stanford Universität mit 24 Studenten aus der Mittelschicht ein Experiment namens Stanford-Prison-Experiment durchgeführt. Ziel war die psychologische Erforschung menschlichen Verhaltens in Gefangenschaft. Soviel vorab, das Experiment wurde bereits nach 6 Tagen abgebrochen. Es wurden 12 Wärter und 12 Gefangene ausgelost, die ihren Platz innerhalb des Experiments einnahmen. Anfänglich probierte jeder seine Rolle aus, doch bald wurde klar, dass die Wärter das ihnen übertragene Machtpotenzial vollumfänglich, ja schon sadistisch und über alle Maßen auf das Unmenschlichste, ausschöpften.

Die Umgebung in der JVA Tegel mag nicht ganz so experimentell sein, doch wer sagt uns Gefangenen, dass nicht gerade der Wärter, der vor uns steht gerne und mit verborgenem Sadismus seine Machtposition auslebt - vielleicht auf seine eigene sadistische Art?

Zwar werden in der dualen, zweijährigen Ausbildung zum Justizvollzugsbediensteten hohe Ansprüche an den Auszubildenden gestellt - dieser scheint dies nach bestandener Prüfung aber scheinbar schnell wieder zu vergessen.

Im Berufsalltag lässt der Bedienstete allzu oft den Unfreundlichen, Oberflächlichen und ganz besonders Uninteressierten heraushängen. Gelangweilt, missmutig, genervt und mit grimmigen Gesichtszügen, wird die tägliche Schicht, öfters mal geistig nicht anwesend, verrichtet. Dieses Verhalten und die monatelang anhaltende schlechte Tagesform macht auch vor Besuchern nicht halt. Rechtsanwälte und Vollzugshelfer, die meist vom Eingangsbereich der JVA abgeholt werden müssen, werden entnervt und meist als Störenfriede empfunden in Empfang genommen. Kaum eines Blickes gewürdigt und mit dem Gefühl unwillkommen zu sein, trottet der Besucher der sich bewegenden blauen Uniform bis zum Zielort hinterher. Im Haus angekommen passiert es nicht selten, dass der Gast erst einmal sich selbst überlassen wird und erst auf mehrmaliges Nachfragen, mürrisch Antwort erhält.

Auch wir Gefangene werden einfach mal in Gänze ignoriert oder es wird provokant durch uns hindurchgeschaut, insbesondere dann, wenn es um das Anträge abgeben, Nachfragen oder andere banale Alltagsdinge geht. Hier hat sich der geübte Bedienstete sogar einen eigenen Paragrafen zurechtgelegt, der da lautet - Gefangener droht mit Arbeit!

Sollte es dennoch zu verbalen Ergüssen von Wärtern und Wärterinnen kommen, vernimmt der Gefangene durch die Rufanlage der Teilanstalt VI den Namenszusatz 'der Strafgefangene' oder in der Teilanstalt V die Anrede 'der Sicherungsverwahrte'. Eine große Beliebtheit scheint es bei dem Diensthabendem auch zu sein, den deutschen Dialekt der ausländischen Gefangenen nachzuäffen: "Kommst Du Paket abholen, kannst Du Schulden zahlen!", wäre nur ein Beispiel von vielen.

Das diese Form des unhöflichen Umgangs und die damit einhergehende Tageslaune der einzelnen Bediensteten auch bei seines Gleichen und uns Knackis keinen Halt macht, ist überall zu hören und vor allem täglich zu erleben. Es lässt schon tief blicken, wenn im Eingangsbereich der JVA-Tegel, ein Zettel vom Personalrat der Bediensteten ausgehängt wurde, auf dem zu lesen war, dass man sich doch im Kollegenkreis ruhig grüßen könnte.

Die Umgangsformen der Damen und Herren Justizvollzugsbediensteten mit uns Knackis sind nicht hinnehmbar und verstoßen nicht nur gegen geltendes Recht, sondern schlicht gegen das Prinzip der guten Sitten.

Fazit
Wenn Justizmitarbeiter mit Höflichkeit und Respekt behandelt werden wollen, sowohl von Inhaftierten, als auch von Kollegen und eben keine Wärter darstellen wollen, dann behandelt uns und Eure Kollegen auch wie Menschen. Wir haben weder Eure Arbeitsbedingungen noch die Einsparungen verschuldet, unter denen Ihr leidet. Ein freundlicher Gruß, ein manierlicher Umgangston und eine höfliche Anrede verlangt niemandem viel ab und dürfte auch dem Justizvollzugsangestellten möglich sein. Allen anderen sei gesagt: Wie man in den Wald rein ruft, so schallt es auch zurück!

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Der lichtblick ist Deutschlands auflagenstärkste Gefangenenzeitung. Er ist unzensiert und wird presserechtlich von den Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel verantwortet. Der lichtblick erscheint 4 bis 6-mal im Jahr - der Bezug ist kostenlos; Spenden machen dies möglich.

Der lichtblick gewährt Blicke über hohe Mauern und durch verriegelte Türen. Er versteht sich als Sprachrohr der Gefangenen: Er macht auf Missstände aufmerksam und kämpft für einen humanen, sozialstaatlichen und wissensbasierten Strafvollzug. Oft nimmt er eine vermittelnde Position zwischen dem Resozialisierungsanspruch der Gefangenen und dem Schutzbedürfnis der Bevölkerung ein; dass das Eine das Andere befördert und verstärkt, kann gar nicht oft und deutlich genug betont werden. Neben kriminal- und strafvollzugspolitischem Engagement initiiert der lichtblick "Berührungen" zwischen drinnen und draußen und fungiert als Kontaktstelle. Nicht zuletzt ist der lichtblick die Lieblingszeitung vieler Insassen - und wird auch von Justiz, Politik und Wissenschaft gelesen.

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Quelle:
der lichtblick, 46. Jahrgang, Heft Nr. 356, 3/2013, Seite 23
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2013