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MARXISTISCHE BLÄTTER/446: Cup der enttäuschten Hoffnungen


Marxistische Blätter Heft 3-10

Cup der enttäuschten Hoffnungen

Von Klaus Wagener


"Wir wissen sehr gut, dass niemand von uns allein handelnd Erfolg haben kann. Deshalb müssen wir gemeinsam als ein geeintes Volk handeln, für nationale Versöhnung, für den Aufbau der Nation, für die Geburt einer neuen Welt.
Es soll Gerechtigkeit für alle geben.
Es soll Frieden für alle geben.
Es soll Arbeit, Brot, Wasser und Salz für alle geben.
Lasst alle wissen, dass Körper, Geist und Seele eines jeden befreit worden sind, um sich zu verwirklichen."
(Nelson Mandela, Antrittsrede 1994)


"When you get down, Get up eh, eh Tsamina mina zangalewa This time for Africa."
(Shakira. Offizieller WM-Song.)


Nelson Mandela kämpfte mit den Tränen. "Ich fühle mich wie ein Junge von 15", rief er strahlend in Kameras und Mikrofone. Es war der 15. Mai 2004. Mandela war 85 Jahre. Im FIFA-Hauptquartier in Zürich hatte er soeben von FIFA-Chef Josef Blatter die Nachricht erhalten, dass Südafrika die Fußball-WM 2010 erhalten hat. Nach dem "weißen" Rugby World Cup 1995 und dem "weißen" Cricket World Cup 2003 nun die Weltmeisterschaft in der "schwarzen" Sportart Fußball. Für das sportverrückte Südafrika die Erfüllung eines Traums.

Am 21. März 1960, vor fast genau 50 Jahren, feuerte die rassistische südafrikanische Polizei in eine friedliche Demonstration in Sharpeville bei Johannesburg. 69 Menschen starben, darunter 10 Kinder. 39 von ihnen wurden auf der Flucht von hinten erschossen. Weitere 180 Menschen wurden verletzt. Der offizielle südafrikanische Staatsrassismus nach dem zweiten Weltkrieg stand zwar in krassem Gegensatz zur UN-Charta und den vom "freien Westen" vollmundig verkündeten Menschenrechtsparolen. Trotzdem gab es auch hier wie bei vielen anderen vom "Westen" ausgehaltenen Monstern eine mehr oder weniger offene Kollaboration. Nachdem die Bilder der Toten auf den Straßen von Sharpeville um die Welt gingen, war es der Boykottbewegung gelungen, mit wenigen Ausnahmen einen wirksamen Sportboykott durchzusetzen. Dieser Boykott endete erst mit der Befreiung Mandelas aus dem Gefängnis, am 11. Februar 1990. Der Apartheidstaat hatte seine Bollwerkfunktion gegen den Kommunismus im südlichen Afrika verloren. Einer kommerziellen Ausbeutung des südlichen Kontinents durch das internationale Finanzkapital würde ein vom Ballast des Rassismus befreites Südafrika nicht entgegenstehen. Im Gegenteil. Zumal die "Kommandohöhen der Macht" weitgehend in den gleichen Händen verblieben.

Rugby und Cricket sind upper-class. Fußball working class. Ihre sportsoziologisch reproduzierte Klassenteilung exportierte die englischen Gesellschaft auch in ihre Kolonie Südafrika. Der militante Rassismus, mit dessen Hilfe sich die Buren nach dem Rückzug Londons, Anfang des 20. Jh., die Vorherrschaft wie die Ressourcen des Landes sicherten, reproduzierte diese Teilung auf rassistischer Basis. Rugby und Cricket waren weiß, Fußball schwarz. Die Bilder der "Springboks" und der "Proteas" einerseits, wie der "Bafana Bafana" andererseits, zeigen dass sich bis heute daran nicht allzu viel geändert hat. Nur ist "schwarz" heute durch den Begriff "arm" zu ersetzen und "weiß" durch "reich".


Gesellschaftliche Integration

Hollywood-Regisseur Clint Eastwood hat in seinem Film "Invictus" die Funktion des Rugby World Cup 1995 für das Nationbuilding der "Regenbogennation" herausgearbeitet. Es ist die etwas optimistisch-verklärende Sicht des gutmeinenden Hollywood-Kinos. Nichtsdestotrotz spielt dieser Aspekt im Herrschaftskalkül eine zentrale Rolle. Mit der Herausbildung des Imperialismus nimmt die Bedeutung der Ausgestaltung nationaler Besonderheit deutlich zu. Der militärische wie ökonomische Raubzug bedarf der Legitimation ebenso wie seine Gegenwehr. Das Legitimationsinteresse durchdringt den gesamten juristischen und geistig-kulturellen Überbau. Und macht naturgemäß auch vor dem Sport nicht halt.

1872 findet das erste Länderspiel zwischen England und Schottland statt. Aus England kommend, breitet sich Fußball, wie andere Sportarten, in Kontinentaleuropa aus. 1900 wird der Deutsche Fußballbund gegründet. Auch in Südafrika gründen sich ab 1880 Fußball-Ligen. Aber Fußball ist schwarz - und darum in einem rassistischen Staat als nationales Integrationsvehikel wenig geeignet. Er blieb daher regional begrenzt. Das reichte als Ablenkungs- und Fitnessprogramm. Auch in Europa verhindert die elitäre Grundhaltung der bürgerlichen Herrschaftsschicht und die kulturelle und organisatorische Eigenständigkeit des Arbeitersports den schnellen Zugriff auf den Proletensport. Erst 1930 fand die erste WM in Uruguay mit 13 Mannschaften statt. Dann, mit der Machtübertragung an den Faschismus, wird der Arbeiter-Sport zerschlagen und das Monopol der bürgerlichen Sportverbände errichtet. Die noch heute als große Ära empfundene Erfolgsphase (drei Deutsche und drei Großdeutsche (ab 1939) Meisterschaften) des NS-Vorzeigeclubs Schalke 04 fällt ziemlich exakt in die Zeit von 1934-42. Mussolinis "Olympiade" war die zweite Fußballweltmeisterschaft 1934. Sie endete programmgemäß mit dem Sieg Italiens.

Nach 1945 wurde der Fußball im "freien Westen" als zentrales Integrations-, Ablenkungs- und Disziplinierungsmittel ausgebaut. U. a. diente er im Kalten Krieg auch der Rehabilitation des deutschen Imperialismus (1954) und als Überlegenheitsbeweis gegenüber den sozialistischen Staaten (Sieg des Individualismus gegen die Parteisoldaten). Parallel dazu entwickelte sich die Kommerzialisierung. Aus unbekannten Freizeitkickern wurden Profis mit Millionengagen. Hochbezahlte Artisten für ein Millionenpublikum. Popularisiert und dramatisiert von den omnipräsenten Massenmedien einer Handvoll weltweit agierender Medienmogule. Angeheizt durch Massenevents des "public viewing". Mit der neoliberalen Gegenreform seit Reagan und Thatcher erhielt auch die Professionalisierung und Kommerzialisierung des Sports ihren letzten Schliff. Seit den "Coca-Cola-Spielen" von Atlanta 1996 hat auch die Olympische Bewegung ihre "Unschuld" verloren. Im Fußball war das schon viel eher der Fall. Der Sport ist auf dieser Ebene zu eine internationalen Marke geformt worden, die mit den rigiden Methoden eines transnationalen Konzerns vertrieben wird.

Dass gerade der "Proletensport" Fußball diesen ungeahnten Popularitätsgewinn erreichen konnte, liegt zum einen an der zahlenmäßigen Größe seiner sozialen Basis. Kommerzialisierung erfordert ein großes, zahlungsfähiges Publikum. Zum anderen an den Notwendigkeiten spätkapitalistischer Herrschaftsdarstellung. Je dürftiger die Realität, umso wichtiger die Fiktion. Den undemokratischen realen Entscheidungsprozessen steht eine demonstrative, fiktive Offenheit und Volksnähe gegenüber. Je weniger die Profitinteressen Entscheidungen nach dem Mehrheitswillen in der Realität zulassen, die Klassenspaltung der Gesellschaft offenkundig wird, umso wichtiger wird die Wiederherstellung einer nationalen Einheit in der Fiktion. Im Stadion wie im "Public Viewing". Die neoliberale Herrschaft des Finanzkapitals zwingt ihre politischen Funktionsträger als offen, volksnah, als einer von uns zu erscheinen. Daher ist der Auftritt von Frau Merkel bei der WM unerlässlich.

Darüber bietet der Profi-Fußball den vielfachen "Beleg" für die Gültigkeit des liberalen Credos: Jeder ist seines Glückes Schmied. Nahezu alle Spieler stammen aus "einfachen sozialen Verhältnissen". Sie sind nun teilweise, für ihre Verhältnisse, zu ziemlichen Reichtum gekommen. Es gilt also fleißig zu arbeiten und hart zu trainieren.

Am 3. Juli 1992 wurde Südafrika nach drei Jahrzehnten wieder in die FIFA auf genommen. Die Isolierung des Apartheidstaates hatte die Ökonomie aber auch den Sport von den drastischen internationalen Entwicklungen abgeschnitten. Mit der Gründung einer einheitlichen Organisationsstruktur, der South African Football Association (SAFA) im Dezember 1991, war auch im Fußball die Rassentrennung formal überwunden. Und damit der Weg frei in Professionalisierung, Kommerzialisierung und Sponsorship. Eine nachholende Entwicklung im Eildurchgang. Nun hat auch hier das Große Geld das Sagen. Eine Entwicklung die nicht auf ungeteilte Zustimmung stößt.

Dennoch lassen sich die Botschaften der staatlich gestützten Großinszenierungen nicht unabhängig von der gesellschaftlichen Wirklichkeit kreieren. Frau Merkel könnte es nach der Banken- und Euro-Rettung vielleicht deutlich schwerer fallen, den überzeugenden "Fußballfan" zu geben. Innerhalb von nur vier Jahren hat sich die Stimmung von einem lockeren Aufschwungsoptimismus zu einem dunklen Zukunftspessimismus gedreht. Das individuelle Bedürfnis, sich in den Erfolgen der Nationalmannschaft selbst siegen zu sehen, dürfte sich ungleich schwerer in eine gesellschaftliche Aufbruchstimmung transponieren lassen. Eine Feier nimmt man mit. Warum nicht? Aber am nächsten Morgen ist der Kampf um den Job wieder da. Ob mit oder ohne Kater.


Der Sieg des Fußballbusiness

Der FIFA-Josef Blatter ist ein großzügiger Mann: "Ich will ja nicht zurück in die Kolonialzeit gehen, wo man das Gute und das Beste von Afrika weggenommen hat, aber auch im Fußball: Wie viele Hunderte, Tausende von Fußballern hat Afrika jetzt nach Europa geschickt, nach anderen Ländern geschickt? Wie viele afrikanische Nationalmannschaften haben uns bereichert mit ihrem Superspiel, mit den Tänzen auf dem Fußballfeld? Jetzt sollte man und musste man etwas den Afrikanern zurückgeben und ihnen Vertrauen schenken, dass sie auch eine Weltmeisterschaft organisieren können. Das ist, was ich sage: Wir geben ihnen jetzt etwas zurück. Sie haben die Chance zu spielen im eigenen Kontinent." Die FIFA als Robin Hood der enterbten Afrikaner. Die WM als Ausgleich für die koloniale und neokoloniale Ausplünderung, den Brain-Drain, den Sportlerhandel, und womöglich den Sklavenhandel gleich mit. Die Wirklichkeit ist etwas profaner: In der noblen Zentrale in Zürich kalkuliert man die WM-Einnahmen auf 2,44 Milliarden Euro.

Die Fußball-WM ist Eigentum eines "gemeinnützigen Vereins", der FIFA. Die Fédération Internationale de Football Association (FIFA) wurde am 21. Mai 1904 in Paris gegründet. Zunächst als eine Art kleines Organisationsbüro zur Ausrichtung von internationalen Spielen und Meisterschaften. Im Zuge der Professionalisierung und Kommerzialisierung erkannte die FIFA unter ihrem damaligen Präsidenten und Intimus der brasilianischen Militärjunta Joao Havelange das ökonomische Potential dieser Entwicklung. Die entscheidenden Strippenzieher des Sportbusiness, wie Adidas-Chef Horst Dassler, dürften ihm dabei hilfreich unter die Arme gegriffen haben. Die TV-Übertragung des WM-Endspiels von Bern 1954 hatte den Einstieg in eine mediale Verbreitung geschaffen. Übertragungen wurden zur Regel. Entsprechend der wachsenden Popularität und den wachsenden Verwertungsmöglichkeiten wurde das "Angebot" vergrößert. Das WM-Teilnehmerfeld wurde von 16 auf 24 (1982) und schließlich auf 32 Mannschaften (1998) vergrößert. In der FIFA sind 204 nationale Sportverbände organisiert. Seit der Schweizer Joseph Blatter 1998 den Weltmonopolisten leitet, hat die FIFA als "Geldmaschine auf dem Zürichberg" (FAZ) zu ihrer finalen Mission gefunden.

Die FIFA fungiert als eine Art Großdealer des internationalen Fußballbusiness, der sein Produkt exklusiv an internationale Medien, "Partner, Sponsoren und nationale Förderer" verhökert. Zentrales Element ist daher seine Verfügungsmacht über dieses Produkt und die Durchsetzungsfähigkeit der entsprechenden Exklusivrechte. Diese Verfügungsmacht sichert sich die FIFA über eine Art mafiöses Beteiligungssystem, welches die nationalen Verbände bei Wohlverhalten anteilig am großen Kuchen partizipieren lässt. Dafür ist den FIFA-Regeln unbedingt Folge zu leisten. Strafen sind möglich bis zum Ausschluss. Nach außen sichert die FIFA ihre Exklusivrechte und die ihrer Sponsoren durch drakonische Vergabeauflagen. Die Vertragsstaaten haben sich zu einer umfassenden Sicherung der Namensrechte, Logos und Begriffe zu verpflichten. Dieses kommerzielle Interesse wird immer mehr ausgeweitet zu einem Eingriff in regionale, kommunale und private Rechte. Bis hin zur Errichtung von Bannmeilen, in denen zur Sicherung der Interessen von Coca-Cola nicht einmal mehr Milch ausgeschenkt werden darf. In einem mehr als 140 Seiten starken Pflichtenheft legt die FIFA selbst noch die Farbe des Rasens fest. Im Zweifel muss der Rasen ausgewechselt werden.

Laut NZZ weist die FIFA in 2009 einen Gesamtertrag von über 1,13 Milliarden Schweizer Franken aus. Dem stünden Zuwendungen an ihre Verbände von 922 Millionen gegenüber. Gewinn: 210 Millionen. Das Eigenkapital des "gemeinnützigen Vereins" ist auf über eine Milliarde Franken gestiegen. Bei der WM 2006 hat sich die FIFA ihre "gemeinnützigen" Bemühungen um den Fußball mit einer Steuerbefreiung vergolden lassen.

Für Südafrika 2010 gibt es eine "Offizielle FIFA-Kampagne": "20 Zentren für 2010". Durch den Bau von 20 Gesundheits-, Bildungs- und Fußballzentren von "Football for Hope" möchte man in Afrika "positive soziale Veränderungen herbeiführen". Der Bau der Zentren soll 10 Mio. Dollar kosten. Die FIFA spendet für jedes Tor in der Vorrunde an "Football for Hope" den gigantischen Betrag von 500 Dollar. Der Rest soll von Sponsoren eingeworben werden. Ganz schön gemeinnützig.


Der ökonomische Nutzen

"Für das Gastgeberland wird es in erster Linie mal viel Selbstvertrauen geben, dem ganzen afrikanischen Kontinent, aber insbesondere Südafrika", schwärmt FIFA-Chef Blatter. Das wird wohl auch gebraucht. Denn zwar bestimmt die FIFA detailbesessen die Ausstattung und den Ablauf der WM und hält fleißig die Hand auf, für die Infrastruktur, die Sicherheit, das Risiko und die Kosten sind natürlich andere zuständig. SA-Botschafter Sonwabo Eddie Funde bezifferte die Investitionen seines Staates in die Infrastruktur des Verkehrs- und Transportwesens, der Energiegewinnung und Telekommunikation sowie im Stadienbau mit über 5 Milliarden Euro. Zusätzlich investiere die Privatwirtschaft weitere 2,5 Milliarden Euro in die touristische Infrastruktur des Gastgebers.

Während der WM rechnet das Land mit etwa 373.000 Besuchern. Die Zahl musste deutlich reduziert werden. Etwa 105.000 davon als normale Touristen ohne Tickets. Aus diesem Geschäft wird mit Einnahmen von 650 Mio. Euro gerechnet. Zum Vergleich: Die Tourismusindustrie Südafrikas gehört zu den Wachstumsbranchen. Selbst im Krisenjahr 2009 wuchs die Zahl der Besucher auf 9,9 Mio., von 9,6 Mio. in 2008. Die direkten Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft lagen 2009 bei 85 Mrd. Rand (9,1 Mrd. Euro). Bei einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,4 Bio. Rand in 2009 (258 Mrd. Euro) entspricht das einem Beitrag von 3,5 Prozent. Mit der Berücksichtigung indirekter Effekte kommt die Statistik auf 7,4 Prozent. Die Bettenkapazität der südafrikanische Hotelinfrastruktur gilt allerdings als ausreichend. Zudem ist während der WM Spätherbst. Die Wachstumseffekte der WM dürften sich hier in engen Grenzen halten.

Nach Regierungsangaben sollen durch die WM-Vorbereitungen 480.000 neue Jobs geschaffen worden sein. 3,6 Mio. während der WM wurden versprochen. Nicht wenige werden den harschen Methoden der FIFA zur Durchsetzung ihrer Sponsorinteressen zum Opfer fallen. Aber was wird bleiben, wenn am 11. Juli das Endspiel abgepfiffen worden ist? Bis auf die neue Schnellbahnlinie "Gautrain", die Johannesburg mit Tshwane (dem früheren Pretoria) verbindet, werden die Maßnahmen im Wesentlichen abgeschlossen sein.

Der größte südafrikanische Baukonzern Aveng weist für 2005 einen "Operating Profit" von 292 Mio. Rand aus (31 Mio Euro). In 2007, als die Bauarbeiten ihren Höhepunkt erreicht hatten, explodiert der Profit auf 7,44 Mrd. Rand (797 Mio. Euro). In 2009 waren es immerhin noch 2,12 Mrd. Rand (227 Mio. Euro). Tendenz weiter fallend. Der Bauboom des Landes hat seinen Zenit überschritten. Maßnahmen dieser Größenordnung rufen natürlich internationale Konzerne auf den Plan. Das Hamburger Architekturbüro gmp (Gerkan, Mang und Partner) beispielsweise war am Stadionumbau engagiert, Siemens sicherte sich ein Auftragsvolumen von einer Milliarde Euro im den Bereichen Lichttechnik, Energie, Verkehrsmanagement, Medizintechnik. MAN lieferte über 100 Überlandbusse. Die Bundesrepublik ist der größte Exporteur nach Südafrikas (16 Prozent), (mit "Traditionen" noch aus der Apartheid-Ära (z. T. unter Umgehung des Embargos). Am Kap sind 650 deutsche Firmen tätig. Einige von ihnen haben die WM schon jetzt gewonnen. Ähnlich wird es den Herstellern von HDTV-Geräten und HDTV-Receivern gehen. Dies ist die erste Fußball-WM, die in HDTV übertragen wird. Wieder einmal wird wohl ein sportliches Großereignis als Verkaufsrammbock für einen neuen Gerätestandard herhalten dürfen.

Gesamtwirtschaftlich ist das Investitionsvolumen für die WM (7,5 Mrd. Euro) zusammen mit dem auf drei Jahre angelegten Konjunkturprogramm (80 Mrd. Euro) durchaus fähig einen kräftigen Wachstumsschub auszulösen. Südafrikas Wirtschaft war im ersten Quartal 2009 drastisch abgestürzt (-7,4 Prozent). Trotz einer Erholung in Q3/09 und Q4/09 blieb ein Minus von 1,8 Prozent. Die staatlichen Programme haben somit ein Volumen von fast 40 Prozent/BIP. Damit müsste einiges zu bewegen sein. Es fragt sich allerdings: Was.

Mit der Krise schnellte die Arbeitslosigkeit in die Höhe. In Q1/10 gelten von den 31,3 Mio. Menschen im beschäftigungsfähigen Alter (15-64) nur 17,1 Mio. als dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehend (in Labour Force). Davon errechnet sich eine offizielle Zahl von Arbeitslosen: 4,3 Mio. (25,2 Prozent). Die Zahl der "Entmutigten" und "nicht ökonomisch Aktiven" liegt bei enormen 14,2 Mio. Die Nichtbeschäftigten stellen also in dieser Altersklasse mit 18,5 Mio. (59 Prozent) die registrierten 12,8 Mio. Beschäftigten deutlich in den Schatten. Die zunehmende Zahl der Arbeitslosen, der in den Bereich der Subsistenz- und Schattenwirtschaft ausgewichenen großen Gruppe der "Entmutigten" und "nicht ökonomisch Aktiven" stellt eine erstrangige Herausforderung für die ANC-Regierung dar. Die prekäre Lage in den Townships spricht eine klare Sprache. Hypermoderne Stadien, Hochgeschwindigkeitszüge, Hochglanzbusse, neue Autobahnen und High-Tech-Komunikationseinrichtungen sind hier nur bedingt von Nutzen.


Neoliberalismus

Mit dem Ende des Boykotts und der "Globalisierung" genannten Entgrenzung des Kapitalismus gelangte auch das demokratische Südafrika zunehmend unter den Einfluss des internationalen Finanzkapitals und die Zwänge der internationalen Konkurrenz. Andererseits machen Südafrikas Reichtum an Bodenschätzen, seine Finanzindustrie, die Größe und Qualität seiner industriellen, infra- und bildungsstrukturellen Basis, die Inflation der Rohstoffpreise sowie die Schwäche seiner Nachbarn das Land zum dominierenden Faktor in der Region. SA produziert 22 Prozent des BIP des gesamten Kontinents. Der Deal, den der ANC zur Beseitigung der Apartheid mit der weißen Oberschicht schließen musste, dürfte die neoliberale Öffnung, die Expansionsstrategie des südafrikanischen Kapitals beinhaltet haben. Südafrika wurde 1995 Mitglied der WTO. Die weitreichenden protektionistischen Mechanismen wie Schutzzölle, Importsubstitution, Subventionen wurden abgebaut. Die weitreichende staatliche Wirtschaftssteuerung demontiert. Kapitalverkehrskontrollen aufgehoben. Die Körperschaftssteuer von 48 auf 28 Prozent gesenkt.

Das geschah nun nicht unbedingt mit zusammengebissenen Zähnen. 1996 versprach der damalige Finanzminister Trevor Manuel mit dem seinem neoliberalen Programm "Gear" (Growth, Employment and Redistribution) bis zum Jahr 2000 ein jährliches Wachstum von sechs Prozent und die Schaffung von 400.000 Jobs pro Jahr. Schlüsselelement sollten ausländische Direktinvestitionen sein, die man als monetaristischer Musterknabe anziehen wollte. Wie alle neoliberalen Vorkämpfer sah auch Manuel im Budgetdefizit (9 Prozent) seinen größten Feind. Es gelang ihm diesen Wert unter die bekannten 3 Prozent zu drücken. Es nutzte nichts. Die Investitionen blieben aus. Weder das versprochene Wachstum noch die Arbeitsplätze entstanden. Dafür vertiefte sich entlang der früheren Rassenschranken die Kluft zwischen Arm und Reich. Treu den neoliberalen Glaubenssätzen privatisierte auch die ANC-Regierung Wasser, Elektrizität und Telekommunikation. Wer die hohen Preise für Privatverbraucher nicht zahlen kann, bekommt nichts. Millionen Menschen wurden die Leitungen gekappt. In Johannesburg leben 30 Prozent aller Menschen in Hütten, Mehr als die Hälfte haben Probleme mit der Wasser- oder Abwasserversorgung. Dort wurde das Wasser an den französischen Multi Suez verkauft. Weil sie die Preise nicht bezahlen konnten, wurden zeitweise 10.000 Haushalte pro Monat von der Wasserversorgung abgeklemmt.

Noch 1994 startete die neu ins Amt gekommene demokratische Regierung mit ihrem Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramms (RDP) eine umfassende sozialökonomische Gesellschaftsreform. Es umfasste den Bau fester Steinhäuser, die Versorgung mit sauberem Wasser, Elektrifizierung, eine Landreform, Gesundheitsversorgung und öffentliche Arbeitsprogramme. Das Programm hat in Folge des neoliberalen Sparkurses in weiten Teilen seine Ziele nicht erreicht. Vor allem der Hausbau hat gerade ein Drittel seines Vorhaben erreicht. Dazu gelten die Häuser als nahezu ähnlich einfallslos-düster wie jene der Apartheid-Programme der 1950er, -60er Jahre. Die Landreform, ein Kernanliegen jeder Umwälzung, blieb bei 1 Prozent ihres Ansatzes stecken. Wasserversorgung und Elektrifizierung wurde durch die Privatisierung wieder zu einem Armutsproblem. Ähnlich wie die Gesundheitsversorgung, die für zahlungskräftige Privatkunden einen deutlich anderen Standard bereithält als für arme Township-Bewohner. Gleiches gilt für das Bildungssystem, das sich in reichen Vororten auf die Zusatzfinanzierung wohlhabender Eltern stützt und in den Wellblechsiedlungen mit dem staatlich garantierten, völlig unzureichenden Mindeststandard auskommen muss.


Profiteure

Wenn Milliarden ausgegeben werden, gibt es jemanden, der sie bezahlen muss, und jemanden, der sie bekommt. Geld verschwindet nicht. Wäre es das Ziel gewesen, mit den Milliarden aus der südafrikanischen Staatskasse (die ja irgendwann wieder eingesammelt werden müssen) etwas für die soziale und humanitäre Entwicklung des Landes zu tun und gleichzeitig die ökonomische Entwicklung zu befördern, z. B. Ankurbelung der Nachfrage in der Krise, so ist doch sehr die Frage, ob dann der Austragung der Fußball-WM eine hohe Priorität zugekommen wäre. Die Probleme der großen Mehrheit des Landes sind doch reichlich anderer Natur, als dass sie mit den Prestigebauten, teuren Infrastruktur- und Leuchtturmprojekten gelöst werden könnten. Wie in anderen kapitalistischen Staaten auch, entsprechen sie in Anlage, Form und Funktion den Repräsentationsbedürfnissen der gesellschaftlichen Oberschicht. Außer den zeitweiligen Beschäftigungseffekten des Baubooms nutzten die Investitionen in Stadien und Infrastruktur vorwiegend den von Weißen beherrschten Großunternehmen und der Tourismuswirtschaft. Wie in Deutschland dürfte das lokale Kleingewerbe kaum profitieren. Hier wird es eine Menge Enttäuschungen geben. Selbst der Sport käme ohne WM besser weg. Zwar steigert das "Event" zweifellos kurzfristig die Massenbegeisterung. Aber das Geld für die Stadien kann nicht noch einmal für kleine Vereine ausgegeben werden. Und in den Stadien spielen nur sehr wenige. Stadien gibt es, um zuzusehen.

Auch in der Bundesrepublik ist der langfristige sportliche Effekt der WM eher begrenzt. Während die Top-Vereine im Geld schwimmen, sind für den Trainings- und Spielbetrieb des Breitensports in den klammen Haushalten immer weniger öffentliche Mittel da. Profitiert haben alle am Sportbusiness Beteiligten. Von den Sponsoren bis zu den Devotionalienhändlern. Ihr "positiver Effekt" ist gesichert. Der Fußballfan soll nicht spielen, sondern kaufen.

Möglicherweise hatte der greise Nelson Mandela die Hoffnung, am Ende doch noch etwas für seine farbigen Landsleute tun zu können. Nachdem er den Springboks und Proteas ihren World Cup verschafft hatte, wollte er wohl seinen eigenen Leuten und ihrer "Bafana Bafana" zu einem ähnlichen Prestigeerfolg verhelfen. Leider wird es eine Alibi-Veranstaltung bleiben. Die farbige Mehrheit hat zwar den Kampf gegen die Apartheid gewonnen, nicht aber den Kampf um die politökonomische Gestaltungsmacht. Sie sind, mit Ausnahme ihrer assimilationsfähigen Elite, die großen Verlierer des Prozesses. Selbst ein Sieg ihrer "Bafana Bafana" machte sie nicht zu Gewinnern.

Die Züricher Krake hat das internationale Fußballbusiness fest im Griff. Auch Südafrika hat sich der "Geldmaschine am Zürichberg" ausgeliefert. Dabei können nur jene gewinnen, die über ähnliche Geldmaschinen verfügen. Den Übrigen bleibt das Bier und die Bratwurst und die phantastische Hoffnung, im Schicksal der "elf Freunde" (Herberger) auf dem Rasen die eigene Erfüllung zu finden.


Klaus Wagener, Dortmund, MB-Redaktion


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 3-10, 48. Jahrgang, S. 51-58
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2010