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MARXISTISCHE BLÄTTER/477: Kaltfront Korea


Marxistische Blätter Heft 1-11

Kaltfront Korea

Auch sechs Jahrzehnte nach dem Beginn des Koreakrieges ist eine dauerhafte Friedenslösung auf der Halbinsel und in Nordostasien nicht absehbar

Von Rainer Werning


"Anschuldigungen gegen und Vorurteile über Nordkorea sind uns sattsam bekannt. Über Nordkorea zirkulieren Zerrbilder der gröbsten Art. Offenbar ist da auch eine Abwehrhaltung im Spiel. Denn das Land fühlt sich permanent bedroht und sein Bild im Ausland, selbst in Kinofilmen, ist in den schwärzesten Farben gemalt."

Der Schriftsteller Hwang Sok-Yong, Südkoreas bedeutendster zeitgenössischer Autor, im. Gespräch mit dem Autor (Juni 2005)

"Der Irre mit der Bombe" lautete der reißerische Titel des Wochenmagazins Der Spiegel in seiner Ausgabe vom 14. Februar 2005. Das Titelfoto zeigte einen feisten, lächelnden Kim Jong Il, Sohn des nordkoreanischen Staatsgründers und "ewigen Präsidenten" Kim Il-Sung, inmitten eines surrealen Settings aus Wasser, Blumen und startbereiten beziehungsweise bereits gezündeten Raketen.

Kim Jong-Il - ein seit seiner Jugend ungeliebter Psychopath an der Spitze eines Zombie-Staates? Kim Il-Sung - der Gründer eines poststalinistischen Gulag-Staates? Ähnliche Geschichten kolportierten US-amerikanische Magazine wie TIME und Newsweek oder der britische Economist - von Boulevardblättern ganz zu schweigen. Selbst US-Präsident George W. Bush beschimpfte Kim Jong-Il bei einem Treffen in Shanghai als "Pygmäen".(1) Zuvor hatte Bush in seiner Rede State of the Union Address Ende Januar 2002 die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK - Nordkorea) neben Iran und Irak erstmals öffentlich als Teil der sogenannten "Achse des Bösen" gebrandmarkt.(2) Die Regierung der Volksrepublik fuhr umgehend eine Retourkutsche und warf der Bush-Administration vor, von "moralischer Lepra" befallen zu sein. (3) In einem dermaßen von gegenseitigen Animositäten geprägten Klima war und bleibt es schwer, anstelle von Säbelrasseln politisch-diplomatisch auf Deeskalation hinzuwirken und einen "normalen" Modus vivendi zu finden.


Drei (letztlich gescheiterte) Annäherungsversuche

Seit dem Koreakrieg (25. Juni 1950 - 27. Juli 1953; siehe Exkurs), dem ersten "heißen" Konflikt im Kalten Krieg, gab es von Seiten Seouls und Pjöngjangs lediglich drei nennenswerte Anläufe, das beidseitig von exzessiven Feindbildern geprägte innerkoreanische Verhältnis zu entkrampfen. Jedes Mal jedoch waren außenpolitische Faktoren mitverantwortlich dafür, dass die Friedenssuche in neuerliche Konfrontation mündete. Der erste Anlauf geschah im Sommer 1972. Am 4. Juli desselben Jahres schlug die in beiden Hauptstädten gleichzeitig bekannt gegebene Gemeinsame Süd-Nord-Erklärung über die friedliche nationale Wiedervereinigung wie eine Bombe ein. Darin hieß es:

"Beide Seiten einigten sich über folgende Prinzipien der Wiedervereinigung des Vaterlandes:

Erstens: Die Wiedervereinigung soll unabhängig, das heißt ohne sich auf eine fremde Macht zu stützen, noch mit deren Einmischung erreicht werden.

Zweitens: Die Wiedervereinigung soll mit friedlichen Mitteln, das heißt ohne Waffeneinsatz der einen Seite gegen die andere verwirklicht werden.

Drittens: Die große nationale Einheit soll vor allem durch ein gemeinsames Nationalgefühl gefördert werden, ungeachtet der Unterschiede der Ideologien, Ideale und Systeme.

Beide Seiten halten sich von der Verleumdung der anderen Seite und von bewaffneten Provokationen, kleinen oder großen, zurück und wirken darauf hin, Zwischenfälle durch unerwartete militärische Konflikte zu vermeiden, damit die Spannung zwischen dem Norden und dem Süden überwunden und eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen werden kann."

Zugleich wurde vereinbart, die Zusammenarbeit auf den verschiedensten Ebenen, vorrangig im Rahmen von Rote-Kreuz-Gesprächen, zu fördern. Außerdem sollte zwischen beiden Hauptstädten ein "heißer Draht" hergestellt und darauf hingewirkt werden, dass ein noch zu schaffendes Nord-Süd-Koordinationskomitee die drei gemeinsamen Prinzipien realisiert. Der in Seoul völlig unerwartete Besuch des damaligen US-Präsidenten Richard M. Nixon in der Volksrepublik China und die Verhängung des Kriegsrechts in Südkorea im Jahre 1972 machten die hehre Gemeinsame Süd-Nord-Erklärung auf Jahre zur Makulatur.

Um die Jahreswende 1990/1991 handelten Nord- und Südkorea einen Aussöhnungs- und Normalisierungsvertrag aus, der den beiderseitigen Austausch in den Bereichen Kultur, Wirtschaft und Politik vorsah und gemeinsame Besuchsprogramme ermöglichen sollte. Auch das hörte sich gut an. Doch die Vertragsunterzeichnung fiel in eine für Nordkorea überaus bedeutsame Umbruchphase. In Berlin war die Mauer gefallen, der Zusammenbruch der Sowjetunion und anderer realsozialistischer Regime in Osteuropa stand bevor. Für Pjöngjang bedeutete die Politik von Glasnost und Perestrojka in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow nichts Gutes. Öffnung und Transparenz - das ging der nordkoreanischen Nomenklatur entschieden zu weit. Sie witterte darin eine - so wörtlich -"ideologische Kontaminierung". Auf die Umbruchphase in Osteuropa reagierte Pjöngjang auf seine Weise; es schottete sich gegenüber der (westlichen) Außenwelt ab, setzte stärker als zuvor auf ideologische Erziehung und Kampagnen, entwarf das Konzept des "Sozialismus eigener Prägung" und propagiert seitdem den "starken und gedeihenden Staat" und die Politik des "Zuerst das Militär!". Diesmal war es der Norden, der den innerkoreanischen Annäherungsprozess aussetzte. Neben den Entwicklungen in der Sowjetunion und in Osteuropa waren dafür auch schwerwiegende innen- und wirtschaftspolitische Probleme ausschlaggebend. Nach dem Tod des "Großen Führers" Kim Il-Sung im Sommer 1994 folgten Jahre verheerender Dürre und Überschwemmungen. Die ohnehin angeschlagenen, mit veralteter Technologie ausgestatteten Wirtschaftsbetriebe, die abrupte Umstellung des Handels auf Devisenbasis und immense Rüstungsausgaben (etwa 30 Prozent des Bruttosozialprodukts) führten das Land nahezu in den Ruin.

Mitte der 1990er Jahre erlebte Nordkorea in Folge der verheerenden Naturkatastrophen (Dürreperioden und Überschwemmungen) komplette Ernteausfälle und in einigen Regionen akute Hungersnot, worunter beispielsweise 1995 5,7 Millionen Menschen, etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung, litten. Davon hat sich das Land bis heute nicht vollständig erholt, wenngleich sich die Lebensbedingungen der Menschen nach Ansicht internationaler Hilfsorganisationen, wie beispielsweise Caritas-Hongkong, seitdem spürbar verbesserten. Doch die Auswirkungen mehrjähriger chronischer Mangelernährung sind noch immer sichtbar, vor allem in den abgelegenen, schwer zugänglichen Gebieten, wo Kleinkinder nicht angemessen mit Nahrungsmitteln und medizinisch versorgt wurden. Eine wirtschaftlich prekäre Situation, die Pjöngjangs Dschutsche-Konzept, seine gepriesene Variante einer autozentrierten Entwicklung, konterkarierte.

Die dritte Annäherung zwischen Nord- und Südkorea geschah Mitte Juni 2000. Am 13. Juni 2000 genoss die nordkoreanische Führung als Gastgeber des ersten innerkoreanischen Gipfeltreffens den geschichtsträchtigen Moment, dass die Staatschefs beider Teilstaaten, Kim Dae-Jung und Kim Jong-Il, Freundlichkeiten per Handschlag austauschten. Am 15. Juni 2000 vereinbarten beide Staatsmänner die historische Nord-Süd-Deklaration. Über Familienzusammenführung und gegenseitige Besuchsprogramme hinaus sah diese eine engere Kooperation in den Bereichen Kultur, Handel und Wirtschaft vor. Möglich geworden war diese erste Zusammenkunft der beiden mächtigsten Politiker in Seoul und Pjöngjang nach dem Amtsantritt Kim Dae-Jungs im Februar 1998. Der einstige Staatsfeind Nummer 1 verkündete unter dem Namen "Sonnenscheinpolitik" eine Öffnung gegenüber dem Norden. Dies erfolgte aus pragmatischen Erwägungen. Seit nämlich klar wurde, welch exorbitante Kosten Südkorea aufgebürdet würden, verfolgte es eine (Wieder-) Vereinigungspolitik analog dem deutschen Beispiel, schwand die frühere Euphorie der politischen Eliten in Seoul, man könne sich den Norden aufgrund der eigenen haushohen wirtschaftlichen Überlegenheit relativ problemlos einverleiben.


"Sonnenscheinpolitik" mit EU-Segen

Wandel durch Handel, Annäherung statt Destabilisierung - lautete fortan die Devise in Seoul. Dabei bezog sich Kim Dae-Jung ausdrücklich auf Willy Brandts frühere "Ostpolitik", wenngleich er die Situation beider Länder nie für vergleichbar hielt. Dieser dritte Anlauf einer Nord-Süd-Verständigung auf der Koreanischen Halbinsel schien vielversprechend zu verlaufen, zumal dieser Prozess im Ausland breite Unterstützung fand.(4)

Die Europäische Union unterstützte von Beginn an die "Sonnenscheinpolitik" Kim Dae-Jungs und leistete Nordkorea Nahrungsmittel- und humanitäre Hilfe, deren Umfang allein im Zeitraum von 1995 bis 2002 rund 180 Mio. Euro betrug. Darüber hinaus vertiefte die EU den politischen Dialog mit Pjöngjang, förderte die Vertrauensbildung und Zusammenarbeit im Rahmen des ASEAN Regional Forum (ARF) sowie Maßnahmen bezüglich mittelfristiger technischer Hilfe und avisierte schließlich Möglichkeiten eines erleichterten Marktzugangs für nordkoreanische Produkte in die EU.

Im Februar 2002 erarbeitete die EU-Kommission eigens ein sogenanntes Country Strategy Paper (CSP) für die DVRK, in dem die Rahmenbedingungen der technischen Zusammenarbeit mit der Volksrepublik bis zum Jahr 2004 skizziert wurden. Als Eckpunkte der Kooperation waren folgende Maßnahmen avisiert: Unterstützung des innerkoreanischen Dialogs, Hilfe beim Prozess der nordkoreanischen Marktöffnung und Modernisierung der Wirtschaft, erleichterter Zugang nordkoreanischer Produkte auf dem EU-Markt (vor allem erhöhte Importquoten bei Textilien), verstärkte Investitionen, eine Erweiterung des EU-DVRK-Außenhandels, der im Jahre 2000 umgerechnet gerade einmal zirka 319 Mio. US-Dollar ausmachte, sowie die Aufnahme von Gesprächen über die Lage der Menschenrechte in der DVRK. Die erste Gesprächsrunde dieser Art fand am 13. Juni 2001 statt, während im Gegenzug die Volksrepublik im März 2002 eine Delegation nach Europa entsandte, um sich vor Ort ein Bild über die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der EU zu verschaffen.


Backlash unter Bush

Was zu Beginn des Jahres 2001 vielversprechend auf Entspannung in Korea hindeutete, geriet nach dem Amtsantritt von George W. Bush ins Wanken. Dieser stempelte die "Sonnenscheinpolitik" Kim Dae-Jungs als "naiv" ab. Im September desselben Jahres ersetzte die Regierung in Washington die Politik der Eindämmung durch eine neue Strategie präventiver Militärschläge, das heißt des Präventivkriegs, wonach ein Land anzugreifen sei, von dem die USA glauben, es könnte zuerst angreifen. Pjöngjang sah sich herausgefordert und bangte um das Überleben seines Regimes, als im März 2003 US-Streitkräfte in den Irak einmarschierten. Seitdem beharrt es - so wörtlich: "auf das Recht, ein größtmögliches Abschreckungspotenzial zum Selbstschutz zu unterhalten". Ein solches Potenzial beinhaltet in der Lesart Pjöngjangs sowohl den Besitz von Raketen als auch den Auf- beziehungsweise Ausbau eines eigenen Nuklearprogramms. Wenngleich dieses ausdrücklich zivilen Zwecken dienen soll, geht Washington bis heute davon aus, dass es letztlich militärischer Aufrüstung dient. Dieses "Missverständnis" ließ in immer schnellerer Abfolge Maßnahmen auf Gegenmaßnahmen der Protagonisten folgen.

Vor allem die in Washington vor und nach der Irak-Invasion wiederholt öffentlich benutzte Formel eines notwendigen "Regimewechsels" im Falle unilateral ausgemachter "Schurkenstaaten" ließ in Pjöngjang die Alarmglocken schrillen. Unverzüglich brachen alte (Kriegs-) Wunden wieder auf. Pjöngjang brandmarkte im Staatsrundfunk und in der Rodong Shinmun, dem Zentralorgan der herrschenden Partei der Arbeit Koreas (PdAK), die USA als eine "Nation von Kannibalen" und warnte Washington vor provokativen Aktionen: "Sollten die US-Imperialisten die Konfrontation wagen, wird ihnen tausendfach Rache zuteil." Pjöngjang reagierte auch deshalb so harsch, weil sich seit dem Amtsantritt von Bush junior die US-amerikanisch-chinesischen Beziehungen spürbar abgekühlt hatten. Präsident Bush und seine damalige Sicherheitsberaterin und spätere Außenministerin Condoleezza Rice werteten China als "aufstrebende Macht und strategischen Gegner", als einen Rivalen also, der den USA - langfristig gesehen - am ehesten politisch, militärisch und wirtschaftlich Paroli bieten könnte.(7)

"So trafen Anfang 2003 die vorhersehbaren Provokationen und Täuschungsversuche Nordkoreas auf die seit langem vorliegenden Pläne der USA, die schon in der Anfangsphase eines neuen koreanischen Krieges den Einsatz von Atomwaffen vorsehen", schrieb der US-amerikanische Historiker und Korea-Experte Bruce Cumings: "Das Prinzip des Atomwaffensperrvertrags lautet", so Cumings weiter, "dass Staaten ohne Nuklearwaffen nicht von denen bedroht werden dürfen, die Atomwaffen besitzen. 1996 erklärte der Internationale Gerichtshof in Den Haag, jeglicher Einsatz von oder die Bedrohung durch Atomwaffen sei als das 'mal ultime' zu verurteilen. Dennoch könnte der Einsatz von Atomwaffen gerechtfertigt sein - dann nämlich, wenn das Überleben eines ganzen Staates auf dem Spiel stünde [zit. nach: The New York Times, 9. Juli 1996]. Demnach jedenfalls ist es eher gerechtfertigt, dass Nordkorea Atomwaffen produziert, als dass die USA dem 'nichtnuklearen Staat' Nordkorea die Vernichtung androhen."(8)

Mitte Juni 2005. Anlässlich des fünften Jahrestages des ersten koreanischen Gipfeltreffens und der Unterzeichnung der Nord-Süd-Deklaration reisten über 300 südkoreanische Gäste nach Pjöngjang, um dort mehrere Tage lang gemeinsam dieses Ereignisses zu gedenken. Es herrschte eine ausgelassene Atmosphäre, die einmal mehr demonstrierte, dass Nord und Süd einander begegnen, von einander lernen und miteinander feiern können, solange Einmischungen von außen unterbleiben. Südkoreas damaliger Außenminister (und heutige UN-Generalsekretär) Ban Ki-Moon und andere hochrangige Diplomaten in Seoul zeigten sich maßlos enttäuscht, als bereits wenige Tage nach diesen Feierlichkeiten Paula Dobriansky, Unterstaatssekretärin im US-State Department, Nordkorea als einen von vier "Außenposten der Tyrannei" anprangerte - gemeinsam mit Myanmar (Burma), Simbabwe und Kuba. Ban verwahrte sich gegen solch provokative Äußerungen aus Washington und erklärte: "Nordkorea stets mit negativen, respektlosen Etiketten zu belegen, ist kontraproduktiv." Wodurch de facto die Schizophrenie ein Ende fand, dass Südkorea engere Kontakte zum Norden wünschte, diesen aber gleichzeitig in seinem seit der Staatsgründung 1948 bestehenden Nationalen Sicherheitsgesetz als "staatsfeindliche Organisation" denunziert.


Gesprächsrunden im Zickzack

Zwischenzeitlich hatte Beijing eine sogenannte Sechser-Gesprächsrunde initiiert (siehe die Chronik), um den Atomstreit mit Nordkorea politisch-diplomatisch beizulegen. Neben Gastgeber China gehören dieser Runde die beiden Korea, Japan, Russland und die USA an. Als schließlich am 13. Februar 2007 in der chinesischen Hauptstadt die fünfte Runde der Sechser-Gespräche zur Beilegung des Konflikts um Nordkoreas Atomprogramm nach zähen Verhandlungen zu Ende ging, herrschte allseits Erleichterung. Im Kern einigte sich die Sechser-Gruppe auf eine Vereinbarung für die Anfangsphase, die Energielieferungen im Gegenzug für eine Schließung des Atomreaktors in Yôngbyôn sowie die Rückkehr von IAEA-Inspektoren vorsieht. In fünf Arbeitsgruppen sollte zudem über einen Friedensvertrag diskutiert werden.

Trotz dieses Silberstreifs über der Koreanischen Halbinsel blieb ein Durchbruch dennoch aus. Die vereinbarte Maxime, in abgestimmten Schritten die Vereinbarungen auch beidseitig umzusetzen, krankte fortan an der Schwierigkeit, wer den ersten Schritt unternimmt. Während Washington immer wieder Vorleistungen ins Gespräch brachte, wonach Nordkorea konkrete Abrüstungsmaßnahmen umsetzen sollte, beklagte sich die Regierung in Pjöngjang darüber, dass vereinbarte Hilfslieferungen nicht rechtzeitig erfolgten oder gänzlich ausblieben. Um dieser Zwickmühle zu entkommen, setzte Pjöngjang auf eine Politik der Stärke, indem es in wohl orchestrierten Schritten weitere Raketentests durchführte und nach eigenem Bekunden einen neuerlichen Atomtest unternahm.

Pjöngjangs eigentliches Ansinnen war, ist und bleibt es, wenn schon nicht als Freund international geachtet, dann wenigstens als ebenbürtiger Feind geächtet zu werden, um auf Augenhöhe Direktverhandlungen mit Washington zu erwirken. Den Schlussakkord solcher Gespräche soll ein Friedensvertrag setzen, der den seit Ende Juli 1953 existierenden Waffenstillstandsmodus überwinden und gleichzeitig Sicherheitsgarantien für Pjöngjang offerieren soll. Dort gilt - jenseits sozialistischer Rhetorik oder zelebrierter Dschutsche-Ideologie - zuvörderst ein rigider Etatismus, dessen raison d'être in der Fortexistenz des Staates und des dies garantierenden Militärs besteht. Kein Wunder, dass das (partei-)politisch mächtigste Amt und gleichzeitig die militärisch höchste Position in der Volksrepublik in Personalunion dem Vorsitzenden der Nationalen Verteidigungskommission, Marschall Kim Jong-Il, obliegt. Gegenwärtig besteht diese Kommission aus 15 Mitgliedern.(9)


2010 - Säbelrasseln und (bewaffnete) Provokationen

Als am 26. März 2010 die 1200 Tonnen schwere südkoreanische Korvette "Cheonan" auseinander barst und nahe der Insel Baengnyeong im Westmeer (oder Gelben Meer) unterging, fanden 46 Marinesoldaten den Tod. Am 20. Mai veröffentlichte die südkoreanische Regierung einen ersten Zwischenbericht über das Geschehen, dessen Endfassung bis Ende Juli vorliegen sollte. Doch bereits seit dem 20. Mai ging Seoul hart mit Pjöngjang ins Gericht und beschuldigte das nordkoreanische Militär, die Korvette versenkt zu haben. Seoul forderte außerdem internationale Strafmaßnahmen gegen Nordkorea. Pjöngjang verwahrte sich derweil gegen solche Anschuldigungen, betonte mehrfach und öffentlich, in keiner Weise am Untergang der "Cheonan" beteiligt gewesen zu sein und sprach stattdessen von einer "fabrizierten Geschichte".(10) Jedenfalls lehnten es die Vertreter der Volksrepublik China sowie Russlands als Ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates ab, eine gegen Nordkorea gerichtete Resolution zu initiieren, die Pjöngjang allein den Schwarzen Peter zugeschoben hätte.

In der Folgezeit tauchten sporadisch in den südkoreanischen und internationalen Medien Berichte auf, die Seouls Version der "Cheonan-Affäre" schlichtweg zurückwiesen oder der von ihm eingesetzten Gemeinsamen Zivil-Militärischen Untersuchungsgruppe (JIG) Ungereimtheiten nachwiesen.(11) Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass sich der Löwenanteil der Untersuchungsmitglieder - nämlich 65 von insgesamt 74 aus dem Militär rekrutierte beziehungsweise direkt im Dienst des Verteidigungsministeriums stand oder in von diesem unterhaltenen Denkfabriken und gesponserten Instituten arbeitete. Einer der beiden Vorsitzenden des Untersuchungsteams, Pak Chông-I, war zum Zeitpunkt der Untersuchung ein Drei-Sterne-General, der unmittelbar nach Vorlage des Interimberichts zum Vier-Sterne-General befördert wurde.(12)

Im Juni 2010 hatte Russland ein eigenes Expertenteam nach Seoul entsandt, um den "Cheonan-Vorfall" zu untersuchen. Zwar wurde der Abschlussbericht des Teams nicht publiziert, doch es zirkulierten in den Medien Seouls wiederholt Hinweise darauf, dass die Korvette nicht von einem Torpedo, sondern von einer Mine getroffen wurde. In diesen Berichten hieß es ferner, das Schiff sei vor einer Explosion auf Grund gelaufen und habe sich in einem Fischfangnetz verheddert, das heim Hochziehen eine Mine detonieren und die "Cheonan" zerbersten ließ. "Als ich einen hochrangigen russischen Freund fragte", schrieb der Ex-Botschafter Donald P. Gregg in einem Gastbeitrag für The New York Times, "warum der Bericht nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, antwortete er, 'weil das Präsident Lee Myung-Bak einen zu großen politischen Schaden zugefügt und Präsident Obama arg in Verlegenheit gebracht hatte'".(13)

Die fortgesetzten Anschuldigungen Seouls, Pjöngjang sei für die Versenkung der "Cheonan" verantwortlich, sowie mehrere, in rascher Abfolge durchgeführte US-amerikanisch-südkoreanische Großmanöver in der umstrittenen Northern Limit Line (der Grenzzone im Gelben Meer(14)), wo es in der Vergangenheit wiederholt zu bewaffneten innerkoreanischen Auseinandersetzungen gekommen war, wertete Pjöngjang seinerseits als akute Bedrohung. Der Konflikt eskalierte, als nordkoreanische Geschütze am 23. November tödliche Schüsse auf die südkoreanische Insel Yeongyeong abfeuerten.(15) Unmittelbar vor und nach dieser bedrohlich eskalierten Lage hatte die nordkoreanische Führung US-amerikanische Wissenschaftler und Politiker in die Volksrepublik eingeladen - offensichtlich, um durch sie Signale in Richtung Weißes Haus auszusenden, weitere Direktverhandlungen mit der Obama-Administration aufzunehmen. Am 17. Dezember 2010 traf Bill Richardson, der Gouverneur des Bundesstaates New Mexico, zu einem vielbeachteten Besuch in Pjöngjang ein. Sein Fazit: Er habe das Gefühl gewonnen, dass Pjöngjang die Lage zu entspannen gedenkt und seine Emissäre in absehbarer Zeit wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren.


Paradoxien & vertrackte Situation - Quo vadis?

Vieles auf der koreanischen Halbinsel muss dem außenstehenden Beobachter paradox und anachronistisch anmuten. Während Nordkorea noch heute Erinnerungen an Zustände während der Kulturrevolution in der Volksrepublik China unter Mao Zedong weckt, der Personenkult ungebrochen Urstände feiert und die Bevölkerung in ununterbrochenen Kampagnen auf die Vorbereitung des 100. Geburtstags des Staatsgründers und "Präsidenten auf Ewigkeit", Kim Il-Sung, eingeschworen wird, ist das OECD-Land Südkorea ein moderner Industriestaat mit einer für die vielfältigen Herausforderungen der Globalisierung gewappneten akademischen Jugend.

Während die politischen Eliten in Pjöngjang und Seoul immer wieder darüber in Clinch geraten, wer die jeweils andere Seite mit propagandistischen Tiraden am heftigsten attackiert, lassen südkoreanische Unternehmen nach wie vor im nordkoreanischen Gaeseong-Industriekomplex für den Binnen- und Weltmarkt eine Palette von Erzeugnissen produzieren (übrigens das Resultat der am 15. Juni 2000 vereinbarten historischen Nord-Süd-Deklaration) und billigen die Behörden in beiden Hauptstädten sporadisch strikt reglementierte gegenseitige Besuchsprogramme für Familienangehörige aus Nord wie Süd, die während des Koreakrieges gewaltsam getrennt wurden.

Das Jahrzehnt von 1998 bis 2008 stand ganz im Zeichen der - auch international geschätzten - "Sonnenscheinpolitik", die letztlich qua unilateraler, durch manisch-repressiven Antikommunismus genährte Entscheidungen der Bush-Administration ausgehebelt wurde. Im Februar 2008 schließlich trat mit Präsident Lee Myung-Bak ein Mann an die Spitze des südkoreanischen Staates, über den der ehemalige US-Botschafter in Seoul (1989-1993), Donald P. Gregg, schrieb, dass die Lee-Regierung "sämtliche Brücken mit Nordkorea niedergebrannt hat, ohne dass deren Hardliner-Politik auch nur eine exit strategy vorsieht".(16) Noch im August 2009, so Gregg weiter, hätten gute Chancen zum Nord-Süd-Ausgleich auf der Koreanischen Halbinsel bestanden. Noch gegen Ende desselben Jahres schlug Pjöngjang ein neuerliches Gipfeltreffen vor.

"Doch was immer auch militärische Manöver, wirtschaftliche Sanktionen und verbale Attacken bewirken sollten", fügte Ex-Botschafter Gregg hinzu, "so werden die verantwortlichen Stellen in Washington und Seoul letztlich mit der Enttäuschung konfrontiert sein, dass dadurch kein Zusammenbruch des Kim-Regimes (der Regierung Kim Jong-Ils in Nordkorea; RW) herbeigeführt wird. China wird das nicht zulassen. Zwar mag China über ein nuklear gerüstetes Nordkorea nicht glücklich sein, doch mehr noch wäre es über eine instabile Lage auf der Koreanischen Halbinsel besorgt. Pjöngjang weiterhin unter Druck zu setzen, erhöht nur dessen Abhängigkeit von China. Die jüngsten Reisen Kim Jong-Ils nach China und die Art und Weise, wie er dort als Staatsgast empfangen wurde, unterstreichen dies eindrücklich."(17)

Tatsächlich ist und bleibt China Nordkoreas engster politischer und wirtschaftlicher Verbündeter. Eine Grundlage dafür ist die Waffenbrüderschaft, die es während des dreijährigen Koreakriegs gab, in dem auch ein Sohn Mao Zedongs sein Leben verlor. Ein anderer Grund ist der Freundschafts- und Beistandspakt zwischen beiden Staaten vom 11. Juli 1961.(18) Außerdem erhält Nordkorea vom großen Nachbarn Erdöl, Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs, ohne die die Regierung in Pjöngjang schwerlich überleben könnte. Eine Destabilisierung des Regimes dort hätte letztlich auch für China unabsehbare Konsequenzen, die es tunlichst vermeiden will. Last but not least: Der Weg in Richtung Entspannung, Normalität und Frieden auf der Koreanischen Halbinsel und in der Region Nordostasien wird so oder so über Beijing führen.


Anmerkungen

(1) Woodward, Bob (2002): Bush at War. New York & Knowlton, Brian (2001): Bush Teils Korean He Distrusts North, in: International Herald Tribune, March 8.

(2) Veröffentlicht wurde die Rede u. a. von BBC News Americas am 30. Januar 2002.

(3) N Korea hits back at US), zitiert nach: BBC News Asia-Pacific, Feb. 1, 2002.

(4) Unterstützung von allen Seiten für Kim Dae-jung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Oktober 2000 & Harrison, Selig S. (2001): Nord- und Südkorea: Die schwierige Entspannung, in: Le Monde diplomatique (dtsch. Ausg.). Berlin/Zürich: Januar.

(5) Patten, Chris/Solana, Javier (2001): EU Policy on the Democratic People's Republic of Korea (DPRK) - Supporting International Efforts to Reduce Tensions on the Korean Peninsula. European Union, Delegation of the European Commission to the United States. 2300 M Street, NW, Washington. DC 20037, No. 33/01, May 1 & EU-Delegation in Korea belebt Friedensprozess, in: Financial Times Deutschland, 3. Mai 2001.

(6) Kihl, Young Whan/Kim, Hong Nack (eds.) (2006): North Korea: The Politics of Regime Survival. New York & Choe, Hyondok/Song, Du-Yul/Werning, Rainer (Hg.) (2004): Wohin steuert Nordkorea? Soziale Verhältnisse, Entwicklungstendenzen, Perspektiven. Köln.

(7) Quadrennial Defense Review Report. Washington. DC (Department of Defense-DoD), September 30, 2001.

(8) Cumings, Bruce (2003): Nordkorea und USA im atomaren Gleichgewicht. Pjöngjang liegt nicht am Tigris, in: Le Monde diplomatique (dtsch. Ausg.). Berlin/Zürich. Februar.

(9) Am 28. September 2010 fand in Pjöngjang die vielbeachtete (dritte) Parteikonferenz der PdAK statt und das erste Zusammenkommen der Partei seit dem VI. Parteitag vom Oktober 1980. Kim Jong-Ils jüngster Sohn Kim Jong-Un und seine Schwester Kim Kyong-Hui avancierten zu Vier-Sterne-Generälen - siehe: Nordkoreas neue Führung im Bild, in: Neue Zürcher Zeitung, 30. September 2010.

(10) Certo, Peter/Chaffin, Greg/Kim, Hye-Eun (2010): The Cheonan Incident: Skepticism Abounds. Washington, DC: Foreign Policy in Focus. Nov. 15 & Werning, Rainer (2010): Auf Konfrontationskurs, in: Junge Welt. Berlin, 3. Juni.

(11) S. Korea says sunken warship may have hit mine, in: USA Today. McLean, VA. March 29, 2010 & More stunning flaws in Cheonan evidence, in: The Hankyoreh (Editorial). Seoul, Nov. 19, 2010.

(12) Lee, Seunghun/Suh, J.J. (2010): Rush to Judgment: Inconsistencies in South Korea's Cheonan Report, in: The Asia-Pacific Journal, 28-1-10. Tokyo, July 12.

(13) Donald P. (2010): Testing North Korean Waters, in: The New York Times, August 31. - Der Autor war von 1982 bis 1988 Nationaler Sicherheitsberater unter Vizepräsident George H. W. Bush und von 1989 bis 1993 US-Botschafter in Seoul. Gregg war nach über 30-jähriger Tätigkeit für die CIA außerdem Vorsitzender der Korea Society. Siehe ferner: Moon, Gwang-Lip (2010): Russia says sea mine sunk Cheonan: report. in: JoongAng Daily. Seoul, July 28.

(14) Van Dyke. Jon (2010): The Maritime boundary between North & South Korea in the Yellow (West) Sea. U.S.-Korea Institute, Johns Hopkins University, School of Advanced International Studies. Baltimore, MD, July 29.

(15) Xinhua (staatliche chinesische Nachrichtenagentur) (2010): Artillery firing in self-defense: DPRK. Beijing. Nov. 25 & WikiLeaks Cables Show Glaring Ignorance of N. Korea, in: Chosun Ilbo. Seoul, Dec. 2, 2010.

(16) Gregg, siehe Anm. 13.

(17) Ebd.

(18) International Crisis Group (ICG/ed.) (2006): China and North Korea: Comrades Forever?, Asia Report No 112. Seoul/Brussels, 1 February.


Exkurs

Schonungslose Aufklärung

"In der Zeit vom 25. Juni 1950 bis zum 27. Juli 1953 (die Zeit des Koreakrieges; RW) kamen nach konservativen westlichen Schätzungen über 4,6 Millionen Koreaner ums Leben, einschließlich drei Millionen Zivilisten im Norden und 500.000 Zivilisten im Süden der Halbinsel. Die Beweise für die US-Kriegsverbrechen, die diesem Tribunal präsentiert wurden, lieferten Augenzeugenberichte und Dokumente über Massaker an Tausenden Zivilisten, die von den US-amerikanischen Militärstreitkräften während des Krieges im Süden Koreas verübt wurden. Darüber hinaus gab es erdrückende Beweise der kriminellen, teils genozidmäßig betriebenen US-Politik im Norden Koreas, wo systematisch die meisten Häuser und Gebäude durch US-Artilleriefeuer und Luftangriffe in Schutt und Asche gelegt wurden, wo US-amerikanische und südkoreanische Verbände gemeinsam brutal gegen Zivilisten und Kriegsgefangene vorgingen, wo mutwillig lebensnotwendige Einrichtungen des öffentlichen Lebens und wirtschaftliche Produktionsanlagen zerstört und geächtete Waffen sowie biologische und chemische Kampfmittel im Krieg gegen seine Bevölkerung eingesetzt wurden. Zahlreiche Dokumentationen und Augenzeugenberichte beweisen überdies die allgegenwärtige und systematische Gewalt gegen Frauen im Norden und Süden Koreas, die Massenvergewaltigungen, anderen sexuellen Erniedrigungen und Nötigungen bis hin zu Mord ausgesetzt waren. Die Teilnehmer dieses Tribunals fordern die US-Regierung auf, sämtliche Informationen über begangene US-Kriegsverbrechen und andere Gräueltaten zugänglich zu machen, die in Korea seit dem 7. September 1945 (dem Tag der Anlandung erster US-Kontingente nach der Kapitulation Japans; RW) begangen wurden."

Quelle: Auszug aus dem Verdikt des "Korea International War Crimes Tribunal", New York, 23. Juni 2001. Als Vorsitzender und Chefankläger des Tribunals fungierte der ehemalige US-amerikanische Justizminister Ramsey Clark. (Übersetzung aus dem Amerikanischen: Rainer Werning)


Der Streit um Nordkoreas Nuklearprogramm - Eine Chronik (1985-2010)

1985 - Nordkorea unterzeichnet den Atomwaffensperrvertrag (NPT).

1992 - Pjöngjang lässt die ersten Inspekteure der in Wien ansässigen Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ins Land reisen.

21.10.1994 - Im sogenannten "Agreed Framework" verpflichtet sich Nordkorea, sein Waffenprogramm einzustellen und den NPT zu beachten. Als Gegenleistung sichern die USA zu, jährlich 500.000 Tonnen Erdöl zu liefern und in Kooperation mit einem internationalem Konsortium (KEDO) zwei Leichtwasserreaktoren für die Stromproduktion zu installieren.

Mitte Juni 2000 - Im Zuge der vom südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-Jung verfolgten "Sonnenscheinpolitik" vis-à-vis dem Norden kommt es zum ersten innerkoreanischen Gipfeltreffen.

11.01.2002 - Nach den Terroranschlägen vom 11.9.2001 reiht US-Präsident George W. Bush im Zuge des "War on Terrorism" Nordkorea neben Irak und Iran in die "Achse des Bösen" ein und kündigt den Vertrag von 1994 auf.

Jahreswende 2002/03 - Der US-Sondergesandte James A. Kelly bezichtigt Nordkorea, ein geheimes Programm zur Urananreicherung zu betreiben, woraufhin Pjöngjang die IAEA-Inspektoren des Landes verweist und aus dem NPT ausschert.

August 2003 - Zur Beilegung des schwelenden Konflikts um Nordkoreas Nuklearprogramm beginnen in der chinesischen Hauptstadt Beijing die Sechs-Parteien-Gespräche, an denen neben dem Gastgeber China die beiden Korea, die USA, Russland und Japan teilnehmen.

10.02.2005 - Nordkorea erklärt sich offiziell zur Atommacht, nachdem die Volksrepublik im Januar 2003 aus dem NPT ausgetreten war.

19./20. September 2005 - Nordkorea signalisiert unter bestimmten Bedingungen (u. a. im Falle der Lieferung eines geforderten Leichtwasserreaktors) seine Bereitschaft, sein Atomprogramms einzustellen, was Japan und die USA indes ablehnen. Als Letztere Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Nordkorea verhängen, erhärten sich die Fronten und beenden die Sechs-Parteien-Gespräche.

05.07.2006 - Pjöngjang testet Raketen, darunter auch die Langstreckenrakete Taepodong-2 (mit einer geschätzten Reichweite von 6700 Kilometern), und führt nach eigenen Angaben am

09.10.2006 - erfolgreich einen Atombombentest durch.

14.10.2006 - Der UN-Sicherheitsrat verabschiedet daraufhin einstimmig die Resolution 1718, die Strafmaßnahmen gegen die DVRK vorsieht.

17.10.2006 - Die politische Führung in Pjöngjang bezeichnet die Resolution 1718 als "Kriegserklärung" und signalisiert am
01.11.2006 - ihre Bereitschaft, an den seit Herbst 2005 ausgesetzten Sechs-Parteien-Gesprächen wieder teilzunehmen, wenn dabei auch die existierenden US-amerikanischen Sanktionen zur Sprache kommen.

18.12.2006 - Anlässlich der Wiederaufnahme der Sechs-Parteien-Gespräche warnt Nordkoreas Chefunterhändler Kim Kye-Gwan in der chinesischen Hauptstadt, die Volksrepublik werde ihr "Abschreckungspotenzial" ausbauen, falls die Sanktionen nicht aufgehoben werden.

13.02.2007 - Die Sechs-Parteien-Gespräche verlaufen erfolgverheißend und führen zu einem neuen Abkommen. Dessen Kernpunkte: Nordkorea sichert zu, sein Atomprogramm einzustellen und den Atomreaktor in Yôngbyôn sowie weitere Anlagen schrittweise zu schließen, um im Gegenzug umfangreiche Energielieferungen zu erhalten.

14.07.2007 - Nordkorea schaltet nach US-Angaben den Atomreaktor in Yôngbyôn ab, was tags darauf der Chef der IAEA, Mohamed El Baradei, bestätigt.

18.07.2007 - Nach Angaben der IAEA hat Nordkorea inzwischen fünf Atomanlagen geschlossen.

02.09.2007 - US-Chefunterhändler Christopher Hill teilt nach Gesprächen in Genf mit, Delegierte aus Nordkorea hätten versprochen, das Nuklearprogramm werde vollständig offengelegt. Im Gegenzug solle Nordkorea weitreichende Hilfen erhalten und die bisher eingefrorenen Gelder würden wieder freigegeben.

02.10.2007 - Nordkoreas Staatschef Kim Jong-Il empfängt seinen südkoreanischen Kollegen Roh Moo-Hyun zum zweiten innerkoreanischen Gipfeltreffen. Zuvor hatte Roh als erstes Staatsoberhaupt Südkoreas die Grenze nach Nordkorea zu Fuß überquert.

03.10. 2007 - Nordkorea verspricht den vollständigen Abbau seiner umstrittenen Atomanlage in Yôngbyôn bis Ende 2007. Zur Vorbereitung sollen Experten unter Leitung der USA, so die Erklärung der Teilnehmer der Sechs-Parteien-Gespräche, innerhalb der nächsten zwei Wochen nach Pjöngjang reisen.

04.10. 2007 - Kim Jong-Il und Roh Moo-Hyun vereinbaren zum Abschluss ihres dreitägigen Treffens, bald Friedensgespräche unter Beteiligung der USA und Chinas aufzunehmen. Seit Ende des Koreakriegs 1953 herrscht lediglich ein Waffenstillstandsabkommen, das allerdings nicht von Südkorea, sondern nur von der VR China, der DVRK und einem US-amerikanischen General im Auftrag der Vereinten Nationen unterzeichnet wurde.

19./22.09.2008 - Nordkorea kündigt am 19.9. an, Tests im umstrittenen Reaktor in Yôngbyôn durchzuführen. Am 22.9. fordert Pjöngjang die IAEA auf, Siegel und Überwachungskameras an Atomanlagen zu entfernen.

1. - 14.10.2008 - Nordkorea verbietet am 1.10. IAEA-Inspektoren die Kontrolle von Atomanlagen und kündigt an, atomare Anlagen wieder in Betrieb zu nehmen. Nach Sonderverhandlungen werden diese Maßnahmen abgesagt, nachdem sich Washington am 11.10. bereit erklärt, Nordkorea von der Schwarzen Liste der sogenannten Terrorstaaten zu streichen. Die atomare Abrüstung soll - wie früher vereinbart - fortgesetzt werden.

05.04.2009 - Trotz internationaler Warnungen startet Nordkorea eine Langstreckenrakete, um nach eigenem Bekunden einen Kommunikationssatelliten in die Umlaufbahn zu bringen. Japan und die USA bezeichnen den Start als Provokation und schalten den UN-Sicherheitsrat ein. Experten sehen im Raketenprogramm neben dem Atomprogramm ein zusätzliches Druckmittel Pjöngjangs, um die USA zu direkten bilateralen Verhandlungen zu bewegen.

25.05.2009 - Nordkorea testet zum zweiten Mal eine Atombombe - nach eigenen Angaben erfolgreich - und verletzt somit die Resolution 1718. Noch am selben Tag verurteilt der UN-Sicherheitsrat Nordkorea einstimmig. Pjöngjang begreift das als "Kriegserklärung" und verschärft den Konflikt, indem es am nächsten Tag einen Test von Kurzstreckenraketen durchführt.

26.03.2010 - Ein Patrouillenboot Südkoreas wird nahe der Demarkationslinie im Gelben Meer vermutlich durch die Explosion eines Sprengkörpers in unmittelbarer Nähe des Schiffs versenkt. 46 Marinesoldaten sterben, 58 können gerettet werden. Die Untersuchung dieses Vorfalls durch Südkorea ergibt später (siehe 20.05.10), dass ein Torpedo Nordkoreas dafür verantwortlich ist.

20.05.2010 - Südkorea bezichtigt Nordkorea, am 26.03.10 die Marinekorvette durch Torpedobeschuss versenkt und dadurch die 46 Soldaten getötet zu haben. Eine internationale Untersuchung habe dafür eindeutige Belege geliefert. Südkoreas Präsident Lee Myung-Bak droht mit "resoluten Maßnahmen" gegen den Norden und will den UN-Sicherheitsrat anrufen. Nordkorea weist den Vorwurf als "Erfindung" zurück und droht mit einem "totalen Krieg" als Vergeltung. In den folgenden Wochen mehrt sich die Kritik an Seouls Version des "Cheonan-Vorfalls". Russland lässt beispielsweise von eigenen Experten den Fall untersuchen, veröffentlicht allerdings deren Report nicht.

26.06.2010 - Nordkorea verlangt von den USA 65 Mrd. US-Dollar Entschädigung für 60 Jahre Feindschaft. Dies, so die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur (Korean Central News Agency, KCNA), entspreche der Summe für die immensen Schäden, die dem Land seit der Teilung Koreas 1945 zugefügt worden seien. Laut KCNA seien die Kosten durch Gräueltaten während des Krieges sowie durch die Jahrzehnte währenden US-Sanktionen entstanden.

Mitte November 2010 - Drei US-amerikanische Atomphysiker der Stanford University unter Leitung von Siegfried S. Hecker erklären nach einem Besuch der DVRK Anfang des Monats, ihnen sei dort "eine neue Anlage gezeigt (worden), die eine moderne, kleine Industrieanlage zur Anreicherung von Uran mit 2000 Zentrifugen enthält". Am 21.11. bricht der US-Sonderemissär für den Nordkoreakonflikt und frühere US-Botschafter in Seoul, Stephen Bosworth, zu einer neuerlichen Vermittlungsmission nach Seoul, Tokio und Beijing auf.

23.11.2010 - Nordkoreanischem Granaten- und Artilleriebeschuss auf die Insel Yeongyeong im Gebiet der seit Ende des Koreakrieges umstrittenen sogenannten Northern Limit Line fallen vier Südkoreaner - zwei Zivilisten und zwei Soldaten - zum Opfer. Zuvor und danach durchgeführte gemeinsame US-amerikanisch-südkoreanische Großmanöver veranlassen die Regierung in Pjöngjang zu scharfen Protestnoten. Ihre Drohung, im Falle fortgesetzter Manöver "unerbittlich zurückzuschlagen", macht sie nicht wahr - mit Verweis darauf, dass "es die Lage nicht erfordert".

Neujahr 2011 - Kernsätze der diesjährigen Neujahrsbotschaft, die als gemeinsamer Leitartikel der drei auflagenstärksten Zeitungen in der Volksrepublik (Rodong Shinmun, Joson Inmingun, Chongnyon Jonwi) veröffentlicht wird, lauten:

"(...) Im kommenden Jahr begehen wir den 100. Geburtstag unseres väterlichen Präsidenten. Er ist der Gründer des sozialistischen Korea und Bahnbrecher des koreanischen Werkes für den Aufbau einer großen aufblühenden Macht. Die von ihm hinterlassenen Hinweise sind gleichsam ein unumstößliches Programm der Partei. Uns obliegt es, zur Erfüllung seines sehnlichen Wunsches nach dem Aufbau eines reichen und starken Vaterlandes eine allseitige Offensive, einen Frontalangriffskampf energisch zu entfalten und somit seinen 100. Geburtstag als größten Feiertag der Kim-Il-Sung-Nation, als großes Fest in der Menschheitsgeschichte zu begehen. (...) In diesem Jahr müssen wir unter der hoch gehaltenen Losung 'Mit vereinter Kraft der ganzen Nation im Norden, im Süden und im Ausland eine neue Phase der selbstständigen Vereinigung einleiten!' noch tatkräftiger um die Verbesserung der Nord-Süd-Beziehungen und die Vereinigung des Vaterlandes ringen. (...) Es ist wichtig, die auf der Koreanischen Halbinsel entstandene Gefahr eines Krieges zu bannen und den Frieden zu verfechten. Wenn auf diesem Boden das Feuer eines Krieges entfacht wird, wird das nichts als atomares Inferno mit sich bringen. Die gesamte Nation muss sich zum gerechten patriotischen Kampf gegen den Krieg und für den Schutz des Friedens auf der Koreanischen Halbinsel erheben. (...) Es ist notwendig, die gemeinsamen Interessen der Nation in den Vordergrund zu rücken und aktiv um die Schaffung einer Atmosphäre der Verhandlungen und Zusammenarbeit zwischen dem Norden und dem Süden zu ringen. (...) Unverändert sind unser Standpunkt und Wille, den Frieden in Nordostasien und die Denuklearisierung der ganzen Koreanischen Halbinsel zu verwirklichen".

03.01.2011 - Der südkoreanische Präsident Lee Myung-Bak kündigt als Reaktion auf den Angriff Nordkoreas Ende November die weitere Aufrüstung seines Landes an. Seine Regierung, sagt Lee, werde "die Möglichkeiten zur Verteidigung aggressiv ausbauen". Er werde es nicht zulassen, dass Nordkorea "uns auch nur einen Zentimeter unseres Territoriums neidet".

(Zusammenstellung: Rainer Werning)


Rainer Werning, Dr., Frechen, Politikwissenschaftler und Publizist


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 1-11, 49. Jahrgang, S. 20-30
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2011