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MARXISTISCHE BLÄTTER/496: Zur Entwicklung des Rechtspopulismus in Skandinavien


Marxistische Blätter Heft 5-11

Zur Entwicklung des Rechtspopulismus in Skandinavien

"Dein Land - Deine Wahl"
(Slogan der Dänischen Volkspartei zur Parlamentswahl)

von Stefan Godau


Die Parlamentswahlen vom September letzten Jahres in Schweden kamen für weite Teile der schwedischen Öffentlichkeit wie ein Schock: zum ersten Mal ist eine offen rassistische Partei im Reichstag vertreten und nimmt dort immer deutlicheren Einfluss auf die Politik der konservativen Reinfeldt-Regierung. Es hieß immer; in Schweden sei so etwas nicht möglich, da es hier keine so aggressive Ausländerdebatte gebe wie in Dänemark oder Norwegen. Das grausame Massaker in Norwegen und die - mild ausgedrückt - verhaltenen Reaktionen der rechtspopulistischen Parteien in den Nachbarländern sowie die kommende Wahl in Dänemark machen es nötig, sich mit diesen Parteien und deren Zukunftsaussichten zu beschäftigen. Um mit den Reaktionen auf die Tat Anders Breiviks zu beginnen, sei gesagt, dass die FührerInnen der Volkspartei in Dänemark sowie Siw Jensen von der norwegischen Fortschrittspartei sich zwar von Gewalt distanzierten, jedoch keinen Grund sahen, ihren Ton zu ändern und "notwendige Debatten" nicht zu führen. Es würde ihnen auch schwer fallen, von Anders Breivik glaubwürdig Abstand zu nehmen, bezeichnete er die Dänische Volkspartei in seinem "Manifest" doch als Vorbild und war er doch selbst mehrere Jahre Mitglied der Fortschrittspartei. Auch die Schwedendemokraten fühlten sich nicht gezwungen, ihre Agitation gegen "islamische Überfremdung" einzustellen. Sie verzichteten jedoch auf die Abhaltung eines Anti-Islam-Kongresses und schickten stattdessen ihre Jugendorganisation vor, um mehrere Kundgebungen abzuhalten. In Dänemark gab es einen erneuten Skandal im Wahlkampf: der Kandidat der Volkspartei auf Fünen, Alex Ahrendtsen, stellte ein Video ins Netz, in dem eine Frau von zwei migrantischen Jugendlichen überfallen wird. Dies ist nur ein Meilenstein in einer Reihe von Hetzpropaganda gegen MigrantInnen, die die Dänische Volkspartei seit Jahren führt.


Vom "Volksheim" zur Abrissbirne

Um den Aufstieg des skandinavischen Rechtspopulismus zu verstehen, kommt man an einer Analyse von Aufstieg und Fall der nordischen Wohlfahrtsstaaten nicht vorbei. Schweden galt über Jahrzehnte als das Land in Skandinavien mit dem am weitest ausgebauten Sozialstaat. Die europäischen Sozialdemokratien haben Skandinavien immer als Vorbild angesehen und Oskar Lafontaine bezeichnete noch vor einigen Jahren das dänische Modell als "vorbildhaft". Schon in den dreißiger Jahren entwickelte Gösta Undén die Theorie des "Funktionssozialismus", welche eine Übernahme der Produktionsmittel nicht durch die Enteignung des Großkapitals, sondern durch ständige Ausweitung des Staatseinflusses als Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft ansah. Per Albin Hansson schuf daraufhin das "Volksheim", welches ein feinmaschiges Netz der sozialen Sicherheit von der Wiege bis zur Bahre für alle SchwedInnen garantieren sollte. Dies wurde dann u. a. von Tage Erlander und Olof Palme ausgebaut. Ähnliches passierte in den Nachbarländern. Die Voraussetzungen dafür, dass dies ohne größere Konflikte vonstatten gehen konnte, sind meines Erachtens folgende:

• eine starke, hegemoniale Arbeiterbewegung
• die Existenz relativ kleiner Nationalstaaten
• daraus resultierend: die Akzeptanz aller wichtigen politischen Kräfte und des nationalen Kapitals

Der Aufbau der skandinavischen Wohlfahrtsstaaten basierte auf einem Klassenkompromiss. Die Arbeiterbewegung erlebte wie im restlichen Europa ihre Geburtsstunde Ende des 19. Jahrhunderts und der Übergang von Agrar- zu Industriestaaten fand nicht ohne Konflikte statt. Nach unruhigen Jahrzehnten mit Streiks, Demonstrationen etc. wuchs jedoch auch in herrschenden Kreisen die Ansicht, dass es am besten sein, Sozialdemokratie und Gewerkschaften zu integrieren, um weitere Unruhe in der Arbeiterklasse zu vermeiden. Zudem hatte die Sozialdemokratie bereits seit längerem Wahlerfolge und wuchs zu einer Macht im Staat heran. Deshalb wurde es in dieser Situation als am vernünftigsten angesehen, wenn der Staat sich um die soziale Wohlfahrt kümmert. Es wurde ein System eingeführt, welches jedem Bürger soziale Sicherheit garantierte. Dazu wurde ein progressives Steuersystem eingeführt, um dies zu finanzieren. Den Gewerkschaften wurde ein Monopol auf dem Arbeitsmarkt zugestanden: Sie verwalteten die Arbeitslosenversicherung und das Ausbildungswesen. Gemeinsam mit den Arbeitgebern handelten sie die Löhne aus. Jede/r Arbeitnehmer/in war bis in die 90er Jahre quasi dazu verpflichtet, einer der Gewerkschaften des Gewerkschaftsbundes anzugehören. Dies war Voraussetzung für den Bezug von Lohn und Arbeitslosengeld. Es war eine Art "ehernes Gesetz", dass der Arbeitsminister zugleich Vorsitzender des nationalen Gewerkschaftsbundes war. Natürlich hatten die Gewerkschaften auch Sitz und Stimme im sozialdemokratischen Parteivorstand. Durch seine Gewerkschaftsmitgliedschaft war der/die schwedische Arbeiter/in auch indirekt Mitglied der Sozialdemokratie. Alternative Strömungen in der Arbeiterbewegung hatten es schwer, gegen die sozialdemokratische Dominanz anzukommen. Die relative Stärke der dänischen KP aufgrund ihrer Rolle im antifaschistischen Widerstandskampf in der Nachkriegszeit und ihres Engagements im Kampf gegen die Mitgliedschaft Dänemarks in der EG, welche ihr 1973 den Einzug ins dänische Parlament verschaffte, aus dem sie nach kurzer Zeit jedoch wieder ausschied, sind hier lokale Ausnahmen. Dies gilt auch für die schwedische Linkspartei-KommunistInnen und die anarchosyndikalistische Gewerkschaft SAC. Die 68er Bewegung hat in Skandinavien längst keine so große Rolle gespielt wie in Deutschland. Eine Ausnahme mag hier Norwegen sein, WO die aus der ML-Bewegung kommende sozialistische Partei ROT in einigen Kommunen Hochburgen hat. Deutsche KrimileserInnen sind sicher mit dem linken Autorenduo Maj Sjöwall/Per Wahlöö bekannt, die den moralischen Verfall der schwedischen Gesellschaft treffend beschrieben. Dies sollte jedoch erst in den 90er Jahren auch einen wahrnehmbaren politischen Ausdruck finden.


Zwischen militantem Nazismus und sozialem Protest: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Als Geburtsstunde des dänischen Rechtspopulismus muss wohl die "Erdrutschwahl" 1973 bezeichnet werden. Nach einem Aufsehen erregenden Wahlkampf, wo der Führer der Fortschrittspartei vor laufender Kamera bekannte, dass er keine Steuern bezahlt, gelang es der Partei ins dänische Parlament einzuziehen. Mit einem Mix aus Ultraliberalismus ("flat tax", Kürzung der Zuschüsse für Kultur, Soziales etc.), reaktionärer Propaganda (Abschiebung krimineller MigrantInnen. Einwanderungsstopp, Hetze gegen Homosexuelle) und Protest gegen den sozialdemokratischen "Vormünderstaat" gelang es Glistrup und seinesgleichen, eine Schicht von Menschen anzusprechen, die es zu bescheidenem Wohlstand gebracht haben, der durch Bürokratie und Steuerdruck bedroht wurde. Gleichzeitig hatte die weltweite Rezession und die Ölkrise den Wohlfahrtsstaat an die Grenzen seines Wachstums gebracht. Es kam jedoch schnell zu einem Bruch mit dem ultraliberalen Glistrup-Flügel (Glistrup wurde 1983 zu drei Jahren Gefängnis wegen Steuerbetrugs verurteilt), der zu einer Übernahme der Partei durch den Flügel um Pia Kjærsgaard führte. Sie setzte vor allem auf die Gewinnung enttäuschter sozialdemokratischer WählerInnen durch eine Kombination aus Sozialpopulismus ("Anwalt des kleinen Mannes") und einer zunehmend aggressiveren Rhetorik gegen MigrantInnen. 1996 trennte sich die Partei endgültig von der ultraliberal-anarchischen Glistrup-Truppe und gründete die von Kjærsgaard mit harter Hand geführte Dänische Volkspartei. Sie verstand es, ihre Partei als bürgerlich darzustellen und auch offene Nazis auszuschließen. 2001 befand sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht: Sie stimmte nahezu allen Gesetzen der konservativ-liberalen Regierung zu und verlangte im Gegenzug Verschärfungen des Ausländerrechts, die sie auch bekam: Als berühmtestes Beispiel gilt die "24-Jahres-Regel", welche es dänischen Staats-bürgerInnen untersagt, ausländische BürgerInnen unter 24 Jahren zu heiraten. In den letzten Jahren wurde zudem die Abschiebepraxis verschärft und es gab immer wieder Forderungen nach einem Kopftuchverbot. Es wurde außerdem ein Punktesystem eingeführt. das die Einreise von Vermögen, Bildungsabschluss und Sprachkenntnissen abhängig macht. Kjærsgaards letzter Coup war die Erfüllung ihrer Forderung nach Wiedereinführung der Grenzkontrolle für ihre Zustimmung zur schrittweisen Abschaffung des Vorruhestandes und zur Erhöhung des Renteneintrittsalters. Bereits 2009 hatte die Volkspartei Eingriffen beim Arbeitslosengeld zugestimmt. Dies machte sie jedoch äußerst unbeliebt bei "den kleinen Leuten", die sie zu vertreten vorgibt. ekstra bladet, die dänische Bild-Zeitung, die in den 90ern mit zum Aufstieg der Volkspartei beigetragen hatte, bezeichnet Kjærsgaard als Verräterin und rief zur Teilnahme an der Großdemonstration gegen die Kürzungen auf. Es ist deshalb äußerst fraglich, ob sie nach dem 15. September noch dieselbe Rolle spielen kann.

In Norwegen war die Entwicklung eine ähnliche: Die Fortschrittspartei wurde bereits 1973 gegründet; es gelang ihr jedoch erst Ende der 80er Jahre mit scharfer Polemik gegen MigrantInnen, eine führende Rolle in der norwegischen Politik zu spielen. Auch wenn sie sich ebenso wie ihre dänische Schwesterpartei als moderat darzustellen versucht und ihre Verbindungen zum organisierten Neofaschismus tatsächlich gering sind, trifft sie trotzdem eine Verantwortung für die Zunahme rassistischer Gewalttaten, wie die Ermordung Benjamin Herrmannsens 2001 durch Skinheads. Und auch wenn Siw Jensen dies bestreitet, so hat die Fortschrittspartei das politische Klima geschaffen, in dem ein Anders Breivik entstehen konnte.

Anders verlief die Entwicklung in Schweden. Während in den anderen Ländern der Rechtspopulismus aus einer zwar nationalistischen, aber nicht neofaschistischen Tradition entstanden ist, lässt sich eine direkte Kontinuität zwischen den heutigen Schwedendemokraten und neofaschistischen Gruppen wie "Bevara Sverige svenskt"/BSS (etwa: Schweden den Schweden) feststellen. BSS wurde 1979 als militante rassistische Sammelbewegung aus faschistischen Kleingruppen wie der Nordischen Reichspartei gegründet. Die Zusammenlegung mit der nach dänischem Vorbild gegründeten Fortschrittspartei zur Schwedenpartei 1986 sollte dem "nationalen Lager" neuen Schwung verleihen. Eine antirassistische Massenmobilisierung und interne Streitigkeiten und Intrigen ließen das Projekt jedoch schnell wieder scheitern. Unterdessen wurde die zunehmende Einwanderung von Flüchtlingen in mehreren Kommunen mehr und mehr zu einem Problem. Mehreren lokalen Protestparteien gelang es, mit rassistischer Stimmungsmache Wahlerfolge zu erzielen. Die 1988 gegründeten Schwedendemokraten versuchten, an diese Stimmung anzuknüpfen. Ihnen blieb aber bis auf kommunale Wahlerfolge der Durchbruch verwehrt. Stattdessen konnte die diffuse, programmlose Protestpartei Neue Demokratie einen Wahlerfolg erzielen und 1991 in den Reichstag einziehen, was die Schwedendemokraten ärgerte. Die Neue Demokratie zerstritt sich jedoch intern, verschwand aus dem Reichstag und löste sich 1994 auf. Bei den Schwedendemokraten fand ebenfalls ein interner Machtkampf statt. Der eher militante Flügel wurde aus der Partei gedrängt und die neue Parteiführung um Mikael Jansson setzte einen Verhaltenskodex durch, der alle Verbindungen zum NS und zur Skinhead-Szene unkenntlich machen sollte. Es wurde Alkohol und Rauchen auf öffentlichen Auftritten wie Demonstrationen verboten und andere Fahnen als die Parteifahne und nordische Symbole wurden entfernt. Nach und nach machte sich der "seriöse" Kurs bezahlt: Nachdem die "Erneuerer" aus Schonen (Südschweden) um Jimmie Åkesson 2005 die Macht in der Partei übernommen haben, wurde der Parteiapparat professionalisiert und u. a. die Kommunikation mit den Medien verbessert. Åkesson ist ein smarter, aalglatter Typ, dem man den Rassisten nicht ansieht. In den letzten Jahren gelang es den Schwedendemokraten, sich vor allem in Schonen eine stabile Basis aufzubauen. Zusammenarbeit mit allen bürgerlichen Parteien in Kommunalvertretungen ist keine Seltenheit. Neben der üblichen rassistischen Hetze und der Warnung vor einer "islamischen Gefahr" betonen die Schwedendemokraten auch, dass sie die wahren Erben des "Volksheims" seien und behaupten, dass Per Albin Hansson heute ein Schwedendemokrat wäre. Sie drücken damit die Sehnsucht vieler Schweden nach den "guten alten Zeiten" der sozialen Sicherheit und Gemeinschaft aus, die in Zeiten von kapitalistischer Globalisierung, Arbeitsplatzverlagerung, prekärer Beschäftigung und Sozialabbau von keiner Partei vertreten wird. Nach dem Einzug der Partei in den Reichstag starren alle Parteien wie das Kaninchen auf die Schlange.

Die Partei, von der man noch am ehesten entschlossene Opposition und antirassistisches Engagement erwarten könnte, die exkommunistische Linkspartei, ist vor allem mit sich selbst beschäftigt und leckt ihre Wunden nach der dritten Wahlniederlage in Folge. Im Augenblick wird nach einer neuen Parteiführung gesucht. Es gilt als wahrscheinlich, dass das "Erneuer-Duo" Sjöstedt/Brink das Rennen machen und den Ex-Kommunisten Ohly ablösen wird. Dies wird den Rechtsruck und die Fokussierung auf das Parlament nur beschleunigen. Die Linkspartei hatte in den 90ern die sozialdemokratische s-Regierung toleriert und ihrer Politik der Privatisierung und Deregulierung zugestimmt. Insofern ist es unglaubwürdig, wenn sie die heutige Regierung für die soziale Spaltung verantwortlich macht. Ihre Allianz mit einer Sozialdemokratie. die sich in keiner Weise von ihrer neoliberalen Politik der 90er Jahre verabschiedet hat, lässt sie nicht als glaubwürdig erscheinen. Auch im Kampf gegen die Schwedendemokraten setzt sie nicht auf außerparlamentarische Mobilisierung, sondern auf einen Block "aller Demokraten", um sie von Einfluss fernzuhalten.

Der Rechtspopulismus wird jedoch nur durch konsequente Verteidigung der sozialen Errungenschaften und durch das Anbieten einer Handlungsperspektive bekämpft. In Dänemark versuchen die Gewerkschaften seit längerem durch Hausbesuche in Arbeitervierteln den Menschen klarzumachen, dass die dänische Volkspartei nicht nur eine rassistische Partei ist, sondern dass sie auch Politik gegen ihre eigenen WählerInnen führt. Die sozialistische Einheitsliste betont im Wahlkampf, dass nur ein gemeinsamer Kampf aller Arbeiter für gleiche Rechte und Entlohnung erfolgreich sein kann. Eine Strategie, die langsam Früchte trägt.


Stefan Godau, Kopenhagen, Student, Mitglied der sozialistischen Einheitsliste


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 5-11, 49. Jahrgang, S. 42-45
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2011