Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

MARXISTISCHE BLÄTTER/522: "Partnerschaft" und "kalter Krieg" - Zwei Seiten der deutschen Russlandpolitik


Marxistische Blätter Heft 3-12

"Partnerschaft" und "kalter Krieg"
Zwei Seiten der deutschen Russlandpolitik

von Willi Gerns



Deutsche und russische Politiker sprechen von einer "strategischen Partnerschaft" zwischen beiden Ländern. Man trifft sich regelmäßig auf höchster Ebene und in Expertengremien, zur Diskussion beim Petersburger Dialog oder im Valdai-Klub. Kultur- und Jugendbegegnungen und andere Veranstaltungen werden organisiert. Besonders intensiv sind die wirtschaftlichen Kontakte. Der deutsch-russische Handel erreicht immer höhere Rekorde. Die Versorgung Deutschlands mit russischen Energieträgern läuft wie am Schnürchen.

Wenn man die Russlandberichte und Kommentare der deutschen Massenmedien und auch die für das heimische Publikum bestimmten Äußerungen von Politikern nimmt, erhält man allerdings ein ganz anderes Bild. Alexander Rahr, der Leiter des Berthold-Beitz-Zentrums für Russland, Ukraine, Belarus und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik stellt dazu mit Blick auf die westlichen Medien generell fest: "Die westliche Russlandberichterstattung ist gefangen in extremen Stereotypen: Einerseits der böse Staat, der seine Bürger der Freiheit beraubt. Andererseits sibirische Landschaften und mitleiderregende Babuschkas in Holzhütten."(1)

Einen besonderen Höhepunkt verzerrender, ja hasserfüllter Russlandberichterstattung erleben wir seit den jüngsten Duma- und Präsidentenwahlen. Danach ist die Russische Föderation ein Land, das von einer die Macht usurpierenden Tyrannenclique beherrscht wird, die sich nur durch massive Wahlfälschungen am Ruder halten kann. Das dagegen aufbegehrende, sich nach westlichen Werten sehnende Volk, wird brutal unterdrückt. Aber die Zeit der Putin-Diktatur läuft ab. So versuchte z.B. der Chefredakteur des ZDF unmittelbar nach Abschluss der Präsidentenwahl vom Roten Platz in Moskau aus mittels entsprechender Gesprächspartner den Zuschauern seines Sender zu suggerieren, dass Putin die anstehende Amtsperiode nicht durchstehen wird. Offenbar möchte man eine "orangene Revolution" für Russland mit den aus der Ukraine bekannten katastrophalen Folgen herbeireden.


Arbeitsteilung zwischen Medien, Russlandforschung und Politik

Im Unterschied zu den meisten Medien und Politikern sind bei seriösen Russlandforschern durchaus realistische Analysen des heutigen kapitalistischen Russland zu finden. Das betrifft auch die jüngsten Entwicklungen.

So stellt Prof. Dr. Gerhard Mangott über die erneute Wahl Wladimir Putins zum russischen Präsidenten fest: "Es war kein 'sauberer Sieg', wie zahlreiche Belege für Manipulationen zeigen; auch waren die Gegner Putins medial und administrativ benachteiligt. Aber dennoch: die Mehrheit der russischen Wähler steht auch nach Ansicht regierungskritischer Experten noch immer im Lager Putins. Dies nicht zuletzt, weil Putin von den Bürgern als berechenbare Variante angesehen wird. Er gilt für viele noch immer als Anker der Stabilität - vor allem für die weniger gebildeten, älteren, einkommensschwächeren und kleinstädtisch-ländlichen Wähler. Putin wird auch zugeschrieben, die Realeinkommen erhöht und die staatlichen Transferleistungen gesichert zu haben. Ihm ist es in den letzten Wochen vor der Wahl auch gelungen, unterschiedlichste Hoffnungen und Erwartungen der Wähler zu bedienen. Die Stärke Putins ist nicht zuletzt aber auch das Ergebnis der Farblosigkeit seiner Rivalen ..."

Weiter heißt es: "Die zentrale Losung der Bolotniki (der Demonstranten auf dem Bolotnaja Ploschtschad am 10. Dezember und am 4. Februar) - 'Russland ohne Putin' - wird nur von einer Minderheit der russischen Bürger geteilt. Aus den Daten des regierungskritischen Lewada-Instituts wird deutlich, dass nur sechs Prozent diese Forderung voll unterstützen, und nur 12 Prozent dem 'eher', 29 Prozent 'eher nicht' und 38 Prozent 'gar nicht' zustimmen." Mangott kommt zu dem Schluss: "Ein revolutionärer Bruch ist in Russland derzeit nicht zu erwarten."(2)

Auch Alexander Rahr beschäftigt sich im Unterschied zum Chefredakteur des ZDF nicht mit Spekulationen über einen vorzeitigen Sturz Putins, sondern denkt stattdessen über die möglichen Szenarien für dessen künftigen politischen Kurs nach. Er schreibt: Anknüpfend an seine zweite Amtszeit könnte der Präsident "den Weg einer ,autoritären Modernisierung', also einer weiteren Stärkung des Staates und der Geheimdienste, beschreiten. ... In diesem Szenario würde das staatskapitalistische Wirtschaftssystem ausgebaut ...

Außenpolitisch könnte Putin auf Konfrontationskurs mit dem Westen gehen, sich mit Washington wegen der Raketenabwehr endgültig überwerfen, in einen teuren Rüstungswettlauf eintreten, gemeinsam mit China westliche Sanktionsregime unterminieren und die Rivalität um die Kontrolle im postsowjetischen Raum, vor allem in der Ukraine und Zentralasien, verschärfen. Mit der Europäischen Union birgt vor allem die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Gasmarktes Konflikte."

Und weiter: "Optimisten hoffen auf ein anderes Szenario: Der neue Putin wird demnach kein engstirniger Restaurator, sondern ein Modernisierer, der demokratische Gouverneurs- und Föderationswahlen wieder einführt, liberal gesinnte Minister akzeptiert und Geheimdienstler von der Macht fernhält. Insgesamt würde das internationale Konfliktpotenzial schwinden, Russland eine Freihandelszone mit der EU aushandeln und in Fragen der Sanktionen gegen Iran und Syrien an der Seite des Westens stehen."

Nach der persönlichen Meinung Rahrs deutet Vieles darauf hin, "dass der künftige Kreml-Kurs eine Mischung aus beiden Szenarien wird, also zwischen einer Politik des starken Staates und notwendiger Modernisierung liegen wird."(3)

Das bisher Dargelegte macht deutlich: Zwischen Massenmedien, Russlandforschung und Politik besteht eine Arbeitsteilung. Trotz der grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen - Russland ist im Ergebnis der Konterrevolution trotz aller Besonderheiten ein kapitalistisches Land wie Deutschland, die USA und andere auch - besteht die Aufgabe der Medien offensichtlich darin, an das antisowjetische Feindbild im Bewusstsein der Massen anknüpfend, antirussische Ressentiments wach zu halten. Schließlich wird in US-Thinktanks bereits darüber diskutiert, die begrenzten Rohstoffe der nationalen Souveränität zu entziehen und unter internationale (gemeint ist NATO-) Kontrolle zu stellen. Szenarien für Rohstoffkriege werden durchgespielt. Russland als eines der rohstoffreichsten Länder der Erde steht dabei natürlich in besonderem Maße im Blickfeld der Begehrlichkeiten. Ein realistisches Russlandbild oder gar freundschaftliche NATO-) Kontrolle zu stellen. Szenarien für Rohstoffkriege werden durchgespielt. Russland als eines der rohstoffreichsten Länder der Erde steht dabei natürlich in besonderem Maße im Blickfeld der Begehrlichkeiten. Ein realistisches Russlandbild oder gar freundschaftliche Gefühle der Menschen gegenüber Russland wären bei der Umsetzung solcher Szenarien störend.

Die Aufgabe der Russlandforschung besteht dagegen darin, den Herrschenden in Deutschland und den westlichen Ländern überhaupt, realistische Analysen als Basis für die Erarbeitung ihrer Russlandpolitik zu liefern. Realitätsferne Zerrbilder und hasserfüllte Propagandaattacken wie in den Medien können dabei kaum hilfreich sein.

Was die deutsche Russlandpolitik betrifft, so muss sie einerseits die Tatsache berücksichtigen, dass Deutschland und die EU auf Russland als Partner angewiesen sind. Andererseits sind die Herrschenden daran interessiert, zu verhindern, dass ein starkes Russland das Streben des deutschen Imperialismus nach Dominanz in ganz Europa und bis hin zu den rohstoffreichen mittelasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken blockieren kann.


Warum braucht Deutschland Russland?

Die "Partnerschaft" zwischen Deutschland und Russland beruht nicht auf "Freundschaft", sondern allein darauf, dass beide Seiten einander brauchen. Das betrifft vor allem die wirtschaftlichen Beziehungen. Russland braucht deutsche Maschinen und Anlagen sowie deutsche Investitionen für die Modernisierung seiner Wirtschaft. Deutschland braucht den riesigen russischen Markt, der zu den am schnellsten wachsenden Märkten in der Welt gehört und ist auf russische Energieträger sowie andere Rohstoffe angewiesen. Dazu ein paar Fakten.

Deutschland ist mit 8,7 Prozent nach China (10.2%) zweitwichtigster Handelspartner Russlands weltweit. 2011 stieg das Außenhandelsvolumen um 29 Prozent gegenüber dem Vorjahr und erreichte 75 Mrd. Euro, wobei die Exporte nach Russland um 31 Prozent zunahmen, die Importe von dort um 27 Prozent. Wichtigste Exportgüter Russlands waren Rohstoffe, insbesondere Erdöl und Erdgas, außerdem metallurgische und petrochemische Erzeugnisse. Deutschland exportiert vorwiegend Erzeugnisse des Maschinenbaus (21%), Fahrzeuge und Fahrzeugteile (21%), elektronische und elektrotechnische Erzeugnisse (15%) sowie chemische Produkte (9%). Die Investitionszuflüsse deutscher Unternehmen in die Russische Föderation betrugen im ersten Halbjahr 2011 4,2 Mrd. Euro. Aktuell gibt es in Russland mehr als 6.200 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung.

Ebenso bedeutend ist Russland für die Energieversorgung Deutschlands und der EU. Russland ist einer der größten Energieproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), ca. 6,3 Prozent der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über sehr bedeutende Ressourcen. Gegenwärtig kommt ein Viertel der EU-Gasimporte aus Russland. Für Deutschland ist dieser Anteil mit fast 40 Prozent noch höher. Beim Erdöl ist er ähnlich hoch.(4)

Natürlich sind nicht nur Deutschland und die EU auf russische Energieträger angewiesen, sondern umgekehrt auch Russland auf deren Verkauf an die EU-Länder. Heute geht der überwiegende Anteil des russischen Gas- und Ölexports an die EU, jeweils etwa 80 Prozent. Der Rest geht in die ehemaligen Sowjetrepubliken und nach Asien.(5)

Das soll allerdings nicht so bleiben. Der Hunger Chinas sowie der anderen aufstrebenden Staaten Asiens wächst unaufhörlich. Der Bau von Pipelines in diese Richtung wird intensiviert. Die Lieferungen an Asien, die heute nur 3 Prozent des Gesamtexports ausmachen, sollen 2015 auf 18 und 2030 auf 30 Prozent steigen. Und die Energiepartnerschaft mit diesem Teil der Welt wird im Unterschied zur EU nicht durch Versuche belastet, Russland die politischen Werte und Standards der anderen Seite aufzudrängen. Man sollte darum in Brüssel und Berlin nicht außer Acht lassen, dass Moskau letztlich am längeren Hebel sitzt.

Neben den Energieträgern kommt den Seltenen Erden eine besondere Rolle zu. Sie sind für viele Hightech-Produkte unverzichtbar, z. B. für Computer, Mobiltelefone, Flachbildschirme, Laser, Metalllegierungen, medizinische Geräte, Spezialgläser, Katalysatoren, Energiesparlampen, NiMH-Batterien, Windkraftanlagen usw. usf.

Ein Drittel der Seltenen Erden lagern in China. Allerdings soll der chinesische Export beschränkt werden um die Ressourcen vor allem für die eigenen Bedürfnisse zu sichern. Zudem werden hohe Exportzölle erhoben. Zugleich ist China in Afrika bei der Rohstoffförderung, einschließlich der Seltenen Erden, sehr aktiv. Darum rückt auch bei diesen unverzichtbaren Rohstoffen Russland für die EU und Deutschland immer stärker ins Blickfeld, zumal Russland das einzige europäische Land mit Vorkommen dieser Rohstoffe ist.

Auch bei den Bunt- und Edelmetallen sind Deutschland und die EU auf Rohstoffimporte, darunter aus Russland angewiesen.

Die Bedeutung Russlands als Wirtschaftspartner Deutschlands und der EU insgesamt bringt Alexander Rahr in seinem neuen Buch auf den Punkt, wenn er feststellt: "Ohne russische Energie, Rohstoffe, Bodenschätze und den russischen Markt wird die EU ihren gegenwärtigen Wohlstand dauerhaft nicht sichern können."(6)


"Kalter Krieg" gegen Russland

Ungeachtet dessen führen Deutschland und die EU im Bund mit den USA einen weit gefächerten, mit medialen, politischen, finanziellen, wirtschaftlichen und militärpolitischen Mitteln geführten "Feldzug" gegen Russland, der in mancher Hinsicht an den antisowjetischen "kalten Krieg" erinnert. Auf die dabei verfolgten Ziele wurde einleitend bereits hingewiesen.

Der deutsche Imperialismus sieht schon heute in Russland - der zweitstärksten Atommacht in der Welt, dem mit Vetorecht ausgestatteten ständigen Mitglied des UN-Sicherheitsrats der Energie- und Rohstoff-Großmacht - ein Hindernis für sein Streben, die deutsche Dominanz über die Grenzen der EU hinaus auf ganz Europa und bis hin zu den rohstoffreichen zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken auszudehnen. Mit der Modernisierung seiner Wirtschaft kann Russland zudem auch zu einer wirtschaftlichen Großmacht werden.(7)

Insbesondere befürchtet man, dass es zu einer Reintegration der ehemaligen Sowjetrepubliken mit Russland als Kern kommen könnte. Einen zentralen Platz in der antirussischen Strategie nimmt darum das Bemühen ein, eine solche Entwicklung um jeden Preis zu verhindern. Bei Alexander Rahr liest sich das so: "Die Verhinderung des Wiedererstehens eines neuen russischen Imperiums wurde zum Primat der vom Westen errichteten neuen europäischen Sicherheitsordnung."(8)

Darum stehen Deutschland und die EU und natürlich die USA auch der Zollunion Russland, Kasachstan, Belarus und dem von Putin verfolgten Projekt eines Einheitlichen Wirtschaftsraums mit der Zollunion als Kern sowie einer Eurasischen Wirtschaftsunion von reserviert bis feindlich gegenüber. Dies, obwohl Putin ausdrücklich versichert, dass es nicht um eine Struktur wie die ehemalige Sowjetunion, sondern allein um die ökonomische Integration gehe. Für weitergehende Schritte bestehen gegenwärtig und in überschaubarer Zukunft auch keine Voraussetzungen.

Was die Zollunion betrifft, so ist sie bereits weit fortgeschritten. Sie bietet freien Markt-Zugang, die Zölle werden nur an den Außengrenzen erhoben. Die Ukraine ist zur Teilnahme eingeladen, zögert aber, weil die EU in diesem Fall ein Assoziationsabkommen zwischen EU und Ukraine blockiert. Die Zollunion soll zu einem Gemeinsamen Wirtschaftraum weiter entwickelt werden, der für weitere Mitglieder offen ist. Das soll zu einer Eurasischen Wirtschaftsunion führen. Im Oktober 2011 haben acht GUS-Staaten ein Freihandelsabkommen unterzeichnet.

Die gegen eine mögliche Reintegration Russlands mit postsowjetischen Republiken gerichteten Aktivitäten des Westens haben aber lange vor diesen Entwicklungen begonnen. Bereits seit dem Ende der Sowjetunion geht es darum, den russischen Einfluss auf die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken zurückzudrängen und möglichst zu eliminieren. Um das zu erreichen, waren und sind die USA, die EU und nicht zuletzt Deutschland bemüht, über prowestliche Kräfte in diesen Republiken und deren finanzielle Unterstützung, durch vom Westen gesteuerte sogenannte NGOs (Nichtregierungsorganisationen) sowie Sanktionen gegen im Wege stehende prorussische Regierungen in diesen Ländern antirussische, auf den Westen orientierte Regime zu installieren. Besonders erfolgreich war man dabei bekanntlich für ein paar Jahre mit der "Orange-Revolution" in der Ukraine. In Belarus versucht man dies dagegen seit der Übernahme der Präsidentschaft durch Aleksander Lukaschenko bisher vergeblich.

Noch lieber würde man natürlich ein an der Leine des Westens laufendes Regime in Russland selbst sehen. In diese Richtung gehende Bemühungen gibt es, seit nach dem Übergang der Präsidentschaft von Jelzin auf Putin deutlich wurde, dass der Nachfolger - wenn auch widerspruchsvoll und inkonsequent - eine auf das Wiedererstehen eines zwar kapitalistischen, aber eigenständigen und starken Russlands gerichtete Politik entwickelte. Die Versuche ihn daran zu hindern oder die Bedingungen für eine prowestliche Alternative zu schaffen sind aber erfolglos geblieben. Umso mehr haben manche westliche Strategen dann Hoffnungen auf Medwedjew und nun auf die mit den Fälschungen bei den jüngsten Wahlen verbundene Protestbewegung gesetzt.

Neben der Strategie der "bunten Revolutionen" gab und gibt es auch Bemühungen, Nachfolgerepubliken der Sowjetunion durch neue Strukturen von Russland zu separieren und auf die Integration in den Westen zu orientieren. Einer dieser Versuche war die nach den Anfangsbuchstaben der betreffenden Republiken benannte GUAM aus Georgien, die Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien. Erfolg war dem Unternehmen nicht beschieden. Nach dem gescheiterten Kriegsabenteuer des georgischen Präsidenten Saakaschwili in Südossetien fand es dann auch sein Ende.

Ein ähnlicher Versuch wurde 2009 mit der sogenannten Östlichen Partnerschaft der EU mit Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldowa und der Ukraine gestartet. Die Länder sollen durch Assoziierungsabkommen an die EU gebunden werden. Mit einigen von ihnen gibt es Fortschritte in diesem Prozess, bei anderen tritt er auf der Stelle oder ist, wie im Falle Belarus, eindeutig gescheitert.

Erfolgreicher ist der Westen besonders in Georgien unter Saakaschwili. Das Land ist faktisch aus dem russischen Einflussbereich ausgeschieden und heute ein Verbündeter der USA. Auch zu Aserbaidschan haben USA und NATO ihre Beziehungen ausweiten können. Nach dem Machtantritt der rechten "Allianz für Europa" in Moldowa haben sich die Beziehungen zu Russland dramatisch verschlechtert. Die Regierung steuert einen prowestlichen Kurs und einflussreiche Kräfte orientieren sogar auf einen Anschluss des Landes an Rumänien.

Schließlich sind die zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken wegen ihres Reichtums an Energieträgern und ihrer strategischen Lage eine heiß umkämpfte Region in der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland. Neben Russland und den USA sind hier auch andere Mächte wie der Iran, in wachsendem Maße China und nicht zuletzt auch Deutschland und die EU involviert.

Noch spielt Russland dabei die erste Geige. Dies wegen seiner traditionellen wirtschaftlichen und auch personellen Verbindungen, der größeren Pipeline-Kapazitäten und der Tatsache, dass Moskau für die dort herrschenden Regime der zuverlässigste Partner ist, der im Unterschied zum Westen nicht versucht, durch die Verbindung von wirtschaftlichen Beziehungen und missionarischem "Wertetransfer" am Stuhl der dort Herrschenden zu sägen. Mit dem Ausbau von Russland umgehenden Pipelines aus der zentralasiatischen Region, dem Angebot besonders günstiger wirtschaftlicher und technischer Konditionen aus dem Westen, aber auch aus China, ist der maßgebliche Einfluss Moskaus aber keine Selbstverständlichkeit mehr.

Was die EU betrifft, so hat sie ihre Aktivitäten in Zentralasien besonders während der deutschen EU-Präsidentschaft in der Zeit der "Großen Koalition" in Berlin intensiviert. Dafür steht auch das 2007 beschlossene Dokument "Die EU und Zentralasien: Strategie für eine neue Partnerschaft".

Zum "kalten Krieg" gegen Russland gehören nicht zuletzt auch militärische Maßnahmen des Westens. Obwohl Russland im Zusammenhang mit der Auflösung des Warschauer Vertrages und der Rückführung seiner Truppenkontingente und Waffenarsenale aus dessen ehemaligen Mitgliedsländern zugesagt wurde, dass die Militärstrukturen der NATO nicht auf diese Staaten ausgedehnt würden, wurde die NATO bis an die Grenzen der ehemaligen Sowjetunion herangeführt. Zudem ist die NATO bemüht, durch "Partnerschaften" auch ehemalige Sowjetrepubliken an ihre Strukturen zu binden. Als besonders unfreundlichen, seine Sicherheit ernsthaft gefährdenden Akt, sieht Russland mit Recht aber den Aufbau des von den USA dominierten Raketenabwehrsystems in Europa. Entgegen allen anderslautenden Versicherungen ist dieses System nicht gegen den Iran gerichtet, der weder über Atomwaffen noch Interkontinentalraketen verfügt und in absehbarer Zeit auch nicht verfügen wird, sondern gegen das strategische Raketen- und Atomwaffenpotential Russlands. Russland soll seiner Verteidigungsfähigkeit beraubt werden.

Bei all diesen antirussischen Aktivitäten war und ist der "strategische Partner" Deutschland dabei!



Willi Gerns, Bremen, MB-Redaktion


Anmerkungen:
(1) Alexander Rahr, Der kalte Freund, Carl Hanser Verlag München, S. 38
(2) Gerhard Margott, Kampfrhetorik und "saubere Siege", in: Russland-Analysen Nr. 235, 09.03.2012
(3) Alexander Rahr, Russland zwischen Restauration und Modernisierung, in: DGAPstandpunkt12, 30. November 2011
(4) Siehe: www.auswaertiges-amt.de/ - siehe: www.bmwi.de/
(5) Siehe Alexander Rahr, a.a.O., S. 113
(6) Ebenda, S. 92
(7) So geht Goldman Sachs in einer Studie davon aus, dass Russland 2030 die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt sein wird - nach den BRICS-Staaten, aber vor Deutschland. Siehe ebenda, S. 92
(8) Siehe ebenda, S. 12

*

Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 3-12, 50. Jahrgang, S. 23-28
Redaktion: Marxistische Blätter
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Tel.: 0201/23 67 57, Fax: 0201/24 86 484
E-Mail: redaktion@marxistische-blaetter.de
Internet: www.marxistische-blaetter.de
 
Marxistische Blätter erscheinen 6mal jährlich.
Einzelheft 9,50 Euro, Jahresabonnement 48,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2012