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MARXISTISCHE BLÄTTER/538: Der Staatssozialismus im ideologischen Widerstreit


Marxistische Blätter Heft 6-12

Der Staatssozialismus im ideologischen Widerstreit

Von Werner Roß



Da die Staatsfrage eng mit der Machtfrage, dem Recht, der Demokratie und den ökonomischen Verhältnissen, so dem Eigentum an den Produktionsmitteln, verknüpft ist, gehört sie zu den Fundamentalpositionen bei der Bewertung gesellschaftlicher Prozesse.(1)

Es nimmt deshalb auch nicht wunder, dass die Staatsfrage im Mittelpunkt weltanschaulicher und politischer Auseinandersetzungen steht. Das beginnt bereits bei der Revolutionstheorie und der Klassengebundenheit des Staates, setzt sich fort bei der Ordnung menschlichen Zusammenlebens sowie bei der Stabilisierung und Optimierung gesellschaftlicher Verhältnisse.

Die Staatsfrage tangiert solche neuralgischen Problemstellungen: "Ist der Staat überhaupt notwendig, wenn ja, wie ist er unter den Aspekten des Humanismus zu gestalten und welche Bedingungen müssen für sein Absterben gegeben sein?"

Auf diese Breite der Fragestellungen und der Bewertungsunterschiede - so interessant sie auch sein mögen - kann in diesem Beitrag nicht eingegangen werden. Sie müssen in einem anderen Zusammenhang erneut aufgegriffen und vertieft werden. Thematisch interessieren in diesem Aufsatz zwei Kernfragen:

1. Die Auseinandersetzung mit der bizarren Theorie, gegossen in der politischen Kampfrhetorik vom "Staatssozialismus"

2. Konzeptartige Vorstellungen zum Stellenwert des Staates in einem künftigen Sozialismusbild


Der Staatssozialismus als antikommunistisches Schlagwort

Um es vorwegzunehmen: Die Strapazierung des Begriffs "Staatssozialismus" dient ebenfalls wie der Terminus "Stalinismus" als antikommunistische Kampflosung. Dadurch wird bewusst eine gewisse fehlerhafte Entwicklung des Frühsozialismus hochstilisiert und dem Wesen des Sozialismus zugeschrieben. In diesem Zusammenhang werden eine diktatoriale Machtausübung, die Einschränkung von Freiheiten des Individuums, der Abbau subjektiver Rechte, Blockaden von Initiativen sowie mangelnde ökonomische Effizienz polemisch beschworen. Vulgärlibertäre Aussagen runden das Bild einer angeblichen inhumanen Gesellschaftsordnung des Sozialismus ab.

Es ist kein Zufall, wenn eine derartige ideologische Attacke verstärkt in einer Krisensituation des Kapitalismus geführt wird. Schließlich befindet sich dieser auf der Intensivstation und ruft zur Rettung des Systems nach mehr Staat, den er aber auf den Sozialismus bezogen - als "Ungeheuer" geißelt. Im Grunde genommen geht es darum, die politische Herrschaft des Monopolkapitals zu nutzen, um die Aufrechterhaltung der Eigentumsverhältnisse zu sichern und der Krisenbewältigung Herr zu werden. Zugleich gilt es, die Unterdrückung nach innen und außen entsprechend dem "Law-and-Order-Prinzip" zu gewährleisten. Die Begriffsakrobatik im Hinblick auf den "Staatssozialismus" wird nicht nur von den klassischen Systemparteien praktiziert, sondern auch von sogenannten Linken, die sich als "demokratische Sozialisten" bezeichnen. So hat Gregor Gysi auf dem Programmparteitag der Linkspartei (28.-30.10.2011) verkündet: Der Staatssozialismus sei gescheitert, wir wollen einen demokratischen Sozialismus. Dabei blieb er allerdings die Aussage schuldig, was Staatssozialismus sei und was er inhaltlich unter dem inflationären Begriff des demokratischen Sozialismus verstehe. Bei den Verfechtern einer derartigen bizarren Theorie drängt sich zwangsläufig die Frage nach den Motiven auf Bei den Vertretern der klassischen Systemparteien ist offenkundig, dass sie einem Ausbruchversuch aus dem Kapitalismus entgegenwirken wollen. Die Rechten der Linkspartei - so das Forum demokratischer Sozialisten - wie auch halblinke Kreise der SPD zementieren ihre politischen Glaubensmuster mit der ständig herzustellenden Balance zwischen Kapital und Arbeit sowie der sozialen Partnerschaft. Sie haben sich im Kapitalismus, auch durch die Teilhabe an Pfründen, gut eingerichtet. Ein Systemwechsel steht bei ihnen außer Frage. Ihr Ziel ist es, mittels der Transformationstheorie, den Kapitalismus lediglich partiell zu verbessern und ein wenig Sozialismus im Kapitalismus zu installieren,(2) was aus Gründen der Gesetzmäßigkeiten dieser Produktionsweise ein naiver Gutmenschenglaube ist. Übergangsprogramme als radikal demokratische Reformen und als Leitgedanke der Dialektik von Reform und Revolution werden als antikapitalistische Strategie negiert sowie als demokratische Unreife denunziert.

Interessant ist, dass bereits Friedrich Engels sich mit der Frage des "Staatssozialismus" auseinandergesetzt hat. Er betonte in seinem Brief an Wilhelm Bracke vom 30.04.1878(3) unter Bezugnahme auf die Diskussionen um den Staatssozialismus und die ökonomischen Funktionen des bürgerlichen Staates, dass diese Problematik nicht auf den Sozialismus oder einen historischen Fortschritt abzielt. Er geißelte diesen geistigen Fehlschluss damit, dass es ein Irrtum sei, jede Verstaatlichung im Kapitalismus schon als eine sozialistische Maßnahme zu qualifizieren.(4) In einem Brief an August Bebel vom 06.11.1892 schrieb Engels: "Man ist hineingefallen auf das Wort 'Staatssozialismus'. Dies Wort drückt gar keinen Begriff aus, sondern ist wie die soziale Frage und dergleichen ein bloßer Journalistenausdruck, eine reine Phrase, wobei man sich alles und auch nichts denken kann."(5)

Wer sich nicht substanziell mit der Geschichte des untergegangen Sozialismus auseinandersetzt, wird im marxistischen Sinne weder die Gegenwart von der Widerspruchslage her richtig analysieren können, noch einen Leitfaden für ein künftiges, neues Gesellschaftsmodell jenseits des Kapitalismus zu konzipieren vermögen.


Der Staat in einem künftigen Sozialismusbild

Neben dem antikapitalistischen Kampf benötigen die Linken, insbesondere mit marxistischer Orientierung, Alternativen zum Kapitalismus. Es geht also nicht allein um die Frage, wogegen man ist, sondern auch, wofür man eintritt. Um die Menschen in Bewegung zu setzen und Protestpotentiale in den außerparlamentarischen Auseinandersetzungen zu formen, bedarf es eines wissenschaftlich fundierten Sozialismusbildes. Es liegt auf der Hand, dass das zu konzipierende Sozialismusbild einem ideologischen Trommelfeuer des Antikommunismus ausgesetzt sein wird. Schon allein die Verwendung des Terminus "Kommunismus" durch die Ko-Vorsitzende der Partei "Die Linke", Gesine Lötzsch, führte zu hysterischen Reaktionen bei den Vertretern der Systemparteien und machte zugleich deutlich, dass der Antikommunismus auch bei sogenannter Linken nicht ausgeräumt ist.

Es steht außer Frage, dass das Projekt des künftigen Sozialismus als dringend benötigte Alternative zum Kapitalismus von hoch aktueller Bedeutung in der ideologischen Auseinandersetzung ist.

Für den projektierenden Sozialismus ist erheblich, dass dieser keine lineare Fortsetzung des im Klassenkampf und kalten Krieg untergegangenen Frühsozialismus in der ehemaligen Sowjetunion, der DDR und den osteuropäischen Staaten sein kann, ohne seine verbleibenden historischen Verdienste mindern zu wollen. Gegen die geradlinige Fortführung sprechen nicht allein Defizite. Belangreich ist, dass der heutige Zeitbezug neue Probleme aufwirft. Diese resultieren vor allem aus der Entwicklung der Produktivkräfte, bedingt durch die wissenschaftlich-technische Revolution, die Veränderung der Arbeiterklasse in ihrer Strukturierung, das Fehlen einer marxistischen Partei als revolutionäres Zentrum und das derzeitige resignative Verhalten der Volksmassen. Marx muss unter den gegenwärtigen Bedingungen weitergedacht werden (Ingo Wagner). Eine vulgärmarxistische Auffassung, eine dogmatische Verengung des Marxismus-Leninismus sowie die Entsorgung Stalins langer Schauen (Hans Kalt)(6) sind angesagt. Das brisante Thema "Sozialismusbild" ist schon deshalb ein "harter geistiger Stoff', weil dieses nicht ohne die Extrapolation auf den Kommunismus erarbeitet werden kann und wir in langen Linien denken müssen und der Sozialismus in all seinen Teilaspekten noch nicht vorgezeichnet werden kann. Das hängt ebenfalls mit einer Reihe von Unwägbarkeiten zusammen, die sich meines Erachtens u. a. ergeben aus

  • Der Art der revolutionären Beseitigung des Kapitalismus in den einzelnen Ländern und den multifaktoriellen nationalen Besonderheiten
  • Dem Eingebundensein der Staaten im imperialistischen Integrationsgebilde (z. B. EU, NATO)
  • Dem Zeithorizont und Etappen des Umwälzungsprozesses
  • Den Akteuren, die die Revolution durchführen
  • Dem Vorhandensein einer marxistischen Partei, der Qualität der Aktionseinheit mit demokratischen Bewegungen sowie dem Niveau der internationalen Solidarität
  • Den Zufälligkeiten im historischen Verlauf

Dennoch zeichnen sich bei all diesen Problemstellungen einige universelle Aspekte für das Sozialismusbild ab. Als Konstante sind in der Grobstruktur anzuführen:

Der künftige Sozialismus ist eine ausbeutungsfreie und humanistisch geprägte Gesellschaft. Er ist der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet, in der die Bürger aktiv die Volkssouveränität wahrnehmen. Zur Rechtssicherheit und zu den emanzipatorischen Antrieben der Bürger gehört der Katalog ihrer Grundrechte und -pflichten. Dabei handelt es sich nicht um abstrakte Freiheitsrechte, sondern um politisch, ökonomisch und sozial garantierte Anforderungen zur Selbstverwirklichung der Bürger unter gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Von Gewicht ist die marxistische Partei, die in einem engen Verbund mit dem sozialistischen Staat fingiert. Die Aufgaben von Partei und Staatsorganen sind genau festzulegen und abzugrenzen. Die Partei nimmt ausschließlich ideologische Aufgaben wahr und ist nicht Träger der öffentlichen Gewalt. Die Eigentumsfrage an den Produktionsmitteln gehört zu den tragenden Säulen der neuen Gesellschaftsordnung, da diese unerlässlich für die Reproduktion der sozialistischen Machtverhältnisse ist. Deshalb ist auch normativ festzuschreiben, worauf sich das sozialistische Eigentum gründet (so als gesamtgesellschaftliches Eigentum und als genossenschaftliches Gemeineigentum werktätiger Kollektive) und worauf es sich bezieht (z. B. Bodenschätze, Bergwerke, strukturentscheidende Industriebetriebe, Banken, Versicherungen, Transportmittel). Gleichzeitig ist kasuistisch zu bestimmen, auf welchen Gebieten Privateigentum ausgeschlossen ist, ohne die Eigentumspluralität im Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus generell in Frage zu stellen.

Wie verhält es sich nun mit der aufgeblasenen Polemik über den Staatssozialismus? Abgesehen davon, dass es sich um eine opportunistische Haltung zur Machtfrage handelt, die zu einem beträchtlichen Verwirrungspotenzial führt, werden zum sozialistischen Staat Unterstellungen und falsche Zuschreibungen vorgenommen, die irreführende geistige Fährten legen. Die Frage nach der Rolle des sozialistischen Staates kann deshalb nur im Rahmen systemtheoretischer Überlegungen beantwortet werden. Dabei dürfte offenkundig sein, dass dem sozialistischen Staat völlig andere Aufgaben gestellt werden als dem kapitalistischen Hoheitsträger. Letzterer ist ein politisches Herrschaftsverhältnis des Kapitals, das in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen wurzelt und auf diese zurückwirkt. Der sozialistische Staat ist deshalb notwendig, weil er ein politisches Machtinstrument und ökonomische Potenz (Marx) in den Händen der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten ist, um im Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus der Bourgeoisie alles Kapital aus den Händen zu reißen, die Produktionsmittel zu zentralisieren und die Produktivkräfte rasch zu vermehren.(7) Angesichts nationaler Besonderheiten und historischer Bedingungen wäre es eine falsche Annahme, den sozialistischen Staatstyp auf eine starre Form zu reduzieren. Lenin machte mehrfach darauf aufmerksam, dass die proletarische Staatsmacht eine Fülle von Formen entwickeln kann.(8) In seiner originären Eigentümerfunktion hat der sozialistische Staat das Volkseigentum effektiv zu nutzen. Dazu bedient er sich der Planwirtschaft und maßgeblich der volkseigenen Betriebe. Das Verhältnis von zentraler staatlicher Leitung und eigenverantwortlichem Handeln der Wirtschaftseinheiten ist, ausgehend von den DDR-Erfahrungen, ein neuralgischer Punkt. Das Beziehungsgeflecht als widersprüchliche Einheit im Rahmen des demokratischen Zentralismus muss in jeder gesellschaftlichen Entwicklungsetappe neu geordnet werden. Übermäßige Zentralisierung führt zu Bürokratisierung, ist der Demokratie abträglich und bewirkt ökonomische Effektivitätsverluste. Überzogene Dezentralisierung birgt in sich die Gefahr, notwendige volkswirtschaftliche Proportionen und Zielstellungen aufs Spiel zu setzen. Hier gilt es genau abzuwägen. Ein Ansatz kann keinesfalls der von Heinz Dieterich präferierte Computer-Sozialismus sein ("Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts"), in dem von einer zentralen Stelle die gesamte Volkswirtschaft optimal zu regeln sei. Dabei wird völlig ignoriert, dass von den Wirtschaftseinheiten zeit- und situationsbedingt eine Vielzahl von Entscheidungen unaufschiebbar zu treffen sind, die niemals zentral erfasst werden können. Der Lösungsweg für entsprechende Bewegungsformen des Widerspruchs kann unter den Bedingungen sozialistischer Ware-Geld-Beziehungen und der wirtschaftlichen Rechnungsführung nur eine zentrale Planung sein, die sich auf Grundproportionen konzentriert. Das schließt nicht aus, dass bei wichtigen Produkt- und Verfahrensinnovationen eine Feinregelung der Zentrale unter Beachtung von Verflechtungsbilanzen das Optimum sein kann.

Unangefochten dürfte sein, dass die sozialistische Gesellschaft keine widerspruchsfreie Gesellschaftsordnung darstellt. Demgemäß müssen in jeder Phase ihrer Entwicklung von der marxistischen Partei und dem sozialistischen Staat produktive Bewegungsformen für die partielle Widerspruchslösung konzipiert werden. Das gilt auch für die Forderung, dass schon aus ökologischen Gründen im Sozialismus anders produziert, verteilt und konsumiert werden muss. Dieses Gebot wirft nicht nur eine Reihe technisch-ökonomischer Fragen auf, sondern auch solche, die das Bewusstsein und die Ethik der Menschen tangieren. Ob allein ideologische Maßnahmen genügen oder auch zwingende Rechtsnormen zur Anwendung gelangen, wird die Zukunft zeigen.

Sicher ist, dass die Optimierung gesellschaftlicher Verhältnisse nur unter den Bedingungen eines sozialistischen Verfassungsstaates möglich sein wird, der die Oberhoheit der Gesetze, die Wahrnehmung der kodifizierten Zuständigkeitsbereiche der Legislativen, der Exekutiven und der Judikativen sowie die Gewährleistung der subjektiven Rechte und Pflichten der Individuen sowie der Kollektive verbrieft. Einen hohen Stellenwert nehmen im System des staatlichen Mechanismus die Volksvertretungen als höchste Staatsorgane in ihrem Zuständigkeitsbereich ein. Inwieweit analoge Formen der Volksvertretungen wie diese die Räte (Sowjets) als beschließende und zugleich vollziehende sozialistische Organisationsformen uneingeschränkt Anwendung finden sollten, hängt von den historischen Gegebenheiten und den Besonderheiten der einzelnen Länder bei der revolutionären Beseitigung des Kapitalismus ab. Dabei sollten zwei Fragen nicht außer Ansatz bleiben.

1. Die damalige historische Situation der russischen Revolutionen von 1905 sowie vom Februar und Oktober 1917, die spezifische revolutionäre Staatsorgane erforderten. Lenin beschrieb die Anforderungen an die Sowjets als eine Form der proletarischen Staatsmacht wie folgt:

  • Schaffung der bewaffneten Macht der Arbeiter und Bauern, die aufs engste mit dem Volk verbunden ist
  • Enge, untrennbare, leicht zu kontrollierende Verbindung mit den Massen
  • Wählbarkeit und Absetzbarkeit der Volksvertreter
  • Feste Verbindung mit den mannigfachsten Berufen im Interesse der Sachkunde und Durchführung verschiedenster Reformen
  • Durch die Sowjets wird eine Organisationsform des bewusstesten und fortgeschrittenen Teils der Arbeiter und Bauern geschaffen, um die Massen zu erziehen, zu schulen und zu führen.(9)

2. Zu beachten ist, dass die traditionelle Drei-Gewalten-Teilung nicht nur in den europäischen kapitalistischen Staaten mit all den Widersprüchen, bedingt durch die arbeitsteilige Verwirklichung der Macht im Interesse des Kapitals, Resonanz findet. Bei den sozialistischen Staaten kann es keineswegs um eine Gewaltenteilung gehen, da die Frage der Macht dem Grunde nach entschieden, aber gegen die Konterrevolution verteidigt werden muss. Die Erfahrungen des bisherigen Frühsozialismus machen zugleich deutlich, dass die Kontrolle der Macht und die Vermeidung bürokratischer Auswüchse durch demokratische Mechanismen für das Funktionieren des sozialistischen Staates unerlässlich sind. Eine wesentliche Voraussetzung dafür können nur verfassungsrechtlich klar abgrenzbare Verantwortungsbereiche und Entscheidungsfelder zwischen der Legislative, der Exekutive sowie der Judikative sein, wobei die Oberhoheit der Legislativen als gewählte Volksvertretung außer Frage steht.

Die Option der Organisationsform der sich herausbildenden Staatsmacht ist offen, sie wird im historischen Prozess zu entscheiden sein. In Vergleich zu dem vergangenen Sozialismus benötigen wir eine neue Sichtweise auf die sozialistische Demokratie, die in einem untrennbaren Beziehungsgefüge zur Volkssouveränität und zum Rechtsstaat steht sowie die Transparenz und die ständige Dialogbereitschaft von Partei und Staatsorganen mit den Volksmassen in sich einzuschließen hat.


Resümee

Das Sozialismusbild - hier vornehmlich unter den Aspekten des Staates behandelt - verfolgt auch eine politisch-agitatorische Zielstellung. In Konfrontation zum kapitalistischen Staat, in dem die Bürger zunehmend verbürokratisiert, veramtlicht und verrechtlicht werden, muss nachgewiesen werden, dass im sozialistischen Staat das Humanitätsprinzip zu verwirklichen ist. Es gilt "nicht den Menschen zu verstaatlichen, sondern den Staat zu vermenschlichen" (Johann Heinrich Pestalozzi. Dieser Gedanke wurde von Hermann Klenner für die marxistische Staats- und Rechtstheorie fruchtbar gemacht). Ein solcher Grundsatz ist nur bei der Überwindung des Dualismus zwischen den Menschen als Privatperson und als Staatsbürger, sowie bei der Auflösung des Widerspruchs zwischen seiner politischen Freiheit einerseits und der ökonomischen Ungleichheit andererseits möglich. Es bleibt festzuhalten: Erst im Sozialismus kann sich der Bürger emanzipieren, erst dann kann er als mündiges Subjekt der Veränderung gesellschaftlicher Prozesse voll wirksam werden.

Bei dem hier vorgestellten Sozialismusbild handelt es sich natürlich nur um eine konzeptartige Darstellung der Problematik, um eine theoretische Rohfassung. Sie soll als Anregung verstanden werden für eine erweiternde, empirisch stärker zu untermauernde und zu vertiefende Bestandsaufnahme. Das ist für die weitere theoretische Fundierung der Programmatik und der Strategienbildung der marxistischen Linken obligat, zumal handlungsorientierte Schlüsse zu ziehen sind.


Anmerkungen

(1) Vgl. die Monografie von Josef Schleifstein "Marxismus und Staat", Neue Impulse Verlag GmbH, Essen 2001, Nachdruck des im Jahre 1982 im Verlag "Marxistische Blätter" erschienen Buches. Der Verfasser gibt einen bemerkenswerten Überblick über die Staatstheorie von Marx, Engels und Lenin.
Hilfreich ist unter diesen Aspekten auch das Marx-Engels-Lexikon von K. Lotter/R. Meiners/E.Treptow, 2006. PapyRossa Verlag GmbH & Co KG, Köln

(2) Vgl. Ingo Wagner, eine Partei gibt sich auf, edition Ost. 2004, S. 110f

(3) MEW Bd. 34, S. 328

(4) Unter diesen Aspekten sind auch die Teilverstaatlichungen von Banken in der BRD im Rahmen der Finanzkrise zu werten, die Illusionen über sozialistische Maßnahmen erzeugen.

(5) F. Engels, Briefe an A. Bebel, Berlin 1958

(6) H. Kalt, In Stalins langem Schatten, zur Geschichte der Sowjetunion und zum Scheitern des sowjetischen Modells, 2010 PapyRossa Verlags GmbH & Co KG Köln

(7) Manifest der kommunistischen Partei, MEW 4, S. 481 Die von Marx und Engels betonte Vermehrung der Produktionskräftc hat angesichts der wissenschaftlich-technischen Revolution bereits unter den gegenwärtigen Bedingungen im Kapitalismus eine solche Dimension erreicht, die unter sozialistischen Produktionsverhältnissen eine qualitativ neue Bewegungsform im Interesse der Planmäßigkeit und der Bedürfnisbefriedigung erhalten.

(8) W. I. Lenin, 1. Kongress der Kommunistischen Internationale, Werke Bd. 28, S. 479

(9) W. I. Lenin, Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?, Werke Bd. 26, S. 86/87

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 6-12, 50. Jahrgang, S. 88-93
Redaktion: Marxistische Blätter
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2013