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MARXISTISCHE BLÄTTER/542: Das nächste Wettrüsten


Marxistische Blätter Heft 1-13

Das nächste Wettrüsten
China als Militärmacht

von Thomas Willms



Es war von kaum zu überbietender Symbolkraft, dass die Volksrepublik China am 25. September, kurz nach der Eskalation des Streites um die gleichermaßen von China, Taiwan und Japan beanspruchte Inselgruppe Senkaku/Diayou und den vermuteten Ölvorkommen in ihrem Bereich, im nordchinesischen Hafen Dalian ihren ersten eigenen Flugzeugträger in Dienst gestellt hat. Staats- und Parteichef Hu Jintao und Ministerpräsident Wen Jiabao präsentierten der Weltöffentlichkeit die "Liaoning". Der englischsprachige chinesische Staatssender CCTV war voll des Lobes auf die Leistungen der chinesischen Ingenieure und das hohe Niveau der Seeleute und präsentierte insbesondere den eloquenten Kommandanten Zhang Zheng.

Das Schiff hatte bereits eine bizarre Geschichte hinter sich. Als sowjetischer Träger auf Kiel gelegt, blieb es nach dem Ende der Sowjetunion halb fertiggestellt in der Ukraine zurück. Als "Varjag" 1998 von einem Strohmann erworben, der angeblich im Hafen von Macao ein Spielcasino darin errichten wollte, wurde das 67.000 BRT große Schiff ohne eigenen Antrieb rund um die Welt nach Dalian geschleppt und dort zum Träger ausgebaut.

Flugzeuge waren auf ihm bislang nicht zu sehen. Man geht in Fachkreisen davon aus, dass er vorrangig der Ausbildung eigener Piloten und der Erarbeitung von Einsatzkonzepten dient. Die zwei ersten wirklich eigenen Träger liegen in Schanghai auf Kiel und ihre Fertigstellung wird um das Jahr 2020 herum erwartet.

Flugzeugträger hat nur, wer über beträchtliche finanzielle Mittel als auch technische und militärische Kompetenzen vertilgt und gleichzeitig bereit ist, militärische Macht an fremde Küsten zu transportieren, "power projection" zu betreiben, wie es im Sprachgebrauch des US-Militärs heißt. Global betrachtet sind dazu nur die USA in der Lage, die das auch tun.

Kernstück der US-amerikanischen "power projection" sind ihre elf Flugzeugträger, die sich ungestraft jeder Küste der Welt nähern können, wenn das Pentagon dies will.

Die Antwort auf die Frage, ob sich die USA jetzt oder in Zukunft weiter ungehindert der chinesischen Küste nähern können, liegt in einem rasanten Wettrüsten zwischen China und den USA.

Auch wenn die "Liaoning" im Rampenlicht steht, ist sie nur eines und nicht einmal das wichtigste Ergebnis einer umfassenden Modernisierung der chinesischen Streitkräfte. (Im folgenden ist mit "China" immer die Volksrepublik China, mit "Taiwan" die Republik China gemeint.)

Ein solcher Umbauprozess kann nicht geheim gehalten werden und soll es auch gar nicht. Beginnend bei den "Weißbüchern" der Regierung bis hinunter zu Manöverberichten - so wird in China umfassend über die Entwicklung der "Volksbefreiungsarmee" (im folgenden wie international üblich PLA abgekürzt) informiert und berichtet.

Diese offenen Quellen werden auch im Ausland ausgewertet. Für die Chinesisch-Unkundigen hat das Verteidigungsministerium zentrale Dokumente übersetzt, eine englischsprachige Zeitschrift und ein großes Internet-Angebot eingerichtet. Ausländische Beobachter werden zu Manövern, Paraden u. ä. eingeladen. Chinesische Wissenschaftler und Sicherheitsexperten beteiligen sich am internationalen Austausch, u. a. an der amerikanisch-chinesischen Zeitschrift "China Security", deren erklärtes Ziel der Abbau der wechselseitigen Spannungen ist.

US-amerikanische und chinesische Autoren widersprechen sich bei den in Frage stehenden Fakten nicht, wohl aber in ihrer Interpretation. Chinesische Autoren beharren auf den Rechten Chinas, so wie ihre Regierung sie versteht, und beteuern ansonsten den Wunsch nach Kooperation und Ausgleich. US-amerikanische Autoren kommen durchaus zu unterschiedlichen Einschätzungen. Ein umfassendes und nüchternes Bild insbesondere von der Modernisierung des Heeres zeichnet die aktuelle Studie des ehemaligen Militärattachés Dennis Blasco "The Chinese Army today" (2. Auflage, New York 2012).

Die unmittelbaren chinesischen Ziele, die es mit Hilfe seines Militärs umsetzen möchte, werden offen genannt und entsprechen auch den durchgeführten oder geplanten Maßnahmen. Hier orientiert sich eine klassische Landmacht hin zum Meer.

China wird heute entlang seiner langen Landgrenzen von keinem Nachbarstaat bedroht, wenn man von Unruhen in Tibet und Xinkiang absieht, für die Vorsorge getroffen wird. Die Beziehungen sind geschäftlich, aber nicht freundschaftlich. Eine asiatische, von China dominierte Version der Europäischen Union oder der NATO gibt es nicht. Möchte man Nordkorea als Verbündeten betrachten, so findet Beijing wenig Freude an diesem Partner.

Nordkoreas Armut und Rückständigkeit stehen in krassem Gegensatz zur Dynamik der chinesischen wirtschaftlichen Entwicklung. Pjöngjangs periodische außenpolitische Drohungen stehen im Gegensatz zu Chinas Interessen. Zuletzt hatten nordkoreanische Streitkräfte im März 2010 die Insel Yeonpjeong mit Artillerie beschossen und im Oktober desselben Jahres das südkoreanische Kriegsschiff Cheonan versenkt. Dies provozierte wiederum südkoreanisch-US-amerikanische Seemanöver.

Umgekehrt allerdings bestreitet China einem Nachbarstaat das Existenzrecht: Taiwan ist aus Sicht des großen Nachbarn nach wie vor Teil des Mutterlandes. Auch 63 Jahre nach Ende des chinesischen Bürgerkrieges hält China an dieser Fiktion fest und richtet seine Außenpolitik entsprechend aus. Im "Anti-Sezessionsgesetz" vom 14. März 2005 behält sich China ausdrücklich "nicht-friedliche Maßnahmen" vor, "um Chinas Souveränität und territoriale Integrität" zu gewährleisten. Konflikte ergeben sich außerdem durch Chinas Ansprüche auf Inselgruppen, die gleichzeitig von Vietnam, Japan, den Philippinen und auch Taiwan beansprucht werden. Völkerrechtlich wandelt China auf einem schmalen Grat, indem es vollständige Souveränitätsrechte über die "Zone besonderen ökonomischen Interesses", d. h. die vom Kontinentalschelf aus gerechnete 200-Meilen-Zone vor seinen Küsten, erhebt.

Nicht mehr nur Japan und Südkorea, sondern auch China wird immer mehr von Rohstoffimporten und dem Export von Waren und damit der Offenheit der Seewege abhängig. So haben China und die USA an der Offenhaltung der Straße von Hormus ein ähnlich starkes Interesse. Insgesamt aber stößt China bei seinen genannten Zielen immer wieder auf die USA als größtes Problem, ja als Gegner. Chinesische Autoren bemühen immer wieder das Bild einer C-förmigen Einkreisung ihres Landes. Die USA unterhalten bedeutende Truppenkontingente in Japan und Südkorea. Die militärischen Beziehungen zu den Philippinen, Singapur und Australien wurden verstärkt, dies bereits als Reaktion auf die Entwicklungen in China. Vor allem aber sind die USA der entscheidende Verbündete Taiwans, ohne den China sein Ziel der "Wiedervereinigung" wohl längst erreicht hätte.

Manche "Zwischenfälle", wie die US-amerikanisch-chinesischen Revierkämpfe beschönigend genannt werden, könnten gut und gerne als Kriegsanlass dienen. Dazu gehört bspw. ein Vorfall vom 1. April 2001, als ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug vom Typ EP-3 etwa 100 Kilometer südlich der chinesischen Insel Hainan und damit im internationalen Luftraum von chinesischen Jägern "abgefangen" wurde. Dabei wurde es beschädigt und zur Notlandung auf Hainan gezwungen. In Erinnerung gebracht wurde dieser Vorfall den Abgeordneten des US-Parlaments sicher nicht zufällig im Zuge von Beratungen über US-amerikanische Gegenmaßnahmen zur chinesischen Aufrüstung. (O'Rourke: "China Naval Modernization: Implications for U.S. Navy capabilities", Washington, Juli 2012).

Um die Besonderheiten der PLA-Modernisierung einschätzen zu können, ist zunächst ein kurzer Blick in die Geschichte notwendig: Auf keinen Fall vernachlässigen darf man die lange chinesische Militärtradition. "Die Kunst des Krieges", vor 2 500 Jahren vom chinesischen General Sun Tzu verfasst, hatte tiefen Einfluss auf den Militärtheoretiker und -praktiker Mao Zedong und mit diesem auf die PLA. Das Buch ist auch heute noch eine lesenswerte Anleitung, wie sich ein "Schwacher" gegen "Stärkere" durchsetzen kann. List und Tücke, das Umgehen der Stärken des Gegners und seine schrittweise Schwächung, all das waren Weisheiten, die die PLA im Bürgerkrieg gegen die Kuomintang unter Chiang Kai-shek und die japanischen Invasoren gut gebrauchen konnte.

Die PLA wurde 1927 als Parteiarmee, als Armee der "Gongchandang" Mao Zedongs, gegründet. Die PLA war und ist dieser Partei, die wir im Deutschen "Kommunistische Partei Chinas" nennen, bedingungslos untergeordnet. "Die Macht kommt aus den Gewehrläufen" lautet das bekannte Mao-Wort. Partei und Parteiarmee erkämpften die Gründung eines neuen Staates, der "Volksrepublik China", und sahen sich zugleich tief in die chinesische Geschichte eingebettet.

Maos Konzeption vom Krieg zeichnet sich zum einen durch die Vorrangstellung des Menschen vor den Waffen und der Masse vor dem Individuum als auch durch die Präferenz der politischen Überzeugung vor dem militärischen Können aus - was sich bspw. im Vorzug des Guerillakrieges statt eines konventionell geführten Krieges zeigt.

Entsprechend war der gute Soldat ein genügsamer, tief in ein Kollektiv eingebetteter glühender Anhänger Maos, der den Mangel an Material durch Fleiß, Aufopferung und Idealismus auszugleichen suchte. Hier spiegelt sich die Armut des vormals kolonisierten und unterentwickelten Chinas - der Versuch, aus dem Nachteil einen Vorteil zu machen.

Die PLA bezeichnet ihre Doktrin heute als die des "Volkskrieges im Zeitalter des Informationszeitalters". Ein ganzheitlicher Ansatz zeichnet ihr Denken aus, in dem die Grenzen von Zivilem und Militärischem verschwimmen. Das von der chinesischen "Akademie der militärischen Wissenschaft" herausgegebene Standardwerk "Die Wissenschaft der militärischen Strategie" beschreibt die "10 Prinzipien des Volkskrieges" wie folgt:

1. Kenne dich selbst und den Gegner
2. Schone dich selbst und zerstöre den Gegner
3. Strebe nach der Initiative und vermeide Passivität
4. Nutze militärische Kräfte und taktische Flexibilität aus
5. Kombiniere sehr eng die drei Kampfformen Bewegungskrieg, Stellungskrieg und Guerilla-Krieg
6. Konzentriere überlegene Kräfte und zerstöre den Gegner einen nach dem anderen
7. Führe Kämpfe nie unvorbereitet und führe nur Kämpfe, von denen du sicher bist, sie gewinnen zu können
8. Sei sorgsam bei der Wahl des Eröffnungskampfes
9. Fasse deine Führung zusammen
10. Kombiniere sehr eng militärische und nichtmilitärische Kämpfe
(zitiert nach Blasco, Loc. 3475)

Das aktuelle Regierungs-Weißbuch nennt folgende Teilziele für die Modernisierung der Streitkräfte:

- "Aufbau von Heer, Marine, Luftwaffe und Zweiter Artillerie (letzteres die chinesische Bezeichnung der Raketenstreitkräfte);

- Beschleunigung der Informationalisierung;

- Aufbau von teilstreitkräfteübergreifenden Systemen; Weitergehende Veränderung im militärischen Training;

- die politische Arbeit weiterentwickeln;

- die Strategie zur Einbindung talentierter Individuen implementieren;

- ein modernes Logistiksystem aufbauen;

- die Entwicklung von neuen und High-Tech-Waffen und -Ausrüstung beschleunigen."

("China's National Defense 2010", Beijing, 31. März 2011)

Historischer Ausgangspunkt aller Anstrengungen war die chinesische Analyse der US-amerikanischen Feldzüge gegen den Irak 1991 und 2003. Die Feldzüge zeigten der Weltöffentlichkeit die Schwächen einer veralteten sowjetischen/russischen/chinesischen Bewaffnung und der falschen Einsatzführung erbarmungslos auf. Die politisch-militärische Führung Chinas, an ihrer Spitze die "Zentrale Militärkommission" mit dem Staats- und Parteichef als Vorsitzendem, begann umzudenken. Man ist sich dort darüber im Klaren, dass man heute mitten im Modernisierungsprozess westlicher Militärtechnologie und westlicher Ausbildung in vielem immer noch unterlegen ist.

Basis für die Modernisierung ist das chinesische Wirtschaftswunder. Der chinesische Rüstungshaushalt wächst pro Jahr um etwa 10 Prozent und beträgt 2010 offiziell 91 Mrd. US-Dollar. International wird ein großes Aufheben um weitere Finanzierungsquellen der PLA gemacht und gemutmaßt, dass der Rüstungsetat in Wirklichkeit bis zu viermal so groß sei. Blasco schätzt, dass die PLA in der Tat über weitere Einkommen, u.a. aus eigenen Unternehmen, verfügt, so dass die Zahlen möglicherweise zu verdoppeln sind. Interessanter als die absoluten Zahlen ist ihr Verhältnis zum Bruttosozialprodukt. China gibt gleichbleibend etwa 1,4 Prozent seines BSP für die Rüstung aus, ein im Vergleich zu den NATO-Staaten unterdurchschnittlicher Wert, deutlich weniger als die 4,7 Prozent der USA. Der Etat der PLA wächst im etwa gleichen Tempo wie das BSP Chinas, ohne dass er durch aktuelle Kriegshandlungen oder ein weltweites System von Stützpunkten wie in den USA ausgeblutet wird. Die Modernisierung kann also durchgeführt werden, ohne dass andere wichtige Vorhaben der Regierung darunter leiden müssen. Von 1997 bis 2000 wurde die PLA zudem um 500.000 Soldaten auf nunmehr 2,3 Millionen verkleinert, die Wehrpflicht wurde außerdem von drei auf zwei Jahre reduziert. Zahlreiche Verbände, insbesondere im Grenzgebiet zu Russland, wurden aufgelöst.

Die Mittel, die pro Soldat zur Verfügung stehen, sind also innerhalb weniger Jahren deutlich gestiegen. Was tut die PLA damit? Zunächst einmal verabschiedet sie sich schrittweise vom maoistischen Armutsideal. Etwa ein Drittel der Zuwächse wird in bessere Ernährung, Bekleidung, Unterbringung und Besoldung der Soldaten verwendet. Dies ist allein auch schon deshalb nötig, weil die PLA immer stärker mit der Wirtschaft um qualifiziertes Personal buhlen muss. Die Ansprüche an die Soldaten steigen deutlich an. Bevorzugt und gebraucht werden Hochschüler und Hochschulabsolventen, die in der Lage sind, mit den neuen Waffensystemen auch umzugehen und die die komplexeren Führungsaufgaben bewältigen können. Vom Reißbrett weg und auf den Erfahrungen anderer Armeen fußend, wurde ein Unteroffizierskorps als Verbindungsglied zwischen Offizieren und Mannschaften eingeführt. Gestärkt wird damit das militärische Expertentum. Dennoch wird immer noch viel Zeit darauf verwendet, die Soldaten auf die Politik der Gongchandang einzuschwören.

Generell findet seit etwa 20 Jahren eine Verschiebung zwischen den Teilstreitkräften statt. Die Dominanz des Heeres geht zugunsten der Raketenstreitkräfte, der Luftwaffe, der Marine, der Weltraum- und Cyberspace-Kräfte zurück. Qualität geht dabei vor Quantität. Offenbar wurden bereits mehr Soldaten an den neuen Waffen ausgebildet als zur Verfügung stehen.

Diese, von Russland erworben bzw. selbst produziert, erreichen sukzessive alle Teilstreitkräfte, insbesondere aber Luftwaffe, Marine und Raketenstreitkräfte. Vom Heer konnte so mittlerweile etwa ein Drittel neu ausgerüstet werden. Neue Übungsgelände wurden über das ganze Land verstreut eingerichtet und dienen als Zielpunkte von früher unüblichen Mobilitätsübungen auch größerer Verbände über oft mehr als 1000 km Entfernung. Etwa ein Drittel der Heeresverbände hat im letzten Jahrzehnt an amphibischen Übungen teilgenommen - per se offensive Operationen. Speerspitze in diesen Manövern, in denen das Erstürmen von Inseln und Stränden geprobt wird, ist die neu gebildete chinesische Marineinfanterie. Zusammen mit dem bisherigen Eliteverband der Luftlandekräfte und den ebenfalls neu aufgestellten Spezialkommandos ("SOF - Special Operation Forces") verfügt China damit über Einheiten, deren potentielle Einsatzgebiete naturgemäß außerhalb der Landesgrenzen liegen (alle Angaben nach Blasco).

Die Marine unterliegt einem teuren und umfassenden Modernisierungsprozess. Die Anzahl der Einheiten wächst dabei nicht, vielmehr werden jahrzehntealte Zerstörer, Fregatten, Korvetten und U-Boote dergestalt ersetzt, dass mehrere Entwicklungsstufen übersprungen werden. Neueste russische Marschflugkörper können sowohl von Schiffen wie U-Booten abgeschossen werden. Sie richten sich sowohl gegen feindliche Schiffe als auch gegen Landziele. Besonders bedeutsam ist die Modernisierung der U-Boot-Flotte. Seit 1995 wurden 45 neue Boote in Betrieb genommen, wovon 31 als "modern" gelten. 12 davon sind russischer Bauart, der Rest entstammt neuen chinesischen Baureihen, sowohl mit konventionellem als auch nuklearem Antrieb. Darunter sind wiederum strategische Boote mit ballistischen Raketen als auch Angriffs-U-Boote. Gegenüber früheren Baureihen gelten diese neuen als bei weitem leiser (alle Angaben nach O'Rourke).

Bemerkenswert ist, dass China ballistische Raketen konsequent in seine Konzeptionen konventionell geführter Feldzüge einbindet. Sie heißen im Chinesischen bezeichnenderweise "Zweite Artillerie". China verfügt über zahlreiche moderne ballistische Raketensysteme kurzer, mittlerer, langer und interkontinentaler Reichweite.

Als erste Nation arbeitet China intensiv an Langstreckenraketen, die sich gegen Schiffe richten. Es ist unklar, wie nahe China an der Einsatzfähigkeit dieses spektakulären Waffensystems mit der Bezeichnung "Dong-Feng 21 D" ist. Diese chinesischen Anti-Ship-Ballistic-Missiles (ASBM) sind Waffen, die zur Vernichtung von Flugzeugträgern bestimmt sind. Diese "Carrier Killer" sind damit theoretisch die optimalen Waffen, um den westlichen Pazifik für die USA zu sperren. Von mobilen Abschussfahrzeugen abgefeuert, sollen sie annähernd 3000 km weit fliegen und, über Satellit gesteuert, ein sich verhältnismäßig schnell bewegendes Ziel treffen und mit einem Mal zerstören. Was in einer langen, von China Security herausgegebenen Studie zum Thema (Eric Hagt and Matthew Durnin: China's Anti-Ship Ballistic Missile. Developments and Missing Links) nach Analyse aller technischen Probleme und Finessen auffallend ausgelassen wird, ist die Frage nach dem Sprengkopf. Natürlich wird eine Trägerkampfgruppe alles tun, um eines solchen Angriffs Herr zu werden. Aus Sicht des Angreifers ruft das nahezu nach einem Nuklearsprengkopf, der ja nicht punktgenau treffen muss. Da andere Baureihen der DF-21 Nuklearsprengköpfe tragen, muss man davon ausgehen, dass auch die Baureihe D dazu in der Lage ist.

Die Kette antizipierter Aktionen und Reaktionen beginnt mit dem chinesischen Anspruch auf Taiwan. China baut seine amphibischen und Luftlande-Kapazitäten aus und erhält dadurch die Möglichkeit, taiwanesische Inseln und gegebenenfalls die Hauptinsel selbst besetzen zu können. Dem stehen US-amerikanische Waffenlieferungen an Taiwan und die Präsenz der 7. Flotte entgegen.

Der chinesische Vizeadmiral Yang Yi machte ausdrücklich Amerikas Flugzeugträger für das fortwährende Misslingen der Wiedervereinigung verantwortlich, um dann drohend fortzufahren, dass "manche chinesische Blogger gar vorschlagen würden, die USS George Washington mit ASBMs zu versenken", was "nicht die chinesische Hauptmeinung repräsentiere". ("Navigating Stormy Waters", in: China Security CS, Nr. 18)

Mit ASBMs, ASCMs, U-Booten und Überwasserschiffen baut China ein "Fernhaltepotential" auf ("access denial capacity"). Dies soll die Streitkräfte der USA daran hindern, sich im Fall der Fälle mit der bisherigen Selbstverständlichkeit frei bewegen zu können.

Das größte Problem besteht für die PLA darin, all ihre neuen Systeme zusammenzuführen und ganzheitliche Operationen durchführen zu können. In diesen Kommunikations- und Führungskapazitäten liegt die entscheide Stärke westlicher, insbesondere US-amerikanischer Streitkräfte. Die richtige Kombination und Abfolge in sich schnell verändernden Kampfsituationen von Special Forces, Boden-, Luft-, See-, Weltraum- und Cyberspace-Streitkräften ("joint operations") muss immer und immer wieder geübt und am besten in Kämpfen erfahren werden. Dass die US-Streitkräfte besser als jede andere Armee über diese Fähigkeit verfügen, ist die Frucht jahrzehntelanger Aufbauarbeit als auch ihrer dauernden Kriegseinsätze. Kriegserfahrung hat in der PLA heute aber kaum noch jemand. Ihr letzter militärischer Einsatz fand 1979 mit dem Angriff gegen Vietnam statt und das unter Bedingungen, die mit den heutigen kaum noch vergleichbar sind.

Aus amerikanischer Sicht fallen die chinesischen Anstrengungen in das Kapitel von "Antiaccess/area denial"-Bestrebungen, Aktivitäten, die dazu dienen, ihren Streitkräften den Zutritt zu einem Gebiet zu verwehren bzw. ihre Bewegungen dort zu be- oder zu verhindern.

Es gibt nun bedeutende US-amerikanische Stimmen, die vorschlagen, "einige Stellungen zu räumen". Beispielsweise äußerte der frühere Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski die Ansicht, dass die USA gar nicht umhin könnten, ihre Patrouillen entlang chinesischer Küstengebiete zu beenden. Außerdem solle man den Anschluss Taiwans an China hinnehmen. Man täte gut daran, wenigstens bei den Bedingungen und der Gestaltung dieses Vorgangs noch mitzuspielen. (Balancing the East, Upgrading the West", in: Foreign Affairs, Nr. 1/20 12)

Tatsächlich geschieht aber das Gegenteil. Strategie- und Budget-Planung des Verteidigungsministeriums orientieren darauf, dass Irak- und Afghanistan-Engagement ihrem Ende entgegengehen und dass das Schwergewicht der Aktivitäten in den pazifisch-asiatischen Raum zu verlegen ist. Dies führt zu einer Aufwertung von Marine und Luftwaffe und zur Orientierung auf einen "big war", also einen "richtigen Krieg" gegen einen technologisch und organisatorisch in etwa gleichwertigen Gegner. Mit dem Schlagwort vom "SeaAir Battle Concept" wird die Latte hoch gelegt: Das "AirLand Battle Concept" vom Ende der 70er Jahre richtete sich gegen die Sowjetunion.

Nicht nur chinesische, auch US-amerikanische Militärs können langfristig denken. Einer ihrer obersten - Admiral Jonathan Greenert, Chief of Naval Operations - entwickelte in einem Aufsatz über die Navy von 2025 ein volles Programm über noch weiter zu steigernde militärische Fähigkeiten, inklusive neuer U-Boote und Stealth-Bomber, Raketenabwehr, unbemannter und automatisierter Waffensysteme, elektronischer Kriegführung, Command and Control-Fähigkeiten. ("Navy, 2025: Forward Warfighters", U.S. Naval Proceedings, 11/2011)


Thomas Willms, Berlin, Bundessekretär der VVN-BdA

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 1-13, 51. Jahrgang, S. 80-85
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2013