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OFFENSIV/095: Ausgabe März-April 2011 2/11


offen-siv 2/2011
Zeitschrift für Sozialismus und Frieden

Ausgabe März-April 2011 2/11


INHALT

Redaktionsnotiz

Der Goldstone-Bericht
Rudolf-Andreas Palmer: Einführung in den Goldstone-Bericht. Die israelischen Kriegshandlungen gegen Gaza und ihre völkerrechtliche Beurteilung - 2. Teil

Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien in Südafrika
KKE: 12. Internationales Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien

Kommunistische Initiative
Frank Flegel: Lächerliche Polizeipräsenz und dumm-dreiste antikommunistische Übergriffe bei der Zweiten Perspektivkonferenz der KI
Sophie: Meine Gedanken zur zweiten Perspektivkonferenz
Frank Flegel: Spendenaufruf für die KI Nordrhein-Westfalen
Exekutivkomitee der KI: Presseerklärung zur 2. Perspektivkonferenz
Interview mit Phil Ramcke: "Wir sind kein Sammelpott für billige Beliebigkeiten, denn wir halten fest an den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Marxismus-Leninismus."
AG Bildung der KI: Kaderschulung
Hermann Jacobs: An die Leser von "offen-siv", Interessierte der KI
Monika Voigt, RO Voigtland KPD und KI: Die Politik der Aktionseinheit der Arbeiterklasse und aller demokratischer Kräfte unseres Volkes

Nachrichten aus dem Niedergang
Gerhard Feldbauer: Sentenzen zum 90. Jahrestag der Italienischen Kommunistischen Partei - Wurzeln des heutigen Übels der Linken Italiens
Redaktion offen-siv: Vorbemerkung zum Abdruck des Grußwortes der DKP an den Parteitag der KPÖ
Walter Listl: Grußwort der DKP an den Parteitag der KPÖ: Ein emanzipatorisches Gesellschaftsprojekt braucht Vielfalt
Redaktion offen-siv: DKP, KKE und Europäische Linkspartei
"Radikaler, effizienter, linker" - www.kommunisten.de
14.12.2010: Interview mit Leo Mayer zum 3. Kongress der Europäischen Linken, der vom 3.-5.12.2010 in Paris stattfand
Internationale Abteilung des ZK der KKE: Brief der KKE an die europäischen kommunistischen und Arbeiterparteien

Resonanz
Mario: Zur Bedeutung des Basis-Überbau-Modells
Klaus Emmerich: Zu Horst Schneider und zur führenden Rolle der Partei - Heft 6-2010
Jürgen Gedicke: Zu Bucholz und Langer, Nov-Dez. 2010
Irene Eckert: Offener Brief - betreff: offen-siv 8/2010, Trotzkismusvorwurf

Rechenschaftsbericht offen-siv 2010
Anna C. Heinrich: Finanzieller Rechenschaftsbericht der Zeitschrift offen-siv für das Jahr 2010

Raute

REDAKTIONSNOTIZ

Sie bereiten vor unseren Augen den nächsten imperialistischen Krieg vor. Die libyschen Erdöl- und Erdgasvorkommen sind das Ziel, denn sie sind nationalisiert. So lange dem Imperialismus nicht durch eine starke kommunistische Gegenmacht Einhalt geboten werden und er schließlich besiegt und überwunden werden kann, wird es keinen Frieden geben auf der Erde.

Die Ereignisse in den arabischen Ländern sind sehr komplex, die Länder sind unterschiedlich entwickelt, die Oppositionsbewegungen verfolgen unterschiedliche Ziele, die Klassenlagen und die Klasseninteressen sind nicht immer klar. Für diese Ausgabe der offen-siv sind wir nicht in der Lage, eine solide und seriöse Analyse der Ereignisse zu liefern. Es geht ja um nicht weniger als eine Antwort auf die Fragen: Welche Fraktionen gibt es in der Opposition in den jeweiligen Ländern? Welche Interessen vertreten sie? Welche Ziele verfolgen sie? Wie ist die politische Herrschaftsstruktur in den betroffenen Ländern einzuschätzen? Wie gestaltet sich die Klassenanalyse der jeweiligen Länder? Wie sieht die Klassenzusammensetzung der jeweiligen oppositionellen Kräfte aus? Welche imperialistischen Interessen gibt es? Wie erfolgt die imperialistische Einflussnahme? Wie ist in dieser Gesamtheit eine Einschätzung der Kräfteverhältnisse vorzunehmen?

In der nächsten Ausgabe werden wir Genaueres dazu bringen.

In diesem Heft geht es zunächst um Gaza, dann um das internationale Treffen kommunistischer Parteien in Südafrika - und danach ziemlich viel um die politische Situation der kommunistischen Bewegung hier bei uns in Deutschland.

Wir erleben hier gerade eine ziemliche Dynamik, und wir haben versucht, Teile davon exemplarisch darzustellen und zu analysieren. Ihr findet diese Berichte und Einschätzungen in den beiden Rubriken "Kommunistische Initiative" und "Nachrichten aus dem Niedergang". Das Heft beschließen zwei Zuschriften, die wir unter "Resonanz" zusammengefasst haben: Irene Eckert nimmt Stellung zu den Vorwürfen, die ihr Gudrun Stelmaszewski gemacht hat, und Mario stellt uns allen Überlegungen und Fragen zum Verständnis des Basis-Überbau-Modells. Er und wir würden uns über Beiträge dazu bzw. Antworten darauf freuen.

Zum Schluss findet Ihr den Finanzbericht. Wie Ihr dort sehen werdet, ist unser Polster schmaler geworden. Zeitungmachen kostet Geld, Zeitungen verschicken kostet ab 2011 noch mehr Geld als vorher, weil Umsatzsteuer auf die Teilnahme am System "Postvertriebsstück" und auf jede einzelne Verschickung zu zahlen ist, was diesen Posten um 19 % verteuert!

Spendenkonto Offensiv:
Inland:
Konto Frank Flegel, Kt.Nr.: 30 90 180 146 bei der Sparkasse Hannover, BLZ 250 501 80, Kennwort: Offensiv
Ausland: Konto Frank Flegel, Internat. Kontonummer(IBAN): DE 10 2505 0180 0021 8272 49,
Bankidentifikation (BIC): SPKHDE2HXXX; Kennwort: "Offensiv".

Für die Redaktion: Frank Flegel, Hannover

Raute

DER GOLDSTONE-BERICHT

Rudolf-Andreas Palmer: Einführung in den Goldstone-Bericht. Die israelischen Kriegshandlungen gegen Gaza und ihre völkerrechtliche Beurteilung - 2. Teil

Vorbemerkung von Rudolf-Andreas Palmer:

Nachdem im ersten Teil der Einführung in den Goldstone-Bericht (siehe offen-siv Nov.-Dez. 2010, S. 68-81) die völkerrechtlichen Grundlagen des Berichts sowie der historische und aktuelle Kontext zusammenfassend bis hin zu den rechtlichen Empfehlungen der Kommission dargestellt worden sind, sollen im zweiten Teil einzelne Kriegshandlungen beschrieben und völkerrechtlich beurteilt werden. Dabei kann nur eine kleine Auswahl des gewaltigen Materials, das die Kommission gesammelt hat, vorgelegt werden. Neben den Angriffen auf Regierungsgebäude, Polizei und Krankenhäuser sowie dem Einsatz menschlicher Schutzschilde und den Methoden des Freiheitsentzuges werden im Goldstone-Bericht Angriffe auf Zivilisten sowie die Zerstörung der Infrastruktur des Gaza-Streifens dokumentiert. Diese beiden Themen sind die menschlich erschütterndsten und können daher von jedem Leser unmittelbar mitempfunden werden. Sie allein sollen deswegen im folgenden wörtlich dokumentiert werden.

Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Kommission wiederholt die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit der Zeugen betont und die Möglichkeit eines legitimen militärischen Ziels der Angriffe entschieden verneint (Abschnitt 811). Sofern überhaupt israelische Stellungnahmen vorliegen, sind diese sorgfältig geprüft und als unzufriedenstellend oder - wie im Fall des Angriffs auf eine Moschee - als nachweislich falsch zurückgewiesen worden (Abschnitt 839).

a) Angriffe auf Zivilisten

b) Die Zerstörung der Infrastruktur des Gaza-Streifens

Im Unterschied zu den völkerrechtswidrigen Tötungen und Verletzungen von Zivilisten, bei denen die Kommission naturgemäß hauptsächlich auf Zeugen angewiesen war, konnte sie materielle Zerstörungen selbst in Augenschein nehmen, z.B. die Häuserzerstörungen von beispiellosem Ausmaß (Abschnitt 1000). Darüber hinaus wurden diese Zerstörungen von israelischen Soldaten bestätigt (ebd.). Auch konnten leitende Wirtschaftsfachleute detaillierte Angaben über die industriellen Zerstörungen machen (Abschnitt 1008ff.). Das gleiche gilt für die Zerstörungen von Wasser- und Abwasseranlagen sowie von Klärwerken (Abschnitt 1022f.).

Rudolf-Andreas Palmer, Berlin


Dokumentation:

Der Angriff auf die al-Maqadmah-Moschee am 3. Januar 2009

Ereignisse

822. Die al-Maqadmah-Moschee befindet sich am nordwestlichen Rand des Lagers Jabaliyah, in der Nähe von Beit Lahia. Sie ist weniger als 100 Meter vom Kamal Idwan-Krankenhaus in der Sozialwohnsidlung al-Alami entfernt. Mindestens 15 Personen kamen ums Leben und ca. 40 wurden verletzt - viele schwer verletzt -, als die israelischen Streitkräfte den Moscheeeingang mit einer Rakete trafen.

826. In Folge der Explosion kamen mindestens 15 Personen ums Leben. Fast alle befanden sich zum fraglichen Zeitpunkt in der Moschee. Bei einem der Opfer handelte es sich um einen Jungen, der im Eingangsbereich gesessen hatte. Vom Einschlag der Rakete wurde ihm das Bein abgerissen; er wurde später auf dem Dach der Moschee wieder gefunden. Zahlreiche Menschen - ca. 40 - wurden verletzt. Viele wurden zur Behandlung ins Kamal Idwan-Krankenhaus gebracht.


Rechtliche Würdigung

838. Mangels irgend einer Erklärung der Umstände, die zum Raketenangriff auf die al-Maqadmah-Moschee führten, und unter Berücksichtigung der glaubwürdigen und zuverlässigen Schilderungen mehrerer Zeugen vor der Kommission, sowie der Umstände, die sie mit einem Ereignisortsbesuch selbst überprüfen konnte, kommt die Kommission zum Schluss, dass die israelischen Streitkräfte die Moschee vorsätzlich und gezielt angegriffen haben. Auch die Präzision und Ausgereiftheit der Munitionen der israelischen Streitkräfte werden bei dieser Feststellung berücksichtigt.

839. Bekräftigt wird diese Feststellung angesichts der unzufriedenstellenden und nachweislich falschen Stellungnahme der israelischen Regierung.

840. Daraus folgt, dass es sich hierbei um einen Angriff auf die Zivilbevölkerung als solche und nicht auf ein militärisches Ziel gehandelt hat.

841. Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes stellt die Kommission fest, dass die israelischen Streitkräfte das auch im Artikel 51(2) des 1. Zusatzprotokolls verankerte gewohnheitsrechtliche Verbot, die Zivilbevölkerung als solche zum Ziel von Angriffen zu machen, verletzt haben.

842. Auf der Grundlage dieser Tatsachen stellen diese Verstöße als vorsätzliche Tötung und vorsätzliche Verursachung großer Leiden auch eine schwere Verletzung des 4. Genfer Abkommens dar.

843. Die Kommission stellt ebenfalls fest, dass sich der Staat Israel wegen willkürlicher Verletzung des Rechts der Getöteten auf Leben entgegen Art. 6 IPbpR zu verantworten hätte.


Der Angriff auf das Haus der Familie al-Daya am 6. Januar 2009

Ereignisse:

844. Am 6. Januar 2009 wurde das Haus der Familie al-Daya in der al-Rai'i-Straße in Zeytoun, südöstlich von Gaza-Stadt, von einem von einem F-16-Flugzeug abgefeuerten Projektil getroffen, wodurch 22 Familienmitglieder ums Leben kamen(1). Zwölf der Getöteten waren Kinder, die das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten.


Angriffe auf die Zivilbevölkerung:

688. Die Kommission stellt ebenfalls fest, dass gegen 16.00 Uhr (6.1.2009) die israelischen Streitkräfte wenigstens vier Mörsergranaten abfeuerten. Eine landete im Hof der al-Deebs, dabei starben neun Menschen auf der Stelle, zwei erst später.

689. Drei weitere Granaten landeten auf der al-Fakhura-Straße, die zur fraglichen Zeit sehr belebt war, und tötete mindestens 24 weitere Menschen und verletzte bis zu 40 Menschen.

690. Die Kommission merkt an, dass der Schlag möglicherweise ein Gegenschlag auf einen Mörserangriff durch eine bewaffnete palästinensische Gruppierung war, hält die israelische Darstellung wegen einer Reihe von Widersprüchen und falschen Tatsachenbehauptungen für wenig glaubwürdig.


Rechtliche Würdigung:

691. Teile des Artikels 50 des 1. Zusatzprotokolls spiegeln gewohnheitsvölkerrechtliche Normen wider und lauten wie folgt:

1. Die Zivilbevölkerung erfasst alle Zivilpersonen.

2. Die Zivilbevölkerung bleibt auch dann Zivilbevölkerung, wenn sich unter ihr einzelne Personen befinden, die nicht Zivilpersonen im Sinne dieser Begriffsbestimmung sind.

699. Die Wahl der Angriffsmittel - Mörsergranaten - erscheint grob fahrlässig. Mörser sind Flächenwaffen. Sie töten oder verstümmeln jeden, der sich nach der Detonation in der Aufschlagzone befindet, und sie können nicht zwischen Kämpfern und Zivilpersonen unterscheiden. Die Entscheidung, sie in einer Umgebung einzusetzen, in der sich viele Zivilpersonen aufhalten, ist eine Entscheidung, die für einige dieser Zivilpersonen Tod oder Verletzung bedeutet, das weiß jeder Befehlshaber.

700. Selbst für den Fall, dass der gegenwärtig von Israel vertretenen Schilderung des Ablaufs der Ereignisse Glauben geschenkt wird, ist die Entscheidung, in einer belebten Straße mit etwa 150 Menschen (von den Menschen in der Schule ganz abgesehen) Mörser einzusetzen, nach Ansicht der Kommission nicht zu rechtfertigen. Nach Auffassung der Kommission hätte kein vernünftiger Befehlshaber unter diesen Umständen diese Wahl getroffen.

701. Aufgrund der ihr zur Kenntnis gebrachten Tatsachen glaubt die Kommission, dass es zu folgenden Verstößen gekommen ist:

• Art. 57 (a) (ii) und (iii), 1. Zusatzprotokoll, wie oben erläutert;

• das angeborene Recht auf Leben der bei dem Vorfall getöteten palästinensischen Zivilpersonen, die in Verletzung von Art. 6 IPbpR willkürlich ihres Lebens beraubt worden sind.

702. Nach Auffassung der Kommission entbehren die von den israelischen Behörden gelieferten Darstellungen der Glaubwürdigkeit. Die Verwirrung über die tatsächlich getroffenen Objekte, die irrtümlichen Behauptungen darüber, wer und was genau getroffen wurde, woher das Feuer der bewaffneten Truppen kam, der Hinweis auf die Überwachung des Ereignisorts durch israelische Aufklärer, die aber nichtsdestotrotz nicht feststellen konnten, wo genau die Einschläge erfolgten, all das zusammengenommen ergibt entweder den Eindruck tiefer Verwirrung oder Verdunkelung.

703. Ungeachtet dessen, was der Wahrheit entspricht, ist die Kommission der Ansicht, dass der Einsatz von wenigstens vier Mörsergranaten, um eine kleine Gruppe bestimmter Individuen zu töten, in einer Umgebung, in der viele Zivilpersonen ihren täglichen Verrichtungen nachgingen und in der Nähe des Schutzraumes/Zufluchtsorts von 1.368 Menschen nicht den Bewährungstest besteht, welche Entscheidung ein vernünftiger Befehlshaber getroffen hätte hinsichtlich annehmbarer ziviler Todesopfer im Vergleich zu dem angestrebten militärischen Vorteil.


Angriff auf die Trauerzelte der Familie Abd al-Dayem

Ereignisse:

867. Am 4. Januar 2009 griffen die israelischen Streitkräfte einen Krankenwagen in Beit Lahia mit einer Flechettenrakete(2) an, als die Besatzung mehreren Verwundeten half, die bei einem früheren Angriff getroffen worden waren. Die beim ersten Angriff Verwundeten waren auch von einer Flechettenrakete getroffen worden. In Folge des Angriffs auf den Krankenwagen wurde einer der freiwilligen Rettungsassistenten, Arafa Abd al-Dayem, schwer verletzt. Er verstarb später am selben Nachmittag.

868. Tags darauf errichtete die Familie nach den gängigen Gebräuchen Trauerzelte, wo Freunde und Verwandte dem Verstorbenen die letzte Ehre erweisen und die trauernden Verwandten trösten konnten. Das Haus der Familie befindet sich in Izbat Beit Hanoun, einem bebauten Gebiet in der nordöstlichen Ecke des Gaza-Streifens. Es liegt zwischen Jabaliyah und Beit Hanoun, etwa drei Kilometer sowohl von der nördlichen als auch von der östlichen Grenze zu Israel entfernt. Obwohl die israelischen Streitkräfte zum Zeitpunkt des Vorfalls bereits in Gaza eingerückt waren, blieben sie in diesem Gebiet auf der israelischen Seite der sog. "Grünen Linie". Es wurden zwei Zelte errichtet - eines für die männlichen und eines für die weiblichen Trauergäste. Sie wurden in etwa 10 Metern Entfernung voneinander aufgestellt. Das Männerzelt befand sich außerhalb des Hauses von IK/11.

869. Die Zelte wurden innerhalb von zwei Stunden dreimal angegriffen, und zwar wieder mit Flechettenraketen.

870. Die Kommission sprach mit mehreren der Zeugen, die zu dem Zeitpunkt anwesend gewesen waren und die Angriffe auf die Trauerzelte überlebt hatten. Die Kommission nahm zur Kenntnis, wie stolz der Vater von Arafa Abd al-Dayem auf ihn war und welch tiefen Verlust dessen Tod für ihn darstellte.

871. Hinsichtlich der Angriffe auf die Trauerzelte gaben Zeugen an, dass gegen 7.30 Uhr am 5. Januar 2009 das Haus von IK/11 von einer Granate getroffen wurde. Die Granate traf das vierte Stockwerk des fünfstöckigen Gebäudes, was das Dach zum Einsturz brachte.(3) Drei Männer, die dort anwesend waren, darunter auch der Vater des Verstorbenen, wurden leicht verletzt und zur Behandlung ins Kamal Idwan-Krankenhaus in Beit Lahia gebracht. Gegen 8.15 Uhr kehrten sie zum Haus zurück. Dort beschlossen die Trauernden, die Trauerfeier aus Angst vor weiteren Angriffen zu beenden.

872. Der Zeuge sagte aus, dass gegen 8.30 Uhr, als man das Haus von IK/11 verließ und sich in Richtung des Trauerzelts der Frauen begab, zwei Flechettenraketen in einer Entfernung von wenigen Metern vom Zelt in einem zeitlichen Abstand von weniger als einer halben Minute einschlugen. Etwa 20 bis 30 dort anwesende Personen wurden verletzt. Zu den Verletzten gehörten ein 13-jähriger Junge, der an der rechten Kopfseite von einer Flechette verletzt wurde, und ein 33-jähriger Mann, der an der Brust und am Kopf verletzt wurde. Nach Angaben eines Zeugen, der dessen Leiche sah, als sie für die Beerdigung präpariert wurde, hatte er kleine Löcher am ganzen Körper.

Ein 22-jähriger Mann wurde am Bauch, an der Brust und am Kopf verletzt. Ein 16-jähriger Junge wurde am Kopf und am Hals verletzt. Ein 26-jähriger Mann wurde an der Brust, am Kopf und am linken Bein verletzt. Diese fünf Personen erlagen ihren Verletzungen. 17 weitere Personen, die am Ereignisort anwesend waren, darunter 14 Männer, zwei Kinder (17 und 11 Jahre als) und eine Frau wurden verletzt.

873. Im Körper von RA/14, der den Angriff überlebte, sind immer noch mehrere Flechetten eingebettet, insbesondere in der Brust. Ohne Schmerzen kann er sich nicht frei bewegen.

874. Zeugen beschrieben, wie ihr Verlustgefühl durch den Umstand verschärft wurde, dass sie keinen Zugang zu den Verletzten bzw. Toten in Krankenhäusern hatten, da die Bewegungsfreiheit wegen andauernden Beschusses in und um die Gegend eingeschränkt war. Nur zwei von den fünf Familien der Toten konnten die Beerdigung nach ihren traditionellen Gebräuchen und Praktiken durchführen.


Rechtliche Würdigung:

880. Der Einsatz von Flechetten ist nach dem humanitären Völkerrecht nicht unter allen Umständen verboten, aber auf Grund des Verhältnismäßigkeitsprinzips sowie der bei Angriffen erforderlichen Vorsichtsmaßnahme ist ihr Einsatz rechtswidrig. Flechetten sind 4 cm lange Metallpfeile. Sie gehören zur Kategorie der Antipersonenwaffen, die menschliche Knochen durchdringen und schwere, oft tödliche Verletzungen verursachen.(4) Sie werden von Panzergranaten oder von Raketen, die von Flugzeugen oder Drohnen abgeschossen werden, freigesetzt und in Salven abgeschossen und gehören somit zu den Antipersonen-Flächenwaffen. Deshalb sind sie schon ihrer Natur nach unterschiedslos.

881. Die Kommission stellt fest, dass während der Trauerfeier Flechett-Geschosse in die Nähe einer großen Gruppe von Zivilpersonen gefeuert wurden, wodurch fünf Zivilpersonen ums Leben kamen und 20 verletzt wurden. Damit der Angriff als willkürlich bezeichnet werden könnte, müsste es überhaupt ein militärisches Ziel geben, gegen das sich ein Angriff richten könnte. Der Kommission liegen keine Erkenntnisse vor, die eine derartige Annahme rechtfertigen könnten, und sie stellt fest, dass die israelischen Behörden zu diesen Vorfällen schweigen.

882. Die Kommission ist folglich der Ansicht, dass die an der Trauerfeier beteiligten Familien Zivilpersonen waren und sich nicht aktiv an Feindseligkeiten beteiligten. Die Angriffe auf das Trauerzelt am Morgen des 5. Januar 2009 waren gänzlich ungerechtfertigt und überflüssig. Diese Angriffe waren anscheinend dazu bestimmt, die Opfer direkt zu töten und zu verstümmeln und die Menschen in der Umgebung in Angst und Schrecken zu versetzen, statt irgendein legitimes militärisches Ziel zu verfolgen.

883. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass der Angriff auf die Trauerzelte der Familie Abd al-Dayem einen vorsätzlichen Angriff auf die Zivilbevölkerung und zivile Objekte, eine vorsätzliche Tötung und eine vorsätzliche Verursachung großer Leiden darstellt. Insbesondere ist die Kommission davon überzeugt, dass es für eine Konfliktpartei, die in gänzlich oder vorwiegend zivilen Gebieten Flechetteraketen einsetzt, durchaus vorhersehbar ist, welche schweren und unnötigen Leiden den betroffenen Zivilpersonen dadurch zugefügt werden.

884. Auf der Grundlage der ermittelten Tatsachen stellt die Kommission folglich fest, dass hier ein vorsätzlicher Angriff auf Zivilpersonen entgegen den Normen des Gewohnheitsvölkerrechts vorleigt. In Anbetracht des Charakters der eingesetzten Waffen ist sie der Ansicht, dass man mit den Angriffen nicht nur beabsichtigte, Zivilpersonen zu töten, sondern auch Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu sähen. (s. Art 51(2) des 1. Zusatzprotokolls)

885. Die Kommission stellt ebenfalls fest, dass es sich bei dem Angriff um eine schwere Verletzung von Art. 147 des 4. Genfer Abkommens, nämlich eine vorsätzliche Tötung und vorsätzliche Verursachung großer Leiden, handelt.


Vorsätzliche Angriffe auf Zivilpersonen

707. Das so genannte Al-Samouni-Viertel gehört zu Zeytoun, südlich von Gaza-Stadt und grenzt im Osten an die Al-Sikka-Straße, die in diesem Teil des Gaza-Streifens in sehr geringem Abstand parallel zur zur Salah ad-Din-Straße verläuft. Es wird von der Großfamilie al-Samouni bewohnt, nach der es auch benannt ist, aber auch von anderen Familien, so den Arafats und Hajjis. Das Viertel al-Samouni hat eher ländlichen als städtischen Charakter; üblicherweise grenzen an die Häuser kleine Oliven- und Feigenhaine, Hühnergehege und kleine Felder. Im Zentrum des Viertels stand die Moschee. Als die Kommission das Viertel im Juni 2009 besuchte, existierte das alte Al-Samouni-Viertel nicht mehr. Die Kommission traf nur noch vereinzelte Häuser und wenige Zelte an, inmitten vom Schutt von Häuserruinen und von Planierraupen platt gemachtem Ackerland(5)

708. Die israelische Bodenoffensive erreichte das Al-Samouni-Viertel am 4. Januar gegen 4.00 Uhr aus östlicher Richtung. Zusätzlich zu den aus dem Osten vorrückenden Bodentruppen landeten höchstwahrscheinlich Hubschrauber(6) auf den Dächern einiger Häuser in dem Gebiet und setzten Soldaten ab. Anwohner berichteten der Kommission, in der Nacht auf den 4. Januar 2009 und in der folgenden Nacht seien Schüsse zu hören gewesen, aber sie bestreiten, palästinensische Kämpfer gesehen zu haben.


1. Die Tötung von Ateya al-Samouni und seinem Sohn Ahmad:

709. Am Morgen des 4. Januar 2009 betraten israelische Soldaten viele der Häuser des Bezirks Al-Samouni. Unter den ersten war gegen 5.00 Uhr das Haus des 45-jährigen Ateya al-Samouni. Faraj, dessen 20-jähriger Sohn, hatte bereits vor wenigen Minuten israelische Soldaten getroffen, als er heraus trat, um seine Nachbarn zu alarmieren, dass ihr Dach brennt. Die Soldaten drangen mit Gewalt in das Haus von Ateya al-Samouni ein und warfen dabei eine Art Sprengsatz, möglicherweise eine Granate.(7) Inmitten des Rauches, des Feuers und des Lärms trat Ateya al-Samouni mit erhobenen Armen vor und erklärte, dass er der Eigentümer des Hauses sei. Die Soldaten erschossen ihn noch, als er seinen Ausweis und einen israelischen Führerschein in den Händen hielt. Dann eröffneten die Soldaten das Feuer im Zimmer, in dem sich alle etwa 20 Familienmitglieder versammelt hatten. Mehrere wurden verletzt; besonders schwere Verletzungen erlitt Ahmad, ein vierjähriger Junge. Soldaten mit Nachtsichtgeräten betraten das Zimmer und inspizierten alle Anwesenden gründlich. Die Soldaten zogen dann ins nächste Zimmer und steckten es in Brand. Der Rauch aus diesem Zimmer begann bald, die Familie zu ersticken. Ein Zeuge, der mit der Kommission sprach, erinnerte sich daran, dass er bei seinem 17 Monate alten Neffen ein "weißes Zeugs" aus dem Mund kommen sah und er ihm beim Atmen half.

710. Gegen 6.30 Uhr befahlen die Soldaten der Familie, das Haus zu verlassen. Sie mussten Ateyas Leiche zurücklassen, trugen aber den vierjährigen Ahmad, der noch atmete, mit. Die Familie versuchte, in das Haus eines Onkels nebenan hineinzugehen. Dies erlaubten die Soldaten ihnen jedoch nicht. Die Soldaten befahlen ihnen, auf die Straße zu gehen und die Gegend zu verlassen. Ein paar Meter weiter wurden sie jedoch von einer anderen Truppe von Soldaten angehalten, die ihnen befahl, sich ganz auszuziehen. Faraj al-Samouni, der den schwer verletzten Ahmad trug, flehte sie an, die Verletzten nach Gaza bringen zu dürfen. Die Soldaten sollen mit Beschimpfungen geantwortet haben. Sie sagten aus: "Ihr seid schlechte Araber." "Ihr geht nach Netzarim."

711. Faraj al-Samouni, dessen Mutter und die anderen betraten das Haus eines Onkels in der Gegend. Von dort aus riefen sie das PRCS(8). Wie weiter unten geschildert wird, gelang es gegen 16.00 Uhr einem PRCS-Krankenwagen, in die Nähe des Hauses, in dem Ahmad verwundet lag, zu gelangen. Es wurde jedoch von den israelischen Streitkräften verhindert, ihn zu retten. Ahmad verstarb gegen 2.00 Uhr in der Nacht des 4. auf den 5. Januar 2009.(9) Am folgenden Morgen entschlossen sich die im Haus anwesenden etwa 45 Personen, wegzugehen. Sie machten sich weiße Flaggen und gingen in Richtung Salah ad-Din-Straße. Eine Gruppe von Soldaten auf der Straße befahl ihnen, ins Haus zurückzukehren. Der Zeuge sagt jedoch, sie wären in Richtung Gaza weitergelaufen. Die Soldaten schossen auf ihre Füße, ohne jedoch irgendjemanden zu verletzen. Zwei Kilometer weiter, im Norden, auf der Salah ad-Din-Straße fanden sie Krankenwagen, die die Verletzten ins al-Shifa-Krankenhaus verbrachten.


2. Der Angriff auf das Haus von Wa'el al-Samouni

712. In anderen Fällen verschafften sich die Soldaten auf weniger gewaltsame Weise Zutritt, wie im Fall von Ateya al-Samounis Haus. Die Soldaten landeten auf dem Dach und stiegen die Treppen hinab bis zum Erdgeschoss, trennten die Männer von den Frauen, durchsuchten das Haus und legten den Männern Handschellen an.(10) In anderen Fällen brachen sie in eine Haus ein, indem sie mit einem Vorschlaghammer ein Loch in die Wand schlugen.(11) Bei Saleh al-Samouni klopften die israelischen Soldaten an die Haustür und befahlen den Leuten im Haus, sie zu öffnen. Die Personen traten eine nach der anderen heraus und Salehs Vater stellte den Soldaten auf Hebräisch alle Familienmitglieder vor. Nach Angaben von Saleh al-Samouni baten sie darum, nach Gaza-Stadt gehen zu dürfen, aber die Soldaten lehnten dies ab und befahlen ihnen stattdessen, zu Wa'el al-Samounis Haus auf der anderen Seite der Straße zu gehen.

713. Die israelischen Soldaten befahlen auch den Bewohnern anderer Häuser, sich zu Wa'el al Samounis Haus zu begeben. Folglich versammelten sich am 4. Januar mittags ungefähr hundert Mitglieder der Großfamilie al-Samouni, in ihrer Mehrheit Frauen und Kinder, in diesem Haus. Es gab kaum Wasser und keine Milch für die Säuglinge. Ungefähr um 17.00 Uhr am 4. Juni ging eine der Frauen hinaus, um Brennholz zu holen. Es gab etwas Mehl im Haus und sie bereitete Brot zu, ein Stück für jeden Anwesenden.

714. Am Morgen des 5. Januar 2009, zwischen 6.30 und 7.00 Uhr, verließen Wa'el al-Samouni, Saleh al-Samouni, Hamdi Maher al-Samouni, Muhammad Ibrahim al-Samouni und Iyad al-Samouni das Haus, um Brennholz zu sammeln. Rashad al-Samouni blieb in der Nähe der Haustür stehen. Saleh al-Samouni macht die Kommission darauf aufmerksam, dass die israelischen Soldaten von den Dächern der Häuser, wo sie Stellung bezogen hatten, eine klare Sicht auf die Männer hatten. Plötzlich schlug ein Geschoss neben den fünf Männern in der Nähe des Tors zu Wa'els Haus ein und tötete Mohammand Ibrahim al-Samouni und Hamdi Maher al-Samouni.(12) Den anderen Männern gelang es, wieder in das Innere des Hauses zu flüchten. Innerhalb von ca. fünf Minuten hatten zwei oder drei weitere Projektile das Haus direkt getroffen. Bei den öffentlichen Anhörungen berichtete Saleh und Wa'el al-Samouni, dass diese Raketen von Apache-Hubschraubern aus abgeschossen worden seien. Die eingesetzte Munitionsart konnte die Kommission nicht bestimmen.

715. Saleh al-Samouni sagte aus, dass beim Angriff auf Wa'el al-Saloumis Haus insgesamt 21 Familienmitglieder getötet und 19 verletzt worden seien. Unter den Toten waren Saleh al-Samounis Vater, Talal Helmi al-Saloumi, seine Mutter Rahma Muhammad al-Saloumi und seine zweijährige Tochter Azza. Drei seiner Söhne im Alter von fünf, drei und knapp einem Jahr (Mahmoud, Omar und Ahmad) wurden verletzt, überlebten jedoch. Von Wa'els nächsten Familienangehörigen wurde eine Tochter und ein Sohn (Rezqua, 14 und Fares, 12) getötet, während zwei kleinere Kinder (Abdullah und Mohammad) verletzt wurden.(13) Die Fotographien aller Toten wurden der Kommission im Haus der Familie al-Samouni vorgelegt und während der öffentlichen Anhörung in Gaza ausgestellt.

716. Nach dem Beschuss des Hauses von Wa'el al-Samouni entschlossen sich die meisten derjenigen, die noch im Haus waren, sofort aufzubrechen und nach Gaza-Stadt zu laufen, wobei sie die Toten und einige der Verwundeten zurücklassen mussten. Die Frauen machten Zeichen mit ihren Tüchern. Die Soldaten hingegen erteilten den al-Samounis den Befehl, ins Haus zurückzukehren. Als Familienmitglieder erwiderten, dass unter ihnen viele Verletzte seien, antworteten die Soldaten nach Angaben von Saleh al-Samouni: "Geht zurück in den Tod". Sie widersetzten sich dem Befehl der Soldaten und liefen stattdessen Richtung Gaza-Stadt. Sobald sie in Gaza waren, gingen sie zum PDCS und informierten ihn über Verwundeten, die zurückgeblieben waren.


3. Die Versuche des PRCS und IKRK(14)

717. Die PRCS (Palestine Red Crescent Society) unternahm am 4. Januar 2009 gegen 16.00 Uhr, nachdem sie den Notruf der Familie von Ateya al-Samouni erhalten hatte, den ersten Versuch, die Verwundeten aus dem Bezirk Al-Samouni zu evakuieren. Die PRCS hatte das IKRK angerufen mit der Bitte, die Begehung des Gebietes mit den israelischen Streitkräften zu koordinieren. Einem PRCS-Krankenwagen aus dem Al-Quds-Krankenhaus gelang es, den Bezirk Al-Samouni zu erreichen. Der Krankenwagen war von der Salah ad-Din-Straße nach Westen gefahren, als bei einem der ersten Häuser des Bezirks israelische Soldaten, die am Boden auf dem Dach eines der Häuser Stellung bezogen hatten, ihre Gewehre auf ihn richteten und ihn zum Anhalten aufforderten. Der Fahrer und die Krankenschwester erhielten den Befehl, das Auto zu verlassen, ihre Hände zu heben, ihre Kleider auszuziehen und sich auf den Boden zu legen. Anschließend durchsuchten israelische Soldaten sie und den Wagen ungefähr 5 bis 10 Minuten lang. Nachdem sie nichts gefunden hatten, erteilten die Soldaten dem Personal des Krankenwagens den Befehl, nach Gaza-Stadt zurückzukehren, trotz seiner Bitten, einige Verwundete bergen zu dürfen. Bei seiner Befragung durch die Kommission erinnert sich der Fahrer des Krankenwagens daran, Frauen und Kinder gesehen zu haben, die unter den Treppen eines Hauses kauerte, die er jedoch nicht mitnehmen durfte.(15)

718. Als die ersten Evakuierten der Familie al-Samouni am 5. Januar 2009 in Gaza-Stadt ankamen, stellten PRCS und IKRK bei den israelischen Streitkräften den Antrag, in den Bezirk Al-Samouni fahren und Verwundete evakuieren zu dürfen. Diese Anträge wurden abgelehnt. Trotz mangelnder Koordination mit den israelischen Streitkräften fuhren am 6. Januar 2009 gegen 18.45 Uhr ein IKRK-Wagen und vier PRCS-Krankenwagen in den Bezirk Al-Samouni; es wurde ihnen aber nicht erlaubt, in das Gebiet zu fahren und die Verwundeten zu evakuieren.

719. Erst am 7. Januar 2009 erlaubten die israelischen Streitkräfte dem IKRK und dem PRCS während einer "vorübergehenden Feuerpause", die am gleichen Tag von 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr ausgerufen worden war, in den Bezirk Al-Samouni zu fahren.(16) Drei PRCS-Krankenwagen, ein IKRK-Wagen und ein weiteres Auto, das zum Transport von Leichen eingesetzt wurde, fuhren die Salah ad-Din-Straße von Gaza-Stadt hinunter bis 1,5 km nördlich des Bezirks Al-Samouni, wo sie die Straße von Sandhügeln versperrt vorfanden. Das IKRK versuchte, sich mit den israelischen Streitkräften dahingehend zu verständigen, dass die Straße geöffnet würde, aber die Armee lehnte dies ab und forderte das Krankenwagenpersonal auf, die restlichen 1,5 km zu Fuß zu gehen.

720. Sobald sie im Bezirk Al-Samouni angekommen waren, suchten sie in den Häusern nach Überlebenden. Ein Krankenwagenfahrer, der Mitglied des Teams war, berichtete der Kommission, in Wa'el al-Saloumis Haus 15 Leichen und zwei schwer verletzte Kinder gefunden zu haben.(17) Eines der Kinder hatte eine tiefe Wunde in der Schulter, die infiziert war und einen fauligen Geruch verströmte. Die Kinder waren dehydriert und hatten Angst vor dem PRCS-Mitarbeiter. In einem Haus in der Nähe fanden sie in einem Raum 11 Menschen, darunter eine tote Frau.

721. Die Rettungsteams hatten lediglich drei Stunden Zeit, um die gesamte Operation durchzuführen. Die Evakuierten waren körperlich schwach und emotional sehr instabil. Die Straße war durch den Einschlag von Granaten und die Bewegungen der israelischen Streitkräfte mit ihren Panzern und Planierraupen beschädigt worden. Die Retter legten alle Alten auf eine Karre und zogen diese selbst 1,5 km bis zu dem Ort, an dem man sie zum Verlassen der Krankenwagen gezwungen hatte. Die Leichen auf der Straße und unter den Trümmern, darunter Frauen und Kinder, ebenso, wie die Toten, die in den Häusern gefunden worden waren, mussten zurück gelassen werden. Auf dem Weg zurück zu den Wagen betraten PRCS-Mitarbeiter ein Haus, in dem sie einen Mann fanden, dessen beide Beine gebrochen waren. Während sie den Mann aus dem Haus trugen, begannen die israelischen Streitkräfte damit, das Haus unter Beschuss zu nehmen, vermutlich als Warnung, dass die dreistündieg "Vorübergehende Feuerpause" sich ihrem Ende näherte. Die PRCS konnte erst wieder am 18. Januar 2009 in das Gebiet zurückkehren.

722. Am 18. Januar 2009 konnten Mitglieder der Familie al-Samouni endlich wieder in ihr Wohngebiet zurückkehren. Wa'el al-Samounis Haus fanden sie, wie die meisten Häuser der Nachbarschaft und die kleine Moschee, demoliert vor. Die israelischen Streitkräfte hatten das Gebäude über den Leichen der während des Angriffs Gestorbenen zerstört. Fotografien, die am 18. Januar gemacht wurden, zeigen aus den Trümmern und dem Sand herausragende Füße und Beine, sowie die Retter, die Leichen von Frauen, Männern und Kindern herauszogen. Ein Zeuge schilderte den Mitgliedern der Kommission, wie Familienmitglieder die Leichen auf Pferdekarren wegschafften, wie ein junger Mann im Schockzustand neben den Ruinen seines Hauses saß, und vor allem den alles durchdringenden Geruch des Todes.(18)

734. Auf Grund der ihr vorliegenden Erkenntnisse kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die israelischen Streitkräfte vorsätzlich die Evakuierung der Verwundeten aus dem Bezirk Al-Samouni verhinderten, wobei sie mindestens ein zusätzliches Todesopfer, die Verschlimmerung der Verletzungen anderer Opfer sowie schwerwiegenden psychische Traumata einiger der Opfer, vor allem der Kinder, verursachten.

735. Diese Feststellungen werden von der Presseerklärung des IKRK vom 8. Januar 2009 bestätigt.

Seit dem 3. Januar 2009 bat das IKRK um sichere Durchfahrt in diese Gegend (den Bezirk Al-Samouni in Zeytoun) für seine Krankenwagen, aber erst am Nachmittag des 7. Januar erhielt es eine Durchfahrtserlaubnis von den israelischen Streitkräften.

Das IKRK/PRCS-Team fand in einem der Häuser vier kleine Kinder neben ihren toten Müttern. Sie waren zu schwach, um ohne Hilfe aufzustehen. Es wurde ebenfalls ein Mann gefunden, der zu schwach war, sich zu erheben. Insgesamt lagen 12 Leichen auf Matratzen.

In einem anderen Haus fand das IKRK/PRCS-Rettungsteam 15 weitere Überlebende dieses Angriffs, darunter einige Verwundete. In einem weiteren Haus fanden die Retter weitere drei Leichen. Israelische Soldaten von einem Militärposten in ungefähr 80 Meter Entfernung befahlen dem Rettungsteam, das Gebiet zu verlassen, was das Team ablehnte. In der Nähe befanden sich mehrere weitere Stellungen der israelischen Streitkräfte sowie zwei Panzer.(19)


Tötungen von Zivilpersonen

1. Die Erschießung von Iyad al-Samouni

736. Vor der Kommission sagten Asaad al-Samouni und Fawzi Arafat sowie Mitglieder des PRCS-Teams über den Tod von Iyad al-Samouni aus. In der Nacht vom 3. auf den 4. Januar 2009 waren Iyad al-Samouni, seine Frau und seine fünf Kinder mit ungefähr 40 anderen Mitgliedern seiner Familie in Assaad al-Samounis Haus, in der Nähe der Häuser von Wa'el al-Samouni und Ateya al-Samouni (Standort der oben geschilderten Vorfälle). Am 4. Januar 2009 um 1.00 Uhr hörten sie ein Geräusch auf ihrem Dach. Gegen 5.00 Uhr stiegen israelische Soldaten die Treppen vom Dach hinab, klopften an der Tür und betraten das Haus. Sie fragten nach Kämpfern der Hamas. Die Bewohner erwiderten, dass es keine gäbe. Die Soldaten trennten die Frauen, Kinder und die Älteren von den Männern. Man zwang die Männer, in einen getrennten Raum zu gehen, legte ihnen Augenbinden und Plastikhandschellen an. Sie durften erst auf Toilette gehen, nachdem einer der Männer uriniert und sich selbst beschmutzt hatte. Die Soldaten bezogen Stellung im Haus.

737. Am Morgen des 5. Januar 2009, nach dem Beschuss von Wa'el al-Samounis Haus, flüchteten zwei Überlebende ins Haus von Asaad al-Samouni. Auf Grund der vorliegenden Aussagen kann die Kommission nicht feststellen, ob die israelischen Soldaten den Mitgliedern der Familie al-Samouni den Befehl erteilten, das Haus zu verlassen und nach Gaza-Stadt zu laufen, oder ob es die Familien selbst waren, die um die Erlaubnis selbst baten, wegzugehen, nachdem sie die erschreckenden Neuigkeiten darüber, was ihren verwandten in Wa'el al-Saloumis Haus widerfahren war, erfahren hatten. Auf jeden Fall machten die Personen, die sich im Haus von Assad al-Samouni versammelt hatten, auf den Weg, verließen das Haus und gingen die al-Samouni-Straße entlang, um auf der Salah ad-Din-Straße in Richtung Gaza-Stadt zu laufen. Die Soldaten hatten sie angewiesen, direkt nach Gaza zu laufen ohne anzuhalten oder Umwege zu machen. Die Männer trugen noch immer Handschellen und die Soldaten erzählten ihnen, dass man sie erschießen würde, wenn sie versuchten, die Handschellen zu entfernen.

738. Auf der Salah al-Din-Straße, einige Meter nördlich der al-Samouni-Straße und vor dem Haus der Familie Juha eröffneten ein einzelner oder mehrere der israelischen Soldaten, die auf den Dächern der Häuser Stellung bezogen hatten, das Feuer. Iyad wurde in das Bein getroffen und fiel zu Boden.(20)

Muhammad Asaad al-Samouni, der unmittelbar hinter ihm lief, machte Anstalten, ihm zu helfen, aber ein israelischer Soldat auf einem Dach befahl ihm, weiter zu laufen. Als er den roten Punkt des Laserrichtstrahls auf seinem Körper sah und begriffen hatte, dass der israelische Soldat ihn ins Visier genommen hatte, gab er sein Hilfeersuchen auf. Der israelische Soldat feuerte Warnschüsse auf Muhammad Assad al-Samounis Vater, um ihn daran zu hindern, Iyad zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Iyad al-Samounis Frau und Kinder wurden durch weitere Warnschüsse daran gehindert, ihm zu Hilfe zu kommen. Fawzi Arafat, der in einer anderen Gruppe lief auf dem Weg vom Bezirk Al-Samouni nach Gaza-Stadt, berichtete der Kommission, dass er Iyad al-Samouni am Boden liegen gesehen habe, die Hände mit weißen Plastikhandschellen gefesselt, während Blut aus der Wunde an seinem Bein geschossen war und er um Hilfe gebettelt habe. Fawzi al-Samouni sagte aus, dass er zu einem israelischen Soldaten geschrieen habe: "Wir wollen den verletzten Mann bergen!". Der Soldat jedoch richtete sein Gewehr auf Iyads Frau und seine Kinder und befahl ihnen, ohne ihn weiterzugehen.

739. Iyad al-Samounis Familie und seine Verwandten wurden gezwungen, ihn zu verlassen und ihren Weg nach Gaza-Stadt fortzusetzen. Am al-Shifa-Krankenhaus berichteten sie über diesen Fall und auch über die anderen Toten und Verwundeten, die zurückgelassen worden waren. Vertreter des PCRS berichteten ihnen, dass die israelischen Streitkräfte ihnen den Zutritt in das Gebiet verweigerten.

740. Ein PRCS-Mitarbeiter(21) berichtete der Kommission, dass drei Tage später, am 8. Januar 2009, dem PRCS von den israelischen Streitkräften über das IKRK erlaubt worden sei, Iyad al-Samouni zu evakuieren. Der PRCS-Mitarbeiter fand ihn auf dem Boden liegend in der Salah al-Din-Straße an dem von seinen Verwandten beschriebenen Ort. Er trug noch immer Handschellen. Ihm war in beide Beine geschossen worden und er war verblutet.


2. Sachverhalt

741. Die Kommission erachtet die zur Erschießung von Iyad al-Samouni gehörten Zeugen als glaubwürdig und zuverlässig. Es besteht kein Grund, die Richtigkeit der wichtigsten Bestandteile ihrer Aussagen zu bezweifeln, wie dies auch von Fahrern des PRCS-Krankenwagens bestätigt wird.

742. Die Kommission betrachtet Iyad al-Samouni als Teil einer Gruppe von Zivilpersonen, die ihre Häuser verließen und nach Gaza-Stadt liefen, einer Gegend, die unter der vollen Kontrolle der israelischen Armee stand. Seine Hände waren mit weißen Plastik-Handschellen gefesselt. Die Soldaten, die das Feuer auf ihn eröffnet hatten, hätten wegen der Plastikhandschellen, aber auch durch Rücksprache mit ihren Kameraden, die in Assad al-Samounis Haus einige Hundert Meter entfernt stationiert waren, wissen müssen, dass er durchsucht und von den israelischen Streitkräften festgenommen worden war. Indem sie das Feuer auf Iyad al-Samouni eröffneten, haben die israelischen Streitkräfte vorsätzlich auf eine Zivilperson geschossen, die für sie keine Gefahr darstellte.

743. Obwohl die Möglichkeit besteht, dass die Schüsse auf Iyad al-Saloumi ihn nicht töten, sondern lediglich kampfunfähig machen sollten, haben die israelischen Streitkräfte dafür gesorgt, dass er keine lebensrettende ärztliche Versorgung erhalten konnte, indem sie seinen Angehörigen und Freunden mit der Erschießung drohten. Sie ließen ihn vorsätzlich verbluten.

744. Die Kommission stellt fest, dass die Zeugen, die über den Tod von Iyad al-Saloumi berichteten, offenbar zutiefst traumatisiert waren durch die Erinnerung daran, wie er seine Frau, seinen Kinder, seine Verwandten um Hilfe anflehte. Sie erinnerten sich auch an die Hilflosigkeit der Familie, denen selbst die Gefahr einer Erschießung drohte, sollten sie ihm zu Hilfe eilen, und die sich gezwungen sahen, ihn zum Verbluten auf der Straße zurückzulassen.


Die Erschießung von Amal, Souad, Samar und Hajja Souad Abd Rabbo

772. Am späten Morgen des 7. Januar 2009 fuhren die israelischen Panzer auf eine kleine landwirtschaftliche Fläche vor dem Haus. Kurz nach 12.30 Uhr hörten die Anwohner dieses Teils von Izbat Abd Rabbo Durchsagen über Megaphon, in denen alle Bewohner zum Weggehen aufgefordert wurden. Ein Zeuge erinnert sich, dass gegen 12.30 Uhr von den israelischen Streitkräften auch im Radio eine Durchsage gesendet wurde, in der angekündigt wurde, dass es eine zeitweise Einstellung des Feuers zwischen 13.00 und 16.00 Uhr an diesem Tag gäbe und die Bewohner des Gebietes aufgefordert wurden, in das Zentrum von Jabaliyah zu gehen.

773. Gegen 12.50 Uhr treten Khalil Abd Rabbo, seine Frau Kawthar, ihre drei Töchter Souad (9 Jahre), Samar (5 Jahre) und Amal (3 Jahre) und seine Mutter, Hajja Souad Abd Rabbo aus dem Haus. Jeder von ihnen trug eine weiße Flagge. Weniger als 10 Meter von der Tür entfernt stand ein Panzer in Richtung ihres Hauses. Zwei Soldaten saßen auf dem Panzer und nahmen eine kleine Malzeit ein (nach Angaben eines der Zeugen aß einer Pommes, der andere Schokolade). Die Familie blieb stehen und wartete Befehle von den Soldaten ab, um zu erfahren, was zu tun war. Aber es erging kein Befehl. Ohne Warnung begann ein dritter Soldat, der aus dem hinteren Bereich des Panzers auftauchte, damit, auf die drei Mädchen zu schießen und anschließend auch auf ihre Großmutter. Mehrere Kugeln trafen Souad in die Brust, Amal in den Bauch und Samal in den Rücken. Hajja Souad wurde in ihrem unteren Rückenbereich und in ihren linken Arm getroffen.

774. Khalid und Kawthar Abd Rabbo trugen ihre drei Töchter und ihre Mutter in das Haus hinein. Sie und die Familienmitglieder, die im Haus geblieben waren, versuchten, per Mobiltelefon Hilfe anzufordern. Überdies schrieen sie um Hilfe und ein Nachbar, Sameeh Atwa Rasheedd al-Sheikh, der Krankenwagenfahrer war und seinen Krankenwagen neben seinem Haus geparkt hatte, entschied sich, ihnen zu Hilfe zu kommen. Er zog seine Krankenwagenfahrer-Uniform an und bat seinen Sohn, eine fluoreszierende Jacke anzuziehen. Sie fuhren einige Meter von ihrem Haus zur unmittelbaren Nähe des Abd Rabbo Hauses, als israelische Soldaten in der Nähe des Abd Rabbo Hauses sie aufforderten, zu halten und den Wagen zu verlassen. Sameeh al-Sheikh protestierte, dass er Hilferufe von der Familie Abd Rabbo gehört habe und die Verletzten ins Krankenhaus bringen wolle. Die Soldaten befahlen ihm und seinem Sohn, sich auszuziehen und sich dann wieder anzuziehen. Dann erteilten sie ihnen den Befehl, den Krankenwagen zurückzulassen und nach Jabaliyah zu laufen, was sie auch taten. Als die Familien am 18. Januar nach Izbat Abd Rabbo zurückkehrten, fanden sie den Krankenwagen wieder, der jedoch - vermutlich von einem Panzer - zermalmt worden war.

775. Im Inneren des Abd Rabbo Hauses erlagen Amal und Souad ihren Verletzungen. Die Familie entschied, dass sie versuchen müssen, nach Jabaliyah zu laufen um Samar, die Leichen von Amal und Souad, und ihre Großmutter in ein Krankenhaus zu bringen. Khaled und Kawthar Abd Rabbo und andere Familienmitglieder und Nachbarn trugen die Mädchen auf ihren Schultern. Hajja Souad wurde von ihrer Familie und Nachbarn auf einem Bett getragen.

Samar wurde zum al-Shifa-Krankenhaus überwiesen und dann über Ägypten nach Belgien, wo sie immer noch im Krankenhaus liegt. Nach Angaben ihrer Eltern leidet Samar an einer Rückenmarksverletzung und wird für den Rest ihres Lebens querschnittsgelähmt bleiben.


Der Fall der Familie Abu Halima

791. Nachmittags, nachdem sie gehört hatten, wie eine Granate das benachbarte Haus des Schwagers von Sabah Abu Halima traf, zog die Familie vom Schlafzimmer in die Eingangshalle im mittleren Stockwerk um, in der sie sich sicherer wähnte. Gegen 16.30 Uhr durchschlug ein Phosphorkanister die Decke des Zimmers, in dem sie Schutz suchten.

792. Den überlebenden Familienmitgliedern(22) zufolge brannte es lichterloh und es gab dichte weiße Rauchschwaden im Raum, die Wände sollen rot geglüht haben. Fünf Familienmitglieder starben unmittelbar nach dem Angriff: Muhammad Sa#ad Abu Halima (45 Jahre), seine Söhne Abd al-Rahim Sa#ad (14 Jahre), Zaid (12 Jahre) und Hamza (8 Jahre) und seine Tochter Shahid (18 Monate). Muhammad Sa#ad und Abd al-Rahim Sa'ad wurden enthauptet, die anderen verbrannten zu Tode. Fünf Mitglieder der Familie flohen und erlitten Verbrennungen verschiedener Grade: Sabah Abu Halima, ihre Söhne Youssel (16 Jahre) und Ali (4 Jahre), die Schwägerin Ghada (21 Jahre) und Ghadas Tochter Farah (2 Jahre).(23)

793. Familienmitglieder versuchten, einen Krankenwagen zu rufen, aber die israelischen Streitkräfte hatten das Gebiet zum militärischen Sperrgebiet erklärt und Krankenwagen war die Zufahrt nicht erlaubt. Zwei Cousins legten Sabah Abu Halima in den hinteren Teil eines Sattelschleppers und fuhren sie in das Kamal Idwan-Krankenhaus in Beit Lahia. Der Fahrer berichtete, dass er das Krankenhaus erreicht habe, obwohl er unter Beschuss von israelischen Soldaten geraten sei, die in der Omar Bin Khattab-Mädchenschule an der Straße nach Al-Atatra Stellung bezogen hätten.(24) Ein Cousin blieb bei Sabah Abu Halima, während die anderen zurückkehrten, um dem Rest der Familie zu Hilfe zu kommen.

794. Die übrigen Überlebenden und die Verwundeten wurden auf einen zweiten Sattelschlepper gelegt, um sie zum Kamal Idwan-Krankenhaus zu bringen. Die Überreste von Shahid Abu Halima wurden ebenfalls transportiert. Der Sattelschlepper wurde von einem Cousin, Muhammad Hekmat Abu Halima (16 Jahre) gefahren. Ein anderer Cousin, Matar Abu Halima (17 Jahre), sein Bruder Ali (11 Jahre) und seine Mutter, Nabila, begleiteten sie.

795. Als sie die Kreuzung in der Nähe der Omar Bin Khattab-Schule in al-Atrata erreichten, wurden sie von israelischen Soldaten, die etwa 10 Meter entfernt auf den Dächern der nahe liegenden Häuser Stellung bezogen hatten, zum Anhalten aufgefordert. Muhammad Hekmat, Matar, Ali und Nabila stiegen ab und stellten sich neben den Sattelschlepper. Einer oder mehrere Soldaten eröffneten das Feuer und trafen Hekmat Abu Halima in der Brust und Matar Abu Halima in den Bauch.(25) Beide erlagen ihren Verletzungen. Ali, Omar und Nabila Abu Halima flohen. Omar wurde in den Arm geschossen, aber letzten Endes erreichten sie das Kamal Idwan-Krankenhaus.

796. Die verbleibenden Familienmitglieder erhielten den Befehl, den Sattelschlepper zu verlassen und zu Fuß zu gehen. Die Leichen der beiden toten Jungen und die Überreste von Sahid Abu Halima, die erst vier Tage später, am 8. Januar geborgen wurden, durften sie nicht mitnehmen. Ghada Abu Halima, die an 45 Prozent ihrer Körperoberfläche Verbrennung erlitt, hatte große Schwierigkeiten, zu laufen. Nach ungefähr 500 Metern nahm ein Autofahrer einige Mitglieder der Familie auf, darunter Ghada und Farah, und brachte sie zum al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt.


Rechtliche Würdigung der von der Kommission untersuchten Vorfälle

809. Nach den auf diese Vorfälle anwendbaren Grundprinzipien, die zu den tragenden Säulen sowohl des vertraglichen Völkerrechts als auch des Gewohnheitsvölkerrechts zählen, "unterscheiden die am Konflikt beteiligten Parteien jederzeit zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten"(26), und "weder die Zvilbevölkerung als solche noch einzlene Zivilpersonen dürfen das Ziel von Angriffen sein"(27). Das Unterscheidungsprinzip bezeichnet die israelische Regierung als "erstes Kernprinzip des Kriegsrechts". Ferner, so die Regierung, fand "der Wert, den die IDF(28) auf die Einhaltung des Kriegsrechts legt, auch direkten Eingang in die Einsatzregeln für den Gaza-Einsatz". Darin soll das Unterscheidungsprinzip wie folgt formuliert worden sein: "Angriffe haben sich ausschließlich gegen militärische Ziele und Kombattanten zu richten. Vorsätzliche Angriffe (anders als zufällige, verhältnismäßige Schäden und Verletzungen) auf Zivilpersonen und zivile Objekte sind strengstens verboten."(29)

810. Eine Überprüfung der oben geschilderten Vorfälle durch die Kommission hat ergeben, dass die israelischen Streitkräfte Zivilpersonen in jedem Fall vorsätzlich und direkt angriffen. Einzige Ausnahme ist der Beschuss des Hauses der Familie Abu Halima, denn in diesem Fall reichen die der Kommission vorliegenden Erkenntnisse über die seinerzeit herrschende militärische Lage nicht aus, um hierzu eine Feststellung zu treffen.

811. Auf der Grundlage des Sachverhalts, den sie feststellen konnte, hatten die israelischen Streitkräfte in keinem der überprüften Fälle hinreichenden Grund zu der Annahme, die angegriffenen Zivilpersonen wären unmittelbar an den Feindseligkeiten beteiligt und könnten folglich keinen Schutz vor direkten Angriffen mehr beanspruchen.(30)

812. Somit stellt die Kommission fest, das die israelischen Streitkräfte das auch im Art. 51(2) des 1. Zusatzprotokolls verankerte gewohnheitsvölkerrechtliche Verbot, die Zivilbevölkerung als solche zum Ziel von Angriffen zu machen, verletzt haben. Diese Feststellung trifft auf die Angriffe auf die Häuser von Ateya und Wa'el al-Samouni, die Erschießung von Iyad al-Samouni, von Shahd Hajji und Ola Masood Arafat, von Ibrahim Juha, von Rayya und Majda Hajaj, von Amal, Souad, Samar und Hajja Souad Abd Rabbo, von Rouhi-yah al-Najjar und von Muhammad Hekmat Abu Halima und Matar Abu Halima zu. Bei diesen Vorfällen kamen 34 palästinensische Zivilpersonen durch vorsätzlich auf sie gerichtetes israelisches Feuer ums Leben. Zahlreiche andere wurden verletzt; manche wurden sehr schwer und mit bleibenden Folgen verletzt.

813. Es ist nicht nur verboten, Zivilpersonen zum Ziel von Angriffen zu machen; sie haben außerdem "unter allen Umständen Anspruch auf Achtung ihrer Person ... und (sind) insbesondere vor Gewalttätigkeit oder Einschüchterung" geschützt (Art. 27 des 4. Genfer Abkommen). Zu den im Artikel 75 des 1. Zusatzprotokolls festgelegten grundlegenden Garantien gehört das "jederzeit und überall" geltende absolute Verbot von "Angriffen auf das Leben, die Gesundheit oder das körperliche oder geistige Wohlbefinden von Personen". Aus den vorgebrachten Tatsachen geht hervor, dass diese Bestimmungen verletzt worden sind.

814. Diese von seinen beauftragten begangenen völkerrechtslich verbotenen Handlungen hätte der Staat Israel völkerrechtlich zu vertreten.


Zerstörung wirtschaftlicher und infrastruktureller Ziele(31)

Die Zerstörung der Sawafeary-Hühnerfarmen

943. Sameh Sawafeary ist Hühnerzüchter. Seine Familie ist seit Jahren in der Eierproduktion tätig. Er sagt aus, dass ihm, seinen Brüdern und seinen Kindern in Zeytoun per Dezember 2008 elf Hühnerfarmen gehören. In diesen Farmen waren mehr als 100.000 Hühner untergebracht.


Sachverhalt

956. Die systematische Zerstörung und die vielen Tötungen von Zivilpersonen lassen Vorbedacht und detaillierte Planung vermuten. Selbst im Rahmen eines Einsatzes, bei dem viele schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen wurden, sind die Ereignisse zu diesem Zeitpunkt in Zeytoun auffällig.

957. Die Kommission stellt fest, dass die Zerstörung des Ackerlandes und der Höfe in der Gegend durch kein militärisches Ziel gerechtfertigt war. Die dort angekommenen israelischen Soldaten ergriffen binnen weniger Stunden die Kontrolle über die Gegend. Dort verblieben sie bis zum 18. Januar. Die Zerstörung des Ackerlandes war zur Fortbewegung der Panzer oder des Materials oder zur Gewinnung irgend eines Sichtvorteils nicht erforderlich.

958. Eine Untersuchung des Ortes des Geschehens ergibt, dass die Gegend relativ dünn besiedelt ist. Die Vermutung, dass man bei der Zerstörung der Sawafeary-Farmen irgendein militärisches Ziel verfolgt haben könnte, weist die Kommission zurück.

959. Offenbar wurde die Zerstörung der Farmen willkürlich vorgenommen und war nicht durch militärische Erfordernisse geboten. Nicht nur die Ställe mit den Hühnern, sondern auch die ganze Fabrik und sämtliche Maschinen der Farmen wurden zerstört.

960. Aus den ermittelten Tatsachen stellt die Kommission fest, dass die Sawafeary-Hühnerfarmen, die 31.000 Hühner und die für den Betrieb erforderlichen Einrichtungen und Materialien systematisch und vorsätzlich zerstört wurden und dass dies eine durch keinerlei militärisches Erfordernis gerechtfertigte, willkürlich vorgenommene Zerstörung darstellt.


Bestätigung der Tatsachenfeststellung der Kommission und des breit angelegten Charakters der Hauszerstörungen

1000. Die Aussagen israelischer Soldaten, die während der Kriegshandlungen in Gaza im Einsatz waren, bestätigen das, was die Kommission selbst in Augenschein genommen und von den befragten Zeugen erfahren hat. Mehrere der von "Breaking the Silence" befragten Soldaten sprachen vom beispiellosen Ausmaß der Hauszerstörungen und von "vorsätzlicher, systematischer Zerstörung"(32).


Rechtliche Würdigung

1005. Auf Grund der ermittelten Tatsachen stellt die Kommission fest, dass die Häuser der Familien von Saleh Hajaj, Wa'er al-Samouni, Khalid Abd Rabbo und Muhammad Foud Abu Askar trotz ihres unverwechselbar zivilen Charakters direkt angegriffen wurden. Sie stellten keine erkennbare Bedrohung für die israelischen Streitkräfte dar. Diese Angriffe stellten eine Verletzung des im Art. 52 des 1. Zusatzprotokolls verankerten gewohnheitsvölkerrechtlichen Unterscheidungsprinzips dar.

1006. In Anbetracht der Erkenntnisse, die sie aus den Aussagen der Soldaten und dem UNOSAT-Bericht gewonnen hat, stellt die Kommission fest, dass das Verhalten der israelischen Streitkräfte in diesen Fällen den Tatbestand der schweren Vertragsverletzung der "Zerstörung ­... von Eigentum, die durch militärische Erfordernisse nicht gerechtfertigt (ist) und in großem Ausmaß rechtswidrig und willkürlich vorgenommen (wird)" nach Art 174 des 4. Genfer Abkommens verwirklicht hat.

1007. Nach Art. 11 IPwskR33 sind Vertragsstaaten verpflichtet, "das Recht eines jeden auf einen hinreichenden Lebensstandard für sich und seine Familie, insbesondere ... auf hinreichenden Wohnraum" anzuerkennen. Auf Grund der ermittelten Tatsachen stellt die Kommission fest, dass die israelischen Streitkräfte das Recht der betroffenen Familien auf hinreichenden Wohnraum verletzt haben.


Weiträumige Zerstörung wirtschaftlicher und infrastruktureller Ziele

1008. Die Kommission befragte Herrn Amr Hamad, Stellvertretenden Generalsekretär des Palestinian Federation of Industries (Palästinensischer Industrieverband) bei drei verschiedenen Gelegenheiten.

1009. Herr Amr Hamad wies darauf hin, dass 324 Fabriken währende der israelischen Kriegshandlungen zerstört worden seien, wodurch 40.000 Arbeitsplätze vernichtet würden. In seinem detaillierten schriftlichen Bericht über die Auswirkungen der israelischen Kriegshandlungen merkt der Palestinian Federation of Industries an, dass 200 Geschäfte und Fabriken in Gaza-Stadt zerstört wurden, sowie 101 in Nord-Gaza und 20 in Süd-Gaza. Von den insgesamt 324 beschädigten Einrichtungen standen fast 30% mit der Metallindustrie und dem Ingenieurwesen, mehr als 20% mit dem Baugewerbe und 16% mit der Möbelbranche in Verbindung. Auch die Sektoren Aluminium, Nahrungsmittel, Textilien, Chemikalien und Kosmetik, Kunststoff, Gummi sowie das Handwerk wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen. Nach Angaben des Industrieverbandes wurde mehr als die Hälfte vollständig zerstört.

1010. Der Industrieverband betonte: "Die wichtigsten Industrien des Gaza-Streifens, und diejenigen, die die größten Investitionen benötigen, wurden am schwersten getroffen."(34) Elf der 324 von den israelischen Streitkräften angegriffenen Einrichtungen standen mit der Nahrungsmittelindustrie in Verbindung, und die erlittenen Verluste beliefen sich auf etwa 37 Mio USD, d.h. mehr als ein Drittel der Verluste des industriellen Sektors. Obwohl 69 der 324 Angriffe dem Baugewerbe galten, stellten die Schäden nur 30% des Gesamtschadens. Im Bericht wird angemerkt, dass die Mehrheit der durch die Angriffe auf die 324 Einrichtungen verursachten Schäden Maschinenkosten (50%) betraf, wobei nur ein Viertel des Gesamtschadens die Gebäude selbst betrifft.


Zerstörung der Wasseranlagen

1022. Letztlich analysierte die Kommission eine begrenzte Anzahl Fälle, die die Wasserversorgung und -aufbereitung betreffen. Die Angriffe auf die al-Sheikh-Ejlin-Anlage und die Namar-Wasserbrunnen sind bereits einigermaßen ausführlich geschildert worden. Die Kommission unterhielt sich auch länger mit Herrn Munther Shublaq, der für die Erstellung des CMWU-Schadensfeststellungberichts (Damage Assessment Report) zuständig war. In dem Bericht wird darauf hingewiesen, dass offenbar Wasseranlagen jeder Art in gewissen Maße beschädigt wurden, merkt jedoch an, dass in manchen Bezirken, v.a. Beit Lahia, Jabaliyah, Beit Hanoun, einem Teil von Zeytoun, südlich von Rafah, und in den östlichen Dörfern Gebäude, Wasserversorgungs- und Abwasserinfrastruktur und andere Einrichtungen vollständig zerstört worden sind. "Diese Gebiete benötigen eine vollständige Wasserversorgungs- und Abwasserinfrastruktur. Hierzu könnte es erforderlich sein, die Netze umzugestalten, um der neuen Bevölkerung in der Gegend Rechung zu tragen."(35)

1023. Herr Munther Shublaq bemerkte dass, obwohl mehrere Brunnen getroffen worden waren, die Schäden an den Klärwerken und Abwasserleitungen die schlimmsten Auswirkungen gehabt haben. Die Kommission hörte verschiedene Berichte, aus denen hervorging, dass die Angriffe auf Wasseranlagen, Rohrleitungen, Brunnen und Tanks die Kanalisation und die Wasserversorgung schwer in Mitleidenschaft gezogen haben.

1024. Die palästinensische Autonomiebehörde behauptete, dass 5.708 dachmontierte Wassertanks zerstört worden seien. Wie viele davon sich auf den Dächern der 4.036 Häuser befunden hatten, die nach Angaben der palästinensischen Autonomiebehörde zerstört wurden, ist jedoch unklar.

1025. Die Kommission stellt fest, dass kein militärisches Ziel in Betracht kommt, das die gezielten Angriffe auf Wasseranlagen rechtfertigen könnte.


Schlussfolgerungen

1026. Aus den von der Kommission ermittelten Tatsachen geht hervor, dass die gezielten Angriffe auf Industriebetriebe und Wasseranlagen zuM einer vorsätzlichen und systematischen Strategie seitens der israelischen Streitkräfte gehörten. In verschiedenen Aussagen gegenüber "Breaking the Silence" beschrieben israelische Soldaten ausführlich, wie man das, was einmal verharmlosend als "Infrastrukturarbeit" bezeichnet wurde, durchführte. Es wird ausführlich vom Einsatz von Planierraupen als Mittel systematischer Zerstörung berichtet. Die Aussagen die Zeugen gegenüber der Kommission machten, werden von den Aussagen der Soldaten sehr ausführlich bestätigt.(36)

1027. Die Kommission verweist auf das 17. Kapitel, in dem festgestellt wurde, dass die systematische Zerstörung der Nahrungsmittelproduktion, der Wasserversorgung und des Baugewerbes Teil der allgemeinen Strategie der unverhältnismäßigen Zerstörung eines Großteils der Gazaer Infrastruktur war.


Allgemeine rechtliche Würdigung

1028. In Bezug auf die oben geschilderten Vorfälle hat die Kommission detaillierte Feststellungen getroffen. In Anbetracht des Charakters der systematischen Angriffe auf die Nahrungsmittelindustrie, die Wasserversorgung und die Infrastruktur in Gaza während der Kriegshandlungen erachtet es die Kommission als wichtig, auch die Frage der staatlichen Verantwortung und die Haftung Israels für die begangenen Völkerrechtsverletzungen hervorzuheben.

1029. Obwohl die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand im Recht der staatlichen Verantwortung strittig sind, ist die Kommission in allen oben geschilderten Fällen zu dem Schluss gekommen, dass sowohl die Tathandlung als auch der eingetretene Taterfolg beabsichtigt waren.

1030. Was seine Handlungen während der Kriegshandlungen betrifft, hatte Israel verschiedene Pflichten. Zu diesen gehörte die in Artikel 52 des 1. Zusatzprotokolls verankerte allgemeine Pflicht, dafür zu sorgen, dass zivile Objekte nicht zum Angriffsziel werden und den Schutz der für die Zivilbevölkerung lebensnotwendigen Objekte zu gewährleisten. Außerdem ist es Staaten nach den in Art. 54(2) des 1. Zusatzprotokolls verankerten gewohnheitsvölkerrechtlichen Normen verboten, die für die Bevölkerung lebensnotwendigen Objekte zu zerstören.

1031. Israel hat den vorbedachten Entschluss, den Zerstörungserfolg herbeizuführen, an den Tag gelegt. Somit haftet es auch für die entgegen den oben aufgeführten Pflichten begangenen Völkerrechtsverletzungen.


Nachwort von Rudolf-Andreas Palmer:

Angesichts allein dieser zwei Arten von Menschen- und Völkerrecht auf das schwerste verletzenden israelischen Kriegshandlungen soll abschließend an Hand des Goldstone-Berichtes die Ausgangssituation beleuchtet werden. Abgesehen davon, dass der Zusammenbruch des Waffenstillstands am 4. November 2008 nach einem Vorstoß israelischer Sdoldaten in den Gaza-Streifen und Tötung eines Palästinensers begann (Abschnitt 254), lautet die israelische Rechtfertigung für ihre Kriegshandlungen gegen Gaza, es sei Selbstverteidigung gegen palästinensischen Raketenbeschuss gewesen. Der eigene israelische Beschuss Gazas ist in der westlichen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Die Goldstone-Kommission legt denkenswerter Weise beeindruckendes Zahlenmaterial vor, das zeigt, wie unvergleichlich das israelische Übergewicht an eingesetzter Tötungs- und Zerstörungsmacht ist.

Abschnitt 195: "Nach Rückzug aus Gaza (September 2005) bis November 2006 feuerte die israelische Armee fast 15.000 Artilleriegeschosse ab und verübte mehr als 50 Luftangriffe auf den Gazastreifen. Durch die israelischen Angriffe starben 525 Menschen in Gaza. Im selben Zeitraum schossen militante Palästinenser mindestens 1.700 Raketen und Granaten nach Israel und verletzten dabei 41 Israelis."

Abschnitt 1876: "Bei der Umsetzung ihres Mandats ließ sich die Kommission ausschließlich vom allgemeinen Völkerrecht ... leiten. Dies bedeutet in keiner Weise, dass man die Position Israels als der Besatzungsmacht mit der besetzten palästinensischen Bevölkerung oder den Körperschaften, die sie vertreten, gleichsetzt. Die Unterschiede in Bezug auf die Macht und die Fähigkeit, Schaden zuzufügen oder Schutz zu gewähren, ... sind offensichtlich, und ein Vergleich ist weder möglich noch notwendig."

Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass Israel seit 1967 in zahlreichen UN-Resolutionen aufgefordert worden ist, die Besatzung zu beenden, womit ein Selbstverteidigungsrecht der Besatzungsmacht entfällt. Wohl aber hat das palästinensische Volk ein Selbstverteidigungsrecht gegen eine illegale Besatzung, das auch den bewaffneten Widerstand einschließt. (Abschnitt 269).

So bleibt es bei der Feststellung und der dringenden Mahnung der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen in ihrer Schlussfolgerung Abschnitt 1894:

"Die Kommission hat mit Besorgnis öffentliche Stellungnahmen von israelischen Amtsträgern, darunter hohe Militärs, zur Kenntnis genommen, die besagten, dass der Einsatz von unverhältnismäßiger Gewalt, Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die Zerstörung von zivilem Eigentum legitime Mittel zur Erreichung der militärischen und politischen Ziele Israels darstellen. Die Kommission glaubt, dass solche Stellungnahmen nicht nur die gesamte Ordnung des Völkerrechts untergraben, sondern mit dem Geist der Charta der Vereinten Nationen unvereinbar sind und es deshalb verdient hätten, kategorisch verurteilt zu werden."

Rudolf-Andreas Palmer, Berlin


Fußnoten

(1) Zu diesen zählten die Ehefrau von Muhammand al-Daya, deren drei Töchter und ein Sohn, alle unter sieben Jahre alt, die von den Trümmern des Hauses erdrückt wurden. Die meisten von ihnen schliefen zum Zeitpunkt des Angriffs. Zu den anderen Getöteten gehören Fayez al-Daya und dessen Ehefrau; Iyad al-Daya und dessen Ehefrau Rawda, deren drei Töchter und drei Söhne, alle unter 10; Ramez al-Daya, dessen Ehefrau Safa sowie deren sechs Monate alte Tochter und zweijähriger Sohn; zwei Schwester, Raghdah und Sabrine und Radwan al-Daya.

(2) (Fußnote eingefügt von der Redaktion offen-siv): Die israelische Menschenrechtsorganisation B"tselem gibt zu der vom israelischen Militär verwendeten Flechette-Munition an: Die Flechettes sind eine Antipersonen-Waffe; Flechettes werden mittels Panzergranaten abgefeuert. Die Granate explodiert in der Luft, dabei werden tausende von kleinen Metallpfeilen (3,75 cm lang) freigesetzt. Streuung: 300 Meter in die Weite, 90 Meter in die Breite.

(3) Aussagen von IK/12 und IK/13 gegenüber der Kommission am 30. Juni 2009.

(4) Amnesty international, Israel/Gaza: Operation "Gegossenes Blei": 22 Tage Tod und Zerstörung (London 2009); B''Ttselem: "Flechettes shells: an illegal weapon" in: http:Btselem.org/english/firearms/flechette.asp

(5) Der UNOSAT-Bericht zählt "114 zerstörte oder schwer beschädigte Gebäude, 27 beschädigte Gewächshauskomplexe und 17 Einschlagskrater entlang Straßen oder in bewirtschaftetem Ackerland" in der Gegend der Al-Samouni-Straße. Ein während der Kriegshandlungen in Zeytoun stationierter Soldat erinnert sich daran, durch sein Fernglas "zunehmende Verwüstung, Häuser, die mit der Zeit verschwanden" gesehen zu haben. (Soldiers Testimonies: Aussage Nr. 37)

(6) Ein Zeuge erzählte der Kommission, dass er am 5. Januar 2009 auf der Straßenseite die Fallschirme gesehen habe, mit denen die israelischen Truppen in der Gegend gelandet seien, als er durch die ad-Din-Straße lief.

(7) Einem Brief von B''Tselem an die Militärstaatsanwaltschaft zufolge wurde das Haus beschossen.

(8) PRCS = Palestine Red Crescent Society

(9) Faraj al-Samouni also told the Kommission that, at the time of Ahmad's death, another relative gave birth to a baby in the same house. The following day the mother, who had to be transported in a wheelchair, because she had broken her leg doing household chores, and the baby were among the group, that managed to evacuate to Gaza City. Mother and child are in good health.

(10) Aussage von Muhammad Asaad al-Samouni vom 3. Juni 2009

(11) Aussage von Saleh al-Samouni vom 3. Juni 2009

(12) Die Kommission merkt an, dass alle Zeugenaussagen in dem Punkt übereinstimmten, dass Muhammad Ibrahim al-Samouni auf der Stelle starb, es aber Unstimmigkeiten gab, was die Frage betrifft, ob Hamid Maher al-Samouni durch den ersten Einschlag oder nachher innerhalb des Hauses starb.

(13) Die Namen der anderen 15 Angehörigen der Großfamilie al-Samouni, die während des Angriffs auf Wa'el al-Saloumis Haus getötet wurden, lauten: Rabab Isaat (weiblich, 37 Jahre), Tawfiq Rashad (männlich, 22 Jahre), Layla Nabeeh (weiblich, 44 Jahre), Ismaeil Ibrahim (männlich, 16 Jahre), Ishaq Ibrahim (männlich, 14 Jahre), Maha Muhammad (weiblich, 20 Jahre), Muhammad Hilmi Talal (der sechsjährige Sohn von Maha), Hanan Khamis Sa'adi (weiblich, 36 Jahre), Huda Naiel (weiblich, 17 Jahre), Rezqa Muhammad Mahmoud (weiblich, 56 Jahre), Safaa Sobhi (weiblich, 24 Jahre), al Moa'tisim Bilah Muhammad (männlich, 6 Monate), Hamdi Maher (männlich, 24 Jahre), Rashad Helmi (männlich, 42 Jahre), Nassar Ibrahim Hilmi (männlich, 6 Jahre).

(14) (Fußnote eingefügt von der Redaktion offen-siv): IKRK, englisch ICRC: Internationales Komitee des Roten Kreuzes. "Organization whose humanitarian mission is to protect the lives and dignity of victims of war and internal violence and to provide them with assistance."

(15) Befragung des PRCS-Fahrers W2 durch die Kommission am 10. Juni 2009

(16) Befragung des PRCS-Fahrers W1 durch die Kommission am 10. Juni 2009

(17) a.a.O.

(18) Zeuge W2 am 7.6.2009

(19) http://www.icrc.org/web/eng/siteeng0.nsf/html/palestine-news-080109

(20) Nach Angaben der Rechercheure der palästinensischen NGO, die diesen Fall untersuchte, klingelte das Mobiltelefon in der Tasche des Cousins, der vor Iyad al-Samouni lief, und Iyad al-Samouni versuchte, das Telefon aus der Tasche zu nehmen (die Hände des Cousins waren ebenfalls gefesselt, so dass er sich selbst nicht in die Tasche greifen konnte), in diesem Augenblick eröffnete der israelische Soldat das Feuer. Dieses Detail wurde in den von der Kommission durchgeführten Befragungen nicht erwähnt.

(21) Befragung des PRCS-Fahrers W4 durch die Kommission am 10. Juni 2009

(22) Aussagen von Sabah Abu Halima, Muhammad Sa#ad Abu Halima und Omar Sa#ad Abu Halima vor der Kommission am 15. Juni 2009

(23) Wegen der Schwere ihrer Verletzungen wurden Sabah, Farah und Ghada Abu Halima zur Behandlung nach Ägypten transportiert. Dort starb Ghada Ende März 2009.

(24) www.dci-pal.org/English/Doc/Press/Case-Study_Cast-Lead_Abu-Halima_Family_FINAL.pdf

(25) Nach Angaben, die Omar und Nabila Abu Halima gegenüber der NGO Defence for Children International machten. Die Information wurden der Kommission von Omar Abu Halima am 15. Juni 2009 gegeben und war zwar weniger ausführlich, stimmte jedoch mit diesen Informationen überein.

(26) Art. 48, 1. Zusatzprotokoll

(27) Art. 51(2), 1. Zusatzprotokoll

(28) Fußnote eingefügt von der Redaktion offen-siv: IDF = Israel Defence Forces, israelische Streitkräfte.

(29) "The operation in Gaza...", Abs. 94 und 222

(30) Gemäß Art. 5(3) des 1. Zusatzprotokolls genießen Zivilpersonen Schutz vor Angriffen "sofern und solange sie nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen". Zum gewohnheitsrechtlichen Status dieser Norm siehe 7. Kapitel.

(31) Zwischenüberschrift von der Redaktion offen-siv

(32) Soldiers' Testimonies..., S. 59, 66, 69 und 101. Ein Soldat erinnert sich: "Irgendwann fingen die D-9s (Der Caterpillar D-9 ist eine Planierraupe, auch Bulldozer, (eine Art Traktor, jedoch mit Kettenantrieb) der von der Firma Caterpillar Tractor Company hergestellt wird. Er verfügt über mehr als 400 PS; Red. offen-siv) an, ganze Gebiete dem Erdboden gleich zu machen. Es war unglaublich. Anfangs geht man rein und sieht jede Menge Häuser. Eine Woche später, nach der Zerstörung, sieht man weiter entfernt den Horizont, die Sicht reicht fast bis zum Meer. Sie haben einfach alle Häuser in der Gegend zerstört, damit die Terroristen kein anderes Versteck finden."

(33) Fußnote eingefügt von der Redaktion offen-siv: IPwskR: Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, ICESCR)

(34) S 14, Report of the Palestinian Federation of Industries

(35) "Damage assessment report...", S. 8

(36) Zu "Infrastrukturarbeit" und der Zerstörung von Obstgärten siehe "Soldiers Testemonies, Aussage Nr. 17, S. 44 und Aussage Nr. 29, S. 66. Vgl. auch Aussage Nr. 46 zu der Praxis des faktischen Dauereinsatzes von gepanzerten D-9-Planierraupen, größtenteils bei der Zerstörung von Obstgärten (S. 100). Die Kommission merkt an, dass die Frage des "Tages danach" - d.h. die Situation für Israel nach Abschluss der Kriegshandlungen, v.a. was die Frage betrifft, wie auf zukünftige Angriffe aus Gaza reagiert werden soll - immer wieder zur Sprache kommt. Selbst wenn dieses als längerfristiges, strategisches militärisches Ziel betrachtet werden könnte, ist es unter diesen Umständen kein legitimes Ziel. Die Prüfung, ob hiermit ein militärischer Vorteil bei der Verfolgung bestimmter Ziele vorliegt, hält es nicht stand. Auch hält es der in den Bestimmungen über schwere Vertragsverletzungen vorgesehenen Prüfung nach militärischen Erfordernissen nicht stand. Siehe auch 16. Kapitel.

Raute

TREFFEN DER KOMMUNISTISCHEN UND ARBEITERPARTEIEN IN SÜDAFRIKA

KKE: 12. Internationales Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien

Rede von G. Marinos, Mitglied des Politbüro des Zentralkomitees der KKE

Wie bedanken uns bei der Südafrikanischen Kommunistischen Partei für die Ausrichtung dieses internationalen Treffens wie auch für ihre Gastfreundschaft.

Wir senden kämpferische Grüße an alle Kommunistinnen und Kommunisten Afrikas, an die antiimperialistischen Bewegungen, an die Völker dieses Kontinents, die den Kapitalismus in all seiner Barbarei erfahren haben. Wir begrüßen es, dass das Internationale Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien erstmals auf dem afrikanischen Kontinent stattfindet.

Wir begrüßen die Delegationen der kommunistischen und Arbeiterparteien, und wir bedanken uns bei ihnen für ihre Solidarität mit den Kämpfen von KKE, PAME und der Arbeiterklasse unseres Landes.

Die Entwicklungen haben mittlerweile das von uns erwünschte Niveau erreicht, und die Arbeit des Internationalen Treffens der kommunistischen und Arbeiterparteien muss durch die ernste Verantwortung gekennzeichnet werden, die die Kommunisten in Bezug auf die Arbeiterklasse und das Volk haben, die den heftigen Angriffen des Kapitals uns seiner politischen Repräsentanten gegenüberstehen. Das sind Angriffe, die unter den Bedingungen der Krise des Kapitalismus noch intensiver und gefährlicher geworden sind.

Wir sind keineswegs eine gewöhnliche politische Kraft. Wir sind Kommunistische Parteien und wir haben eine besondere Mission - den Kampf der Arbeiterklasse, den Klassenkampf zu organisieren, mit dem Ziel, das Ausbeutersystem weltweit zu stürzen und eine neue sozialistische und kommunistische Gesellschaft aufzubauen.

Aus diesem Grund haben wir die Pflicht, kollektiv unsere Erfahrungen aus den Kämpfen näher auszuführen und sie zu nutzen, um die Strategie und Taktik der internationalen kommunistischen Bewegung einen Schritt vorwärts zu bringen, so dass sie den Anforderungen des Klassenkampfes entspricht.

Die kapitalistische Krise setzt sich fort und vertieft sich. Trotz der Hilfe der bürgerlichen Staaten und der imperialistischen Organisationen, die die Monopole mit Milliarden Dollar unterstützt haben, können die Widersprüche des Systems nicht überwunden werden.

Die Rezession im Jahr 2009 setzt sich in diesem Jahr fort, und in vielen kapitalistischen Staaten wird sie sich auch 2011 noch fortsetzen. Die Einschätzungen bezüglich einer höchst langsamen Erholung und die Schaffung der Voraussetzungen für eine neue Krise bürden uns hohe Verantwortung auf. International hat die Arbeitslosigkeit jeden bisherigen Stand überschritten. So hat der Arbeitslosenstand die Zahl von 23 Millionen innerhalb der EU überschritten, ohne die Millionen Teilzeit- und Zeitarbeitskräfte einzurechnen.

Die Bedeutung eines gemeinsamen Standpunkts der Kommunisten bezüglich der Ursachen der Krise bleibt bestehen und wird sogar noch verstärkt, weil ein heftiger ideologisch-politischen Kampf über dieses Thema geführt wird, das mit der Richtung und der Zukunft des Klassenkampfes verbunden ist.

Die Kräfte der Bourgeoisie, die den Kapitalismus verteidigen, behaupten, dass die Krise durch eine verfehlte Unternehmenspolitik, mangelnde Kontrolle über das Finanzsystem, zu hohe Ausgaben der bürgerlichen Staaten und durch einen Mangel an Transparenz der Wirtschaftspolitik verursacht wurde.

Die sozialdemokratischen und opportunistischen Kräfte bleiben in dieser "administrativen" Logik und beschränken ihre Kritik auf den Neoliberalismus, während sie die Lösung in der Entwicklung dieses Systems, in einer Regulierung der Finanzmärkte suchen. Sie fördern damit Illusionen über einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, um die Arbeiter hinters Licht zu führen.

Leider beeinflussen identische oder ähnliche Positionen auch die Reihen der kommunistischen Bewegung und richten dort ernsten Schaden an.

Sie verlagern die Ursachen von den ausbeuterischen Produktionsverhältnissen, den Gesetzen und Widersprüchen des Kapitalismus auf die bürgerlichen administrativen Maßnahmen und ihre verschiedenen "Vermischungen".

Die marxistisch-leninistische Analyse führt zu der logischen Schlussfolgerung, dass die Ursachen der Krise im Herzen des Systems gefunden werden müssen, in den Bedingungen der kapitalistischen Produktion, in seiner Anarchie, in seiner ungleichmäßigen Entwicklung, in der Verschärfung seines grundlegenden Widerspruchs, dem Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter von Produktion und Arbeit auf der einen Seite und der privatkapitalistischen Form der Aneignung auf der anderen Seite, weil sich die Produktionsmittel in den Händen der Kapitalisten befinden.

Die Entwicklung der Krise beweist, dass sie eine Krise der Überakkumulation von Kapital ist, das in der letzten Zeit durch die Ausbeutung der Arbeitskraft unter den Bedingungen des kapitalistischen Wirtschaftswachstums konzentriert wurde.

Das ist die Situation, in der wir uns in Griechenland heute befinden.

Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, welche im Jahr 2008 offensichtlich wurde, entwickelte sich 2009 zu einer Rezession und zum Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 2 Prozent, was sich 2010 mit einem weiteren Rückgang um 4 Prozent fortsetzte und sich auch 2011 fortsetzen wird.

Wir beziehen uns dabei auf einen Rückgang der Industrieproduktion (Produktion, Energie, Transport, Telekommunikation) und der anderen Sektoren und Zweige der Volkswirtschaft, wie zum Beispiel des Tourismus oder des Einzelhandels, welcher, in Verbindung mit der volksfeindlichen Politik der sozialdemokratischen und liberalen Regierungen, zwangsläufig zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und, allgemeiner gesprochen, zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, der armen und Mittelbauern, der kleinen Geschäftsleute, Handwerker und Händler führt.

Die liberale ND-Regierung (bis Oktober 2009 an der Macht) und nach ihr die sozialdemokratische PASOK-Regierung, unterstützt von der reaktionären und rassistischen LAOS-Partei, ergriffen scharfe volksfeindliche Maßnahmen, wobei sie das Haushaltsdefizit und die Staatsverschuldung, die einen Großteil des BIP ausmachen, als Vorwand benutzte.

Die sozialdemokratische Regierung unterzeichnete ein Abkommen, ein Memorandum, mit der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), auch bekannt als die "Troika", um ein Darlehen in Höhe von 110 Milliarden Euro im Interesse der Kapitalisten zu erwirken.

Entsprechend diesem Memorandum werden Gesetze gelassen, so unter anderem über die Senkung von Löhnen und Renten, die Abschaffung der Tarifverträge im Industriebereich, das Kippen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts, Privatisierungen, reaktionäre Änderungen im Gesundheitswesen, im sozialen Bereich und in der Bildung.

Diese Situation verursachte eine große Unzufriedenheit und massive Mobilisierungen, in denen die KKE und die PAME, die klassenbewusste Gewerkschaftsbewegung, die führende Rolle spielten.

Seit Dezember 2009 bis zum heutigen Tage gab es 13 Generalstreiks, Dutzende Besetzungen von Ministerien und anderen staatlichen Gebäuden, zahlreiche branchenspezifische und andere Kämpfe unter Teilnahme Hunderttausender Arbeiter.

Die Botschaft der KKE "Völker Europas, erhebt euch", welche auf der Akropolis aufgehängt wurde, war von besonderer Bedeutung.

Wir können aus den reichen Erfahrungen aus dieser Periode wertvolle Schlussfolgerungen ziehen.

Erstens sind die volksfeindlichen Maßnahmen nicht das Produkt dieser Periode. Es handelt sich um Maßnahmen, die in den letzten Jahren in der Europäischen Union und anderen internationalen imperialistischen Organisationen unter Teilnahme der griechischen und anderer bürgerlicher Regierungen im Rahmen der kapitalistischen Neuordnung beschlossen wurden, um die Arbeitskosten zu senken, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die Profite der Großkonzerne zu steigern. Die Ansicht, dass die EU, eine zwischenstaatliche imperialistische Union, den Ausbruch der kapitalistischen Krise angeblich verhindern könne, hat sich als sehr gefährlich erwiesen. Es hat sich außerdem gezeigt, dass dies nicht nur für die spezielle Situation in Griechenland gilt. Die Entwicklungen in Irland und Portugal zeigen, dass der Ausbruch der Krise einen allgemeinen Charakter trägt.

Die Maßnahmen, die nun während der Krise eingeführt wurden, haben keinen temporären, sondern permanenten Charakter und werden den Wünschen des Kapitals gemäß noch weiter verschärft, wenn der Widerstand nicht stärker wird.

Die folgende Schlussfolgerung steht außerhalb jeden Zweifels:

Solange die Staatsmacht und die Produktionsmittel sich in den Händen der Kapitalisten befinden, wird die Entwicklung deren Position stärken und die Profite des Kapitals steigern.

Entweder durch eine restriktive oder eine expansionistische Finanzpolitik, durch die Fortsetzung der Neuverhandlung der Schulden - die Widersprüche werden sich verschärfen, das Volk wird aufgefordert werden, die Krise zu bezahlen.

Zweitens trägt die sozialdemokratische PASOK-Regierung zwar die Hauptverantwortung für diese Maßnahmen, doch die liberale ND und die anderen bürgerlichen Parteien stimmen grundsätzlich mit ihnen überein.

Die opportunistischen Kräfte (SYN/SYRIZA) sähen Verwirrung, verteidigen die Europäische Union, dieses zwischenstaatliche imperialistische Bündnis, und richten ihre Kritik vor allem auf die Rolle des Internationalen Währungsfonds. Es ist außerdem wichtig, darauf hinzuweisen, dass den Menschen, die mit den Kommunisten gemeinsam in der ersten Reihe kämpfen, klar sein muss, dass die arbeiterfeindlichen Maßnahmen von EU und IWF den bürgerlichen Regierungen nicht gegen deren Willen und deren Interessen aufgezwungen wurden. Im Gegenteil, diese Maßnahmen haben die volle Unterstützung der nationalen Plutokratie, denn sie garantieren die Stabilität ihrer Profite sowohl in der Krise als auch in der Periode der Erholung. Zudem stellt deren Umsetzung keine neue Form der Besatzung dar, wie manche behaupten, womit sie im Wesentlichen die Schuld ihrer nationalen Bourgeoisie und ihrer Regierung verleugnen.

Die von den Kapitalisten und der Regierung kontrollierte Gewerkschaftsbewegung hat eine strafrechtliche Verantwortung. Sie kontrolliert die Verwaltung der beiden wichtigsten Konföderationen (im öffentlichen wie im privaten Sektor) und hat in einer großen Zahl von Gewerkschaften die Mehrheit, sowohl die staatlichen Mechanismen als auch die Eingriffe der Arbeitgeber ausnutzend.

Diese Kräfte unterstützen die europäische Einbahnstraße und die Strategie des Kapitals schon seit Jahren und sie verwirklichen die Linie der Klassenzusammenarbeit.

Drittens sind die KKE und die klassenorientierte Bewegung die beständigen Kräfte, die auf der Seite des Volkes stehen und den Kampf im Angesicht ernsthafter Schwierigkeiten und antikommunistischer Attacken organisieren.

Die KKE informierte die Arbeiter sofort über die Krise und den arbeiterfeindlichen, volksfeindlichen Angriff und rüstete die Arbeiter dagegen. Sie machte klar, dass nicht die Arbeiter für die Krise, die Schulden und das Defizit verantwortlich sind, sondern das Kapital und die Politik, die nur deren Interessen dient. Diese Position fand ihren konzentrierten Ausdruck im Slogan: "Die Plutokratie soll für die Krise zahlen."

KKE und PAME stellen die Avantgarde in den Tageskämpfen dar und kämpfen gegen die imperialistische EU, die bürgerlichen und die opportunistischen Parteien sowie gegen die bezwungenen reformistischen Kräfte innerhalb der Gewerkschaftsbewegung.

Sie konzentrieren sich vor allem auf die Einheit der Arbeiterklasse und der sozialen Allianz, auf das Sammeln der Kräfte der Arbeiterklasse und des Volkes, verbunden mit Zielen, die dem kapitalistischen Entwicklungsweg geradezu entgegengesetzt sind - in Richtung auf eine Entwicklung, deren Kriterien die Befriedigung der Bedürfnisse des Volkes, die Volksmacht und die Wirtschaft für das Volk sind, in Richtung Sozialismus also.

Ein sehr wichtiges Element ist die Abstimmung des Kampfes von PAME und den anderen militanten Massentreffen der Kleinbauern, kleinen Geschäftsleute, Handwerkern und Händlern, der militanten Frauenbewegung und der militanten Studentenbewegung auf der Basis eines gemeinsamen Rahmens des Kampfes, der zur Mobilisierung weiterer Volkskräfte, zum Aufbau einer sozialen Allianz beiträgt.

Diese Kombination von ideologischem, politischem und Massenkampf trug zu einem Anwachsen des Einflusses von KKE, PAME und anderen militanten Strukturen, und dies fand seinen Ausdruck durch eine spürbare Unterstützung der von der KKE unterstützten "Volksversammlung" bei den jüngsten Lokal- und Regionalwahlen.

Eine Quelle der Stärke unserer Partei sind ihre programmatischen Positionen, welche auf dem 18. Parteitag durch die Entscheidung bezüglich der "Bewertungen und Schlussfolgerungen des sozialistischen Aufbaus im 20. Jahrhundert" bereichert wurden. Eine Quelle der Stärke unserer Partei ist ihr Glaube an den Klassenkampf sowie ihre Hingabe zur sozialistischen Revolution zwecks Sturzes des Kapitalismus und Aufbau des Sozialismus.

Dieser Kampf bestimmt die politisch-ideologische und organisatorische Arbeit der Partei, ihre Aktivität in der Arbeiterklasse, anderen Volksschichten und der Jugend.

Die Praxis hat bewiesen, dass die revolutionäre Kampflinie der KKE die Massenarbeit nicht einschränkt, sondern stärkt. Sie erhöht die Aussichten der Arbeiter, sie bietet ihnen einen Ausweg und Aussichten für die Zukunft, sie trägt dazu bei, das Kräfteverhältnis zu verschieben.

Wir müssen unsere Prinzipien bekräftigen und untermauern, weil dies die Bemühungen, mit der Krise umzugehen, die die kommunistische Bewegung beeinflusst, verstärkt.

Unsere Erfahrung lehrt uns, dass der revolutionäre Kampf sich dem Kampf gegen den Opportunismus verschreiben muss, der den Einfluss der bürgerlichen Ideologie auf die Arbeiterbewegung ausdrückt und ein Werkzeug in den Händen des Systems, ein Hindernis zur Radikalisierung der Volkskräfte, ein Mittel der Unterwerfung und der Kompromisse ist, wie die Geschichte des Eurokommunismus und seiner aktuelleren Ausdrucksformen bestätigt hat.

Der Opportunismus trägt viele Masken.

Aus diesem Grund muss es strenge Kriterien geben, um zu entdecken, was hinter der Bezeichnung "links" und den selbsternannten linken Parteien und Initiativen steckt. Das Leben zeigt, dass die Strategie und Taktik einiger Kräfte, die sich selbst als "links" bezeichnen, Hindernisse für den antimonopolistischen und antiimperialistischen Kampf darstellen.

Wir sind gegen die "Europäische Linkspartei", in der "Die Linke" aus Deutschland eine führende Rolle spielt, weil sie die Europäische Union verteidigt und sich auf sie verlässt. Mit ihrer sozialdemokratischen Strategie, dieses System zu regeln, welche sie mit Unterstützung des Kapitalismus propagiert, mit ihrer Teilnahme an der Verleumdungskampagne gegen die UdSSR und den Sozialismus, die im 20. Jahrhundert von antikommunistischen und unhistorischen Positionen aus losgetreten wurde, schürt sie Verwirrung unter den Arbeitern und behindert sie die Entwicklung von politischem Klassenbewusstsein.

Ähnliche Parteien außerhalb der Europäischen Linkspartei machen dasselbe, wie etwa die Linkspartei in Schweden, die die Stiftung "Internationales Linkes Forum" nutzt, um sich auf liquidatorische Weise für die Sozialdemokratisierung der Kommunistischen Parteien zu engagieren.

Nach Ansicht der KKE muss der politisch-ideologische Konfrontation mit diesen Kräften verstärkt werden, ihre Rolle muss entlarvt werden, wenn man in Betracht zieht, dass diese Kräfte, zusammen mit den Instrumenten der Sozialistischen Internationale, den staatlichen Instrumenten und zwischenstaatlichen Organisationen, sich zersetzend in die Reihen der kommunistischen Bewegung einmischen und als ein Faktor agieren, der ihre Krise verlängert.

Zudem sind die Thesen bezüglich des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" gefährlich für die kommunistische Bewegung. Diese Positionen werden von kleinbürgerlichen Kräften in Lateinamerika weiterentwickelt und stehen in Opposition zum wissenschaftlichen Sozialismus.

Es handelt sich hierbei um ein opportunistisches ideologisches Konstrukt, das alle Prinzipien und Gesetze des Sozialismus und Kommunismus entstellt, behindert die Entwicklung des Klassenkampfes und verursacht Konfusion innerhalb der Arbeiterklasse.

Die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution, des Sturzes des Kapitalismus und der Aufbau einer neuen kommunistischen Gesellschaftsformation ist nicht bestimmt durch das Kräfteverhältnis zu irgendeinem beliebigen historischen Moment, sondern durch die historische Notwendigkeit der Lösung des Grundwiderspruchs zwischen Arbeit und Kapital, die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die Beseitigung aller Klassen.

Aus diesem Grund können der schmerzhafte Sturz des Sozialismus in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern und all die konterrevolutionären Veränderungen, die durch die opportunistische Zersetzung verursacht wurden, den Charakter unserer Epoche als Ära des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus nicht ändern.

Die erste Aufgabe ist die Erkämpfung der Staatsmacht durch die Arbeiterklasse, um durch die bewusste Tätigkeit der führenden Klasse und ihrer Partei eine neue sozialökonomische Basis, geprägt durch das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln und eine zentrale Wirtschaftsplanung, zu errichten. Um alle Klassen zu beseitigen, müssen nicht nur die Ausbeuter gestürzt und deren Eigentum beseitigt werden, sondern jede Form von Privateigentum an den Produktionsmitteln abgeschafft werden. Diese leninistische Richtung ist von zentraler Bedeutung im Kampf der Kommunisten, sie schützt uns vor Fehlern und Abweichungen.

Die Ersetzung der Prinzipien des Marxismus-Leninismus durch revisionistische Herangehensweisen im Namen nationaler Besonderheiten hat der kommunistischen Bewegung schwer geschadet.

Wir sprechen von strategischen Problemen, von der Grundrichtung unseres Kampfes, und nationale Besonderheiten können die Notwendigkeit des revolutionären Sturzes des Kapitalismus, der Konzentration der Staatsmacht in den Händen der Arbeiterklasse, der Sozialisierung der Produktionsmittel und der zentralen Wirtschaftsplanung nicht verleugnen.

Keine nationale Besonderheit kann die Ideologie einer "sozialistischen Marktwirtschaft" rechtfertigen. Es ist eine Sache, bei ungünstigen Bedingungen zeitweilig einen notwendigen Rückzug anzutreten (so wie die NÖP zu Lenins Zeiten), und es ist eine komplett andere Sache, kapitalistische Gesetze und Kategorien als Werkzeuge für den Aufbau des Sozialismus zu betrachten, wie das heute in China der Fall ist.

Die kommunistische Gesellschaftsformation hat ihre eigenen Gesetze. Ein Sozialismus mit kapitalistischen Produktionsverhältnissen hat noch nie existiert und wird auch niemals existieren.

Der Kampf der Völker wird in dem Ausmaß effektiver werden, in dem die Front gegen den Imperialismus und alle imperialistischen Bündnisse gestärkt wird, in dem der Konflikt intensiviert wird, entgegen der sogenannten Theorie der "multipolaren Welt", die das Wesen des Imperialismus und des Monopolkapitalismus verdeckt.

Es ist eine Sache, innerimperialistische Widersprüche als Hilfe für den antiimperialistischen Kampf zu benutzen, eine andere Sache aber ist es, die Haltung der neuen oder alten, aufsteigenden oder nicht aufsteigenden imperialistischen Staaten und Bündnisse (EU, OSZE, Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit usw.) zu idealisieren, die im Auftrag ihrer eigenen Monopolgruppen im Gegensatz zu den USA stehen, um einen größeren Platz auf dem Weltmarkt zu gewinnen.

Das gilt nicht nur für die EU und Japan. Es gilt auch für Brasilien, Indien, Russland und tatsächlich auch für China, wo inzwischen kapitalistische Produktionsverhältnisse vorherrschen. Die chinesischen kapitalistischen Monopolgruppen sind auf jedem Kontinent aktiv, und auf politischem Gebiet werben sie für eine Strategie der Kooperation mit der Sozialistischen Internationale, die eine Schlüsselrolle für die Angriffe des Kapitals spielt.

Die Opposition gegen diese ungleichen Verhältnisse, die das imperialistische System kennzeichnen, die Opposition gegen die enorme Präsenz des transnationalen Kapitals in gewissen Ländern muss einen intensiveren antiimperialistischen und antimonopolistischen Charakter annehmen, indem Positionen bekämpft werden, die zu einer Allianz mit Teilen des einheimischen Kapitals und den politischen Kräften, die deren Interessen vertreten, führen. Die unabhängige ideologische, politische und organisatorische Arbeit der Kommunistischen Parteien und eine Bündnispolitik, die für eine revolutionäre Kraft geeignet sind, sind Grundprinzipien, die zur Umwandlung des kommunistischen Charakters der Kommunistischen Partei, zu ihrer Entartung führen, wenn sie verletzt werden.

Wir haben sehr viel Arbeit und viele schwierige Aufgaben vor uns. Die Koordinierung unserer Aktivitäten ist notwendig, und wir müssen auf der Umsetzung der Ziele bestehen, die das Internationale Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien beschlossen hat.

Erstens, es ist klar, dass die kapitalistische Krise weitergehen wird und daraus ergibt sich konsequenterweise die Notwendigkeit, die Aufgaben des Kampfes der Arbeiterklasse und des Volkes in allen Ländern zu propagieren, um die volksfeindlichen Maßnahmen abzuwenden, mehr Kräfte des Volkes um unsere antimonopolistischen Ziele zu versammeln, damit die Bande zwischen den Kommunistischen Parteien und der Arbeiterklasse, der Jugend und den anderen Volksschichten wie auch deren Organisationen am Arbeitsplatz gestärkt werden, damit neue Gewerkschaften für eine klassenorientierte Linie gewonnen und Parteiorganisationen in den Fabriken aufgebaut werden, und natürlich, damit sich starke kommunistische Jugendorganisationen entwickeln.

Die KKE setzt konsequent die Entscheidungen um, die in den gemeinsamen Erklärungen der internationalen Treffen festgehalten sind, ergreift die Initiative bei der Organisierung regionaler und themenbezogener Treffen und besteht auf gemeinsamen Aktivitäten der Kommunistischen Parteien in Europa und auf dem Balkan, wo ideologische und organisatorische Zersplitterung zu einem Rückzug auf breiter Basis geführt haben.

Wir werden im nächsten Zeitraum auf diesem Weg bleiben und parallel daran arbeiten, die theoretischen Organe der marxistisch-leninistischen Bruderparteien dazu zu animieren, mit uns zusammen die "International Communist Review" zu veröffentlichen. Als Partei halten wir an unserer Ansicht fest, dass ein eigenständiger marxistisch-leninistischer Stab geschaffen werden muss, der die kommunistische Bewegung in ihrem Umgang mit der Krise unterstützen muss.

Zweitens: Die Verschärfung der innerimperialistischen Konkurrenz und die Schwierigkeiten des kapitalistischen Systems im Umgang mit der Krise intensivieren die imperialistische Aggression und erhöht die Gefahr eines neuen Kreislaufs regionaler Konflikte in Asien, dem Nahen Osten, Afrika, auf der koreanischen Halbinsel, im Iran, im Kaukasus, auf dem Balkan und in anderen Regionen. Diese Gefahren werden sich verstärken, wenn wir die neue NATO-Strategie berücksichtigen, dieses gefährliche Werkzeug des Imperialismus, welche Interventionen und Kriege unter dem Deckmantel einer großen Menge von Vorwänden, wie etwa der Bekämpfung von "Terrorismus", "Extremismus", "Klimawandel", "Einwanderungswellen", erlaubt.

Die Bedingungen und die Kräfteverhältnisse ändern sich von Zeit zu Zeit und das ist gerade in den internationalen Beziehungen, in internationalen Organisationen wie etwa der UN, offensichtlich. Heute existiert das internationale Recht, das vom Konflikt zwischen Sozialismus und Kapitalismus geprägt wurde, nicht mehr. Es wurde ersetzt von einem Recht, das den Interessen der Imperialisten dient und aus diesem Grund hat jegliches Gerede über eine "Neue Weltordnung" oder über die "Demokratisierung der internationalen Beziehungen" keinerlei reale Basis.

Im Lichte dieser Situation müssen die Kommunisten eine führende Rolle dabei spielen, die Völker zu informieren und den antiimperialistischen Kampf zu entwickeln, um eine starke Front gegen die bürgerlichen Regierungen zu bilden, die an den imperialistischen Plänen teilnehmen und um die Bewegung zum Kampf um die Auflösung der NATO und den Abzug der Besatzungsarmeen aus Afghanistan und dem Irak zu stärken.

Es muss die größtmögliche internationale Solidarität mit den Staaten und Völkern, die vom Imperialismus bedroht werden, ausgedrückt werden. Das sogenannte "Anti-Raketen-Schild" der NATO und den USA darf nicht errichtet werden.

Wir müssen unsere Unterstützung für das sozialistische Kuba wie auch für die Kämpfe des palästinensischen Volkes und der anderen Völker des Nahen Ostens, die sich den Plänen der USA und Israels widersetzen, verstärken.

Wir müssen eine gerechte Lösung des Zypernkonflikts verlangen, inklusive des Abzugs aller Besatzertruppen. Der Zypernkonflikt ist vor allem ein internationales Problem der Invasion und Besetzung von 37 Prozent des Territoriums eines unabhängigen UN-Mitgliedsstaates durch die türkische Armee, mit aktiver Unterstützung durch die NATO und die USA.

Drittens setzt sich die Intensivierung des Antikommunismus weiter fort, mit der unhistorischen Gleichsetzung des Kommunismus mit der faschistischen Brutalität als Kern. Der Europarat, die Europäische Union und die anderen imperialistischen Organisationen unterstützen harte Maßnahmen, um die Aktivität der Kommunistischen Parteien zu unterbinden und sie finanziell unter Druck zu setzen. Reaktionäre Änderungen des politischen Systems werden vorangetrieben; die bürgerliche Staatsmacht wird durch neue repressive Mechanismen verstärkt.

Kommunistische Parteien in Ost- und Mitteleuropa, in Asien, Afrika und anderen Regionen bleiben illegal und werden verfolgt. Unter dem Vorwand des Krieges gegen den "Terrorismus" werden Kommunistische Parteien, revolutionäre und antiimperialistische Bewegungen in Lateinamerika bekämpft; die Formen des Kampfes und Widerstandes, den die Völker gewählt haben, wird kriminalisiert. Wir haben eine ernsthafte Verantwortung und Verpflichtung, koordiniert für die Legalisierung der Kommunistischen Parteien und antiimperialistischen Kräfte zu kämpfen und die Geschichte der kommunistischen Bewegung und den massiven Beitrag der Sowjetunion und des Sozialismus, der im 20. Jahrhundert aufgebaut wurde, zu verteidigen.

Viertens fordert die Situation, dass wir die internationalen antiimperialistischen Bewegungen starker unterstützen, dass wir uns weiterhin an der Stärkung des Weltgewerkschaftsbundes, der enorme Fortschritte gemacht hat und seinen 16. Kongress im April 2011 in Athen abhalten wird, beteiligen. Wir müssen zur Stärkung des Weltfriedensrates, des Weltbundes der Demokratischen Jugend, der in einigen Tagen das 17. Weltfestival der Jugend und der Studenten hier veranstalten wird, und des Internationalen Demokratischen Frauenbundes beitragen. Wir müssen ihren antiimperialistischen Charakter stärken.

Quelle: www.kke.gr - Übersetzung: KI-Informationen/Genosse Ralph

Raute

KOMMUNISTISCHE INITIATIVE

Frank Flegel: Lächerliche Polizeipräsenz und dumm-dreiste antikommunistische Übergriffe bei der Zweiten Perspektivkonferenz der KI

Die Konferenz fand ungewohnte Aufmerksamkeit von Seiten des bürgerlichen Staates und von Seiten antikommunistischer Kräfte. Diese Begebenheiten möchte ich kurz schildern:

Es gab eine bemerkenswerte Präsenz der Polizei. a) Am ersten Tag stand links und rechts vom Tagungsort je ein "Sixpack", also je ein gut besetzter Polizeibulli. b) Ein Genosse der KI wurde insgesamt dreimal, nämlich am Freitag, am Sonnabend und am Sonntag an jeweils unterschiedlichen Orten im Stadtgebiet Hannover kontrolliert. Dazu muss ihm mindestens einmal Polizei in zivil gefolgt sein, denn er fuhr nach einer spontanen Entscheidung mehrere Genossen zu ihren Unterkünften, also Routen, die in Zeitpunkt und Ziel der Polizei kaum bekannt gewesen sein dürften. c) Nachdem ihm am Sonnabend sein Hund vom Tagungsort ausgebüxt und von der Besatzung eines der Sixpacks eingefangen worden war, fand er abends an seinem mehrere Straßen weit weg parkenden Auto eine Polizeinachricht, er möge sich wegen der Angelegenheit mit dem Hund auf einem bestimmten Polizeirevier melden. Es stellt sich die Frage, wie diese Polizisten sein Auto identifizieren konnten. Gut war, dass die Genossinnen und Genossen trotz dieser demonstrativen Polizeipräsenz gelassen und besonnen blieben und sich nicht provozieren ließen.

Eine zweite Begebenheit erregte dann schon mehr Empörung in unseren Reihen. In der Nacht von Sonnabend auf Sonntag hat sich irgendjemand Zutritt zu unserem Tagungsort und dem - verschlossenen - Plenumssaal verschafft und dort rote Fahnen verschwinden lassen, das KI-Logo heruntergerissen, rund 50,- Euro aus den Spendendosen der Materialien- und Zeitungstische gestohlen und eine Kamera zerstört. Garniert war das Ganze mit einer halbvoll stehen gelassenen Bierflasche und der Botschaft: "Kommunismus sieht anders aus". Die Werbung für diesen "anderen" Kommunismus hat mich persönlich allerdings wenig überzeugt, denn Einbruch, Diebstahl und Vandalismus sind m. E. eher Erscheinungen des Kapitalismus als des Kommunismus. Wie dem auch sei und was die Täter auch im Schilde führten: Wer rote Fahnen herunterreißt und Kommunisten in die Kasse greift, der betreibt das Geschäft der Bourgeoisie!

Trotz dieser Begleitumstände verlief die Konferenz konstruktiv und ruhig. Es gelang uns allen, in eine intensive und zielgerichtete Arbeitsatmosphäre zu kommen, unser Pensum zu schaffen und gute, aufbauende und zukunftsweisende Beschlüsse zu fassen.

Bei diesen kurzen Bemerkungen möchte ich es belassen, Inhaltliches findet Ihr in der Presseerklärung des Exekutivkomitees. Und stellvertretend für die Emotionen gerade der jungen Genossinnen und Genossen sei hier ein Bericht von Sophie und eine Spendenbitte angefügt.

Frank Flegel, Hannover


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Sophie: Meine Gedanken zur zweiten Perspektivkonferenz

An Wochenende des 5. und 6. Februar 2011 wurde ein weiterer Stein des Pflasterwegs hin zum Sozialismus gelegt. Ein Weg fernab von Revisionismus und Rechts- oder Linksopportunismus auf klarer Linie der Wissenschaft des Marxismus-Leninismus. Wir haben uns eingefunden, über grundlegende strukturelle Dinge zu diskutieren und Richtlinien festzulegen, die uns unsere alltägliche Arbeit von nun an erleichtern werden. Auch der Austausch kam nicht zu kurz, denn das Spektrum war breit gefächert, Jung und Alt, Erfahrene und Unerfahrene, kurzum, eine bunte Mischung von Menschen, die alle das eine Ziel eint: Den Sozialismus auf deutschen Boden wieder zu erkämpfen, mitzugestalten und aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen!

Wir alle konnten voneinander profitieren, Mut und Kraft schöpfen für jeden einzelnen Stein des Weges, der noch zu legen ist.

Ich als junger Mensch war sehr angetan von einem Redebeitrag einer älteren Genossin, die mit soviel Herz, Verstand und Geradlinigkeit den Marxismus-Leninismus vertritt, verteidigt und lebt. Wir als junge Menschen müssen von dieser Erfahrung, stellvertretend für alle, die schon lange so standhaft dabei sind, lernen und sie uns zum Beispiel für unser weiteres Handeln nehmen.

Da ich auch für die Jugend spreche, von deren Kaderfähigkeit die Zukunft der kommunistischen Bewegung abhängt, heißt es für uns vor allem nach dieser PK: Lernen von den Klassikern, lernen von den Erfahrenen, lernen vom Leben, immer kritisch dem gegenüber sein, was als Revisionismus enttarnt wird und in aller erster Linie anwenden, was uns Marx und Lenin gelehrt! Wir müssen eine kritische Jugend sein! Kritisch, um zu sagen, dass das, was wir in den gegenwärtigen Parteien wieder finden, ein Bild wiedergibt, welches man auch als das Tal der Tränen und des Missmuts bezeichnen könnte. Doch auch dort gibt es fortschrittliche Kräfte, für sie gilt es eine Brücke zu bauen, die standhaft gegen jeden Sturm von außen ist!

Also lasst uns gemeinsam anpacken, der Weg ist noch lang, jeder einzelne Stein ein Kraftakt und eine Probe für uns. Aber wir können es schaffen! Einer der Grundsteine wurde am Wochenende des 5. und 6. Februar dafür gelegt!

In diesem Sinne: Rotfront!

Sophie, Düsseldorf


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Frank Flegel: Spendenaufruf für die KI Nordrhein-Westfalen

Die jungen Genossinnen und Genossen der KI im Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen haben die Chance, ein Büro aufzubauen. Das Ladenlokal würde nicht mehr als 100,00 Euro monatlich kosten.

Die Jugend ist die Zukunft unserer Bewegung, ihr Vorteil ist ihre Kraft und ihre Energie, ihr Nachteil (bitte das Wort nicht übel nehmen!) ist aber, dass sie - besonders im Kapitalismus - über eher bescheidene materielle Möglichkeiten verfügt.

Kurzum: die jungen Genossinnen und Genossen sind mehrheitlich noch in der Schule, in der Ausbildung oder im Studium. Die 100,00 Euro einmalig zu stemmen, wäre für sie kein Problem, dies aber jeden Monat wieder zu vollbringen, würde sie überfordern.

Deshalb bitte ich Euch, ihnen zu helfen.

Werdet Pate des KI-Büros in Düsseldorf, indem Ihr eine beliebige Summe für ein Jahr zusagt: 3 oder 5 oder 8 oder 10 Euro im Monat (nach oben sind natürlich keine Grenzen gesetzt). Ihr werdet vierteljährlich über den Aufbau des Büros und die von dort organisierten Aktivitäten exklusiv informiert werden!

Spenden an uns: offen-siv, Frank Flegel, Konto 30 90 180 146 bei der Sparkasse Hannover, BLZ 250 501 80, Kennwort: KI-Büro NRW. WICHTIG: Das Kennwort nicht vergessen!!! Wir leiten die Spenden dann weiter.

Frank Flegel, Hannover


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Exekutivkomitee der KI: Presseerklärung zur 2. Perspektivkonferenz

Die 2. Perspektivkonferenz der Kommunistischen Initiative (KI) wurde am Wochenende des 5./6. Februar in Hannover erfolgreich abgeschlossen. Genossinnen und Genossen aus Berlin, NRW, Thüringen, Sachsen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Baden-Württemberg, dem Saarland, Hessen sowie aus Luxemburg diskutierten und verabschiedeten in kämpferischer, auf die Zukunft orientierter Atmosphäre ein politisches wie organisationspolitisches Pensum, das in der Tat für die KI eine neue politische wie organisatorische Stufe ihrer Entwicklung bedeuten wird.

Zu Beginn der Perspektivkonferenz wurde ein umfangreicher, in drei Teile gegliederter Rechenschaftsbericht vorgelegt, der folgende inhaltliche Schwerpunkte enthielt:

1) Eine Analyse der aktuellen Situation des Imperialismus, besonders des BRD-Imperialismus, sowie des anhaltenden Niedergangs der zersplitterten, vom Revisionismus dominierten kommunistischen Bewegung in der BRD.

2) Eine kritische/selbstkritische Darstellung der Entwicklung der Kommunistischen Initiative seit ihrer Gründung, die es aber nicht versäumte, die insgesamt positive Bilanz ihres bisherigen Wirkens herauszuarbeiten. Nachvollziehbar wurde dabei auch die Rolle der seit ihrer Gründung anhaltenden und in den letzten Wochen zunehmenden Angriffe auf die KI: Sie haben unzweifelhaft das Ziel, die KI von außen und innen zu zerstören sowie aktive KI-Genossen zu verunglimpfen. Tatsache bleibt: Die KI hat bereits jetzt die im Niedergang erstarrte kommunistische Bewegung in der BRD ganz ordentlich durcheinandergewirbelt.

3) Der dritte Teil des Rechenschaftsberichtes war auf die Zukunft orientiert, machte die politischen wie vor allem auch organisationspolitischen Herausforderungen für die KI deutlich.

Gesondert wurde eine detaillierte Rechenschaftslegung der finanziellen Entwicklung der KI dargelegt und diskutiert. Sowohl der dreiteilige Rechenschafts- wie auch der Finanzbericht wurden auf der 2. Perspektivkonferenz diskutiert und verabschiedet.

Bereits im Vorfeld der 2. Perspektivkonferenz wurde an der KI-Basis der Entwurf einer Hauptresolution diskutiert. Die Hauptresolution wurde mit einigen Veränderungen angenommen und ist damit jetzt, in Weiterentwicklung und auf Basis des Gründungsaufrufs, das zentrale politische Dokument der KI, bis langfristig ein Programm erarbeitet sein wird.

Seit der 2. Perspektivkonferenz hat die KI nun auch eine Satzung. Kern der Satzung ist die Einführung eines Mitgliederstatus für die KI. Die verabschiedete Satzung regelt die Rechte wie auch Pflichten der Mitglieder der KI.

Zur Umsetzung der Beschlüsse und Orientierungen der Perspektivkonferenz arbeitete die Perspektivkonferenz in drei Arbeitsgruppen zu den Thematiken Bildung, Organisationspolitik sowie Medien. Aus diesen Arbeitsgruppen heraus bildete sich eine Mediengruppe, die von nun an kollektiv für die Weiterentwicklung und Verzahnung der Medien der KI (KI-TV, Der Schwarze Kanal, KI-Informationen, die schriftlichen KI-Mitteilungen, Aufkleber, Flugblätter etc.) verantwortlich sein wird. Die KI-Medien werden im Sinne eines kollektiven Agitators, Propagandisten wie Organisators wirken. Im Zentrum der Diskussionen stand deshalb auch die Diskussion um die Notwendigkeit der Schaffung und Entwicklung eines Zentralorgans sowie auch eines ideologischen Magazins.

Es wurden weiterhin Schritte zum Auf- und Ausbau einer systematischen marxistisch-leninistischen Bildungsarbeit beschlossen, die sowohl Aspekte der Kaderschulung wie auch unterschiedliche Formen der Massenbildung haben wird.

Hinsichtlich des weiteren organisationspolitischen Ausbaus der KI wurden zunächst die derzeitigen Strukturen auf Regionalebene wie auch an der Basis kritisch untersucht. Als Konsequenz wurden Schwerpunkte auf zwei Bereiche gelegt: die Stärkung (einschließlich notwendiger "Umbaumaßnahmen") der existierenden Regionalorganisationen der KI wie auch des flächendeckenden Aufbaus von KI-Stützpunkten, die gewährleisten sollen, dass die KI stärker als bisher an der Basis politisch und organisatorisch verankert werden wird.

Auf Basis der angenommenen Satzung der KI wurden die zentralen Führungsorgane der KI, ein Exekutivkomitee (EK) sowie ein Revisor gewählt. Der neue Vorsitzende der KI ist nun Genosse Phil Ramcke aus NRW, der bereits Vorsitzender der Vorbereitungsgruppe der 2. Perspektivkonferenz war. Auf seiner ersten konstituierenden Sitzung wählte das EK ein Sekretariat sowie die Zentrale Schieds- und Kontrollkommission (ZSKK).

Mit dem gemeinsamen Gesang der Internationale endete die 2. Perspektivkonferenz der KI, die den Genossen mit den Diskussionen wie auch Beschlüssen und Orientierungen das notwendige "Handwerkzeug" für die Entwicklung der KI mit auf den Weg gab. Die solidarische, kämpferische, auf die Zukunft orientierte Atmosphäre ließ jeden Genossen die revolutionäre Kraft spüren, mit der die KI auf ihrem weiteren Weg einen Sprung nach vorne machen wird.

Vorwärts mit der Kommunistischen Initiative!


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Interview mit Phil Ramcke: "Wir sind kein Sammelpott für billige Beliebigkeiten, denn wir halten fest an den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Marxismus-Leninismus."

Gespräch mit Phil Ramcke, Vorsitzender der Kommunistischen Initiative (KI) von Valerie Sophie

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]


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AG Bildung der KI: Kaderschulung

Organisatorische Bedingungen:

• Bildung regionaler Schulungsgruppen.
• Zweiwöchentliche interne Treffen der Gruppen vor Ort zwecks Diskussion und Klärung offener Fragen.
• Zweimonatlich eintägige Seminare mit dem/den Anleiter/n.
• Halbjährlich zweitägige gemeinsame Seminare aller Lerngruppen jeweils nach 6, 12 und 18 Monaten.
• Planung und Durchführung einer Großveranstaltung für die KI.


Inhalt:

1. Seminar (Beginn)

Ökonomie:
Ware, Gebrauchswert und Wert. Ware und Geld. Warenzirkulation. Der einfache Begriff des Kapitals.

Politik:
Klassen im Kapitalismus. Begriff des Proletariats. Klassenkampf a) auf gewerkschaftlicher Ebene; b) auf revolutionäre Ebene. Klasse an sich und Klasse für sich. Notwendigkeit der Partei.

Organisation:
Grundsätzliche Einführung: Verantwortung, Bestimmen von Aufgabenbereichen, Beschlüsse, Beschlusskontrolle, Präzision, Überblick, Menschenbild.


2. Seminar (nach 2 Monaten)

Ökonomie:
Formen der Mehrwertproduktion. Produktivkraftentwicklung im Kapitalismus. Das allgemein Gesetz der kapitalistischen Akkumulation, Konzentration und Zentralisation des Kapitals, industrielle Reservearmee. Der tendenzielle Fall der Profitrate. Die allgemeine Krise des Kapitals. Das imperialistische Stadium des Kapitalismus.

Politik:
Parteitheorie Teil 1:
Die Machtfrage. Die Frage nach dem Charakter der Partei, Massen- oder Kaderorganisation. Lenins Parteikonzept. Wissenschaft und Partei. Der demokratische Zentralismus. Abweichungen und ihre Folgen.

Organisation:
Kommunikation intern, Kommunikation mit den Parallelkursen.
Planung und Organisation der Versorgung bei den Seminaren.
Planung des gemeinsamen 4. Seminars - in Kooperation mit dem Parallelkurs. Planung einer Aktion der KI am Ende der Kaderschulung - gemeinsam mit den Parallelkursen - Thema, Inhalt, Ausrichtung (z.B. Veranstaltung der KI "Proletarische Kultur").


3. Seminar (nach vier Monaten)

Ökonomie:
Fetischcharakter der Ware, des Geldes und des Kapitals. Der Lohnfetisch. Mystifizierung der Oberfläche des Kapitals. Der Begriff des notwendig falschen Bewusstseins. Vernebelung des Klassenwiderspruchs.

Politik:
Parteitheorie Teil 2:
Partei und Massenorganisationen. Proletarischer Internationalismus. Antiimperialistische Solidarität. Der imperialistische Krieg und die Friedensbewegung. Zusammenfassend: Was ist Bündnispolitik? Das Problem der Vermischung von Bündnis und Partei.

Organisation:
Forschungslernseminar Agitation und Propaganda, Teil 1 - Ableitung der Anforderungen an die Agitation aus dem bisher erworbenen Wissen.
Beschlusskontrolle und weitere Festlegungen für das gemeinsame 4. Seminar.
Beschlusskontrolle und Konkretisierung der weiteren Planungen für die Aktion der KI (z.B. Veranstaltung der KI "Proletarische Kultur").


4. Seminar - zweitägig, als gemeinsames Seminar aller Lerngruppen (nach 6 Monaten)

Ökonomie:
Zusammenhängende und den Überblick schaffende Wiederholung der Seminare 1-3.

Politik I:
Zusammenhängende und den Überblick schaffende Wiederholung der Seminare 1-3.

Politik II:
Revolutionstheorie.
Strategie und Taktik der Kommunistischen Partei.

Organisation I:
Forschungslernseminar Agitation und Propaganda, Teil 2 - Wiederholung der grundsätzlichen Erkenntnisse über Agitation vom dritten Seminar, danach Analysen von Beispielen für aktuelle Agitationsmuster.

Philosophie:
Wissenschaftstheorie: Materialismus und Idealismus, Basis-Überbau-Modell, Dialektik. Marxsche Methode des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten. Logik und Empirie/Logik und Geschichte.

Organisation II:
Zusammenführung der vorläufigen Planungen der Lerngruppen für die Aktion der KI.


5. Seminar (nach 8 Monaten)

Ökonomie:
Grundsätze der politischen Ökonomie des Sozialismus: Aufhebung des Wertgesetzes, Planwirtschaft

Politik:
Staatstheorie Teil 1:
Der Staat im Kapitalismus. Inhalt und Ausprägung, Formen bürgerlicher Herrschaft.
Staatstheorie Teil 2:
Der Staat im Sozialismus - die Diktatur des Proletariats - Politik und Ökonomie.

Organisation:
Planungen für das gemeinsame 7. Seminar der Lerngruppen.
Beschlusskontrolle und Konkretisierung der weiteren Planungen für die Aktion der KI.


6. Seminar (nach 10 Monaten)

Ökonomie und Politik:
1. Der Revisionismus -
   a) Der klassische Revisionismus.
   b) Der moderne Revisionismus.
2. Die Geschichte des Sozialismus, vorwiegend dargestellt am Beispiel der Sowjetunion.
3. Was ist Anti-Stalinismus und wie begegnet man ihm?

Organisation:

Beschlusskontrolle und letzte Festlegungen für das gemeinsame 7. Seminar.
Beschlusskontrolle und letzte Festlegungen für die geplante Aktion der KI.


7. Seminar - zweitägig, als gemeinsames Seminar aller Lerngruppen (nach 12 Monaten)

Ökonomie und Politik:
1. Geschichte und aktuelle Lage der kommunistischen Bewegung in Deutschland.
2. Inhalte und Formen bürgerlicher, sozialdemokratischer und revisionistischer Propaganda.
3. Angriffe gegen die KI und taktische Handlungsanweisungen.

Publizistik:
1. Die KI braucht ein Zentralorgan. Grundsätzliche Fragen der Publizistik.
2. Arten von Artikeln, Handreichungen, praktische Übungen.

Organisation:
Entwerfen und Festlegen der Agitation und der Mobilisierung für die geplante Aktion der KI.
Festlegungen über die Logistik für die geplante Aktion der KI.
Vorbereitung für die publizistische Auswertung der geplanten Aktion der KI.


8. Geplante Aktivität für die KI (nach 14 Monaten)
(z.B. die erste Veranstaltung der KI "Proletarische Kultur")

1. Durchführung.
2. Dokumentation.
3. Publizistische Auswertung.


9. Seminar, eintägig, aber als gemeinsames Seminar aller Lerngruppen (nach 16 Monaten)

Organisation:
Kritische Reflexion von Planung, Vorbereitung und Durchführung der Aktion, Kritik und Selbstkritik.

Ökonomie:
Gesamtwiederholung.

Politik:
Gesamtwiederholung.

Publizistik:
Schritte zur Redaktion.


10. Seminar, zweitägig, als gemeinsames Seminar aller Lerngruppen (nach 18 Monaten)

Redaktion Zentralorgan.
Kontinuität der Kaderschulung.
Ausbildung der Ausbilder/innen.

Im Auftrag der AG Bildung: Frank Flegel, Hannover


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Hermann Jacobs: An die Leser von "offen-siv", Interessierte der KI

Ich schreibe diesen Brief in Unkenntnis der Ergebnisse der 2. Perspektivkonferenz der Kommunistischen Initiative, die am 5. und 6. Februar in Hannover stattgefunden hat, aber ich schreibe ihn in Kenntnis bereits der Ergebnisse der 2. Perspektivkonferenz ebenfalls der Kommunistischen Initiative, die am 6. Dezember in Gera stattgefunden hat. Wenden möchte ich mich mit diesem Brief an die Leser der Zeitschrift "offen-siv", entweder weil sie ebenfalls an den Vorgängen in einer Kommunistischen Initiative in Deutschland interessiert sind, oder weil sie auch an der Wertung interessiert sind, die die Zeitschrift erfährt, deren Leser sie sind: "offen-siv".

Zunächst, wie ich zur Kenntnis der Tagung in Gera gelangt bin, von der ich bis etwa Sommer, Anfang Herbst 2010 in den Mitteilungen der KI erfahren habe, und dann nicht mehr. Erst der Leitartikel in der Zeitschrift "RotFuchs" im Februar 2011 (Klaus Steiniger: "Deutschland braucht Kommunisten") brachte mich dann darauf. Dadurch neugierig geworden, suchte ich im Internet (unter "Willkommen - Kommunistische Initiative") und fand eine Eintragung der Ergebnisse der Geraer Konferenz, darunter die Erklärung "Ziel, Grundsätze, Erfahrungen und nächste Aufgaben der Kommunistischen Initiative/Entwurf eines Grundsatzdokuments".

Es sind zwei Dinge (Aussagen) in diesem Dokument, von denen ich denke, dass Leser der "offen-siv" sie wissen sollten. Die erste Aussage, eine eher formelle, behandelt den Umstand, dass schon die 1. Perspektivkonferenz der KI, die 2009 in Berlin tagte, beschlossen hatte, eine Manifestation der KI auszuarbeiten; es wurde eine Kommission benannt. Dazu die "Geraer Erklärung":

"Die von der 1. Perspektivkonferenz beschlossene Erarbeitung eines Grundsatzdokument ("Manifest") überforderte die selbstformierte Arbeitsgruppe. Diskussionen an der Basis kamen so gut wie nicht zustande. Veröffentlichungen im Internet stießen auf Desinteresse. Letztlich mußte das erarbeitete Material als diskussionsunwürdig eingeschätzt werden".

Dazu Folgendes. Die 1. Perspektivkonferenz der KI wählte eine Arbeitsgruppe (von Selbstformierung kann nicht die Rede sein), die ein Manifest (oder Entwurf) ausarbeiten sollte - richtig. Nur, diese Arbeitsgruppe trat in ihrer gewählten Form nie zusammen (so dass auch Überforderung nicht den Sachverhalt trifft). Es kam zu zwei Zusammenkünften, an der ersten nahm von der Arbeitsgruppe nur ein Genosse teil (der gewählte Verantwortliche) - und ich, der zuvor auf der Konferenz gefragt wurde, ob er zur Mitarbeit bereit wäre (was der Fall war). Auf der zweiten Zusammenkunft (ca. zwei Monate später) war wieder nur derselbe Genosse der gewählten Arbeitsgruppe anwesend, und ein nichtgewählter Genosse aus Dresden, ebenfalls ein Interessierter, und wieder meine Person. So dass ich eben davon ausgehe, dass die Arbeitsgruppe nie getagt hat und sich die Mitarbeit anderer auf (wenige) schriftliche Beiträge beschränkte, die aber mehr empfehlenden Charakter ("man sollte, man müßte") hatten und als Entwürfe nicht in Frage kommen konnten. Irgendwann im April/Mai wurde ein Ergebnis vom damaligen OK verlangt, und das war dann das als "diskussionsunwürdig" eingeschätzte Material, das aber ausschließlich von dem Genossen zusammengestellt wurde, den ich als den gewählten Genossen der Arbeitsgruppe bezeichne - von vornherein eine Sysiphusarbeit und deren Form ihm nicht anzulasten ist (denn einen wirklichen Entwurf des Manifestes - durch eine Arbeitsgruppe - hat es nie gegeben.) Im Prinzip würde ich die Ansicht teilen, dass die Tätigkeit der Arbeitsgruppe nicht den Vorstellungen der KI als auch nicht den Wünschen entsprach, die an die Gründung einer KI geknüpft sein mochten, mir kommt es nur auf die richtige Darstellung des Sachverhalts an.

Doch die Lage ist noch etwas anders. Hier muß ich auf meine Person zu sprechen kommen. Als ich im Dezember 2009 meine Mitarbeit zusagte, machte ich mich an die Ausarbeitung eines entsprechenden Dokuments, das Anfang Januar 2010 fertig war und von mir an die KI und an die Zeitschrift "offen-siv" übersandt wurde. Zu meiner Freude und Überraschung wurde in der Januar/Februar-Nummer von "offen-siv" mit dem Abdruck eines ersten Teils der Arbeit begonnen ("Der manifeste Kommunismus/Eine Bestandsaufnahme"). Die Fortsetzung des Abdrucks wurde für die April-Nummer der Zeitschrift angekündigt. Der April kam, aber der weitere Abdruck erfolgte nicht mehr, ohne Erklärung übrigens. Ich wartete zwei, drei Wochen, bis ich nachfragte und die Auskunft erhielt, dass es einen Einwand seitens der KI gegeben hätte, das Material sei doch an sie gerichtet gewesen und die Entscheidung darüber, ob es in die Öffentlichkeit gelange, läge bei ihnen.

Das hatte ich zu akzeptieren. Ich gebe aber zu, dass ich es gerne gesehen hätte, wenn die Leser des "offen-siv" wie auch die Interessierten der KI den ganzen Text zu lesen bekommen hätten, ja, ich gestehe, dass ich nichts dagegen gehabt hätte, wenn diese Arbeit in den Fonds jener Arbeiten eingegangen wäre, über den sich eine kommunistische Initiative theoretisch formulieren würde. Es war ein geschlossenes Dokument, die KI hatte ihr Dokument mit den grundsätzlich notwendigen theoretischen Aussagen,(38) es war - und ist - diskussionswürdig, nur - aufdrängen konnte ich mich auch nicht, und: es hat wohl doch Gründe anderer Art als solche der Kompetenz gegeben, die diese Arbeit gewissermaßen ins geistige Abseits geraten ließen. Warum ich dieser Meinung bin?

Es gibt in der Erklärung der Geraer Konferenz der KI eine Aussage zu einer zweiten, viel wichtigeren Thematik, auf die ich auch aufmerksam machen möchte. Sie hat inhaltlichen Charakter:

"Die KI (gemeint ist die von Gera, J.) betrachtet die notwendige Niederlagenanalyse als Aufbereitung von Erfahrungen unterschiedlicher Qualität. Dazu ist noch viel Arbeit notwendig. Auffassungen, es sei bereits alles gesagt, sind (und jetzt die Aussage, auf die es mir ankommt, J.) ebenso irrig, wie der Versuch, mit dem Verweis auf die Rolle des Revisionismus andere objektive Ursachen gering zu schätzen".

D.h. mit dem Verweis auf die Rolle des Revisionismus (bei der Niederlagenanalyse) ist von nun an ein Makel verbunden, die KI/Gera lässt eine Distanz erkennen. Sie warnt nicht direkt vor der Revisionismusfrage, aber doch so vor ihr, dass mit dem Aufwerfen ihrer Bedeutung der Versuch der Abwertung ("Geringschätzung") "anderer objektiver Ursachen verbunden" wäre. Ein Fehlverhalten liege an, sagen wir eine Einseitigkeit, richtig wäre das Einführen einer Vielfalt von Faktoren (der Niederlagenanalyse) in die Debatte. So lese ich "Gera".

Der Mangel der Geraer Erklärung ist natürlich der, dass sie weder sagt, worin die Überbetonung der Revisionismusfrage besteht, wer sie ausgesprochen resp. in die KI eingeführt hat, noch lässt die Geraer Erklärung erkennen, worin denn ihre Nicht-Überbetonung, also ihre nach Geraer Ansicht heruntergeschraubte und dann in ihrer Wertigkeit richtig justierte Bedeutung der Revisionismusfrage bestehen soll. Diese muss ja noch bestehen, wenn sie nur überbetont worden. Und der zweite Mangel ist der, dass "die anderen objektiven Faktoren", die durch die Revisionismusfrage Schaden genommen haben sollen, nicht genannt werden. Man kriegt eine neue Orientierung und weiß eigentlich nicht warum, und wohin das führen soll. Nur "dagegen" soll man sein. Das scheint mir nicht fair zu sein.

Wäre die Frage des Revisionismus an sich falsch (in der Debatte), wäre sie zurückzuweisen. Nun ist sie natürlich nicht falsch, wenn wir auch gezwungen sind, von einer besonderen Rolle des Revisionismus (ich meine seine "moderne" Entwicklung, die inmitten des Sozialismus auftrat) zu sprechen; sie erklärt nicht alles und jedes. Ich bin durchaus für eine tiefergehende Debatte.

Und hier taucht natürlich die Frage auf, welche Gefahr wirklich mit dem Revisionismus in seiner ökonomischen Form verbunden ist. Dem modernen, dem ökonomischen Revisionismus wachsen heute die Flügel, weil er jetzt die so genannte Niederlage des Sozialismus für eine günstige, ja, für seine günstigste geschichtliche Gelegenheit verbuchen kann, den Sozialismus/Kommunismus in seinen bekannten planwirtschaftlichen Prämissen zu ersetzen durch eben seine revisionistischen. Jetzt, wo es scheint, der Sozialismus (sowjetischer Prägung) sei zusammengebrochen - Gorbatschow sei nur der arme Hund gewesen, der den Zusammenbruch zu verwalten hatte (gar: er machte für Rußland, für den russischen Staat noch das Beste aus der Situation) -, gelingt es scheinbar dem Revisionismus, das Erbe des Marxismus anzutreten. Nicht im Moment seiner Stärke konnte der Revisionismus den realen Sozialismus besiegen, sondern jetzt, im Moment seiner gesellschaftlichen Schwäche.

Es besteht die Gefahr, dass jetzt die Gesellschaftsauffassung der Arbeiterklasse, worin sie die Alternative zum Kapitalismus sieht, ersetzt, ausgewechselt wird durch eine Gesellschaftsauffassung, die ­... schon Marx gar nicht erst in Betracht zog (indem er nur die seine, marxsche Auffassung entwickelte), ... Engels vehement der Kritik unterwarf (Anti-Dühring), ... Lenin zurückwies (Kritik am Anarcho-Syndikalismus, an Bernstein und Kautsky), ... seit dem Übergang zur Planwirtschaft keine Chance auf praktische Verwirklichung mehr erhielt, aber dennoch - wie ein Chamäleon immer neue Farben annehmen kann - mit immer neuen Varianten der Kritik die Aufhebung des planwirtschaftlichen Systems und seiner Umwandlung in ein waren- und wertökonomischen System anstrebte.

Das war ja nicht verboten, nicht erst unter Gorbatschow nicht verboten! Das war vor allen Dingen nicht theoretisch verboten. Die "Reformkritiker" hatten theoretisch gesehen Öffentlichkeitsanspruch. D.h. der Revisionismus war frei, war Teil des Sozialismus. Man konnte immer wieder von ihm lesen, mal an diesem, mal an jenem Ort, mal von diesem Wissenschaftler, mal von jenem. Er nutzte Erscheinungen des realen Sozialismus (der realen Planwirtschaft) aus, trat als derjenige auf, der sich bessere Varianten des sozialistischen Verhaltens ausdachte (zu bestimmten Kategorien, die in der realen Planwirtschaft noch Platz und Raum fanden - aus welchen Gründen auch immer), man konnte nicht immer unterscheiden, was dem Sozialismus diente oder was der Revision des Sozialismus gedient hätte, die Lage im Sozialismus war auch verworren. Man muß beide Erscheinungen berücksichtigen, wenn man über den Revisionismus urteilt. Man hat vor allen Dingen zu berücksichtigen, dass es sich beim Sozialismus, der 1. Phase erst des Kommunismus, um eine Übergangsperiode von der Waren-Ökonomie zur Bedarfs-Ökonomie handelt, also die Frage des Übergangs von den einen zu den anderen Kategorien in der Ökonomie relativ ruhig angegangen werden muß. Der Übergang hat Übergangsformen, wie sind sie zuzuordnen, noch dem alten, oder schon dem neuen ökonomischen System? Die Ökonomie insgesamt gesehen darf ja auch nicht aus dem Ruder laufen. Da ist die Diskussion breiter angelegt als die Praxis.

Die Geschichte (der Arbeiterbewegung) insgesamt betrachtet, haben wir es - das Wirtschaftssystem des Sozialismus/Kommunismus näher betrachtet - mit einem latenten Gegensatz seit der Gründung der Arbeiterbewegung zu tun (mal stärker, mal schwächer). Es gibt zwei Auffassungen nicht nur von den Wegen zum Kommunismus, sondern vom Kommunismus selbst. Die innere Spaltung schien mit der Realität einer gesellschaftlichen Planwirtschaft überwunden, aber die Aufhebung der Sowjetunion wirft die Arbeiterbewegung wieder in den vorplanwirtschaftlichen Zustand der sozialistischen Revolution zurück. Und wo die Verteidigung der DDR ihr Ziel ist, wird alles Mögliche verteidigt, mit einer Ausnahme: das ökonomische System des Sozialismus. So dass eben, bei aller "Verteidigung des Sozialismus", eines offen bleibt: Das ökonomische System des Sozialismus.

Und: Ist das offen? Wollen wir das sozialistische (oder kommunistische) ökonomisches System immer noch als eine offene, eine erst zu beantwortende Frage behandeln? Meine Meinung, und seit vielen Jahrzehnten vertreten: Indem wir uns in der Frage des ökonomischen Systems des Kommunismus öffnen, d.h. nicht von der schon systemisch gefundenen Antwort (Planwirtschaft) ausgehen, sondern allen möglichen Verbesserungen, Reformen und Reförmchen an ihr das Wort reden, öffnen wir uns dem Revisionismus. Die Planwirtschaft entwickeln - bitte, sie systemisch verändern - nein. (Selbst die Perspektiv-Konferenz von Hannover der KI hat im Vorfeld eine Erklärung veröffentlicht, die als eine Offerte an das Neue Ökonomische System der DDR bezeichnet werden kann, obwohl seine Einführung doch eine Abkehr von der Planwirtschaft bedeutet hätte.)

Was muss man heute tun?

Man muss analysieren, was der Revisionismus heute überhaupt ist, worin er - ausgehend von Erscheinungen des realen Sozialismus - Eingang gefunden hat in die gegenwärtige Arbeiterbewegung; seine Rolle, die er heute und morgen spielen könnte. Und man muss bestimmen, was eine KI dazu tun könnte, der letzten Erscheinung des Revisionismus eine historische Niederlage zu bereiten. "Gera" ist kein Beitrag dazu. Die Erklärung, die eine Irritation einklagt, irritiert. Sie nimmt einem Faktor seine besondere geschichtliche Bedeutung allein dadurch, dass sie ihn als gleichrangig neben andere Faktoren einreiht. Der Revisionismus, ein Faktor unter vielen? Das nimmt ihm die Bedeutung, dass er den Marxismus ablösen kann als Theorie der Arbeiterbewegung bzw. wir uns mit ihm viele Jahrzehnte lang als einer konkurrierenden Variante zum Marxismus-Leninismus herumplagen müssen.

Wir stehen hier vor der wohl wichtigsten Frage einer Wieder- resp. Weiterbestimmung des kommunistischen Gedankens überhaupt. Die Frage des Revisionismus, was er ist, worin er besteht, warum er seine Aufwertung erfahren hat, ist für die Konstitution des Kommunismus als Gesellschaftsordnung wichtiger als die Frage der Analyse der so genannten Niederlage. Eine Reflektion auf ein geschichtliches Ereignis kann schwerer wiegen als das Ereignis. Warum? Nun, so wenig wie eine Konterrevolution gegen den Kapitalismus den Kapitalismus in seiner Qualität berührt hat, so wenig berührt eine Konterrevolution gegen den Kommunismus den Kommunismus in seiner Qualität. Aber eine Ersetzung des einen, planwirtschaftlichen Kommunismus durch den anderen, revisionistisch der Warenökonomie angenäherten Kommunismus in der Folge einer Reflektion auf eine Konterrevolution berührt den Kommunismus schon. ("So ist er also ersetzbar, so war doch nicht der richtige? So stellen wir seine Verteidigung doch ein, es hat eh keinen Sinn mehr"). Die Ersetzbarkeit des planwirtschaftlichen durch den kleinbürgerlichen Sozialismus nimmt der Verteidigung des Kommunismus seinen Sinn - und das mag auch ein Sinn sein.

Die Niederlage bzw. das Heraustreten der Sowjetunion (inklusive DDR usw.) aus der Geschichte ist schlimm, aber das darf nicht den Kommunismus, wie er bekannt und erkannt ist, ersetzen. Es darf nicht der Grund sein, ihn zu ersetzen durch eine neue, abweichende Auffassung vom Kommunismus, die besagt, dass der Grund für die Niederlage gerade in den Umständen seines Seins besteht. Es ist ja ein Unterschied, ob ich den "Revisionismus begründe als/wie eine andere, abweichende Auffassung vom Sozialismus", oder ob ich ihn - scheinbar gleichwertig - begründe als "den anderen Sozialismus", der sich aus dem Niedergang des Sozialismus begründet. Er nimmt dadurch den Charakter einer Wahllosigkeit für die Parteien an.

Es ist ein abweichendes Bild vom Kommunismus begründet worden - durch den Revisionismus.

Eine kommunistische Initiative, die den Kommunismus wieder zum Leben erwecken will (sagen wir mal in Deutschland, denn in der Welt ist er ja nicht gerade erloschen), kann ihn gar nicht wiederbegründen, wenn es nicht zu einer klaren Distanzierung - dies erstens, dann Widerlegung - dies zweitens, schließlich Überwindung - dies drittens, der revisionistischen, revidierenden Auffassung vom Kommunismus kommt. Wir brauchen eine KI, deren Markenzeichen die Überwindung des Revisionismus ist, das ist ihre theoretische Aktion/Aufgabe - ich schreibe diese Gedanken nieder in Unkenntnis der Ergebnisse von Hannover, schreibe also in diesem Augenblick tatsächlich nur meine eigene Meinung nieder -, am Willen, in der Arbeiterbewegung einen Zustand zu erreichen, wo in der Frage, worin der gegenwärtige Kommunismus gespalten ist, wieder Klarheit und Einheit eintritt, wird eine KI gemessen ... oder sie wird keine KI sein.

Man kann, liebe Genossen von "Gera", keine Spaltung in den Kommunismus hineinbringen, er ist gespalten! Es gibt die Auffassung, der Kommunismus (oder Sozialismus), den es gegeben hat, sei der falsche, der richtige sei ein anderer, pluralistischer, marktwirtschaftlicher.

Und wie soll da eine KI entstehen, die sich zu dieser Frage nicht verhält, nur so nebenbei verhält, als eine Frage unter vielen verhält?

Wie ist in diesem Fall die Zeitschrift "offen-siv" zu sehen? So, dass sie die einzige Zeitschrift in Deutschland ist (und Deutschland dürfte nicht einmal reichen), die dem Fragenkomplex, den der moderne, neue Revisionismus in der ökonomischen Form aufgeworfen hat, die Stirn geboten hat. Seit geraumer Zeit schon, immer wieder, immer beharrlicher.

Die Zeitschrift "offen-siv" zum Gegner zu machen heißt, den Revisionismus nicht zum Gegner zu haben. Aber als was dann zu haben? Diese Frage taucht doch auf.

Die Zukunft wird uns bald lehren.

Hermann Jacobs, Berlin


Fußnote

(38) Der Nachweis wäre zu erbringen, indem der ganze Abdruck nachgeholt würde.


*


Monika Voigt, RO Voigtland KPD und KI: Die Politik der Aktionseinheit der Arbeiterklasse und aller demokratischer Kräfte unseres Volkes.

Wir, die Arbeiterklasse, müssen unseren Kampf unter schwierigsten Bedingungen führen, unter der weltweit am besten organisierten imperialistischen Klasse des Finanzkapitals.

Sie haben einen mächtigen Unterdrückungsapparat:

Armee
Polizei
Gerichte
Gefängnisse

und verfügen über alle Mittel zur ideologischen Massenbeeinflussung:

Kirche
Universitäten
Schule
Presse
Rundfunk
Fernsehen
Film
Theater

Sie wissen ganz genau, wie sie die Macht und Traditionen der Ausbeutergesellschaft gebrauchen.

Obwohl alle Bedingungen in unserer heutigen Zeit gegeben sind und für das Überleben unserer Völker die Aktionseinheit eine unerschütterliche objektive Notwendigkeit ist, wird dieses Bündnis nicht im Selbstlauf entstehen.

Es bedarf der Führung durch den bewusstesten Vortrupp der Arbeiterklasse, der Kommunisten.

Heimtückisch fördert und nutzt die Bourgeoisie alle Möglichkeiten der Spaltung der Arbeiterklasse um sie ihrer Kraft zu berauben und das Bewusstsein der Menschen von der Herrschaft des Imperialismus als von "Gott gewollt" zu überzeugen.

Deshalb ist Einheit der Arbeiterklasse eine gebieterische Forderung der Gegenwart, die gemeinsamen Interessen müssen uns vereinen.

Es gibt viele hervorragende Beispiele der Aktionseinheit, besonders ist die internationale Bewegung der Antifaschisten. Es bildete sich eine machtvolle Bewegung zur Herstellung der Einheit der Arbeiterklasse z.B. in Frankreich, Spanien, Österreich und Deutschland, wo sich die Führungen sozialistischer Parteien, die bis dahin einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten verweigert hatten, gezwungen sahen, ihre Haltung revidieren.

In dieser Zeit wurden gemeinsame Vereinbarungen und Resolutionen beschlossen und verabschiedet zum gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus. In Spanien und Frankreich bildeten sich Volksfrontregierungen.

Viele der Mitglieder und Funktionäre der sozialistischen Parteien, Anhänger der bürgerlichen Parteien, Demokraten, Radikale, Christen und Katholiken kämpften Schulter an Schulter gegen den Faschismus.

Nach der Überwindung des Faschismus führten die Erfahrungen aus der Geschichte zur Bildung des Weltgewerkschaftsbundes und riefen zwangsläufig die Gegner der Arbeiterklasse auf den Plan. Sie injizierten unter Führung der USA die erneute Spaltung der Arbeiterklasse.

Die Verleumdung, dass die Kommunisten nur egoistisch eigene Interessen vertreten und auf Mitgliederfang aus sind. Hier wurden damals wie heute die Motive, von denen sich die Kommunisten leiten lassen verleugnet, diskriminiert und kriminalisiert.

Nach wie vor gehen die Kommunisten in ihrem Kampf um die Einheit der Arbeiterklasse von den ureigenen Interessen aller Werktätigen aus, denn wenn alle einig und zusammen handeln, dann ist das ein Gewinn für alle.

Die gesamte praktische Tätigkeit aller aufrechten Kommunisten in der heutigen Zeit ist keine konjunkturbedingte Beschäftigung, sondern der Kampf für Frieden, gegen Krieg, gegen Armut und Ausbeutung, darum, die Welt zu erkennen und zu verändern. Dieser Kampf lässt keine dunklen Schliche zu, die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit die der Arbeiterklasse eigen ist, ihr innewohnt, erfordert deshalb hier und heute die Einheit der Kommunisten auf marxistisch-leninistischer Basis. Nur auf diesem Fundament kann eine breite Aktionseinheit, die in eine breite demokratische, antiimperialistische Volksfron unter Führung der Arbeiterklasse einmündet, wachsen. Es ist die Sorge um die Lebensinteressen aller Werktätigen, die uns Kommunisten treibt.

Prof. Camille Huysmans, Führer der Sozialistischen Partei Belgiens, betonte in diesem Zusammenhang: "Mich einen alten Sozialisten, der viele Jahre hindurch ein Freund Lenins und seiner Frau Krupskaja war, hat alles das tief bewegt. Ich kannte die Gedanken Lenins und seine Qualitäten. Ich betrachte den Bruch, zu dem es zwischen uns im Jahre 1917 gekommen ist, als einen Fehler. All das aber gehört der Vergangenheit an, und ich will niemand einen Vorwurf machen. Wohl aber will ich mit allen Kräften dazu beitragen, dass die Einheit der Arbeiterklasse in Europa wieder hergestellt wird."

Der Veteran der Arbeiterklasse, Otto Buchwitz, schrieb an die Jugend: "Möge die junge Generation die Lehren aus der Geschichte ziehen und sich bewusst sein: Eine starke Arbeiterbewegung ist in all ihrem Handeln nicht nur ihrer Klasse verantwortlich, sondern darüber hinaus ihrem gesamten Volk, ja der gesamten Menschheit. Dass dem so ist, beweist die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Wäre sie einig im Kampf gegen den Faschismus gewesen, hätte Hitler nie an die Macht kommen können. Ohne Hitler kein Krieg, und die Millionen der Weltjugend brauchten nicht für größenwahnsinnige Verbrecher, für Imperialisten und Monopolisten in den Tod zugehen.

Die Gegner behaupten, dass es zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten keine Gemeinsamkeiten gibt und dass Sozialismus und Kommunismus nichts miteinander zu tun haben, das ist reiner Unsinn, eine Verfälschung der Realität."

Prof. J. Coale von der Labourpartei Englands zeigte vier Übereinstimmungen zwischen Sozialdemokraten und Arbeiterparteien auf.

Die Kommunisten wie die Sozialisten sind davon überzeugt, dass die wichtigsten Produktionsmittel sich in kollektivem Eigentum befinden und im Interesse der gesamten Gesellschaft genutzt werden müssen, das heißt, dass der Kapitalismus vom Sozialismus abgelöst werden muss.

Die einen wie die anderen wollen eine Gesellschaft mit hohem Lebensstandard und weitgehenden Möglichkeiten für das Bildungs- und Gesundheitswesen, soziale Sicherheit etc. schaffen.

Sie stimmen darin überein, dass niemand das Recht hat, auf Kosten anderer Menschen zu leben, das heißt, dass es keine Ausbeutung geben darf.

Sowohl die Kommunisten als auch die Sozialisten sind davon überzeugt, dass der Aufbau der neuen Gesellschaft Aufgabe der Arbeiterklasse sein muss.

Wege zur Herstellung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse

Die Grundvoraussetzung zur Aktionseinheit ist der Wille der Arbeitermassen, sich auf Grund seiner sozialen Verelendung gegen die Ausbeutung und Unterdrückung in den Klassenauseinandersetzungen zusammen zu schließen. Den geschickten Agenten und Spaltern der Ausbeuter entschieden zu trotzen. Dieses Bestreben wird weltweit in allen Ländern immer spürbarer, die Organisiertheit der arbeitenden und ausgebeuteten Kinder und Jugendlichen ist auf der ganzen Welt in der Entwicklung begriffen und lässt sich durch nichts aufhalten. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sie, da sie politisch noch ungebildet und unerfahren sind, von der Bourgeoisie fehlgeleitet werden und ihre Aktivitäten paralysiert werden.

Die nach der Konterrevolution entstandene Situation in den Arbeiterparteien ist katastrophal, die einen wollen ganz klassisch sozialdemokratisch in den Sozialismus hineinwachsen, aber auf keinen Fall den Ausbeutern weh tun, die anderen waren nie Kommunisten gewesen und entwickeln sich zu gefährlichen Antikommunisten.

Lenin sagte: "Die Kommunisten dürfen nicht im eigenen Saft schmoren sondern müssen lernen, so zu handeln, dass sie, ohne vor gewissen Opfern halt zu machen, ohne die beim Beginn eines jeden neuen und schwierigen Werkes unvermeidlichen Fehler zu scheuen, in den verschlossenen Raum eindringen, in dem die Vertreter der Bourgeoisie auf die Arbeiter einwirken. Kommunisten, die das nicht verstehen wollen und das nicht lernen wollen, können nicht darauf hoffen, unter der Arbeiterschaft die Mehrheit zu erlangen." Bd. 33, S319/320

Ideologische Meinungsverschiedenheiten sind kein Hindernis für die Zusammenarbeit in der Aktionseinheit. In ihrem Bestreben, die Aktionseinheit zu verhindern, verweisen die Rechten gewöhnlich auf die unüberwindlichen Hindernisse in der Zusammenarbeit hin.

Die Führungen erwirken Unvereinbarkeitsbeschlüsse, um die unbequemen Genossen auszuschließen, sie zu zerstören und ihrer politischen Heimat zu berauben. Das bringt jedoch eine Arbeiterpartei nicht einen Schritt vorwärts. Auch die Ideologie des Reformismus ist nur eine Maske des Antikommunismus und enthält kein Körnchen reale Politik.

Wir als Kommunisten müssen eine geduldige und kameradschaftliche Aufklärungsarbeit leisten, die Bildung der Jugend und der Massen ist unsere Pflicht.

Das können wir jedoch nur wirklich erreichen, wenn wir als Vorbild voran gehen, wenn wir zeigen, dass der Marxismus-Leninismus unser ständiges Handwerkszeug ist und nicht Vorwand, um verlorene persönliche Positionen wieder zu erringen. Das erfordert immer zwingender in der imperialistischen BRD die Einheit der Kommunisten auf klarer marxistisch-leninistischer Basis, eben eine einheitliche kommunistische Partei!

Wie viele haben untätig der Konterrevolution zugesehen, haben in ihren Positionen Verrat an unserem kleinen Land, der DDR, geübt, haben geglaubt, wenn sie sich in die multinationalen Konzerne einklinken, dann kommen sie als ganz große Multimillionäre heraus. Die Bourgeoisie hat diese Leute jedoch nur benutzt, um das sozialistische Weltsystem von Wladiwostok bis zur Elbe zu zerstören. Sie haben aktiv geholfen, unser Volk von den Produktionsmitteln, vom Volkseigentum, von seiner Verfassung zu befreien und somit rechtlos in die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu führen.

Wir Kommunisten sind bereit, bei Wahlen auch sozialdemokratische Parteien, wie z.B. "Die Linke" im Wahlkampf zu unterstützen, so haben wir 2010 im oberen Vogtland gemeinsam einen Zuwachs von 4% der Stimmen für "Die Linke" erreicht, nicht für die Posten einzelner Personen, sondern für eine bessere Position unserer Menschen im Kampf gegen Sozialabbau, gegen Armut, gegen Bildungsnotstand, für Frieden, für demokratische Rechte, gegen die Wiederherstellung der faschistischen Diktatur.

Die Voraussetzungen, dass die Massen sich vereinen und gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen den Abbau demokratischer Rechte aufbegehren, sind heute weltweit gegeben.

Es finden sich geradlinige Menschen verschiedener Parteien, Organisationen, Vereine und Glaubensrichtungen zusammen und koordinieren die Aktionen gegen Sozialabbau, Krieg und Faschismus. Je aggressiver die gefährliche Politik der Regierungen im Auftrag des imperialistischen Systems sich negativ auf das Leben der Völker auswirkt, umso schneller wachsen die Unruhe und Besorgnis der Völker.

Es ist jedoch eine Tatsache, dass die Kommunisten, ehe sie den Führungsanspruch für sich erheben, sich ihrer historischen Pflicht bewusst sein und dieser gerecht werden müssen, sich täglich diesen Anspruch zu erarbeiten, denn nur dann hören ihnen die Massen zu und bringen ihnen ihr Vertrauen entgegen. Auch deshalb brauchen wir so dringend DIE einheitliche kommunistische Partei in der BRD!


Regionalorganisation Vogtland der KPD
Regionalorganisation Vogtland der Kommunistischen Initiative (KI)
Monika Voigt, Vorsitzende

Raute

NACHRICHTEN AUS DEM NIEDERGANG

Gerhard Feldbauer: Sentenzen zum 90. Jahrestag der Italienischen Kommunistischen Partei - Wurzeln des heutigen Übels der Linken Italiens

Sentenzen zur Geschichte der vor 90 Jahren gegründeten IKP

Nach heroischen Zeiten begann mit dem Scheitern des "Historischen Kompromisses" in den 1970er Jahren ihr Weg in den Untergang.

Die am 21. Januar 1921 in Livorno von den Linken mit Antonio Gramsci an der Spitze gegründete Italienische Kommunistische Partei[1](39) wurde 70 Jahre alt. Wenige Tage nach diesem Datum wurde ihr von den Revisionisten auf ihrem 20 Parteitag, der vom 31. Januar bis 2. Februar 1991 in Rimini tagte, mit der Umwandlung in eine sozialdemokratische Linkspartei (PDS) der Todesstoß versetzt.

Fußnote
(39) Die Anmerkungen findet Ihr am Ende des Artikels!

Auf der Suche nach den Wurzeln der heutigen tiefen Krise der Linken des Landes kommt man nicht umhin, sich der wechselvollen Geschichte der IKP zuzuwenden. Dabei kommen Brüche zutage, liegen Licht und Schatten oft dicht beieinander. Bei herausragenden Erfolgen zeigt die Kehrseite der Medaille negative Begleiterscheinungen, die manchmal hinzunehmen waren, aber nicht aus den Augen verloren werden durften, was jedoch oft geschah.

Vor der Gründung wollte Antonio Gramsci die Sozialistische Partei (ISP) in eine "revolutionäre Partei des Proletariats" umwandeln. Angesichts des Fehlens einer mit Deutschland vergleichbaren Arbeiteraristokratie - eine Folge der relativ spät einsetzenden kapitalistischen Entwicklung - hatte er das - von Lenin unterstützt - für möglich gehalten.[2] Das beruhte auch auf der Antikriegshaltung, welche die Linken in der ISP 1914 bei Ausbruch des Krieges als einzige westeuropäische Sektion der II. Internationale bezogen und während des Krieges gegen die Versuche der Reformisten beibehielten. In Livorno ging es nun um den Ausschluss der Reformisten. Das Kräfteverhältnis war günstig: Die Zentristen vertraten 98.028 Mitglieder, die Linken 58.783, die Reformisten nur 14.695. Mit dem Argument, die Einheit der Partei zu wahren, lehnten die Zentristen jedoch den Ausschluss der Reformisten ab. Daraufhin verließen die Linken den Parteitag und gründeten die Kommunistische Partei.

Das Zusammenwirken mit den Sozialisten bildete ein Hauptkettenglied der Bündniskonzeption Gramscis. Die IKP lehnte die Sozialfaschismusthese der Komintern ab und betrachtete die Sozialdemokratie als Teil der Arbeiterbewegung. Das ermöglichte 1934 das Aktionseinheitsabkommen, das 1937 auf antiimperialistischen Positionen und einem Bekenntnis zum Sozialismus erweitert wurde.

Die Aktionseinheit führte jedoch auch dazu, dass in der IKP, von einer Debatte nach der Parteigründung abgesehen, eine Auseinandersetzung mit dem Opportunismus keine wesentliche Rolle spielte. Hier ist jedoch auch zu sehen, dass die Partei seit dem Machtantritt Mussolinis 1922, obwohl sie erst 1926 offiziell verboten wurde, in faktischer Illegalität arbeiten musste. Für eine Auseinandersetzung mit den Sozialisten schien auch kein grundsätzlicher Anlass zu bestehen, denn diese bezogen in vielen Fragen gemeinsam mit der IKP antifaschistische und auch antiimperialistische Positionen.


Gramsci ein herausragender Theoretiker

In Gramsci besaß nicht nur die IKP, sondern auch die kommunistische Weltbewegung einen herausragenden Theoretiker. Lange vor dem VII. Weltkongress der Komintern erarbeitete er, um nur ein Beispiel zu nennen, in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre als Erster Grundsätze einer Analyse des Faschismus und die für seinen Sturz erforderliche breite nationale Bündniskonzeption. Auf dieser Grundlage wurde die Partei führende Kraft der Arbeiterklasse und diese zur Triebkraft des Sturzes Mussolinis im Juli 1943 durch Kapitalkreise, die sich nicht in die Niederlage Hitlerdeutschlands hineinziehen lassen wollten und aus Furcht vor einem Volksaufstand sich des Diktators entledigten. Mit der "Wende von Salerno", dem Eintritt der Kommunisten und Sozialisten mit den bürgerlichen Oppositionsparteien in die Regierung des vorherigen Mussolini-Marschalls Pietro Badoglio, verwirklichte Palmiro Togliatti Gramscis Konzept eines "Historischen Blocks" und brachte eine breite nationale Kriegskoalition gegen die Besatzungsmacht der Hitlerwehrmacht und ihrer Handlanger, der Mussolinifaschisten zustande.

Den ersten Bruch markierte die nach dem Sieg über den Faschismus eingeschlagene Strategie. Die IKP ging aus der Resistenza[3] als die politisch einflussreichste Kraft hervor. Sie wuchs auf über zwei Millionen Mitglieder an und wurde eine Massenpartei. Mit dem von ihr vorbereiteten Generalstreik begann am 18. April 1945 ein allgemeiner bewaffneter Aufstand, in dessen Verlauf die Partisanen vor dem Eintreffen der alliierten Truppen in Norditalien 106 noch von der Wehrmacht besetzte Städte und Gemeinden einnahmen, darunter alle Großstädte, Mailand am 27. April, fünf Tage vor dem Eintreffen der Alliierten am 2. Mai. Über 200.000 Soldaten der Hitlerwehrmacht kapitulierten und begaben sich Gefangenschaft der Partisanen. In den befreiten Gebieten übernahmen von den Linken dominierte örtliche Organe des Nationalen Befreiungskomitees (CLN) die Macht und leiteten revolutionär-demokratische Veränderungen ein. In den Fabriken, die von den Unternehmensleitungen verlassen worden waren, bildeten Kommunisten und Sozialisten Fabrikräte, welche die Leitung der Produktion übernahmen. Mit Beginn des Aufstandes übernahm das CLN Norditaliens, das die Alliierten als Beauftragter der Nationalen Einheitsregierung anerkannt hatten, die zivilen und militärischen Nachtbefugnisse. Es erklärte den Ausnahmezustand, richtete Kriegsgerichte ein, erließ Justiz- und Verwaltungsdekrete und forderte alle italienischen Faschisten zur bedingungslosen Kapitulation auf. Im Süden hatten Landarbeiter und Halbpächter das Land der durchweg zu den Faschisten gehörenden Latifundistas besetzt. Die IKP hatte in der Einheitsregierung ein Dekret durchgesetzt, das die Inbesitznahmen legalisierte. Das Ansehen der IKP stieg insbesondere, als bekannt wurde, dass eine Abteilung ihrer 52. Garibaldi-Brigade Mussolini auf der Flucht zur Schweizer Grenze bei Como gefangen genommen und am 28. April das vom CLN gegen ihn und weitere führende Faschisten, die sich weigerten, zu kapitulieren, verhängte Todesurteil vollstreckt hatte.


Revolutionäre Situation nicht genutzt

Ende April/Anfang Mai 1945 bestand eine klassische revolutionäre Situation, die bis zum Spätherbst des Jahres anhielt: Die Positionen des Imperialismus waren ernsthaft erschüttert. Die großbourgeoisen Vertreter in der Einheitsregierung befanden sich in der Minderheit. Bei den Kommunalwahlen im März 1946 und den folgenden zur Verfassungsgebenden Versammlung im Juni erzielten IKP und ISP rund 40 Prozent der Stimmen, was von einer Massenbasis zeugte. Diese Wahlen fanden bereits im Klima der von der Konterrevolution eingeleiteten kapitalistischen Restauration statt. Im Frühjahr/Sommer 1945 dürfte der hinter den Linken stehende Bevölkerungsanteil noch größer gewesen sein. Im Juni 1945 zwangen die Linken den Liberalen Ivanhoe Bonomi zum Rücktritt und beriefen den eng mit der IKP verbundenen Ferrucio Parri von der radikaldemokratischen Aktionspartei zum Ministerpräsidenten. Es stand in gut organisierten Einheiten weit über eine halbe Million Partisanen unter Waffen. Ihnen hatten sich während des bewaffneten Aufstandes Zehntausende weitere Kämpfer angeschlossen. Alle Partisanenformationen bestanden zu 85 bis 90 Prozent aus Arbeitern und Bauern.

Die Chance, unter diesen günstigen Bedingungen mit der ISP, der Aktionspartei und im Bündnis mit bürgerlichen Schichten eine antifaschistische, antiimperialistische revolutionär-demokratische Umgestaltung einzuleiten, um die politischen und sozialökonomischen Grundlagen des Faschismus zu beseitigen, wurde jedoch nicht genutzt. Es war fraglich, ob die USA unter diesen Gesichtspunkten in Italien, wie Großbritannien 1944 in Griechenland, die offene militärische Konfrontation mit der antifaschistischen Bewegung gewagt hätten. Die Ende Dezember 1944/Anfang Januar 1945 von der Wehrmacht begonnene Ardennenoffensive hatte die amerikanisch-britischen Truppen im Westen in eine sehr kritische Lage gebracht, die Churchill am 6. Januar 1945 veranlasste, Stalin persönlich um eine Entlastungsoffensive im Osten zu bitten, die dann am 12. des Monats erfolgte.[4] Die Konferenz von Jalta hatte im Februar 1945 für Juni des Jahres zur Gründung der Vereinten Nationen nach San Francisco eingeladen. Auf der Potsdamer Konferenz im Juli/August 1945 herrschte noch der Geist der Zusammenarbeit der Antihitlerkoalition vor, den man schwerlich nach dem Tod Franklin Roosevelts am 12. April 1945, eines Vertreters und Mitbegründers dieser Koalition, so rasch hätte zu Grabe tragen können.

Der Krieg gegen Japan war noch nicht beendet. Der Abwurf der beiden Atombomben im August 1945 hatte die Kampfkraft der japanischen Landstreitkräfte nicht entscheidend geschwächt. Zum Sieg über den japanischen Achsenpartner trug vielmehr vor allem die am 9. August eröffnete sowjetische Fernostoffensive bei, in deren Verlauf die rund eine Million starke Kwantung-Armee zerschlagen wurde. Die offene Wende zum Kalten Krieg begann erst im März 1946 mit Churchills berüchtigter Rede in Fulton.

Togliatti wollte das Bündnis mit den großbürgerlichen Kräften auch auf Regierungsebene fortsetzen und antifaschistisch-demokratische Veränderungen auf parlamentarischem Weg verwirklichen. Diese Linie setzte er in der Parteiführung gegen den Widerstand einer starken, auf revolutionären Massenkampf setzenden Strömung durch. Auf dem vom 29. Dezember 1945 bis zum 6. Januar 1946 tagenden 5. Parteitag, der die nach dem Sieg über den Faschismus einzuschlagende Strategie beriet, gab es sowohl im Bericht Togliattis als auch in der angenommenen Resolution (Unter dem Banner der Demokratie) kein einziges Bekenntnis zur sozialistischen Perspektive.[5]


Schwerwiegende Zugeständnisse

Togliatti machte schwerwiegende Zugeständnisse. Er stimmte der Auflösung der Partisanenverbände zu; ebenso der Amtsenthebung der örtlichen Befreiungskomitees, die Regierungsorgane waren. Als Justizminister fügte er sich der Auflösung des "Hohen Kommissariats zur Verfolgung der Regimeverbrecher" und einer sogenannten Amnestie der "nationalen Versöhnung", die zu einer Revision bereits ergangener über 11.000 Urteile führte. Zu den freigelassenen gehörte beispielsweise der Chef der berüchtigten 10. Torpedoboot-Flotille, Fürst Valerio Borghese, der wegen wenigstens 800fachen Mordes als Kriegsverbrecher verurteilt worden war.

Die IKP stimmte zu, der Verfassunggebenden Versammlung keine Gesetzesvollmachten zu übertragen, sondern diese bei der Regierung zu belassen. Als De Gasperi Kommunisten und Sozialisten dann im Mai 1947 aus der Regierung vertrieb, konnte die Democrazia Cristiana (DC), nunmehr führende großbürgerliche Regierungspartei, mit ihren Verbündeten schalten und walten, wie sie wollte. In der Konstituante wurden die mit Mussolini geschlossenen Lateranverträge sanktioniert, was die Positionen des reaktionären Klerus und der DC-Rechten stärkte. Zum Ergebnis gehörte, dass der Vatikan der DC bei den Parlamentswahlen 1948 zu einem triumphierenden Wahlsieg von 48,5 Prozent (über ein Drittel mehr als 1946) verhalf.

Gravierende Folgen mit Langzeitwirkung hatte, dass die Partei die bereits im August 1945 in Gestalt der Jedermann-Bewegung (Uomo Qualunque) einsetzende Reorganisation des Faschismus unterschätzte.[6] Zur Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung zugelassen, erreichte die faschistische Organisation erschreckende 5,3 Prozent, das waren 30 Abgeordnete, welche die reaktionären und Rechtskräfte bei der Be- und Verhinderung demokratischer Veränderungen unterstützen. Aus Uomo Qualunque erfolgte im Dezember 1946 die Wiedergründung der faschistischen Partei in Gestalt des Movimento Sociale Italiano (MSI), die sich offen zum Erbe des "Duce" und den programmatischen Grundlagen des Faschismus bekannte. Parteivorsitzender wurde der bereits erwähnte Kriegsverbrecher Borghese, Nationalsekretär Giorgio Almirante, in Mussolinis Salo-Republik[7] Staatssekretär und führender Rassenideologe, der noch kurz vor Kriegsschluss einen Genickschusserlass gegen Partisanen unterzeichnet hatte. Mit der Sozialbewegung entstand eindeutig die verbotene faschistische Mussolinipartei wieder, was gegen eine Übergangsbestimmung der Verfassungsgebenden Versammlung verstieß, die lautete: "Wer die aufgelöste faschistische Partei in irgendeiner Form, sei es als Partei, Bewegung oder paramilitärische Organisation, wieder gründet und militärische oder paramilitärische Gewalt als Mittel für den politischen Kampf anwendet sowie die Ziele der aufgelösten faschistischen Partei verfolgt, wird mit Gefängnis von zwei bis 20 Jahren bestraft."[8]

Toglatti räumte im Oktober 1946 ein, dass die nach dem Sieg der Resistenza vorhandene günstige Ausgangssituation "im Grunde genommen nicht genutzt" wurde. Giorgio del Bocca gab Luigi Longo wieder, der schon im Sommer 1945 intern geäußert hätte, der linke Flügel sei von Togliatti und seiner Führung "betrogen worden".[9] Pietro Secchia und Filippo Frassati sprachen von einer "fehlenden Revolution" und dem "Kontrast zwischen den Idealen der Resistenza und den verfolgten demokratischen Zielen".[10] Longo, seit 1946 Stellvertreter Togliattis, warnte mehrfach vor zu weit gehenden Kompromissen und forderte, die außerparlamentarische Kraft und die Mobilisierungsfähigkeit der Partei nicht zu vernachlässigen.[11]

Der Werdegang der IKP zeigt, dass in verschiedenen Etappen auf unterschiedliche Weise internationale, vor allem von der KPdSU ausgehende Faktoren, großen Einfluss ausübten. Das kam bereits bei der "Wende von Salerno" zum Ausdruck als auch bei den 1945 nicht genutzten Chancen der revolutionären Situation. Stalins Einfluss ist hier nicht zu übersehen. Ihm ging es zunächst um die Stärkung und dann um den Erhalt der Antihitlerkoalition, die er im westlichen Einflussbereich nicht durch einen revolutionären sozialistischen Kurs gefährdet sehen wollte.[12]

Nach 1945 wuchs die IKP zur stärksten Partei der kapitalistischen Industriestaaten an. Vom tiefen Widerhall kommunistischer Ideen und einer sozialistischen Perspektive zeugte, dass ihr in den 1970er Jahren zwölf Millionen Italiener bei Parlamentswahlen ihre Stimme gaben. Sie kämpfte unter den Bedingungen des Kalten Krieges und der Blockkonfrontation, mobilisierte die Massen in Italien für den Sturz der Monarchie, gegen die wiedererstehende faschistische Gefahr und die NATO-Gründung. Mit ihrem Kampf für demokratische Veränderungen beeinflusste sie nachhaltig das antifaschistisch geprägte Nachkriegsitalien. Einen schweren Rückschlag stellte der im März 1955 vom ISP-Vorsitzenden Pietro Nenni eingeleitete Bruch der Aktionseinheit mit der IKP dar.


Wurde Togliatti in Moskau umgebracht?

Die IKP wurde wie die kommunistische Weltbewegung insgesamt von den schwerwiegenden Auswirkungen des XX. Parteitag der KPdSU 1956 erfasst. Dass unter Stalin massenhaft Unrecht geschah und oft nicht zu rechtfertigende Gewalt angewandt wurde, musste zur Sprache gebracht und dazu eine Bilanz gezogen werden. Nikita Chruschtschow nahm das jedoch ohne jeden historischen Bezug und ohne eine generelle Einordnung in revolutionäre Prozesse und ihre Entartungen, in Sonderheit der Entwicklung seit der Oktoberrevolution, vor. In keiner Weise berücksichtigte er, dass in allen Revolutionen der Terror immer von den Verteidigern der bestehenden Ordnungen begonnen wurde und sich gegen die Revolutionäre richtete. In der KPdSU-Führung war Chruschtschows Rede weder kollektiv erörtert noch beschlossen worden. Eine Information an die Bruderparteien erfolgte vorab nicht. Es begann ein Prozess, der einen Michail Gorbatschow den Weg an die Macht ebnete. Dessen Ziel bestand - wie er nach der Niederlage des Sozialismus 1989/90 offen eingestand, darin, die sozialistischen Gesellschaftsordnungen zu liquidieren und eine kapitalistische Restauration durchzusetzen.

Togliatti begrüßte die aufgezeigten Möglichkeiten friedlicher Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung; ebenso die eines friedlichen, parlamentarischen Weges zum Sozialismus, die seinen 1945 eingeschlagenen Kurs bestätigten. Durch jahrzehntelange Arbeit als führender Komintern-Funktionär geprägt, bekannte er sich zwar grundsätzlich zur Vorhutrolle der KPdSU, sprach aber gleichzeitig Fragen des Nationalismus und Provinzialismus als auch der Missachtung nationaler und historischer Besonderheiten durch die sowjetische Partei an. Er kritisierte, die Ursache der Deformierungen in der KPdSU nur im Personenkult um Stalin zu sehen.[13]

Als Togliatti sich 1964 zur Vorbereitung auf eine neue kommunistische Weltkonferenz in Moskau befand, vertiefte er in einem Memorandum, das er Chruschtschow übergeben wollte, seine Positionen. Er wandte sich gegen den Bruch mit der KP Chinas und trat für "die Einheit aller sozialistischen Kräfte in einer gemeinsamen Aktion gegen die reaktionären Gruppen des Imperialismus, auch über ideologische Divergenzen hinweg" ein. Togliatti verstarb, noch bevor er Chruschtschow traf, am 21. August 1964. Sein Nachfolger wurde Luigi Longo.

Gegen den Widerstand aus Moskau veröffentlichte die IKP das Memorandum und schrieb, es bezeuge, "dass sich Genosse Togliatti bis zum letzten Augenblick mit Kraft und Klarheit der Arbeit widmete. Nichts lässt das Eintreten der schrecklichen Krankheit vorausahnen." Kurt Gossweiler, der aus der DDR bekannte Faschismus- und Revisionismus-Forscher, bezeichnete Togliattis Tod in seiner "Taubenfußchronik" als "mysteriös" und verglich ihn mit "plötzlichen und unerwarteten" Todesfällen, durch die merkwürdigerweise gerade jene kommunistischen Führer "ausgeschaltet" wurden, "die den Imperialisten, aber auch der neuen Moskauer Führung besonders im Wege standen: Gottwald 1953, Bierut 1956, Thorez 1964 und kurz danach, ebenfalls 1964 Togliatti".[14]

Togliatti hatte versucht, den Krisenerscheinungen in der kommunistischen Weltbewegung entgegenzutreten, um sie aufzuhalten und Deformierungen und Fehlentwicklungen zu korrigieren. Vieles, was er zu Theorie und Politik äußerte, dürfte heute zum positiven Erbe der internationalen Arbeiter- und kommunistischen Weltbewegung gehören und für ihren gegenwärtigen Kampf noch immer wertvolle Erfahrungen und Anregungen vermitteln.


Verhängnisvolle Regierungsbeteiligung

An der Schwelle zu den 1970er Jahren begann sich eine sozialdemokratische Strömung herauszubilden, deren ideologische Basis der so genannte Eurokommunismus bildete. Als die DC nach den Parlamentswahlen 1972 mit 38,7 Prozent in eine schwere Regierungskrise geriet, bot ihr Enrico Berlinguer, der im März 1972 den schwerkranken Longo abgelöst hatte, den Eintritt in eine Regierungskoalition (Historischer Kompromiss) an. Durch eine "Regierung der demokratischen Wende" sollte, so Berlinguer, "die Überwindung der Klassenschranken" erreicht werden. Nach dem faschistischen Putsch Pinochets im September 1973 in Chile begründete Berlinguer diesen Schritt mit der Notwendigkeit, der wachsenden faschistischen Gefahr (1964, 1970 und 1974 Putschversuche mit NATO- und CIA-Unterstützung) wirksam entgegenzutreten. Nach dem Wahlerfolg der IKP 1976 (33,8 Prozent im Parlament) begann die konkrete Phase dieser Klassenzusammenarbeit. Longo verurteilte diesen Kurs. Er befürchtete, er werde nur dem Monopolkapitalismus und den Christdemokraten dienen.[15]

Zur Abwehr der faschistischen Gefahr in eine bürgerliche Regierung einzutreten, konnte als gerechtfertigt gelten. Es kamen jedoch keine konkreten Vereinbarungen zustande. Gegen das nie eingehaltene Versprechen, einige sozial-ökonomische Reformen einzuleiten, gab die IKP grundlegende kommunistische Positionen auf. Sie anerkannte die kapitalistische Marktwirtschaft und das bürgerliche Staatsmodell, bekannte sich zu den Bündnisverpflichtungen Italiens und gab die absurde Erklärung ab, die NATO eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als "Schutzschild" eines italienischen Weges zum Sozialismus. Im März 1978 trat sie in die von dem DC-Rechten Giulio Andreotti angeführte und ihrem Charakter nach rechte parlamentarische Regierungskoalition ein. Am 9. Mai wurde ihr Bündnispartner, der DC-Vorsitzende Aldo Moro, Opfer eines von der geheimen NATO-Truppe stay behind (in Italien Gladio genannt), der CIA, italienischen Geheimdienstkreisen, ihrer Putschzent-rale P2 und den Neofaschisten inszenierten Mordkomplotts. In hinterhältiger Weise wurden dazu die von Geheimdienstagenten unterwanderten "Roten Brigaden" einbezogen und die IKP für deren Agieren mitverantwortlich gemacht. Der Historische Kompromiss scheiterte. Es gab keinerlei soziale Fortschritte. Die Regierungsachse verschob sich nach rechts. Die IKP verlor im Ergebnis dieser schweren politischen Niederlage in den folgenden Jahren etwa ein Drittel ihrer 2,2 Millionen Mitglieder und bis 1987 rund acht Prozent ihrer Wähler.


Die Liquidierung

Berlinguer hatte die Revisionisten noch in bestimmtem Maße gezügelt. Nach seinem plötzlichen Tod am 11. Juni 1984 durch einen Herzinfarkt, erhielten diese freie Hand. Bereits auf dem Parteitag 1986 leitete sein Nachfolger Alessandro Natta die "reformistische Wende" ein. Das widerlegt übrigens eindeutig, die verschiedentlich vertretene Auffassung, das Ende der IKP sei eine Folge der sozialistischen Niederlage in Europa. Als angeblicher Beweis wird eine Erklärung des letzten Generalsekretärs, Achille Occhetto, angeführt, der den Fall der Berliner Mauer zum Anlass nahm, die im Gang befindliche "Heimkehr zur Sozialdemokratie" breit publik zu machen. In der "Unita" sprach das damalige Politbüromitglied, ein führender Vertreter des revisionistischen Kurses, der heutige Staatspräsident Giorgio Napolitano, offen aus, dass es bei der Umwandlung der IKP in eine sozialdemokratische Linkspartei darum ging, einer "Regierungsübernahme den Weg zu ebnen".[16]

Auf dem bereits erwähnten 20. Parteitag widersetzten sich 90 Delegierte (etwa ein Viertel) der Liquidierung, wie Domenico Losurdo die Mutation zur Sozialdemokratie nannte, und beschlossen eine Neugründung, die in Gestalt des Partito della Rifondazione Comunista (PRC) am 12. Dezember 1991 erfolgte. Ihre Parteizeitung "Liberazione" legte vor zehn Jahren Folgen der Liquidierung, dar: "Wäre die IKP am Leben geblieben, hätte es in der Politik der folgenden Jahre nicht so zersetzende und verwüstende Augenblicke gegeben, nicht derartige Erscheinungen der Auflösung und geradezu der Zerstörung des gesamten zivilen Zusammenlebens."[17] Die Auseinandersetzung mit dem opportunistischen Erbe der IKP, das in den PRC eindrang, steht bis heute aus.


Zurückweichen vor dem Druck des Klassengegners

Die Wurzeln des Unterganges der IKP liegen letzten Endes im Umsichgreifen vielfältiger opportunistischer Erscheinungen und der fehlenden Auseinandersetzung mit ihnen. Herausragende historische Erfolge, wie der entscheidende Beitrag zum Sieg über den Faschismus, führten zur Überschätzung der eigenen Möglichkeiten und der Unterschätzung der des Klassengegners. Das war verbunden mit Zurückweichen vor dessen Druck, mit schwer oder auch nicht wieder zu korrigierenden Zugeständnissen, die verbunden waren mit dem Irrglauben, der Gegner werde das honorieren. Gramscis Grundsatz, die Partei müsse bei notwendigen Kompromissen mit den bürgerlichen Bündnispartnern Ausgeglichenheit wahren und Zugeständnisse dürften nicht "die entscheidende Rolle (...), die ökonomischen Aktivitäten der führenden Kraft" betreffen, was sich auf die sozialistische Perspektive bezog, gerieten mehr und mehr in Vergessenheit.[18]

Vergleiche zu gegenwärtigen Entwicklungen hierzulande bieten sich an.


Anmerkungen:

[1] Sie nannte sich Kommunistische Partei Italiens, Sektion der Kommunistischen Internationale (KPI). Nach Auflösung der Komintern 1943 Italienische Kommunistische Partei (IKP).

[2] "Über den Kampf in der Italienischen Sozialistischen Partei", Werke, Bd. 31, S. 373-390.

[3] Periode des nach der Okkupation Nord- und Mittelitaliens durch die Hitlerwehrmacht im September 1943 beginnenden bewaffneten nationalen Befreiungskampfes.

[4] Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941-1945, Berlin (DDR) 1961, S. 673 f.

[5] Storia del PCI. Attraverso i Congressi, Rom 1977, S. 15 bis 73.

[6] Uòmo Qualunque war bereits im Dezember 1944 unter der amerikanischen Besatzungsherrschaft in Neapel angesichts der sich abzeichnenden Niederlage des Faschismus von dem reaktionären Bühnenautor der Salò-Republik Gugliemo Giannini als sich vom Faschismus unabhängig darstellende Organisation und Zeitung gegründet worden.

[7] Repùbblica Sociale Italiano, nach ihrem Sitz in Salo am Gardasee kurz Salo-Republik genannter, am 25. Oktober 1943 von Mussolini unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht proklamierter faschistischer Rumpfstaat.

[8] Daniel Barbieri: Agenda nera, Trent'anni di Neofascismo in Italia, Rom 1976, 24 f.

[9] Bocca: Palmiro Togliatti, Rom-Bari 1973, S. 386.

[10] Pietro Secchia und Filippo Frassati. Storia della Resistenza, Rom 1965, Bd. I, S. XIV.

[11] Togliatti: Problemi del Movimento operaio internazionale, Rom 1962, S. 101.ff., "Rinascita", Nr. 33/1972.

[12] Siehe Beiträge des Autors "Die Wende von Salerno" und "KP macht Abstriche" im Schattenblick. Schattenblick -> INFOPOOL -> GEISTESWISSENSCHAFTEN -> GESCHICHTE. NEUZEIT/185: April 1944 - Die Wende von Salerno (Gerhard Feldbauer) - 25.4.2010.
http://www.schattenblick.de/infopool/geist/history/ggneu185.html; Schattenblick -> INFOPOOL -> GEISTESWISSENSCHAFTEN -> GESCHICHTE. NEUZEIT/196: Dezember 1944 - Krise und Kompromißlösung der Einheitsregierung in Italien (jW) - 23.12.2010
http://www.schattenblick.de/infopool/ geist/history/ggneu196.html

[13] Togliatti: Problemi del Movimento operaio internazionale, Rom 1962, S. 101 ff.

[14] Kurt Gossweiler, Die Taubenfuß-Chronik, Bd. II, S. 381 ff.

[15] Giuseppe Chiarante: Da Togliatti a D'Alema. Rom 1997, S. 136 ff.

[16] Massimo D'Alema: Progettare il Futuro, Mailand 1996, S. 7; "Unita", 8. Januar 1990.

[17] Ausgabe 21. Jan. und 15. Mai 2001.

[18] Quaderni del Carcere, Turin 1975, S. 1551.


Gerhard Feldbauer, Poppenhausen


Quelle: © 2011 by Gerhard Feldbauer. Mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2011, nun mit der freundlichen Genehmigung sowohl des Autors als auch der Internet-Zeitschrift Schattenblick veröffentlicht bei uns (Redaktion offen-siv).

Raute

Redaktion offen-siv: Vorbemerkung zum Abdruck des Grußwortes der DKP an den Parteitag der KPÖ

Wir bringen nach dieser Vorbemerkung ausführliche Auszüge aus der Grußadresse der DKP an den Parteitag der KPÖ. Komplett nachzulesen ist sie bei www.kpoe.at/home/aktuelles. Man muss es betonen: es handelt sich um ein offizielles Parteidokument, als nicht um ein Diskussionspapier und auch nicht um die einzelne Meinung eines einzelnen Genossen.

Man findet dort jede Menge ideologische Positionen, die einer kommunistischen Partei zuwider laufen. Wir wollen auf einige Beispiele hinweisen:

- Die "Defizite und Verbrechen, die in Namen des Sozialismus begangen wurden", sollen die Ursache für die geringe Akzeptanz des Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus sein, wie sie ja von der DKP auch als Ursache für die Niederlage des Sozialismus in Europa ausgemacht wurden. Stalin hat halt an allem Schuld!

- In einem kleinen Schlenker zu Beginn des zitierten Absatzes weist die DKP darauf hin, dass sie "nicht ganz zu unrecht" mit "dem alten Sozialismus identifiziert" werde. Diese "Hypothek des kommunistischen Erbes hat den Sozialismus als gesellschaftliche Alternative weithin diskreditiert." Man spürt förmlich den Seufzer: Ach, hätten wir uns doch bloß früher von der Sowjetunion und der DDR distanziert!

- Die DKP bezeichnet in dieser Grußadresse das Gesellschaftssystem, das den Kapitalismus ablösen soll, nicht mehr als Sozialismus, sondern als "ein neues nachkapitalistisches, mehrheitsfähiges Gesellschaftskonzept...". Weiter unten distanziert sich die DKP ausdrücklich von Marx und vom Kommunistischen Manifest, indem sie sich von der Diktatur des Proletariats distanziert: "Ein neues gesellschaftliches Projekt jenseits des Kapitalismus, ... wird nicht mehr nur ein Projekt der Arbeiterklasse sein, also keine Form der Diktatur des Proletariats, ..."

- Die DKP nimmt Abschied von der Arbeiterklasse (obwohl sie sich ja gern als Partei derselben bezeichnet). Sie stellt in der Grußadresse nämlich fest, dass es "die Arbeiterklasse" als "Bezugsgröße für ein revolutionäres Subjekt" nicht mehr gäbe. Dementsprechend formuliert die DKP auch hier nochmals ihre programmatische Position: "Wenn die Menschen eingesperrt sind in sehr vielfältige Zwänge, Ausbeutungs- und Unterdrückungs- und Entfremdungsverhältnisse, dann muss ein neues emanzipatorisches Gesellschaftsprojekt auch diese Vielfalt widerspiegeln und muss die unterschiedlichen Zugänge zu diesem Projekt verstehen lernen und nutzbar machen. Antikapitalistische Konzepte können nur hegemonial werden, wenn sie die Interessen, Hoffnungen und Lebensentwürfe der Menschen aufgreifen und deren privatem und beruflichem Leben mit einem alternativen Gesellschaftskonzept wieder eine Perspektive geben können." Also unterschiedliche Zugänge zum Sozialismus, pardon: zum neuen emanzipatorischen Gesellschaftsprojekt, unterschiedliche Klassen als Träger dieses Gesellschaftsprojekts, Abschied von der Klassenbindung - es ist nur konsequent, dass die DKP in diesem Zusammenhang nicht mehr von Sozialismus spricht. Denn "anders als zu Marx's Zeiten führt die moderne Produktion des neoliberalen Kapitalismus die Arbeitenden nicht zusammen, sondern fragmentiert sie, entsolidarisiert und spaltet sie." Hier wird ein Pappkamerad aufgebaut, um sich von Marx distanzieren zu können, ohne dass es zu sehr auffällt: Damals sei die Arbeiterklasse einig gewesen, heute sei sie gespalten und "fragmentiert". Als sei nicht die gesamte Geschichte der Arbeiterklasse und der Klassenkämpfen schon immer von der Dialektik dieser beiden Pole, der Konkurrenz und Vereinzelung einerseits und der Solidarität und Gemeinsamkeit andererseits geprägt gewesen!

- Die Barbarei wird nicht mehr als Folge des Kapitalismus oder Imperialismus dargestellt, sondern die DKP nennt sie neuerdings die "Barbarei des Neoliberalismus". Dieser Begriff aus der bürgerlichen Volkswirtschaftsschule ersetzt in den Dokumenten der DKP ja sowieso schon lange die Klassenbegriffe. Nicht mehr der Kapitalismus ist schlecht, sondern nur eine bestimmte kapitalistische Wirtschaftspolitik, eben der Neoliberalismus. Das ist ein kluger ideologischer Schachzug der Revisionisten und Reformisten in der DKP, denn dann geht es für die Kommunistische Partei nicht mehr um Klassenkampf, sondern um den "Aufbau eines progressiven gesellschaftlichen Blockes und die Schaffung einer anti-neoliberalen Reformmehrheit" als die "gegenwärtig ... wichtigste Aufgabe.

Und morgen stellen wir einen Aufnahmeantrag bei der Partei Die Linke.

Redaktion offen-siv, Hannover


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Walter Listl: Grußwort der DKP an den Parteitag der KPÖ, 2.3.11: Ein emanzipatorisches Gesellschaftsprojekt braucht Vielfalt

Liebe Genossinnen und Genossen, ich überbringe Euch die solidarischen Grüße des Parteivorstandes der DKP zu Eurem Parteitag.

Euer Dokument "Sich für eine solidarische Gesellschaft in Bewegung setzen" offenbart eine große Ähnlichkeit mit Analysen Diskussionsprozessen, die es in unserer Partei, der DKP, gibt.

Dabei meine ich v.a. den Widerspruch: Der Neoliberalismus hat sich blamiert, aber genießt gleichzeitig zumindest die passive Unterstützung einer Mehrheit der Bevölkerung. Das deckt sich mit unseren Erfahrungen.

Und die Frage danach, warum das so ist, treibt uns um. (...)

Drei Faktoren spielen bei uns - vielleicht noch mehr als in Österreich - eine Rolle:

1. Das Desaster des alten Sozialismus, mit dem wir als DKP - nicht ganz zu unrecht - identifiziert werden. Die zivilisatorischen und emanzipatorischen Errungenschaften des realen Sozialismus sind im Alltagsbewusstsein der Menschen kaum vorhanden. Das Bild des Sozialismus wird geprägt von seinem Zusammenbruch, seinen Defiziten und Verbrechen, die in Namen des Sozialismus begangen wurden. Die Hypothek des kommunistischen Erbes hat den Sozialismus als gesellschaftliche Alternative weithin diskreditiert.

2. Ein neues nachkapitalistisches, mehrheitsfähiges Gesellschaftskonzept ist derzeit nicht erkennbar, die Kräfte, die dies ins Werk setzen können sind nicht formiert und agieren weitgehend isoliert voneinander.

3. Weil es die Arbeiterklasse, wie sie bis in die achtziger Jahre von uns als Bezugsgröße für ein revolutionäres Subjekt angesehen wurde, nicht mehr gibt. Ihre organisatorischen Strukturen und ideologischen Voraussetzungen ihres Handelns haben sich dramatisch verändert.

Eine Seite dieser Veränderung besteht darin, dass der Neoliberalismus tief ins Denken der Menschen eingedrungen ist, neoliberale Denkmuster und Verhaltensweisen gesellschaftlich hegemonial wurden. (...)

Im Zentrum dieses Bewusstsein steht eine Vorstellung von weitgehender Individualisierung. Das Bild in Euerem Dokument, dass das Konkurrenzprinzip in "sämtliche Poren der Gesellschaft einsickert" trifft es sehr genau. (...)

Also anders als zu Marx's Zeiten führt die moderne Produktion des neoliberalen Kapitalismus die Arbeitenden nicht zusammen, sondern fragmentiert sie, entsolidarisiert und spaltet sie.

Im Kampf um eine solidarische Gesellschaft müssen also nicht nur gesellschaftliche und Machtstrukturen verändert werden, auch die Kämpfenden selbst werden durch die Kämpfe verändert. (...)

Wenn die Menschen eingesperrt sind in sehr vielfältige Zwänge, Ausbeutungs- und Unterdrückungs- und Entfremdungsverhältnisse, dann muss ein neues emanzipatorisches Gesellschaftsprojekt auch diese Vielfalt widerspiegeln und muss die unterschiedlichen Zugänge zu diesem Projekt verstehen lernen und nutzbar machen. Antikapitalistische Konzepte können nur hegemonial werden, wenn sie die Interessen, Hoffnungen und Lebensentwürfe der Menschen aufgreifen und deren privatem und beruflichem Leben mit einem alternativen Gesellschaftskonzept wieder eine Perspektive geben können.

Ein neues gesellschaftliches Projekt jenseits des Kapitalismus, eine solidarische Gesellschaft, ein "neuer Sozialismus" wird nicht mehr nur ein Projekt der Arbeiterklasse sein, also keine Form der Diktatur des Proletariats, sondern ein gemeinsames Projekt aller, die von der Barbarei des Neoliberalismus betroffen sind.

Deshalb ist der Aufbau eines progressiven gesellschaftlichen Blockes und die Schaffung einer anti-neoliberalen Reformmehrheit gegenwärtig die wichtigste Aufgabe.

Wir haben in diesen Block die Erkenntnis einzubringen, die in Euerem Dokument so treffend beschrieben ist: Das real existierende gesellschaftliche Betriebssystem verfügt über kein ausreichendes Zukunftsprogramm mehr. Es kann sich nicht mehr den neuen Herausforderungen der Menschen und Naturverträglichkeit anpassen, sondern passt die Menschen seinen Mängeln an. Deshalb streben wir einen Systemwechsel an.

Dazu wünschen wir Euerem Parteitag und uns allen viel Erfolg.

Walter Listl, München, nahm für die DKP am Parteitag der KPÖ teil.


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Redaktion offen-siv: DKP, KKE und Europäische Linkspartei

Mit der KPÖ hat die DKP ja viele Gemeinsamkeiten festgestellt, was die KKE angeht, sieht es da ziemlich anders aus. In der Ausgabe 1-2011 haben wir den offenen Brief der KKE an die europäischen kommunistischen und Arbeiterparteien gebracht, der sich mit Funktion und Rolle der Europäischen Linkspartei beschäftigt. Danach hatten wir den letzten Absatz eines Interviews mit Leo Mayer zitiert, der die Stellungnahme der DKP zur Position der KKE verdeutlicht.

Nun wurden wir inzwischen mehrfach aufgefordert, die Dokumente doch in voller Länge zu bringen, was wir hiermit tun, auch auf die Gefahr hin, dass das für den einen oder anderen Leser langweilig sein kann.

Also nun zunächst das komplette Interview mit Leo Mayer und danach nochmals der Brief der griechischen Genossen von der KKE.

Red. offen-siv, Hannover

Raute

"Radikaler, effizienter, linker" - www.kommunisten.de 14.12.2010: Interview mit Leo Mayer zum 3. Kongress der Europäischen Linken, der vom 3.-5. Dezember 2010 in Paris stattfand.

Frage: Du hast am 3. Kongress der Europäischen Linken teilgenommen. Wie war Dein Eindruck?

Leo Mayer: Der Kongress war sehr stark von den Erfahrungen der Kämpfe gegen die Sparprogramme geprägt. In Frankreich, Spanien, Griechenland gab es eine massive Mobilisierung mit Generalstreiks, in den meisten anderen europäischen Ländern hat sich die Gewerkschaftsbewegung ebenfalls zurückgemeldet. Die französischen GenossInnen berichteten, dass die Regierung den Kampf um die öffentliche Meinung verloren hat, dass es zu neuen Allianzen gekommen ist, dass sich die jungen Leute am Kampf gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters beteiligt haben.

In Spanien haben die beiden großen Gewerkschaftsverbände gemeinsam zum Generalstreik aufgerufen. Die GenossInnen schätzen ein, dass mit dem Generalstreik einen neue Situation entstanden ist, die sich z.B. im gewerkschaftlichen Auftreten in den Debatten über den Weg aus der Krise, aber auch in den Debatten über ökonomische, politische und kulturelle Themen zeige. Aber die Regierungen weichen keinen Schritt zurück. Der Grund wird darin gesehen, dass das neoliberale Sparprojekt für ganz Europa angeordnet wurde und dass die herrschenden Klassen alles tun, um ein Auseinanderbrechen ihrer Allianz zu vermeiden. Die Regierungen stützen sich gegenseitig und können sich auf den anonymen Zwang der Finanzmärkte bei der Durchsetzung ihrer Politik berufen.

Frage: Welche Alternativen wurden diskutiert?

Leo Mayer: Pierre Laurent, Generalsekretär der Französischen KP und neuer Vorsitzender der EL, hat wie eine ganze Reihe anderer RednerInnen in der Diskussion dazu aufgefordert, dass die EL jetzt in eine Etappe der Handelns und der Aktion eintreten muss. Mit der Aktionsplattform hat sich die EL eine Richtung für eine langfristige Mobilisierung gegeben. Die Stoßrichtung geht gegen den Stabilitätspakt, der wie eine Zwangsjacke wirkt. Der Widerstand gegen die Sparprogramme muss fortgesetzt werden. Der Euro-Rettungsfond ist ein Rettungsfond für die Banken und die Reichen, bezahlt von der Masse der Bevölkerung. Die EL will diese Aspekte in einer Initiative für eine andere Entwicklungsrichtung der Europäischen Union bündeln. Eine Überlegung ist, das neue Instrument der "Bürgerinitiative" für diese Mobilisierung zu nutzen. Da müssen 1 Million Unterschriften in den Ländern der EU gesammelt werden. Dann ist die EU-Kommission gezwungen, eine öffentliche Debatte zu diesem Thema durchzuführen. Es geht darum, den sozialen Protest auf eine politische Ebene zu heben und die Perspektive einersozialen und politischen Alternative zu eröffnen.

Frage: Wenn Du die Kongresse der EL von ihrer Gründung 2004 bis zu ihrem 3. Kongress vergleichst, welche Entwicklung hat die EL Deiner Meinung nach genommen?

Leo Mayer: Alexis Tsipras, Vorsitzender von Synaspismos und einer der neuen stellvertretenden Vorsitzenden, hat in seiner Rede gefordert, dass die EL "radikaler, effizienter und linker" werden muss. Die EL hat sich seit ihrer Gründung nach links bewegt. Sie ist radikaler geworden. Radikaler in dem Sinne, an die Wurzel zu gehen. Die Frage Regulierung der Finanzmärkte oder Nationalisierung des Finanzsektors wurde in der Wahlplattform zur Wahl des Europäischen Parlaments 2009 so beantwortet: "Gemeinschaftsgüter und strategische Wirtschaftsbereiche, einschließlich das Kredit- und Finanzwesen müssen vergesellschaftet (nationalisiert) werden". Im Politischen Aktionsprogramm des 3. Kongresses wird erstmals der Sozialismus als Ziel der EL genannt. Gleichzeitig werden aber auch die nächsten Schritte benannt, mit denen die politische Achse in Europa nach links verschoben werden könnte. Ein anderer Aspekt ist, dass die EL jetzt aus 27 Mitgliedsparteien und 11 Beobachterparteien aus 24 europäischen Ländern besteht. Ein beachtliches Wachstum. Bei ihrer Gründung im Mai 2004 waren es 14 Parteien aus 12 europäischen Ländern. Dies zeigt auch, dass der Vorwurf, die EL würde die Linke spalten, von den Realitäten widerlegt wird. Dazu kommt, dass sie offen für die Zusammenarbeit mit allen Parteien und Organisationen ist, die aus unterschiedlichen Gründen nicht Mitglied oder Beobachter der EL werden wollen. Die EL ist inzwischen auch zu einem Bezugspunkt für die Linke in Lateinamerika geworden. Es gibt eine ständige Arbeitsgruppe mit dem Foro Sao Paolo, dem größten Zusammenschluss linker und kommunistischer Parteien Lateinamerikas und der Karibik. Eine ganze Reihe linker und kommunistischer Parteien - u.a. die KP Cubas, die Kolumbianisch KP, die FMLN - haben als Gäste am Kongress teilgenommen. Aber auch die KP Chinas, die KP Vietnams und viele andere wie die Polisario oder die Volkspartei Palästinas waren vertreten.

Frage: Für jemanden der erstmals an einem EL-Kongress teilgenommen hat, ist der Abstimmungsprozess zu Anträgen und Personalvorschlägen etwas irritierend. Man hat den Eindruck von "Geheimdiplomatie".

Leo Mayer: Die EL ist eine Vereinigung von gleichberechtigten, souveränen Parteien und arbeitet nach dem Konsensprinzip. Das heißt, dass nicht mit Mehrheitsentscheidungen, die dann für alle verbindlich sind, gearbeitet wird. Die Parteien - und zwar alle - müssen Übereinstimmung erzielen. Da muss natürlich viel außerhalb der Debatte der Delegierten von den autorisierten Vertretern der Parteien geklärt werden. Pierre Laurent hat in seinem Schlusswort betont, dass diese Konsenskultur und das demokratische Leben der EL weiterentwickelt werden muss. So ein Kongress der EL ist natürlich auch ein hervorragender Ort zum informellen Austausch von Standpunkten und Informationen; es treffen sich dort auch die Aktivisten des Gewerkschafternetzwerkes der EL, des Frauennetzwerkes, des Forums der Regionen, Abgeordnete, etc.

Frage: Die Kommunistische Partei Griechenlands KKE ruft in einem Brief an die kommunistischen Parteien, die in der EL mitarbeiten, auf, dass diese aus der EL austreten sollen. Sie fordert dazu auf, die EL zu schwächen, weil diese ein Instrument sei, "um die revolutionären Kräfte im Rahmen des Kapitalismus gefangen und als Anhängsel der europäischen Sozialdemokratie zu halten".

Leo Mayer: Die in diesem Brief erhobenen Vorwürfe und Anschuldigungen sind unwahr und haltlos. Die von der KKE vertretenen Positionen entsprechen nicht den Erfahrungen der deutschen KommunistInnen und der Politik der DKP. Wir sind der Meinung, dass an der gleichberechtigten Zusammenarbeit mit anderen linken Kräften und Bewegungen kein Weg vorbeiführt, wenn wir in Deutschland und in Europa eine linke Kraft entwickeln wollen, die in der Lage ist gesellschaftlich führend zu werden und den Kapitalismus mit einer Alternative herauszufordern. Das bedeutet auch, um eine neue politische Kultur zu ringen, die Dynamik der Abgrenzung, des inneren Kampfes und der Spaltung zu überwinden, die die Geschichte der KommunistInnen und der Linken wie ein Fluch begleitet. Wir brauchen eine Kultur der Zusammenarbeit, der Bereitschaft zum Zuhören und der Entschlossenheit, das Gemeinsame zu suchen, um ein mehrheits- und mobilisierungsfähiges Bündnis für eine solidarische Gesellschaft zu schaffen.

Die Fragen stellte Michael Maercks

Raute

Internationale Abteilung des ZK der KKE: Brief der KKE an die europäischen kommunistischen und Arbeiterparteien

Liebe Genossen!

In einigen Tagen wird der Dritte Kongress der so genannten "Europäischen Linkspartei" (ELP) in Paris stattfinden. Dieser Kongress wird in exakt demselben Zeitraum (3. bis 5. Dezember) veranstaltet, in dem auch das Internationale Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien stattfinden wird, dieses Jahr in Südafrika. Auf diese provokative und symbolische Weise wird die spalterische und zersetzende Rolle der ELP gegenüber der kommunistischen Weltbewegung klar veranschaulicht.

Wie alle wissen, bezog die KKE von Anfang an deutlich Stellung gegen die mögliche Gründung einer "Europäischen Partei". Andere Parteien, die in der Vergangenheit der euro-kommunistischen Strömung folgten und in Opposition zur Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern in Europa standen, spielten eine führende Rolle bei deren Gründung.

Einige Parteien, die jeden Bezug zu den Idealen des Kommunismus aufgegeben haben, unterstützten deren Gründung ebenfalls, wie zum Beispiel die SYNASPISMOS aus Griechenland, die - ebenso wie DIE LINKE in Deutschland - zuverlässig eine antikommunistische Rolle spielen. Und schließlich beschloss eine Reihe Kommunistischer Parteien, dieser "Europäischen Partei" unter Berücksichtigung der jeweils verschiedenen Faktoren als "Beobachter" beizutreten.

Seitdem sind einige Jahre vergangen, und heute sind wir der Meinung, dass unsere Ansichten bestätigt wurden, wenn wir die Aktivitäten und Theorien der ELP sowie die gesamte Erfahrung mit ihr seit ihrer Gründung berücksichtigen.

In ihren programmatischen Dokumenten (Statut und Programm) weist die ELP alles Kommunistische, alle revolutionären Traditionen zurück; sie steht dem wissenschaftlichen Sozialismus, dem Klassenkampf und der sozialistischen Revolution feindlich gegenüber.

In ihrem Statut akzeptiert sie als Teil des institutionellen Systems der EU, dass die kapitalistische EU ewig ist, und eine grundlegende Bedingung für seine Existenz ist ihre Bereitschaft, das System der EU nicht in Frage zu stellen.

Das ist auch aus den Unterlagen des Dritten Kongresses der ELP klar zu ersehen, wo in Form von Vorschlägen wie "Konkrete Schritte können und sollten gemacht werden, um die EU und die nationalen Regierungen aus dem Würgegriff der Finanzmärkte zu befreien", die Illusion eines "menschlicheren" Kapitalismus verbreitet wird. Als angebliche "radikalen Veränderungen" werden Maßnahmen vorgeschlagen, um den Kapitalismus durch das ausweglose Ziel der "Demokratisierung der Europäischen Union" zu modernisieren. Derselben Union, die vom europäischen Kapital zwecks effektiverer Ausbeutung der europäischen Völker und Erlangung der Oberhand im globalen Wettbewerb mit den USA und anderen imperialistischen Mächten gegründet wurde.

Die Tatsache, dass die führenden Kräfte der ELP, die diese Partei führen und ihre politische Linie vorgeben, innerhalb der Fesseln der kapitalistischen Produktionsweise agieren, ist auf Grund ihrer Aufrufe, die imperialistische EU zu unterstützen, in welchen sie sie auffordert, eine größere Rolle bei internationalen Angelegenheiten zu spielen, offensichtlich. Das wird zudem auf Grund der Tatsache offensichtlich, dass sie sich in ihren Dokumenten lediglich auf den so genannten Neoliberalismus fokussiert, womit sie die Illusionen unter den Arbeitern fördert, dass da eine andere Art von Wirtschaftspolitik innerhalb des kapitalistischen Systems geben könnte, die vermutlich die Probleme der Menschen lösen könne.

Damit wird die gefährliche Rolle der ELP erneut als Instrument offensichtlich, um die revolutionären Kräfte im Rahmen des Kapitalismus gefangen und als Anhängsel der europäischen Sozialdemokratie zu halten.

Die "Tränen", die die ELP in den Dokumenten ihres Dritten Kongresses auf Grund der Tatsache vergießt, dass die Beseitigung des "realen Sozialismus" zu einer Verschlechterung der Lage der Arbeiter geführt hat, sind heuchlerisch, wenn man bedenkt, dass gerade diejenigen Kräfte, die die ELP führen, zu denen gehörten, die Seite an Seite mit den Rechten und den Sozialdemokraten gegen die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder kämpften, und dass sie sich heute noch der Argumentationslinie der Bourgeoisie bedient, die letztlich ihre Krönung in der Gleichsetzung des Kommunismus mit dem Faschismus findet. Es ist keineswegs Zufall, dass die inakzeptable Entstellung der Geschichte, welche die EU, der Europäische Rat und andere imperialistische Organisationen über die Geschichte der kommunistischen und Arbeiterbewegung in Europa verbreiten, in den Dokumenten der ELP überhaupt nicht erwähnt wird.

Die Uneinigkeiten der ELP hinsichtlich der Militarisierung der EU und der internationalen Beziehungen klingen wie Predigten von Missionaren, wenn man bedenkt, dass diese Partei gleichzeitig ihre Unterstützung für eine aktivere Rolle der EU in der Welt erklärt und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik akzeptiert hat. Dasselbe gilt für ihren Aufruf zur "Auflösung der NATO", solange diese Forderung nicht mit dem Kampf für die Loslösung jedes Mitgliedsstaates verbunden wird.

Die Hinweise auf eine gerechte Lösung einer Reihe internationaler Probleme (Palästina, Zypern, die Kuba-Blockade) sind extrem heuchlerisch, wenn es heißt, dass diese nicht durch den antiimperialistischen Kampf der Völker, sondern durch die Umsetzung internationalen und europäischen Rechts gelöst werden können. Von welchem "Recht" spricht die ELP? Die Entscheidung des Haager Tribunals, die NATO-Intervention auf dem Balkan und im Protektorat Kosovo zu legitimieren, zeigt anschaulich, was dieses internationale und europäische Recht wirklich bedeutet. Ein weiteres Beispiel ist das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichts, welches das Verhalten Lettlands, wo der antifaschistische Veteran Vassili Kononov von der Regierung verhaftet wurde, weil er laut Gericht 1944 beim Kampf gegen die Nazihorden, die in die Sowjetunion einmarschiert waren, als "Terrorist" agierte, rechtfertigte. Ein weiteres Beispiel ist die widerliche und feindliche gemeinsame Position der EU in Bezug auf Kuba. Ein weiteres Beispiel ist das Verbot Kommunistischer Parteien in einer Reihe von EU-Ländern. Ein weiteres Beispiel ist das Verbot der Symbolik der kommunistischen und Arbeiterbewegung in einer Reihe von EU-Ländern. Die ELP schwieg einmal mehr zu all diesen Themen. Sie verschließt die Augen davor und zeigt, dass sie die imperialistische Barbarei, die in unterschiedlicher Weise durch das "Gesetz" demonstriert wird, welches heute weit verbreitet und nichts anderes als das imperialistische Recht des Stärkeren ist, nicht wahrnimmt.

Genossen, die Zeit ist reif für eine Überwindung der Illusionen bezüglich der Rolle der ELP.

Die KKE appelliert an die kommunistischen und Arbeiterparteien, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen dieser speziellen "künstlichen" Partei (die zu den Bedingungen der EU gebildet wurde, um dieser zu dienen) angeschlossen haben, ihre Position zu überdenken.

Die weitere Schwächung dieser "Links"-Partei der EU, die Stärkung der gleichberechtigten Kooperation europäischer kommunistischer und Arbeiterparteien auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus und des proletarischen Internationalismus, ungeachtet der Bedingungen und Grenzen, die die EU uns aufdrücken will, ist die einzige Hoffnung für eine Umgruppierung der europäischen kommunistischen Bewegung und ist die einzige zuverlässige Antwort auf das aggressive Verhalten des europäischen Kapitals gegenüber den Rechten der Arbeiter.

Die Internationale Abteilung des Zentralkomitees der KKE, Athen. 1.12.2010

Quelle: www.kke.gr; Übersetzung: "KI-Informationen"/Ralph P.

Raute

RESONANZ

Mario: Zur Bedeutung des Basis-Überbau-Modells

Liebe Genossen,
ich bitte euch um die Einschätzung und Bewertung meines folgenden Diskussionsbeitrages zum Thema "Basis und Überbau" in der marxistisch-leninistischen Theorie.

Seit dem Erscheinen der Stalinschen Schrift "Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft" gibt es fortgesetzt theoretische Auseinandersetzungen darüber, was zur "ökonomischen Basis" und was zum "ideologischen Überbau" gehört. Es sei hier nur an einige Aufsätze, Diskussionen und Referate in der ehemaligen DDR und Sowjetunion diesbezüglich erinnert:

- Diskussion über "Basis und Überbau", in: Zeitschrift für Geschichte, 1955

- G. Glaeserman, "Der Marxismus-Leninismus über Basis und Überbau, in: "Bolschewik", Moskau, Nr.18/September 1950

- Knauer, "Erziehung im Verhältnis zu Basis und Überbau", 1952

- "Die Wissenschaft im Lichte der Lehre J.W. Stalins über Basis und Überbau", in: "Mitteilungen der Akademie der Wissenschaften. Abt. Wirtschaft und Recht", 1951

- "Die Bedeutung der Arbeiten des Genossen Stalin über den Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft für die Entwicklung der Wissenschaften. Protokoll der theoretischen Konferenz der Abteilung Propaganda beim ZK der SED vom 23. bis 24. Juni 1951 im Haus der Presse zu Berlin."

- W. Eichhorn/H. Kosin, "Zur Dialektik von Basis und Überbau", in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Heft 5/1969

- A. Breyer/W. Hohnwald/L. Monsees, "Basis und Überbau", in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Heft 5/1971

In all diesen Aufsätzen, Diskussionen und Referaten geht es, wie schon erwähnt, um Fragen nach dem Inhalt der Kategorien Basis und Überbau, die m. E. nach wie vor sehr ernst zu nehmen sind. Sie wollen keine "Schachtel-Diskussion" oder "scholastisch-spitzfindige" Diskussionen anregen (Was gehört hierhin? Was gehört dahin?), sondern verlangen, dass die Verwendung der Kategorien der marxistisch-leninistischen Philosophie der Sinngebung durch die Klassiker des Marxismus-Leninismus (Marx, Engels, Lenin, Stalin) entspricht und sie damit brauchbare Instrumentarien zur Erfassung der Wirklichkeit bleiben.

Meine folgenden Ausführungen wollen als Diskussionsbeitrag zur Frage des Inhalts der Kategorien Basis-Überbau aufgefasst werden.

Meiner Meinung nach hat Stalin in seiner Schrift "Marxismus und Sprachwissenschaft" die Kategorien Basis und Überbau neu bewertet und somit weiterentwickelt - ohne in Widerspruch zu den anderen Klassikern zu geraten.

Diese Position teile ich mit vielen marxistischen Wissenschaftlern aus den 50er Jahren, wie z.B. G. Glaeserman, F.W. Konstantinow und M. Kammari.

Worin besteht aber nun die Weiterentwicklung der Kategorie Überbau durch Stalin?

Aus der oben genannten Schrift Stalins geht hervor, dass der Überbau im Dienste einer bestimmten Klasse steht. Er steht im Dienste einer Klasse zum Nachteil aller übrigen ihr feindlichen Klassen. Seine Aufgabe besteht gerade darin, die Interessen der Klasse zu fördern, der er seine Entstehung verdankt. Wenn Stalin betont, dass der Überbau einer Basis gegenüber nicht indifferent bleiben und nicht alle Klassen über einen Leisten scheren kann, so entlarvt er damit die ganze Verlegenheit der Theorien der Revisionisten, die den bürgerlichen Staat als einen über den Klassen stehenden Apparat hinstellen, dessen Aufgabe die Befriedigung aller Bedürfnisse aller Staatsbürger sei. Niemals nahm der Klassenstaat den Klassen gegenüber keine Partei, wozu er auch gar nicht imstande wäre.

Es ist daher natürlich, dass die Ideen, Vorstellungen, Sitten usw. des Proletariats der kapitalistischen Länder und deren politischen Institutionen nicht zum bürgerlichen Überbau der kapitalistischen Gesellschaft gehören können, denn die Zweckbestimmung des Überbaus besteht darin, der Basis der entsprechenden Gesellschaft zu dienen.

Das bedeutet, dass nicht alle Anschauungen und Institutionen, die in irgendeiner Gesellschaft bestehen, zum Überbau dieser Gesellschaft gehören. So entstehen und entwickeln sich die marxistischen Anschauungen bereits im Schoße der kapitalistischen Gesellschaft. Aber selbstverständlich können sie nicht als Bestandteil des bürgerlichen Überbaus angesehen werden, denn ihr Zweck besteht nicht darin, der kapitalistischen Basis zu dienen, sie zu verteidigen und zu festigen, sondern vielmehr gerade darin, diese Basis auf revolutionärem Wege durch eine neue, sozialistische Basis zu ersetzen und im Zusammenhang damit den von der kapitalistischen Basis hervorgebrachten bürgerlichen Überbau zu zerschlagen.

Was heißt nun die Aussage: Die antagonistische Basis bringt den Überbau hervor, der ihr dient?

Wenn man sagt, dass man dadurch auch zu einem gespaltenen, uneinheitlichen Überbau kommt, dann vernebelt man den Klassencharakter des Überbaus. Die Basis ist antagonistisch, aber ihr Wesen, ihre Qualität wird nur von der einen Seite des antagonistischen Widerspruchs bestimmt, von der herrschenden Seite, der herrschenden Klasse. Diese so bestimmte Basis oder die herrschende Klasse schafft sich ihren Überbau und nicht etwa beide Seiten, beide Klassen schaffen den politischen und juristischen Überbau der jeweiligen Epoche, was beim Staat z.B. doch ganz offensichtlich ist. Daraus resultiert sein Klassencharakter. Diese Einsicht ist doch gerade der Fortschritt, den die Ausführungen Stalins in diesem Problem gebracht haben.

So schreibt Stalin: "Die Sprache unterscheidet sich in dieser Hinsicht grundlegend vom Überbau. ... Die Sprache ist im Gegensatz zum Überbau "nicht von irgendeiner Klasse allein geschaffen worden, sondern von der ganzen Gesellschaft, von allen Klassen der Gesellschaft." Damit wird also gesagt, dass der Überbau nicht von beiden Seiten oder beiden Klassen einer antagonistischen Gesellschaft hervorgebracht wird, sondern von nur einer Seite, einer Klasse, und zwar der herrschenden Klasse.

Weiter schreibt Stalin: "Sie (die Sprache - M.P.) ist geschaffen worden, um die Bedürfnisse nicht irgendeiner Klasse allein, sondern die Bedürfnisse der ganzen Gesellschaft, aller Klassen der Gesellschaft zu befriedigen." Schließlich: "Infolgedessen besteht die dienende Rolle der Sprache ... nicht darin, dass sie einer Klasse zum Schaden anderer Klassen dient, sondern darin, dass sie der ganzen Gesellschaft, allen Klassen der Gesellschaft in gleicher Weise dient."

Der Überbau dient somit nur einer Klasse der Gesellschaft und nicht beiden oder mehr Klassen der Gesellschaft. In der kapitalistischen Gesellschaft hat das Proletariat keinen Anteil an der Bildung des bürgerlichen Überbaus!

Da es nun aber nur Basis und Überbau gibt, es also auch keine Zwischenerscheinungen zwischen Basis und Überbau gibt, muss man sich die Frage stellen, wohin die Anschauungen und Institutionen des Proletariats gehören.

Dazu hat schon der sowjetische Wissenschaftler M. Kammari einen m. E. fruchtbaren Vorschlag geliefert. So unterscheidet er zwischen dem "Überbau der bürgerlichen Gesellschaft" und dem "bürgerlichen Überbau".

(Siehe dazu: Die Dialektik von Basis und Überbau, in: Kommunist, Heft 10/1956).

Der "bürgerliche Überbau" wird von der kapitalistischen Basis hervorgebracht, er spiegelt die Anschauungen und Institutionen der herrschenden bürgerlichen Klasse wider. Jedoch gibt es innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft auch noch einen so genannten "Überbau der bürgerlichen Gesellschaft", wozu die Anschauungen und Institutionen des Proletariats als Teil in Form von Überbauelementen gehören, die darauf aus sind, den "bürgerlichen Überbau" umzuwälzen. Dieser "Überbau der bürgerlichen Gesellschaft" innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft überspannt sozusagen wie ein Bogen den "bürgerlichen Überbau" der herrschenden Klasse.

Das heißt natürlich nicht, dass es eine unüberwindliche Mauer zwischen dem "bürgerlichen Überbau" und dem "Überbau der bürgerlichen Gesellschaft" gibt - hier ist eine wechselseitige Einflussnahme möglich: marxistische Anschauungen können durch den Einfluss bürgerlicher Ideen revisionistisch entarten und/oder marxistische Anschauungen können in bürgerliche Medien "eindringen" und das Proletariat für den Marxismus gewinnen.

Sie stärken aber und festigen in keinem Fall die kapitalistische Basis, weil sie eben kein Teil des "bürgerlichen Überbaus" sind. Damit sind hier die politischen, juristischen usw. Beziehungen zwischen den Menschen, die in der Sphäre des Überbaus bestehen, begrifflich in hervorragender Weise von Kammari unterschieden worden.

Beim Durchforsten marxistischer Literatur aus den 50er Jahren bin ich auf zwei interessante Aufsätze zum Thema "Überbau" gestoßen. Beide Aufsätze stammen aus dem Jahr 1956 - geschrieben unmittelbar nach dem 20.Parteitag der KPdSU. Der erste Aufsatz wurde von W.M. Kowalgin, der zweite von G.M. Nowak geschrieben und in der Zeitschrift "Fragen der Philosophie", Heft 6 (russ.) veröffentlicht. Der erste Aufsatz ist betitelt: "Das Wesen des Überbaus", der zweite: "Zum Charakter des Überbaus der antagonistischen Gesellschaft".

Ich erwähne beide Aufsätze, um zu zeigen, dass die "Basis-Überbau-Frage" keine nur theoretische oder gar scholastische Frage, sondern eine durch und durch praktisch-politische Angelegenheit ist und dementsprechend praktisch-politische Konsequenzen nach sich zieht. Dies wird auch von Kowalgin selber betont. So schreibt er in seiner Einleitung: "In diesem Aufsatz wird eine Frage untersucht, die sich auf das Wesen des Überbaus bezieht, eine Frage, die in der sowjetischen Literatur falsch behandelt worden ist, die aber große theoretische und praktische Bedeutung in prinzipieller Hinsicht besitzt." (Hervorhebung von mir - M.P.)

Er schreibt weiter: "Es handelt sich darum, wie der Überbau einer Klassengesellschaft, ..., aufzufassen ist. Konkreter gesprochen, handelt es sich im wesentlichen darum, ob die Ideen und Institutionen der nicht herrschenden Klasse - des Proletariats - zum Überbau der bürgerlichen Gesellschaft gehören oder ob zu diesem Überbau nur diejenigen Ideen, Parteien und Institutionen gerechnet werden dürfen, die unmittelbar den Interessen der herrschenden Klasse dienen."

Kowalgin kommt in seinem Aufsatz zu dem Schluss, dass die Ideen und Institutionen aller Klassen zum gegebenen herrschenden Überbau gehören.

Im Folgenden werde ich aufzeigen, wie er seine Schlussfolgerung begründet.

Doch zunächst noch einige Worte zur Rezeption der Weiterentwicklung der Basis-Überbau-Theorie durch den Genossen Stalin, die den beiden Autoren Kowalgin und Nowak ein Dorn im Auge ist.

Kowalgin muss in seinem Aufsatz zugeben, dass die neue Basis-Überbau-Theorie, die ihren Anstoß durch Stalins Schriften zur Sprachwissenschaft erhalten hat, bis zum 20.Parteitag eine rasche und allgemeine Anerkennung fand. Als Vertreter dieser neuen Basis-Überbau-Theorie führt er Kammari mit seinem 1954 verfassten Lehrbuch "Der historische Materialismus", G.F. Alexandrow mit seinem 1952 verfassten Buch "Stalins Schriften zur Sprachwissenschaft" und G.E. Glesermans Abhandlung "Basis und Überbau in der Sowjetgesellschaft" aus dem Jahre 1954 an, wobei er deren Standpunkte - unberechtigterweise und von der Position des Revisionismus aus - als dogmatisch und unmarxistisch ablehnt und aufs heftigste kritisiert.

Interessant ist an dieser Stelle nun seine praktisch-politische Begründung, die Kowalgin dazu veranlasst, die neue Basis-Überbau-Theorie zu kritisieren und abzulehnen. Ich zitiere hier seine Begründung: "Der XX. Parteitag der KPdSU hat die Frage der Möglichkeit des parlamentarischen Weges für den Übergang zum Sozialismus aufgeworfen. Die Ideologie und die Parteien des Proletariats können aus der untergeordneten Stellung, die sie im Überbau einnehmen, auf friedlichem Wege in eine herrschende Stellung gelangen und dann durch entsprechende sozialistische Umgestaltungen in der Ökonomik eine sozialistische Basis schaffen. So entsteht eine neue Gesellschaftsordnung im Lande." Dies ist die praktisch-politische Konsequenz aus folgender theoretischer Prämisse, die Kowalgin einige Zeilen später gibt: "Es ist klar, daß zu diesem Überbau nicht nur die Ideologie und die Institutionen der herrschenden Klasse, sondern auch die Ideologie und die Institutionen anderer Klassen der Gesellschaft gehören. Der Überbau ist also keine "reine" Erscheinung, wie einzelne Autoren ihn darzustellen versuchen."

Man muss sich beide Zitate auf der Zunge zergehen lassen; dies ist Revisionismus reinsten Wassers. Für den friedlichen Übergang zum Sozialismus a la Chruschtschow muss das revisionistische Modell eines "gemischten" und seines Klassencharakters entkleideten Überbaus zur theoretischen Grundlage gemacht werden.

Die Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus durch Stalin wird dann auch gleich - wie üblich bei Antistalinisten - als Dogmatismus bezeichnet. So schreibt Kowalgin: "Schon hieraus wird es klar, warum der XX. Parteitag der KPdSU auf die Notwendigkeit der energischen Bekämpfung des Dogmatismus ... in den Gesellschaftswissenschaften, auf die Notwendigkeit der Verbindung der ideologischen Arbeit mit dem Leben hingewiesen hat." Der 20. Parteitag hat höchstens auf die Notwendigkeit hingewiesen, eine Verbindung in ideologischer Hinsicht mit der Bourgeoisie einzugehen!

Ich wende mich nunmehr dem Autor des zweiten Aufsatzes zu. Nowak behauptet allen Ernstes in seinem Aufsatz, Stalin habe in seiner Schrift über die Sprachwissenschaft nicht gezeigt, worin der Klassencharakter des Überbaus bestehe und versucht schließlich, ihn gegen die anderen Klassiker des Marxismus-Leninismus auszuspielen. Er schreibt: "J.W. Stalin hat in seiner Schrift ... nicht gezeigt, was unter Klassencharakter des Überbaus zu verstehen ist und wie der von ihm entwickelte Gedanke, der Überbau habe den Interessen der herrschenden Klasse zu dienen, mit der in der gleichen Schrift enthaltenen Behauptung, der Überbau umfasse die Anschauungen der ganzen Gesellschaft und die ihnen entsprechenden Institutionen, vereinbart werden kann. Diese Ungenauigkeit hat die Kommentatoren (damit meint er vor allem Kammari, Alexandrow und Gleserman - M.P.) der Stalinschen Schrift zu sehr weitgehenden Schlussfolgerungen veranlasst, dass nämlich im Überbau einer antagonistischen Gesellschaft nur die Anschauungen der herrschenden Klasse vertreten seien, was zur Entwicklung einer grundfalschen Konzeption des Überbaus führte."

Dies stellt einen direkten Angriff auf Stalin als Klassiker des Marxismus-Leninismus dar, insofern er als Dogmatiker und Nichtdialektiker hingestellt wird. In Wirklichkeit handelt es sich weder um Ungenauigkeiten noch um das Verkennen der Dialektik, die in Stalins Schrift zum Ausdruck kommt. Im Gegenteil, hier kommt eine Dialektik zum Ausdruck, die Nowak als Revisionist nicht nachvollziehen kann. Sie besteht darin, dass Stalin zwischen dem "gesamten Überbau" innerhalb einer gegebenen Gesellschaft und dem "herrschenden Überbau" als ein Teil dieses "gesamten Überbaus" unterscheidet, wozu ja bekanntlich auch die Anschauungen der nicht herrschenden Klassen gehören. Um es mit Kammari auszudrücken: Der "gesamte Überbau" innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft besteht aus dem herrschenden "bürgerlichen Überbau" und dem "Überbau der bürgerlichen Gesellschaft", zu dem die Anschauungen des Proletariats gehören. Hier haben wir die bekannte Dialektik von der Einheit und seinen Teilen, die wirklichen Klassencharakter beinhaltet. Doch Nowak geht von einer Hegelschen oder idealistischen Dialektik aus, wenn er von der Spaltung der Anschauungen beider antagonistischen Klassen innerhalb des einen herrschenden Überbaus ausgeht. Sein Widerspruch innerhalb der Einheit führt zu einem Überbau zwischen oder über den Klassen und ist damit ohne Klassencharakter. Im Übrigen ist es hier nicht uninteressant zu erwähnen, dass dieses Modell des "gemischten" Überbaus seine theoretischen Wurzeln in Bucharins Auslegung des historischen Materialismus hat.

Es war ja gerade Bucharin, der in seinem Lehrbuch über den historischen Materialismus, die Anschauungen und Institutionen aller Klassen einer gegebenen Gesellschaft zum einen herrschenden Überbau zählte. Nach seiner Meinung könnte es dann auch zu einem Gleichgewicht der sozialen Kräfte innerhalb des Überbaus der herrschenden Klasse und somit innerhalb der ganzen Gesellschaftsordnung kommen.

Ich komme nun zur zweiten Behauptung Nowaks, Stalins entwickeltes Modell widerspräche dem Modell der anderen Klassiker des Marxismus-Leninismus. Ich zitiere Nowak: "Wodurch ist diese Konzeption gekennzeichnet? Erstens durch eine geringschätzige Einstellung zu den Werken der Klassiker des Marxismus-Leninismus und zweitens durch die Ignorierung der konkreten geschichtlichen Situation, durch eine gewisse Abneigung dagegen, die eigenen Schlussfolgerungen mit der im kapitalistischen Lager entstandenen realen Lage zu vergleichen." Auch diese Behauptungen Nowaks sind wieder an den Haaren herbeigezogen. Man kann zum Thema "Basis-Überbau" keinen Widerspruch zwischen Stalin und den anderen Klassikern feststellen, sondern lediglich eine Weiterentwicklung durch Stalin. Der zweite Teil seines Zitats soll erneut zur Zusammenarbeit der Arbeiterklasse mit den Kapitalisten auffordern und diese rechtfertigen. Nowak fährt fort: "Heute, ..., ist die Möglichkeit einer friedlichen Umwälzung im Überbau, die Möglichkeit den Überbau der kapitalistischen Gesellschaft durch einen sozialistischen Überbau abzulösen durchaus real. Daher gewinnt die revolutionäre Tätigkeit des Proletariats im Überbau der kapitalistischen Gesellschaft noch größere Bedeutung." Auch hierbei dient das Modell des "gemischten" Überbaus als theoretische Grundlage für das "friedliche Hineinwachsen" des Kapitalismus in den Sozialismus. Ein friedlicher Ausgleich der Klassen. Der revolutionäre Sturz der herrschenden Klasse durch die beherrschte Klasse soll hiermit der Vergangenheit angehören. Es lebe der Revisionismus! Diese praktisch-politische Konsequenz verbirgt sich letzten Endes hinter dem Modell des "gemischten" Überbaus.

Mit kommunistischen Grüßen, Mario

Raute

Klaus Emmerich: Zu Horst Schneider und zur führenden Rolle der Partei - Heft 6-2010

Sehr geehrter Mitstreiter,

ich habe Deinen Artikel mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Mit vielen Dingen bin ich einverstanden, mit anderen nicht. Womit ich einverstanden bin, bezieht sich auf die Formel vom Anschluss der DDR und alle sich daraus ergebenden Details.

Mein Unverständnis bezieht sich darauf, dass Du mit keiner Silbe erwähnt hast, dass am 1. Dezember 1989 die Volkskammer ohne jegliche Diskussion die ersatzlose Streichung des Passus "unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei" aus der DDR-Verfassung vornahm.

Nicht nur der "Mauerfall", die "ersten freien Wahlen" und die 10. Volkskammer hat den Anschluss der DDR vorbereitet und schließlich vollendet! Mit Streichung der führenden Rolle der Partei aus der Verfassung wurde das gesamte Verfassungsgefüge, das gesamte Rechtssystem schon vor der 10. Volkskammer ersatzlos zum Einsturz gebracht.

Daraus ergibt sich die Frage, was dieser Passung überhaupt in der DDR-Verfassung zu suchen hatte? "Wahrheitsanspruch" einer Partei oder "Wahrheitsanspruch unserer Theorie" (Redaktion offen-siv)?

Nach zwei Jahrzehnten Ende der DDR und 30 Jahren Geltung der 68er Verfassung, wenn man von den undemokratischen Änderungen zum 7. Oktober 1974 absieht, wäre es wohl an der Zeit, theoretische und praktische Schlüsse zumindest anzudeuten.

Ab Seite 145ff. in meinem Buch "In guter Verfassung? Warum das Grundgesetz auf den Prüfstand gehört, erschienen bei edition ost, habe ich das zumindest versucht.

Mit solidarischen Grüßen, Klaus Emmerich, Kassel

Raute

Jürgen Gedicke: Zu Bucholz und Langer, Nov-Dez. 2010

Sehr geehrte offen-siv-Redaktion, der Beitrag von E. Buchholz im Nov-Dez-Heft (Menschenrecht und Klassengesellschaft) hat mir gut gefallen. Er weist zu recht darauf hin, dass man der bürgerlichen Propaganda nicht einfach die Themen Recht und Gerechtigkeit überlassen darf. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit ist schon immer Ausgangspunkt des Kampfes der Unterdrückten und Ausgebeuteten gewesen. Und es bringt erstmal nichts, wenn man dem Arbeiter, Hartz-IV-Bezieher, Lehrer oder Studenten gleich mit der Imperialismustheorie kommt. Na klar, Euer Gefühl trügt Euch nicht: Dies und das und jenes ist ungerecht, menschenunwürdig. Es stinkt zum Himmel. Wenn Ihr wollt, dann helft uns, es zu verändern.

Im gleichen Heft meint U. Langer, dass es höchste Zeit sei, den geschichtlichen Müll, den Revisionisten und Imperialisten mit ihrer langjährigen Lügenpropaganda über Stalin hinterlassen haben, endlich aus den Köpfen der Menschen zu kehren. Als Kommunist dürfe man sich nicht davor fürchten, den Antistalinismus zu entlarven. Bravo, sehr forsch, sehr kämpferisch. Ein paar Aufrechte, denen das Gute ihres Handelns Mut macht, (und die wohl gerade auch nichts Besseres zu tun haben), gegen den Rest der Welt. Echt toll! Wer unter den heutigen Bedingungen eine solche Kampagne startet, würde meiner Meinung nach nicht den vierten vor dem dritten Schritt machen, sondern den zehnten vor dem zweiten. Man setzt sich unerreichbare Ziele und demoralisiert so nur seine Mitstreiter. Das Ergebnis wäre, dass bald ein weiter geschrumpftes Häuflein von Stalinisten irgendwo schmollend in der Ecke sitzen und die Welt nicht mehr verstehen würde.

Mit freundlichen Grüßen, Jürgen Gedicke, Beelitz

Raute

Irene Eckert: Offener Brief - betreff: offen-siv 8/2010, Trotzkismusvorwurf

An Gudrun Stelmaszewski und die Offen-siv-Herausgebermannschaft

Frau Stelmaszewski,

mit wachsendem Befremden habe ich Ihren Text kopfschüttelnd gelesen, mich fragend, ob darauf überhaupt einzugehen sei.

Ich überwinde mein Unbehagen im Interesse der immerhin ernst zu nehmenden Leserschaft der "Zeitschrift für Frieden und Sozialismus". Es handelt sich schließlich um ein Blatt, das einmal von keinen Geringeren als Peter Hacks, Kurt Gossweiler und Hans Fischer mitbegründet wurde. Der von mir geschätzte Historiker und Faschismus-Experte Kurt Gossweiler empfahl mich 2006 mit meinem Beitrag "Ingenieure der Seele - eine Buchrezension" der mir bis dahin unbekannten Zeitschrift (nachzulesen in offen-siv 1/2007 Daniela Deich S. 93-102). Die genannte Veröffentlichung war die erste, aber nicht die einzige, die ich in offen-siv und anderswo unter Pseudonym publizierte. Mein Name war der Redaktion natürlich bekannt. Auch unter meinem eigenen Namen habe ich in offen-siv und in diversen Blättern publiziert und zwar bereits als Germanistikstudentin an den Universitäten Freiburg und Marburg. Ich war hauptberuflich 30 Jahre lang als Studienrätin im westdeutschen Staatsdienst tätig, habe die Fächer Englisch, Geschichte, PW und Deutsch unterrichtet. Zwei Jahre lang arbeitete ich als Lektorin für deutsche Sprache an der Universität Pau in Südwestfrankreich. Darüber hinaus war ich ehrenamtlich viel in der Welt unterwegs für die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF/WILPF), über die ich unter anderem in US-Archiven forschte, die ich auf internationalen Kongressen vertrat, zuletzt 2007 in Santa Cruz, Bolivien. Über meinen Aufenthalt dort berichtete ich auch in Form einer Reportage u.a. für offen-siv. Seit meinem krankheitsbedingten Ausscheiden aus dem Schuldienst und einigen Klinikaufenthalten ist Schreiben für mich eine Überlebenskunst. Ich schreibe für mich und für die Sache der Menschlichkeit. Ich schreibe an gegen die Barbarei und für eine Welt, in der die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein Ende haben wird.

Nun zu Ihrem Text, Frau Stelmaszewski dessen Aufnahme in die von mir einst geschätzte Zeitschrift mir ein Rätsel ist, zumal Sie ja ganz offensichtlich weder meine Texte noch mein Engagement, noch die hiesige Szene kennen und einschätzen können. Ihr Name ist mir erstmals als Übersetzerin des Bulgaren Kilew begegnet. Für diese wichtige Publikation, die offen-siv als Sondernummer 2010 herausbrachte, ist allerdings Ihnen und der Zeitschrift zu danken. Nun aber zur Textkritik.

Sie bringen mich in Ihrer "Entlarvung" meiner "12 Thesen für eine dringend benötigte, fundamentale, systemüberwindende Opposition" vom Sommer 2010 in Verbindung mit einer trotzkistischen Parteineugründung, von der ich offen gestanden noch nie etwas zuvor gehört habe, obwohl ich mich für gut informiert halte. Auch in meinem Bekanntenkreis ist das neue konterrevolutionäre Pflänzchen völlig unbekannt. Sie suggerieren, dass meine Thesen, an denen eine Reihe kompetenter und kritischer Köpfe mitgefeilt haben, den gleichen Geist atmen wie das mir unbekannte trotzkistische Grundsatzpapier.

Weil ich mit Lenin die Arbeit am "Begriff" hochhalte, die theoretisch-wissenschaftliche Arbeit an der exakten Situations-, sprich Klassenanalyse also und mich dabei einer an Brecht angelehnten Sprachdiktion befleißige und von den "Oberen" spreche, die "unsere Begriffe bis zur Unkenntlichkeit denunzierten und verdrehten", unterstellen sie mir (S. 22 offen-siv 8-2010), dass ich "den Marxismus-Leninismus anders, besser ... nachgebessert, also verfälscht" wolle. Sie setzen ein zerfleddertes Zitat kursiv und genauso ihren eigenen Text und behandeln ihn als sei er ein Zitat, so dass der Eindruck entsteht, ich wolle Marx und Lenin revidieren, während ich das exakte Gegenteil einfordere. Das tue ich nicht nur mit den "12 Thesen", sondern auch in anderen offen-siv Texten etwa über "Sprache und Denken" I und II (offen-siv 7/08, S. 22 und 9/08, S. 35), wo ich fordere: Ad Fontes, zurück zu den Klassikern, aber zu allen. Selbstverständlich gehört dazu auch die Lektüre der Stalinschen Texte und auch die Lektüre der Prozessprotokolle über die Trotzkistenprozesse der 30iger Jahre. Nur so sind Erkenntnisprozesse möglich, echte nämlich, die Sache der Menschlichkeit und der Menschheit weiterführende.

Sie versuchen dagegen dem Leser einzureden, meine komprimierte, viel historisches Wissen voraussetzende Sprache arbeite bewusst mit der Verunklarung von Zusammenhängen. Das sei so, wenn ich vom "schleichenden Niedergang des einst so siegreichen Sozialismus" rede, der im April 1953 (in der Tat mit Stalins künstlich verfrühtem Tod) begann (nicht im Juni) und der 1989 mit der feindlichen Übernahme seinen vorläufigen Höhepunkt fand. (Siehe dazu Ihre Version S. 23 offen-siv 08-2010). Ihre Suggestion, ich könnte in trotzkistischer Manier, das herbeigewünschte Ende des "bürokratischen Sozialismus" begrüßen, hält keiner ernsthaften Textkritik stand. Schon gar nicht, wenn Sie meine anderen Publikationen berücksichtigen und nicht aus dem Blauen daherreden. Wenn Sie nun an gleicher Stelle auch noch fortfahren, meine Forderung nach begrifflicher Klarheit im Sinne einer "Rekrutierungsbasis für den Trotzkismus" fehlzudeuten "den nach "ständigen Analysen für den Klassenfeind" giere, um die "Weltrevolution" auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben, dann wird es endgültig schrill und schräg. Damit beweisen Sie zumindest, dass ihre Lektüre der Klassiker lückenhaft und mit Fehlverständnissen behaftet ist. Im schlimmsten Fall ist ihre Sprache verräterisch. Ich wende mich also entschieden gegen Ihr diffamierendes methodisches Verfahren, Texte nicht nur zu dekontextualisieren, sondern sukzessive so zu tun, als seien am Ende meine Thesen identisch mit einem ominösen trotzkistischen Grundlagenpapier vom Mai 2010. Zu den "Leuten, die ihre wahren Ziele verbergen" (S. 25 a.a.O) gehöre nicht ich. Dass ich den Imperialismus für verwerflich und am Niedergang der Menschheit bastelnd halte, muss ich nicht beschwören. Dass es nun einmal "unsere Regierung ist, die unser Finanz- und Rüstungskapital repräsentiert und für diese Kapitalien Interventions-Kriege führt, aber eben nicht in unserem, nicht in des Volkes Namen (70% "unserer Bürger sind stabil gegen den Kriegseinsatz) dafür kann ich nichts, ich habe diese Regierung nicht gewählt und fühle mich offensichtlich nicht repräsentiert durch sie. Die Interessen des Kapitals, welcher Fraktion auch immer, sind nicht die meinen. Im Gegenteil, alle meine Worte dienen dem einen gleichgerichteten Ziel: Es gilt auf jeweils nationaler Ebene eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen, um den erforderlichen Druck für eine andere, zunächst und vor allem friedlichere Politik zu entwickeln. Von Palästinakonflikt, ohne ANFÜHRUNGSZEICHEN, zu sprechen, ist ein schlimmer Euphemismus. In Palästina herrscht Krieg, Krieg gegen das palästinensische Volk, an dem "wir", sprich unsere Oberen, ob gewählt oder nicht, beteiligt sind. Dagegen haben wir uns auszusprechen. (Siehe offen-siv 3/10 "Für einen gerechten Frieden in Nahost" von Irene Eckert). Tun wir es nicht, dann machen wir uns mitschuldig an den von der Regierung Merkel unterstützten Kriegsverbrechen. Wir alle tragen in der Tat einen Teil der Verantwortung an den Unrechtszuständen zu Hause und dort wo deutsche Waffen töten. Mein Menschenbild gebietet es mir, auch als Einzelne einzugreifen, Einspruch zu erheben, im Sinne Kants als mündige Staatbürgerin öffentlich Stellung zu beziehen. Wir Menschen gestalten unsere Geschicke selbst. "Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun." Ihre Sprache, Frau Stelmaszewski, ist in Anbetracht meines offen und klar formulierten Anliegens herablassend, diffamierend und strotzt vor Unkenntnis. Sie arbeiten unseriös.

Überprüfen Sie diese Behauptung selbst. Ab Seite 26 wird Ihr Text darüber hinaus ziemlich wirr und scheinbar unverständlich, aber der gemeinte Sinn versteigt sich dann doch erkennbar ins Bösartige.

Wer, wie ich das immer wieder tue, den dringend nötigen Abbau von Feindbildern fordert (Stichwort: Sarrazin, Ausländerhass, Islamphobie), der wird von Ihnen eines Trotzkismus bezichtigt, den schon das Vorhandensein Kubas störe. (???) Gleichzeitig wird den Kubanern und den Chinesen gleich mit unterstellt, die "alte revisionistische Chruschtschowsche Formel von den klassenübergreifenden Freunden im Abrüstungskampf wiederaufleben zu lassen." (Anmerkung: Ohne China hätte das kleine Kuba politisch nicht überlebt, überhaupt bedarf das Chinabild mancher Fortschrittsgläubigen einer dringenden Korrektur.) Auf S. 27, Absatz 3 Ihres Pamphlets fällt der seltsame Satz: "Die Zeiten sind vorbei, als ein echter Linksradikaler Stalinisten mit offener Verachtung begegnete". Wer bitte schön wird hier als "Linksradikaler" etikettiert und wer als "Stalinist", beides keine neutralen Worte, sondern mit Verlaub, Vokabeln aus der Mottenkiste des Kalten Krieges. Sie sollten wirklich besser auf Ihre Sprache achten.

Aber es kommt noch schlimmer: "Das Handwerkszeug (der Verfasser, jetzt also mehrere, der 12 Thesen; I. E.) wurde bereits von Hearst und Goebbels erarbeitet und verbreitet und durchzieht bis heute alle bürgerlichen Medien und Veröffentlichungen ihrer scheinbar sozialistischen Handlanger." (S. 28 unten, letzter Absatz) Dagegen verblasst die Lüge auf S. 29, Frau Eckert habe am 21.08.2010 in der Jungen Welt Ladengalerie an einer "Kommunistische Bewegung im Aufbruch"-Veranstaltung teilgenommen. Was für ein Verbrechen wäre es gewesen, hätte sie es tatsächlich getan, nicht wahr? Wer aber mag sich der Mühe unterzogen haben "einer Frau Stelmaszewski" (siehe ihre Anrede S. 22 oben) nach Paris von einer so gewichtigen konspirativen Sitzung in einem öffentlichen Rahmen zu berichten?

Ich hoffe doch sehr, dass die Zeitschrift offen-siv diesen meinen letzten Beitrag abdrucken wird und dass sie und die offen-siv-Leser ihn unvoreingenommen prüfen werden und mit dem Theseninhalt noch einmal konfrontieren.

Im übrigen halte ich die kritische (!) Befassung mit dem Trotzkismus für genauso notwendig wie die ebensolche mit dem Erbe Stalins. Ohne die Überwindung historisch verordneter Scheuklappen und Feindbilder ist der Weg in eine bessere von Ausbeutung freie Zukunft unendlich viel schwieriger, langwieriger und wird opferreicher sein.

Lesen Sie bitte über Trotzkismus bei kompetenten Zeitgenossen nach, etwa bei: Max Seydewitz, "Stalin oder Trotzky" London 1938 (Mali-Verlag), Henri Barbusse, "Stalin", Paris 1937 (Editions du Carrefour, dt. von Alfred Kurella), Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Walter Ulbricht u.a. "Unserem Freund und Lehrer J.W. Stalin zum 70igsten Geburtstag", Dietz-Verlag Berlin 1949, The great Conspiracy against Russia by Michael Sayers and Albert E. Kahn, New York, Boni and Gaer Inc., February 1946, dt. bei Volk und Welt 1951 unter dem Titel "Die große Verschwörung", M. Sayers und A. E. Kahn haben ein internationales Renommee erworben als investigative Journalisten. Sie haben sich schwerpunktmäßig mit Geheimdiplomatie und Operationen der 5. Kolonne befasst. Sayers ist auch bekannt als Verfasser von Kurzgeschichten. Albert E. Kahn war vorher General-Sekretär des Amerikanischen Rates gegen Nazi-Propaganda. Als Herausgeber des Newsletters "The Hour" hat er Geheimaktivitäten der Nazi-Deutschen und mit ihnen verbündeten Japaner in den USA aufgedeckt.

Ihr erstes gemeinsames Buch war "Sabotage! The Secret War Against America" ein Bestseller seiner Zeit. Auch ihre zweite Publikation "The Plot Against Peace" war ein Renner. Nach Ausbruch der McCarthy Hexenjagd wurde es bedenklich still um die beiden großartigen Journalisten. Heute sind sie völlig unbekannt.

Die Harald Tribune schrieb aber seinerzeit über "The Great Conspiracy Against Russia": "The excitement of this narrative should not overshadow its serious contribution to abette understanding of the obstacles that still stand in the way of full confidence between Russia and the Unites States" und die "New Masses" schrieben: "Wenn es eine Möglichkeit gibt, dieses Buch Millionen zugänglich zu machen, dann sollte das umgehend geschehen."

Damit empfehle ich mich definitiv.

Irene Eckert,

Berlin am 4. Februar 2010

Raute

RECHENSCHAFTSBERICHT offen-siv 2010

Anna C. Heinrich: Finanzieller Rechenschaftsbericht der Zeitschrift offen-siv für das Jahr 2010

Einnahmen:
Spendeneinnahmen:
Finanzielles Guthaben aus 2009:
Guthaben bei der Druckerei(40) aus 2009:
14.325,07 €
3.755,36 €
2.564,00 €
Summe Aktiva:
20.644,43 €
Ausgaben:
Ausgaben für Druck, Porto, Büro, Werbung(41):
Guthaben Druckerei für 2011:
20.523,21 €
3.200,00 €
Summe Passiva:
17.323,21 €
Saldo 2010:
+3.321,22 €

Unser "Polster" ist in 2010 von 6.319,36 € (finanzielles Guthaben plus Guthaben bei der Druckerei) Anfang des Jahres auf 3.321,43 € Ende des Jahres (ebenso) abgeschmolzen, was bei zwei Buchveröffentlichungen kein Wunder ist(42). Das Spendenergebnis muss man, obwohl es nicht ausreichte, alle Kosten für 2010 zu decken, als sehr gut bezeichnen.

Weiter geht's. Wir verlassen uns auf Euch - und Ihr könnt Euch auf uns verlassen.

Anna C. Heinrich, Hannover


Anmerkungen

(40) Die Tatsache eines Guthabens bei der Druckerei erklärt sich sehr simpel: Der Markt ist eng, unsere Druckerei hat auch säumige Kunden und schwimmt deshalb nicht gerade in Liquidität. Deshalb schreibt sie denjenigen, die Rechungen vorfristig zahlen, 10 % gut, und das nehmen wir, so weit wir finanziell können, gern wahr.

(41) Die Abrechung der Ausgaben wurde von den beiden Finanzrevisoren des Vereins zur Förderung demokratischer Publizistik geprüft, und es gab keinen Anlass zu Beanstandungen.

(42) Die beiden Bücher schlagen in Druck, Porto und Nebenkosten wie Steuern usw. mit mehr als 7.000,00 Euro zu Buche. Natürlich gibt es auch Rückläufe durch Nachbestellungen bei uns und Bestellungen von Buchhandlungen, aber das zieht sich natürlich über einen längeren Zeitraum hin.


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IMPRESSUM

offen-siv, Zeitschrift für Sozialismus und Frieden

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik e.V.

Geschäftsführung, Redaktion, Satz, Herstellung und Schreibbüro:
A. C. Heinrich und F. Flegel
Druck: Lange und Haak, Orsingen-Neuzingen.
Bezugsweise: unentgeltlich, Spende ist erwünscht.

Postadresse: Redaktion Offensiv
Frank Flegel, Egerweg 8, 30559 Hannover
Telefon und Fax: 0511 - 52 94 782
E-Mail: redaktion@offen-siv.com
Internet: www.offen-siv.com

Spendenkonto Inland: Konto Frank Flegel,
30 90 180 146 bei der Sparkasse Hannover, BLZ 250 501 80

Spendenkonto Ausland: Konto Frank Flegel, Internat. Kontonummer.
(IBAN): DE 10 2505 0180 0021 8272 49
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Freundeskreis offen-siv: A. Vogt,
Telefon und Fax: 0351 - 41 79 87 91
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Quelle:
Offensiv Nr. 2/2011 - Zeitschrift für Sozialismus und Frieden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2011