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OFFENSIV/099: Ausgabe November-Dezember 2011 7/11


offen-siv 7/2011
Zeitschrift für Sozialismus und Frieden

Ausgabe November-Dezember 2011 7/11


INHALT

Redaktionsnotiz

Italien
Gerhard Feldbauer: Italiens neuer Premier Mario Monti regiert mit einer Troika aus EU, FMI und EZB

Griechenland
KKE, Aleka Papariga: Eine neue Regierung der Kampfgemeinschaft des Kapitals, der bürgerlichen Parteien und der EU

Der deutsche Imperialismus
- Stefan Marx: Geschichte der deutschen Bourgeoisie von den Bauernkriegen bis heute

Zur aktuellen Epochebestimmung
- Hermann Jacobs: Prognose gewagt - über die allgemeine Krise des Kapitalismus

Lehren aus der Geschichte
- Hans Fricke: Alles lernen - nichts vergessen
- Inge Viett: Erklärung vor Gericht am 21.11.2011
- Hermann Jacobs: Konterrevolution, Zusammenbruch - oder gar beides?

Buchbesprechung
Lena Bergmann: Gerhard Feldbauer: Wie Italien unter die Räuber fiel. Und die Linke nur schwer mit ihnen fertig wurde

Raute

REDAKTIONSNOTIZ

In Italien und in Griechenland gibt es neue Regierungen. Ihr Zustandekommen ist durchaus bemerkenswert, denn Wahlen gab es nicht. Stattdessen gab es das Eingreifen des imperialistischen Zentrums in Europa, das Eingreifen Deutschlands, Frankreichs und der zentralen Organe der EU. Vor unseren Augen spielt sich mit atemberaubender Geschwindigkeit ein Verschieben der Kräfteverhältnisse innerhalb Europas und gleichzeitig weltweit ab. Der deutsche Imperialismus schickt sich an, mittels Um- und Neustrukturierung Europas aufzuschließen zur bisherigen Führungskraft des Imperialismus, den USA.

Wegen dieser Gründe bewegen sich die Themen dieses Heftes - so wie es schon in der September-Oktober-Ausgabe war - wiederum um das Problem des Imperialismus. Selbstverständlich schauen wir auf Italien und Griechenland, wir dokumentieren die Erklärung, die Inge Viett am 21.11.2011 vor Gericht abgab, gleichzeitig bringen wir den zweiten Teil der Geschichte der deutschen Bourgeoisie und Thesen zur grundsätzlichen Epochebestimmung. Zwei Artikel, die uns mahnen, aus der Geschichte zu lernen und eine Annotation des neuen Buches von Gerhard Feldbauer "Wie Italien unter die Räuber fiel. Und wie die Linke nur schwer mit ihnen fertig wurde." Runden das Heft ab.

Liebe Genossinnen und Genossen, wir müssen nochmals Finanzen sprechen. Unseren Aufruf in der September-Oktober-Ausgabe habt Ihr wohlmeinend aufgenommen, es sind seitdem rund 2.000,- Euro an Spenden eingegangen. Dafür danken wir all denjenigen, die uns unterstützt haben, sehr herzlich. Nur, und damit möchten wir vor allem diejenigen ansprechen, die uns in diesem Jahr noch nicht mit einer Spende geholfen haben, das reicht nicht! Wir brauchen ein gewisses Polster vom Winter und Frühjahr, um über den Sommer zu kommen.

Deshalb wiederholen wir unseren eindringlicher Aufruf: Bitte unterstützt uns, die Zeitschrift offen-siv muss weiter erscheinen können, der Anti-Revisionismus muss gesichert sein, viele Informationen, Analysen und Einschätzungen, die wir liefern, gibt es woanders nicht.

Spendenkonto Offensiv:
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Raute

ITALIEN

Gerhard Feldbauer: Italiens neuer Premier Mario Monti regiert mit einer Troika aus EU, FMI und EZB(1)

Riesige Privatisierungen nutzt deutsches Kapital in Rom wie in Athen, um die deutsche Führungsrolle in der EU durchzusetzen

Die Regierungszeit des faschistoiden Mediendiktators Silvio Berlusconi ist beendet. Fast ein Jahrzehnt herrschte der reichste Kapitalist des Landes in Personalunion von Kapital und politischer Exekutive seit 1994 an der Spitze dreier Regierungen. Dass ihn die faschistische Putschloge P2 an die Macht hievte, ist hinreichend bewiesen worden, auch dass die Mafia dabei eine gewichtige Rolle spielte, bis hin zu Stimmen, ob er nicht überhaupt in ihrem Auftrag regierte. Dass er nach der politischen Macht griff, um sein riesiges Firmenimperium Fininvest vor dem Bankrott zu retten, ist ihm sogar aus seiner eigenen Partei, der er zuletzt den demagogischen Namen Popolo della Libertá, PdL) gab, vorgehalten worden.

Wahlsieg von Mitte Links bei Kommunalwahlen läutete den Sturz ein

Mit seiner alle bürgerlichen Grenzen sprengenden Korruption, nachgewiesener Anwaltsbestechung, illegalem Geldtransfer, Steuerhinterziehungen, seinen Sex-Skandalen, darunter mit minderjährigen Prostituierten, Amtsmissbrauch, einem hemmungslosen Antikommunismus, der sich gegen seine Widersacher bis hin zur gewöhnlichen Rechten richtete, wurde er mehr und mehr zur Belastung des politischen Establishment. Aber die führenden Kapitalkreise, die mit seiner faschistoiden Niederhaltung der Linken zufrieden waren, zögerten, ihm den Laufpass zu geben. Sie befürchteten sein Sturz werde der wieder an Kampfkraft gewinnenden Linken Auftrieb geben. So konnte er seine Amtszeit um ein paar Wochen verlängern, um die EU-Auflagen zur Senkung des Haushaltsdefizits mit der Durchpeitschung eines sozialen Sparpakets von bisher auf weit über 100 Milliarden Euro durchzusetzen. Seinen erbärmlichen Abgang konnte er in einem letzten Akt Dank der Schützenhilfe der Opposition, darunter auch der Demokratischen Partei (frühere Linksdemokraten und katholisches Zentrum), die durch Ihr Fernbleiben bei der Abstimmung in Senat und Parlament, die Zustimmung sicherten, noch als "Retter des Vaterlandes" feiern.

Eingeläutet wurde sein Sturz mit der schweren Niederlage, die ihm die linke Mitte bei den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen im Mai zufügte. Nach jahrelanger Stagnation gelang es der Basis der Linken, wieder Kampfkraft zu gewinnen. Berlusconis Stimmen sackten von 47 Prozent bei den Parlamentswahlen 2008 auf 30 Prozent ab. Dann stimmten bei einem Referendum über 90 Prozent für die Aufhebung der berüchtigten "Lex Berlusconi", das Immunitätsgesetz, das den Premier von der Strafverfolgung in mehreren laufenden Prozessen, freistellte. Es folgten der Generalstreik im September und seitdem anhaltende Massendemonstrationen mit den nicht mehr zu überhörenden Rufen auf der Strasse nach dem Rücktritt des korrupten Regierungschefs. In Meinungsumfragen sank der Medientycoon, der immer geprahlt hatte, vom Volk gewählt und geliebt zu sein, auf eine Zustimmungsrate von 22 Prozent ab. Bei Wahlen wurden ihm noch 27 Prozent zugetraut. In seiner eigenen Partei und beim Koalitionspartner Lega Nord verlor er den Rückhalt, im Parlament die Mehrheit. Bereits im Dezember 2010 hatte der frühere Führer der faschistischen Alleanza Nazionale (AN), Gianfranco Fini, die Regierungskoalition und die PdL verlassen.

Komplizierte Kräftekonstellation

Die politische Kräftekonstellation besteht bei fließenden Grenzen aus etwa drei Gruppierungen:

- der extremen und äußersten Rechten mit Berlusconi und dem harten Kern seiner PdL, der rassistischen Lega Nord Umberto Bossis und Teilen der früheren AN, die bei der PdL verblieben;

- einer sich neu formierenden Rechten, die vorgibt, das alte, einst von der Democrazia Cristiana angeführte Rechte Zentrum neu zu bilden. Zu ihr gehören als so genannter Terzo (dritter) Polo die von Fini mit der Mehrheit seiner AN gebildete Partei Zukunft und Freiheit (FeL), die Union Demokratischer Christen (UDC) und die Allianz für Italien (API) des vormaligen Grünen, späteren Rechtskatholiken Francesco Rutelli. Von Berluconis PdL spaltet sich eine Gruppe ab, die eine Liberale Partei gründen und zum Terzo Polo stoßen will. Sie hofft, bei Neuwahlen so Stimmen zu retten.

- und schließlich aus der einst traditionellen linken Mitte, die längst nicht mehr das ist, was sie einmal war. Ihren rechten Flügel bildet die Partei Italien der Werte (IdV) des einstigen Korruptionsermittlers Antonio Di Pietro; die Mitte besteht aus der DP Luigi Bersanis (eines Ex-Kommunisten); den gemäßigten linken Flügel stellt die Linkspartei Umwelt und Freiheit (SEL) des Ministerpräsidenten von Apulien, Nicola Vendola (Ex-Kommunist, bis 2009 Leitungsmitglied der PRC) und schließlich den beiden kommunistischen Parteien PRC und PDCI, die mit kleinen linken Gruppen eine Linke Föderation (FdS) gebildet haben.

Monti-Regierung Vollstrecker des EU-Diktats

Staatspräsident Georgio Napolitano (Ex-Kommunist, heute DP) berief den langjährigen EU-Kommissar (darunter in der Schlüsselposition des Wettbewerbers, in die ihn einst Berlusconi delegierte) Mario Monti, einen rechts ausgerichteten Wirtschaftsprofessor, zum neuen Ministerpräsidenten. Der frühere mehrmalige Ministerpräsident, der für seine Regierungszusammenarbeit mit den Kommunisten bekannte Romano Prodi, der zur Berufung ebenfalls im Gespräch war, hatte keine Chance. Um Montis Image aufzupolieren hat Napolitano ihn noch schnell zum Senator auf Lebenszeit ernannt. Monti gilt in Brüssel als Garant der Durchsetzung des rigorosen sozialen Crashkurses unter EU-Diktat. Seine Nachfolge hat Berlusconi offen zu einer seiner Rücktrittsbedingungen erklärt. Monti hat eine Technokraten-Regierung der so genannten "nationalen Einheit" gebildet, mit der er bis zum Ende der Legislatur im Frühjahr 2013 amtieren will. Mit der Übergangsregierung sollen sofortige Neuwahlen, die PRC und PDCI, die Basis der DP als auch die SEL und Di Pietro fordern, verhindert werden. Sofortige Neuwahlen sind die Chance für Mitte-Links, den Aufschwung der Linken, den diese mit dem Wahlsieg im Mai und dem Generalstreik im September erreichte, zu nutzen, um der Rechten um Fini und den extrem Rechten um Berlusconi und Bossi eine Niederlage zuzufügen und politische und soziale Veränderungen auf den Weg zu bringen. Die Übergangsregierung dagegen hilft der Rechten, sich zu sammeln und zum Angriff überzugehen. In typisch reformistischer Weise neigt Bersani zur Übergangsregierung, Vendola schwankt ebenfalls.

In den Medien verschwindet Berlusconi langsam aus den Schlagzeilen. Man könnte meinen, dass Regime des faschistoiden Mediendiktators sei bereits Geschichte. In Wirklichkeit ist es jedoch so, dass an die Stelle der Alleinherrschaft des reichsten Kapitalisten des Landes jetzt ein Konsortium des Industriellenverbandes Confindustria und der Manager der Banken mit dem angeblich über Parteiinteressen stehenden Monti getreten ist. Gab es gegen Berlusconi noch eine, wenn auch heterogene, aber doch einigermaßen geschlossene Opposition, so erhielt Monti, ausgenommen die Lega Nord (die nicht zu Unrecht hofft, davon bei Wahlen zu profitieren), eine in der Parlamentsgeschichte Italiens kaum gekannte Zustimmung aller übrigen Parteien (Abgeordnetenkammer 556:61). Im gefährlichen trauten Verein haben sich die Freiheitspartei Berlusconis und die (liberale) Demokratische Partei Bersanis zur Stützung seiner Technokraten-Regierung zusammengefunden.

Schulterschluss mit Berlin und Paris

Geändert hat sich, dass Monti nicht den rüden Ton der Gosse seines Vorgängers übernommen hat und sein Agieren an den "diskreten Scharm der Bourgeoisie" in Luis Bunuels Film von 1972 erinnert. Ansonsten tritt er mit seinem so genannten Spar- und Reformprogramm an, um das Werk Berlusconis fortzuführen, was heißt, das unter dem Diktat der EU angenommene Sparpaket durchzusetzen, dessen schon weit über 100 Milliarden Euro gehender Umfang nochmals um zehn Mrd. aufgestockt werden soll. Da im Augenblick beim Sozialabbau die Schmerzgrenze schon lange überschritten ist, kann man den Bogen, auch Angesichts bevorstehender Wahlen entweder vorgezogen auf 2012 oder am Ende der Legislatur 2013, derzeit nicht noch mehr überspannen. So gehen die Vasallen von Brüssel in Rom wie bereits in Athen daran, dass Tafelsilber zu verscherbeln, was heißt, die noch in der Hand des Staates verbliebenen Unternehmen zu privatisieren. Wenn Monti erklärte, gegen die Krise suche er "den Schulterschluss mit Berlin und Paris", dann sind das die Abnehmer, denen der Vorzug gegeben wird.

Im Visier deutscher Unternehmer: Energiesektor, Rüstung und Raumfahrt

An der Spitze der zur Disposition stehenden Betriebe in Staatsbesitz bzw. mit starker Beteiligung stehen zwei Riesenunternehmen: Die Ente Nazionale Idrocarburi - ENI (Kohlenwasserstoffe) und der Industrie- und Rüstungskonzern Finmeccanica. Der Energie-Konzern ENI ist in den Bereichen Erdöl, Erdgas, Stromerzeugung, Petrochemie, Ingenieurwesen und Services auf Ölfeldern tätig und unterhält das Tankstellennetz Agip, das in Italien mit einem Marktanteil von 29,3 Prozent 4.356 Servicestationen unterhält und damit größter Tankstellennetz-Betreiber des Landes ist. Im Rest Europas ist Agip mit weiteren 1.938 Tankstellen und Shops, davon rund 600 in Deutschland, über 300 in Österreich und 240 in der Schweiz vertreten. 2010 mit 79.941 Mitarbeitern und einem Umsatz von 98,360 Mrd. Euro und einem Nettogewinn von über 10 Mrd. Euro ist die ENI das zwölftgrößte Unternehmen Europas.

Finmeccanica ist einer der größten Industriekonzerne des Landes (Schwerpunkt Informationstechnik, Maschinen- und Anlagenbau, Eisenbahnwesen), in den in den 1990er Jahren fast alle italienischen Rüstungs-, Luft- und Raumfahrtunternehmen eingegliedert wurden. Finmeccanica baut Flugzeuge, Hubschrauber, Satelliten, Raketen und Raumfahrtkomponenten, Geräte für die Kommunikations- und Informationstechnik, Panzerfahrzeuge, Torpedos und Schiffsgeschütze, sowie Hochgeschwindigkeitszüge, U- und Trambahnen. Der Konzern beschäftigt in Italien etwa 43.000 Mitarbeiter, in Standorten in den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Polen weitere rund 30.000. 2009 betrug der Umsatz 18,176 Mrd. Euro. Besonders hier gilt unter Insidern als sicher, dass das Rennen um Finmeccanica deutsche Anbieter machen werden. Die italienische kommunistische Zeitung "Contropiano" nannte die Vorgänge unter deutlicher Anspielung auf die Okkupation Italiens im Zweiten Weltkrieg durch Hitlerdeutschland beim Namen: Es handele sich um eine Invasion, nicht mit Panzern, sondern "durch eine Truppe von Inspektoren der Troika EU, FMI und EZB."

Deutsches Kapital übernimmt EADS

Hier ist einzufügen, dass die Bundesregierung gerade einen strategischen Coup einleitete, um sich die Vorherrschaft in der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) zu sichern. EADS ist der größte europäische Luft-, Raumfahrt und Rüstungskonzern, der die zivile Luftfahrt und den militärischen Sektor einschließt. Zu ihr gehört der Flugzeughersteller Airbus, das weltweit größte Hubschrauber-Unternehmen Eurocopter und EADS Astrium, mit den Programmen Galileo und Ariane die europäische Nummer eins im Raumfahrtgeschäft. Das schwer durchschaubare Vorgehen lief über den Autokonzern Daimler AG, 2000 einer der Gründer der EADS, der 2012 die Hälfte seiner Anteile (7,5 Prozent) bei EADS an die Bankengruppe Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) abgibt. Mit einem Anteil der Bundesrepublik zu vier Fünfteln und einem Fünftel der Bundesländer ist die KfW eine Staatsbank und mit einer Bilanz von rund 442 Mrd. zum 31. Dezember 2010 die drittgrößte deutsche Bank. Ein deutsch beeinflusster Shareholder Pakt hält 50,4 Prozent EADS-Anteile. In der jetzigen Beteiligung der KfW an EADS sehen Experten deshalb eine Stärkung der deutschen Position, die auch bei einer möglichen Gefährdung des Euro Bedeutung erlangen könnte. Der französische EADS-Vorstandschef Louis Gallois, wandte sich gegen den deutschen Staatseinstieg und warnte vor einer "feindlichen Übernahme". Würde unter deutscher Vorherrschaft das Potenzial von Finmeccanica und EADS zusammenfließen, entstünden Kapazitäten, mit denen die Konkurrenz, zum Beispiel in den USA, in die Schranken gewiesen werden könnte.

In Athen geht es um 50 Milliarden Euro

In Griechenland war der "Rettungsschirm" der EU kaum aufgespannt, da tauchten 70 Manager von deutschen Unternehmen im Tross von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler in Athen auf, um ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Mit Milliarden-Investitionen kaufen sie griechische Staatsbetriebe auf oder erwerben Anteile daran. Bis 2015 will Athen unter dem Druck aus Brüssel für 50 Milliarden Euro staatliche Unternehmen verkaufen und Liegenschaften verpachten. Die Deutsche Telekom übernimmt weitere zehn Prozent von Hellenic Telekom (OTE), womit ihre bisherigen Anteile auf 40 Prozent anwachsen. Im Visier liegt auch in Athen vor allem der strategische Energiesektor, darunter die staatlich kontrollierten Elektrizitätswerke DEI und die großen Sonnenstromprojekte. Der deutsche Alternativenergie-Konzern Solarworld, einer der drei größten Hersteller von Solarstromprodukten weltweit, plant, bis 2020 rund 10.000 Megawatt zu installieren, was bei optimaler Sonneneinstrahlung der Leistung von rund zehn Atomkraftwerken entspräche. 2500 Megawatt davon sollen exportiert werden. Die E.on-Ruhrgas will sich am Bau der Trans-Adriatic Gaspipeline, für die vorerst 1,5 Milliarden Euro veranschlagt werden, beteiligen. Die Leitung soll Gas aus Aserbaidschan via Türkei und Griechenland nach Süditalien bringen. von den insgesamt 800 Kilometern würden 478 durch Griechenland führen. Zum Verkauf stehen die Landwirtschaftsbank ATE und Athens International Airport (AIA), an dem der Staat noch 55 Prozent hält; 40 Prozent besitzt bereits der deutsche Baukonzern Hochtief, der den Flughafen auch unterhält. Deutsche Unternehmen bestreiten bereits jetzt zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts Griechenlands. Rössler drängte die Regierung in Athen außerdem, Sonderwirtschaftszonen mit niedrigeren Unternehmenssteuern einzurichten, von dem deutsche Unternehmen profitieren würden.

Tarnkappen-Fregatten für Athen zahlt der deutsche Steuerzahler

Der "Euro-Rettungsschirm" dient auch den lukrativen Geschäften der deutschen Rüstungsindustrie. Athen, in dem jetzt wieder die Neofaschisten mitregieren, kauft laut SIPRI elf Prozent der weltweiten Rüstungsexporte ein. Deutschland, nach den USA und Russland weitweit drittgrößter Lieferant, verbuchte schon bisher 35 Prozent davon. Derzeit streitet Thyssen-Krupp, wie einem "Spiegel"-Bericht zu entnehmen war, mit der halbstaatlichen griechischen Werft "Direction des Constructions Navales, Systemes et Services" (DCNS) um einen Milliardenauftrag über die Lieferung von sechs Tarnkappen-Fregatten nach Athen, der bisher Frankreich zugesagt ist. Zu Hilfe kam Krupp-Thyssen Uwe Karl Beckmeyer von der SPD-Bundestagsfraktion, der forderte: "Die Kanzlerin muss ihren Freund Sarkozy stoppen." Ganz gleich zu wessen Gunsten der Deal, in dem Krupp das Kanzleramt persönlich angerufen haben soll, ausgehen wird, bezahlt wird auch hier mit Geldern des "Euro-Rettungsschirms".

Vertrauter der Kanzlerin: "Jetzt wird in Europa Deutsch gesprochen."

Die bisherige Entwicklung beweist, die Euro-Rettungsschirme, die in immer breiteren Größen für die vom eigenen Kapital in den Staatsbankrott getriebenen Länder wie Griechenland und Italien aufgespannt werden (als nächste Opfer sind bereits Spanien und Portugal im Gespräch), nutzen vor allem deutschen Konzernen und damit der Durchsetzung der Hegemonie der Bundesrepublik in der EU. Dazu werden aus der Geschichte höchst unrühmliche Schlagworte von der Kanzlerin persönlich wieder belebt, wie von der "Schicksalsgemeinschaft" Europa, das sich in seiner vermutlich "schwersten Stunde seit dem Zweiten Weltkrieg" befinde. Um die deutsche Vorherrschaft in der EU festzuschreiben, verlangt Berlin, wie das außenpolitische Journal "German Foreign Policy" schrieb, eine dominierende Stimmenmehrheit in zentralen EU-Institutionen, darunter eine Neuverteilung der Stimmengewichtung in der Europäischen Zentralbank, die in Zukunft auf der Grundlage des Bruttosozialprodukt erfolgen soll. Damit bekäme Deutschland nicht nur heute, sondern mutmaßlich auf Dauer eine beherrschende Stellung in der wichtigsten geldpolitischen Institution Europas. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, ein enger Vertrauter der Kanzlerin, fasst das mit knappen Worten zusammen: "Jetzt wird in Europa Deutsch gesprochen."

Die nächste Schlacht wird in Rom geschlagen

Die nächste Schlacht wird in Rom geschlagen. Monti will bis zum Ende der Legislatur 2013 regieren, das EU-Diktat auf den Weg bringen und damit vollendete Tatsachen schaffen. Wird es Mitte-Links, wird es national bewusst denkenden bürgerlichen Kräften gelingen, den Ausverkauf der Wirtschaft und damit der Souveränität des Landes zu stoppen? Dazu müsste die kämpferische linke Basis, die in den vergangenen Wochen auf der Straße mit der Losung: "Schluss mit Berlusconi" die "Kapitulation" des Mediendiktators, wie "Liberazione" am 13. November schrieb, durchsetzte, den Kampf mit der Forderung "sofort Neuwahlen" fortsetzen und entsprechenden Druck auf den Staatspräsidenten Napolitano und die bürgerliche Mitte, an ihrer Spitze die DP, ausüben.

Offen bleibt derzeit, wie Mitte-Links sich zu Parlamentswahlen aufstellen wird. Eine Wahlkoalition unter Einschluss der Linkspartei Vendolas scheint sicher. Wird sich das aber auch auf PRC und PDCI erstrecken und werden die Kommunisten selbst dazu bereit sein? Der Parteitag der PRC 2008 hatte das noch abgelehnt.


Gerhard Feldbauer, Künzel


Gerhard Feldbauer veröffentlichte zum Thema Mitte November gerade sein neues Buch "Wie Italien unter die Räuber fiel - Und wie die Linke kaum mit Ihnen fertig wurde". Papyrossa Verlag, Köln 2011. 222 Seiten, ISBN 978-3-89438-471-5.

Siehe dazu unsere Annotation am Ende des Heftes!

Anmerkung

(1) Siehe den Beitrag des Autors in "offensiv", Heft 6/2011: Machtvoller Generalstreik in Italien.

Raute

GRIECHENLAND

KKE, Aleka Papariga:(2) Eine neue Regierung der Kampfgemeinschaft des Kapitals, der bürgerlichen Parteien und der EU

Pressekonferenz von Aleka Papariga, der Generalsekretärin des ZK der KKE, am 7. November bezüglich der Formierung einer neuen Regierung bestehend aus den zwei bürgerlichen Parteien des Landes, der sozialdemokratischen PASOK und der rechten ND, die von der nationalistischen LAOS unterstützt wird. Aleka Papariga rief die Arbeiterklasse und die Volkskräfte dazu auf, diese Regierung durch ihren Kampf so schnell wie möglich zu stürzen. Sie betonte, dass eine soziale Volksfront nötig ist, um die Macht der Monopole zu stürzen und sie zu vergesellschaften, für den Austritt Griechenlands aus EU und NATO sowie für die Streichung der Schulden.

Die ganze einleitende Aussage der Generalsekretärin des ZK der KKE auf der Pressekonferenz:

"Derzeit wird eine Regierung der Kampfgemeinschaft der Parteien des Kapitals gebildet, und zwar direkt vom Kapital, mit der EU als Drahtzieher. Diese Regierung wird gebildet, um uns in der Situation von Krise und Konkurrenz die Bedingungen des griechischen und europäischen Kapitals aufzuzwingen, um mit den Spannungen innerhalb der EU umzugehen und um das Volk zu unterjochen. Ganz offensichtlich hat die EU PASOK und ND gedrängt, diese Regierung zu bilden. In Wahrheit wendet sich der Druck jedoch gegen das Volk. Wir garantieren, dass diese Regierung nicht umzugehen wissen wird mit den Schulden oder dem Defizit oder dem Ausmaß der Krise, vermutlich werden sie nicht einmal mit der Möglichkeit eines unkontrollierten Bankrotts umzugehen wissen.

Die Verhinderung eines unkontrollierten Bankrotts in den folgenden Monaten und/oder Jahren hängt weder von der Form der politischen Verwaltung ab, wie uns die verschiedenen bürgerlichen Regierungen glauben machen wollen, noch davon, ob es eine Koalition geben wird oder die Herrschaft einer einzelnen Partei usw. Wir wiederholen, dass die Frage, ob mehrere Parteien in einer Koalition regieren werden, eng verknüpft ist mit der Disziplinierung und Unterwerfung des Volkes, denn das Problem der Krise liegt viel tiefer, es betrifft das kapitalistische System selbst und nicht seine Verwaltung.

Das Volk muss folgendes wissen: Dass all das, was sie in der letzten Zeit erfahren haben, jetzt weitergehen wird. Zu Anfang werden sie arbeiter- und volksfeindliche Maßnahmen ergreifen, und danach werden wir die Raten bezahlen müssen; und in der Tat wird jetzt der neue Teilzahlungszyklus des neuen Berichts beginnen [der Satz könnte unrichtig sein - R.]. Wir glauben nicht im Mindesten daran, dass es Initiative von Papandreu war, die Volksabstimmung "Euro oder Drachme" voranzutreiben, die zu dieser Neubildung der Regierung führte. Sie haben das schon lange vorbereitet, und diese Volksabstimmung war eine günstige Gelegenheit.

Das Kapital in unserem Land und der restlichen EU wollte eine dynamische und starke Regierung einsetzen. Und tatsächlich hat sie, wenn man genau hinsieht, das übertroffen, was in Portugal passierte, wo die Opposition vor den Wahlen bekannt gab, dass sie allem zustimmen und für alles stimmen würde. Das war nicht genug. Sie wollten die ND nicht als offizielle Opposition, die aus oppositionellen Motiven und nicht aus strategischen Gründen gegen Maßnahmen stimmen würde, natürlich wie zuvor versprechend, dass sie die Unterschriften der vorherigen Regierung akzeptieren würde. Sie wollten eine einheitliche Bündnisregierung.

Ein Großteil des Volkes fühlt sich gedemütigt von den Eingriffen der EU und den Aussagen von Merkel und Sarkozy, wobei das Komische ist, dass die Politiker genau dasselbe vorspielen. Wir möchten folgendes klarmachen: Wenn das Volk dieses Gefühl der Demütigung beenden möchte, das über die Jahre nur noch schlimmer werden wird, wenn sich nichts ändert, wenn es davon frei sein will, muss es zuerst von der Macht der Monopole in unserem Land und von der EU befreit werden. Ansonsten werden diese Demütigungen bleiben, und wir möchten betonen, dass sie immer schlimmer werden.

Gegenwärtig bedeutet Patriotismus für uns: Vergesellschaftung der Monopole, eine Arbeiter-Volks-Macht, Austritt aus der EU, was unter den heutigen Bedingungen auch die Streichung der Schulden bedeutet.

Diese Regierung wird nicht nur für ein paar Wochen bleiben. Sie versuchen, sie solange wie möglich aufrecht zu erhalten. Aber selbst wenn sie nur für ein paar Wochen bleibt, wird sie doch Maßnahmen treffen, die das Leben, den Lebensstandard und die Rechte des Volkes für mindestens 10 bis 15 Jahre beeinträchtigen werden.

Und tatsächlich spricht der IWF von einer Zwei-Jahres-Regierung. Wir rufen die Arbeiterklasse und die Volkskräfte auf, durch ihren Kampf diese Regierung so schnell wie möglich zu stürzen, ihr das Leben schwer zu machen, alle Probleme der neuen Koalitionsregierung (mit altem Zeug, aber der Form ihrer Zusammensetzung nach neu) auszunützen und ihre Lebensdauer so weit wie möglich zu verkürzen, und um Neuwahlen zu erzwingen, bevor endgültige Entscheidungen getroffen werden. Natürlich ist dafür ein permanenter Kampf nötig, und besonders diejenigen Arbeiter und Volkskräfte, die noch an PASOK und ND glauben, sollten diesbezüglich keinerlei Hemmungen haben; sie dürfen nicht hoffen, dass diese Koalition irgendetwas verbessern wird.

Sie wurde gebildet, um das Schlimmste über uns zu bringen, das Schlimmste sogar, das wir bisher erlebt haben. Heute hat das Volk eine weitere Waffe, nicht nur die Gerechtigkeit seiner Sache und die Erfahrungen, die es in der Vergangenheit und in der letzten Zeit gesammelt hat, sondern auch die Tatsache, dass die EU ernsthafte Probleme hat. Die Regierungen der EU-Staaten können mit der Krise nicht umgehen, das politische System in Griechenland hat seine Spannungen, und aus diesem Grunde wurden sie dazu gezwungen, eine Koalitionsregierung einzusetzen, während immer noch darum kämpfen, das System der zwei Parteien, die sich die Regierung stets teilen, zu erhalten.

Das Volk darf keine Rücksicht nehmen auf die Schwäche des bürgerlichen Systems, auf die Sorgen und Probleme, die es hat. Die Schulden, das Defizit, die Memoranden, die mittelfristigen Programme und ob sie verabschiedet werden, das alles sind die Sorgen der herrschenden Klasse unseres Landes und der Parteien, die ihr dienen. Das Volk darf sich keine Sorgen darüber machen, wie sich diese Dinge entwickeln werden.

Das Volk muss sich nur über eines Gedanken machen: Wie es es schaffen kann, diese Maßnahmen zu verhindern und siegreich zu sein.

Sie drohen dem griechischen Volk, dass sie es ausstoßen werden, dass sie Griechenland aus der Eurozone ausschließen werden. Das Volk muss diese Drohung nutzen, um den Kopf zu heben und zu sagen: Mit unserer Entscheidung, mit unserer Stärke, mit unseren Plänen werden wir von nun an aus der EU austreten.

Das ist nicht unmöglich; es ist möglich, dass die EU in den folgenden Jahren nicht mehr so aussieht wie heute. Einige Länder könnten aus der Eurozone oder gar aus der EU ausgeschlossen werden, die EU könnte sich trennen, oder es könnte irgendetwas anderes passieren.

Es gab tatsächlich schon eine Diskussion darüber, die EU in eine Organisation wie die USA umzuwandeln. Sie glauben, dass sie die nationalstaatliche Organisation durch politische Entscheidungen auslöschen können. Der Grund dafür ist erstens, dass dies für sie eine Möglichkeit ist, das Volk zu unterjochen, seine Kampfkraft zu unterdrücken. Und zweitens können sie so sicherstellen, dass der Kampf zwischen den Monopolen auf die für sie beste Art und Weise geführt wird. Keinesfalls jedoch kann dieser Plan die Krisen, die Rivalitäten und die Spaltungen im kapitalistischen System überwinden.

Und da sich hier die Gelegenheit bietet, lassen sie mich bitte klarstellen, was die Medien permanent behaupten, nämlich, dass Frau Papariga argumentiert hätte, wenn wir die Drachme zurücknehmen, einige spekulieren werden: In der Frage Euro oder Drachme war unsere Antwort, dass es Sektionen des Kapitals gibt, nicht nur in Griechenland, sondern auch in anderen Ländern, die daran interessiert sind, dass Griechenland in der EU bleibt, aber die Eurozone verlässt, weil ihre wirtschaftliche Position im System geeignet zur Spekulation ist.

Unsere Antwort lautet jedoch: Austritt.

Denn wir werden nicht die Seite der Euro-Spekulanten oder der Drachme-Spekulanten einnehmen. Folglich glauben wir, dass dem Volk durch eine "Anti-Memorandum-Front" nicht gedient ist, ob man diese nun fortschrittlich, patriotisch oder links nennt. Bis jetzt hat sich die ND zu den Gegnern des Memorandums gezählt, und man sieht, wohin das geführt hat. Natürlich ist es eine bewusste Entscheidung, dass sie nicht die Seiten gewechselt hat.

Was bedeutet also eine Front gegen das Memorandum - ist sie links, fortschrittlich?

Die Front, die wir heute brauchen, darf nicht nur einfach eine "Anti"-Front sein.

Sie muss auch klarmachen, wohin das Volk gehen soll, und das erst bestimmt ihren "Anti"-Charakter. Wir reden also von einer sozialen Volksfront zum Sturz der Macht der Monopole, für ihre Vergesellschaftung, für ihre Kontrolle durch die Arbeiter und das Volk, für den Austritt Griechenlands aus EU und NATO, und natürlich beinhaltet all das die Streichung der Schulden. Wir wollen keine arbeiterfeindliche Politik, weder mit dem Euro noch mit der Drachme.

Von dieser Sichtweise aus sind alle derartigen Fronten gegen das Memorandum nicht nur kurzlebig - sie werden sich früher oder später spalten -, sondern sie errichten auch ein Bollwerk, um die Bourgeoisie zu schützen, die auf der einen Seite eine klar reaktionäre, konservative Front will, aber andererseits eine solche Kampffront als eine Form des Schutzes benutzen kann. Denn jeder, der im Rahmen der EU bezüglich Verhandlungen und Veränderungen der politischen Form kämpft, stellt für das System keine Bedrohung dar. Die gemeinsame Aktion mit der KKE stellt eine der unersetzlichen Vorbedingungen dar; wir behaupten nicht, dass es die einzige ist, doch es ist eine der essentiellen Vorbedingen dafür, dass diese soziale Volksfront - Keime von ihr existieren bereits - in der Lage ist, sich zu bilden und zum Gegenangriff überzugehen.

Gleichzeitig glauben wir, dass Kampffronten sofort entstehen müssen, wenn möglich schon morgen früh, mit aktuellen Forderungen auf der Basis der sieben Punkte auf dem Entwicklungsplan. Neue, spezifische Forderungen entstehen. Ich werde das nicht im Detail erklären. Zum Beispiel: die Sozialversicherungsfonds, bei denen der Schuldenschnitt jeweils einen 50-prozentigen Schnitt für die Banken und die Sozialversicherungsfonds bietet; sektorale kollektive Tarifabkommen, das in Kürze erscheinende Budget, das die Ausgaben noch weiter reduziert - ich weiß nicht, ob überhaupt noch etwas übrig bleibt für Bildung, Gesundheit, Sozialhilfe, Kinderheime, für die Älteren, für Personen mit speziellen Bedürfnissen, für die besonderen Probleme von Frauen und Jugendlichen; Arbeitslosigkeit, Arbeitskräftereserve, die so genannte Liberalisierung der Berufe.

Ich nenne hier ein paar Beispiele, ich präsentiere keine gemeinsame Plattform der Forderungen. Darüber hinaus entsteht die Kampffront aus dem Volk selbst, in der Nachbarschaft und in den Fabriken. Nichtsdestotrotz muss die Kampffront sich die Verhinderung der Maßnahmen, den Sturz der Regierung und Neuwahlen zum Ziel setzen.

Und nach den Wahlen muss das Volk natürlich danach streben, die Bedingungen für einen starken Gegenangriff zu schaffen.

Vergessen Sie nicht, dass es ja auch noch andere Probleme gibt: Die Ägäis, souveräne Rechte in den Ägäis, das Haager Tribunal, das im Namen der FYROM [Mazedonien - R.] entscheiden wird - es ist nicht das Problem des Namens, das uns besorgt, sondern die Probleme, die mit den Grenzen, der Verfassung usw. zu tun haben. Diese Entwicklungen finden heute statt, und das Volk kann nicht auf programmatische Aussagen der Regierung warten. Diese programmatischen Aussagen sind allen bekannt.

Die Entwicklung wird noch schlimmer als in früheren Tagen.

Als Konsequenz daraus müssen wir sofort kämpfen und alle Kampfformen anwenden - Streiks, Demonstrationen, Volkskomitees und soziale Bündnisse an der Basis.

Es darf keine Fabrik und keine Wohngegend geben ohne Aktions- und Kampfzentren.

All das muss in einer massiven Flut zusammenkommen, um die Macht der Monopole zu stürzen.

Es gibt heute keine andere Lösung."

Aleka Papariga, Generalsekretärin der KKE


Anmerkung

(2) Pressekonferenz der Generalsekretärin des ZK der KKE, Aleka Papariga, zu den jüngsten politischen Entwicklungen

Raute

DER DEUTSCHE IMPERIALISMUS

Stefan Marx: Geschichte der deutschen Bourgeoisie von den Bauernkriegen bis heute

2. Teil: Von der Reichsgründung 1871 bis heute

Mit Kapitel 5 geht die Arbeit weiter. Vorweg seien die letzten Absätze des 1. Teils, der im September-Oktober-Heft der offen-siv erschienen ist, in kursiver Schrift wieder aufgenommen (d. Red.):

1870/71 kam für die deutsche Bourgeoisie die historisch letzte Chance, durch einen revolutionären Akt den Anschluss an die Neuzeit zu finden. Noch war auch die deutsche Bourgeoisie tendenziell eine revolutionäre Klasse, noch bestand die Möglichkeit, gleich zu ziehen. Aber ihr Kampf um den einheitlichen deutschen Nationalstaat fand nicht als bürgerlich-demokratische Revolution statt, sondern als Annexionskrieg gegen Frankreich mit Blut und Eisen, unter der Führung Preußens und seiner vorherrschenden Junker.

Mit der Kriegserklärung Frankreichs an Preußen, die wegen Streitigkeiten um die Besetzung des spanischen Throns ausgesprochen wurde, begannen die Geburtswehen, an deren Ende die Gründung des deutschen Reiches stand. Frankreich wurde militärisch besiegt, und eines Teils seines Territoriums beraubt - just in dem Moment, als die Französische Republik wieder hergestellt war.

Gleichzeitig gingen Teile der französischen Gesellschaft einen historischen Schritt auf der Entwicklungsleiter der menschlichen Gesellschaften weiter. Zum ersten Mal errichtete das Proletariat in Gestalt der Pariser Kommune im März 1871 die Diktatur des Proletariats, zum ersten Mal wurde, wenn auch nur kurz und auf niedrigem Niveau, die Macht der Arbeiterklasse materielle Gewalt.

Über zwei Monate gelang es den Pariser Arbeitern, sich gegen die Übermacht der französischen Reaktion, die im Bunde mit den deutschen Militaristen und Eroberern stand, zu behaupten. In den Kämpfen und den folgenden Massenexekutionen wurden etwa 30.000 Kommunarden getötet und etwa 40.000 inhaftiert. Die meisten gefangenen Kommunarden wurden entweder sofort standrechtlich erschossen, von Schnellgerichten abgeurteilt oder nach Versailles deportiert. Deutsche Militärs standen Pate bzw. leisteten wie es im schönsten Beamtendeutsch heißt: Amtshilfe

Mit dieser blutigen und rückwärts gewandten Hypothek beladen, gründete die deutsche Bourgeoisie ihren Nationalstaat. Zusammengefasst lässt sich sagen: Nicht durch eine Volksrevolution wurde dieser Staat ins Leben gerufen, sondern durch das Bündnis der Bourgeoisie mit den Resten des reaktionären Adels auf Kosten Frankreichs. Die Reichsgründung durch Bismarck im Spiegelsaal des Versailler Schlosses ist Ausdruck dessen.

Nicht die Durchsetzung bürgerlicher Rechte stand an deren Ende, sondern lediglich ein Dreiklassenwahlrecht. Die Zersplitterung in die vielen Teilstaaten wurde nur bedingt aufgehoben, die Vorherrschaft Preußens, deren Könige nun die Deutsche Kaiserkrone inne hatten, bleibt gewährleistet. Die Staatsbürgerschaft wurde völkisch bestimmt und nicht durch das Territorialprinzip. Deutscher wurde, durch dessen Adern "deutsches Blut" floss und nicht der, der in den Grenzen des Deutschen Reiches lebte.(3)

Dieser Staat eröffnete für die Arbeiterklasse trotzdem bessere Kampfbedingungen. So konnten sich über das gesamte Reichsgebiet Gewerkschaften und Arbeitervereine bilden. Die Sozialdemokratische Partei als proletarisch-revolutionäre Massenpartei entstand.


Kapitel 5

Der Kapitalismus entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten stürmisch weiter. Es kam zu einer immer weiter fortschreitenden Konzentration und Zentralisation des Kapitals und der Produktion. Mit der Schwelle zum 20. Jahrhundert war der Kapitalismus weltweit in sein höchstes und letztes Stadium getreten. So auch in Deutschland. Aber nun wurde besonders deutlich: Die deutsche Bourgeoisie war nicht nur zu spät, sondern auch zu kurz gekommen. Der Erdball war unter den imperialistischen Hauptmächten aufgeteilt, es gab kaum noch "weiße Flecken" auf der Landkarte.

Gezwungen durch das Missverhältnis einer wachsenden ökonomischen, politischen und militärischen Stärke einerseits und der abgeschlossen Aufteilung der Welt durch die imperialistische Konkurrenz andererseits wurde es für das deutsche Unternehmertum notwendig, durch einen Krieg die Karten neu zu mischen und sich an die Spitze der imperialistischen Mächte zu setzen.

Aber dieser Kampf konnte noch nicht sofort aufgenommen werden. Zunächst wurde ein gigantisches Rüstungsprogramm aufgelegt, eine Kriegsflotte die insbesondere gegen Großbritannien gerichtet war, wurde aus dem Boden gestampft, natürlich auf Kosten (durch besonders verschärfte Ausbeutung) der Arbeiter und der anderen Werktätigen. Und die Köpfe der Menschen mussten aufgerüstet werden. Der historisch gewachsene Judenhass entwickelte sich zum Antisemitismus weiter. Diese besondere Ausdrucksform des Rassismus fiel in Deutschland auf besonders fruchtbaren Boden.

Der heutige Rassismus ist ein Reflex des Imperialismus, in dieser Form ist er gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden.

Die Welt war vollständig unter den imperialistischen Großmächten aufgeteilt. Die Völker in den Kolonien waren in das imperialistische System geprügelt, missioniert und niedergeschossen worden. Der Rassismus gegen Menschen nicht weißer Hautfarbe hat seine Ursache in diesem Kolonialismus, in der imperialistischen Arroganz gegenüber den unterdrückten Völkern. Dieser Rassismus ist im Großen und Ganzen nicht auf Vernichtung, sondern auf Unterwerfung und Versklavung von nach Meinung der Kolonialisten "minderwertigen" Völkern aus.

Der deutsche Imperialismus kam in dieser Entwicklung aber zu spät, hatte nicht die Zeit und die Rahmenbedingungen, in nennenswertem Umfang Kolonien zu erwerben. Daher die besondere Aggressivität.

Unter Ausnutzung des mittelalterlichen Judenhasses gelang es der deutschen Bourgeoisie, ein entsprechendes Feindbild aufzubauen. Unter Ermangelung einer sich in bürgerlichen Kämpfen herausbildenden demokratischen Nationalkultur passte der Antisemitismus besonders gut in diese Strukturen. Hier das Bild vom guten und reinen germanisch-völkischem Deutschtum, dort das Bild des raffenden Juden - als Sinnbild der ewigen Konkurrenz um "den Platz an der Sonne".

Der deutschen Bourgeoisie kam der besondere Umstand zur Hilfe, dass eine Zwischenklasse, das Kleinbürgertum, in Deutschland relativ weit entwickelt und zahlenmäßig sehr umfangreich war und ist. Der Kleinbürger ist zugleich Werktätiger als auch Eigentümer, sowohl Bourgeois als auch Volk. Sein Streben ist darauf gerichtet, sich emporzuarbeiten, das heißt, Bourgeois zu werden oder wenigstens seinen Status als Kleineigentümer beizubehalten.

Das Großkapital jedoch bedrückt und bedrängt den Kleinbürger ständig und macht den Kleineigentümer gegen dessen Willen zum Proletarier.

Das Großkapital vermag das Kleinbürgertum aber nicht vollends zu verdrängen, da es seiner Dienste in bestimmten, für die Monopole unrentablen Produktions- und Dienstleistungsbereichen bedarf und eine gewisse permanente Reproduktion des Kleinunternehmers fördert. Dieser Umstand zwingt den Kleinunternehmer, sein Schicksal in bestimmtem Maße an das der Monopole zu binden. Die Tendenz der Entwicklung, den Kleineigentümer systematisch aus den ihm traditionell gehörenden Tätigkeitsbereichen zu verdrängen, die Sphäre seines freien Unternehmertums einzuengen, seine Abhängigkeit vom Großkapital zu verstärken sowie des Kleinbürgertum zahlenmäßig zu verringern und seine Existenzbedingungen zu verschlechtern, bringt in dessen Milieu eine völlige Ungewissheit der eigenen Zukunft und eine daraus resultierende Existenzangst hervor. Sie verschärft im Bewusstsein des Kleinbürgers das Gefühl für die Notwendigkeit, die Widersprüche des eigenen Seins entweder in verzweifeltem Kampf um die Erhaltung der noch eingenommenen Positionen oder durch unverzügliche und radikale Umgestaltung der Gesellschaft zu beseitigen. Auf diese Weise glaubt der Kleinbürger die Proletarisierung von sich abwenden und die Erhaltung aller jener Güter, derer ihn das Großkapital zu berauben droht, sichern zu können. Im letzteren Fall wird er entweder zum Rechtsextremisten faschistischer Prägung oder zum linken Radikalisten. Das ist aber von verschiedenen Faktoren abhängig: von der politischen Situation und Lage des jeweiligen Landes, aber besonders von dessen politischen Traditionen und dem Verhältnis der Klassen und sozialen Schichten untereinander.

Der Kleinbürger, sagte Karl Marx, "... ist zusammengesetzt aus einerseits und andrerseits. So in seinen ökonomischen Interessen und daher in seiner Politik, seinen religiösen, wissenschaftlichen und künstlerischen Anschauungen. So in seiner Moral, so in everything [in allem]."(4)

Gerade das Kleinbürgertum und Teile der Bauern verstrickten sich in Deutschland in besonderer Weise tief im Antisemitismus, hier verfing die Ideologie der zurückgebliebenen Mittelmäßigkeit, setzte sich in den Köpfen fest, konnte eine Massenbasis herausbilden.

Die immer stärker werdende Arbeiterklasse verfiel im Großen und Ganzen dieser perfiden Ideologie nicht, da sie nicht mit ihrer materiellen Lebenswirklichkeit im Einklang stand. Die jüdischen Kollegen hatten unter den gleichen Bedingungen zu leben und zu schuften wie die nichtjüdischen. Für die Arbeiterklasse bedurfte es eine andere Strategie, die ebenfalls mit dem Imperialismus zu Ende des 19. Jahrhunderts entstand, dem Opportunismus.

Mit dem imperialistischen Stadium des Kapitalismus war die ökonomische Basis für den Opportunismus geschaffen. Die Profite stiegen durch die verschärfte Ausbeutung und die Ausplünderung ganzer Länder und deren Ressourcen. Es wurde möglich, einzelnen Vertretern und bestimmten Schichten der Arbeiterklasse von diesen Profiten abzugeben und sie so politisch auf die Seite der Bourgeoisie zu ziehen. Mit diesem Erkaufen gelang es dem deutschen Bürgertum, der nun neuen revolutionären Klasse, dem Proletariat, die Spitze zu nehmen und die Arbeiterklasse in den Rahmen der kapitalistischen Ordnung einzubinden.

Lenin beschreibt die Situation so: "...Es ist klar, dass man aus solchem gigantischen Extraprofit (denn diesen Profit streichen die Kapitalisten über den Profit hinaus ein, den sie aus den Arbeitern ihres "eigenen" Landes herauspressen) die Arbeiterführer und die Oberschicht der Arbeiteraristokratie bestechen kann. Sie wird denn auch von den Kapitalisten der "fortgeschrittenen" Länder bestochen - durch tausenderlei Methoden, direkte und indirekte, offene und versteckte. Diese Schicht der verbürgerten Arbeiter oder der "Arbeiteraristokratie", in ihrer Lebensweise, nach ihrem Einkommen, durch ihre ganze Weltanschauung vollkommen verspießert, ist die Hauptstütze der II. Internationale und in unseren Tagen die soziale (nicht militärische) Hauptstütze der Bourgeoisie. Denn sie sind wirkliche Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung, Arbeiterkommis der Kapitalistenklasse ..., wirkliche Schrittmacher des Reformismus und Chauvinismus. Im Bürgerkrieg zwischen Proletariat und Bourgeoisie stellen sie sich in nicht geringer Zahl unweigerlich auf die Seite der Bourgeoisie..."(5)

Grade in Deutschland war, begünstigt durch die allgemeine reaktionäre Entwicklung, dieser Klassenverrat durch die Sozialdemokratie besonders ausgeprägt. Die opportunistischen Partei- und Gewerkschaftsführungen verbanden sich auf Gedeih und Verderb mit dem deutschen Imperialismus. Sie hatten 1914 keine Skrupel, die Arbeiterklasse auf die Schlachtfelder des 1. Weltkrieges zu hetzen.

Unter dem Vorwand der Wahrung der Einheit der Arbeiterklasse, gelang es der opportunistischen SPD Führung, die notwendige Auseinandersetzung zur Klärung der unmittelbaren Aufgaben zu hintertreiben.

Schon Marx und Engels haben diese Tendenz in der deutschen Sozialdemokratie mit großer Sorge wahrgenommen und auf die Notwendigkeit des Zurückdrängens des Opportunismus hingewiesen. Die Einheit wurde aber auf Kosten der Klarheit hergestellt.

Es gelang den Opportunisten in der SPD über den Kölner Gewerkschaftskongress im Jahre 1905, die Forderung nach dem politischen Massenstreik zur Abwendung der Kriegsgefahr und als Kampfmittel zur weiteren Durchsetzung von Reformen zur Besserung der sozialen Lage der Arbeiterklasse zurückzuweisen. Stattdessen orientierten diese Kräfte allein auf den für die deutsche Bourgeoisie ungefährlichen und genehmen parlamentarischen "Kampf".

Diese planmäßige und bewusst betriebene Entwaffnung der Arbeiterklasse fand just zu dem Zeitpunkt statt, an dem sich das deutsche Bürgertum anschickte, die Welt durch einen Eroberungskrieg nach ihren Profitbedürfnissen neu zu gestalten.

Es ging für die deutsche Bourgeoisie um Einflusssphären und Rohstoffquellen und Absatzmärkte in einem Europa unter deutscher Vorherrschaft - in Frontstellung zu den aufstrebenden USA und Japan. 1914 war es dann soweit. Die militärische Aufrüstung war weit fortgeschritten, die revolutionäre Arbeiterpartei im opportunistischen Sumpf festgefahren. Das Attentat von Sarajewo war der willkommene Auslöser für das große Menschenschlachten.

Es gab aber auch die Kräfte in der Arbeiterbewegung, die daran fest hielten, dass der drohende imperialistische Krieg, wenn er nicht verhindert werden kann, in einen Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie umgewandelt werden muss. Das waren vor allem die im Spartakusbund mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg organisierten Genossen.

1915 schrieb Karl Liebknecht ein Flugblatt. Dieses Flugblatt wurde zur Ehrenrettung der deutschen Revolutionäre und es gab zugleich die Richtung vor, um das barbarische Morden zu beenden, und um das Tor zum Sozialismus aufzustoßen.

Es trug die Überschrift: "Der Hauptfeind steht im eigenen Land!"

Hören wir einige Abschnitte:(6)

"Der Hauptfeind jedes Volkes steht in seinem eigenen Land!

Der Hauptfeind des deutschen Volkes steht in Deutschland: der deutsche Imperialismus, die deutsche Kriegspartei, die deutsche Geheimdiplomatie. Diesen Feind im eigenen Lande gilt's für das deutsche Volk zu bekämpfen, zu bekämpfen im politischen Kampf, zusammenwirkend mit dem Proletariat der anderen Länder, dessen Kampf gegen seine heimischen Imperialisten geht.

Wir wissen uns eins mit dem deutschen Volk - nichts gemein haben wir mit den deutschen Tirpitzen und Falkenhayns, mit der deutschen Regierung der politischen Unterdrückung, der sozialen Knechtung. Nichts für diese, alles für das deutsche Volk. Alles für das internationale Proletariat, um des deutschen Proletariats, um der getretenen Menschheit willen!

Die Feinde der Arbeiterklasse rechnen auf die Vergesslichkeit der Massen - sorgt, daß sie sich gründlich verrechnen! Sie spekulieren auf die Langmut der Massen - wir aber erheben den stürmischen Ruf:

Wie lange noch sollen die Glücksspieler des Imperialismus die Geduld des Volkes missbrauchen? Genug und übergenug der Metzelei! Nieder mit den Kriegshetzern diesseits und jenseits der Grenze!

Ein Ende dem Völkermord!"

Es kam zu Streiks und Demonstrationen. Aber nichts reichte aus, um die Kriegstreiber zu stürzen und aus dem Krieg auszuscheiden.

Erst 1918/19 mit der Novemberrevolution gelang es, den Kaiser und die Reste des Feudalismus wegzufegen und den Krieg zu beenden. Um zum Sozialismus voranzukommen fehlte aber die klare Organisation des ihn in der Mehrheit wollenden Proletariats. Es gab nach dem Verrat der SPD keine starke revolutionäre Partei mehr in Deutschland.

Es bleibt der Verdienst der SPD, die Novemberrevolution mit Hilfe der Reste der kaiserlichen Armee niedergeschlagen zu haben, den revolutionären Elan der Massen auf bürgerlich-demokratische Wege zu lenken, um mit Hilfe des Parlamentarismus die weitere Herrschaft der Bourgeoisie zu sichern.

Der 1. Weltkrieg endete mit der Niederlage Deutschlands. Der deutsche Imperialismus musste sich dem Versailler Vertrag unterwerfen, der bedeutete: Verlust der Kolonien und sonstige massive Gebietsverluste (13 Prozent seines Territoriums, 10 Prozent seiner Bevölkerung), starke militärische Einschränkungen, starke wirtschaftliche Einschränkungen, internationale Kontrolle des Ruhrgebiets. Aber die deutsche Bourgeoisie behielt die Herrschaft über die Gesellschaft, gleichzeitig wurde sie nun endgültig zu einer reaktionären Klasse, die wiederum abgelöst werden muss. Ansätze dazu gab es zwischen 1918 bis 1923 einige.

Allerdings waren weder die Novemberevolution, die Errichtung von Arbeiter- und Soldatenräten, die Münchner Räterepublik, die Rote Ruhrarmee, die proletarischen Hundertschaften und Kontrollausschüsse, die revolutionäre Betriebsräte, die Arbeiterregierungen, noch der Hamburger Aufstand siegreich.

Trotz der relativen Schwäche der deutschen Bourgeoisie im Ergebnis des 1. Weltkrieges blieb es dank tatkräftiger Unterstützung durch die Sozialdemokratie bei der Herrschaft der Bourgeoisie. Gustav Noske steht stellvertretend für die Arbeitermörder, die Eberts und Scheidemänner. Seine berühmt-berüchtigte Aussage, dass einer der Bluthund sein müsse,(7) bleibt als dauernde Mahnung bestehen, den Opportunismus in all seinen Varianten zurück zu werfen. Denn Opportunismus endet in letzter Konsequenz immer in der Konterrevolution.


Kapitel 6

Der 1. Weltkrieg hatte aber auch die erste Grundlage der faschistischen Massenbasis hervorgebracht, die Freicorps, eine entfesselte Soldateska, die mit der Niederschlagung der Arbeiteraufstände erste Erfahrungen sammeln konnten, die sie später in der SA und den Lagern weiter anwenden würde.

1924 stabilisierte sich auch in Deutschland die Herrschaft des Bürgertums. Mit Hilfe der Sozialdemokratie und einigen reformistisch-kosmetischen Maßnahmen gelang es, die Arbeiterklasse zu einer relativen Ruhe zu bringen. Der Deutsche Imperialismus konnte sich konsolidieren, allerdings blieb das Grundproblem der fehlenden Absatzmärkte und des Zugriffs auf Rohstoffe für die sich immer weiter differenzierende Industrie ungelöst. Es hatte sich durch die Bedingungen des Versailler Vertrags und durch das massenhafte Einströmen von ausländischem, vor allem US-amerikanischem Kapital, das zu einer sprunghaften Produktivitätssteigerung führte, sogar verschärft.

Die Phase der Stabilisierung hielt weder weltweit noch in Deutschland lange vor. Schon 1928/29 führte die Weltwirtschaftskrise zur Möglichkeit und zur Notwendigkeit, durch weitere Aufrüstung und kriegerische Mittel die Ergebnisse des 1. Weltkrieges im Sinne des deutschen Imperialismus, zu revidieren.

Doch der Krieg von 1914 konnte nicht einfach wiederholt werden. Es herrschte zwar in der deutschen Bourgeoisie Einigkeit darüber, dass die Kriegsziele, für die man den 1. Weltkrieg vom Zaun gebrochen hatte, weiter aktuell seien, aber darüber, wie lange die offene Kriegserklärung gegen die imperialistischen Konkurrenten hinauszuzögern sei und in welchen Schritten das Expansionsprogramm zu verwirklichen sei, gab es durchaus und bedingt durch unterschiedliche Interessenlagen gegensätzliche und widersprüchliche Haltungen. Kurt Gossweiler hat in seinem Buch. "Der Putsch, der keiner war"(8), eine gründliche Analyse der Klassenzusammensetzung und die damit verbundene unterschiedliche Interessenlage der deutschen Monopolbourgeoisie zu Beginn der faschistischen Terrorherrschaft herausgearbeitet.

Wesentlich für das weitere Vorgehen der deutschen Unternehmer war auch das veränderte internationale Kräfteverhältnis. Die Oktoberrevolution, die die deutsche Bourgeoisie zutiefst erschreckende revolutionäre Nachkriegskrise im eigenen Land und die zunehmenden Bestrebungen der unterdrückten Völker nach Unabhängigkeit erforderten neue Mittel und Methoden.

Die Antwort der Herrschenden auf die veränderten Bedingungen war die aus der Niederlage des 1. Weltkrieges hervorkriechende faschistische Bewegung. Diese vereinnahmte in ihrer Ideologie und in ihren Programmen alles, was an reaktionären Ideologien, an aggressiven Zielen bereits vorher vorhanden war, verband sie mit der Kampfansage gegen die Arbeiterklasse und organisierte alles zusammen zu einer Bewegung.

1933 übergab die deutsche Monopolbourgeoisie die politische Herrschaft an die Hitlerfaschisten. Dies war aber kein Ausdruck von Stärke, sondern Ausdruck einer weiteren Krise und Zuspitzung der innerkapitalistischen Widersprüche. Das deutsche Bürgertum konnte seine Macht nur noch mit offen terroristischen Methoden aufrecht erhalten.

Denn anders als 1914, verfügte die deutsche Arbeiterklasse nun über eine revolutionäre Massenpartei, die mit ihrer Politik immer breitere Kreise der Arbeiter- und Bauernschaft und der kleinbürgerlichen Schichten ansprach. Mit dem "Programm zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes"(9) wies die KPD einen internationalistischen Ausweg aus der Weltwirtschaftskrise, der nicht nur im Einklang mit den Interessen der Arbeiterklasse stand, sondern mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes übereinstimmte.

Ein Testlauf der faschistischen Bewegung an der Macht war bereits in Italien gestartet worden. Die barbarische Diktatur gegen die Arbeiterklasse konnte offenbar funktionieren. Die deutsche Version allerdings stellte die italienische bei weitem in den Schatten.

"Die reaktionärste Spielart des Faschismus ist der Faschismus deutschen Schlages. Er hat die Dreistigkeit, sich Nationalsozialismus zu nennen, obwohl er nichts mit Sozialismus gemein hat. Der Hitlerfaschismus ist nicht bloß bürgerlicher Nationalismus, er ist ein tierischer Chauvinismus. Das ist ein Regierungssystem des politischen Banditentums, ein System der Provokationen und Folterungen gegenüber der Arbeiterklasse und den revolutionären Elementen der Bauernschaft, des Kleinbürgertums und der Intelligenz.

Das ist mittelalterliche Barbarei und Grausamkeit, zügellose Aggressivität gegenüber anderen Völkern und Ländern. Der deutsche Faschismus spielt die Rolle des Stoßtrupps der internationalen Konterrevolution, des Hauptanstifters des imperialistischen Krieges, des Initiators eines Kreuzzuges gegen die Sowjetunion, das große Vaterland der Werktätigen der ganzen Welt."

So Georgi Dimitroff in seiner Rede vor dem 7. Weltkongress der KI 1935.

Hinzu kam der praktisch mörderische Antisemitismus. Mit dem propagierten Kampf gegen das "Weltjudentum" wurde die abscheulichste Abart des Faschismus oberstes Gebot staatlichen Handelns in Deutschland. Was war mit dem "Weltjudentum" gemeint? Zum einen natürlich die Arbeiterklasse an der Macht in der Sowjetunion, die gebrochen werden sollte, deren Gebiete und Reichtümer einverleibt werden sollte, der "Lebensraum im Osten" der "befreit" werden musste vom "jüdischen Bolschewismus" - und zum anderen, das "Finanzjudentum", also die imperialistischen Hauptkonkurrenten, England, USA und Frankreich, die ein für allemal so vernichtend geschlagen werden sollten, dass sie dem Expansionsstreben der deutschen Monopole nicht mehr im Wege stehen konnten.

So war der deutsche Antisemitismus mehr als nur eine reaktionäre Ideologie, er fungierte als Kriegswaffe. Jede Maßnahme, die sich gegen die jüdische Bevölkerung richtete, hatte eine doppelte Funktion. Sie diente der Kriegsvorbereitung im Inneren des Landes und trugen gleichzeitig auch immer schon den Keim des Vernichtungskrieges gegen den äußeren Feind in sich. Welche Verbrechen gegen jüdische Menschen wann, wo und in welcher schließlich an Grausamkeit nicht mehr zu überbietenden Form durchgeführt wurden, hing dabei vom konkreten Kriegsverlauf und damit immer auch von den jeweiligen politischen Kräfteverhältnissen ab, auf die auch der faschistische deutsche Staat Rücksicht nehmen musste.

Und sie hatten gelernt. Gab es im Verlauf des 1. Weltkrieges in Deutschland immer wieder Hungerdemonstrationen und war die Unterversorgung der kompletten Bevölkerung einer der Gründe für die Novemberrevolution, die die Macht der deutschen Bourgeoisie fast beseitigt hatte, wollte man diesmal die Volksgemeinschaft bei Laune halten. Dazu war es notwendig die eroberten Länder und ihre Ressourcen restlos auszuplündern und gleichzeitig die Anzahl der "Esser" massenhaft zu reduzieren. Das millionenfache Morden in den faschistischen Konzentrationslagern war die Basis dafür, dass es während des 2. Weltkrieges in Deutschland keinen Hunger, keine Hungertoten gab. Von den 18 Millionen eingekerkerten in den Lagern wurden 11 Millionen ermordet, 6 Millionen davon jüdische Menschen. Der mörderische Antisemitismus war für das deutsche Bürgertum einer ganz praktisch ökonomischen Notwendigkeit auf dem Weg zur Weltherrschaft.

Die imperialistischen Konkurrenten nahmen vor dem Krieg diese umfassende Kampfansage des deutschen Imperialismus nicht ernst. Sie glaubten, ihn durch Zugeständnisse von sich fernhalten und seine Aggressivität allein gegen die Sowjetunion ablenken zu können. So ist das schändliche Münchner Abkommen zu verstehen, so ist zu verstehen, dass sie dem Einmarsch der Hitlerfaschisten nach Wien und Prag tatenlos zusahen.

Ihre Hoffnungen blieben vergeblich. Sie hatten den deutschen Imperialismus unterschätzt. Wegen der geschickten Politik der Sowjetunion, gegen die die so genannten Westmächte die Aggressivität des Hitlerfaschismus ja bekanntlich lenken wollten, richtete sich der Angriff als erstes gegen sie selbst. Jetzt sahen sie sich gezwungen, an der Seite der Sowjetunion den deutschen Imperialismus zu bekämpfen. Was für eine paradoxe Situation hat der deutsche Imperialismus da durch seine besondere Aggressivität hervorgebracht, dass sogar imperialistische Mächte, die die ganze Welt unter sich aufgeteilt hielten und alles andere als Friedensengel waren, von der Sowjetunion in einen gerechten Befreiungskrieg gezwungen werden konnten.


Kapitel 7

Dann 1945 endlich die Befreiung Deutschlands durch die Rote Armee. Die Armeen der USA und Großbritanniens retten der Bourgeoisie den westlichen Teil Deutschlands. Trotzdem ist die deutsche Bourgeoisie in ihrer bislang tiefsten Krise. Ihr faschistischer Staat und die damit gekoppelten Herrschaftsstrukturen sind zerschlagen. Außerdem wurde im Potsdamer Abkommen die Vernichtung des deutschen Faschismus, Militarismus und der deutschen Monopole angeordnet, und dieses Abkommen wurde von der Sowjetunion und den drei imperialistischen Mächten USA, Großbritannien und Frankreich unterschrieben.

Deutschland wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt, die Besatzungsmächte übernahmen die Kontrolle und die Verantwortung für das öffentliche Leben in Deutschland. Die Besatzungsmächte hatten selbstverständlich keine identischen Interessen, in Deutschland standen sich die Führungsmächte des Imperialismus und der bis dahin einzige, aber zur Weltmacht gewordenen sozialistische Staat gegenüber. Aber mit dem Wegfall des gemeinsamen Feindes zerbrach das Bündnis der Antihitlerkoalition.

Der Systemwiderspruch zwischen der sozialistischen Sowjetunion und den kapitalistischen Siegermächten trat offen zu Tage, und auch die Widersprüche zwischen den imperialistischen Hauptmächten kamen wieder voll zur Geltung. Vor allem Großbritannien verlor viel von seinem Einfluss an die USA.

Die deutsche Bourgeoisie wusste, dass sie mit einem übergeordneten Alliierten Kontrollrat und verschiedenen Besatzungszonen, wovon eine ihnen völlig verschlossen war, wenig Chancen für einen erneuten Aufstieg hatte. Unter Ausnutzung der Widersprüche unter den Siegermächten, die schon 1944 offensichtlich wurden, einigte sie sich mit den westlichen Besatzungsmächten auf einen westdeutschen Separatstaat, denn die Westmächte hofften ihrerseits, ein von ihnen abhängiges Bollwerk gegen die Sowjetunion errichten zu können, das sie ansonsten aber unter ihrer Kontrolle halten können.

Die BRD und mit ihr das Grundgesetz wurde aus der Taufe gehoben. Und dieses Grundgesetz atmet den Geist der Reichsgründung von 1871.Wieder wurden die Deutschen nicht befragt, sondern die Westmächte USA Großbritannien und Frankreich legten den von ihnen bestimmten "Vätern und Müttern des Grundgesetztes" ein von ihnen ausgearbeitetes und genehmigtes Dokument vor, dass dann als Grundgesetz in Kraft trat. Nichts deutet mehr auf die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens hin, außer einem zähneknirschenden fußnotenartigen Hinweis auf das Kontrollratsgesetz. Das Grundgesetz nahm ausdrücklich für sich in Anspruch, für alle Deutschen zu sprechen und hatte dadurch von Anfang an einen chauvinistischen, annexionistischen Charakter. Es enthält wichtige Arbeiterrechte, wie z.B. das Streikrecht nicht, es enthält kaum mehr antifaschistische Bestimmungen. Die zersplitterte reaktionäre föderalistische Struktur wird aufrecht erhalten. Wieder wird die Staatsbürgerschaft der BRD nach Blutsbanden, nach dem völkischen und nicht dem Territorialprinzip definiert.

Kurze Zeit nach Gründung der BRD wurde die DDR gegründet. Diese Deutsche Demokratische Republik, war eigentlich als Umsetzung des Potsdamer Abkommens für ganz Deutschland gedacht.

Für den deutschen Imperialismus war damit die Marschrichtung der nächsten Jahre klar. An eine Vorherrschaft in Europa als Voraussetzung für einen Aufstieg zu einer dominierenden Weltmacht war überhaupt nicht zu denken, solange die DDR existierte. Die DDR musste weg, mit welchen Mitteln auch immer. Sie wurde von der BRD darum auch niemals völkerrechtlich anerkannt.

Der noch immer vorhandene Antisemitismus nützte in dieser Situation dem deutschen Bürgertum auch nichts mehr. Um die DDR wegzufegen brauchte es die Unterstützung der Westalliierten, der Antisemitismus war doch zu offensichtlich gegen die imperialistischen Konkurrenten gerichtet, als dass er ihm noch hätte nützlich sein können. So wurde man also über Nacht philosemitisch und per se judenfreundlich. Noch einfacher und glaubwürdiger wurde es nach der Gründung des Staates Israel, der zur imperialistischen Macht im Nahen Osten aufstieg und ein willkommener Bündnispartner für den deutschen Imperialismus wurde, so dass dessen ewiges Existenzrecht auf Kosten der arabischen Stammbevölkerung und seiner Nachbarn zur selbstverständlichen deutschen Staatsraison wurde.(10)

Was das deutsche Unternehmertum brauchte um das erste Ziel, die Vernichtung der DDR, zu erreichen, war wütender und militanter Antikommunismus. Die BRD wurde das einzige imperialistische Land, in dem die Kommunistische Partei verboten war. Bis heute besteht das KPD Verbot. Es ging um Antikommunismus bis in den letzten Winkel der Republik. Liest man die Reden der damals agierenden politischen Funktionsträger wie Adenauer oder Schuhmacher, so fällt auf, dass sie im Ton und Wortwahl kaum von der goebbels'schen Hetze abweichen.(11) Lediglich den "ewigen Juden", ließ man in der Schublade.

Was ebenfalls gebraucht wurde, war absolute Ruhe an der Heimatfront. Das Streikrecht wurde durch Tarifvertragsgesetz und Richtersprüche eingeschränkt und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Der propagierte Weg des "Sozialstaates" und die Erfindung der so genannte "soziale Marktwirtschaft" diente in der Bundesrepublik vor allem dem Ziel der Zerstörung der DDR, dem Ziel, ihr massenhaft Arbeitskräfte zu entziehen und die BRD als klassenkampffreies Paradies darzustellen. Dafür war die Bourgeoisie bereit zu zahlen. Und sie konnten zahlen. Die im Krieg zerstörte Infrastruktur wurde durch modernste Industrieanlagen ersetzt, weit moderner und produktiver als die der imperialistischen Kriegsgegner. Bald erreichte und überholte der westdeutsche Separatstaat die Wirtschaftsleistung Vorkriegsdeutschlands. Für die Arbeiterklasse der BRD brachte das durchaus auch etliche materielle Vorteile, Vorteile aber auf Kosten der Arbeiterklasse anderer Länder - und zum Preis der nahezu völligen ideologischen Selbstaufgabe und Selbstentwaffnung, die bis heute besteht, auch wenn seit dem Ende der DDR die Errungenschaften der Arbeiterklasse eine nach der anderen zerschlagen werden.

Gegen die DDR wurde täglich und stündlich gekämpft. Zwei dieser Höhepunkte verdienen in unserem Zusammenhang eine genauere Betrachtung.

Zum einen der so genannte, und maßgeblich von der SPD und ihrem Ostbüro mit US-Unterstützung organisierte "Arbeiteraufstand" vom 17. Juni 1953, und zum anderen die Aktionen der deutschen Bourgeoisie mit Organisationen wie der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit", die dann zur Sicherung der Staatsgrenze der DDR am 13. August 1961 führte.

Die SPD war bis 1961 politisch in der DDR tätig. In ganz Berlin konnte sie relativ frei schalten und walten und organisieren. Das kam daher, dass sich in Berlin zwar der größere Teil der Sozialdemokraten mit der KPD zur SED vereinigte, diese dann auch in Westberlin organisiert waren, aber auch die rechten Teile der SPD nach wie vor in ganz Berlin tätig sein konnten. Die SPD über die wir hier sprechen, war das reaktionäre und antikommunistische Überbleibsel, das sich im Fahrwasser eines Kurt Schumachers und Willy Brandts nicht mit der KPD vereinigen wollte. Ihre Tätigkeit wurde in der BRD koordiniert und über das so genannte Ostbüro organisiert. Sie hatte noch gewissen Einfluss in den Betrieben und konnte - auf Grundlage wirklich bestehender Versorgungsprobleme in der DDR - Streiks und Demonstrationen organisieren, die auch Einfluss auf den Gang der Dinge außerhalb Berlins hatten.

Der RIAS(12) gab die Anweisungen der sozialdemokratischen Führung bekannt. So resümiert der ehemalige Mitarbeiter des RIAS und SPD Führungskader, Egon Bahr:(13) "Gerade weil es keine Organisation gegeben hatte, war unbestreitbar: Der RIAS war, ohne es zu wollen, zum Katalysator des Aufstandes geworden. Ohne den RIAS hätte es den Aufstand so nicht gegeben."

Am 17. Juni rief dann der Westberliner DGB-Vorsitzende Ernst Scharnowski über den RIAS dazu auf, sich überall in der DDR zu versammeln und gegen die SED Diktatur zu demonstrieren. Gleichzeitig mischten sich reaktionäre und faschistische Elemente aus Westberlin mittels Propaganda, Brandstiftung und Plünderung in die Geschehnisse ein. Ziel der ganzen Aktion war, die Verhältnisse in der DDR so zu destabilisieren, dass eine Eingliederung der DDR in die BRD möglich wurde.

Die Sowjetunion, jetzt unter Chruschtschows Führung, verhielt sich zunächst für die DDR kontraproduktiv, indem sie die Rücknahme der Normerhöhungen kommentarlos durchsetzte und die Zielsetzung der SED, die Grundlagen des Sozialismus aufbauen zu wollen, kritisierte und deren Rücknahme forderte. Statt zur Stabilisierung der Lage trug das zu weiterer Verwirrung bei, die SED war paralysiert und so ließ die Sowjetunion, selbstverständlich in formaler Abstimmung mit der Regierung der DDR, ihre Panzer auffahren und für Ordnung sorgen.

Ein "Arbeiteraufstand" oder gar Volksaufstand war das Ganze nicht. Höchstens 10 Prozent(14) der Arbeiter der DDR ließen sich zu diesen Aktionen anstiften. Trotzdem war es eine Niederlage für die SED und die DDR, dass dieser konterrevolutionäre Angriff von sowjetischen Panzern und nicht von der deutschen Arbeiterklasse selbst beendet wurde.

Kommen wir zum 13. August 1961 und seiner Vorgeschichte. Besonders augenfällig bei dieser Betrachtung ist, dass die deutsche Monopolbourgeoisie, anders als bei den Juniereignissen von 1953, diesmal auf die Unterstützung der anderen imperialistischen Staaten verzichten musste, ja die Zuspitzung der Lage sogar gegen sie durchgesetzt werden mussten.

Anfang der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts befand sich der Imperialismus international in einer schwierigen Phase. In Südostasien sprachen schon fast 10 Jahre die Waffen und insbesondere die USA aber auch Frankreich verloren in dieser Region der Erde, immer mehr an Einfluss, während der antiimperialistisch-sozialistische Block deutlich gestärkt wurde. Diese Schwäche der imperialistischen Konkurrenten nahmen die deutschen Imperialisten sehr wohl wahr, so verstärkten sie die antikommunistischen Aktivitäten gegen die DDR deutlich. Dabei spielte Westberlin, mitten im Staatsgebiet der DDR gelegen, eine entscheidende Rolle.

Die sowjetische Staats- und Parteiführung unter Chruschtschow veröffentlichte zwar eine grundsätzlich richtige Erklärung,(15) verhalf durch ihre praktische Politik der deutschen Bourgeoisie aber zu Oberwasser: Sie schlug vor, aus Westberlin eine so genannte "Freie Stadt" zu machen. Durch diese Haltung, die, um aus Westberlin eine weder zur DDR noch zur BRD gehörige "selbständige politische Einheit" zu machen, den Abzug der Westalliierten aus Westberlin vorsah, erhielt die geschlagene, aber nicht besiegte deutsche Kapitalistenklasse einen größeren Spielraum.

Natürlich konnte sie durch die Anwesenheit der Westalliierten bisher nicht so schalten und walten, wie sie wollte.

Aber durch die von der Sowjetunion offiziell vorgeschlagenen Aufgabe des durch das Völkerrecht gedeckten Anspruchs, Westberlin in das Staatsgebiet der DDR zu integrieren, gab die sowjetische Führung einen ganz wesentlichen Anspruch auf.

"Ende der fünfziger Jahre waren von dort (Westberlin) aus bereits über 90 Geheimdienste und ihre Ablegerfirmen tätig. Brandstiftungen, Schiebereien, illegaler Abzug lebenswichtiger Waren und Materialien... aus den umliegenden (DDR) Bezirken sowie Währungsspekulationen führten für die Wirtschaft der DDR zu Verlusten in Milliardenhöhe. Nach westlichen Schätzungen wurden im Rahmen des systematisch organisierten offenen und verdeckten Wirtschaftskrieges der DDR bis 1961 Schäden in Höhe von 100 bis 200 Milliarden DM zugefügt. Westberlin war eine Zentrale dieser Machenschaften.

So genannte Grenzgänger arbeiteten als billige Arbeitskräfte in Westberliner Konzernbetrieben und anderen Einrichtungen. Sie genossen als Bürger der DDR und ihrer Hauptstadt alle sozialen Vergünstigungen des Sozialismus ohne für diesen Fonds der Gesellschaft beizutragen. Der Schwindelkurs (1:8) verschaffte ihnen beim Umtausch ihrer Arbeitseinkommen aus Westberliner Betrieben erhebliche persönliche Vorteile. Mitte der fünfziger Jahre verdingten sich immerhin etwa 40.000 meist gut qualifizierter Arbeitskräfte aus der DDR in Westberlin.

Die "Fronstadt" profilierte sich außerdem als Zentrum der ideologischen Diversion. Rundfunksender und bald auch das Fernsehen nutzen die günstigen Ausstrahlungsmöglichkeiten auf das Territorium der DDR. In harmlose Rundfunkansagen verpackt, lieferten die auch Anweisungen für Agenten. Durch gezielte Falschmeldungen animierte man DDR-Bürger zu Hamsterkäufen. Schließlich war Westberlin auch eine Zentrale der stabsmäßig organisierten Abwerbung von Fachkräften. Die offenen Grenzen konnten kaum kontrolliert werden. Wer den Versprechungen und Angeboten auf den Leim gegangen war, wurde von Westberlin aus weitergeschleust"(16)

Erst mit den Maßnahmen der Grenzsicherung am 13. August 1961 konnte die DDR in Abstimmung mit den Staaten des Warschauer Vertrages diesem Treiben einen Riegel vorschieben, konnte dem aggressiven Wüten des deutschen Imperialisten Einhalt geboten werden.

Bis zum Ende der DDR war für die imperialistische Propaganda der Mauerbau von 1961 wesentlicher Bestandteil der gegen die DDR gerichteten Propaganda.

Werfen wir noch einen abschließenden Blick auf die Reaktionen der anderen Imperialistischen Mächte.

Die "Welt" schrieb am 15. August 1961: "Es mag schockierend sein es auszusprechen, aber in dem Kommunique, mit dem Washington auf die Abriegelung Ost-Berlins reagiert hat, is ein Ton der Erleichterung unüberhörbar." Die Pariser Zeitung "Liberation" schrieb am 14. August: "Die von der DDR auf Verlangen der sozialistischen Länder getroffenen Maßnahmen sind Vorsichts- und Verteidigungsmaßnahmen, die in keiner Weise die Interessen der Westmächte und der Bundesrepublik benachteiligen. Ist es nicht ganz normal, dass sich die DDR vor jeder Provokation - man weiß, dass die Bonner und Westberliner Politiker Meister auf diesem Gebiet sind - schützt? Jede Maßnahme, die verhindern kann, dass das Pulverfass in Brand gesteckt werden kann, ist nicht einzig und allein deshalb schlecht, weil sie vom Osten kommt."

Letztlich waren die USA und Frankreich froh, dass der deutsche Imperialismus in Westberlin gestoppt werden konnte und sie nicht in eine Auseinandersetzung gezogen wurden, die ihnen zu diesem Zeitpunkt sehr ungelegen gekommen wäre. Die "Schönwetterreden" der Vertreter der anderen Imperialisten bei Westberlinbesuchen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit den Sicherungsmaßnahmen der Frieden gesichert wurde und sich die DDR auf Kosten des deutschen Imperialismus in der Folgezeit deutlich stabilisieren konnte.


Kapitel 8

In der Zeit von 1961 bis zum Ende der DDR 1989 versuchten die deutschen Monopolkapitalisten dann, die Arbeiter- und Bauernmacht durch den so genannten "Wandel durch Annäherung zu zerstören. Besonders die Verträge von Helsinki und der Moskauer Vertrag von 1970 zwischen der BRD und der Sowjetunion, stehen für diese Periode des Klassenkampfes.

In den siebziger Jahren entwickelten sich neue Perspektiven für den deutschen Imperialismus. Die Nachkriegsperiode war für die Monopolherren abgeschlossen, die wirtschaftliche Kraft der BRD war um ein vielfaches größer als die des Deutschen Reiches vor Beginn des zweiten Weltkrieges. Damit stellte sich die alte Frage nach einer Umgruppierung der imperialistischen Hauptmächte zugunsten des inzwischen zum dritten Mal wiedererstarkten deutschen Imperialismus.

In seinem Buch "Entwurf für Europa" legte Franz Josef Strauß die Marschrichtung vor. Er empfiehlt den deutschen Konzernherren das Bündnis mit dem französischen Imperialismus zu suchen, um gemeinsam mit Frankreich und gegen Großbritannien und dessen Widerstand eine europäische Großmacht, gerichtet gegen die USA, aufzubauen. Und von Strauß stammt auch der Schlachtruf: "Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen erbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören".(17)

Durch die oben genannten Verträge von Moskau und Helsinki, gewann der Imperialismus weltweit an Oberwasser. Die Frage der Menschenrechte wurde fortan nicht mehr nach dem Klassenstandpunkt beantwortet, stattdessen öffneten die sozialistischen Staaten der bourgeoisen Sichtweise und Interpretation Tür und Tor.

Die unter Kanzler Willy Brandt geschlossenen Ostverträge mit Volkspolen und der UdSSR waren ein offener Affront gegen die Souveränität der DDR: In diesen Verträgen gewährt die BRD, die zu diesem Zeitpunkt keine gemeinsame Grenze mit Polen hatte, die bestehende polnische Westgrenze. Als gäbe es keine DDR mit einer solchen Grenze zu Polen, als läge die DDR nicht zwischen den beiden Staaten, als gäbe es keine Grenzvereinbarung zwischen der DDR und Polen! Aber kein Widerspruch war aus den Ländern des Sozialismus zu vernehmen. Diese Entwicklung gipfelte dann in den achtziger Jahren darin, dass durch Gorbatschow dem (deutschen) Imperialismus prinzipiell "Friedensfähigkeit" attestiert wurde.

Die kommunistischen- und Arbeiterparteien waren in dieser so gefährlichen geschichtlichen Situation ideologisch schon so tief vom Revisionismus zersetzt, dass sie nicht in der Lage waren, die politische Offensive aufrechterhalten zu können, bzw. wiederzuerlangen.

Durch die berechtigte Angst der Menschen vor dem Atomtod entstand in den Achtzig Jahren auch in der BRD eine große Friedensbewegung. Die Sowjetunion wurde in der Amtszeit Reagans ganz massiv bedroht, aber anders als in früheren Bedrohungssituationen war diese Friedensbewegung keine Bewegung der internationalen antiimperialistischen Solidarität, keine Bewegung zur Verteidigung der sozialistischen Sowjetunion und erst recht keine Bewegung zum Sturz der eigenen kapitalistischen Verhältnisse, sondern war Ausdruck der Angst, zum Schlachtfeld einer atomaren Auseinandersetzung zu werden. Der bürgerliche Pazifismus feierte fröhliche Urstände.

Die ideologische Verwässerung der Partei und die inneren Widersprüche der DDR, gepaart mit dem Verrat und Verkauf durch Gorbatschow, machten schließlich der Arbeiter- und Bauernmacht, dem Sozialismus auf deutschem Boden, den Garaus.


Kapitel 9

Die deutsche Monopolbourgeoisie hatte einen wichtigen historischen Sieg errungen, die deutsche Arbeiterklasse ihre schwerste Niederlage überhaupt hinnehmen müssen.

Das neue, "wiedervereinigte" Deutschland machte sich dann auch gleich in alter Tradition wieder daran, bei der Neuaufteilung der Welt mitzumischen.

Die BRD war das einzige europäische Land, das nach dem zweiten Weltkrieg sein Staatsgebiet vergrößern konnte und das durch die Strukturen, die die DDR mit den anderen sozialistischen Staaten hatte, sogar Einfluss- und Absatzmöglichkeiten weit hinein in die osteuropäischen Länder gewinnen konnte.

Die "Leiche DDR" war noch nicht richtig kalt und schon ging es mit Krieg weiter. Sofort machte sich dieser "gefährlichste Staat der Welt, die Bundesrepublik" (Stefan Hermlin) daran, Jugoslawien zu zerstückeln, Serbien und die anderen südslawischen Völker mit Krieg zu überziehen, sofort reckte der deutsche Nationalismus und Antisemitismus wieder sein Haupt, die tagelangen Straßenkämpfe eines faschistischen Mobs gegen wehrlose Menschen in Rostock-Lichtenhagen unter den Augen der Staatsorgane gaben einen ersten Eindruck, wohin die Reise gehen soll.

An dieser Stelle möchte ich enden. Viel bliebe zu sagen zur aktuellen Strategie der deutschen Bourgeoise in ihrem Kampf um die Vormachtstellung in der Welt. Mit der Eingliederung der DDR und der Zerstörung der Arbeitermacht auf deutschem Boden konnte sie ein wichtiges Etappenziel erreichen und leider auch sichern.

Es liegt an uns, an der Arbeiterklasse, die Bestie "Deutscher Imperialismus" zu fesseln und die überlebte kapitalistische Produktionsweise zu stürzen.

Die Aussage von Karl Marx, wonach die Arbeiterklasse nichts zu verlieren hat als ihre Ketten, die Aussage von Wladimir Iljitsch Lenin, wonach der Imperialismus der Vorabend der sozialistischen Revolution ist, die Aussage von Karl Liebknecht, wonach der Hauptfeind jedes Volkes in seinem eigenen Land steht und die Aussage von Rosa Luxemburg, wonach es nur zwei Alternativen gibt: Sozialismus oder Barbarei, sie haben weder ihre Gültigkeit noch ihre Aktualität eingebüßt.

Stefan Marx, Illingen


Anmerkungen

(3) Grade dieser Umstand erlaubte es, die Deutschtümelei und den Judenhass auf die Spitze zu treiben, die ihren vorläufigen Höhepunkt in den Öfen von Auschwitz und Sobibor fand. Das Staatsbürgerprinzip der BRD ist im übrigem gleich geblieben. In unseren Reisepässen steht auf der letzten Seite: "Der Inhaber dieses Passes ist Deutscher", und nicht "Der Inhaber dieses Passes ist Bürger der Bundesrepublik Deutschland". So konnten und können auch immer wieder Gebietsansprüche gegenüber anderen Staaten angemeldet werden. Ist es doch "heilige Pflicht" jeder bürgerlichen deutschen Regierung, die Brüder und Schwestern die unter fremder Herrschaft stehen, zu vertreten und notfalls mit Waffengewalt zu "verteidigen.

(4) Karl Marx über P.-J. Proudhon, Marx/Engels: Werke, Bd. 16, S.31f.

(5) Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Vorwort zur französischen und deutschen Ausgabe.

(6) http://www.marxists.org/deutsch/archiv/liebknechtk/1915/05/feind.htm

(7) Gustav Noske: Von Kiel bis Kapp. Zur Geschichte der deutschen Revolution. Berlin 1920, S. 68

(8) Der Putsch, der keiner war, PapyRossa Verlag 2009 Köln, ISBN 978-3-89438-422-7

(9) Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes, Proklamation des ZK der KPD, 24. August 1930

(10) Dieser Tage treibt man die Abkehr vom Antisemitismus auf die Spitze, in dem man die "christlich-jüdischen Wurzeln" beschwört, und wie selbstverständlich so tut, als wäre ein "jüdisches Kulturelement" schon immer gewollter und willkommener Bestandteil einer wie auch immer gearteten Nationalkultur.

(11) Und die Sozialdemokratie und die von ihr gesteuerten DGB Gewerkschaften, waren wie immer ganz vorne mit dabei, wenn es gegen die Kommunisten und revolutionären Arbeiter ging.

(12) Rundfunk im amerikanischen Sektor

(13) Im Visier die DDR. Eine Chronik, Robert Allertz, Verlag Das Neue Berlin, 3. Auflage 2006.

(14) Fragen an die Geschichte der DDR. Verlag Junge Welt Berlin 1988 S. 111

(15) "Die Imperialisten haben die deutsche Frage zu einer ständigen Quelle internationaler Spannungen gemacht [...]. Man muss offen sagen, dass der Militarismus in Westdeutschland nicht nur nicht beseitigt ist, sondern im Gegenteil sein Haupt immer höher hebt [...] Reden von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, die atomare Bewaffnung der Bundeswehr und verschiedene Manöver verweisen auf einen deutlichen politischen Trend der herrschenden Kreise Westdeutschlands [...]. Offensichtlich ist die Zeit gekommen, dass die Mächte, die das Potsdamer Abkommen unterzeichneten, auf die Reste des Besatzungsregimes in Berlin verzichten und damit die Möglichkeit geben, eine normale Lage in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik zu schaffen. Die Sowjetunion ihrerseits wird alle Funktionen in Berlin, die noch sowjetischen Organen obliegen, an die souveräne Deutsche Demokratische Republik übertragen." Nikita S. Chruschtschow: Rede am 10. November 1958 im Moskauer Sportpalast

(16) Fragen an die Geschichte der DDR Verlag Junge Welt Berlin 1988

(17) http://www.strauss.esmartweb.com/zitate.htm

Raute

ZUR AKTUELLEN EPOCHEBESTIMMUNG

Hermann Jacobs: Prognose gewagt - über die allgemeine Krise des Kapitalismus

In Nr. 4 ihrer Zeitschrift "Einheit" wagt die Kommunistische Initiative eine Prognose: "Die so genannte Finanzkrise (in Europa/den USA, J.) ist Teil der sich zunehmend verschärfenden allgemeinen Krise des Imperialismus".


*


Wir wissen, was die allgemeine Krise (des Kapitalismus/Imperialismus) nach der Definition, die in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts von der Kommunistischen Internationale getroffen worden ist, besagt: Allgemein, also umfassend, jeden Bereich des Kapitalismus betreffend, ökonomisch gesehen ist ein Ende/Schlusspunkt im Wachstum erreicht, der Stillstand droht, es stellt sich die Epochenfrage: Wechsel vom Kapitalismus zum Sozialismus/Kommunismus.

Ich möchte einige Überlegungen anstellen: Nicht nur durch das Ausscheiden des sowjetischen Faktors aus der Geschichte der Welt ist der Begriff der allgemeinen Krise des Kapitalismus - in seiner Seite vom bevorstehenden Epochenwechsel - infrage gestellt worden, sondern auch durch die ökonomische Entwicklung, die der Kapitalismus im allgemeinen seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts erfahren hat.

Ist er überhaupt richtig? Kam er historisch zu früh? Wird er eine historische Wahrheit - und nun endgültig?

Ich denke, dass man seine allgemeine abstrakte Richtigkeit nicht infrage stellen sollte. Insofern Zustimmung zur Prognose der KI. Insbesondere in den 20er Jahren oder nach dem 1. Weltkrieg gab es hinreichend viele Gründe, von einem solchen Endstadium im Wachstum des Kapitalismus zu sprechen.(18) Der Epochenwechsel vom Kapitalismus zum Sozialismus war historisch belegt. Alles ist im Begriff der allgemeinen Krise des Kapitals richtig, wenn man dabei nicht übersieht, dass sich aus einer allgemeinen Krise des Kapitals nicht gleich auf ein absolutes Ende des Wachstums im Kapitalismus und einen allgemeinen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus schließen lässt. (Auch nicht darauf, dass ein solcher Übergang, ist er einmal erfolgt, sich wieder rückgängig machen lässt.) D.h. die allgemeine Krise kann Unterbau und Überbau, die Ökonomie und den Demokratiefaktor der kapitalistischen Gesellschaft ergreifen, und dennoch nicht den subjektiven Faktor, der zum Übergang zum Sozialismus drängt, erzeugen. Denn die allgemeine Krise ist/bringt eine allgemeine soziale Verunsicherung der arbeitenden Klasse. D.h. sie schwächt die arbeitende Klasse - die eigentlich bereit sein müßte, dem Kapital die gesellschaftliche Alternative entgegen zu schleudern. Die Klasse tut es eben nicht und richtet stattdessen all ihre Hoffnungen auf eine Lösung noch im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft selbst. D.h. sie hofft auf eine Wiederaufnahme des Wachstumstriebs im Kapitalismus.

Und darin wurde sie - wir betrachten die letzten 80 Jahre des Kapitalismus im 20. und die ersten 20 Jahre im 21. Jahrhundert - nicht enttäuscht.

Krisen lassen sich relativieren - das muß marxistische Lehre ... auch sein. Eine absolute letzte Krise des Kapitalismus, aus der es nun gar keinen Ausweg mehr gibt, hat es noch nicht gegeben.

Wird es sie geben? Ja.(19)

Man muß nüchtern betrachtet noch immer konstatieren, dass es ein gewaltiges rein räumliches Wachstumspotential für den Kapitalismus (auch sozialistisch gesehen: für die Menschheit) gibt. Noch immer ist das Gros der Länder/der Menschheit nicht bei der kapitalistischen Entwicklungsstufe angelangt, für die eben solche Länder wie die USA, England, Deutschland, Japan, Frankreich usw. stehen. Der Kapitalismus ist noch immer nicht bei der Bedingung angelangt, wo er rein räumlich, in Märkten, nicht mehr wachsen kann. Und das ist ja nur die äußere Bedingung seines Wachstums. Darüberhinaus kann es auch um eine qualitative Form des Wachstums gehen. D.h. um einen höheren Lebensstandard im Innern kapitalistischer Systeme. Auch hier sind Grenzen, die sich aus Verhältnissen bedingen, noch nicht geschlossen.

Also: Eine Situation in der Geschichte, wo sich die Bedingungen für den Begriff einer allgemeinen Krise des Kapitalismus - Stillstand im Wachstum, Übergang zur offenen Diktatur, Frage des Epochenwechsels zum Sozialismus/Kommunismus - vollständig herstellen, hat es noch nicht gegeben. Es kann sein, dass es auch diese Situation nicht geben wird, nicht zu geben braucht. Warum? Weil natürlich, was wir hier für das Endszenario des Kapitalismus beschreiben, in Krisen der Gegenwart relativ, begrenzt, proportional, auf kleinerer Stufe, erscheint. Die Menschheit, der subjektive Faktor der Geschichte, kann lernen. Vor allen Dingen lernen, seine Geschichte zu begreifen. Unsere, die "kleinen" Krisen, nehmen nur - in ihrem Szenario - vorweg, was die große Krise einmal sein wird - und dann ohne Ausweg, außer dem, entweder in eine offene Diktatur von sehr langer Dauer oder in den Sozialismus abzuwandern. Geschichte in eine Richtung - immer nur die kapitalistische, ist zu unterbrechen. Insofern kann uns der letzte Kollaps des Kapitals erspart bleiben.

Unter den drei Bedingungen, die für den Begriff der allgemeinen Krise genannt wurden, ist jedoch der dritte Faktor, der Epochenwechsel, der ungesichertste. Alles andere ist sicher, d.h. im kapitalistischen Herrschaftsverhältnis vorausgesetzt. Auf welcher Ebene der dritte Faktor auch ein sicherer/historisch gesicherter wird, ist keine Frage der beiden ersten Faktoren, d.h. der Kapitalismus wird immer wieder, auf den verschiedenen Stufen seines Wachstums in die "weite Welt" hinein, zu "Endstufen", d.h. Stillständen seiner Expansion kommen; auf welcher Stufe dagegen der subjektive Faktor in die Geschichte eingreift, ist offen. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, damit das Hoffen auf einen neuen Schub der Kapitalexpansion muß geringer werden als der Mut größer wird, eine neue Gesellschaft zu wagen, in der Verluste der Arbeitsplätze keine Bedingung von Wachstum mehr sein werden.

Spitzt sich jetzt die Form der allgemeinen Krise des Kapitalismus, d.h. mindestens eine Krise im Wachstum des Kapitals zu? Ist die Analyse der KI richtig? Ja. Wir erfahren wirklich in diesem Augenblick, in der EU und in den USA, in der EU mehr, eine Krise des Wachstums. Eine Bedingung, die für Wachstum gesorgt hat, läuft aus bzw. ist schon ausgelaufen.

Wir haben es bei der Frage einer ökonomischen Expansion in der momentanen Geschichte mit einem Verhältnis entwickelter kapitalistischer Staaten und un- bzw. weniger entwickelter kapitalistischer Staaten zu tun. Um unter dieser Bedingung überhaupt ein ökonomisches Wachstum zu haben resp. es im Verhältnis zu den entwickelten kapitalistischen Staaten zu haben, haben sich diese eine besondere Bedingung für Wachstum, ihr Wachstum einfallen lassen: Expansion gegen den Kredit. D.h. um zu expandieren, um überhaupt expandieren zu können, und zwar im Rahmen ihres eigenen Wachstums, des Wachstums des entwickelten Kapitalismus, müssen sie statt gegen die Waren des anderen Landes, in diesem Falle des schwächeren Kapitalismus zu expandieren, gegen ihr eigenes Geld expandieren. Sie tauschen also gar nicht aus! Wachstum ist nicht Austausch! Sie stellen nicht nur die Waren für das andere Land bereit, sondern auch das Geld, damit diese anderen Länder diese Waren kaufen können. D.h. sie inszenieren, installieren Ökonomien. Das ist/war die Lage in der EU in ihrer ersten, der Eröffnungsphase der EU. Und das ist die Lage in den USA, nur hier im Verhältnis zu einem Konsumentenmarkt, der auf Basis von Löhnen vorauseilenden Krediten geschaffen wurde. (Siehe mein Artikel "Kritik der Krise - Krise der Kritik" von Dezember 2008 in "offen-siv").

Zum Verständnis des Problems: Würden die kapitalistischen Staaten mit höherer Entwicklung nicht gegen ihr eigenes Geld "tauschen", sondern ihre Waren gegen die Waren der schwächeren Länder des Kapitals tauschen, würden die schwächeren Länder des Kapitalismus das Tempo der ökonomischen Entwicklung bestimmen. D.h. sie könnten nur soviel Waren sagen wir in Deutschland, Frankreich usw. kaufen, als sie selbst Waren in den Tausch nach Deutschland usw. zu werfen in der Lage wären. Dann würde die Bedingung des allgemeinen ökonomischen Fortschritts in den Umständen der geringst entwickelten Kapitalismen gegeben sein. Und die entwickelten blieben auf ihrem "Reichtum" sitzen, d.h. nicht sie bestimmten den Lauf der Geschichte. Dadurch, dass die entwickelten Länder sich aber von dieser Bedingung (relativ, im Maße ihrer Kreditvergabe) lösen, bestimmen sie ein Tempo der ökonomischen Entwicklung. Wie wir nun, in einer zweiten Etappe der EU, sehen, nur partiell, zeitlich bedingt, also nicht absolut möglich, aber ohne dass ein Ende schon gleich sichtbar wäre.

Das Ende einer ökonomischen Expansion gegen sein eigenes Geld ist jetzt offensichtlich da. Damit ist eine Reserve, eine Möglichkeit für den entwickelten Kapitalismus, sich per besonderer ökonomischer Methodik vom Äquivalenzprinzip im auswärtigen Handel zu lösen, erschöpft. Lösung des Austausches vom Äquivalenzprinzip (Ware gegen Ware oder gleicher Wert in dieser Ware gegen gleichen Wert in jener Ware, so dass das Prinzip des Eigentums immer schön erhalten bleibt) ist einerseits ein Zwang, andererseits eine Freiheit, letztlich aber kein unendlichen Fortschritt verheißendes Prinzip.(20) Eine Wachstumsbedingung des Kapitalismus in Europa ist ausgeschöpft. Es ist damit ein relatives Ende der EU erreicht, es ist ein Punkt erreicht, wo entweder gleiches Wachstum organisiert werden muß - oder der entwickelte Kapitalismus sich neue Räume imperialen Wachstums (d.h. ausgehend von einer Bedingung (z.B. "Deutschland/Deutsches Kapital" zu sein)) suchen muß. Es sind nicht alle Wachstumsbedingungen des entwickelten Kapitalismus in Europa und in der Welt erschöpft, aber es handelt sich doch um ein relatives Ende eines bestimmten historischen Abschnitts in der Geschichte kapitalistischer ökonomischer Expansion aus Nationen heraus in andere Nationen hinein. Um eines der vielen seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts.(21) Die entwickelte EU muß sich jedenfalls in anderen Teilen der Welt umsehen.

Der subjektive Faktor kann/sollte - lernen.

Zu meinen drei Fragen: Überhaupt richtig, historisch zu früh, wird der Begriff der Allgemeinen Krise, ihrer Zuspitzung, eine historische Wahrheit? - Ich würde mit ja, nein, ja antworten. An sich richtig, aber relativ, historisch immer wiederkehrend, und sich zuspitzend - also ja; nicht zu früh trotz der Relativierung durch eine kapitalistische Zwischenperiode - also nein; und, weil die Dinge auf einen historischen Kulminationspunkt zutreiben - wieder ja.


*


Wir sprechen von der ökonomischen Form der Expansion des Kapitals, sie ist eine imperiale Form, d.h. von besonderen Kapitalen/Ländern ausgehende, die allgemeine Welt, besondere Länderintegrationen ergreifende. Sie schafft sich zunächst Platz/Raum in anderen Ländern ohne dass sie das Interesse einer allgemeinen ökonomischen Entwicklung verwirklicht. Würde sie dies, würde sie den Kreditrahmen a priori beschränken auf ein solches Maß, dass Kredite durch die unentwickelten Ökonomien bedienbar blieben bzw. auf Basis der Kredite Industrien entstünden, die die Kreditabhängigkeit durch Produktionsfähigkeit ablösten. Das ist aber ein Zweck, der bei einer imperialen Kreditvergabe nicht unterstellt werden darf. Und weil nicht, birgt der imperiale Kredit das Ende der Möglichkeit seiner Anwendung in sich. Er ist ein Versprechen auf Wachstum, aber seine Wirklichkeit ist Abhängigkeit. Allerdings entstehen so gesehen Bruch-Nationen - und was nun mit ihnen anfangen. Das wird aber die Frage jeder Form des Imperialismus, dass wir es in den verschiedenen seiner immer wieder produzierten Endstadien mit Bruch, deformierten Völkern zu tun haben.

Hermann Jacobs, Berlin


Anmerkungen

(18) Die Große Krise der 20er, 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts, die auch den Begriff der Allgemeinen Krise des Kapitalismus gebar, war eine Krise auf der Schwelle der Wiederentwicklung des Nationalhandels zum Welthandel nach dem 1. Weltkrieg. Die Nationen (in Europa) hatten sich gerade vom Gold als Weltgeld gelöst und waren aus entwicklungstechnischen Gründen im nationalen Warenhandel zu eigenen Geldformen (Papiergeld) übergegangen. Keine davon hatte schon die Weltgeldbedeutung erlangt, so dass der internationale Handel kurzzeitig auf die historisch überlebte, einengende Ware-Ware-Handelsform zurückgeworfen wurde. Als die Krise (nationaler Überproduktionen) kam, war das Fehlen eines entwickelten Welt-Handels gegen Geld zusätzlicher Grund, dass der Welthandel einbrach und die Krise - allgemein wurde. Jedenfalls allgemeiner, als sie sonst geworden wäre.

(19) Man darf allerdings eine 200- bis 300-jährige Entwicklung des Kapitalismus nicht infrage stellen.

(20) Für eine kommunistische Gesellschaft ist damit klar, dass sie ökonomisch gesehen nur mit einem internationalistischen Prinzip arbeiten kann. Es wird da investiert, wo Wachstum sein kann. Und ohne die Bedingung des Eigentumserhalts des gebenden Landes. D.h. der Kommunismus ist unmittelbar allgemeinnational bzw. meint jede Nation als die seine.

Raute

LEHREN AUS DER GESCHICHTE

Hans Fricke: Alles lernen - nichts vergessen

Liebe Freunde,
die früheren DDR-Bürger haben, was täuschen, lügen und schönreden der Verhältnisse in Ostdeutschland durch die Bundesregierung betrifft, in den vergangenen 21 Jahren vieles über sich ergehen lassen müssen. Es lässt sich mit "beleidigend", "unverfroren", "schamlos" und ähnlichen Adjektiven nur annähernd charakterisieren.

Was sich die Merkel-Regierung aber an Unerträglichem mit ihrer diesjährigen Bilanz über den "Stand der deutschen Einheit" geleistet hat, übertrifft alles bisher Dagewesene.

Sebastian Carlens beschreibt in seinem Artikel in der junge Welt "Vatikan bald eingeholt" anhand von Fakten, wie sich die Bundesregierung bemühte, uns zwei Jahrzehnte lang mit "blühenden Landschaften" hinters Licht zu führen und wo die wahren Ursachen für das Desaster liegen, dessen Zeugen und Opfer wir Ostdeutschen gleichermaßen sind.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die gewollt ruinöse Politik der Bundesregierung gegenüber dem Anschlussgebiet, die unverantwortliche Politik der "Treuhand"-Anstalt, ihr teilweises kriminelles Handeln, aber auch die Schützenhilfe, die die so genannte Elite der alten BRD bei ihrem Kahlschlag und ihrer massenhaften Enteignung und Kolonialisierung durch ostdeutsche Politiker erhielt, je vergessen werden. Sie haben vor der Geschichte zu verantworten, was Sebastian Carlens so beschreibt: "Die Menschen gehen. Bären und Wölfe kehren zurück. Eine freiwillige Räumung einst erschlossener Gebiete, ein Rückzug der menschlichen Zivilisation - das gab es in Europa seit dem Dreißigjährigen Krieg und der Pest nicht mehr."

Den bekannten Täuschungen, Lügen und dem Schönreden der Regierungen Kohl, Schröder und Merkel über die deutsche Einheit stehen Erklärungen verantwortungsbewusster Politiker und anderer Zeitzeugen entgegen, die weitestgehend unbekannt sind, weil sie als unbequeme und störende Wortmeldungen unterdrückt bzw. hartnäckig verschwiegen werden:

Nachfolgend eine kleine Auswahl von ihnen:

- Der frühere Erste Bürgermeister Hamburgs, Henning Voscherau, 1996: "In Wahrheit waren fünf Jahre Aufbau Ost das größte Bereicherungsprogramm für West-deutschland, das es je gegeben hat."

- Prof. Egon Bahr erklärte, er kenne kein Volk auf Erden, das so enteignet worden wäre wie das Volk der DDR.

- Der international bekannte Dramatiker Rolf Hochhuth bezeichnete in seinem Stück "Wessis in Weimar. Szenen aus einem besetzten Land" den Umgang mit den ehemaligen DDR-Bürgern als "Variante des Kolonialismus, der nirgendwo gegen Menschen des Kontinents, geschweige denn des eigenen Volkes, je praktiziert wurde."

- Der Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass: "Es ist zu einer entsetzlichen Kolonialisierung gekommen. Mit großer Arroganz. Die Besitzenden werden die Westdeutschen sein. Und die führen in der DDR einen Morgenthau-Plan durch, der Gebiete verarmen lässt, die von der Geschichte her Industriegebiete waren." Aus Anlass des Gedenkjahres 2009 bezeichnete Grass die Westdeutschen noch immer als "Kolonialherren", die "von ihrem hohen Siegerross herunterkommen" müssten.

- Der ehemalige Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Pastor Alberts, sprach im Zusammenhang mit der Währungsreform am 1. Juli 1990 von einer brutalen Invasion Westdeutschlands: "Manchmal denke ich, ein Einmarsch von Truppen ist ehrlicher als das, was jetzt geschieht."

- Herbert Grönemeyer: "...Diese Ignoranz, über die Vergangenheit des Ostens hinweg zu gehen und den Leuten ihre Phantasie und Erinnerungen kaputt zu schlagen, das ist schon eine unglaubliche Form im Grunde genommen auch von Aggression..."

- Was nach 1989 in Ostdeutschland geschah, bezeichnete Helmut Rittstieg, Prof. für öffentliches Recht an der Universität Hamburg, als "Fortsetzung des Bürgerkrieges mit den Mitteln des Strafrechts, der öffentlichen Diffamierung und gesellschaftlichen Diskriminierung".

- Der frühere CDU-Fraktionsvorsitzende im Brandenburger Landtag, Peter-Michael Diestel, erklärte, es gebe in der CDU zu viele mit Nadelstreifen und zu wenige volksnahe Politiker, und unter den 'Wessis' sehe er, "Entschuldigung, sehr viele Klugscheißer".

- Rolf Schwanitz, Vorsitzender der Querschnittsarbeitsgruppe Deutsche Einheit in der SPD-Bundestagsfraktion, über die Interessenvertretung der ehemaligen DDR-Bürger durch Abgeordnete aus Ostdeutschland: "Leider verstehen sich die Unions- und FDP-Abgeordneten, von Ausnahmen mal abgesehen, in erster Linie als Abgeordnete der Regierungskoalition und erst danach als Vertreter der neuen Länder."

- Der CDU-Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt, Dr. Rudolf Krause, ging noch weiter als sein SPD-Kollege Schwanitz und erklärte, unter den ostdeutschen Bundestagsabgeordneten gebe es schon wieder "Kolloborateure".

Ebenso wenig bekannt wie diese entlarvenden Wortmeldungen ist die Tatsache, dass der von den westdeutschen Eliten gefeierte "Einigungsvertrag" durch die Volkskammer der DDR nur angenommen wurde, weil "die CDU-Fraktion der Volkskammer die Zustimmung der SPD dadurch erpresste, dass sie damit drohte, bei Nichtbestätigung des vorliegenden Einigungsvertrages die Festschreibung der Bodenreform in dem zu beschließenden Überleitungsgesetz zu streichen. Im Klartext hieß das: Wenn die zirka 30 SPD-Abgeordneten, die bis unmittelbar vor der entscheidenden Schlussabstimmung entschlossen waren, dem Einigungsvertrag in der vorliegenden Fassung ihre Zustimmung zu verweigern, bei ihrer ablehnenden Haltung bleiben, dann zieht die CDU ihr Einverständnis zur Festschreibung der Bodenreform zurück. Damit wurde das Bodenreformland Hunderttausender ehemaliger LPG-Bauern von der CDU hinter ihrem Rücken zum Gegenstand eines unwürdigen parlamentarischen Pokerspiels gemacht, nur um die notwendigen Stimmen für einen von der Bonner Regierung, konkret von der Bonner CDU-Zentrale, diktierten Vertrag zusammen zu bekommen, der zwar den Vorstellungen der Regierung und der hinter ihr stehenden Banken und Konzerne entsprach, im Interesse der Bevölkerung jedoch in wesentlichen Teilen dringend hätte nachgebessert werden müssen". (Quelle: Hans Fricke, "Eine feine Gesellschaft, Jubiläumsjahre und ihre Tücken, - 1949 bis 2010 -", GNN-Verlag 2010, ISBN 978-3-89819-341-2, 250 Seiten, 15.00 Euro, Abschnitt: "Erpresster 'Einigungsvertrag' und seine ersten Folgen")

Nahmen wir die diesjährige Bilanz der Bundesregierung über den "Stand der deutschen Einheit" zum Anlass, dafür zu sorgen, dass immer mehr Menschen sowohl über das oben Gesagte als auch über die nachstehenden Erklärungen nachdenken und daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen:

- Schon Rothschild meinte 1863: "Die Wenigen, die das System verstehen, werden so sehr an seinen Profiten interessiert oder so abhängig sein von der Gunst des Systems, dass aus deren Reihen nie eine Opposition hervorgehen wird. Die große Masse der Leute aber, mental unfähig zu begreifen, wird seine Last ohne Murren tragen, vielleicht sogar ohne zu mutmaßen, dass das System ihren Interessen feindlich ist."

- Der Multimilliardär Warren Buffet erklärte Ende 2006 in New York Times treffend: "Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir werden gewinnen."

- Karl Liebknecht erklärte im Mai 1915 in seinem bekannten und nach wie vor aktuellem Flugblatt: "Der Hauptfeind jedes Volkes steht in seinem eigenen Land! Der Hauptfeind des deutschen Volkes steht in Deutschland: der deutsche Imperialismus, die deutsche Kriegspartei, die deutsche Geheimdiplomatie. Diesen Feind im eigenen Land gilt's für das deutsche Volk zu bekämpfen, zu bekämpfen im politischen Kampf, zusammenwirkend mit dem Proletariat der anderen Länder, dessen Kampf gegen seine heimischen Imperialisten geht... Die Feinde des Volkes rechnen mit der Vergesslichkeit der Massen - wir setzen dieser Spekulation entgegen die Losung: Durch die Erfahrungen sind wir gewarnt - Alles lernen, nichts vergessen!"

Mit solidarischen Grüßen, Hans Fricke, Rostock

Raute

Inge Viett: Erklärung vor Gericht am 21. 11. 2011

Der Staatsanwalt behauptet ja tatsächlich, ich hätte mit meinem Vortrag auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz den öffentlichen Frieden gestört. Und zwar deshalb, weil ich Sabotage an Militär- und Kriegsgütern für legitim halte, wenn Deutschland Krieg führt. Dann zählt der Herr Staatsanwalt wahllos neun Brandanschläge gegen Kriegsgerät auf, auf die ich mich bewußt bezogen haben soll. Mich überrascht, wie der Staatsanwalt sich in meinem Bewußtsein oder gar Unterbewußtsein auszukennen glaubt. Aber tatsächlich projiziert er nur ins Blaue hinein, um mich anklagen zu können.

Wer stört eigentlich wirklich den öffentlichen Frieden hier im Land, in Europa und weltweit? Und welcher Frieden ist gemeint? Das Verstummen und sich Abfinden mit der Politik einer profitgetriebenen Klasse, die schon wieder, wie auch in der Vergangenheit, Raubkriege und eine Militärpolitik in vielen Teilen der Welt betreibt, um sich Ressourcen und Macht für eine maßlose Ökonomie der Verschwendung und Zerstörung zu sichern?

Das Abfinden mit einer Angriffsarmee, die sich immer noch Bundeswehr nennt, aber längst eine Kriegsarmee ist, die in heimtückischer Weise die gesellschaftlichen Institutionen okkupiert, um eine kriegsunwillige Bevölkerung zu manipulieren und fügsam zu machen?

Sollen wir ganz friedlich zusehen, wie sich die Vertreter des Militarismus vor allem an die Schwächsten heranmachen, die noch kein reales Weltbild haben, an die Kinder, an die Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten und an die Arbeitslosen und Perspektivlosen? Sollen wir hinnehmen, daß sie den Krieg als Abenteuer auf Spielplätzen inszenieren, daß sie das Mörderhandwerk der Soldaten als normalen Beruf verkaufen, und ihre Kriegspolitik als alternativlose "Sicherheitspolitik" in die Universitäten tragen? Dient das etwa dem Frieden?

Ich hab' mal ins Strafgesetzbuch geschaut, was denn der hier in der Anklage aufgeführte Paragraph 306 für Straftaten erfaßt, die zu billigen und belohnen ich mich strafbar gemacht haben soll. Ich zitiere aus Paragraph 306:

"(1) Wer fremde
1. Gebäude oder Hütten,
2. Betriebsstätten oder technische Einrichtungen, namentlich Maschinen,
3. Warenlager oder -vorräte,
4. Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- oder Wasserfahrzeuge,
5. Wälder, Heiden oder Moore oder
6. land-, ernährungs- oder forstwirtschaftliche Anlagen oder Erzeugnisse in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft."

Mir scheinen das alles zivile Ziele zu sein. Die Rede ist nicht von Kriegsmaterial. Und um solches handelt es sich doch eindeutig bei den von der Staatsanwaltschaft aufgezählten Anschlägen.

Ich habe den Eindruck, der Paragraph 306 trifft eher auf das zu, was die Bundeswehr in Afghanistan treibt, wenn sie, wie in Kundus, Tanklastwagen bombardiert und dabei über 100 Menschen umbringt, oder wenn sie Dörfer und Zivilfahrzeuge in Brand schießt, weil sie dort sogenannte Terroristen vermutet. Oder wenn sie Zivilisten zusammenschießt, die gegen ihre Besatzung demonstrieren, wie im Mai 2011 in Talokan. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Mehrheit der hier sitzenden Medienvertreter und auch die Staatsanwaltschaft dies alles billigen.

Aber ich will mich mit der juristischen Seite der Anklage gar nicht wirklich befassen, weil sie im Grunde subaltern ist, denn die meisten bürgerlichen Gesetze sind lediglich die Instrumente mit denen der Staat versucht, gesellschaftliche Konflikte zu seinen Gunsten zu beeinflussen, durch Kriminalisierung seiner Kontrahenten, und durch die Verschleierung der politischen Dimension, die hinter der Anklage liegt.

Sind der Krieg gegen Afghanistan und die anderen weltweiten deutschen Militäreinsätze etwa kein gesellschaftlicher Konflikt, wenn mehr als zwei Drittel der Bevölkerung dagegen sind? Wenn gigantische Summen in den Krieg und die Kriegsrüstung fließen und die Bildung, das Gesundheitswesen, die Kultur, der Wohnungsbau, die Renten angeblich nicht mehr finanziert werden können? Wenn die Löhne immer geringer werden, Arbeitsplätze immer unsicherer und viele ihr Leben auf Hartz-IV-Bettelniveau fristen müssen? Ist es kein gesellschaftliches Problem, wenn eine kleine besitzende Minderheit und ihre Trabantenpresse die Profitwirtschaft und die Kriegspolitik zur Ultima ratio des Fortschritts erklärt, obwohl dieser sogenannte Fortschritt verheerende Folgen für die Mehrheit der Menschen und ihre Umwelt hat? Nur damit diese Minderheit reich und mächtig bleibt? Das Gesetz ist also ein politisches Instrument dort wo es um einen politischen Sachverhalt wie in diesem Prozeß geht. Hier geht es um die Meinungsfreiheit, um die Pressefreiheit, um das Recht auf öffentliche Debatten über Strategien zur Abschaffung des Kapitalismus, um das Recht auf öffentliche fundamentale Systemkritik, um das Recht, gegen diese Zustände Widerstandsmöglichkeiten zu diskutieren und zu organisieren.

Der Staatsanwalt vertritt hier auch nicht das Recht, sondern den Staat, der mich als politische Aktivistin gegen das kapitalistische System und seine immer wiederkehrenden Kriege mundtot machen will.

Aber es geht der Staatsgewalt mit ihrer Anklage noch um mehr: Die ansteigenden sozialen und politischen Verwerfungen des Kapitalismus, seine Krisenpolitik zu Lasten der lohnabhängigen Klasse, der Kinder, der Rentnerinnen und Rentner, der Alten und Schwachen, seine Kriegspolitik um Ressourcen und Einfluß, die Entwicklung immer mörderischerer Waffensysteme, stoßen überall auf Proteste. Selbst in den reichen europäischen Staaten bersten die Widersprüche, und Widerstand in allen möglichen Formen beginnt sich zu organisieren. Die Propaganda, daß es keine Alternative zu diesem kaputten und aggressiven System gibt, verfängt bei immer weniger Menschen. Die Wut wächst und auch die Pläne, wie die Befreiung von diesem Moloch möglich werden kann. Die herrschende Elite reagiert mit Rhetorik und Propaganda, mit Unterdrückung und Repression. Immer schärfere Gesetze, immer mehr Überwachung, größere und härtere Polizeieinsätze, immer mehr Prozesse. Ja sie arbeitet schon wieder daran, die Verfassung zurechtzustutzen, um den Einsatz von Militär auch im Innern zu ermöglichen. Sie ist taub und tumb gegen die Ursachen von Protest und Widerstand.

Ich bin über vierzig Jahre im Widerstand gegen das kapitalistische System, und ich habe mich früher dabei auch bewaffneter Mittel bedient, wie viele andere in der langen Geschichte revolutionärer Kämpfe gegen den Kapitalismus. Das macht mich zum beliebten Haßobjekt der reaktionären Boulevardblätter und der antikommunistischen Medien. So ist auch dieses Verfahren gegen mich maßgeblich durch die Zuarbeit eines Lohnschreibers des Springer-Konzerns zustande gekommen. Sie glauben, über mich sei es leicht, die Kriminalisierung und Denunzierung aller linken revolutionären Kräfte voranzutreiben, und die demokratischen Standards wie Meinungsfreiheit und Pressefreiheit ihrem politischen Belieben zu unterwerfen. Beziehungsweise das Niveau dieser Standards juristisch nach unten zu drücken.

Schon 1968 auf dem Internationalen Vietnam-Kongreß in Berlin, als die deutsche Propaganda für den grausamen Krieg der USA gegen Vietnam und gegen die Antikriegsbewegung auf ihrem Gipfel von Haß und Lüge war, erklärte Rudi Dutschke vor dem Hintergrund des eskalierenden Krieges gegen die vietnamesische Bevölkerung, daß militante Aktionen gegen die Lügenmaschinerie der Manipulationszentren und militante Aktionen zur Zerstörung der unmenschlichen Kriegsmaschinerie legitim seien.

Heute wissen alle, wie verbrecherisch auch jener Krieg war.

Den bürgerlichen Medien mangelt es allerdings an kritischem historischem Gedächtnis, und ihre Affinität zur Kriegspolitik ist die Affinität zur kapitalistischen Herrschaft. Sie bestimmt nun mal den Grundton der Medien. Die Journalisten sind damals wie heute so unabhängig wie Hunde an der Laufleine.

Debatten wie auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz über mögliche Strategien zur Überwindung des Kapitalismus und um Wege zum Kommunismus werden seit Jahrhunderten auf der ganzen Welt geführt. Nur der brutale und strohdumme Antikommunismus in Deutschland wird darüber hysterisch. Das Demokratieverständnis der herrschenden Elite und ihrer medialen Publikatoren erweist sich immer wieder als armselig. Es ist nicht mehr als ein Synonym für Staatsräson.

Die Alternative zum Kapitalismus ist nun mal der Kommunismus. Das weiß doch jeder kapitalismuskritische Mensch. Wie verschieden auch immer die Vorstellungen vom Kommunismus sein mögen, es wird eine nachkapitalistische Welt geben, wenn wir überleben wollen und sie wird gekennzeichnet sein durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Emanzipation der produzierenden Klasse. Das sind nun mal die Grundlagen des Kommunismus, auf die der vernünftige Teil der Welt hinarbeitet. Der derzeitige Zustand der Welt treibt diesen Prozeß voran. Nicht abstrakt, nicht von alleine, sondern durch den konkreten politischen und teilweise auch militanten Kampf von vielen konkreten Menschen auf der Welt.

Repressive Gesetze, juristische Schikanen, mediale Hetze, selbst Folter, Gefängnis und Tod werden nicht den Frieden bringen, wie Sie ihn verstehen und den ich gestört haben soll. Chancen für Frieden wird es erst geben, wenn die Hightech-Armeen der kapitalistischen Staaten verschrottet sind und die Konzerne in deren Windschatten nicht mehr die Welt ausplündern können, weil die Ausbeutung abgeschafft ist. Es wird nur Frieden geben, wenn der Reichtum der Welt allen Bedürftigen zugute kommt. Diesen Frieden müssen wir uns erkämpfen, und wenn es noch hundert Jahre dauert.

Ich schließe meine Erklärung hier vor Gericht mit dem Aufruf des Revolutionärs Georg Büchner: Friede den Hütten! Krieg den Palästen!

Inge Viett, vor Gericht in Berlin

Raute

Hermann Jacobs: Konterrevolution, Zusammenbruch - oder gar beides?

Begriffe, die man für politische Ereignisse findet, drücken ja immer auch Standpunkte aus, die man zu ihnen einnimmt. Nehmen wir die "dramatischen Ereignisse" (Erich Honecker) seit 1989. Hier gebrauchen kommunistische Organisationen (Publikationen, Kommentatoren) - nur diese interessieren uns hier - sowohl die Begrifflichkeit der Konterrevolution als auch die des Zusammenbruchs des Sozialismus, der Sowjetunion. Manchmal nur das eine, manchmal nur das andere. Aber manchmal auch beides gleichzeitig. 1989 und unmittelbar danach überwog die These vom Zusammenbruch als Erklärung - es ging noch nur um die DDR und andere sozialistische Staaten Osteuropas. Die Sowjetunion existierte noch und schien unberührt zu sein, d.h. immer noch Kurs auf die Erneuerung des Sozialismus zu nehmen. Erst als die "Wende" auch diese ergriff - 1991 -, wendete sich das Blatt. "Plötzlich" erwies sich, dass die Politiker der Reform des Sozialismus auch diejenigen waren, die ihn auflösten. Als eine Personalunion von Reform und Restauration sichtbar wurde, griff auch der Begriff Konterrevolution als der die Ereignisse erklärende Begriff um sich. D.h. erst als die Bewegung das Land ergriff, das die Bewegung ausgelöst hatte, stellte sich auch die Klarheit über die Bewegung her: Konterrevolution.

Und damit nicht: Zusammenbruch (des Sozialismus)!

Logisch wäre es jetzt gewesen, Distanz zur Zusammenbruchsthese einzunehmen. Aber das Gegenteil war und ist der Fall. Parteien (Publikationen, Kommentatoren), die beide Begriffe, benutzen, gab es ab 1991 und gibt es (vermehrt?) auch heute noch.

Parteien (Publikationen, Kommentatoren), die beide Begriffe noch immer in Einheit, als Paar gebrauchen, befinden sich aber in einem Widerspruch, sie sagen einander Ausschließendes - aber sie sagen es.

Warum?

Diese Parteien/Organisationen merken nicht, dass sie damit ihr historisches oder bekennendes Verhältnis zum Sozialismus in jedem Fall aufgegeben haben - oder wollen es sogar aufgeben. Sie sagen nämlich: Es sei letztlich egal, ob ihn (den Sozialismus) eine Konterrevolution aufgehoben hat, zusammengebrochen wäre er in jedem Falle, "wie es dann ja auch geschehen". Das Argument des Zusammenbruchs macht das Argument der Konterrevolution gegenstandslos. Man kann doch umgekehrt auch zu der Meinung kommen, die Konterrevolution habe im Grunde das Land vor dem völligen Untergang gerettet, indem es dieses auf eine andere gesellschaftliche Grundlage gestellt habe (zwar die alte, aber die sei eben "lebensfähiger" usw. gewesen).

Die Zusammenbruchs-These entschuldigt die Konterrevolution, dies mindestens.

Die Konterrevolution ist nur als solche erkannt, wenn ihr originärer Charakter, d.h. ihre ganz alleinigen Gründe, Ursachen, Absichten erkannt sind ganz unabhängig von irgendwelchen Ereignissen, Vorkommnissen, Besonderheiten beim Aufbau dieses Sozialismus selbst, die aus irgendeinem Grund in Zusammenhang gebracht werden mit der Lebensunfähigkeit des Sozialismus an sich. Es hat dann - gehen wir zunächst nur von der einfachen, also gesellschaftsformatorischen Erklärung für Revolutionen und Konterrevolutionen aus - inmitten des Sozialismus, ab einer bestimmten Zeit, auch (!) latent (erst versteckt, später offen) ein politischer Faktor gewirkt, der das Land auf die Bahn des Kapitalismus zurückdrängen wollte. Punkt.

Konterrevolutionen (im Sozialismus als erster Phase des Kommunismus) sind kurz nach der sozialistischen Revolution selbstverständlich ein Interesse der soeben überwundenen, gegensätzlichen, also bürgerlichen Klasse, aber sie wirkt als politischer Faktor noch weit in die neue Gesellschaft hinein. Man mag sich wundern, dass es auch 70 Jahre nach dem Beginn des Sozialismus in ihm selbst noch immer ein "bürgerliches Sehnen" geben kann -, aber zunächst geht es nur um den Fakt als solchen. Diese Gefahr der Konterrevolution ist, so lange der Kapitalismus/Imperialismus nicht weltweit geschlagen ist, als Faktor auch eine geschichtliche Normalität, d.h. jede Revolution in gesellschaftlicher Hinsicht muss mit einer Konterrevolution durch Gegenkräfte dieser Gesellschaft rechnen. Dass dies möglich ist, muss Lehre sein.

Die Konterrevolution vertritt die Restauration, also die Interessen des Kapitals. Aber: dass es diese Interessen gibt, müssen wir nicht auch noch erklären mit einem Mangel unserer selbst - nein, diese Interessen sind im Klassenkampf selbstverständlich. Gibt es eine Art Schuld/Mitschuld der Kommunisten oder generell der Arbeiterbewegung an der Konterrevolution, der Restauration zurück wieder zum Kapitalismus? Nein und Ja. Nein: Die Kommunistisch Partei kann Schlachten schlagen und verlieren. Danach lernt sie aus der Geschichte. Ja: Die Kommunistische Partei kann kapitulieren, sich dem Revisionismus ergeben, dann ist sie verloren. Eine solche Partei lernt nichts mehr aus der Geschichte.

Die Möglichkeit einer Konterrevolution inmitten des Kommunismus ist eine schlimme Erkenntnis des politischen Kommunismus, aber eine Konterrevolution, die ihre Voraussetzung ebensogut in einem Zusammenbruch des Sozialismus haben kann, wäre eine viel schlimmere Erkenntnis des Marxismus, der Arbeiterbewegung. Wäre die erstere a priori ein bürgerliches Interesse, so die zweite, aus sozialistischem Grund, ein Ende des sozialistischen Anspruchs überhaupt.

Der Kommunismus "nur so eine Idee" (von Marx), gar keine stabile, drangvolle Gesellschaftsform? Ein solches Denken bände die Arbeiter auf schier ewig an den Kapitalismus.

Ich plädiere daher zunächst für eine Trennung:

- hier die Sowjetunion, dieser erste Sozialismus als erstes Stadium des Kommunismus in der Geschichte der Menschheit in seinem Aufbau, in seinen Grundlagen, in seinen Erfolgen als Thema der marxistischen Gesellschaftsanalyse an sich,

- und dort die Konterrevolution als eine ganz andere Sache, im Inneren als Abweichung vom sozialistisch/kommunistischen Kurs, von außen als Normalität des Imperialismus, aber eben diese Konterrevolution zu untersuchen auch wieder für sich. Und selbstverständlich wieder Gegenstand der marxistischen Analyse.

Ich denke, dass die Geschichte der Sowjetunion, beginnend mit dem XX. Parteitag, insbesondere aber, seitdem eine bestimmte Politik eines bestimmten Denkens in der Sowjetunion ab 1985 explosionsartig zunahm, das Recht, eine solche Trennung vorzunehmen, begründet. Mag es immer Probleme in der Sowjetunion gegeben haben - die, die mit der Politik des Neuen Denkens einsetzten, sprengte dann doch alle Dimensionen. Die Sowjetunion wird ab 1985 eine andere. (Eine innere Veränderung in der angesprochenen politischen Schwerpunktsetzung hat es schon seit langem gegeben, aber in diesem Fall geht es um eine bestimmte Form der Politik, die erst ab 1985 einsetzte).

Ich will damit zu erkennen geben, dass auch Konterrevolutionen - egal ob sie das kapitalistische Bürgertum oder das sozialistische Proletariat treffen - eine Geschichtsform für sich sind und der materialistischen Erklärung bedürfen.

Das darf nur nicht auf Kosten einer Analyse der Gesellschaft gehen, gegen die sich die Konterrevolution gerichtet hat, in diesem Falle nicht auf Kosten der Sowjetunion gehen, wie sie bis 1985 bestanden hat - und auch nicht auf Kosten der Arbeiterbewegung gehen, die sich aus den Widersprüchen des Kapitalismus begründet; in letzter Hinsicht ist sie von der Kritik mit betroffen.

Der Kommunismus bzw. die Kommunisten im Kapitalismus werden so in einer Schwäche dargestellt, die sie gar nicht haben. Denn Kommunisten werden ja nicht durch den Kommunismus begründet, sondern durch die inneren Gegensätze der kapitalistischen Gesellschaft; diese ändern sich nicht dadurch, dass ein Sozialismus offiziell: "zusammenbricht", tatsächlich: von der Konterrevolution zerstört wurde.

Folgt man der These des Zusammenbruchs, wie sehr sie auch in der Verkleidung der Verbesserung des Sozialismus einhergeht und vorgibt, einem neuerlichen Zusammenbruch eines neuerlichen Sozialismus zu entgehen, landet man beim... Kapitalismus, bei der Aufgabe seiner eigenen Klasse. Und die - die Aufgabe der Klasse - greift weit über die Länder des aufgegebenen Sozialismus/Kommunismus hinaus; sie ist eine Weltfrage für den Kommunismus.

Man kann, folgt man der These vom Zusammenbruch, nur zur Position der Konterrevolution übergehen, und das heißt nichts weiter als zur kapitalistischen Gesellschaft überzugehen, also für ehemals kommunistische Parteien: zur Sozialdemokratie überzugehen.

Früher oder später wird es diesen Übergang zur Sozialdemokratie derer geben, die von "Zusammenbruch", "inneren und äußeren Ursachen", "Licht und Schatten" und ähnlichem reden, denn nur dies macht Sinn, wenn man eigentlich zu der Auffassung gelangt ist, dass es dieser (gewesene) Sozialismus nicht verdient, ein solcher genannt zu werden und er sich "selbst gerichtet hat".

Die Ereignisse von 89/91 werden ja, wo diese Konsequenz gezogen wird, auch als eine Art Selbstrichtung des Sozialismus aufgefasst.

Dass das eine bürgerliche Konsequenz ist, eine zur bürgerlichen Gesellschaft hinführende Konsequenz ist, sollte klar sein. Solche Parteien sind heute, wie mit Befriedigung gesagt wird, "keine kommunistischen mehr" (Originalton Gregor Gysi anlässlich der letzten Kommunismus"debatte" in der LINKEN)

Ich meine: das ist doch mal eine Konsequenz!

Wo eine "linke" Partei vollständig den Gedanken des "Zusammenbruchs des Sozialismus" in sich aufgesogen hat, muss sie bürgerlich, d.h. eine sich gesellschaftlich (!) zum Kapitalismus bekennende Partei werden, als "linke", also sozialdemokratisch - vollkommen konsequent.

Man muss also der sozialdemokratischen Konsequenz die Gefolgschaft verweigern - aus den inneren Gründen des Kapitalismus - und dann muss man sich über die Konterrevolution im Sozialismus informieren.

Aber wie dann vom Sozialismus? Hier zeigt sich das Problem.

Warum folgen andere Parteien/Organisationen diesem Denken (für das ich eben Gregor Gysi angeführt habe, aber es könnten auch viele andere sein, die für gleiches Denken stehen)? Und was ist mit den Parteien/Organisationen, die sich - oberflächlich gesehen - gleichzeitig der bürgerlich-sozialdemokratischen und der sozialistischen Konsequenz verweigern?(22)

Die Antwort lautet hier: Weil sie sich nicht der Konsequenz der (inneren) sozialistischen Kritik, der Kritik am Revisionismus, der Kritik an der Erosion der Planwirtschaft, der Kritik an der Ersetzung des Klassenkampfes durch die Klassenkollaboration stellen wollen. Wir müssen das Phänomen eines siamesischen Zwillings in der Arbeiterbewegung (nicht nur deutschen) erklären.

Obwohl also diese (sich auch Marxisten/Kommunisten Nennenden) eigentlich erkennen müssten, dass sie den Sozialismus schon verlassen hatten, den die Konterrevolution nur bewusst - d.h. per Gorbatschowscher Politik - gestürzt hat, verweigern sie im nachhinein der Konterrevolution die Gefolgschaft - gut, möchte man hier sagen. Aber wo verbleiben sie, die den Sozialismus verlassen haben, denn gesellschaftlich? Sie haben doch gar kein gesellschaftliches Ziel mehr, keine Zukunft! Weg vom Sozialismus, von dem sie die Rede vom Zusammenbruch akzeptieren - aber nicht hin zum Kapitalismus, den sie gesellschaftlich in Frage stellen, was ist das für eine Alternative? Eine nichtgesellschaftliche, eine Flucht aus der gesellschaftlichen Geschichte an sich, möchte man meinen.

Das Phänomen des gleichen Anfangens, aber nicht des gleichen Ausgangs klärt sich, wenn wir uns der "dramatischen Ereignisse" (Erich Honecker) als des fatalen Zusammentreffens zweier geschichtlicher Interessen bewusst werden:

- Hier (bei uns) innere Sozialismus-Kritik, Revisionismus, schleichendes Verlassen unserer Grundlagen, Klassenkollaboration,

- dort (bei denen) äußere Sozialismus-Kritik, Antikommunismus, Konterrevolution, Roll-back.

Hier anderer, neuer (?) Sozialismus, dort der alte Kapitalismus.

Es ist das Interesse an einer anderen Auffassung vom Sozialismus - eines anderen, kleinbürgerlichen, marktwirtschaftlichen (Reform-) Sozialismus -, der diese Parteien und Organisationen sozialistischen Namens oder weiterhin sozialistischen Bekenntnisses daran hindert, die These vom Zusammenbruch und der Konterrevolution als gleichzeitiges Verhältnis zur Geschichte der welthistorischen Wende von 89-91 aufzugeben.(23)

Aber das Furchtbare ist: Sie wollen sich als Reform behaupten, nicht als Konterrevolution. Und dazu kann die These vom sozialistischen Zusammenbruch auch dienen, denn sie geben vor, mitten "im Zusammenbrechen des Sozialismus" einen neuen, nicht zusammenbrechen könnenden, also besseren als den alten Sozialismus entdeckt zu haben.

Die innere Sozialismus-Kritik war Kritik am Sozialismus im Namen eines anderen Sozialismus, aber auch sie (!) beseitigte Sozialismus! Realen, realisierten. Dass sie nur theoretisch beseitigte, ist eine andere Sache, aber der praktische Exitus war ihr Sinn. Sie war dieser Anspruch, ohne je zu ihren eigenen Konturen gelangt zu sein, sie beseitigte Sozialismus, aber - und nun die andere Seite der Medaille - konnte, weil erschienen, ausgenutzt werden von einer ganz anderen Kritik am Sozialismus, nämlich der bürgerlichen, die bis zum Kapitalismus hin (oder zurück) führte.(24) Sie diente als Feigenblatt. Für wen? Natürlich für die Kräfte der kapitalistischen Restauration. Diese siegte, indem sie den konkreten Sozialismus mit den Waffen des abstrakten Sozialismus schlug.

War es ein Geburtsfehler der inneren Sozialismus-Kritik oder war es ihr Ziel, dass sie in einem Augenblick kulminierte, als der reale Sozialismus einer lebensgefährlichen bürgerlichen Kritik/Konterrevolution ausgesetzt war? Als ein äußerer Angriff auf den Sozialismus dominierte, setzte sie ihren inneren Angriff an. Unkenntnis, weil sich der äußere Gegner mit ihren inneren Losungen tarnte?

Wer wen hier ausgenutzt/benutzt hat - ich meine geschichtlich -, ist klar oder sollte klar sein: Die bürgerliche und äußere Kritik nutzte die sozialistische und innere Kritik, nicht umgekehrt. Die bürgerliche Restauration hatte eigentlich gar keine eigene, originäre Begründung. Nie hieß es im Vorfeld von 1989-91, in der Sowjetunion, DDR usw. solle der Kapitalismus restauriert werden. Aber immer hieß es, es gehe um eine Reform, Umwandlung, Erneuerung des Sozialismus. Die theoretischen Zeitschriften vor 1989, ab etwa 1987 bis in die erste Hälfte des Jahres 1990 hinein sind voll von Artikeln, in denen es nur um die Überlegung ging, was nun für eine schöne Zeit - im Sozialismus (!) - angebrochen sei. Er würde endlich auf die Wurzeln (!) des Marxismus, auf die "eigentlichen Vorstellungen" von Marx, Engels und Lenin "zurückgeführt werden". (Was sie im Übrigen bis heute behaupten). Konterrevolution, Kapitalismus - kein Gedanke. Endlich wieder der Anschluss an den "revolutionären Beginn", der "noch von Lenin geprägt worden war". Der Beispiele, und damit Beweise, sind übergenug. Und nimmt man gar nur die DDR, so geriet sie im Dezember 1989 ja an die "euphorische Periode", wie ich sie mal nennen will. Die Reformer übernahmen sogar die Regierung der DDR; und - "vielleicht", so meinen Viele tatsächlich auch heute noch - hätte es sogar klappen können, wenn unsere Reformer nicht an die dann wirkliche, aber äußere (!) Konterrevolution der DDR durch die BRD geraten wären. Denn, Ehre sei wem Ehre gebührt, der Kern der Konterrevolution befand sich nicht in der DDR, eine Mehrheit wirklich zum Kapitalismus zurückdrängender politischer Kräfte aus der Arbeiterbewegung der DDR gab es nicht. Die gab es nur in der Sowjetunion!

Ich bin mir nicht sicher, ob sich Reformer (ich meine die "anderen Sozialisten") von 1989 bewusst waren, dass sie von der bürgerlichen Kritik, besser: Politik der Aufhebung des Sozialismus, benutzt/ausgenutzt wurden. Man mag ihnen - nicht allen, aber vielleicht vielen - für damals Naivität unterstellen - heute allerdings führt an dieser Erkenntnis kein Weg vorbei ... sollte man jedenfalls meinen. Heute kann ja kein Zweifel mehr daran sein, dass nicht sie die "starke Kraft" der Bewegung von 1989-91 waren, sondern "die Anderen". Die nun wirklich Anderen, nicht sie, die nur Helfershelfer waren.

Der "Reform"-Sozialismus hat sich im Grunde erledigt, die bürgerliche Konterrevolution braucht ihn nicht mehr. Die so genannte Sozialismus-Reform treibt den jetzigen Kapitalismus (in Russland, in den osteuropäischen Ländern) nicht mehr um; sie war ihm Mittel, nicht Zweck. In dieser Hinsicht sollte es eigentlich so sein, dass sich die Reformer von einst, die ja vor ihrem neuen Frühling zu stehen schienen, zu der Einsicht bekennen, dass es damals doch nicht um sie ging, sondern um die Aufhebung des gesellschaftlichen Eigentums und der politischen Macht der Arbeiterklasse.

Aus der Sicht der bürgerlichen Kritik/Restauration des Sozialismus hat sich die Existenz einer inneren Sozialismus-Kritik erledigt.

Warum aber nicht aus der Sicht dieser Kritik und Kritiker selber? Und warum treibt die Theorie/These vom anderen, richtigen, besseren Sozialismus immer noch die kommunistischen Parteien um? Die Antwort auf diese Frage sollte uns in der geschichtlichen Konsequenz wichtiger sein als die des Verhältnisses von Sozialismus-Reform und kapitalistischer Restauration. Ist diese Frage keine des Lebens der kapitalistischen Restauration mehr, so ist sie aber eine des Lebens des Sozialismus von Reform und Nichtreform, d.h. des "neuen" und des alten Sozialismus geblieben. Ich will mal eine Antwort wagen: Weil ein Zusammenbruch des Sozialismus das wohl stärkste Argument für die Richtigkeit und Notwendigkeit ihrer Reformvorstellungen ist. Es ist aber, ich betone das, ein äußeres Argument. Kein wirklicher Zusammenbruch des Sozialismus kann einen anderen Sozialismus begründen, er kann nur eine Vermutung nachhaltiger machen.

Die Frage eines "doppelförmigen" Sozialismus stellt sich ganz unabhängig davon, dass es eine bürgerliche Konterrevolution gegen den Sozialismus/Kommunismus gegeben hat. Wir sollten das auch so aussprechen, weil wir nur dann erklären können, warum die Sozialismus-Kritik in den eigenen Reihen die Konterrevolution überdauert hat. Es geht nicht darum, die Verantwortlichkeit der inneren Sozialismus-Kritik für das Gelingen der bürgerlichen Restauration zu leugnen, aber es darf auch nicht übersehen werden, dass es einen an sich unabhängigen Charakter der inneren von der äußeren Sozialismus-Kritik gibt.

Diesem zuliebe muss die Auseinandersetzung mit der inneren Sozialismus-Kritik/der Sozialismus-Reform/den kleinbürgerlichen Sozialismusvorstellungen/dem Revisionismus fortgesetzt werden, unabhängig davon, dass sie sich geschichtlich erledigt hat, dass sie der bürgerlichen Restauration des Sozialismus gedient hat.

Dass die innere Sozialismus-Kritik sich nicht rechtzeitig von der äußeren Kritik am Sozialismus gelöst hat, darf uns kein Grund sein, diese mit jener zu identifizieren bzw. von dieser anzunehmen, dass sie nur die Erscheinungsform war, über die sich die bürgerliche Restauration des Sozialismus durchsetzen konnte. Dagegen spricht ihre lange Existenz, genauer: Ihre Existenz von Anfang des Sozialismus an.

Man muss sich mit all diesen Auffassungen, die schon lange vor 1989 entstanden waren oder danach zur Erklärung der Ereignisse ins Gefecht geworfen wurden, auseinandersetzen. Ich bringe damit nicht zum Ausdruck, dass die innere Sozialismus-Reform an sich eine Notwendigkeit des Sozialismus ist, erst rechts nicht, dass es einen anderen Sozialismus (als Planwirtschaft und Diktatur des Proletariats, also Klassenstaat der bisher Unterdrückten) auch geben könne, sondern will damit nur zum Ausdruck bringen, dass die Auseinandersetzung mit der Reform-Idee, hinter der der Revisionismus stekt, eine bleibende, eine kommende Notwendigkeit ist.

Ein Schritt auf diesem Wege wäre aber, dass sich die verbliebenen geschichtlichen Kräfte des Kommunismus der Notwendigkeit bewusst werden, dass die These vom Zusammenbruch des Sozialismus aufzugeben wäre - in dem Zusammenhang aufzugeben wäre, in dem sie ausgesprochen wird: Als Einheit oder Gleichzeitigkeit von Zusammenbruch des Sozialismus und Konterrevolution, letztlich als der Erklärung dieser aus jener.

Von einer Gegenrevolution überrascht zu werden, ist schon eine Schwäche der kommunistischen Bewegung, von einer Gegenrevolution und einem Zusammenbruch des Sozialismus überrascht zu werden, ist eine Schwäche zuviel. So schwach, dass wir nicht beides, in ihrem falschen Zusammenhang wie in ihrem Grund jeweils für sich erklären können, sind wir nicht, sollten wir nicht sein. Und insofern sollte man den Zustand - einer unhaltbaren Symbiose - beenden.

Sollen wir also nicht mehr von Zusammenbruch des Sozialismus/der Sowjetunion reden?

Nein, 1. an sich nicht, es gibt keinen Beweis, dass es diesen gegeben hat oder haben könnte. Der Beweis kann per se nicht angetreten werden, weil die Politik der bürgerlichen Restauration überdeckt, was in der Sowjetunion organisch ablief oder abgelaufen wäre, wenn die Sowjetunion als Staat erhalten geblieben wäre, d.h. wir haben es ab 1985 gar nicht mehr mit der normalen Sowjetunion zu tun, sondern einer Politik der Obstruktion gegen sie. Ich will es noch deutlicher ausdrücken: Ein Beweis "durch Gorbatschow" ist kein Beweis.

Und 2. aus Gründen der Erklärung der Ereignisse, die die Jahre 1989-91 betrafen, nicht mehr. Sie sind falsch in dem Sinne, die Politik der Konterrevolution im Osten Europas zu erklären.(25) Sie hatten ja den Grund der Politik des Neuen Denkens, und das war eine neue Philosophie, deren Ansatz nicht mehr die Klasse und deren gesellschaftliche Frage war.(26)

Sollen wir aber, und dies 3., dennoch über die Sowjetunion, den Sozialismus sprechen? Absolut, im Sinne der marxistischen, also materialistischen Auffassung von Geschichte ist das absolut notwendig - für die Verteidigung der Sowjetunion, des Sozialismus, Probleme nicht ausgenommen. Und das heißt, nicht ausgenommen auch der Fragen, die konstitutiv für die Begründung einer Sozialismus-Reform waren.

Wegen des nachhaltigen Charakters der inneren Kritik am Sozialismus ist es notwendig, völlig unabhängig der Ereignisse von 1989-91 eine Debatte über die Frage: Was ist wirklich Sozialismus/Kommunismus? zu führen.

Der Marxismus/Leninismus, oder, für sich gesehen, der reale revolutionäre Sozialismus/Kommunismus, muss auch über die Gründe einer Kritik an ihn reden. Das kann auch eine "kommunistische Initiative" sein. Zu beachten ist dabei: Wir müssen nicht doppelt und dreifach "das Ende" verstehen, sondern müssen ein Wiederanfangen verstehen, dessen Bedingungen in diesem "Ende" gegeben sind.

Hermann Jacobs, Berlin


Anmerkungen

(22) Mir ist das besonders aufgefallen bei der Position, die Willi Gerns von der DKP eingenommen hat. Sofern es um den Kapitalismus geht, nimmt er weiterhin eine konsequent sozialistische Position ein, aber sofern es um den Sozialismus der Realität nach geht - ist er offen für jede Kritik bis hin zu dessen Ablehnung. Diese Position - eines allgemeinen Bekenntnisses zum Sozialismus, bei Ablehnung des realen Sozialismus und (!) einer oberflächlichen Kritik an der Politik M.S. Gorbatschows, also diese "Dreieinigkeit" als "Position" - fand Eingang in das 2006-er Programm der DKP.

(23) Ich meine damit selbstverständlich, dass die These vom Zusammenbruch des Sozialismus aufgegeben werden muss - und nicht etwa der historische Fakt der Konterrevolution vernebelt werden darf.

(24) dazu gab es sogar direkte konterrevolutionäre Zusammenarbeit zwischen Sozialismuserneuerern und Imperialisten

(25) Sie sind aber auch an sich falsch. Es gibt keine Indikatoren dafür, dass der Sowjetunion ein ökonomischer Zusammenbruch drohte. Warum es im Sozialismus auch eine Schwächung in den Formen des Wachstums geben kann - und das gab es in der Sowjetunion bzw. den sozialistischen Ländern -, ist auf sozialistische Weise, d.h. aus den Bedingungen und Umständen von Wachstum im Sozialismus überhaupt zu erklären. Es kann ja auch mal ein Ende des Wachstums geben, auch im Sozialismus, und das bedeutet nicht automatisch Zusammenfall des Landes. Steter Gleichstand ist auch ein ökonomischer Zustand, der u.U. einmal aus ganz natürlichen Gründen eintreten kann, und niemand darf dann auf die Idee kommen, sogleich zum Kapitalismus, also einer wieder elitären Klasse zurückzukehren. Soviel Verstand darf man (einst) von den Arbeitern erwarten.

(26) Dies auch der Grund, warum die Konterrevolution von den Konterrevolutionären selbst gar nicht als solche bezeichnet wird, denn der gesellschaftsformatorische Gesichtspunkt ist - in diesem Denken - gegen den "menschheitsformatorischen" ausgewechselt, und in diesem kann der Begriff einer Konterrevolution nicht existieren, weil ein gesellschaftsformatorischer Bezug ausgelöscht wurde. Im Neuen Denken sind/wurden Gesellschaften gleichgestellt! Nur in Bezug auf eine (bestimmte) Politik sind sie nicht gleichgestellt (in diesem Denken). Ob das geschichtlich richtig, ob Menschheitsfragen nicht dennoch im Sozialismus besser aufgehoben sind als im Kapitalismus, es also doch in diesen Fragen um einen Gesellschaftsbezug gehen muß - wird von Marxisten nicht bezweifelt, fand aber nicht mehr die Würdigung der ... letzten Parteiführung der KPdSU.

Raute

BUCHBESPRECHUNG

Lena Bergmann: Gerhard Feldbauer: Wie Italien unter die Räuber fiel. Und die Linke nur schwer mit ihnen fertig wurde.

Ein neues Buch von Gerhard Feldbauer

Anfang November ist in Italien der faschistoide Mediendiktator Silvio Berlusconi gestürzt worden. Seit 1994 konnte mit ihm einer der übelsten Räuber des Kapitals an der Spitze dreier Regierungen über ein Jahrzehnt die Exekutive beherrschen. Da erscheint das Buch Gerhard Feldbauers gerade zur rechten Zeit. Neben verschiedenen Schriften ist es das sechste Buch des Autors über das Mittelmeerland, darunter eine marxistische "Geschichte Italiens - Vom Risorgimento bis heute" (Papyrossa 2008) und auch ein Buch über den deutschen Ratzinger-Papst (Der Heilige Vater. Benedikt XVI. - Ein Papst und seine Tradition (Papyrossa 2010). In seinem neuen Buch begibt sich der Autor auf Spurensuche nach den Ursachen der katastrophalen Niederlage der Kommunisten und der Linken insgesamt bei den Parlamentswahlen 2008. Erstmals in der Nachkriegsgeschichte sind Kommunisten, Linksdemokraten und Grüne seitdem nicht mehr im Parlament vertreten.

In dem "Wo liegen die Wurzeln des Übels" benannten ersten Kapitel heißt es gleich zu Beginn: "Auf der Suche nach Antworten kommt man nicht umhin, sich der wechselvollen Geschichte der kommunistischen Bewegung Italiens zuzuwenden. Dabei stößt man auf die Ausbreitung vielfältiger opportunistischer und revisionistischer Erscheinungen und auf die fehlende Auseinandersetzung mit ihnen." Damit hat Feldbauer den roten Faden geknüpft, der sich durch das ganze Buch zieht. Wie in vergangenen Publikationen legt der Autor auch diesmal wieder neue und oft kaum oder bisher auch gar nicht bekannte Fakten und Ereignisse dar, belegt sie mit einer Fülle von Originalquellen (das ausführliche Literaturverzeichnis dürfte für Historiker und Italo-Studenten eine Fundgrube darstellen), stützt sich auf seine langjährige Arbeit vor Ort und die Begegnungen mit führenden Persönlichkeiten. Lernte er doch, wie dem Vorwort zu entnehmen ist, Luigi Longo persönlich kennen, hatte nicht wenige offizielle Begegnungen mit IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguer, zählte Mitglieder des Zentralkomitees und des Politbüros der Partei zu seinen Freunden, bekennt seine Sympathie und Verehrung für den christdemokratischen Parteiführer Aldo Moro, der - auch das kaum bekannt - von den Revisionisten in der IKP, um in der Regierungsmehrheit verbleiben zu können, schmählich verraten und dem Tod ausgeliefert wurde.

Es beginnt, und auch hier setzt der Verfasser neue Akzente, damit, dass Palmiro Togliatti nach der Niederlage des Faschismus 1945 die klassische revolutionäre Situation nicht nutzte (2. Kapitel: Die ausgefallene Revolution), den parlamentarischen Weg einschlug und dafür noch nicht einmal die kampfbereiten Massen zur revolutionären Flankierung einer antifaschistisch-demokratischen Umwälzung, die einen antimimperialistischen Inhalt erhalten musste, mobilisiert wurden. Bereits hier beginnt der Weg fauler Kompromisse mit dem und der Zugeständnisse an den Klassengegner, von denen man erhoffte, sie würden honoriert, das Gegenteil war immer der Fall.

Der revolutionäre Aufschwung, der Weg zum Sozialismus, den die Länder Osteuropas im Ergebnis des Sieges der UdSSR über den Hitler-Faschismus einschlugen, fand unter den Volksmassen in Italien einen heute kaum noch vorstellbaren Widerhall - dergestalt, dass 1976 bei den Parlamentswahlen 34 Prozent, das waren 12 Millionen Italiener, die IKP wählten. Im Zeichen des so genannten Eurokommunismus gewann jedoch die revisionistische Strömung in der IKP bestimmenden Einfluss. Die Chancen, eine demokratische Wende herbeizuführen und die faschistische Gefahr zu bannen, wurden verspielt. Gegen eine Regierungszusammenarbeit mit der regierenden christdemokratischen Partei unter dem progressiven Reformer Aldo Moro wäre, wie Feldbauer meint, nichts einzuwenden gewesen, wenn kommunistische Identität gewahrt worden wäre. Die IKP sagte sich jedoch unter dem Druck der Rechten vom Leninismus los, anerkannte das bürgerliche Staatsmodell und die kapitalistische Marktwirtschaft. Den Gipfel des Revisionismus erklomm die Partei-Führung, als sie allen Ernstes erklärte, die NATO könnte unter bestimmten Bedingungen (die nicht definiert wurden) der Schutzschild für einen italienischen Weg zum Sozialismus sein. Auch das analysiert Feldbauer sehr exakt und belegt es mit Quellen.

Der so genannte "historische Kompromiss" Berlinguers führte in die Niederlage. Statt einer möglichen demokratischen Wende gab es einen Rechtsruck. Der Einfluss der IKP ging spürbar zurück und führte, da es nicht gelang, den Einfluss der Revisionisten zurückzudrängen, zu ihrem Untergang, der Umwandlung in die Linkspartei (PDS). Diese sich an der deutschen Sozialdemokratie orientierende Partei warf in der weiteren Entwicklung selbst alle progressiven sozialistisch-sozialdemokratischen Traditionen über Bord und schloss sich 1987 mit einer katholischen Zentrumspartei zur heutigen liberalen Demokratischen Partei zusammen. Zu den zu erwähnenden herausragenden Einschätzungen des Autors gehört, dass er ein realistisches Bild Berlinguers darlegt, zu dem er festhält, dass er die Revisionisten zügelte, die erst nach seinem plötzlichen Tod 1984 freie Hand erhielten. Den Weg der Liquidierung der IKP, so Feldbauers Fazit, wäre er nicht gegangen.

Schon drei Jahre nach der Beseitigung der IKP, seit Gramsci der entscheidende Garant des Widerstandes gegen Faschismus und Krieg, konnte die faschistische Putschloge P2 den Mediendiktator Berlusconi an die Regierung hieven, in die er die Faschisten und offenen Rassisten der Lega Nord einbezog. Der Autor vertieft hier schon in früheren Publikationen (Marsch auf Rom - Faschismus und Antifaschismus in Italien, Papyrossa 2002 oder Berlusconi ein neuer Mussolini?, Neue Impulse, 2. Auflage, 2003) vorgelegte Analysen zu neuen Erscheinungsformen des Faschismus der Gegenwart und zeigt ihre Verharmlosung durch die Kommunistische Neugründungspartei (PRC) auf. Unter Berlusconi setzte eine schleichende Faschisierung ein, begann ein bis dahin nicht möglicher Demokratie- und Sozialabbau, der heute schwer wieder umzukehren ist.

Das Buch schließt mit einer fundierten Analyse der Klassenkräftesituation, darunter der Lage der Linken, zu der gehört, dass die Herbeiführung einer Wende nach Links, den Bruch mit dem Opportunismus erfordert und das eine Wiederherstellung der kommunistischen Identität der Parteien, die sich kommunistische nennen, voraussetzt. Die für eine Wende nach links erforderliche Einheit der Linken ist jedoch (noch) "nicht in Sicht", lautet die Schlussfolgerung. Der Autor hebt nicht den Finger, um Lehren hierzulande anzumahnen, auf Schlussfolgerungen zu verweisen. Sie stellen sich, wie der Leser unschwer erkennen wird, von selbst.

Gerhard Feldbauer: Wie Italien unter die Räuber fiel. Und wie die Linke nur schwer mit ihnen fertig wurde.
Papyrossa, Köln 2011. 218 Seiten, ISBN: 978-3-89438-471-5

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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2012