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OSSIETZKY/550: Staatsschutz in Niedersachsen


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 7 vom 4. April 2009

Staatsschutz in Niedersachsen

Von Hartwig Hohnsbein


Der Fall liegt bereits sechs Jahre zurück. Es ging um den Tod einer Frau, die sich einen Tag nach einem Verhör durch die Wolfsburger Polizei das Leben genommen hatte. Die Polizei verschwieg die Sache, doch die Wolfsburger Allgemeine Zeitung erfuhr davon und berichtete darüber. Jetzt drehte die Polizei auf. Gemeinsam mit der für Wolfsburg zuständigen Staatsanwaltschaft ließ sie die Redaktion der Zeitung monatelang bespitzeln, zapfte private Telefonanschlüsse von Journalisten an und legte im eigenen Gebäude eine fingierte Akte als Köder aus, um damit einen ihrer Berufskollegen als vermeintlichen Informanten der Zeitung überführen zu können. Doch die Ermittlungen brachten keinerlei Ergebnis und wurden eingestellt. Eine Redakteurin und ein Polizist erhoben Klage dagegen, die inzwischen bis zum Bundesverfassungsgericht gelangte.

Zunächst hatte das Landgericht Braunschweig die Beschwerde als "unzulässig" verworfen. Der hannoversche Polizeipräsident Uwe Binias und die niedersächsische Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) rechtfertigten in einer Landtagssitzung die Bespitzelung: Polizei und Staatsanwaltschaft hätten geradezu die Pflicht gehabt, so zu ermitteln.

In diesen Tagen ist nun die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bekannt geworden. "Ein Durchsuchungsbefehl hätte nicht erlassen werden dürfen. Die Polizeiaktionen waren rechtswidrig."

Kein Ruhmesblatt für die niedersächsische Obrigkeit - die sich auch früher nicht immer als Garant für Rechtsstaatlichkeit bewährt hat. Daran erinnern zwei Vorgänge, die bundesweit Aufmerksamkeit erregten.

Der erste, übrigens auch in Wolfsburg, führt ins Jahr 1963 zurück, in eine Zeit also, als Konrad Adenauer noch als Kanzler dem westdeutschen Kalter-Krieg-Staat vorstand. Wer damals zu Menschen östlich der Elbe Beziehungen aufnahm oder sich kritisch zur Atompolitik des Kanzlers äußerte, mußte damit rechnen, überwacht oder gar verhaftet und verurteilt zu werden. Genau das traf den damaligen Industriepfarrer in Wolfsburg, Rudolf Dohrmann. Er war dem Verfassungsschutz dadurch aufgefallen, daß er an Demonstrationen gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr teilgenommen hatte und Kriegsdienstverweigerer verteidigte. Durch Besuche in der DDR hatte er sich zudem verdächtig gemacht, "zersetzende Propaganda" vorzubereiten. Das war der Vorwurf, der dazu genügte, gegen ihn ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Dafür gab es zwar "exakt keinen Gesetzesparagraphen" (Die Zeit), doch in dem damaligen bundesrepublikanischen Justizalltag war eine solche Handhabe offensichtlich auch nicht unbedingt vonnöten. Drei Kriminalkommissare führten an einem Maimorgen den Pfarrer aus dem Religionsunterricht ab, hielten ihn zehn Stunden lang isoliert gefangen und beschlagnahmten ein Protokoll, das Beichtgeheimnisse enthielt.

Für solche Maßnahmen sorgte damals immer verläßlich die Staatsanwaltschaft Lüneburg, bei der ein Blutrichter Hitlers, Karl Heinz Ottersbach, für politische Strafsachen zuständig war. Ein Partner am gleichen Ort war Konrad Lenski, früher ebenfalls ein Blutrichter Hitlers, nun als Landgerichtsdirektor tätig. Pfarrer Dohrmann wurde zum Glück von seinen kirchlichen Oberen gestützt, namentlich vom damaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kurt Scharf die Aktion fand dadurch bald ihr Ende. Andere Friedenskämpfer, zumeist Kommunisten, die keine so prominenten Fürsprecher hatten, waren hingegen Ottersbachs Willkürjustiz ausgeliefert und wurden oft zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Ob der damalige Wolfsburger Rechtsbruch von staatlichen Stellen angeregt worden war, blieb bis heute ungeklärt.

Anders war das bei jenem Vorgang, der als "Aktion Feuerzauber" oder als "Celler Loch" unrühmlich in die niedersächsische Rechtsgeschichte eingegangen ist. Er erschütterte 1978 mit einem donnernden Knall die Bundesrepublik, im besonderen die Stadt Celle und hier die Außenmauer der Justizvollzugsanstalt, in die ein Loch gesprengt wurde. Der aufgeschreckten Öffentlichkeit wurde offiziell erzählt, der Anschlag sei ein Befreiungsversuch zugunsten eines in der Anstalt einsitzenden RAF-Mitgliedes gewesen; er beweise die Notwendigkeit schärferen Vorgehens gegen linken Terrorismus. Erst acht Jahre später deckte die Presse auf, wer die wahren Hintermänner des Anschlags waren: nicht die Rote Armee Fraktion, sondern der niedersächsische Verfassungsschutz, die Antiterrortruppe GSG 9, die Anstaltsleitung und die niedersächsische Landesregierung unter Ministerpräsident Ernst Albrecht (Vater der heutigen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen), der die Aktion verteidigte. "Wir mußten die Öffentlichkeit täuschen, um die Terroristen zu täuschen", sagte er in niedersächsischen Landtag und rühmte sich, "im Interesse der wehrhaften Demokratie" gehandelt zu haben.

Für die erste Veröffentlichung dieses Skandals erhielt ein Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung 1986 den "Wächterpreis der deutschen Tagespresse". Der oben zitierte Artikel der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung sollte seiner Autorin eine ähnliche Auszeichnung einbringen.


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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Zwölfter Jahrgang, Nr. 7 vom 4. April 2009, Seite 279 bis 281
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Dr. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Eckart Spoo (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2009