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OSSIETZKY/639: Ein bewährter Freund


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 2 vom 22. Januar 2011

Ein bewährter Freund

Von Ralph Hartmann


Brechend voll war der Saal im Luxushotel Hyatt Regency in Belgrad, als der US-amerikanische Sonderbeauftragte für Jugoslawien, Robert Gelbard, am 22. Februar 1998 nach einem Aufenthalt in Pristina eine Pressekonferenz gab und unter anderem erklärte: "Wir sind tief beunruhigt und verurteilen sehr scharf die durch die terroristischen Aktivitäten der terroristischen Gruppen in Kosovo, insbesondere der UCK, ausgelöste unannehmbare Gewalttätigkeit. Das ist zweifellos eine terroristische Gruppe. Ich kann keine Rechtfertigungen akzeptieren." Diese eindeutige Einschätzung hinderte die USA, die Bundesrepublik Deutschland und andere NATO-Staaten jedoch nicht, die Ushtria Clirimtare e Kosoves (UCK) politisch, finanziell und militärisch zu unterstützen und ihre Anführer, darunter den Kopf der Mafia-Gruppe von Drenica und politischen Chef der sogenannten Befreiungsarmee, Hashim Thaci, international salonfähig zu machen. Exakt ein Jahr nach Gelbards Erklärung leitete Thaci die kosovo-albanische Delegation bei den Scheinverhandlungen von Rambouillet und half der NATO mit seiner kategorischen Weigerung, mit der Belgrader Abordnung auch nur zusammenzutreffen, ein erpresserisches, unannehmbares Ultimatum zu formulieren und damit den Vorwand für den unmittelbar darauf folgenden verbrecherischen Überfall auf Jugoslawien zu schaffen.

Wenige Tage nach Beginn der Aggression ernannte ihn die zur Bodentruppe der NATO-Luftarmada gewordene UCK zum Ministerpräsidenten einer Übergangsregierung, und im Dezember 1999 wurde er, nun schon als Vorsitzender einer eilig gegründeten Demokratischen Partei des Kosovo (PDK), Mitglied des von der UN-Mission im Kosovo (UNMIK) eingerichteten provisorischen Verwaltungsrats. Aus dem Terrorführer war ein enger Verbündeter geworden.

Die NATO hatte ihren verbrecherischen Krieg mit der Lüge von einer angeblich geplanten ethnischen Vertreibung der albanischen Bevölkerung begründet. Ihr Verbündeter Thaci sorgte dafür, Mord und Terror zu verbreiten: 250.000 Serben, Roma und andere Nichtalbaner wurden vertrieben, die Zahl der Serben in der Gebietshauptstadt Pristina von 40.000 auf gerade noch 150 reduziert, die Stadt "judenfrei" gemacht, weit über 100 Klöster und Kirchen zerstört. Zur gleichen Zeit wurde Kosovo zu einem Zentrum des internationalen Drogenhandels und zum Tummelplatz der Organisierten Kriminalität (OK).

Für die Bundesregierung war das alles andere als ein Geheimnis. Im Frühjahr 2005 meldete der Bundesnachrichtendienst in einem vertraulichen Bericht, daß Thaci zu den Schlüsselfiguren eines Netzes mit "engsten Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und international operierenden OK-Strukturen im Kosovo" gehört. Zwei Jahre später wurde in einer im Auftrag der Bundeswehr verfaßten Studie des Institutes für europäische Politik festgestellt, daß im Kosovo engste Verbindungen zwischen führenden politischen Entscheidungsträgern und den dominierenden kriminellen Clans des Gebietes bestehen, die nahezu alle wesentlichen gesellschaftlichen Schlüsselpositionen besetzt halten. Auch hier wurde ausdrücklich auf die besondere Rolle Thacis verwiesen.

Diese Erkenntnisse hinderten weder die NATO daran, die völkerrechtswidrige Abspaltung Kosovos von Serbien voranzutreiben, noch hielten sie die bundesdeutsche Außenpolitik davon ab, ihren Favoriten Thaci weiterhin zu protegieren. Anfang 2006 wurde er als Gast der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung im Auswärtigen Amt zu Geheimgesprächen "zur Planung von Projekten in Kosovo" empfangen. Kurz danach, welch Zufall, begannen unter der Leitung des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari, der "Vermittlungswunderwaffe der UNO", in Wien die Verhandlungen über den künftigen Status Kosovos. Leiter der kosovo-albanischen Delegation war der in diplomatischen und kriminellen Kreisen wohlbekannte Hashim Thaci.

Nach der NATO-Aggression gegen Jugoslawien hatten die Vereinten Nationen die Resolution 1244 verabschiedet, in der die "Anerkennung der Souveränität und territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien" festgeschrieben war. Als unter Bruch dieser Resolution und grundlegender Normen des Völkerrechts das südserbische Gebiet in die "überwachte Unabhängigkeit" entlassen wurde, stieg Thaci zum Ministerpräsidenten Kosovos und damit zu einer wichtigen Stütze des NATO-Protektorates auf. Nun konnte er sich bei offiziellen Treffen mit den NATO-Größen wie George W. Bush, Hillary Clinton, Nicolas Sarkozy oder Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn ablichten lassen. Die Berliner Spitzenpolitiker vermieden, wenn es irgendwie ging, gemeinsame Fototermine, was den deutschen Einfluß in dem halbsouveränen neuen Balkanstaat keinesfalls minderte. Stolz teilte das Auswärtige Amt im Herbst 2010 mit: "Die bilateralen Beziehungen sind vielfältig und gut ... Deutschland gilt als einer der privilegierten Partner Kosovos, der das Land in seinem Bestreben nach Integration in die euro-atlantischen Strukturen nachhaltig unterstützt. Regelmäßige Besuche von Mitgliedern der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages in Pristina unterstreichen die Bedeutung, die Deutschland der Entwicklung des Landes auch als Faktor für die Stabilität der gesamten Region beimißt."

Trotz seiner Verwicklung in die Organisierte Kriminalität bleibt Ministerpräsident Thaci ein wichtiger Bundesgenosse. Der Zweck heiligt den Verbündeten, und der Zweck selbst ist heilig. Ist Kosovo doch mit seinen reichen Vorkommen an Braunkohle, Blei, Zink, Chrom, Nickel, Silber und Gold sowie seiner geostrategischen Lage im Herzen des Balkans schon lange ein Objekt imperialistischer Begierde. Für diese Kriegsbeute ist der bisherige Ministerpräsident und nach massiven Wahlmanipulationen wieder ans Regierungsruder drängende Thaci eine überaus wertvolle Stütze.

Und nun ausgerechnet das: Vor und nach der NATO-Aggression soll der UCK-Führer nicht nur für groß angelegten Kokainhandel, für politische Morde, Korruption in riesigem Stil, sondern auch für den Handel mit Organen verschleppter Serben, Roma und einiger mißliebiger Albaner verantwortlich gewesen sein. Diese schweren Beschuldigungen erhebt der Sonderberichterstatter des Europarates, der frühere Schweizer Staatsanwalt Dick Marty, nach zweijährigen Untersuchungen, die sich unter anderem auf Erkenntnisse des US-amerikanischen FBI stützen. Auf die Spur der Organhändler wurde Marty ausgerechnet von der Serbenhasserin Carla del Ponte, der ehemaligen Chefanklägerin des Haager Jugoslawientribunals, gebracht. Diese hatte in ihrem 2008 erschienenen Memoiren unter Berufung auf "glaubwürdige Aussagen von Augenzeugen" enthüllt, daß 300 serbische Gefangene zum Zweck der gewaltsamen Organentnahme in sechs Geheimgefängnisse in Albanien verschleppt worden waren. An weiteren Untersuchungen dieser Verbrechen sei sie jedoch gehindert worden. Eine auf den ersten Blick verblüffende Behauptung. Durch den Bericht Martys wird sie plausibel, denn darin wird festgestellt, daß die USA und die EU von diesen Verbrechen Thacis und seiner Kumpane gewußt, aber aus Sorge um die Stabilität des Kosovo nichts unternommen haben.

Als es darum ging, Serbien zu destabilisieren und seinen Präsidenten, den Vorsitzenden der Sozialistischen Partei, Slobodan Milosevic, zu kriminalisieren, war dem Jugoslawientribunal und Carla del Ponte alles erlaubt: Unsummen an Dollars zu verschleudern, Hunderte von unglaubwürdigen Zeugen aufzubieten, den Angeklagten zu kidnappen und schließlich durch die Verweigerung dringender medizinischer Hilfe vor fünf Jahren umzubringen. Und was geschah bisher im Falle Thacis? Wo bleiben die Ermittlungsbeamten und Staatsanwälte, die sorgfältig aufklären, nach Überlebenden und Augenzeugen suchen und den schlimmster Verbrechen Beschuldigten vor das Haager Tribunal bringen? Bisher ist davon nichts zu hören, denn verhaßte Gegner müssen vernichtet, aber bewährte Freunde geschützt werden - solange es geht.


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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Vierzehnter Jahrgang, Nr. 2 vom 22. Oktober 2011, Seite
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Eckart Spoo (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2011