Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

OSSIETZKY/829: Ein totgeschwiegenes Dementi


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 23 vom 8. November 2014

Ein totgeschwiegenes Dementi

Von Ralph Hartmann



Endlich wissen wir, wer am 17. Juli die malaysische Boeing über dem Bürgerkriegsgebiet in der Ostukraine abgeschossen hat und für den Tod der 298 Insassen verantwortlich ist. Unser fabelhafter Geheimdienst hat es aufgedeckt, und kein Geringerer als sein Chef, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler, hat darüber am 8. Oktober das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages höchst vertraulich informiert. Doch nichts ist so geheim daß es das Hamburger Nachrichtenmagazin Spiegel nicht in Erfahrung bringt und alsbald der Öffentlichkeit mitteilt. Nach diesen Informationen hat der BND-Präsident, gestützt auf eine "detaillierte Analyse" und "umfangreiche Belege", nachgewiesen, daß prorussische Separatisten auf einem ukrainischen Militärstützpunkt ein Buk-Luftabwehrraketensystem erbeutet hatten und damit die Boeing 777 der Malaysia Airlines mit der Flugnummer MH 17 in der Nähe der Großstadt Donezk abschossen.

Kaum hatte der Spiegel diese sensationelle Nachricht publik gemacht, stürzten sich die meinungsmachenden Medien darauf, um die Öffentlichkeit über die furchtbare Missetat der prorussischen Kräfte zu unterrichten. Allen voran schlug, wie nicht anders zu erwarten, Springers Kampfblatt Bild zu und informierte unter der in Riesenlettern gedruckten Schlagzeile: "BND sicher: Es waren Putins Schergen!" Im Text prangerte das Blatt dann nicht nur die Separatisten in der Ostukraine, sondern ganz nebenbei auch die russische Regierung an: "Schon unmittelbar nach der Tragödie gab es Mutmaßungen über einen Abschuß durch prorussische Milizen. Seitdem beschuldigen sich die russische und die ukrainische Regierung gegenseitig, für den Absturz verantwortlich zu sein. Der BND legt sich jetzt fest: Russische Darstellungen, wonach die Rakete von ukrainischen Soldaten abgefeuert wurde und ein ukrainischer Jagdbomber in der Nähe der Passagiermaschine geflogen sei, seien falsch. 'Es waren prorussische Separatisten', zitierte der Spiegel aus dem Vortrag des BND-Chefs."

So wie Bild informierten auch die "seriösen Blätter", wenn auch weniger reißerisch aufgemacht, aber bemerkenswert unisono, über die Untat der prorussischen Kräfte. Während die Frankfurter Allgemeine titelte "BND: Prorussische Separatisten schossen Passagiermaschine ab", überschrieb die Frankfurter Rundschau: "BND: Prorussische Separatisten schossen Flugzeug ab". Und das Handelsblatt informierte unter der Schlagzeile: "BND: Prorussische Separatisten schossen MH17 ab". Über die Reaktion der beschuldigten prorussischen Kräfte berichteten die bundesdeutschen Medien, wenn überhaupt, nur am Rande. Dabei hatten deren führende Vertreter unmittelbar nach der Spiegel-Veröffentlichung die Schuldzuweisung für den Abschuß der malaysischen Passagiermaschine energisch zurückgewiesen und unterstrichen, daß das angeblich erbeutete und zum Abschuß genutzte Luftabwehrsystem "Buk" höchst kompliziert sei und die Kämpfer in ihren Reihen nicht die nötigen ausgebildeten Spezialisten hätten. Erhärtet wurde diese Darstellung durch den Moskauer Militärexperten Igor Korotschenko, der in einem Interview mit dem Fernsehsender Rossija 1 feststellte: "Ein Bergarbeiter, der mühsam das Handhaben einer Kalaschnikow erlernt hat, kann das technisch komplizierte Buk-System kaum bedienen. Offiziere werden für die Betreuung solcher Raketenkomplexe fünf Jahre ausgebildet." (Übersetzung: ria novosti)

Diese und andere Einwände gegen die Darstellung des BND suchte man in der bundesdeutschen Medienwelt vergeblich. Weshalb sollte man auch über die Reaktion der schuldbeladenen Russen informieren? Es genügte doch die Meldung, daß der BND die Schuldigen am schrecklichen Geschehen, die prorussischen Separatisten, ausgemacht hat.

Bedauerlicherweise gab es zum BND-Bericht noch ein anderes, für die an Russophobie Leidenden nicht gerade erfreuliches Dementi, und das ausgerechnet von den Freunden in Kiew, genauer vom Kommando der ukrainischen Luftstreitkräfte. Veröffentlicht wurde es auf der Website des ukrainischen Verteidigungsministeriums: "Das Kommando der Luftstreitkräfte der Ukraine erklärt offiziell, daß die Informationen, laut denen die Terroristen das Luftabwehrraketensystem Buk M1 von einem Truppenteil der ukrainischen Luftstreitkräfte erbeutet haben, nicht stimmen. Das Personal, die Technik und die Waffen des Fla-Raketenregiments, das im Gebiet Donezk stationiert war, waren bereits am 29. Juni 2014 auf Beschluß des Luftwaffenchefs der Ukraine zur Erfüllung von Aufgaben in andere Regionen verlegt worden. Als die Terroristen das Gelände des Truppenteils betraten, war dort nur noch veraltete und betriebsunfähige Automobiltechnik vorhanden." (Übersetzung: ria novosti)

Dieses Dementi, das die Falschmeldungen und den ganzen Hokuspokus des Bundesnachrichtendienstes und der ihm dankbar und brav folgenden Medien ins Reich der Phantasie beförderte, wurde totgeschwiegen; sowohl vom BND als auch von Presse, Funk und Fernsehen. Frei nach dem Motto: Nur Dumme gestehen ihre Lügen ein, kluge Lügner schweigen.

*

Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Siebzehnter Jahrgang, Nr. 23 vom 8. November 2014, S. 787-788
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Dr. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Katrin Kusche (verantw.), Eckart Spoo,
Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin
Tel. 030/44 717 309, Fax 030/44 717 451
E-Mail: redaktion@ossietzky.net
Internet: www.ossietzky.net oder www.sopos.org/ossietzky
 
Ossietzky erscheint zweiwöchentlich.
Einzelheft 2,80 Euro, Jahresabo 58,- Euro
(Ausland 94,- Euro) für 25 Hefte frei Haus.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2014