Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

ROTFUCHS/094: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 140 - September 2009


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

12. Jahrgang, Nr. 140, September 2009



Inhalt
Angie an der Strippe
Nordhorn-Range und Siegenburg müssen weg!
Imaginärer Held einer großen Tat
Saatkörner
Russische Weisheiten
"Prüfet aber alles, und das Gute behaltet"
Teppichbombardement mit Lügen
Brot und Spiele
SPD: Röhrender Sechsender im Herbstwald
Der Cartoonist Heinz Herresbach
Die Waffen des Albert Nußbaum
Exporteure des Todes
Vom Sturmbann zum Frontbann
Brief aus Karlsruhe
Braunschweiger Ammenmärchen
Eisenacher Grotesken
Offizier in der Matrosenbluse
Eingetroffene Prognosen
RF-Extra Ist Kunst nur etwas für elitäre Ästheten?
RF-Extra Ein 17jähriger vom Bodensee begegnet Kuba
Wie der BND die internationale Entwicklung beurteilt
Uiguren als Schachfiguren
Beijings erste Marssonde vor dem Start
Brasilien: Landlose geben nicht auf
Castros beispielhafte Agrarreform
Bacardi - Rum-Marke oder Räuberbande?
Grenada: Flughafen Maurice Bishop
Honduras: Der Putsch gegen Zelaya
Grönland: Linksregierung in Nuuk
Jemen: Die VDRJ ist unvergessen
Walter Lauche: Spuren der Verwüstung
Iran: Heterogene Widerstandsfront
Eigenbedarf
Ehrenmitglied der Dakota
Archie: Keine Referenzen an den Geßler-Hut
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Vergebliche Tarnung

Nur wenige Wochen vor jenem Tag, an dem Hindenburg den Hitler-Banden die politische Macht auslieferte - als "letztes Aufgebot" der Weimarer Republik - wurde ich in Berlin geboren. So habe ich faschistischen und rassistischen Terror, angstvolle Nächte in Luftschutzkellern und von Bomben getroffenen Häusern, auch gefährliche Tieffliegerangriffe als Kind miterlebt.

Vor 70 Jahren, am 1. September 1939, begann das große Menschenabschlachten, das man Krieg nennt, wie bereits 1914 mit einer Lüge: dem durch die SS ausgerichteten "Überfall auf den Reichssender Gleiwitz". Ein Himmelfahrtskommando in polnische Uniformen gesteckter KZ-Häftlinge, das noch an Ort und Stelle von Himmlers Schergen niedergemäht wurde, bildete die grausige Komparserie für das in die Geschichte eingegangene Bubenstück.

Der "Affäre Gleiwitz", die Hitler als Anlaß zum unverzüglichen Losschlagen gegen Polen hatte in Szene setzen lassen, waren bereits die Niederwerfung der Spanischen Republik durch deutsche und italienische Legionäre, der Nazi-Einmarsch in Österreich und die Annexion der Tschechoslowakei vorausgegangen. Alle drei Aggressionen wurden von der bürgerlichen Geschichtsschreibung nicht zum Zweiten Weltkrieg gerechnet, obwohl sie dessen Bestandteile bildeten. Stets dienten obskure Vorwände als Auslöser der Amokläufe Nazi-Deutschlands.

"Gleiwitz", mit dem die Hitlerfaschisten den größten Völkermord der Neuzeit einleiteten, wurde 1946 vom Nürnberger Hauptkriegsverbrechertribunal als Anschlag auf das Völkerrecht gebrandmarkt.

Dennoch ist dieses "Design" bis auf den heutigen Tag in Mode. An Nachahmern fehlt es nicht.

Erinnert sei nur an den "Zwischenfall im Golf von Tonking", der 1964 durch das Pentagon in Auftrag gegeben und von der U.S. Navy ausgeführt wurde. Es handelte sich um die angebliche Torpedoattacke von Küstenschutzbooten der DRV auf zwei in der Region operierende US-Zerstörer. Der frei erfundene Zusammenprall war das Signal für erste massive Bombenschläge gegen Küstenorte Nordvietnams.

Nicht anders verhielt es sich, als Washington Irak zu überfallen beschloß. US-Außenminister Colin Powell präsentierte dem UN-Sicherheitsrat Satellitenfotos vermeintlicher Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins. Der Schwindel flog unmittelbar nach Erteilung des Angriffsbefehls auf, und selbst Bush sah sich angesichts der erdrückenden Fälschungsbeweise schließlich zu einem halbherzigen Dementi gezwungen.

Und wie steht es mit der den Afghanen durch NATO-Staaten zuteil werdenden "Aufbauhilfe"? Den Heuchlern geht es allein um strategische Interessen des nordatlantischen Kriegspaktes. Nur deshalb ist die auf dem Petersberg bei Bonn zusammengestellte "afghanische Regierung" unter "Präsident" Karsai installiert worden.

Zum Reich weitgehend der Phantasie entstiegener Anlässe fürs Kriegführen unter NATO-Flagge zählt sicher auch die wackere Piratenjagd bundesdeutscher Fregatten in den durch westliche Fangflotten leergefischten Gewässern am Horn von Afrika.

Auf besonders faustdicken Lügen fußte die 1999 vom Schröder-Fischer-Kabinett an der Seite der USA und unter dem Dach der NATO begonnene Aggression gegen Jugoslawien. Die Blutspur imperialistischer Untaten reicht hier von den Massenerschießungen gefangener Kämpfer und ziviler Helfer der Partisanenarmee Titos durch die deutschen Faschisten über die Bombardierung der Brücke von Varvarin durch die NATO unter Einschluß der BRD-Luftwaffe bis zum ungeklärten Ende Slobodan Milosevics in einer Haager Gefängniszelle.

All das dürfte den salbungsvollen Jubiläumsreden jener kaum zu entnehmen sein, welche nicht nur Korea, Vietnam, Jugoslawien, Irak und Afghanistan auf dem Gewissen haben. Sie "gedenken" jetzt mit Kreide in der Kehle, mehlbestäubten Pranken und Krokodilstränen geheuchelter Pietät des "Kriegsausbruchs" vor 70 Jahren. Gedämpfter Trommelschlag ist angesagt, wie bei der feierlichen Bestattung der drei zuletzt in Afghanistan gefallenen Bundeswehrsoldaten aus dem ostdeutschen Rekrutierungsraum. Er wolle das Wort "Krieg" nicht in den Mund nehmen, sagte Merkels Kriegsminister Jung. Am Hindukusch lasse er nur "gezwungenermaßen" mit Mörsern und aus Panzern auf Afghanen feuern. Vergebliche Tarnung!

Friedensheuchelei ist die Verhaltensnorm des Kriegskabinetts der vielfarbig bejackten Kanzlerin. Auch fromme Sprüche und heilige Eide, das Gegenteil dessen zu wollen, was man gerade tut, gehören dazu. So knüpft man fast lückenlos an andere "große Kapitel deutscher Geschichte" an.

Wir sind wieder wer! verkünden die Großmäuler der alten und neuen Großmacht. "Wir sind Papst", multiplizierte das Massenverdummungsorgan "Bild" sogar den Heiligen Vater. Um die Wette lügen ist unter Imperialisten inzwischen ein Volkssport. "Gleiwitz" hat Schule gemacht.

Klaus Steiniger

Raute

Fiktives Telefonat mit einer politischen Jackenwechslerin

Angie an der Strippe

- Guten Tag, Frau Bundeskanzlerin, hier spricht Edda Templin. Sie kennen mich vom Hörensagen als Mutter Ihrer Kollegin Gloria Templin an der Akademie der Wissenschaften in den 80er Jahren.

- Ich erinnere mich an Gloria, sie war eine angenehme Kollegin, aber woher haben Sie meine Nummer?

- Vom BND, ein Freund arbeitet dort.

- Das ist ja ein Ding! Wie ist das möglich?

- Dazu weiß ich nichts, darüber kann Herr Schäuble sicher mehr sagen. Ich traue mich Sie anzurufen, weil der amerikanische Präsident Ihre Klugheit und Ihren Sinn fürs Praktische gelobt hat.

- Ja, das hat er, aber bitte fassen Sie sich nun kurz.

- Frau Bundeskanzlerin, ich freue mich sehr und möchte Ihnen danken für den Bescheid zur Rentenerhöhung.

- Nun, das war an der Zeit.

- Leider muß ich Ihnen mitteilen, daß mit gleicher Post die Ablehnung auf meinen Widerspruch aus dem Jahr 2003 kam. Darin hatte ich mich gegen die Ungleichbehandlung von Ost- und Westrentnern ausgesprochen.

- Nun, liebe Frau Templin, das wird auch noch geändert werden. Seien Sie geduldig!

- Das geht nicht, ich bin 85 Jahre alt und möchte noch etwas davon haben. Und im Gegensatz zu Obama, der gesagt hat, daß er Ihnen sehr traut, traue ich Ihnen nicht.

- Nanu, warum denn nicht?

- Das hat Ihnen schon der Berliner Finanzsenator Nußbaum gesagt: Sie wollten entweder das Land bewußt ruinieren oder verstünden nichts von Zahlen. Da er davon nicht ausgehe, würden Sie wohl die Wahrheit bis nach den Wahlen zurückhalten.

- Eine ziemliche Unverschämtheit!

- Nein gar nicht, und legen Sie jetzt bitte nicht auf, sonst könnte die Welt erfahren, wie Sie schon immer Wahrheiten zu Ihren Gunsten verbogen haben. Günter Grass konnten Sie im Interview vielleicht weismachen, Ihre Tätigkeit als Sekretär für Agitation und Propaganda bei der FDJ Kreisleitung der Akademie der Wissenschaften sei Kulturarbeit gewesen.

- Na hör'n Sie mal!

- Nein, Sie und ich als gelernte DDR-Bürger wissen, daß das gelogen war.

- Ja, aber ...

- ... und genauso wissen Sie und ich, daß die angekündigten Steuervergünstigungen für irgendwann Luftnummern, Wahlspeck sind.

- Jetzt sind Sie aber unsachlich!

- Ich? Da muß ich lachen. Aber ich versichere Ihnen, meine Stimme haben Sie, sobald Sie per Gesetz verabschiedet haben: Rentengleichheit in Ost und West.

Tut, tut, tut ...

Edda Winkel, Hönow

Raute

Nordhorn-Range und Siegenburg müssen weg!

Das war schon ein toller Erfolg für die Bürgerinitiative "Freie Heide"! Jahrzehntelang haben die Menschen in der Region um Wittstock gegen die Übernahme des sogenannten Bombodroms durch die Bundeswehr gekämpft. Nachdem Kriegsminister Jung vorher schon Hunderttausende von Euros für die juristische Auseinandersetzung um den Schießplatz versemmelt hat, mußte er jetzt klein beigeben und auf weitere rechtliche Schritte verzichten. In Wittstock knallen ab sofort ganz sicher nur noch die Sektkorken.

Jetzt ist natürlich in der Grafschaft und im Emsland die Not groß. Hatte man doch über Jahre und Jahrzehnte nach dem Motto "Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an!" darauf gehofft, daß eine Übernahme des Bombodroms hier vor Ort zu einer Entlastung oder sogar einer Schließung der Range führt. Aber: leider gekniffen! Kriegsminister Jung stellte sofort klar, daß die Bundeswehr auf keinen Fall auf den weiteren Übungsbetrieb in Nordhorn und Siegenburg verzichten kann. Sofort rücken die hiesigen Kommunalpolitiker in den Mittelpunkt des Interesses. Der Nordhorner Bürgermeister konnte sich vor Interviewanfragen z. B. der Tagesschau, diverser Rundfunksender, der "Frankfurter Rundschau" und vieler anderer Medien gar nicht retten. Jetzt müßte man glauben, daß in der Region eine Lawine an Protest losbricht, die auch in Berlin deutlich zu sehen und zu hören ist. Dem ist leider nicht so. Die Menschen hier sind einfach schon viel zu oft enttäuscht worden. Politiker aller Bundestagsparteien haben versprochen, daß die Range bald geschlossen wird. Gehalten haben sie nichts. Ob Gerhard Schröder, Christian Wulff und wie sie alle heißen, sie sind immer wieder vor den Militärs eingeknickt. Deren Lobby hat funktioniert und funktioniert auch weiter. Die gleichen Politiker, die hier von der Schließung der Range reden, stimmen im Bundestag für die Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan.

Das war in Wittstock anders. Da haben vom Lärmgegner über den Friedensaktivisten bis hin zur dortigen Wirtschaft alle an einem Strang gezogen - und schließlich gewonnen! Dabei befinden sich dort keine Atomkraftwerke oder Chemiefabriken in der unmittelbaren Flugzone! Es kann hier nur heißen, daß die Range und auch Siegenburg jetzt sofort geschlossen werden. Die Bevölkerung braucht keine Tiefflüge, sie braucht keine Auslandeinsätze der Bundeswehr, sie braucht Ruhe und Frieden im wahrsten Sinne des Wortes. Und wenn Jung, seine CDU, aber auch große Teile der SPD das nicht kapieren, dann brauchen sie ordentlich Zunder! Und das nicht erst am Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern sofort!

Aus "Die Rote Spindel"
Kreiszeitung der DKP Nordhorn

Raute

Welcher Sowjetsoldat inspirierte den Schöpfer des Treptower Ehrenmals?

Imaginärer Held einer großen Tat

Vor zehn Jahren wurde ein Gedenkstein abgebaut und in ein unbekanntes Depot verbracht. Er trug die Inschrift:

"Trifon Andrejewitsch Lukjanowitsch, Obersergeant der sowjetischen Armee, rettete an dieser Stelle am 29. April 1945 ein deutsches Kind vor dem Beschuß durch die SS. Fünf Tage später nach der Heldentat starb er an den schweren Verletzungen. Ehre und Ruhm seinem Andenken."

Dieser Stein wurde 1976 eingeweiht. Er befand sich gegenüber dem S-Bahnhof Treptow, Elsenstraße/Ecke Puschkinallee. Am 29. April 1945 gab es in diesem Bereich allerdings keinerlei Kampfhandlungen mehr! Mit der Entfernung des Gedenksteines hatte es also seine Richtigkeit.

Der Oberbefehlshaber der 1. Belorussischen Front, Marschall der Sowjetunion Shukow, gab allen Armeen seiner Front, die die erste Staffel bildeten, den Befehl, gleichzeitig auf Berlin vorzustoßen.

Am 22. April standen Truppen der Roten Armee unweit von Treptow, unterhalb des Rummelsburger Sees, gegenüber vom Plänterwald war das Übersetzen der angreifenden sowjetischen Divisionen über die hier etwa 200 Meter breite Spree vorgesehen. An drei Übersetzstellen erfolgte der Angriff in der Nacht vom 23. zum 24. April. Bis zum 25. April waren der Treptower Park, der Plänterwald und die Gegend um den S-Bahnhof Treptow feindfrei. Die letzten Tage des verbrecherischen Nazi-Regimes waren angebrochen. Am 27. April verlegte Generaloberst Tschuikow seinen Gefechtsstand nach Kreuzberg, Mehringdamm/Ecke Schulenburgring. Dort unterzeichnete der "Kampfkommandant von Berlin", General Weitling, am 2. Mai 1945 die Kapitulation für die Hauptstadt.

Den Befehl dazu hatte der deutsche Antifaschist und Leutnant der Roten Armee Stefan Doernberg auf einer Reiseschreibmaschine getippt. Hierher war in den frühen Morgenstunden des 1. Mai auch der letzte Generalstabschef des deutschen Heeres, General Krebs, gebracht worden. Er wollte über einen Waffenstillstand verhandeln. Erfolglos mußte er gehen. Kurze Zeit später erschoß er sich im Führerbunker.

Während des militärischen Finales in Berlin sind der Nachwelt zwei Ereignisse überliefert, welche später die Gestaltung des sowjetischen Ehrenmals in Treptow nachhaltig beeinflußten.

Der Fahnenträger des 220. Gardeschützenregiments der 79. Gardeschützendivision der Armee Tschuikows, Gardesergeant Massalow, hielt sich am 30. April in der Nähe des Landwehrkanals unweit der Potsdamer Brücke auf. Hier wartete sein Regiment auf den Angriffsbefehl. In der Phase der "Ruhe vor dem Sturm" war ein schwaches Kinderweinen zu hören. Massalow übergab die Regimentsfahne einem Kameraden und erbot sich, das Kind zu holen. Trotz des Beschusses gelang es ihm, zu dem kleinen Mädchen vorzudringen, das neben der toten Mutter lag, und es an sich zu nehmen. Als er mit dem Kind im Arm die steile Uferbefestigung erklomm, begann der sowjetische Angriff. Tausende Geschütze und Granatwerfer feuerten los. In diesem Inferno lief Massalow mit der Dreijährigen aus der Feuerzone zur rettenden Deckung.

Als in den Jahren 1945 bis 1949 das sowjetische Ehrenmal in Treptow erbaut wurde, suchte der Bildhauer Jewgeni Wutschetitsch eine künstlerische Eingebung für die Gestaltung des über 11 Meter hohen Sowjetsoldaten. Er fand sie in den Handlungsweisen von Massalow und Lukjanowitsch. Deren Taten sind in der Figur des Sowjetsoldaten nachempfunden, der ein Kind schützend in den Armen hält.

Nikolai Iwanowitsch Massalow (1921-2001) wurde 1965 Ehrenbürger der Hauptstadt der DDR. Im Jahre 2003 brachte man an der Potsdamer Brücke gegenüber der Neuen Nationalgalerie eine Gedenktafel für ihn an.

Bis heute ist die Identität von Lukjanowitsch nicht nachweisbar. Die Person taucht in einer Kriegsreportage mit dem Titel: "Frontlinie Eisenstraße" auf. Hier wird ein Ereignis beschrieben, das sich am 29. April zutrug. Fest steht allerdings, daß sich dieses Geschehen nicht in der Elsenstraße in Treptow vollzog.

Urheber dieser Reportage war Boris Polewoi, Kriegsberichterstatter der "Prawda" bei der 1. Ukrainischen Front, deren Oberbefehlshaber Marschall der Sowjetunion Konew war. Warum später die "Eisenstraße" in "Elsenstraße" umgedeutet und das Ganze einfach in den Bereich der 1. Belorussischen Front verlegt wurde, ist schwer nachzuvollziehen. Militärische Abläufe und Handlungen der letzten Kriegstage in Berlin wurden dabei jedenfalls nicht in Betracht gezogen.

Boris Polewoi war am 29. April 1945 auf dem Weg vom Frontstab der 1. Ukrainischen Front, der sich damals in der Nähe von Lübben befand, zur vordersten Frontlinie in Berlin. Er wollte eine Reportage über die letzten Stunden des Hitlerregimes und über die erbitterten Straßenkämpfe für die Festtagsausgabe der "Prawda" zum 1. Mai schreiben.

Polewoi war in Begleitung von zwei Gardesoldaten, die im Frontstab Orden für die Gefangennahme eines hohen deutschen Offiziers verliehen bekommen hatten. Mit ihnen erreichte er die Frontlinie, wo die Reste ihrer Sturmabteilung, die schon stark dezimiert war, gegen eine ebenfalls ausgeblutete SS-Einheit kämpften. Beide Seiten trennte eine Straße, deren Fahrbahnen ein baumbestandener Mittelstreifen teilte. Hier befand sich eine Ruine. Bei dieser lag eine tote Frau, neben ihr hockte ein lockenköpfiges Mädchen, nicht älter als drei Jahre. Das leise Weinen des Kindes war zu hören. Das Kind retten zu wollen, hieß in den sicheren Tod zu gehen.

Ein hochgewachsener blonder Soldat, einer der Begleiter Polewois, der sich von den anderen durch seine Paradeuniform und den Orden sowie Medaillen an der Brust abhob, schwang sich über die Deckung, warf sich auf den zerschossenen Asphalt und robbte zu dem Mädchen. Eigenartig, keine Seite schoß. Die Waffen schwiegen. Der Soldat erreichte das Mädchen, drückte es an sich und kroch, es mit einer Hand umklammernd, zur scheinbar sicheren und schützenden Deckung zurück. Er richtete sich auf. In diesem Moment löste sich auf der anderen Seite ein Schuß. Ein einziger nur. Der Soldat schwankte, glitt mit dem Mädchen im Arm in die Deckung, Kameraden griffen nach ihm und dem Kind. Schwerverwundet verlor er die Besinnung.

So die Darstellung des schweigsamen Soldaten Lukjanowitsch durch Polewoi.

Am gleichen Tag ließ der spätere Schriftsteller seine Korrespondenz über das Militärtelegrafenamt nach Moskau durchgeben.

Er nannte sie "Frontlinie Eisenstraße". Wo aber war der Ort, an dem dieses geschah? Gab es dort überhaupt eine "Eisenstraße", oder war die Titelbezeichnung eine spontane Eingebung des Autors?

Als Polewoi am 29. April mit den beiden Gardesoldaten unterwegs war, stießen die drei Männer in Wilmersdorf im Bereich der Eisenzahnstraße auf ihre neue Frontlinie. Nach Konews Angaben fanden zu dieser Zeit im südwestlichen Teil Schönebergs und Wilmersdorfs erbitterte Straßenkämpfe statt. Die Eisenzahnstraße ist offensichtlich der Namensgeber für Polewois Reportage gewesen.

In der Erstfassung, die er für die "Prawda" schrieb, wurde der Name Lukjanowitsch nicht genannt, sondern ein anderer. Erst in seinem Buch "Berlin 896 Kilometer" bezeichnet Polewoi seinen Helden in dieser Weise.

Es ist davon auszugehen, daß er einen wahren Sachverhalt geschildert hat, sein Protagonist aber symbolischer Natur ist.

Der unbekannte Soldat - Polewoi gab ihm den Namen Lukjanowitsch - findet in der Figur des Treptower Ehrenmals ebenfalls seine Würdigung.

Helmut Wagner

Unser Autor schrieb das Buch "Schöne Grüße aus Pullach" (Operationen des BND gegen die DDR).

Raute

Kindheitserlebnisse mit "Amis" und "Russen"

Saatkörner

Helmuth Hellges Beitrag "Wie mir Omis Weltbild Denkanstöße vermittelte" (RF 137) hat eigene Erinnerungen in mir wachgerufen.

Nicht nur Angehörige nehmen gewollt oder ungewollt Einfluß auf die Bewußtseinsbildung eines Kindes, sondern auch dessen eigene Erlebnisse sind Anstöße für die Entwicklung eines politischen Standpunktes. 1936 geboren, kam ich 1942 in Berlin zur Schule. Mit Erfolg brachte uns der Lehrer den "deutschen Standpunkt" gegenüber den Völkern im Osten bei. Begriffe wie "Bolschewisten" oder "russische Untermenschen" waren schon uns Erstkläßlern bekannt.

1944 zog meine Mutter mit uns drei Geschwistern wegen der Bombenangriffe zu den Großeltern ins Vogtland. Im Sommer jenes Jahres zitierte mich der dortige Lehrer als schlechtes Beispiel vor die Klasse, weil ich nicht barfuß oder in Holzpantinen, sondern mit Lederschuhen zur Schule gekommen war. "Während unsere tapferen Soldaten an der Ostfront kämpfen, kommt man bei warmem Wetter nicht in solchen Schuhen zum Unterricht, sondern spendet sie dem 'Winterhilfswerk'", herrschte er mich an.

Im Frühjahr 1945 erschienen dann plötzlich die Amerikaner in Siebenhitz bei Falkenstein. Sie richteten in der Gaststätte, die dem Haus meiner Großeltern gegenüberlag, eine Offizierskantine ein. Durchaus noch verwertbare Reste aus der Küche wurden in eine Grube neben dem Lokal geworfen. Wir versuchten, einiges zu retten und zum Verzehr mit nach Hause zu nehmen, wobei uns die "Amis" immer wieder verjagten. Schließlich wurden die Abfälle von ihnen mit Benzin übergossen und verbrannt. Das brachte der Besatzungsmacht bei uns Kindern keine Sympathie ein.

Wie zwischen den Alliierten vereinbart, zogen sich die Amerikaner im Mai/Juni 1945 aus Sachsen zurück. Die Rote Armee rückte ein. Nun sahen wir erstmals die "bolschewistischen Untermenschen" und hatten Angst vor ihnen. Doch die Soldaten waren freundlich. Sie winkten uns von ihren Panjewagen zu. Schon allein die vielen Pferde veranlaßten uns, Kontakt zu den Wachtposten aufzunehmen. Diese gaben uns Brot und ließen uns aus ihren Kochgeschirren essen. Wir durften sogar reiten. So baute sich Sympathie zu den Rotarmisten auf. Noch im Herbst des ersten Friedensjahres kehrten wir mit der Mutter nach Berlin-Neukölln zurück. Auch der Vater tauchte aus englischer Gefangenschaft wieder auf. Da wir aber in Lindow bei Bernau noch ein Grundstück besaßen, verbrachten wir die Sommermonate dort. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich das einstige Heeresbekleidungsamt, das nun von den "Russen" als Kaserne genutzt wurde.

1948 stellte uns die Währungsreform vor eine Entscheidung: Neukölln oder Lindow? Wir Kinder wollten aufs Land. Dort blieb es nicht aus, daß sowjetische Offiziere im Dorf einkauften. So entwickelten sich Kontakte zwischen ihnen und der örtlichen Bevölkerung. Eines Abends hatten wir wieder einmal sowjetischen Besuch. Bald kam das Gespräch auf Krieg und Frieden. Der Offizier nahm ein Blatt Papier und skizzierte die Umrisse der Sowjetunion und Deutschlands. Dann zeichnete er Pfeile von dem kleineren zu dem großen Land und fragte in gebrochenem Deutsch: "Warum das machen? Viele Tote, viel Leid, viel Zerstörung." Die Diskussion wurde immer heftiger. Ich, nun ein zehnjähriger Schüler, machte mir so meine Gedanken über die Ursachen des Geschehenen. In den folgenden Jahren stellte ich meinen Eltern und den Lehrern immer wieder die Frage: Warum?

Mein Vater hatte 1946 von der Bodenreform zwei Hektar Land erhalten. Während der Feldarbeit fragte ich ihn einmal: "Was ist besser, bei den Amerikanern in Berlin zu bleiben oder bei den Russen in Bernau?" Er antwortete mir sinngemäß: Bei den Amis wird man eines Tages alles zu kaufen bekommen, was das Herz begehrt. Vielleicht aber fehlt dir das Geld, weil du keine Arbeit hast. Bei den Russen wirst du immer Arbeit haben, mußt aber für jede Mark viel tun. Wenn die Sozialisten und Kommunisten sich hier einig werden, können wir in einiger Zeit wahrscheinlich auch alles kaufen, was man zum Leben braucht.

Dieses Gespräch hat sich mir tief eingeprägt. Während meiner Studienzeit habe ich so manches Mal daran gedacht. Die spätere Beschäftigung mit dem Marxismus-Leninismus empfand ich nicht als Belastung. Ich vertiefte mich besonders in die Problematik von Krieg und Frieden, die mich von klein auf begleitet hatte. Dabei erarbeitete ich mir einen festen eigenen Standpunkt.

Obwohl sich die beiden Arbeiterparteien in der SED vereinten, ist das Ziel, dauerhaft eine neue Gesellschaft zu errichten, aus vielerlei Gründen in dieser historischen Etappe leider nicht erreicht worden. Doch die Worte meines Vaters über den Kapitalismus der Amerikaner stimmten. Ich habe sie nach 63 Jahren noch immer im Ohr.

Dr. Manfred Graichen, Berlin

Raute

Russische Weisheiten

Wer wirklich etwas will, der hat tausend Möglichkeiten, wer nicht will, hat tausend Gründe dafür.

Wer das Kleine nicht achtet, verdient nichts Großes.

Wenn ein Blinder einen Blinden führt, fallen beide in die Grube.

Die besten Lügen werden aus Halbwahrheiten produziert.

Die Wahrheit ist der Sieg des menschlichen Gewissens.

Der Böse weint vor Neid, der Gute vor Freude.


Ausgewählt und übersetzt von
Dr. Hans Jürgen Audehm

Raute

Nach welchen Kriterien man die Geschichte beider deutscher Staaten "aufarbeiten" sollte

"Prüfet aber alles, und das Gute behaltet"

Deutsche, die jetzt 60 oder älter sind, haben nur 20 Jahre im "wiedervereinigten Vaterland" gelebt, 40 Jahre dagegen in einem der beiden deutschen Staaten. Auch die Verfassung oder das Grundgesetz, die sie als Staatsbürger zu befolgen hatten, waren grundverschieden. Die Verfassung der DDR, die 1968 per Volksentscheid beschlossen wurde, bestätigte die Friedenspflicht des sozialistischen deutschen Staates und den ausbeutungsfreien Charakter seiner Gesellschaftsordnung. Seit 1990 gilt das provisorische Grundgesetz der BRD nun für ganz Deutschland, obwohl es nach Artikel 146 durch eine richtige, vom Volk legitimierte Verfassung hätte ersetzt werden müssen.

Unterdessen wird das Geschichtsbild der Deutschen staatlich verordnet. Das gilt besonders für die 40 Jahre DDR. An der "Aufarbeitung" ihrer Realität waren zwei Enquête-Kommissionen unter Leitung Rainer Eppelmanns beteiligt. Mitgewirkt haben überdies auch 3000 Bedienstete der Gauck-Birthler-Behörde. Filmische Pseudodokumentationen und "Unterhaltungsstreifen" werden wie zu Zeiten der Goebbelsschen Reichsfilmkammer generalstabsmäßig produziert (Das Leben der Anderen, Die Frau vom Checkpoint Charlie u. a.).

An der Entstellung der Geschichte der DDR beteiligen sich mehr als 1200 "Forschungsprojekte", etwa 250 Archive und Bibliotheken, rund 50 Institutionen der politischen Bildung sowie 65 Museen und Gedenkstätten. Hinzu kommen 20 Fachzeitschriften. Das Ergebnis dieser "Aufarbeitung" ist äußerst mager.

Um besser voranzukommen, möchte ich an Tatsachen erinnern, deren Kenntnis einen konstruktiven Meinungsstreit über die Erinnerung an die DDR fördern könnte.

DDR und BRD wurzelten in der deutschen Geschichte. Politiker und Parteien der Bundesrepublik setzten dabei die konservativ-bürgerliche Traditionslinie fort, die in der Zustimmung zu Hitlers "Ermächtigungsgesetz" 1933 ihren tragischen Tiefpunkt gefunden hat. Folgerichtig wurde Theodor Heuss, der dieses "Gesetz" bejaht hatte, erster Präsident der BRD. Andererseits bestand die Spitze der DDR aus erprobten Antifaschisten. Der Kampfgefährte Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs - der Arbeiter Wilhelm Pieck - wurde erster Präsident der DDR.

DDR und BRD hatten mit demselben Erbe des Faschismus zu kämpfen. Der ostdeutsche Staat übernahm allerdings den Landesteil mit weit weniger Schwerindustrie, noch in der letzten Kriegsphase heftig zerstörten Städten (Anfang 1945 bombardierten angloamerikanische Flugzeuge Dresden, Chemnitz und Magdeburg) und einer Besatzungsmacht, die berechtigterweise erhebliche Reparationen forderte. Ungeachtet der unterschiedlichen Traditionen und Startbedingungen waren DDR und BRD gleichberechtigte Subjekte des Völkerrechts, das den Begriff "Unrechtsstaat" nicht kennt. Beim Vergleich des Wirkens beider deutscher Staaten in der UNO und deren Spezialorganisationen hatte die DDR auf vielen Gebieten "die Nase vorn". Sie wurde niemals von einschlägigen UNO-Gremien als "totalitäre Diktatur" bezeichnet oder wegen der Verletzung von Menschenrechten verurteilt.

Der BRD und deren Institutionen (Justiz, Politik, Medien) steht es nicht zu, sich als Ankläger und Richter über die DDR, deren Geschichte und Bürger aufzuspielen. Deren gesamtem Handeln lag die Gesetzlichkeit der DDR zugrunde.

Weder das Völkerrecht noch das Grundgesetz der BRD gestatten es, diejenigen auszugrenzen und zu bestrafen, die in der DDR Funktionen ausgeübt haben. Seit deren "Beitritt" zur BRD gelten für sie die Pflichten und Rechte des Grundgesetzes. Artikel 103.2 verbietet die rückwirkende Einführung von Strafen.

In der deutschen Nachkriegsgeschichte waren Politik, Ökonomie, Justiz und Kultur stets Bestandteile der Konfrontation beider Weltsysteme, denen die deutschen Staaten jeweils angehörten: die BRD der NATO, die DDR dem Warschauer Vertrag. Die Chronik der beiden deutschen Staaten ist nur in ihrer dialektischen Wechselwirkung zu verstehen.

"Die Geschichtsschreibung ist der zweite Triumph der Sieger über die Besiegten", schrieb Bernard L. Montgomery. Institutionen wie die beiden erwähnten Enquête-Kommissionen und die Inquisitionsbehörde Gauck-Birthler sind staatliche Instrumente zur Erzeugung und Verordnung eines Geschichtsbildes der "Sieger", in dem die Gleichsetzung zweier "totalitärer Diktaturen" (Drittes Reich und DDR) im Sinne der Totalitarismus-Doktrin den zentralen Platz einnimmt.

Der Vergleich von DDR und BRD muß auf den Hauptfeldern von Politik und Geschichte erfolgen: Stellung zu Krieg und Frieden, zu Völkerverständigung und Abrüstung, zu sozialen und politischen Menschenrechten in ihrer Einheit, zu den kulturellen Errungenschaften.

Die Außenpolitik der beiden deutschen Staaten gegenüber der "Dritten Welt" wies gravierende Unterschiede auf. Die DDR übte Solidarität mit den Völkern, die für ihre Freiheit und Unabhängigkeit kämpften, die BRD spielte die Karte des Neokolonialismus mit Folgen, die bis heute nachwirken.

Der Warschauer Vertrag wurde aufgelöst. Statt Institutionen des Kalten Krieges wie die NATO aufrechtzuerhalten und massiv auszubauen, Aggression und Intervention als "Verteidigung am Hindukusch" auszugeben, sollten Friedens-, Abrüstungs- und Umweltprojekte gefördert und die Politiker danach beurteilt werden.

In den beiden deutschen Staaten herrschten gegensätzliche Eigentums- und Produktionsverhältnisse. Aus ihnen folgten konträre Rechts- und Sozialsysteme. Die Erfahrungen der DDR sind nach dem Bibelsatz zu beurteilen: "Prüfet alles, das Gute behaltet." (Erster Brief des Paulus an die Thessalonicher 5.21)

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Wie Falschwörter und Falschbilder gezielt eingesetzt werden

Teppichbombardement mit Lügen

Der Wettstreit um die Krone des perfidesten Delegitimierers der DDR ist im vollen Gange, denn 20 Jahre "Mauerfall" und 20 Jahre Einverleibung der DDR in die BRD sind in unmittelbarer Sichtweite und werden bis zum Erbrechen strapaziert.

2004 bekam ich eine Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Es ging um die Vorstellung der neuesten Publikation des Theaterleiters und Essayisten Prof. Ivan Nagel "Das Falschwörterbuch - Krieg und Lüge am Jahrhundertbeginn" (Berliner Taschenbuch-Verlag) Der Kriegsbezug im Titel war der Tatsache geschuldet, daß die US-Aggression gegen Irak ihren Höhepunkt erreicht hatte. Fazit des Autors: "Dem Teppichbombardement eines fremden Volkes mit Raketen geht jedes Mal das Teppichbombardement mit Lügen voraus."

In der anschließenden Diskussion - u. a. mit dem inzwischen verstorbenen Peter Bender und mit Bettina Gaus - wurden auch die innenpolitischen Aspekte des Buches über die Lügensprache benannt. Es fielen damals Sätze wie "Die Öffentlichkeit wird regelrecht mit Falschwörtern umstellt", "Falschwörter führen letztlich zu Falschbildern" und "Wir lassen Falschwörter einfach widerspruchslos passieren." Alles gipfelte dann in der Gretchenfrage: "Wieviel Desinformation verträgt eigentlich eine Demokratie?"

Heute stellt sich die Frage hinsichtlich der historischen Wahrheit über die DDR und der Unrechtsstaats-Diskussion messerscharf: Soll am Vorabend der genannten zwei Ereignisdaten gezielt Wissen über die DDR und deren Bürger radikal und unwiederbringlich vernichtet werden?

Haben wir es mit einer Neuauflage des angeblich längst überwundenen Kalten Krieges und der damit verbundenen psychologischen Kriegführung zu tun? Bekanntlich war die unbestreitbar wichtigste Waffe in deren Arsenal schon immer die Sprache. Wissenschaftler aus dem englischen Sprachraum haben dafür den Begriff "verbal warfare" (Kriegführung mit Worten) eingeführt. Sie geht nachweislich auf eine Herrschaftspraxis in der Antike zurück: Damals wurde auf beschriftete Pergamentrollen ein neuer Text aufgetragen, nachdem der Ersttext abgeschabt worden war.

Verbal warfare arbeitet vergleichsweise mit eben dieser Methode: Überdeckungen, gewollte Umfärbungen, scheinbar absichtslose Wortverdrehungen, Bedeutungsverschiebungen und andere unterschwellige Wirkmittel (Begriffsapologetik, Wortmonotonie etc.). Auf dies alles trifft zu, was Georg Christoph Lichtenberg vor rund 200 Jahren in die Worte faßte: "Die gefährlichste Unwahrheit ist die Wahrheit, mäßig entstellt."

Diese mäßige Entstellung der Wahrheit kann auf sehr unterschiedliche Art und Weise erfolgen:

a) durch Verniedlichung oder Verharmlosung eines Sachverhalts
   z. B. 3.Reich oder NS-Staat anstelle von faschistischer Diktatur oder Hitler-Regime);
b) durch Überzeichnung einer Situation (z. B. Mauerstaat DDR);
c) durch Diffamierung von Personen, Sachen oder Maßnahmen (Gauck: "sozialistische Globkes");
d) durch absichtliches Weglassen von Worten und Begriffsteilen und
e) durch unzulässiges Verändern nicht austauschbarer Wörter und Begriffe

Von Gustave Le Bon, dem französischen Soziologen, stammt das Wort: "Wer die Massen zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr; wer sie aufzuklären versucht, stets ihr Opfer." Die Beschränkung der Sprache auf etwa 200 immer wiederkehrende Wörter ("basic German"), der sich beispielsweise ein erheblicher Teil der "Bild"-Leser unterworfen hat, kommt der unreflektierten Aufnahme von Sprache willenlos entgegen.

Erinnern wir uns: In den Hoch-Zeiten des Kalten Krieges wurde der Begriff "Psychological war" in den Rang einer "vierten Front" (neben den drei bekannten Fronten zu Lande, zu Wasser und in der Luft) erhoben. Diese Dimension lasse sich allerdings "auf keiner strategischen Landkarte zeigen, wohl aber überall dort, wo Presse, Funk und Bilder auch das letzte Dorf erreichen", hieß es.

Am 6. März 2006 erschien in dem Springerblatt "Die Welt" unter der Überschrift "Warum Nachrichten Waffen sind" ein Artikel, in dem der damalige US-Kriegsminister Donald Rumsfeld mit den Worten zitiert wurde: "Wir führen heute den ersten Krieg im Zeitalter von E-Mail, Blogs, Blackberry, Instant Messaging, Digitalkameras, Internet, Mobiltelefonen, Radiosendungen mit Zuhörerbeteiligung und Nachrichten rund um die Uhr ..."

Wenn man Rumsfelds "klassischen" Krieg durch den Begriff der verbal warfare ("Unrechtsstaat DDR") ersetzt und das hier angeführte Zitat nochmals liest, dann wird einem klar, was uns in nächster Zeit noch alles bevorsteht.

Ich setze dennoch auf die Hoffnung, die der frühere US-Präsident Abraham Lincoln bereits am 8. September 1858 in dem Satz zusammenfaßte: "Man kann die Menschen eine Zeitlang hinters Licht führen und manche Menschen auch die ganze Zeit, aber man kann nicht alle Menschen die ganze Zeit hinters Licht führen."

Oberst a. D. Dr. Dieter Langer

Raute

Wie "Menschenformer" das Handeln der Massen in erwünschte Bahnen lenken

Brot und Spiele

Wir alle sind heute Zielscheiben der "Menschenformer", deren Aufgabe es ist, die sogenannte öffentliche Meinung im Sinne der kapitalistischen Machthaber auszurichten. Bereits 1978, als der Kapitalismus die erste ernstliche Wirtschaftskrise der Nachkriegsjahre durchmachte, schrieb der USA-Journalist Vance Packard: "Menschenformer sind auf verschiedenen Gebieten am Werk. Sie ermöglichen es einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Leuten, das Leben der großen Mehrheit zu kontrollieren, zu ändern, zu manipulieren, umzugestalten. Und sie operieren in vielen Ländern, besonders in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Japan, Kanada, Israel, Australien, Holland, und Skandinavien. Sie stützen sich vor allem auf die Erkenntnisse und Errungenschaften der Sozialwissenschaften, der Biologie und der Mikroelektronik. Menschliche Handlungen, Stimmungen, Wünsche, Gedanken werden kontrolliert ..."

Die Untergrabung der Sowjetmacht von innen, die Slogans vom "gemeinsamen europäischen Haus", von Menschenrechten, Demokratie, Meinungsfreiheit u. a. m. sowie das Ködern vieler DDR-Bürger mit westlichem Konsumglanz sind Beispiele der erfolgreichen, psychologisch ausgerichteten Meinungsformung.

"Public Relations" ist mehr als bloße Propaganda. Das Ziel besteht in einer vollständigen Umgestaltung der menschlichen Gedanken- und Gefühlswelt, einer buchstäblichen "Umwertung aller Werte", um mit Nietzsche zu sprechen. Es geht indes nicht darum, das Bewußtsein auf ein höheres moralisch-ethisches Niveau zu heben, sondern das Individuum zum willenlosen Spielball kapitalistischer Klasseninteressen zu erniedrigen.

1979, also etwa zur gleichen Zeit, als Vance Packard vor den "Menschenformern" warnte, veröffentlichte die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris einen Bericht der Analytikergruppe "Interfutures" unter dem Titel "Die Zukunft im Blick" (Pacing the Future). Finanziell beteiligt waren u. a. die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die Toyota-Stiftung, die Ford-Stiftung und der Deutsche Marshallplan-Fonds. Der "Interfutures Report" projizierte die wirtschaftliche Entwicklung bis zum Jahr 2000 und warnte, daß im Fall einer langsamen Wachstumsrate die Möglichkeit der "politischen und sozialen Destabilisierung" in den entwickelten Industrieländern bestehe.

Um künftige Konflikte zu vermeiden, empfahl der Bericht, materielle Bedürfnisse einzuschränken und "post-materielle" Werte gesellschaftlich akzeptabel zu machen, darunter eine veränderte Einstellung zur Arbeit; die Senkung von Ansprüchen auf Arbeitsstellen; mehr Freizeit; geringere Bewertung von Produktion und Technologie; die Entwicklung sozialer und kultureller Beschäftigungsformen; größeres Interesse für Ökologie und Umweltprobleme.

Im Jahr 2009 haben viele "Empfehlungen" der gesellschaftlichen Planer bereits feste Wurzeln geschlagen. Sie untergraben gewerkschaftliche Bemühungen um eine gemeinsame Plattform der Arbeiterschaft. Konfuse Jugendliche suchen nach einem "neuen Lebensstil" und enden auf der Straße, im Drogenrausch.

Die "Menschenformer" lassen nicht nach. Sie koordinieren die Nachrichtendienste, zensieren die Presse, haben ihre Leute an Universitäten, in Instituten. Sie nutzen Religion und Bildungswesen zu ihren Zwecken, indem sie Geistliche und Lehrer zu Verkündern ihrer "menschlichen und gesellschaftlichen Werte" machen. Weder Alt noch Jung bleibt verschont, damit Dissidenten und Zweifler die Herde nicht scheu machen.

Die Erfolge der radikalen Rechten bei den jüngsten Europawahlen sind kein Zufall. In England erhielt die "British National Party" (BNP) zwei Mandate in Strasbourg. Plötzlich werden Nationalismus und Rassismus braunen Stils wieder salonfähig, natürlich im Namen "demokratischer Meinungsvielfalt"! Der "Rechtsstaat" kann jederzeit mit geballter Faust gegen Demonstranten vorgehen.

Unterdessen gilt noch immer das erprobte Rezept der alten Römer: "Brot und Spiele" (panem et circenses). In unserem Zeitalter gibt es keine Gladiatorenkämpfe im Colosseum mehr - man ist doch zivilisiert -, dafür aber Profifußball und McDonald's.

Die führenden Köpfe des Kapitalismus wissen, daß der rasante wirtschaftliche Niedergang, der sich gegenwärtig vollzieht, die Suche nach Altenativen verstärkt - und damit die Erinnerung an den einstigen bürgerlichen "Sozialstaat", aber auch an den Sozialismus, an Marx, Engels und Lenin. Um dem vorzubeugen, werden schwerste Geschütze mit dem Ziel aufgefahren, die Sowjetunion und selbst das heutige Rußland zu diffamieren, Stalin mit Hitler gleichzusetzen und den Menschen Angst vor der "kommunistischen Diktatur", dem "Unrechtsstaat" einzujagen.

In den USA erreicht die Verdummung ganzer Generationen durch das manipulierte Schulwesen unvorstellbare Ausmaße. So glauben viele Schüler, der Zweite Weltkrieg sei von den Vereinigten Staaten gegen "die Russkis" geführt worden. Hollywoods Siegesfilme verbildlichen den Betrug.

Parallel laufen Subversion und Sturz "unzuverlässiger" Regierungen wie in Honduras, wo Präsident Zelaya von einer auf USA-Kriegsschulen abgerichteten Soldateska über Nacht ins Exil verbracht wurde, was man in Washington, Berlin, Paris und London mit scheinheiliger Empörung begrüßte. Zelaya stand den "Roten" in Venezuela, Kuba, Ekuador und Bolivien zu nahe, überdies durfte ein zweites Nicaragua, ein zweiter Ortega in Mittelamerika nicht Fuß fassen, um die Besitzrechte der Latifundistas, der schwerreichen Agrar-Aristokratie, nicht in Frage zu stellen.

Der Kapitalismus hat die Lektion von 1917 besser begriffen als so manche heutige "Linke", die sich in der Illusion wiegen, sie könnten das System reformieren. Vielleicht werden ihnen ja ein paar Brocken von der Herren Tische zugeworfen, solange der Kapitalismus noch im Sumpf der Doppelkrise aus Depression und Inflation steckt.

Doch einmal durch forcierte Arbeitslosigkeit, brutale Lohnsenkungen, weiteres Eindämpfen des "Wohlfahrtsstaates" und Steuererhöhungen - alles im Namen der Krisenbekämpfung - "saniert", wird der Kapitalismus wieder zur Tagesordnung übergehen und die Daumenschrauben staatlicher Repression noch mehr anziehen.

Damit alles "nach Wunsch" verläuft, bedarf es ganzer Armeen von "Menschenformern".

Dr. Vera Butler, Melbourne

Raute

Die SPD gleicht einem röhrenden Sechsender im Herbstwald

Heiße Luft

Heiße Luft würde "Die Linke" wählen - so schulmeisterte es unlängst von großformatigen Europawahlplakaten der SPD. Diese Aussage liegt semantisch nahe am Totalschaden. Doch sehen wir es der Sozialdemokratie nach, daß sie durch den Wahlkampf röhrt wie der hormonverwirrte Sechsender durch den Herbstwald. Lesen wir es so, wie es vermutlich gemeint ist: "Die Linke" produziere mit ihrer Politik vorwiegend heiße Luft. Der Begriff wird gemeinhin als Synonym für leere Versprechungen aufgefaßt. An dieser Stelle aber wirkt seine Anwendung paradox, sind doch leere Versprechungen gerade das patentierte Markenzeichen der SPD.

Eine bei weitem nicht vollständige Aufzählung von Beweisen für diese Behauptung könnte mit Florian Gerster beginnen. Der als großspuriger und arroganter Raffke bekannte SPD-Parteibuchträger erwarb sich zwischen Mai 2002 und Januar 2004 besondere Verdienste bei einer Großtat: der Umbenennung der Bundesanstalt für Arbeit in Bundesagentur für Arbeit. Viel mehr kam unter seiner Ägide für das arbeitsuchende Volk nicht heraus.

Erinnert sich noch jemand an Gersters Kumpan Clement? Der wollte Ende 2004 als Bundeswirtschaftsminister - pardon, Superminister - innerhalb von fünf Jahren für Vollbeschäftigung in der BRD sorgen. Dazu heckte man sogenannte Arbeitsmarktreformen aus. Eine davon ist unter dem Kürzel Hartz IV in die Chronik sozialer Grausamkeiten eingegangen. Für das "Gelingen" des Kahlschlags wurde Clement vom damaligen Kanzler Schröder - einem SPD-Mann der Hochfinanz - persönlich verantwortlich gemacht. Während im Februar 2005 mit 5,2 Millionen so viele Arbeitslose wie nie zuvor in der BRD registriert waren, wurden die Opfer sozialdemokratischer Politik in einer Broschüre aus Clements Ministerium obendrein auch noch als "Schmarotzer, Trittbrettfahrer und Parasiten" diffamiert. Clement saß seine Zeit im SPD-geführten Kabinett ab und übernahm dann erneut Verantwortung - diesmal nicht für die sondern in der Wirtschaft: Man belohnte ihn mit zahlreichen Aufsichtsratsposten, vor allem im Energiesektor.

Ein weiterer grandioser SPD-Lufterhitzer war Hans Eichel, dessen Tagträume von einem ausgeglichenen Haushalt so verläßlich platzten wie Seifenblasen. Immerhin konnte er sich in seinem letzten Finanzminister-Jahr damit brüsten, den Schuldenrekord seines CSU-Vorgängers Theo Waigel nur knapp verfehlt zu haben.

Rekordhalter in Sachen Staatsverschuldung ist zweifelsohne Eichels SPD-Zunftkollege Peer Steinbrück. Auch dessen großspurige Ankündigung eines ausgeglichenen Etats im Jahre 2010 dürfte sich als blauer Dunst erster Klasse erweisen. Eine besondere Qualitätsstufe heißer Luft.

Mit Rücksicht auf die Klimarettungsversuche des gleichfalls großartigen Umweltministers Gabriel, die von seinen eigenen SPD-Genossen nach Kräften unterlaufen werden, mögen diese Beispiele genügen. Sie zeigen aber, wie dicht die gespielte Offenbarung für den Wähler und der anschließende Offenbarungseid gerade in Vorwahlzeiten beieinander liegen.

Bei so viel Abgebrühtheit paßt es voll ins Bild, daß ausgerechnet der frühere Geheimdienst-Oberaufseher Steinmeier (BND) nun als Kanzlerkandidat der SPD nach dem höchsten Regierungsamt greift. Wohl kaum jemand ist so diskreditiert wie er.

Erinnert sei nur an den Fall des Bremers Murat Kurnaz. Der wurde Ende 2001 in Pakistan von Kopfgeldjägern gekidnappt und für 3000 Dollar an delikate Behörden weitergereicht, die ihn dann jahrelang ohne jeden Schuldnachweis in Guantánamo gefangenhielten. Steinmeier war es, der Bestrebungen selbst der Bush-Administration, Kurnaz nach Deutschland abzuschieben, als Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt mit allen Mitteln zu durchkreuzen suchte. Man kann der bundesdeutschen Wählerschaft nur wünschen, daß sie nicht in gleicher Weise wie die SPD-Wahlmarketingabteilung von politischem Gedächtnisschwund befallen ist.

Allerdings ist dieses Virus weiter verbreitet, als wünschenswert wäre. So äußerte sich kürzlich der "Grüne" Werner Schulz über mögliche Koalitionen. Er, der in der Biedermannsmaske des ehemaligen Bürgerrechtlers auftritt, erwiderte auf die Frage, ob er nicht die Partei Die Linke für einen besseren Koalitionspartner als die SPD halte: "'Die Linke' hat eine völlig unrealistische Außenpolitik, also das kann man jetzt nicht nur an der Sozialpolitik festmachen und an der Wirtschaftspolitik."

Da Herr Schulz die Außenpolitik der Linken als "völlig unrealistisch" betrachtet, wollen wir seine Aussage an einem konkreten Beispiel messen. Stellen wir uns also vor, das Volk der BRD würde aufgefordert, über den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, wie ihn "Die Linke" fordert, landesweit abzustimmen.

Ob Herr Schulz von dem Ergebnis sehr überrascht wäre? Alle Umfragen mit Ausnahme jener, die von der Bundeswehr selbst in Auftrag gegeben worden ist, zeigten zu diesem Thema eine deutliche Mehrheit für die von der Linkspartei eingenommene Position. Ist sie tatsächlich "völlig unrealistisch"?

Es wäre schön, würden sich eines Tages sowohl die Wähler als auch die politischen Parteien an den Vorgaben orientieren, die das Grundgesetz, die Erklärung der Menschenrechte und die Europäische Sozialcharta enthalten. Das ersparte es so mancher Partei, der Wählerschaft ständig heiße Luft in die Nasenlöcher zu blasen.

Michael Schuberth, OV Sonnenberg/Chemnitz

Raute

Ein Kommunist, der SPD-Genossen am Karabiner ausbildete Exporteure des Todes

Die Waffen des Albert Nußbaum

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Exporteure des Todes

Die BRD steht beim weltweiten Waffenhandel fast ganz oben auf der Leiter. Zu den Empfängerländern bundesdeutschen Kriegsgeräts gehören auch "Konfliktzonen" wie Pakistan und Indien.

Aus dem aktuellen Rüstungsexportbericht des auf Friedensheuchelei abonnierten Merkel-Steinmeier-Kabinetts geht hervor, daß 2007 regierungsseitig Ausfuhrgenehmigungen für militärische Güter im Wert von 8,7 Mrd. Euro erteilt worden sind. Das bedeutet einen Anstieg um eine Milliarde Euro im Vergleich zum Vorjahr. Deutsche Waffensysteme seien besonders auch in der Türkei und Griechenland gefragt, deren wechselseitige Beziehungen ebenfalls nicht gerade spannungsfrei sind. DPA/DDP berichteten überdies, Leopard-Panzer und U-Boote mit Brennstoffzellenantrieb seien bei den Importeuren "am beliebtesten".

Der BRD-Wehretat wird ständig aufgestockt. Von 2008 zu 2009 stieg er abermals um 1,7 Mrd. auf die bisherige Höchstmarke von 31,2 Mrd. Euro - und das in "Friedenszeiten" sowie ungeachtet der Tatsache, daß man "nur von Freunden umgeben" ist.

Allein 5,3 Mrd. Euro sind zur Beschaffung neuer Waffensysteme vorgesehen. Für die als "Auslandseinsätze" oder "Aufbauhilfe" getarnte Beteiligung der Bundeswehr an Aggressionskriegen am Hindukusch und anderswo standen schon 2007 insgesamt 911 Mio. Euro zur Verfügung. Während die weltweiten Militärausgaben damals bei mehr als 1,3 Billionen Dollar lagen, waren die USA auf diesem Gebiet "einsame Spitze". Ihr "Verteidigungsetat" verdoppelte sich seit 2001 und betrug 2007 mit 580 Mrd. Dollar knapp 45 % aller im globalen Maßstab für Rüstungszwecke verwendeten Gelder.

RF

Raute

Wie sich heutige Nazis in die Tradition von SS und SA stellen

Vom Sturmbann zum Frontbann

Seit einiger Zeit treibt eine neugegründete Nazikameradschaft namens Frontbann 24 in Berlin und Brandenburg ihr Unwesen. Wenngleich die Etablierung solcher Organisationen hierzulande leider keine Seltenheit ist, sollten Antifaschisten dieser "Truppe" besondere Aufmerksamkeit widmen.

Doch zurück ins Jahr 2007: Damals jagten Polizei und Verfassungsschutz bereits im siebten Jahr der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) hinterher, um diese irgendwann verbieten zu lassen. Die HDJ plante derweil unbeirrt ihre Zukunft. "Recherche nord" berichtete denn auch im Internet von der Deutsch-Russischen Friedensgesellschaft Europäischen Geistes e. V. (DRFEG) als "... einer 2007 gegründeten Tarnorganisation ..." der HDJ.

Zufall oder nicht, ebenfalls 2007 trat in Berlin eine Neo-Nazi-"Kameradin" verstärkt in Erscheinung: Gesine Hennrich aus Bad Bevensen bei Uelzen in Niedersachsen - einem Bundesland, das dem Osten so manche Nazi-Größe bescherte. Im Berliner NPD-Sumpf wirkte ihr "Tatendrang" wie ein Katalysator. Selbstbewußtsein, die Wahl richtiger Partner und eine dumpfe NPD-Basis führten sie mühelos an die Spitze des Kreisverbandes Marzahn-Hellersdorf. 2008 soll es kaum einen NPD-Aufmarsch gegeben haben, den sie nicht mitprägte. Zugleich rüttelte sie offenbar an den Domänen anderer, wodurch Konflikte, besonders mit dem NPD-Landesvorsitzenden Jörg Hähnel, eskalierten. (Dieser Mann billigte übrigens in der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg den Meuchelmord an Karl und Rosa, wofür er zu einer lächerlichen Geldstrafe verurteilt wurde.) Am 6. Februar 2009 erklärte Gesine Hennrich urplötzlich ihren Rücktritt als NPD-Kreisvorsitzende und Berliner Landesvorsitzende des Ringes Nationaler Frauen. Zugleich vollzog sie ihren Austritt aus der Partei. Mit ihr tat dies auch der Kreisvorsitzende von Tempelhof-Schöneberg.

Was war geschehen? Im Internet fanden sich angeblich pornographische Fotos von Gesine Hennrich aus dem Jahr 2007, die ihr damaliger Freund "geschossen" und aus Rache veröffentlicht haben soll. Offenbar nutzte man diesen Umstand, den Rücktritt der allzu ambitiösen "Kameradin" zu erzwingen. Dem Ausscheiden der beiden "Größen" soll bei der NPD eine Austrittswelle gefolgt sein. Spötter reagierten darauf mit der Vermutung, entweder bestehe diese Partei jetzt nur noch aus Spitzeln des Verfassungsschutzes, da diese ja, koste es, was es wolle, ausharren müßten, oder die V-Leute hätten die NPD alle gemeinsam verlassen. Offenbar sei es um die Stützung der fast zeitgleichen Behauptung des Innensenators Körting gegangen, künftig würden aus taktischen Gründen keine VS-Agenten mehr in der Berliner NPD geduldet.

Im Ergebnis solcher Unappetitlichkeiten wurden der Frontbann 24 gestärkt und ein weiterer "Ableger", das Freie Nationale Bündnis (FNB), geschaffen. Beides schrieb man vor allem Gesine Hennrich zu. So sollten unzufriedene NPDler und andere rechte "Kameraden" wieder vereint werden.

Der Frontbann 24 folgte damit übrigens dem Beispiel der faschistischen Wehrbewegung Frontbann, die 1924 gegründet worden war. Diese Organisation entstand nach dem gescheiterten Hitlerputsch. Initiator war der spätere SA-Chef Ernst Röhm, der sie zur Sammlung versprengter NSDAP-Mitglieder und anderer Naziaktivisten ins Leben gerufen hatte. Mit der abermaligen Legalisierung der zeitweilig verbotenen SA und der Neuformierung der NSDAP verschwand der Frontbann 1925 wieder von der Bildfläche. Er hatte seine Aufgabe erfüllt. Der neue Frontbann 24 - die SS hatte übrigens den Offiziersdienstgrad Sturmbannführer - machte zum ersten Mal mit eigenen Fahnen am 13. Februar 2009 beim sogenannten Trauermarsch für den "Bombenholocaust" der Alliierten in Dresden auf sich aufmerksam. Sein Markenzeichen: schwarze Schuhe, schwarze Hemden, schwarze Hosen mit Bügelfalte, die silberne 24 am Kragenspiegel, auf der rechten Brustseite ein weißgestickter Reichsadler mit Lorbeerkranz und auf der linken der weiße Namenszug Frontbann 24.

Seit Februar verging kaum ein Monat, in dem diese Formation nicht an einem Naziaufmarsch beteiligt gewesen wäre. Mitten unter den Frontbannerleuten: Gesine Hennrich, nun in Uniform.

An eine Erweiterung der territorialen Aktionsräume ist offensichtlich gedacht. Schon bestehen Ortsgruppen in verschiedenen Berliner Bezirken. Die Kameradschaft war mit einer eigenen Homepage im Internet vertreten. Inzwischen ist ihre Website zwar nicht aktiv, aber in den USA registriert und damit vor Abschaltung gesichert.

Im Unterschied zur Brachialgewalt gegen Linke fielen polizeiliche Maßnahmen bislang kaum ins Gewicht. Lediglich beim Naziaufmarsch am 4. Juli 2009 in Storkow setzte die Brandenburger Polizei das Uniformierungsverbot gegen Frontbann 24 konsequent durch. Sie verlangte, die Kleidung auszuziehen oder sämtliche Frontbann-Symbole von ihr zu entfernen. Auf Weiteres darf man gespannt sein.

Der Berliner Verfassungsschutz stellte zur Rolle des Frontbann 24 auf seiner Homepage am 25. Juni fest: "... Bei den etwa 50 bis 60 Mitgliedern handelt es sich überwiegend um Personen im Alter von 30 bis 45 Jahren, die zu großen Teilen bereits einen rechtsextremistischen Vorlauf besitzen und zum Teil als gewaltbereit einzuschätzen sind." Behörden-Chefin Claudia Schmid ergänzte in der "Berliner Morgenpost" am 26. Juni: "... Der Frontbann 24 hat viel mehr Mitglieder, als die Kameradschaften in Berlin je hatten ..." Sie geht davon aus, daß mit dieser Neonaziverbindung auf Dauer zu rechnen sein werde.

Dr. Udo Stegemann

Raute

Über "Parallel-Welten" der Menschen aus Ost und West

Brief aus Karlsruhe

Mich beschäftigen Strategie und Taktik in der Gegenwart. Deshalb möchte ich einige Gedanken dazu darlegen. Meine Erfahrungen sind die eines humanistisch erzogenen Sozialisten. Ich wollte eine sozialistische Welt mitgestalten und wurde dann gegen meinen Willen mit der Realität des Kapitalismus konfrontiert. Vor über 15 Jahren übersiedelte ich aus ökonomischen Gründen nach Baden-Württemberg. Ich habe die Vorzüge des Lebens in der DDR kennengelernt und werfe meine Erinnerungen an sie nicht weg. Ich bin stolz darauf, bereits Erfahrungen mit einer besseren Gesellschaft gemacht zu haben, die meine Mitbürger hier im Westen vorerst nicht nachvollziehen können.

Mein Status quo aber ist die kapitalistische Lebensform. Dabei finde ich das bestätigt, was ich als DDR-Bürger gelehrt bekam und als Propagandist anderen vermittelt habe. Damals wußte ich noch kein konkretes Gefühl mit dem Kapitalismus zu verbinden. Jetzt kenne ich die Situation eines "Betroffenen".

Kurz gesagt: Ich komme mir ausgebeutet vor. Wenn ich direkt auf andere hier zugehe und ihnen in der DDR Erfahrenes ehrlich darstelle, stoße ich meist auf ein gewisses Interesse. Natürlich wird nicht selten auch versucht, mir weiszumachen, wie ich angeblich gelebt habe und wie marode unser System gewesen sei. Wenn solche Leute dann aber mit Tatsachen konfrontiert werden, gehen ihnen bald die Argumente aus.

Meines Erachtens müßte man in der RF-Redaktion zwei Aspekte besonders in Betracht ziehen:

Derzeit bestehen in Deutschland "Parallel-Welten", die sich aus den unterschiedlichen Biographien und Kulturen ergeben. Wenn wir das nicht in Rechnung stellen, dringen wir nicht zu den Herzen der Menschen vor. Es gibt auch "Zeitfenster", die mit der Tatsache zusammenhängen, daß das menschliche Leben nur eine bestimmte Spanne umfaßt. Anders ausgedrückt: Wenn keine Bürger mehr da sind, welche die DDR bewußt wahrgenommen und die Dinge dort mitgestaltet haben, kann auch niemand mehr auf Grund seiner eigenen Erfahrung den Sozialismus verteidigende Argumente in Diskussionen einbringen. Mit diesem biologischen Faktor rechnen die Ideologen des Kapitals.

"Parallel-Welten" gilt es auch bei Migranten zu beachten. Wir erleben selbst Ähnliches, wenn wir als Touristen in anderen Ländern politische Standpunkte vertreten, die durch unsere Lebensläufe geprägt sind. Wo mindestens zwei Erfahrungswelten aufeinandertreffen und die Beteiligten einen gemeinsamen Weg finden müssen, steht die Frage der Parallelität unterschiedlichen Erlebens.

In unserer DDR-Welt wurden wir sozialistisch erzogen. Ich habe die staatliche Fürsorge sogar allzuoft als Gängelei empfunden. Heute hat die Bevormundung ganz andere Dimensionen angenommen, während die Fürsorge komplett weggefallen ist. Von einem kapitalistischen Staat kann der aus dem Osten in den Westen Gezogene sie in keiner Weise erwarten. Dennoch gehen nicht wenige frühere DDR-Bürger, die hier leben, auch weiterhin davon aus, daß sich andere um sie kümmern müßten. Ich habe das in Gesprächen immer wieder so wahrgenommen.

Doch im Westen gelten ganz andere Regeln. Schließlich haben unsere heutigen BRD-Mitbürger bereits 60 Jahre in ihrer Welt gelebt. Dort, wo ich jetzt bin, herrschen folgende Maximen: Erstens sind alle gegen dich; zweitens hilft dir keiner von sich aus; drittens mußt du das, was du willst, einfordern und dich erst einmal selbst darum kümmern.

Diese Welt-Sicht war für mich neu. Sie ist das direkte Gegenteil dessen, womit wir in der DDR konfrontiert wurden. Ich will so nicht leben, befinde mich aber auch nicht mehr im sozialistischen Umfeld. Als einstiger Beteiligter an einer Solidargemeinschaft kann ich zwar versuchen, mich auch weiterhin nach DDR-Regeln zu verhalten, erreichen werde ich damit nur wenig. Dennoch kann ich als Zeitzeuge der besseren DDR-Gesellschaft jeden Ansatz, der in eine sinnvolle Richtung geht, bewußt unterstützen oder fördern. Zugleich muß ich jedoch die genannten Grundsätze aus der kapitalistischen Parallel-Welt in Rechnung stellen. Ich habe das bisher als "Ellenbogenmentalität" eingeordnet.

Doch das trifft nicht ganz den Kern. Jetzt ordne ich dieses Gefühl eher als "kaltes Herz im Kapitalismus" ein. Die Menschen sind nun einmal so und müssen nicht knallhart reagieren, wenn sie nach diesen drei Regeln leben wollen. Sie tun es aber meistens. Was mich betrifft, so will ich, daß meine Gesprächspartner für eine sozialistische Idee entflammt werden, wobei ich mir die Flügel ansengen und manche Beule holen werde. Aber ich gebe nicht auf.

Die Theorie, die man uns beigebracht hat, wird derzeit von den Apologeten des Kapitals pervertiert und gegen uns ausgenutzt, damit sie nicht in die Köpfe der von den Medien abgerichteten Mitbürger eindringen kann. Man braucht hierzulande keine denkenden Menschen, sondern billige Ausbeutungsobjekte.

Ich habe gelernt, aufmerksam zuzuhören, um für mich Schlüsse ziehen zu können, in welcher Welt der andere lebt und was er anstrebt. Wenn ich zu oberlehrerhaft daherkomme, werden sich mir die Menschen verschließen. Im richtigen Herangehen haben mir die historischen Exkurse im "RotFuchs" oft geholfen und Argumente geliefert.

Jetzt frage ich Euch: Bin ich mit meinen Überlegungen auf dem richtigen Weg, und was könnte ich besser machen? Wer hat andere Erfahrungen gesammelt?

Ich erwarte natürlich kein fertiges Rezept. Ich habe Visionen und bin von revolutionärer Ungeduld erfüllt, bleibe aber stets auf dem Boden der Realitäten.

Im RF-Extra ("Das Feuer des Prometheus") ist übrigens auch von "Parallel-Welten" (Alte - Junge) die Rede: "Wir Jungen sind die Zukunft, für die Generationen gefallen sind und Millionen Menschen weltweit sterben mußten. Bitte helft uns, mit Eurer Initiative, mit Eurer Expertise, mit Wissen aus Zeiten, in denen es ein Deutschland gab, von dem nie wieder Krieg ausgehen sollte! Investiert in Eure Zukunft, investiert in die Jugend!", hieß es dort.

Ich sage Ernesto Athanaton: Auch aus dem Kapitalismus kann man unsere Weltanschauung ableiten. In Deinen Phantasien, in Deiner Vorstellungskraft hast Du das bereits getan. Mach das Beste daraus - ich helfe Dir gern dabei. Mit Hilfe zur Selbsthilfe.

Mike Schmidt, Karlsruhe

Raute

Der Fall Lutz Eigendorf und die Unschuldsvermutung eines Oberstaatsanwalts

Braunschweiger Ammenmärchen

Was wäre das für ein Super-Jubiläumsjahr, wenn die Medien nicht auch an die Republikflucht des ehemaligen BFC-Fußballers Lutz Eigendorf vor 30 Jahren erinnern und dessen Unfalltod (1983) der "Stasi" in die Schuhe schieben würden. Ich hatte mir zunächst weder die TV-Dokumentation "Tod dem Verräter - Der Fall Lutz Eigendorf" von Heribert Schwan im WDR, der zuletzt am 11. März im MDR gelaufen ist, angetan noch das gleichnamige Buch gelesen. Doch war mir die Ankündigung nicht entgangen, daß sich ein "DDR-Spezialist", der in der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter Pressesprecher gewesen war und mit dem notorischen "Forschungsverbund SED-Staat" der Freien Universität Berlin liiert ist, des Falles angenommen habe. Er wolle mit Vorträgen, Foren und Symposien den Aussagen des Films widersprechen.

Als ich vernahm, daß dieser Mann, Oberstaatsanwalt Dr. Hans-Jürgen Grasemann aus Braunschweig, am 26. März auch in der Außenstelle Dresden der Birthler-Behörde auftreten sollte, siegte meine Neugier über die Hemmung, solche Orte aufzusuchen. Ich fuhr einfach hin.

Mit dem offensichtlichen Stammpublikum von vielleicht fünfzig Leuten harrte ich der Dinge, die da kommen sollten. Zunächst wies man einleitend darauf hin, daß es eine Vielzahl "solcher Fälle" gegeben habe, von denen einer gleich im Film gezeigt würde. Spannung und atemlose Stille erfaßte den Raum. Dann lief der Streifen.

Am 19. März 1979 führte den BFC ein Freundschaftsspiel gegen den 1. FCK nach Kaiserslautern. Auf der Rücktour setzte sich Eigendorf in Gießen nicht nur von seiner Mannschaft ab, sondern ließ auch Frau, Kind, Eltern und Freunde im Stich. Er verriet sein Land und alle, die ihn gefördert und ihm vertraut hatten. Der Traum von einer großen Profi-Karriere, von Ruhm und Geld sollte Wirklichkeit werden.

Zunächst wurde Eigendorf aber für ein Jahr gesperrt, bevor er dann für den FCK spielen durfte, nicht sonderlich erfolgreich, auch nur für ein halbes Gehalt, wegen wiederholter Formschwäche ohne festen Stammplatz in der Mannschaft. Sein Trainer Feldkamp: Eigendorf war kaum zu steuern, was er denn in seinem Privatleben so für sich in Anspruch nehmen wollte. Als er gar trainingsfrei für Flugstunden beantragt habe, sei das Maß voll gewesen. Nach dem Wechsel 1982 zu Eintracht Braunschweig lief es für ihn kaum besser. Ganze acht Mal spielte er für den Verein. Im letzten Spiel gegen Bochum habe er wieder voller Zorn auf der Reservebank gesessen, sei kaum zu beruhigen gewesen. Hiernach habe er in seiner Stammkneipe höchstens vier, später mit seinem Fluglehrer nochmals ein bis zwei Bier getrunken. Kurz vor 23 Uhr hätten ihm dann vor dem Lokal "Cockpit" in seinem "Alfa" der oder die Täter aufgelauert. Unter Todesdrohungen sei ihm mit einer giftigen Substanz versetzter Alkohol eingeflößt worden. Erst nach einer Stunde sei er aufgefordert worden, zu verschwinden. Eigendorf sei in höchster Todesangst davongerast. Action! Im Film sieht man das Fahrzeug, wie es auf regennasser Chaussee vor einer Rechtskurve von einem dort postierten PKW mit plötzlich aufblitzendem Fernlicht geblendet wird. Der "Alfa" schießt geradeaus über die Seitenlinie direkt gegen einen Straßenbaum - Totalschaden! Schwerste Kopf- und Brustverletzungen führten am 7. März 1983 zum Tode. Eine Blut-Alkohol-Untersuchung ergab eine Konzentration von 2,2 Promille ...

Die Botschaft des Films: Natürlich steckte hinter dem Anschlag die "Stasi", die Eigendorf mit riesigem Aufwand habe ausspionieren lassen. Dieser sei tatsächlich vergiftet worden. Außerdem habe es einen anonymen Hinweis gegeben, wonach auf sein Fahrzeug geschossen worden sei. Mielke selbst habe wegen erlittener Schmach den Mordauftrag erteilt. Den Beweis hierfür liefere ein in der Gauck/Birthler-Behörde aufgefundenes Dokument, in dem bei "Giften und Gasen" handschriftlich der Name Eigendorf gestanden habe. Auch von "Verblitzen" sei die Rede gewesen. Ein weiterer "Beweis": Der IM "Schlosser" und sein Führungsoffizier (beide werden mit Klarnamen genannt) seien just nach dem Tode Eigendorfs prämiert worden. Soweit der Film.

Hiernach war der große Auftritt des Oberstaatsanwalts angesagt. Er kenne die Ermittlungsakten seiner Behörde fast auswendig. Für einen Unfall spreche der festgestellte Blutalkoholwert von 2,2 Promille. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig sei daher von einem "klassischen Fall" eines Menschen ausgegangen, der zu viel Alkohol getrunken habe, zu schnell ("sportlich") gefahren sei, bei nasser Fahrbahn in einer unfallträchtigen Rechtskurve nach links hinausgetragen worden sei und sich, wie manch anderer zuvor, um die dortige "Ulme gewickelt" habe. Mehr wisse man nicht. Manche "milde" Aussage im Film zur Trinkmenge sei nicht so ernst zu nehmen. Eigendorf könne durchaus auch mehr als nur 5 oder 6 Bier getrunken haben. Mit Rücksichtnahme auf die Ehefrau habe man "nicht so deutlich gesagt", daß ihr Mann mit einem Kasten Sekt nach "irgendwohin" unterwegs gewesen sei. Und Trainer Maslo habe am Abend den Frustrierten mit den Worten nach Hause geschickt: "Lutz, mach Dir mal keine Sorgen, das wird schon wieder mit Dir. Aber baller Dir nicht schon wieder einen." Ganz wichtig, so der Oberstaatsanwalt, sei die technische Untersuchung des Fahrzeuges gewesen. Weder an der Lenkung, der Bremsanlage noch sonstwo sei etwas Auffälliges festgestellt worden. Von Einschüssen in die Reifen habe sich keine Spur gefunden. Der Hinweis auf Schüsse sei übrigens, "menschlich verständlich", von dem Manager, der Eigendorf betreute, gekommen, weil dieser ein gewisses Interesse daran gehabt habe, die Sache irgendwie weg von einer Trunkenheitsfahrt und persönlicher Schuld zu bringen. Das klassische Todesermittlungsverfahren sei schließlich eingestellt worden. Es habe auch keine Obduktion gegeben.

So gut der Film auch sei, nichts wäre gesichert, weder der Überfall auf Eigendorf noch die behauptete Vergiftung, auch nicht das "Verblitzen" durch ein Fremdfahrzeug. Das 30seitige Papier aus der "Terrorabteilung" der "Stasi" habe aus handschriftlich "so locker hingeschriebenen Stichworten" bestanden - völlig untypisch für die pedantisch genau arbeitende "deutsche Behörde" ...

Ende der Unschuldsvermutung! Die Vielzahl der Maßnahmen der "Stasi" lasse dennoch nur den einen Schluß zu: "Man muß etwas gewollt haben, entweder die Entführung oder die Liquidierung Eigendorfs." Das Schlimme sei, man könne die Frage nicht beantworten.

Das alles hinderte den Berufsankläger dann aber nicht daran, in der folgenden Diskussion wie ein Wahrsager über andere "Mordfälle der Stasi" zu berichten. Die Tatsache, daß es dafür ebenfalls kaum Beweise, schon gar keine Schuldsprüche gibt, überging er mit leichter Hand: mal witzelnd, mal tiefsinnig dreinschauend, immer charmant. Sein Motto: Einen unbewiesenen Fall mit anderen unbeweisbaren zu lösen, kam beim Publikum an: Kein Zweifel, Eigendorf ist ermordet worden. Hinter allem steckte die "Stasi des Unrechtsstaates DDR". Eine Dame wollte selbst einen Mordanschlag überlebt haben. Keiner würde ihren Anzeigen nachgehen, weil die "Stasi" auch heute noch mit dem BND und der Politik verquickt sei. Ein tief bewegter Herr mahnte gar die Errichtung von Denkmälern für den "Beckenbauer der DDR" an ...

Volker Link, Frankfurt (Oder)

Raute

Berichtigung

Unser Autor Oberstleutnant a. D. Wolfgang Kutz (RF Nr. 139, S. 2) war nicht Offizier der Grenztruppen, bei denen er nur seinen Grundwehrdienst absolvierte. Nach dem Studium an der Offiziershochschule "Ernst Thälmann" diente er in den Landstreitkräften und war zuletzt stellv. Leiter des Wehrkreiskommandos Bitterfeld.

Raute

Ein Arbeitsgerichtstermin, der eher einer Faschingsveranstaltung ähnelte

Eisenacher Grotesken

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um 60 Jahre Grundgesetz, 19 Jahre Eingliederung des DDR-Territoriums in den Hoheitsbereich der BRD und des Geredes über den angeblichen Unrechtsstaat DDR beschloß ich, an einer öffentlichen Arbeitsgerichtsverhandlung teilzunehmen. Wäre es nicht so ernst, würde sich mein Bericht über das Erlebte vielleicht besser für eine Faschingszeitung eignen.

Durch Zufall erfuhr ich von einem Termin vor dem Arbeitsgericht Eisenach. Dort klagte eine Lehrerin auf Vollzeitbeschäftigung gegen den Freistaat Thüringen.

Da sich der durch die Gewerkschaft gestellte Rechtsvertreter verspätete, hatte ich Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch mit der Klägerin. Sie ist 41 Jahre alt und hat von 1986 bis 1991 an der Pädagogischen Hochschule Halle Biologie und Chemie studiert. Ihre Ausbildung schloß sie als Diplom-Lehrerin ab. Anschließend bekam sie vom damaligen Land Thüringen eine Referendarstelle mit zweijähriger Laufzeit und Verbeamtung auf Widerruf. Das Referendariat beendete sie mit der Ablegung des 2. Staatsexamens. Sie besaß damit sowohl einen anerkannten Hochschulabschluß als auch die Voraussetzung für eine Verbeamtung. Aus diesem Jahrgang der Referendare wurde jedoch niemand in den Schuldienst des Landes übernommen.

Mit verschiedenen Tätigkeiten, darunter eine Schwangerschaftsvertretung, versuchte sie, die Zeit zu überbrücken, bis sie 1999 eine 80prozentige Teilzeitbeschäftigung im Schuldienst des inzwischen zum Freistaat avancierten Landes Thüringen bekam. Ihre Einstellung erfolgte mit der Besoldungsstufe eines Beamten des gehobenen Dienstes. Zwischenzeitlich hatte sich Thüringen für eine Beamtung seiner Lehrer entschieden. Dennoch wurde die Klägerin als Angestellte, nicht aber entsprechend ihrer Ausbildung als Beamtin unter Vertrag genommen.

Nach Eröffnung der Verhandlung begann der Richter übergangslos seinen Monolog zur Begründung des zu erwartenden Urteils. Ausgehend vom Ergebnis des bereits erfolgten Sühnetermins sowie einer Beratung der Kammer, bemühte er sich, die 1991 zwischen Land und Lehrern getroffene, arbeitsrechtlich dubiose Vereinbarung einer vorübergehenden Teilzeitbeschäftigung für alle Lehrer als "solidarische Notmaßnahme" zu erklären. Diese eigenwillige Konstruktion wurde als Floating bezeichnet. Dabei unterschied man sogar noch unter "echten" und "unechten" Floatern. Zahlreiche Einzelentscheidungen der Arbeitsgerichte waren die Folge. Die nach Laufbahnverordnung und Beamtenrecht nur in Ausnahmefällen mögliche Teilzeitverbeamtung sorgte bis zum Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts für zusätzliche Verwirrung. Sein vager Versuch, die arbeits- und dienstrechtlichen Unterschiede zwischen auf Lebenszeit verbeamteten und als Angestellte geführten Lehrern bei gleichen Aufgaben und gleicher Verantwortung zu erläutern, blieb leider unvollendet.

Zurück zu unserem Fall. Trotz der ständigen zusätzlichen Vertretungsstunden der Klägerin begründeten diese nicht den Anspruch auf Vollzeitbeschäftigung. Sie hätten zwar knapp die Unterrichtsstunden einer Vollbeschäftigung unter- und teilweise sogar überschritten, bekundete der Richter. Zum Anspruch auf eine ganze Stelle müßten jedoch die Vertretungs- bzw. Überstunden den Umfang einer Vollbeschäftigung wesentlich überschreiten. Er könne das Ansinnen der Klägerin durchaus verstehen. Dieses sei aber rechtlich und unter den Bedingungen des derzeitigen Schuletats nicht umsetzbar.

Nach der Frage des Vorsitzenden an die Prozeßparteien, ob noch Einwände erhoben würden, berief sich der durch die Gewerkschaft Beauftragte auf seinen Schriftsatz, während der Vertreter des Schulamtes Eisenach, der für die Regierung des Freistaates Thüringen agierte, von sich gab: "Mir ist der Schriftsatz der Gegenpartei nicht bekannt." Daraufhin der Richter: "Vermutlich habe ich ihn nach Erfurt geschickt, weil er sowieso keinen Einfluß auf das zu erwartende Urteil hätte." Der Vertreter des Schulamtes gab bei dieser Groteske noch einen drauf: "Na, wenn er nach Erfurt gegangen ist, dann liegt er sowieso erst einmal längere Zeit dort herum, bis ihn jemand bearbeitet oder weiterleitet", stellte er die reale Bürokratie der BRD in Rechnung.

Bevor der Richter die Sitzung unterbrach, fragte er die Klägerin, ob sie auf einem Urteil bestehe. Als sie das bejahte, meinte er nur, die Kammer benötige für den Spruch etwa eine Stunde. Die Entscheidung werde dem Rechtsvertreter der Klägerin telefonisch mitgeteilt.

Ich war von dieser halbstündigen Lektion in Staatsbürgerkunde, Arbeitsrechtsprechung und schulischer Personalpolitik derart verwirrt, daß ich einen längeren Waldspaziergang benötigte, um in die Wirklichkeit zurückzufinden.

Gravierende Fragen bleiben offen: Wieviel Unterrichtsstunden müssen noch ausfallen, bis der Freistaat einen ausreichenden Lehrerbestand schafft? Bedeuten Vertretungsstunden, daß sich die Schüler ständig auf andere Pädagogen einzustellen haben? Und: Wird nicht seit 19 Jahren "aus Haushaltsgründen" im Schulwesen des Freistaates Thüringen mit hochqualifizierten Lehrern Schindluder getrieben?

Volker Trauboth, Bad Liebenstein

Raute

Als chinesische Erfahrungen in der Flotte der NVA erprobt wurden

Offizier in der Matrosenbluse

In seinem Buch "Kommando Ostsee" beschreibt der letzte DDR-Verteidigungsminister, Admiral a. D. Theodor Hoffmann, auch die Wirkungen der "Übernahme chinesischer Erfahrungen bei der klassenmäßigen Erziehung der Offiziere" durch die NVA Ende der 50er Jahre.

Ich gehörte als Kapitänleutnant zu jenen Admiralen und Offizieren unserer Seestreitkräfte, die gewissermaßen "auf Probe" vier Wochen als einfache Matrosen in der Truppe Erfahrungen sammeln sollten. Als Offizier der Politabteilung im Kommando der Seestreitkräfte (Kmdo. SSK) meldete ich mich freiwillig. Auch aus heutiger Sicht beeinflußten neben meiner Grundeinstellung zur VR China - einem Eckpfeiler des sozialistischen Lagers - bestimmte Ereignisse meine damalige Entscheidung.

In einer Offiziersversammlung des Kmdo. SSK in Gehlsdorf berichtete dessen Chef, Vizeadmiral Waldemar Verner, als Teilnehmer der ersten nach China entsandten NVA-Delegation sehr emotional über seine Eindrücke, die er an der Seite des Ministers für Nationale Verteidigung, Generaloberst Willi Stoph, von dem fernöstlichen Land, seinen Menschen und besonders der Volksbefreiungsarmee wie deren Flotte hatte sammeln können. Er informierte auch über chinesische Methoden zur politisch-moralischen Erziehung von ranghohen Offizieren und Generalen. Das war neu, ließ aufhorchen, fand allerdings nicht ungeteilte Zustimmung.

Zu einem Gegenbesuch wurde dann im Frühjahr 1959 eine Militärdelegation Chinas unter Leitung von Marschall Peng Dehuai in der DDR empfangen. Eine Visite bei der 1. Flottille in Peenemünde war im Programm vorgesehen. Ich selbst beteiligte mich an der Vorbereitung und Sicherstellung des Aufenthalts der chinesischen Gäste.

Wenn ich mich heute zurückerinnere, dann übte man in Bezug auf das recht ungewöhnliche "Erziehungsvorhaben für Offiziere" eine gewisse Zurückhaltung. Vorherrschend war die Auffassung: Hoffentlich geht der Kelch an mir vorüber! Warum soll ich denn noch einmal von vorn anfangen! Das habe ich doch alles schon lange hinter mir! Oft hörte man auch die Meinung, dieser Weg sei zwar für China richtig, aber nicht auf unsere Verhältnisse übertragbar.

Ich hatte mich, ausgehend von meiner beruflichen Entwicklung als Elektroinstallateur und -mechaniker, als Matrose auf einem TS-Boot gemeldet. Bei der Jahresgrunduntersuchung war mir "S- + U-Boot-Tauglichkeit" bescheinigt worden.

Als dann erste Namen für das Matrosenvorhaben im Kmdo. SSK bekannt wurden - an der Spitze stand Konteradmiral Scheffler - entspannte sich die Situation unter den Offizieren. Waren erst Zurückhaltung und Skepsis vorherrschend gewesen, so hielten sich nun Schulterklopfen ob meines Entschlusses und nachsichtiges Lächeln unter ernstzunehmenden Freunden in etwa die Waage.

Im Sommer 1959 begann für mich die persönliche Vorbereitung auf den Einsatz als Maschinist für die 6. TS-Abteilung. Es ging um das Studium der Vorschriften und Pläne für das TS-Boot "183", die in unserer VS-Stelle nicht vorhanden waren. Meist abends konnte ich mit Hilfe zweier technischer Offiziere Rollenverteilung, Betriebsstoffschemas und andere Dokumente studieren. Vieles mußte einfach gepaukt werden, und ich lernte in den Gesprächen so manche "Schwachstelle" meiner künftigen Tätigkeit kennen.

Die Einkleidung in der BA-Kammer bescherte mir einen vollen Seesack, mit dem ich mich - per Dienstauftrag für den Matrosen Peter Barth - Richtung Gager/Rügen in Marsch setzte. An die verstohlenen Blicke mancher Mitreisender in Bahn und Bus ob meines zu Kieler Bluse und Bändermütze nicht ganz passenden Alters erinnere ich mich noch gut.

In Gager, dem Liegeplatz der 6. TS-Abteilung, meldete ich mich beim Diensthabenden und wurde dem Boot 5 als 4.Mot.-Gast zugeteilt. Man wies mir im Acht-Mann-Deck auf der Backbordseite die oberste Koje mit einer spartanischen "Korkmatratze" zu, die gewöhnungsbedürftig war.

Empfangen wurde ich nicht unfreundlich, aber reserviert. Meine theoretische Vorbereitung auf das Maschinistendasein zahlte sich aus. Im Bordalltag mußte ich nur wenig "erfragen".

Schon tags darauf lief die 6. TS-Abteilung aus. Ich erfuhr Lärm, Gerüche und das Rumoren der "Pferdestärken", spürte die "Verwindungen" des hölzernen Bootskörpers bei verschiedenen Fahrstufen und Manövern. Auch zeigten sich leichte Symptome einer Seekrankheit, wenn nach dem Kommando "Feuer aus" die Maschinen gestoppt wurden und das kleine Boot wie ein Stück Holz Wellen und Wind ausgesetzt war.

Die Hafentage - nicht nur in Gager - empfand ich als ebenso spannend wie lang. Angefangen von der Brennstoffübernahme (als die Seeleute schon lange Feierabend machten) über die Pflege und Wartung der Maschinen und Anlagen bis zu Säuberungsarbeiten erschlossen sich mir neue Erkenntnisse.

Natürlich übernahm ich an Bord den Politunterricht. Auch hier wurde von Mal zu Mal deutlicher, wie sich im Kollektiv der Besatzung Vorbehalte, die mir gegenüber zunächst bestanden hatten, nach und nach auflösten. So konnte ich zur Klärung mancher Frage beitragen, wobei ich erkannte, daß nicht alles von "oben" Entschiedene "unten" tatsächlich ankommt. Auf alle Fälle begegnete man mir von Tag zu Tag offener. Ich war inzwischen besser integriert und wurde freundlicher aufgenommen. Auch trug man bestimmte dienstliche Probleme oder auch persönliche Sorgen von Besatzungsmitgliedern an mich heran.

Lag die Abteilung in Gager, so verblieb ich als einziger an Bord von Boot 5, wurde nicht mit auf dem Wohnschiff "Grobian" einquartiert, sondern erschien dort nur zum "Backen und Banken". Worin die Ursache dafür zu suchen war, kann ich heute nicht mehr sagen.

So ging eine abwechslungsreiche Zeit von See- und Hafentagen dahin. In diesen Wochen informierte man mich auch vom Wechsel an der Spitze des Kmdo. SSK. Konteradmiral Ehm wurde nun unser neuer Chef.

Nur einmal - kurz vor dem Ende meiner Matrosenzeit - nutzten wir den Landgang in Gager, um richtig einen draufzumachen. Dabei ging es, gelinde gesagt, wohl etwas zu feucht zu. Jedenfalls geriet ich mit der Streife, deren Führer ausgerechnet der Kommandant unseres Bootes war, aneinander. So fiel ein leichter Schatten auf mein insgesamt positiv verlaufenes Gastspiel. Dennoch durfte ich auf der letzten Fahrt als 1. Maschinist tätig sein und erhielt vom Kommandanten, Leutnant Lorenz, das entsprechende Rollenbuch überreicht, das ich bis heute aufbewahre.

Einschließlich der "Parteischelte", die auf mich nach der Rückkehr vor allem von jenen herabprasselte, die sich bei der Auswahl der Kandidaten für diese "Erprobung" vornehm zurückgehalten hatten, war es für mich eine einprägsame Lebenserfahrung, ein lehrreiches direktes "Flottenpraktikum". Die in der 6. TS-Abteilung gewonnenen persönlichen Erkenntnisse erwiesen sich für meinen weiteren Weg inner- und nach 1978 auch außerhalb meiner Teilstreitkraft als äußerst nützlich.

Kapitän zur See a. D. Peter Barth

Unser Autor ist überdies Historiker und Ingenieur-Ökonom.

Raute

Was honorige Berliner Blätter vor 60 Jahren voraussahen

Eingetroffene Prognosen

Meist zu vermeintlich gewichtigen Anlässen raffen sich bürgerliche Historiker und Politiker auf, in die Vergangenheit zu blicken, sofern sie dem eigenen Ansehen nicht abträglich ist. Die dann präsentierte Darstellung erhebt nicht den Anspruch, auf die Frage "Warum?" zu antworten. Eine wahrheitsgetreue Analyse würde offenbaren, welche politischen und ökonomischen Schandtaten schon vor 60 Jahren von der BRD ausgingen. SPD-Rechtsaußen Stephan Hilsberg bestätigte das mit dem Satz: "Es galt, das 'SED-Regime' zu entmachten."

Da lohnt es sich schon, einen Blick in das Jahr 1949 zu wagen, in seriösen Zeitschriften wie der "Weltbühne" und dem "Roland von Berlin" nachzulesen, wie damals bereits mit den "Schwestern und Brüdern" im Osten umgegangen wurde und welche "bundesdeutschen Perspektiven" sich schon zu jener Zeit abzeichneten.

Unlängst beging man 60 Jahre Nordatlantikpakt. Doch schon 1949 lag das Buch des US-Autors George Marion "Bases and Empire" vor. Dort schrieb er: "Zuerst beanspruchen wir als uns gehörig das Öl ferner Länder und dann die Länder selbst. Daraufhin behaupten wir, ein Verteidigungsinteresse an jedem Land zwischen den Ölgebieten und der Sowjetunion zu haben. Also erheben wir ein ohrenbetäubendes Geschrei über Sowjetexpansion und rücken in Griechenland, in die Türkei und alle Länder ein, die nicht stark genug sind, uns hinauszubugsieren. Die Vereinigten Staaten dehnen sich in einem Tempo und in einem Umfang aus, die beispiellos sind in der Geschichte. Während wir hinter der Sowjetunion herrufen: 'Haltet den Dieb!', sind wir im Begriff, unser Herrschaftsgebiet immer stärker auszuweiten, militärisch und strategisch. Das rückständige Westdeutschland wird von Tag zu Tag mehr dem nordamerikanischen Einfluß unterworfen und als Basis ausgebaut." So war es im NATO-Gründungsjahr in der "Weltbühne" nachzulesen.

Der "Verteidigungsbereich", der im Mittleren Osten aufgezogen werde, erstrecke sich von der Türkei bis Afghanistan. Westdeutschland und Westberlin würden gleichfalls im Rahmen des Nordatlantikpakts den Schutz amerikanischer Waffen genießen.

Hitler müßte vor Neid erblassen, wenn er dieses Weltreich, das sich so bescheiden als "USA-Sicherheitszone" titulierte, mit seiner schäbigen "Neuordnung Europas", seinen kleinlichen Annexionen, seinen lächerlichen Spritztouren durch den Kaukasus und die libysche Wüste vergleichen könnte, konstatierte damals Wolfgang Harich an gleicher Stelle.

Die gegenwärtige bundesdeutsche Außenpolitik, auch die von Barack Obama mit einigen neuen Akzenten versehene Strategie der USA, bestätigen die Feststellungen von 1949. Zur Zeit werde nahe Kabul mit Unterstützung des Bundesverteidigungsministers die größte und bedeutendste Kommandozentrale für den Mittleren Osten einschließlich Luftwaffenbasis ausgebaut, konnte man einer Sendung von "Phoenix" entnehmen.

Das "Roland-Tagebuch" teilte gleichfalls schon 1949 mit: "Senator W. R. Poage aus Texas hält für das Gebot der Stunde, eine Armee aus deutschen Söldnern als Bollwerk gegen Rußland zu schaffen."

Vor kurzem war der SPD-Mann Steinmeier, BRD-Außenminister mit schattigem BND-Hintergrund, wieder einmal am Hindukusch unterwegs, um die "Männer" der Bundeswehr zu weiterem Kriegsspiel zu ermuntern. Der Mann will Kanzler werden. Seine Partei wurde schon 1949 von Leo Menter in der "Weltbühne" daran erinnert, "seit einem Menschenalter den Kapitalisten die Pferde zu halten und hinterher entlassen zu werden".

Andere Parallelen? "Die Weltwirtschaftskrise zieht hoch am Horizont unseres Zeitraumes. Es sind genau 20 Jahre her, da fing es auch so an. Erst mit Verdunkelung der Aussichten, und dann kam das Unwetter. Schwarzer Freitag 1929. Bis 1932 war nichts zu machen", konstatierte die "Weltbühne" vor 60 Jahren. Heute prognostizieren honorige Wirtschaftsexperten ebenfalls ein Anhalten der wabernden Krise über Jahre. Wir leben noch immer oder als Ostdeutsche leider schon wieder im Kapitalismus!

Szenenwechsel: Leipziger Herbstmesse 1949. "Kein Geschäftsmann aus der Bizone oder aus den Westsektoren Berlins sollte dort ausstellen", forderte der "Tagesspiegel". "Der Westen geht nicht nach Leipzig", geiferte der "Sozialdemokrat". "Jeder westdeutsche Gast sanktioniert den kommunistischen Terror in der Ostzone, weil er durch seinen Besuch die kommunistischen Institutionen anerkennt", giftete der "Telegraf".

Doch ein "illegaler" Besucher aus Westberlin schrieb in einem Leserbrief: "Mit welchem Ekel über die abgrundtiefe Gemeinheit der westlichen Hetze gegen den ehrlichen demokratischen Aufbau des Ostens kehre ich zurück zu den Fleischtöpfen unserer freien Wirtschaft!" Jahrzehnte hielt der westdeutsche Wirtschaftsboykott gegen die DDR an.

Abermaliger Szenenwechsel: Goethes 200. Geburtstag. Der Herr Geheimrat hatte im "Faust" festgestellt: "Nein, er gefällt mir nicht, der neue Bürgermeister. Seit er im Amt ist, wird er täglich dreister." Der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, Herr Dr. Kolb, riet 1949 Thomas Mann ab, einer Einladung des Goethe-Ausschusses zu folgen, denn "Weimar liegt in der Ostzone". Er könne "Schwierigkeiten in seiner Wahlheimat nicht ausschließen". Man attackierte den Autor der "Buddenbrooks", weil er in den Osten zu Goethe ging. Er sei "ein gewesener deutscher Schriftsteller", zitierte die "Weltbühne" die Rufmörder.

Ein RIAS-Theater- und Filmkritiker namens Friedrich Luft bezeichnete Arnold Zweig, Bertolt Brecht, Anna Seghers, Johannes R. Becher und Ludwig Renn als "pajokgenährte Staatssänger". Wolfgang Harich spießte auch das auf.

Die antikommunistische Kulturbeflissenheit hält bis heute an. Die Kanzlerin eröffnete in Berlin eine Jubelausstellung "60 Jahre - 60 Werke", von der DDR-Künstler ausgeschlossen wurden. Der "Tagesspiegel" resümierte: "'Bild' im Verein mit vornehmlich pensionierten westdeutschen Museums- und Feuilletongranden wollte ausschließlich die künstlerischen Errungenschaften auf der Basis des Artikels 5, Absatz 3 des Grundgesetzes feiern: Deshalb haben Werke aus dem anderen Deutschland nichts in der Ausstellung zu suchen, so die Schlußfolgerung von Walter Smerling, dessen Bonner Stiftung Kunst und Kultur die Schau organisierte."

Da bleibt ein Wort von Jaques Roux aktuell, das er während der Französischen Revolution prägte: "Die Freiheit ist nur ein Phantom, wenn eine Klasse imstande ist, die andere auszuhungern, wenn der Reiche durch Monopol das Recht auf Leben und Tod der Armen hat."

Hans Horn

Raute

RF-Extra

Ist Kunst nur etwas für elitäre Ästheten?

Essay über den "Bitterfelder Weg"

Mut und Wissen dem Worte geben Glanz und Schliff.
Der Arroganz aufs Leder, der Trägheit auf den Pelz,
der Falschheit in die Glieder, ziel und triff!

Das ist ein Vers aus jener Zeit, als ich Majakowskis unvergeßliche Poeme und "Wie macht man Verse?" las, "Bitterfeld" hoch im Kurs stand und ich begann, Gedichte zu schreiben.

Ich fand Kontakt zum Zirkel Schreibender Arbeiter der Möbelwerke Zeulenroda, der 1960 in Folge der Bitterfelder Konferenz entstand. Unsere Zusammenkünfte bestimmten die kleine Form bei weitem nicht nur mit betrieblichem Bezug. Dazu gehörten auch Besuche in der Produktion, Lesungen, die Einrichtung von Brigadetagebüchern oder Veröffentlichungen in der Betriebszeitung. "Bitterfeld" half, Kultur (das sogenannte fünfte Rad am Wagen) aufzuwerten. Literatur und Arbeit rückten einander näher und verbesserten das geistige Klima, deshalb wurde der Zirkel für seine Verdienste im volkskünstlerischen Schaffen geehrt. Es entstand auch ein Arbeitertheater, das u. a. mein erstes Bühnenstück aufführte.

Über die Arbeitsgemeinschaft "Junger Autoren" Weimar des Deutschen Schriftstellerverbandes fand ich Verbindung auch zum Lyriker Werner Barth, dem Maxhüttenkumpel. Hier gab es Begegnungen mit Armin Müller, Wolfgang Held, Walter Stranka, Inge von Wangenheim, Harry Thürk, Paul Schmidt-Elgers, Walter Victor und anderen.

Unter dem Titel "In der Landschaft der Fabriken" schrieb Professor Rüdiger Bernhardt in der UZ eine ausgezeichnete Wertung zum 50. Jahrestag der 1. Bitterfelder Konferenz. Darin bemerkte er: "Die schreibenden Arbeiter lassen sich nicht an epochalen Büchern und Bestsellern messen ..., es war eine herausragende Bildungsleistung für zahlreiche Menschen, die sich für Kunst und Literatur interessierten ­..." Er untersetzte das mit Fakten und bewies damit dessen Authentizität, ohne jene Ignoranten zu vergessen, die - bar jeder Ahnung - anmaßende Urteile fällen, Bitterfeld "schnell abgeblasen" oder "beerdigt" nennen. Solche Töne sind mir in diesen Wochen gar nichts Neues, auch die Warnung, sich als Autor nicht in die Nähe dieses doch so ganz besonderen Weges in der Kulturgeschichte rücken zu lassen. Würde ich dem folgen, müßte ich leugnen, einer vom ausgebluteten Jahrgang 24 zu sein, der selbst fast heil aus dem Völkergemetzel zurückkam und in der DDR seine Heimat fand, weil sie ihm das andere Deutschland wurde. Das eigentlich ist für mich der Beginn von "Bitterfeld", nämlich der Anfang eines ununterbrochenen Bildungsweges, der mir in der Jugend verschlossen geblieben war. Ich konnte als Tischler den Meisterbrief erwerben, Berufsschullehrer und Journalist werden und das Literaturinstitut "Johannes R. Becher" in Leipzig besuchen. Um diese Zeit entstanden meine ersten Erzählungen, u. a. über die Bauarbeiter Geras, die ein beachtliches Programm des Wohnungsbaus und der Stadtgestaltung bewältigten. Ohne dieses soziale und kulturelle Umfeld wäre ich kaum Schriftsteller geworden und schon gar keiner, dessen Protagonisten nicht Zyniker, Ekel, Mörder oder andere krankhaft gestörte Individuen sind, sondern schöpferische Menschen, die nach wie vor für die Vision einer sozialistischen Menschengemeinschaft leben und einstehen. "Bitterfeld" orientierte im Grunde auf nichts anderes. Natürlich resultierte es aus den komplizierten Gegebenheiten und Zwängen, aber ich kann nicht mit Hans Bentzien, einst Minister für Kultur der DDR, übereinstimmen, der "Bitterfeld" im ND vom 23.4. zwar realistisch analysierte, aber letztendlich auf ein Mittel für ökonomische Zwecke und eine Illusion reduzierte.

"Greif zur Feder, Kumpel!", forderte Werner Bräunig anläßlich jener Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlags. Walter Ulbricht sei das zu wenig gewesen. Er habe die Losung erweitern lassen auf: "Die sozialistische Nationalliteratur braucht dich!" Und das wäre die falsche, überzogene Erwartung gewesen.

Ich glaube nicht, daß Werner Bräunig dieser Auslegung folgen würde, ist er doch selbst der beste Zeuge für "Bitterfeld" indem er als Wismutkumpel nicht nur davon träumte, ein Autor zu werden, sondern es in die Tat umsetzte und doch "Nationalliteratur" schrieb.

Sein Roman "Rummelplatz", der erst posthum erschien, wird heute als Beweis unfähiger politischer Führung und damit zweifelhafter Existenz der DDR gehandelt. Auch hier meine ich, daß das nicht in seinem Sinne geschieht. Noch weniger die Äußerung eines S. Mahlke in der TAZ vom 5.4.2008, der dessen Erzählband "Gewöhnliche Leute" als ein Zeugnis der Anpassung abstempelte. Das ist eines der vielen Beispiele, wie Literaturkritik instrumentalisiert wird. Solche Schreiber sind die eigentlichen Angepaßten, die fröhlich-käuflich auf den lauen Gewässern des Konformismus segeln.

Ganz anders die Rezensentin Evelyn Finger in der "Zeit" vom 13.3.2008. Auf sie machten die "gewöhnlichen" Menschen aus dem sozialistischen Alltag jener Erzählungen großen Eindruck, auch weil sie erheblich zur Rehabilitierung des Begriffs "Sozialistischer Realismus" beitrügen und bewiesen, daß auch er für gute Literatur stehen könne. Das, glaube ich, würde Werner Bräunig, den ich auf dem Literaturinstitut als Seminarleiter schätzen lernte, weit besser gefallen, auch wenn er Risse im Gebäude des neuen Hauses sah. Das ist eine fast wörtliche Formulierung, die ich wohl deshalb noch in Erinnerung habe, weil sie mir damals unverständlich erschien.

Dessenungeachtet sehe ich ihn ganz seinem Grundthema verpflichtet, nämlich einer Hommage der "gewöhnlichen Leute", ihren Alltäglichkeiten und Träumen, also auch ihrer Schöpferkraft und Potenzen für eine Welt ihrer Gesinnung. Sie liebte er. Sonst hätte er nicht darüber geschrieben.

Damit wären wir wieder beim eigentlichen Thema. "Bitterfeld" orientierte doch nicht allein auf bestimmte Inhalte, sondern vor allem auf die Förderung der Schreibenden selbst, auch auf die unersetzbare Nähe zur produktiven Arbeit. Es zielte auf das neue Menschenbild, auf eine Kulturpolitik, die keinen elitären Anspruch besaß. Die "gewöhnlichen Leute" (die in der Geschichte immer Spielball waren und so viel erleiden mußten) eroberten die "Höhen der Kultur" und wurden wissend schöpferisch. Die allseitige und damit auch künstlerisch tätige Persönlichkeit war gefragt.

Kunst sei allen das Gemäße postulierte Johannes R. Becher in einem seiner Gedichte. Solches zutiefst humanistische Denken zu verstehen überschreitet wohl den Horizont jener, die "Bitterfeld" negieren möchten, die daran festhalten, Bildung, schöpferische Aktivität, Kunst und Literatur für und durch alle sei Illusion, allein Sache der Begabten und der sogenannten Elite. Sie glauben nicht an die Kraft des Menschen, an seine Würde und Schönheit. Es interessiert sie nicht, weil es ihnen nichts bringt. Das ist armseliges, borniertes Denken der heute wieder Herrschenden und jener Künstler oder Schriftsteller, die sie hofieren.

"Bitterfeld" leugnet doch nicht die "Olympioniken der Künste", also jene Götter, welche mit ihrer Genialität den Unbedarften in der Dunkelheit leuchten. Ist das aber nicht die uralte Einteilung in "die da oben" und "die da unten" im Bereich von Kunst und Literatur? Vielleicht hat Goethe auch in diesen Kategorien gedacht, als er seinen Prometheus schrieb. Es fällt nicht schwer, weitere große Geister zu zitieren, deren Gedanken Nähe zu "Bitterfeld" provozierten. Thomas Morus z. B., strenggläubiger Lordkanzler Englands, legte als "erster Kommunist" in seiner Schrift "Utopia" den Entwurf eines neuen Weltbildes vor. Maria von Ebner-Eschenbach äußerte: "Es schreibt niemand wie ein Gott, der nicht gelitten hat wie ein Hund." Und weiter: "Es gäbe keine soziale Frage, wenn die Reichen von jeher Menschenfreunde gewesen wären." Ich füge hinzu: auch nicht die Fragen, über die ich mich hier auslasse, weil sie mich aus eigener Erfahrung heraus so bewegen.

Sicher brauchte es eine gewisse künstlerische oder schriftstellerische Begabung, die Existenz der so viel gerühmten Gene. Wer mag das bestreiten? Doch Gene sind auch Produkt der Evolution, der Anpassung des Homo sapiens an seine natürliche Umwelt, sind also wandelbar. Meine Eltern und Großeltern waren als Mägde, Knechte oder Industriearbeiter weder Künstler noch Intellektuelle, und Bücher waren in meiner Kinderstube rar. Vielleicht besitze ich 20 Prozent Begabung, der Rest ist Arbeit, nichts als Arbeit und Willen, das Handwerk des Schreibens zu erlernen. Als Tischler mußte ich mir das erforderliche Wissen über Material und Bearbeitung aneignen, um ein Meister des Faches zu werden. Ist es in Kunst und Literatur letztlich anders? Wer es verneint, bleibt oberflächlich oder hat Arges im Sinn. Jene, die in ihrer Überheblichkeit die Menschheit in Wissende und Unwissende einteilen, belegen es gar noch rassisch. Sie sind blind für das unermeßliche Potential in den Köpfen der vielen, wenn es nur geweckt und auf einen "Bitterfeder Weg" gebracht würde. Da sähe unsere "Nationalliteratur" mit Bestimmtheit anders aus? Wie aber könnte das in der jetzigen Gesellschaft mit solchen kolossalen Verwerfungen geschehen, die den einzelnen größter Belastung aussetzen, die ihm Kraft und Möglichkeiten nicht nur zum Schreiben rauben, ihn oft resignieren oder gar zerbrechen lassen?

In meinem jüngsten Buch "Windflüchter" läßt sich Karla, die Protagonistin aus der Erzählung "Das Birkenmädchen" oder "Die unglaubliche Liebe eines Autors" darüber aus.

"Uns lähmen weniger akute Beschwerden", bemerkt sie. "Die lassen sich heilen, nicht aber die chronischen. Das sind die verhinderten Umbrüche, das erstickte Aufbegehren, die verleugneten Umwälzungen. Das sind die verlorenen Chancen für Versöhnung, Neubeginn und Solidarität auch in der deutschen Geschichte. Das ist Verlust an wirklicher Menschlichkeit und Größe. Das ist der Tod. Unser Land, zutiefst zerrissen, leidet an den Wunden der Wende, die keine Revolution war, sondern eine Konterrevolution."

Heutige Realität erstickt massenhaft die geistig-kulturellen Kräfte eines ganzen Volkes, sie deformiert es bis zum schmerzhaften Verlust der Vision einer zukunftsfähigen gerechten Gesellschaft. Letzteres gilt vor allem jenen, die trotz der wieder aufkommenden Stürme noch immer die Fahnen sinken lassen und sich in Ressentiments und im Unglauben auch zum Thema "Bitterfeld" verlieren.

Jüngst flatterte mir Post ins Haus, das Foto eines meiner Enkel in seiner überwältigenden kindlichen Reinheit und Lebensfreude. Ich habe es lange anschauen müssen in Gedanken an die Jugend, ihre unermeßlichen Talente und Fähigkeiten, wenn ihr die Wärme zuteil wird, aus ihr herauszuwachsen und zu gedeihen. Das kommt mir in den Sinn, jetzt, da ich über "Bitterfeld" schreibe und weiß, daß uns das Leben nur einmal gegeben ist.

Nicht weil die Dinge unerreichbar sind,
wagen wir sie nicht.
Weil wir sie nicht wagen,
bleiben sie unerreichbar.

Das stammt von Seneca, einem römischer Philosophen, der um 4 v. u. Z. geboren wurde. Seine Erkenntnis ist meinem Buch "Windflüchter" vorangestellt. Ich glaube, sie ist nachdenkenswert.

Rudi W. Berger

Der Autor mehrerer Romane, Erzähl- und Gedichtbände ist vom Jahrgang 1924. Er schreibt Hörspiele und Dramen. Der Arbeiterliterat gehört dem Verband Deutscher Schriftsteller Thüringen an.

Homepage: www.poesieprovokant.de.vu


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

1. Bitterfelder Konferenz: Unter der Losung "Greif zur Feder Kumpel!" wurde am 24.4.1954 im Kulturpalast des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld eine Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlags eröffnet. An ihr nahmen fast 300 "schreibende Arbeiter" und etwa 150 Schriftsteller teil - Erwin Strittmatter spricht zur Diskussion.

2. Bitterfelder Konferenz: Sie wurde am 24.4.1964 eröffnet. Veranstalter waren die ideologische Kommission beim Politbüro des ZK der SED und das Kulturministerium. Über 1000 Künstler und Funktionäre nahmen teil - Blick auf einen Teil des Präsidiums mit Willi Bredel, Otto Gotsche, Alexander Abusch, Erwin Strittmatter und Walter Ulbricht (v. l. n. r.)

Raute

Was ein 17jähriger Schüler vom Bodensee in Kuba erlebte

Haushohe Überlegenheit trotz drückender Alltagssorgen

Aus unseren bürgerlichen Medien etwas über Kuba zu erfahren, das auch nur annähernd den tatsächlichen Verhältnissen entspricht, ist sehr schwer. Die meisten Berichterstatter und Kommentatoren bedienen sich der aus den Propagandaschlachten des Kalten Krieges bekannten antikommunistischen Klischees. Fernab von illusionären Träumereien über ein "sozialistisches Paradies" und den flachen Sprüchen vom "Castro-Regime" hat mich die Wahrheit über dieses Land interessiert. Zwei Wochen lang durchquerten meine Eltern und ich mit einem Mietwagen die Insel. Von Havanna über Matanzas, Santa Clara, Trinidad, Cienfuegos und wieder zurück nach Havanna erlebten wir Kuba und seine Bewohner. Viele der zuvor gefaßten Urteile mußte ich korrigieren, manches hat sich allerdings auch bestätigt.

Meine ersten Eindrücke stammen noch aus dem Flugzeug. Schlaftrunken erblickte ich aus dem Fenster Umrisse des Landes, kurz darauf den Flughafen "José Martí", der den Namen des kubanischen Nationalhelden trägt, welcher bereits im 19. Jahrhundert für die Unabhängigkeit seiner Heimat kämpfte. Nach der Ankunft mußten zuerst einige Formalitäten erledigt werden, bevor wir die Paß- und Zollkontrolle hinter uns ließen und an unser Gepäck herankamen. Was mir schon dort auffiel: irgend etwas fehlte. Ach ja, die vertraute Werbung. Es gab sie nicht. Nirgends waren die sonst so allgegenwärtige Dauerberieselung, die zugeklebten Wände, die Coca-Cola-Reklame zu erblicken. Sehr angenehm.

Am nächsten Tag wanderten wir durch die Straßen Havannas. Neben den alten Häusern aus der Kolonialzeit und den Tafeln mit politischen Losungen war auch die schwierige ökonomische Situation der Menschen unverkennbar. Etliche nutzten sie aus, um sich an naiven Touristen zu bereichern. Mit Tricks und Betteleien wollten sie einfältigen Besuchern der Insel suggerieren, es mangele ihnen an Grundnahrungsmitteln.

Doch das paßt nicht ganz in das Bild eines Landes, wo es inzwischen an allen Ecken billige Speisen und Getränke zu kaufen gibt und jeder Einwohner durch die sogenannte Libretta, eine Rationierungskarte, die allernotwendigsten Güter und Lebensmittel zugeteilt bekommt. Es fehlt zwar an vielem, aber Hunger leiden muß in Kuba niemand. Das versicherte mir jeder meiner dortigen neuen Freunde. Überhaupt hatte ich den Eindruck von einer trotz aller Disproportionen im Grundsätzlichen intakten Gesellschaft, ohne extreme Armut und ohne ein wie auch immer geartetes Prassertum.

Es herrschte ein reges Stadtleben mit Autos, Leuten, die Einkaufstüten im Arm trugen, Eis essenden Kindern, Karten spielenden und Rum trinkenden Erwachsenen, alten Leuten, die auf Parkbänken Zeitung lasen und Zigarren rauchten, manchmal mit einem Enkel auf dem Schoß, bisweilen auch mit dem Hund. Wenn man sich die kolonialen Villen besieht, die trotz ihres teilweise schlechten baulichen Zustands nichts von ihrer jahrhundertealten Pracht eingebüßt haben, und weiß, daß sie heute von Arbeiterfamilien bewohnt werden, wenn man die museumsreifen amerikanischen Luxuskarossen anschaut, die jetzt von ganz einfachen Leuten gefahren werden, dann ist auch dadurch zu spüren, daß man sich in einem sozialistischen Land befindet.

Am stärksten hatte ich diesen Eindruck, als wir in Havanna an der Führung durch eine Zigarrenfabrik teilnahmen. Dort herrschten ganz andere Verhältnisse als bei uns. Die Arbeiter wirkten irgendwie gelöst, als ob sie gerade diese Tätigkeit am liebsten verrichteten. Im riesigen Saal, in dem an die 400 Frauen und Männer auf Werkbänken Zigarren verschiedenster Qualität drehten, lief im Hintergrund Techno-Musik. An der Rückwand hing ein Plakat mit den Worten: "Zum 50. Jahrestag der Revolution - laßt uns mehr und effizienter produzieren!" Auch der Tisch des Vorlesers fehlte nicht. Jeden Morgen wird dort zuerst eine halbe Stunde aus der "Granma", der größten kubanischen Tageszeitung, vorgelesen. Danach geht man zu einem Buch über, das die Arbeiter selbst ausgewählt haben. Am Tage unseres Besuchs war es das "Sakrileg" von Dan Brown. Der Vorleser wechselt gelegentlich. Er bekommt die Zeit vergütet. Nachmittags läuft meist Musik. Nach Beendigung der Arbeit kann sich jeder dort Beschäftigte drei Zigarren seiner Wahl mit nach Hause nehmen. Und das täglich. Neben kostenlosem Essen aus der Mittagskantine hat mich vor allem eines beeindruckt: die demokratische Mitbestimmung im Betrieb. Jede Woche hält die Belegschaft eine Sitzung ab, um anstehende Probleme der Fabrik und des Landes zu beraten. Ich selbst wurde Zeuge einer solchen Zusammenkunft. Nach lebhafter Diskussion traf man Entscheidungen. Dabei folgte die Betriebsversammlung nicht starren Regeln, sondern wurde von den Arbeitern selbst gestaltet. Man beredete alles: von der Arbeitszeit über betriebliche Bedingungen und Löhne bis zum Buch für die nächste Woche. Kein Thema, auf das die Belegschaft nicht unmittelbar Einfluß nehmen könnte. Der oder die Vorsitzende werden demokratisch gewählt und sind ihren Kollegen rechenschaftspflichtig. Bei Amtsmißbrauch kann die betreffende Person sofort abberufen werden, was auch hin und wieder vorkommen soll.

Mit der verfassungsmäßig festgelegten Höchstarbeitszeit von 8 Stunden pro Tag und den hervorragenden Bedingungen im Betrieb, vor allem aber durch die Mitbestimmung hat sich die kubanische Arbeiterklasse manches erkämpft, wovon man hierzulande höchstens träumen kann. Nichtsdestotrotz: Die Löhne sind immer noch viel zu niedrig, auch wenn das Ende der 1991 eingeleiteten "Sonderperiode" bereits absehbar ist.

In Havanna konnte ich die Funktionsweise eines Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR) kennenlernen. Solche Körperschaften gibt es in jedem Wohnbereich. Etwa 90 % der Kubaner über 14 gehören den Komitees an, die für Sicherheit und Ordnung im Block sorgen, an demokratischen Entscheidungen mitwirken und sich aktiv an der Politik beteiligen. Im kubanischen Rätesystem bilden die CDR die unterste Ebene demokratischer Mitsprache. Oft werden Anträge weitergereicht, auf die man sich erst nach heftiger Diskussion geeinigt hat.

War da gerade das Wort "Demokratie" zu hören? In der Tat! Auch wenn so mancher bornierte Bourgeois oder Kleinbürger, der sich jeden Abend die FAZ oder "Die Welt" mit ins Bett nimmt, den Begriff Demokratie im Zusammenhang mit Kuba für absurd hält: Ein Kubaner kann darüber nur lachen. Dort gibt es die sozialistische Demokratie tatsächlich. Vollkommen offen redet man über alle Probleme der Republik, wählt Abgeordnete und Räte, die jederzeit abberufen werden können, und macht das Beschlossene publik. Dabei sind die Kubaner sehr viel mitwirkungsbereiter als die Bürger der BRD. Mit einer Wahlbeteiligung von weit über 90 % (stimmberechtigt ist man übrigens schon ab 16) und einer Mitgliederbasis in den CDR von über 7 Millionen läßt sich Demokratie auch leben. Besonders Arbeiter werden beim Mittun aktiv gefördert. Zwar gibt es in den oberen Etagen auch eine Menge bürokratischen Filz, doch hört man den Kubanern aufmerksam zu, dann merkt man sofort, daß sie zwar ununterbrochen über ihre Situation klagen, aber nie "den Sozialismus" für bestehende Mißstände verantwortlich machen, sondern etwas gegen diese unternehmen. Sie gehen zu Beratungen und zur Wahl, kandidieren selbst, schlagen Lösungen vor - und nicht selten entsteht dabei auch eine kontroverse Debatte. Überhaupt sind die Kubaner geradezu "diskussionswütig", was man nicht nur in den CDR, sondern auch auf der Straße und bei Besuchen in ihren Wohnungen mitbekommt.

Einige Tage später reisten wir nach Cienfuegos. Die meiste Zeit verbrachten wir dort am Strand, den wir uns mit Kubanern teilten. Seit der Revolution sind alle Strände wie Fabriken und Grundbesitz in den Händen des Volkes. So kann man in den Baderevieren oftmals geparkte Ladas mit kubanischen Familien ausmachen. Wir trafen auf drei Arbeiter aus der nahegelegenen Stadt. Ich nutzte die Gelegenheit, wieder etwas mehr über die Lebensverhältnisse im Lande zu erfahren. Zwei von ihnen sprachen leidlich englisch. Eric ist Busfahrer. Sein Lohn beträgt etwa 400 Peso Nacional und einige CUC pro Monat. Man kann sich dank niedriger Preise (1 Peso für Kino- bzw. Theatereintritt und 5 Peso für ein Eis) doch einiges kaufen. Aber sämtliche Luxusgüter sind nur für CUC zu haben, an denen es stets mangelt (1 CUC = 24 Peso Nacional = ca. 1 Euro). Eric beschwerte sich über die Doppelwährung: "Seit wir sie haben, können wir uns nichts mehr leisten. Das Geld ist äußerst knapp und reicht gerade für das Nötigste." Auch sein Freund José, ein Fabrikarbeiter, sah das ähnlich: "Es ist schon schwer, wenn man eine Familie hat. Man muß hart ran, doch letzten Endes kommt nichts dabei heraus. Und die Rationen auf der Libretta sind viel zu knapp, es reicht hinten und vorne nicht."

José fuhr fort: "Meine kleine Tochter bekommt für die Schule viel vom Staat, aber es ist halt doch nicht genug. Manchmal langt es nicht einmal mehr für neue Klamotten oder Seife. Aber so ist das nun einmal bei uns."

"Und woran liegt's?" fragte ich. Eric antwortete: "Das ist die Sonderperiode. Und auch weiter oben gibt es unter Funktionären nicht wenig Korruption. Einige verwenden von ihnen verwaltetes Material für eigene Zwecke oder verkaufen das, was für die Erneuerung der Städte bestimmt ist."

José unterbrach ihn: "Wobei hier in Cienfuegos nach dem Hurrikan sofort Eingaben geschrieben wurden. Man reparierte dann alles." Eric fuhr fort: "Ja, hier schon, aber nicht überall in Kuba klappte das so gut. Jedenfalls läuft manches schief, und es ist nicht leicht, hier zu leben."

"Na ja", fragte ich, "und was ist mit Fidel? Was haltet Ihr von dem?" "Fidel ist gut, wir Kubaner lieben ihn", erwiderte José. "Doch Fidel ist nicht überall. Nicht alle da oben sind so gut wie er." Eric pflichtete ihm bei. "Fidel ist o.k., aber es gibt viele, die seine Abwesenheit ausnutzen, und Raúl kommt zu sehr aus dem Militärischen." Ich hakte nach: "Und was wollt Ihr, was ist die Alternative? Zurück zum Kapitalismus?" José zögerte nicht: "Nein", sagte er, "ich bin Kommunist und stehe zu unserem System, auch wenn so manches nicht klappt." Eric stimmte dem zu: "Absolut, niemand hier will zurück zum Kapitalismus. Der Sozialismus ist für uns am besten. Im Kapitalismus würden wir wie die Leute in Haiti verhungern."

Ich fragte direkt: "Ihr seid also Kommunisten?" Alle drei lächelten und nickten. "Und die Demokratie in Kuba, wie seht Ihr das? Bei uns heißt es, Euer Land sei eine Diktatur. Wie erlebt Ihr das?" Eric antwortete: "Unsere Wahlen sind ungefälscht, und auch durch die CDR können wir großen Einfluß nehmen. Ich habe das sichere Gefühl, daß man hier als Arbeiter etwas zu sagen hat und ernst genommen wird." José unterstützte das. "Demokratie auf jeden Fall. Allerdings muß man sich gut überlegen, wen man wählt, sonst hat man den Falschen bis zu seiner Abberufung auf dem Hals." José lachte. "Hier in Kuba hat das Volk das Sagen, auch wenn das Leben schwer ist."

Am Straßenrand las ich auf einem Schild: "Mit Fidel und Raúl werden wir siegen!" Die drei Arbeiter zeigten sich erfreut. Selbst der Dritte im Bunde, der kein Englisch konnte und nur freundliche Gesten gemacht hatte, sagte jetzt laut: "Si! Venceremos! Con Fidel!" Mit diesen Worten verabschiedete auch ich mich von den dreien, denn schon bald ging unsere Reise weiter nach Trinidad.

Beim Start von Havannas Flughafen "José Martí" warf ich letzte Blicke auf die schon bald entschwindende kleine Insel. Ich verließ sie mit gemischten Gefühlen. Ohne Zweifel war ich einer in alles einbezogenen Bevölkerung, einem hervorragenden Gesundheits- und Bildungssystem, einer sich entwickelnden sozialistischen Gesellschaft und einer ausgeprägten Demokratie begegnet, die der bürgerlichen haushoch überlegen ist. Doch die wirtschaftlichen Probleme sind gravierend. Die Kubaner führen ein hartes, entbehrungsreiches Leben, auch wenn es wohl leichter als das anderer Menschen in Lateinamerika und sonstigen Entwicklungsländern sein dürfte. Es mangelt an vielem, und das Embargo verschärft die kritische Situation noch weiter.

Unter diesen Umständen ist es ein Kinderspiel, gegen Kuba zu sein und zu sagen: "Guck doch mal, was wir hier alles haben." Besser wäre es allerdings, sich aufzuraffen und selbst dort hinzufliegen, um die Leute an Ort und Stelle kennenzulernen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Ich habe das getan und dabei größten Respekt vor dem kubanischen Volk, seiner Geschichte und Gegenwart, gewonnen. Ich habe erlebt, wie Sozialismus und Demokratie zusammengehören. So kann ich den Kubanern für ihre Zukunft nur wünschen, daß sie sich weiterhin treu bleiben, ihren Werten und Idealen verbunden. Mögen sie die ernsten Mängel überwinden und damit ihre Revolution auch in den nächsten 50 Jahren behaupten. Trotz der Wirtschaftsblockade, trotz USA und CIA, trotz unserer Medien, die nicht müde werden, das "Schreckgespenst des Kommunismus" an die Wand zu malen, sobald auch nur der Name der Insel fällt.

Marcel Kunzmann

Unser Autor ist Chefredakteur der unabhängigen Schülerzeitung "direkt", die in der Bodensee-Region erscheint.

Ende Rf-Extra

Raute

BEILAGE

Was ein 80jähriger Jüngeren und Jungen gerne sagen möchte

Ehrliche Auskünfte

Von Georg Dorn

Zu dem folgenden Text würde ich mich gerne einer Diskussion mit jungen Leuten stellen. Die heute 15- bis 25jährigen wissen nichts mehr davon. Sie sind dem verbalen Mainstream auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, wie ihn Politiker und Medien über sie ausgießen. Ich weiß aber aus vielen Gesprächen, daß nicht wenige von ihnen den Wunsch haben, aus diesem Dunstkreis der Manipulation auszubrechen und die wirklichen Zusammenhänge zu erkennen. Deshalb unternehme ich den Versuch einer etwas umfassenderen Darlegung wichtiger Probleme aus Vergangenheit und Gegenwart.


Dialektik von Diktatur und Demokratie

"Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn jede Obrigkeit ist von Gott!" So steht es in Dr. Martin Luthers Kleinem Katechismus geschrieben, und so wurde es uns Jungen vom ersten Schultag an im Religionsunterricht eingebleut. Das war 1933 - die Faschisten hatten soeben die Macht übertragen bekommen -, und da gab es ihn noch in der Schule. Dann hatte diese "Obrigkeit" aber wohl doch ihre Probleme mit der Religion und mit deren Gemeinschaften, trennte sie deshalb von der Schule. Ein gottähnlicher "Führer" hatte jetzt das Sagen, und in jeder seiner berühmt-berüchtigten Reichstagsreden kam mindestens einmal der Satz vor "Die Vorsehung hat mich berufen ...", weshalb dann auch ein ganzes Volk - sagen wir genauer, dessen große Mehrheit - in den Ruf ausbrach: "Führer befiehl! Wir folgen!" Und so folgten sie ihm, zu vielen Millionen bis in den Tod. Als Kind und als Jugendlicher habe ich das bis zum bitteren Ende miterlebt. Und dabei plagten mich immer zweifelnde Fragen: Jede Obrigkeit - wirklich jede - soll von Gott sein? Auch die des "Erbfeindes Frankreich"? Und die bösen "Bolschewiken" da ganz im Osten? Was mag das wohl für ein seltsamer Gott sein, der solche "Obrigkeiten" schafft? Aber wenn die schon von Gott sind, warum bekämpfen wir sie dann? Da stellen wir uns ja gegen Gott? Auf dem Koppelschloß stand doch geschrieben: "Gott mit uns". Und wer oder was ist die "Vorsehung"? Wie sieht die aus, und was heißt "berufen"? Wozu? Für wen oder was? Oder doch gegen wen oder was?

Solche Fragen fallen mir spontan ein, wenn sich das heute aufgeblähte Vokabular vieler Politiker, aber auch Medienmacher über mich ergießt. So mystisch geht's da ja nicht mehr zu, viel geschmeidiger, eleganter, "moderner", aufgeklärter ... oder?

Dann schauen wir doch einfach mal hinein: In meinem Duden (von 1991, also nach der "Wende") steht unter Demokratie: "Volksherrschaft (Staatsform, in der die vom Volk gewählten Vertreter die Herrschaft ausüben)". Unter Diktatur steht überhaupt nichts, wobei der Begriff im allgemeinen politischen Sprachgebrauch etwa mit Zwangs- und Gewaltherrschaft (eines einzelnen oder einer bestimmten Gruppe) gleichgesetzt wird. Wie bei anderen politischen Begriffen werden Demokratie und Diktatur von den Politikern und Medien weitgehend inhaltslos "an sich" und damit abstrakt benutzt. Der einzige Unterschied besteht darin, daß Demokratie gewissermaßen als Leitmotiv für die beste aller Gesellschaften, Diktatur dagegen als das verworfenste Modell einer Gesellschaft bezeichnet wird. Demokratie ist Licht, Diktatur ist Finsternis. Demokratie ist Himmel, Diktatur dagegen die Hölle. Dort, wo es Demokratie gibt, kann es keine Diktatur geben, und wo Diktatur herrscht, ist Demokratie unmöglich. So einfach soll das angeblich sein. Ist es das?

Zunächst haben ja Demokratie und Diktatur etwas gemeinsam, nämlich eine Form der Herrschaft zu sein. Wo es Herrschaft gibt, muß es Herrschende und Beherrschte geben, und Herrschaft kann nur mit mehr oder weniger nachdrücklichem Zwang ausgeübt werden. Zwang denen gegenüber, die zu beherrschen sind. Nun kann ich Zwang auf die verschiedenste Weise anwenden, von der brutalen Gewalt bis hin zu den feinsten Nuancen einer Gesetzgebung der Herrschenden, die mit den Mitteln der Manipulation den Anschein erweckt, als sei der im Gesetz ausgedrückte Verhaltensmodus des Volkes Wille. So gesehen schließen Demokratie und Diktatur einander nicht aus, sondern bedingen einander. Ich wage sogar zu behaupten, daß Demokratie eine andere Form der Diktatur ist, zwar anders im Vergleich mit der ausgesprochenen Zwangsherrschaft einzelner Despoten und deren Vollstreckern, aber eben doch eine Macht, die mit mehr oder weniger Zwang von den Machthabern durchgesetzt wird. Der Trick besteht eben darin, Demokratie und Diktatur

a) als etwas einander wechselseitig Ausschließendes darzustellen und
b) dieses so in Gegensätze Verwandelte mit moralischen Werturteilen zu belegen, deren jeweilige Inhalte wiederum von den Herrschenden bestimmt werden.

Zusammengefaßt also: Zweifellos gibt es Diktaturen, die Demokratie welcher Form auch immer ausschließen, aber jede Demokratie kann nur in einem bestimmten Wechselverhältnis mit Diktatorischem funktionieren. Das aus der Geschichte zu beweisen fällt nicht schwer, würde aber die Grenzen dieses Beitrags sprengen.


Wahlen als Nonplusultra

Die heutigen Musterdemokratien betrachten offenbar das allgemeine Wahlrecht als das Nonplusultra einer funktionierenden Demokratie. Das Volk wählt seine Vertreter, die im Namen des Volkes Macht ausüben ... über wen wohl? Über das Volk. Wie grotesk! Der alte Marx hat das vor über hundert Jahren schon sehr treffend charakterisiert: "Das Volk hat das Recht, alle vier oder fünf Jahre darüber zu entscheiden, wer es im Parlament ver- oder genauer zertreten soll." Dazu gibt es die verschiedensten Wahlsysteme, das Verhältniswahlrecht oder das Mehrheitswahlrecht oder das Präsidialwahlrecht oder die Mischung dieser und anderer Wahlrechtssysteme, die alle nur die eine Funktion haben, so zu tun, als hätte das Volk etwas zu entscheiden. Aber in Wirklichkeit hat es doch überhaupt nichts zu entscheiden. Im Gegenteil, im Ergebnis dieser oder jener Wahlen ändern sich möglicherweise diese oder jene politischen Köpfe, aber es ändert sich absolut nichts am jeweils bestehenden System. Bezogen auf die deutsche Geschichte heißt das: Ob die Kanzler nach dem 2. Weltkrieg Adenauer, Erhard oder Kiesinger, Brandt oder Schmidt, Kohl oder Schröder oder Merkel hießen - immer, ob im Kaiserreich oder der Weimarer Republik, ob im 3. Reich oder der Bundesrepublik - saßen am Tisch der Macht jene, welche Deutschland in zwei Weltkriegen an den Rand der Vernichtung getrieben haben: die Bosse von Krupp und Thyssen, der IG Farben und von Blohm+Voss, der Dresdner oder der Commerzbank, der Allianz-Versicherungen oder der Hamburg-Mannheimer AG. Man könnte hier noch viele andere benennen. Die saßen zwar nie direkt an den Schalthebeln und machten sich nicht selbst die Hände schmutzig: Sie hatten dazu immer ihre "Köpfe" und deren Organisationen (Parteien), die nach Belieben austauschbar waren und sind.

Das Volk selbst hatte nie etwas zu sagen, geschweige etwas zu entscheiden. Wir erleben das doch derzeit höchst aktuell. In wenigen Wochen ist Bundestagswahl. Im Zeichen der tiefsten Wirtschaftskrise können Hunderte Milliarden für die Folgen der Mißwirtschaft der Banken aus Steuergeldern aufgebracht werden, aber die Bildungspolitik bleibt auf der Strecke. Steuern rauf oder runter? Hartz IV verbessern oder einschränken oder gar abschaffen? Mehr Soldaten nach Afghanistan oder raus aus Afghanistan? Koalieren oder opponieren? Das Volk steht staunend da und weiß schon jetzt, daß sich daran nichts ändern wird, gleich ob Merkel oder Steinmeier Bundeskanzler werden, egal ob Schwarz/Gelb oder Schwarz/Rosa. Mehr noch, alle wissen schon jetzt, daß danach die Krise erst richtig zuschlagen wird, weshalb schon jetzt die Ängste wachsen. Das einzige, was höchstens noch passieren könnte, ist, daß die Partei der Nichtwähler immer größer wird, was die "Demokratie" völlig auf den Kopf stellt, weil einfach jeder zweite nicht mehr hingeht (wie die Europawahlen vor kurzem erst wieder bewiesen).

Ich habe den größten Teil meines politisch bewußten Lebens in einer kommunistischen "Gewaltherrschaft", einer Diktatur zugebracht, die aber aus meiner Sicht tausendmal demokratischer war als das, was da jetzt als BRD über uns gekommen ist. Volksdemokratien nannten wir unsere Länder und verschwiegen nie, daß sie in ihrem Wesen eine Form der "Diktatur des Proletariats" (so hatten es Marx und Engels formuliert) waren. Das haben wir sogar ganz öffentlich gesagt und geschrieben, ohne uns dabei zu genieren. Für uns hieß das eine Demokratie der Mehrheit im Interesse der Mehrheit und eine Diktatur über die Minderheit der Profiteure. Natürlich funktionierten diese Volksdemokratien nicht nach den formellen Regeln des bürgerlichen Parlamentarismus, sollten sie auch gar nicht. Ganz im Gegenteil, sie sollten eben tatsächlich Demokratien des Volkes sein, die ganz andere Strukturen, ganz andere Regularien notwendig machten - und die wieder in jedem der volksdemokratischen Staaten ganz anders, auch abhängig von den historischen Traditionen und ethnischen Besonderheiten dieser Länder. Kein Wunder, daß dieser revolutionäre Vorstoß auf den erbitterten Widerstand der etablierten bürgerlichen Demokratien stieß!


Zu einigen Gründen der Niederlage

Das wirft die Frage auf, warum diese Demokratien des Volkes am Ende ganz offensichtlich vom Volk "gestürzt" worden sind. "Wir sind das Volk", so hallte es in den großen Demonstrationen des Herbstes 1989 in Leipzig, Halle und anderen Städten. (Ich kann und will das nur auf die DDR bezogen beurteilen, bin aber davon überzeugt, daß bei allen historisch unterschiedlichen Bedingungen die Ursachen in sämtlichen früher sozialistischen Staaten ähnlich waren.)

Meines Erachtens gibt es für dieses Zusammenbrechen auf halbem Wege drei Gründe:

1. So gut und so richtig die Regeln einer funktionierenden Volksdemokratie auch gedacht und gesetzlich fixiert waren, so unvollkommen gelang es, sie praktisch im umfassenden Sinne zur Wirkung zu bringen. Da war zu viel Routine, Selbst- und Leerlauf. Es gelang nicht, dem "Volk" seine Demokratie und alle damit verbundenen Möglichkeiten und Notwendigkeiten ausreichend bewußtzumachen.

2. Genau das wäre aber ein langer und historisch notwendiger Bildungs- und Erziehungsprozeß über mehrere Generationen gewesen. Es ging ja um einen völlig neuen Typ der Ausübung der Macht, um eine Demokratie, die es so bis dahin bei uns noch nie gegeben hatte. Ihre Voraussetzung war das ganz persönliche Engagement möglichst jedes Staatsbürgers. Das mußte dieser erst lernen. Dazu blieb uns nicht viel Zeit. Die internationale Systemauseinandersetzung, der äußere Druck des Kapitalismus, aber auch innere Entwicklungswidersprüche dieser neuen Demokratie verhinderten das.

3. Es gelang uns nicht ausreichend, den wechselseitigen Zusammenhang von Demokratie und Diktatur zu meistern, d. h. die Grenzen zwischen dem Demokratischen und dem notwendigerweise Diktatorischen unter den Bedingungen dieses historisch neuen Gesellschaftssystems genau zu bestimmen und abzustecken. Es gab beides: die formalistische, routinemäßige Übertreibung des Demokratischen und - schlimmer - die teilweise Überziehung des Diktatorischen in seiner Wirkung nach innen.


Votum in der DDR: Licht und Schatten

Es gäbe sehr viel über das Wesen und die Funktionsweise sozialistischer Demokratie aufzuschreiben. Ich muß es bei wenigen ausgewählten Beispielen belassen.

Wahlen! Über nichts wurde im Westen so viel gespottet wie über unser Wahlsystem. Was sollten das auch schon für Wahlen gewesen sein, bei denen es nicht einmal Parteienlisten gab, eine Opposition von vornherein ausgeschlossen blieb und fast alle die gemeinsamen Kandidaten der Nationalen Front wählten? Das soll Demokratie gewesen sein? Wählen hieße doch auswählen. Doch darum ging es durchaus, wenn auch auf ganz andere Art! Es ging eben nicht nur darum, einmal alle vier Jahre auf irgendeinem Zettel ein Kreuzchen zu machen, sondern es ging um das aktive Auswählen der Kandidaten. Darum war der Wahlakt selbst nur der Abschluß eines vorangegangenen und viel wichtigeren Prozesses: In Tausenden Einwohner- und Volksversammlungen oder in Wählervertreterkonferenzen auf zentraler Ebene stellten sich die zur Wahl antretenden Kandidaten vor, hatten Rede und Antwort zu stehen, mußten sich zu Problemen äußern, die die Menschen bewegten, und auf Fragen Auskunft geben. Sie hatten ihre persönliche Entwicklung offenzulegen, die Gründe ihrer Kandidatur vorzutragen und - soweit sie sich zum wiederholten Male bewarben - über ihre bisherige gesellschaftliche Tätigkeit und deren Ergebnisse Rechenschaft zu legen. Erst dann wurden sie durch Mehrheitsbeschluß auf die jeweilige Kandidatenliste gesetzt.

Ich habe an vielen solcher Versammlungen und Konferenzen teilgenommen und mehr als einmal erlebt, daß dieser oder jener vorgesehene Bewerber dann eben doch nicht auf die Liste kam, weil er nicht überzeugen konnte oder seine bisherige Tätigkeit als Abgeordneter nicht den Erwartungen der Wähler entsprach. So verstanden wir sozialistische Demokratie. Es sei dennoch nicht verschwiegen, daß der gesamte Prozeß nicht immer und überall in diesen umfassenden demokratischen Formen verlief. Sehr oft hätten weitaus mehr Bürger an den Auswahlprozessen teilnehmen können und müssen, zu oft verkamen die Versammlungen zu reinen Routineveranstaltungen, die dann auch nicht mehr so ernst genommen wurden, wie sie es verdient gehabt hätten. Ich bin aber davon überzeugt, daß das Grundanliegen, über die Inhalte der politischen Arbeit mit den zur Wahl stehenden Kandidaten intensiv zu beraten und zu streiten, dem eigentlichen Charakter der Demokratie, Volksherrschaft zu sein, am besten entspricht.

Hier soll auch auf einige gravierende Mängel verwiesen werden. Von westlicher Seite wird die sehr hohe Wahlbeteiligung stets als unglaubwürdig hingestellt. Sie war indes tatsächlich echt. Das Wahlrecht wurde von der übergroßen Mehrzahl durchaus als Wahlpflicht, als Bürgerpflicht verstanden. Daß dann an den Wahltagen durch Agitatoren bei jenen etwas nachgeholfen wurde, welche nicht so recht wollten, halte ich nicht für falsch. Wesentlich schwerer sind die außergewöhnlich hohen Zustimmungsraten (fast überall und immer lagen sie zwischen 90 und 99 %) zu erklären. Begonnen hatte das in ursprünglich guter Absicht. Ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr und zu welcher Wahl das geschah. Da hatten in verschiedenen Stimmbezirken ganz durchschnittliche Wahlberechtigte damit begonnen, auf die Wahlkabinen zu verzichten und ihr Votum offen abgegeben. Dem lag die Vorstellung zugrunde, daß wir es unter diesen anderen gesellschaftlichen Bedingungen gar nicht nötig hätten, unsere Meinung zu verstecken. Letztlich war das aber eigentlich eine ernste Verletzung der Wahlgesetzgebung. Da dieses Vorgehen die Zustimmung der übergeordneten Organe fand, ja sogar besonders gelobt wurde, entwickelte sich solches Wahlverhalten sehr schnell zu einem als Wahlpflicht zu verstehenden Ritus, der schweren Schaden anrichtete. Die ursprünglich gutgemeinte Absicht kehrte sich in dem Maße, in dem sie zur offiziell geduldeten, ja sogar erwünschten Routine wurde, gegen sich selbst. Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit gerieten ins Schwanken. Denn natürlich waren auch im Sozialismus aus den Menschen nicht die reinsten Engel geworden, sondern viele Schwächen hatten sich bei ihnen erhalten. Hochprozentige Zustimmung wurde als Ausdruck großen Vertrauens gewertet. Aber das war es eben nicht immer, zumal die tiefen inneren Widersprüche unserer Entwicklung ja zwangsläufig auch recht gegensätzliche Meinungen hervorbringen mußten. Letztlich kehrte sich diese Praxis, die wir überhaupt nicht nötig gehabt hätten, gegen das Wesen sozialistischer Demokratie. Wir hätten auch mit 70 % gute Politik machen können, vielleicht sogar bessere, weil wir da intensiver gezwungen gewesen wären, über die Wahlergebnisse nachzudenken. Nur zum Vergleich: Der erste Deutsche Bundestag wählte Konrad Adenauer mit der Mehrheit einer einzigen Stimme zum ersten Kanzler der BRD. Es war übrigens seine eigene gewesen.

Noch ein Wort zu den angeblichen Wahlfälschungen in der DDR. Ich kann sie weder bestätigen noch ausschließen. Ich vermag aus eigener Erfahrung nur zu sagen, daß ich solche selbst nie erlebt habe. Ich saß bei vielen Wahlen in Vorständen oder war persönlich an öffentlichen Stimmauszählungen beteiligt. Ich habe zu keiner Zeit Veränderungen der Ergebnisse oder Versuche zur Manipulation (natürlich immer nur bezogen auf den Wahlbezirk, in dem ich gerade tätig war) feststellen können. Ich weiß allerdings, daß es besonders nach den vorletzten Volkskammerwahlen diesbezüglich ernste Verdächtigungen gab, die sich auf die Gesamtergebnisse in den Großstädten und Ländern bezogen. Das kann ich nicht entkräften. Manipulationen sind immer zu verurteilen.


Lächerliche "Stasi"-Hysterie

Ein Wort zur Diktatur: Natürlich war auch unser Staat als Demokratie anderer Art eine Herrschaftsform. Und ohne Zweifel übte er seine Macht - wie jeder Staat - mit den Mitteln der Macht (Staatsapparat, Polizei, Justiz, Geheimdienste u. v. a.) aus. In diesem Sinne war er durchaus eine Diktatur. Es fragt sich eben nur, wer in wessen Interesse welche Macht mit welchen Mitteln, welchem Ziel und welchen Inhalten ausübt. Und da, so meine ich, brauchten wir uns hinter keinem anderen sich noch so demokratisch gebärdenden Staat zu verstecken. Natürlich waren die Mittel und Methoden andere, weil ja auch das Wesen des Gesellschaftssystems ein anderes war. Daher paßte das den angeblich so "freiheitlichen Demokratien" des Westens nicht in den Kram. Sie rieben sich daran, daß unsere Demokratie ein Staat der Arbeiter und Bauern war und bekämpften ihn von der ersten Stunde mit nachweisbar verbrecherischen Mitteln. Deshalb kann es nicht verwundern, daß wir die Möglichkeiten der Diktatur auf unsere Weise nutzen mußten, ohne dabei die Demokratie einzuschränken. Das ist übrigens in jedem anderen Staat ähnlich - allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Als Popanz wurde nach der angeblichen Wende die "Stasi"-Hysterie aufgebaut. Dazu ist zweierlei zu sagen: Erstens gibt es in jedem modernen Staat (so auch in der BRD) einen Geheimdienst oder gleich mehrere, die nach innen und außen wirken. Das mag nicht jedem gefallen, ist aber in den politischen Auseinandersetzungen unserer Zeit nun einmal nicht anders. Jeder Staat, der sich über andere aufregt, sollte zuerst vor der eigenen Tür kehren. Denn wie man mit verfälschten Geheimdienstinformationen Kriege vom Zaun brechen kann, haben uns die Musterdemokratien der Sonderklasse mit ihren Überfällen z. B. auf Nordvietnam, Grenada, Jugoslawien, Irak und Afghanistan vorgeführt. All die Aufregung über die DDR-"Stasi" ist eigentlich lächerlich, maßlos aufgebauscht und sinnentstellend. Zweitens meine ich, daß mit dieser Hysterie Tausenden großes Unrecht zugefügt wurde und noch immer wird. Ich kenne selbst viele Menschen, die damit ins soziale Abseits gedrängt wurden, obwohl sie grundehrliche Leute waren und sind.

Um beim Thema Diktatur zu bleiben: Es stimmt, bei uns gab es das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Arbeit und deshalb auch eine Arbeitspflicht; jeder, der gesund und arbeitsfähig war, mußte, ob es ihm paßte oder nicht, einer Tätigkeit nachgehen. So gab es in der DDR keine Arbeitslosen. Natürlich herrschte Schulpflicht, die man auch als Zwang auffassen konnte. Jedes Kind mußte bis zur 8. Klasse am Unterricht teilnehmen und durfte erst dann - nach Leistung und Wunsch, nicht aber nach dem Geldbeutel der Eltern - weiterführende Schul- und Bildungseinrichtungen besuchen, wofür sogar noch Stipendien gezahlt wurden. Natürlich bestand die konsequente Trennung von Staat und Kirche, weshalb in der Schule kein Religionsunterricht erteilt wurde; wer daran teilnehmen wollte, sollte den außerhalb der Schule angebotenen konfessionellen Unterricht besuchen. Es fehlte auch ein Wohnungsmarkt; dafür gab es eine staatlich gelenkte Wohnungspolitik, die sich auf das verfassungsmäßige Recht stützen konnte, für jeden Bürger Wohnraum zu schaffen. Man kannte allerdings keine Obdachlosen. Es existierte auch bei uns eine Polizei, noch schlimmer, in jedem Wohngebiet gab es einen Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei, der dort sogar ansässig war und ständig die "Aufsicht" in seinem Kiez innehatte.

Ehrlich gesagt, in dieser "Diktatur" habe ich mich wesentlich sicherer gefühlt als in der jetzigen bundesdeutschen "Demokratie", in der es für viele ältere Menschen gefährlich geworden ist, abends noch auf die Straße zu gehen.


Grundgesetz ist keine Verfassung

Ich will noch erzählen, wie die Verfassung des von mir geschilderten Landes zustande kam. Die Bundesrepublik hat ja ein "Grundgesetz", die DDR besaß eine richtige Verfassung. Das Grundgesetz ist durch einen sogenannten Parlamentarischen Rat 1949 ausgearbeitet, durch die Militärregierungen der Westmächte genehmigt, durch den Bundestag beschlossen und vom Bundespräsidenten nach der Gründung der BRD für diese in Kraft gesetzt worden. Der Begriff Grundgesetz wurde absichtlich gewählt, weil es als ein Provisorium bis zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten gelten und danach durch eine Verfassung ersetzt werden sollte (GG, Artikel 146). Eine öffentliche Diskussion darüber hat es nie gegeben. Die mußte man sich schon deshalb sparen, weil es eines der schwächsten Verfassungswerke der deutschen Geschichte war und ist. Ganz anders verhält es sich mit der Verfassung der DDR. Durch eine Verfassungskommission wurde ein Entwurf erarbeitet und in allen überregionalen Zeitungen veröffentlicht. Danach gab es die wohl breiteste Volksdiskussion nicht nur der DDR-Geschichte, sondern der deutschen Geschichte überhaupt. Ich habe an manchen dieser sehr konstruktiven Debatten teilgenommen. Sie bezogen nahezu jeden Bürger ein. Dabei wurden Tausende Vorschläge zur weiteren Veränderung und Verbesserung des Verfassungsentwurfs eingebracht. Die Verfassungskommission überarbeitete dann den Entwurf, der abermals veröffentlicht und danach in einem Volksentscheid 1968 mit überwältigender Mehrheit als "Verfassung der DDR" beschlossen wurde. Ja, hier gab es eine vom Volk diskutierte und beschlossene Verfassung. Die gibt es nicht mehr, weil es die DDR nicht mehr gibt. Dafür wurde uns das Provisorium Grundgesetz übergestülpt. Heute ist der provisorische Charakter dieses Grundgesetzes weitgehend verdrängt und vergessen. Demokratie???


Weiße Schimmel und schwarze Rappen

Damit wird es Zeit, sich mit den aufgeblähten Begriffen heutiger bundesdeutscher Politik zu befassen. "Rechtsstaat"? Was soll das sein? Jeder weiß ja inzwischen, daß der Staat mit all seinen Behörden, Ämtern, Organen und Einrichtungen jene Institution ist, welche den politischen Willen der jeweils herrschenden Klasse in Form von Gesetzen - also des Rechts - bestimmt und durchsetzt. Was soll da der Begriff "Rechtsstaat"? Ein weißer Schimmel wird ja nicht dadurch weißer, daß ich ihn "Weiß"-Schimmel nenne und ein Rappen nicht schwärzer, wenn ich ihn "Schwarz"-Rappen rufe. Das sind Wortdopplungen ohne speziellen Sinn. So gesehen war und ist jeder Staat ein "Rechtsstaat", da er ja das jeweilige Recht festlegt. Das gilt auch für die DDR. Aber die BRD-Mächtigen bäumen sich dagegen auf. Schon Bundesjustizminister Kinkel hatte seinerzeit die Richtung vorgegeben, die DDR zu "delegitimieren", d. h. ihre gesamte Geschichte, ihre Existenz, ja selbst ihre weltweite Anerkennung als Friedensstaat ins Gegenteil umzudrehen. Und damit das selbst der dümmste Bundesbürger begreifen sollte, wurde der politische Kampfbegriff "Unrechtsstaat" als Totschlagskeule erfunden. Ihn gab es in dem von mir anfangs zitierten Duden noch gar nicht. Es gibt ihn auch international nicht. Er ist ein Unikum in der bundesdeutschen politischen Sprache der Gegenwart. Da sich nun aber immer mehr frühere DDR-Bürger gegen solche Verunglimpfung zur Wehr setzen, weil ihnen 20 Jahre nach dem "Mauerfall" bewußt wird, was sie durch ihre Niederlage verloren haben, mußten nun noch schwerere Geschütze aufgefahren werden. Die "zweite deutsche Diktatur" nach Hitler sei die DDR gewesen, verkünden die professionellen Irreführungsspezialisten. Pastor Joachim Gauck erfand für uns sogar die Bezeichnung "sozialistische Globkes". Da kann man ihn eigentlich nur an die 10 christlichen Gebote erinnern, von denen eines lautet: "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!" Hans Globke schrieb den Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 als juristische "Begründung" des millionenfachen Massenmords an den europäischen Juden durch die deutschen Faschisten. Er war dann etliche Jahre der persönliche Staatssekretär des ersten bundesdeutschen Kanzlers Adenauer. Schlimmer kann man ehemalige DDR-Bürger wohl nicht beleidigen.

Es zeigt sich also: Je tiefer das kapitalistische System in seiner Krise versinkt, um so blindwütiger schlägt es um sich. Vorerst noch mit irreführenden Wortungetümen und daraus abgeleiteten politischen Entscheidungen. Noch! Was kommt danach? Wir sollten das sehr ernst nehmen und uns dagegen wappnen, weltanschaulich wie politisch.


Der Autor war viele Jahre als Pädagoge in verschiedenen Bildungseinrichtungen tätig.

ENDE BEILAGE

Raute

Wie man in Geheimdienstkreisen die internationale Entwicklung beurteilt

Der BND geht von drei Szenarien aus

BERLIN (Eigener Bericht). Der deutsche Auslandsgeheimdienst sagt massive Verschiebungen im globalen Mächtegefüge voraus und verlangt "eine geostrategische Debatte in Deutschland". Der Zusammenbruch der westlichen Volkswirtschaften, dessen Ende bislang nicht absehbar ist, könne den Aufstieg Chinas sowie den Abstieg des langjährigen Hauptverbündeten der Bundesrepublik, der Vereinigten Staaten, dramatisch beschleunigen, heißt es in einer vertraulichen BND-Studie. Das Geheimdienstpapier wird gegenwärtig in Berlin diskutiert und ist jetzt auszugsweise in die Presse lanciert worden, um die Öffentlichkeit auf mögliche weltpolitische Umwälzungen vorzubereiten. "Eine langanhaltende globale Krise" könne derzeit nicht ausgeschlossen werden, urteilt der BND, der "Massenarbeitslosigkeit und Wanderungsbewegungen in einem bisher unbekannten Ausmaß" sowie stark eskalierenden Nationalismus und schwerste internationale Spannungen für diesen Fall einkalkuliert. Eine maßgebliche Frage sei, ob es gelinge, Rußland an den Westen zu binden, oder ob Moskau zum chinesischen Gegner überlaufe, heißt es in dem Papier über die künftigen globalen Konfliktkonstellationen.

Die als "vertraulich" klassifizierte BND-Studie, die sich mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf das globale Mächtegefüge befaßt, wird seit dem Frühjahr in Berliner Regierungskreisen diskutiert. Kernaussagen des Papiers werden nun in der Fachzeitschrift "Internationale Politik" referiert - wie es heißt, um "eine geostrategische Debatte in Deutschland anzufachen". "Die Weltwirtschaftskrise", ist in der Vorbemerkung der Zeitschrift zu lesen, "beschleunigt den Anbruch des viel zitierten 'asiatischen Jahrhunderts'. Das globale Machtgleichgewicht verschiebt sich nach Osten." Verschiedene Szenarien zu der Frage, wie diese Verschiebung vonstatten gehen werde, hat der BND in seiner Studie entwickelt. "Wir erleben möglicherweise eine Metamorphose der Geopolitik", resümiert BND-Präsident Ernst Uhrlau die erwarteten folgenschweren Umbrüche im internationalen Staatensystem - unter Rückgriff auf traditionsreiches Vokabular: Erwägungen über "Geopolitik" begleiteten im letzten Jahrhundert die beiden deutschen Versuche, die Weltmacht zu erobern. Nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang außer Gebrauch, erleben sie seit den 90er Jahren eine Renaissance.

"Szenario 1" der BND-Studie geht "von einer Beruhigung der Lage an den Märkten und einer Rückkehr des Vertrauens in die Weltwirtschaft" aus. Zwar könnten die Vereinigten Staaten in diesem Falle wohl ihre Vormachtstellung "noch eine Zeit" halten; doch werde dies "am steten Aufstieg Chinas" laut BND "nichts ändern". "Die Gewichte zwischen den großen Blöcken USA, EU und China" werden sich unvermeidlich "langsam nach Osten" verschieben, sagt der deutsche Auslandsnachrichtendienst voraus. "Szenario 1", mit dessen Eintreten die Autoren selbst nicht rechnen, umfaßt wegen des Aufschwungs auch steigende Rohstoffpreise, die bedeutenden Rohstoffexporteuren wie Rußland, den arabischen Staaten, Iran und Venezuela erweiterte politische Spielräume verschafften - "mit allen Vor- und Nachteilen", heißt es in dem Papier. Vor allem Venezuela und Rußland könnten dies nutzen, um "politisch selbstbewußter aufzutreten", warnt der BND.

"Szenario 2" (das "China-Szenario") gestaltet sich nach Auffassung des BND "wesentlich unangenehmer". Demnach könnten die beispiellosen US-Billionenspritzen völlig verpuffen, es könnten, ausgelöst durch die berüchtigte US-Kreditkarten-Überschuldung, neue "Finanzblasen" platzen und die Wirtschaft noch weiter in den Abgrund reißen. Gelinge es China, seine technologische Aufholjagd trotz der Zusammenbrüche im Westen fortzusetzen, dann werde es "sehr schnell in Asien zur dominierenden Macht aufsteigen". Während die USA "ihren Aktionsradius schon aus Kostengründen schneller als geplant einschränken" müßten, könne Beijing auf Weltebene auftrumpfen. "Je stärker China und je schwächer die USA erscheinen", desto klarer dürften sich viele Staaten "politisch nach Osten ausrichten", fürchtet der BND. Als entscheidend gilt in diesem Fall die Frage, wohin sich Rußland wenden wird. Der Auslandsnachrichtendienst hofft, Moskau werde sich nach Westen halten, "um einer Rolle als Juniorpartner des aufsteigenden China zu entgehen". Es sei aber auch denkbar, daß sich Rußland "offensiv an Peking anlehne". Dieser Fall beschäftigt die "Strategic Community" in Berlin schon länger; im letzten Jahr spekulierte die Bundesakademie für Sicherheitspolitik bereits offen über eine "drohende bewaffnete Auseinandersetzung" zwischen West (EU, USA) und Ost (China, Rußland).

Während die Geheimdienstler offiziell eine Entwicklung zwischen den Szenarien 1 und 2 erwarten, wollen sie auch Tendenzen erkannt haben, die auf "Szenario 3" deuten. Es sagt "eine lang anhaltende globale Krise" voraus, die zu einer weitreichenden Renationalisierung der Weltwirtschaft führe. In der Tat sind die Ein- und Ausfuhren Deutschlands, Chinas und Japans in den vergangenen Monaten dramatisch eingebrochen. Dauere die Krise an, dann könne sich in den Rohstoffländern wegen ausbleibender Exporte "politische Instabilität" ausbreiten. Auch China sei in diesem Fall von "Massenarbeitslosigkeit und Wanderungsbewegungen in einem bisher unbekannten Ausmaß" bedroht. Der BND rechnet damit, daß China - wie überdies auch Rußland - dazu übergehen könne, "mit nationalistischen Tönen" innere "Aggressionen nach außen zu lenken", eventuell sogar gegenüber dem Westen. "Es gehört wenig Phantasie dazu, sich die daraus folgenden Konflikte etwa mit den USA auszumalen", heißt es über das Weltkriegspotential von "Szenario 3".

Die drei BND-Szenarien verdeutlichen Grundlinien der Debatte, die in Berlin über die weltpolitischen Entwicklungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte geführt wird. Die wenigen Elemente der Studie, die der Öffentlichkeit mitgeteilt wurden, blenden Krisentendenzen innerhalb Deutschlands - auch hier wächst der Nationalismus - ebenso aus wie das außenpolitische Aggressionspotential Berlins. Immerhin läßt der Initiator der Studie einiges über hierzulande zu erwartende Entwicklungen erkennen. Nicht einer von den etablierten Berliner Polit-Thinktanks oder eine der großen Stiftungen privater Konzerne haben der Bundesregierung die Studie über die zu erwartenden Verschiebungen im weltweiten Mächtegefüge vorgelegt, sondern der Auslandsgeheimdienst, dessen Einfluß in den letzten zehn Jahren ohnehin deutlich gewachsen ist. Als zentrale Stichwortgeber erweisen sich damit einmal mehr nicht das zivile Berliner Establishment, sondern Repressionsbehörden und Spionageapparate.


Aus: Informationen zur Deutschen Außenpolitik,
info@german-foreign-policy.com, 19.6.2009

Titel: RF

Raute

Schachfiguren im antichinesischen Spiel

Beijing hat in den vergangenen Jahrzehnten enorme Anstrengungen unternommen, um die Entwicklung in der westchinesischen Region Xinjiang voranzutreiben. Deren Hauptstadt Urumqi konnte sich zu einer modernen Metropole entwickeln. Die Beziehungen zwischen Han-Chinesen und Uiguren - einer der vielen nationalen Minderheiten, die auf dem riesigen Territorium leben - werden trotz gezielter Förderung aller kleineren Völkerschaften Chinas durch die Zentralregierung von im Ausland gesponnenen Intrigen einer 5. Kolonne imperialistischer Mächte belastet. Bei den jüngsten heftigen Zusammenstößen waren 192 Tote und 1721 Verletzte zu beklagen. Die meisten Opfer erwiesen sich als Han-Chinesen.

Dank des energischen Einschreitens der chinesischen Polizei konnten die Unruhen inzwischen unter Kontrolle gebracht werden. Es besteht kein Zweifel, daß imperialistische Geheimdienste bei dieser Orgie der Gewalt im Hintergrund Regie geführt haben. Auch gewisse Korrespondenten westlicher Medien gossen nach Kräften Öl ins Feuer.

Als ein bereits erprobtes Werkzeug diente den Drahtziehern der sogenannte Weltkongreß der Uiguren (WUC), der seinen Sitz nahe der bayerischen Landeshauptstadt München hat, wo dann auch prompt ein Brandanschlag gegen das dortige Generalkonsulat der VR China verübt wurde. Das Ziel der "uigurischen Befreiungsbewegung" entspricht haargenau der vom Dalai Lama und dessen Hintermännern in bezug auf Tibet verfolgten Linie. Es geht um die territoriale Abtrennung von China. Auf der jüngsten Generalversammlung des WUC, die aufschlußreicherweise in der USA-Bundeshauptstadt Washington stattfand, wurde unmittelbar vor den Unruhen in Urumqi zu Kundgebungen gegen Beijing aufgerufen.

An der Spitze der die "uigurischen Patrioten" vom Ausland her offiziell unterstützenden Gruppen steht die in den USA lebende 62jährige Multimillionärin Rewiya Kadeer. Sie fungiert als WUC-Präsidentin. Ihre Autobiographie trägt den Titel: "Die Himmelstürmerin, Chinas Staatsfeindin Nr. 1". Im August 1999 war die erfolgreiche Unternehmerin und Vorsitzende der Handelskammer von Xinjiang wegen erwiesener Wühltätigkeit gegen die Volksmacht durch die Organe der VR China verhaftet und später zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden. Nach eigenen Angaben hatte sie "Informationen zur Verfolgung der Uiguren durch Beijing" über China bereisende USA-Kongreßabgeordnete nach Washington bringen lassen. Zur Bedingung einer vorzeitigen Haftentlassung machten die Behörden Kadeers Ausreise in die Vereinigten Staaten, wohin sich ihr zweiter Mann bereits früher abgesetzt hatte. Ohne Zweifel sind die Unruhen in Urumqi nicht - wie von den ZDF-Hanos und ihresgleichen behauptet wird - "spontan ausgebrochen", sondern von langer Hand vorbereitet worden.

Wie 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens, als die Konterrevolution fast zeitgleich mit entsprechenden Operationen geheimdienstgelenkter "Bürgerrechtler" in den osteuropäischen sozialistischen Ländern auch in Beijing inszeniert werden sollte, haben sich die chinesischen Machtorgane einmal mehr der Situation gewachsen gezeigt und den schwelenden Brand gelöscht. Zugleich ist davon auszugehen, daß die ferngesteuerten subversiven Aktivitäten unter Ausnutzung nationalistischer Vorurteile und bestehender Unterschiede ihre Fortsetzung finden dürften.

K. S.

Raute

Reich der Mitte bald im Anflug auf den roten Planeten

Beijings erste Marssonde vor dem Start

Chinas erste Marssonde wird den Härtetest von fast neun Stunden im eisigen totalen Schatten des roten Planeten während ihrer einjährigen Erkundungsmission zu bestehen haben. Das Solarsystem von Yinghuo 1 wird in dieser kritischen Phase völliger Dunkelheit kein Sonnenlicht zur Stromerzeugung an Bord bekommen. Wie Chen Changya vom Shanghaier Institut für Satellitentechnik berichtete, wird ein Teil der Aggregate dann aus Gründen der Energieersparnis abgeschaltet und deren Neustart bei Wiedereintreten in die Sphäre der Sonnenbestrahlung erfolgen. Laufe dabei etwas schief, würde der künstliche Raumkörper "erfrieren", wie es seinerzeit der Phoenix-Landekapsel erging, die auf der Marsoberfläche erlosch.

Chen zeigte sich erleichtert, daß der 110 kg schwere Mikrosatellit die Laboratoriumstests im Februar unter simulierten Marsbedingungen (260 Minusgrade bei völliger Dunkelheit) gut bestanden hat. Das Team des chinesischen Wissenschaftlers konnte die Entwicklung des Flugkörpers in nur 23 Monaten abschließen. Nach Beendigung der Forschungsphase werde Yinghuo 1 zu Verträglichkeitstests nach Moskau auf den Weg gebracht. Im Oktober solle die Marssonde dann vom Raumflugbahnhof Baikonur in Kasachstan gestartet werden. Nach zehnmonatiger Reise wird sich das in China entwickelte Gerät von der russischen Landefähre Phobos-Grunt im Mars-Orbit lösen, während diese ihren Flug zu Phobos - dem großen der beiden Monde des Planeten - fortsetzt.

Obwohl sich China auf die russische Raumfahrttechnologie stützt, betrachtet es die Entsendung des Mikrosatelliten als einen Meilenstein auf dem Weg der tieferen Kosmos-Erforschung.

"Wenn Yinghuo 1 den Mars-Orbit erreicht und gut funktioniert, wird China neben den USA, Rußland und Europa das vierte Land oder die Region sein, die jemals mit Erfolg eine solche Sonde gestartet hat", erklärte Pang Zhihao von der Akademie für Raumfahrttechnologie der fernöstlichen Volksrepublik. Die Entfernung zwischen Mars und Erde beträgt - je nach Position beider Himmelskörper - zwischen 56,7 und 400 Millionen Kilometern. Es wird damit gerechnet, daß Yinghuo 1 im September 2010 die ersten Bilder vom roten Planeten übertragen wird.

RF, gestützt auf Beijing Review

Raute

Brasiliens Landlose geben nicht auf

Im Januar 1984 wuchsen in Brasilien die Massenbewegungen stürmisch an. Die Arbeiterklasse reorganisierte ihre größer werdenden Kräfte. Die im Untergrund wirkenden Parteien, darunter auch die der Kommunisten (PCB und PCdoB), waren bereits auf der Straße. Wir hatten eine Teilamnestie erreicht und die Mehrheit der ins Ausland Vertriebenen war zurückgekehrt.

Die Arbeiterpartei (PT), die Vereinigte Arbeiterzentrale (CUT) und der von den Kommunisten ins Leben gerufene Nationalkongreß der Arbeiterklassen (CONCLAT), der sich später der CUT anschloß, hatten sich schon formiert. Kreise der von der Befreiungstheorie inspirierten christlichen Kirchen erweiterten ihre Arbeit, um Bewußtsein und Basiskerne zur Verteidigung der Armen zu schaffen. Überall war der Enthusiasmus groß, denn die Diktatur war gestürzt worden, und die brasilianische Arbeiterklasse befand sich in der Offensive, kämpfte und organisierte sich.

Auf dem Land durchlebten die Bauern das gleiche Klima und dieselbe Offensive. Zwischen 1979 und 1984 gab es in ganz Brasilien Landbesetzungen. Die Posseiros, die Landlosen, die ländlichen Lohnempfänger verloren die Angst und begannen zu kämpfen. Sie wollten nicht mehr wie Ochsen, die zur Schlachtbank geführt werden, in die Stadt ziehen (um mit diesem Ausdruck an unseren uruguayischen Dichter Zitarroza zu erinnern).

Die Frucht von alledem zeigte sich im Januar 1984 beim Treffen in Cascabel, das von der CPT (Kommission der Seelsorger des Landstrichs) und den Anführern der Kämpfe um Land aus 16 brasilianischen Staaten angeregt wurde. Wir gründeten nach fünftägigen Debatten den MST: die Bewegung der Landlosen.

Unsere Ziele waren klar: Die Organisierung einer Massenbewegung auf nationaler Ebene, die den kleinen Bauern das Bewußtsein schärfen soll, damit sie für eigenen Boden, für eine Landreform (breitere Veränderungen in der Landwirtschaft ins Auge fassend), für eine gerechte Gesellschaft kämpfen. Wir wollten schließlich die Armut und die gesellschaftliche Ungleichheit zurückdrängen. Und der Hauptgrund für diese Situation war die Konzentration des Grundbesitzes, der als Latifundio bekannt ist.

Weder hatten wir irgendeine Ahnung, ob dies möglich ist, noch wie lange wir zum Erreichen unserer Ziele brauchen würden.

Seitdem sind 25 Jahre vergangen. Viel Zeit. Es waren Jahre großer Mobilisierungen, vieler Schlachten und einer konstanten Hartnäckigkeit des "Immer-Kämpfens und Mobilisierens" gegen die großen Besitzer von Grund und Boden.

Dafür bezahlten wir teuer. Während der Regierungszeit Collors wurden wir hart unterdrückt. Die Bundespolizei richtete eine Spezialabteilung für uns ein. Danach, mit dem Sieg des Neoliberalismus der Regierung Henrique Cardosos, gab es grünes Licht für die Großgrundbesitzer und deren Provinzpolizei, die Bewegung anzugreifen. Und innerhalb kurzer Zeit kam es zu zwei Massakern: in Corumbiara und Carajás. Im Verlauf dieser Jahre starben Hunderte von Landarbeitern für ihren Traum von freiem Boden.

Aber wir kämpften weiter. Wir wollten mit der Wahl Lulas zum Präsidenten Brasiliens diese Entwicklung aufhalten. Wir hatten die Hoffnung, daß sein Wahlsieg ein neues Anwachsen der Massenströmungen auslösen könnte, so daß die Bewegung für die Landreform an Kraft gewänne. Doch es gab keine Reforma Agraria während der Lula-Regierung. Im Gegenteil: Die internationalen Kapital- und Finanzkräfte weiteten mittels ihrer transnationalen Unternehmen die Kontrolle über die brasilianische Landwirtschaft aus. Heute ist der größte Teil unseres Reichtums, unserer Produktion und der Verteilung landwirtschaftlicher Güter unter Kontrolle dieser Konzerne. Sie verbündeten sich mit den Großgrundbesitzern und führten das Ausbeutungsmodell des Agrarhandels ein. Viele ihrer Sprecher beeilten sich, in den Kolumnen der bürgerlichen Presse zu verkünden, der MST werde zu existieren aufhören. Ein doppelter Irrtum.

Die Hegemonie des Finanzkapitals und der Transnationalen über die Landwirtschaft erreichte es glücklicherweise nicht, den MST zu erledigen. Aus nur einem Grund: Das Agrargeschäft ist keine Lösung für die Probleme der Millionen Armen, die auf dem Land leben. Und der MST ist Ausdruck ihres Befreiungswillens.

Der Kampf für die Agrarreform, der früher nur auf der Besetzung von Flächen der Latifundieneigner basierte, zeigt sich heute komplexer. Wir müssen gegen das Kapital kämpfen; gegen die Herrschaft der transnationalen Unternehmen. Und die Agrarreform ist nicht mehr jenes klassische Mittel, um riesigen Großgrundbesitz zu enteignen und die Anteile an die armen Bauern zu verteilen. Jetzt hängen die Veränderungen auf dem Land, um die Armut, die Ungleichheit und die Konzentration von Reichtum zu bekämpfen, nicht nur vom Eigentum an Grund und Boden, sondern auch vom Produktionsmodell ab. Heute sind die internationalisierten Unternehmen, welche die Weltmärkte beherrschen, unsere Feinde. Das bedeutet, daß die Bauern immer mehr vom Bündnis mit den Arbeitern in den Städten abhängen werden, wollen sie weiter vorankommen.

Zum Glück erwarb der MST in diesen Jahren Erfahrungen, notwendiges Wissen zur Entwicklung neuer Methoden, neuer Formen des Massenkampfes, die die Probleme des Volkes lösen können.

Joao Pedro Stédile
Übersetzung: Isolda Bohler

Der Autor des in "Resumen Lationoamericano" erschienenen Beitrags ist der Leiter der Landlosenbewegung MST.

Raute

Kubas Agrarreform - Vorbild für Lateinamerika

Wenige Monate nach dem Einzug der "Barbudos" in Havanna - am 17. Mai 1959 - unterzeichnete Fidel Castro in der Sierra Maestra das Erste Dekret über die Agrarreform. Der Boden wurde überwiegend in die Hände jener gelegt, die ihn bearbeiteten. Dieser Schritt bedeutete das Ende des als Latifundium bezeichneten riesigen Grundbesitzes. Zuvor hatten sich die besten Flächen im Eigentum ausländischer Konzerne befunden. Der Löwenanteil gehörte USA-Agrarkapitalisten. Sie entrichteten an den kubanischen Staat keinerlei Steuern oder Abgaben. Existenzsichernde Löhne wurden nirgends gezahlt.

Bei der Enteignung erfaßte man zunächst nur Betriebe mit einer Größe von mehr als 420 ha. Es waren 5,6 Millionen ha Land betroffen. Die Agrarreform bildete den Ausgangspunkt für alle weiteren sozialen Umgestaltungen in Kuba.

Das U.S. State Department (Außenministerium) reagierte sofort. Es verlangte "rasche, angemessene und bare Entschädigung". Doch es gab auch andere Mittel, um solchen Forderungen Nachdruck zu verleihen - vom Einfrieren der US-Auslandshilfe über die Senkung der Importquote kubanischen Zuckers durch Washington bis zum Niederbrennen von Zuckerrohrplantagen und die Rohware verarbeitenden Fabriken auf der Insel.

Während die Bauern erstmals ein eigenes Stück Land erhielten, wurde die für Kuba typische Monokultur Zuckerrohr Schritt für Schritt überwunden. Man baute nun auch Kaffee, Reis und Tabak an. Die Produktion von Fleisch und Zitrusfrüchten erlangte Gewicht. Am 3. Oktober 1963 konnte ein zweites Agrarreformgesetz beschlossen werden. Es verringerte den zulässigen Privatbesitz auf nunmehr 66 ha. Damit wurde auch die ländliche Bourgeoisie ausgeschaltet.

Die bereits vor 50 Jahren in Angriff genommenen revolutionären Veränderungen - sie wurden durch günstige Bankkredite und wirksame Entschädigung bei Naturkatastrophen ergänzt - war ein entscheidender Ausgangspunkt für den Sieg der kubanischen Revolution, dessen Unterpfand die Einheit von Arbeitern und Bauern ist.

RF, gestützt auf "Granma", Havanna

Raute

Über Versuche, den echten Havana Club vom Markt zu verdrängen

Bacardi - Rum-Marke oder Räuberbande?

Denkst Du, Bacardi ist cool? Denkst Du, Bacardi ist kubanisch? Denk noch einmal nach! Denk nach, bevor Du trinkst - was Du über Bacardi wissen solltest: Die Werbung von Bacardi enthält viel über seinen kubanischen Ursprung. Tatsächlich ist Bacardi kein Freund Kubas, sondern vielmehr eine mächtige multinationale Kraft, ganz versessen darauf, die kubanische Revolution zu zerstören.

Das Vermögen der Bacardi-Familie wird auf 1,8 Milliarden US-Dollar geschätzt. Ein Großteil davon ist im vorrevolutionären Kuba durch die Ausbeutung der Zuckerarbeiter angehäuft worden.

Bacardis Webseiten im Internet und seine Werbung sind mit Lyrik über das Kuba der 50er Jahre durchsetzt: "Bacardi-Rum, schöne Frauen, ansehnliche Männer, elegante Spielkasinos. Bezaubernde Nachtklubs mit den prächtigsten Showgirls der Welt." Havanna war allerdings ein Kasino und Bordell für eine sehr kleine korrupte kubanische Oberschicht, für die US-Geschäftsleute, die Kubas Wirtschaft beherrschten, und für die Mafia.

Aber unterdessen lebte die Mehrheit der größtenteils städtischen Bevölkerung Kubas in Hütten ohne fließendes Wasser oder Strom; ein Drittel war arbeitslos oder teilweise ohne Arbeit, 14 % hatten Tuberkulose und 43 % waren Analphabeten. In den 50er Jahren ermordete Batistas Armee 20.000 Kubaner bei deren Versuchen, dem glamourösen Lebensstil der "Eliten" ein Ende zu setzen.

Es ist wenig verwunderlich, daß die Bacardi-Familie und ihr Gefolge während der Revolution aus Kuba flohen. 1960 enteignete diese das kubanische Vermögen von Bacardi, welches auf 67 Millionen US-Dollar (1960) geschätzt und nunmehr zum Nutzen des gesamten kubanischen Volkes verwendet wurde. Bacardi lehnte ein Angebot der kubanischen Regierung, über eine Entschädigung zu verhandeln, ab und zog es vor, sich mit dem US-Imperialismus, der Mafia und gewinnsüchtigen Terroristen zu verbinden, um die Revolution zu Fall zu bringen.

Diese stellte Gesundheitsversorgung, Bildung und soziale Gerechtigkeit für alle Kubaner bereit. Während der Blütezeit von Bacardi in Kuba lag die Kindersterblichkeit bei 60 je 1000 Lebendgeburten. Heutzutage lautet diese Zahl 6,9, trotz der durch eine 40jährige, von Bacardi verteidigten US-Blockade aufgezwungenen Entbehrungen. Kuba ist eines der am besten alphabetisierten Länder der Welt. Diese Errungenschaften sind es, die Bacardi zerstören möchte.

Bacardi gehört zu den wichtigsten finanziellen Unterstützern einer rabiaten konterrevolutionären Exilorganisation mit Basis in Miami, der Kuban American National Foundation (CANF). Sie ist für zahlreiche terroristische Handlungen, Morde und Sabotageakte gegen Kuba verantwortlich. CANF und ihre Unterstützer von Bacardi sind Teil eines Netzes der Verschwörung gegen Kuba, das andere rechtsgerichtete Exil-Kubaner, US-Politiker und die CIA umfaßt.

Der Bacardi-Anwalt Ignacio Sanchez, ein Mitglied der CANF, half beim Entwurf der Kernpunkte des Helms-Burton-Gesetzes gegen Kuba. Seine Vorschläge waren so bedeutsam, daß ein US-Senator bemerkte, das Gesetz könnte passender als "Helms-Bacardi-Schutzgesetz" bezeichnet werden.

1994 vereinbarte die Havana-Club-Gesellschaft, Produzent kubanischen Rums, ein Joint-venture mit der französischen Firma Pernod Ricard, um deren Getränke anzubieten und dringend benötigte Devisen für die kubanische Wirtschaft zu erhalten. Bacardi versuchte Pernod davor zu warnen. Seitdem hat Bacardi erfolgreich Einfluß auf die US-Regierung genommen, eine Bestimmung, nämlich den Absatz 211, in die Haushaltsgesetzgebung einzufügen. Dieser erlaubt Bacardi im Widerspruch zu internationalen Handelsgesetzen, die Marke Havana-Club in den USA zu verwenden. Bei seinen Bemühungen, den echten kubanischen Havana Club vom Markt zu verdrängen, hat Bacardi sogar versucht, dessen Etikett zu stehlen.

Die Antwort auf diese Machenschaften sollte eine weltweite Kampagne zum Boykott von Bacardi-Produkten und zum Kauf von Havana Club sein. Man muß dieses Imperium an seinem neuralgischen Punkt treffen: bei den Profiten.

Auch das ist ein Beitrag zur Verteidigung des kubanischen Volkes und der gewaltigen Errungenschaften, die die Revolution gebracht hat!

RF

Raute

Grenada: Flughafen Maurice Bishop

Am 29. Mai - dem 65. Geburtstag Maurice Bishops - wurde der Internationale Flughafen des karibischen Inselstaates Grenada nach diesem herausragenden Revolutionär und Staatsmann benannt. Tausende Bürger des nur 110.000 Einwohner zählenden Landes nahmen an der feierlichen Zeremonie teil. Viele von ihnen trugen T-Shirts mit Bishops Porträt und den Worten: "Ein Traum wurde wahr."

Am 25. Oktober 1983 hatte USA-Präsident Ronald Reagan am Rande eines Golfspiels den Befehl zum Überfall auf das mit Kuba und anderen sozialistischen Ländern - darunter der DDR - eng verbundene Grenada erteilt. 7000 Angehörige von Elitetruppen der Yankees fielen mordend und sengend über den kleinen Inselstaat her. Anlaß zum "Eingreifen" war der Bau eben jenes internationalen Flughafens, der Grenada für Touristen attraktiv machen sollte.

Obwohl eine Firma aus Miami die Erschließungsarbeiten erbracht hatte, bevor kubanische Bauleute eintrafen, behauptete Reagan, es handele sich um die Errichtung einer sowjetischen Luftwaffenbasis in der Karibik.

Der Augenblick der US-Intervention war gut gewählt: Unmittelbar zuvor hatten interparteiliche Gegenspieler Maurice Bishop, den Führer der antiimperialistischen New-Jewel-Bewegung, und einige seiner engsten Vertrauten heimtückisch umbringen lassen. So erfolgte der Angriff auf ein de facto führerloses Land.

Doch das Wirken des charismatischen Kämpfers für eine ausbeutungsfreie Entwicklung Grenadas geriet nicht in Vergessenheit, war doch in knapp dreieinhalb Jahren Volksmacht Großes geleistet worden. Daran erinnerte der jetzige Regierungschef Tillman Thomas, der mit der Namensverleihung ein im Wahlkampf abgegebenes Versprechen einlöste, bei der Einweihung des Internationalen Flughafens Maurice Bishop.

RF, gestützt auf "Workers World" (USA)

Raute

Zur Rolle der USA beim Putsch in Honduras

Finsteres Ränkespiel gegen Zelaya

Die Botschaft, die am frühen Morgen auf meinem Handy in Caracas erschien, lautete unmißverständlich: "Alarm! Staatsstreich in Honduras, Präsident Zelaya entführt. Nachricht weiter verbreiten." Für die Honduraner, die sich gerade darauf vorbereiteten, zum ersten Mal ihr Recht auf ein Referendum über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung wahrzunehmen, gab es ein hartes Erwachen. Dabei war dieses Referendum gar nicht bindend, sondern nur eine Meinungsumfrage zur Feststellung, ob eine Mehrheit der Stimmberechtigten des Landes den Beginn eines konstitutionellen Veränderungsprozesses wünscht oder nicht.

Eine solche Initiative hatte es in diesem zentralamerikanischen Staat, dessen derzeitige Verfassung faktisch keine Beteiligung des Volkes am politischen Meinungsbildungsprozeß vorsieht, bisher nicht gegeben. Auf dem Höhepunkt des schmutzigen Krieges der Reagan-Administration in Mittelamerika, bei dem Honduras eine Schlüsselrolle zu spielen hatte, war die jetzige Verfassung entworfen worden. Ihr einziger Auftrag: die ökonomische und politische Macht der Herrschenden und deren Privilegien zu garantieren.

Der 2005 als Kandidat der eng mit der FDP der BRD verzahnten Liberalen Partei gewählte Präsident Manuel Zelaya, der sich dem Lager linksgerichteter lateinamerikanischer Politiker zuwandte, hatte die Meinungsumfrage vorgeschlagen, um sich zu vergewissern, ob die Mehrheit der Bürger mit seinen Vorstellungen zu einer Verfassungsreform übereinstimmt. Sein Projekt wurde von den meisten Gewerkschaften, den sozialen Bewegungen und anderen fortschrittlichen Kräften unterstützt. Bei überwiegender Zustimmung wäre parallel zu den im November anstehenden Präsidentschaftswahlen das Referendum abgehalten worden.

Doch die Reaktion schrie Zeter und Mordio. Der Oberste Gerichtshof von Honduras erklärte auf Verlangen des Kongresses die Umfrage für illegal. Beide Institutionen befinden sich fest in der Hand gegen Zelaya gerichteter rechtskonservativer Kräfte. Das faktische Verbot des Referendums löste gewaltige Demonstrationen zugunsten des Präsidenten aus. Am 24. Juni setzte dieser den Chef der Streitkräfte, General Vásquez, ab, nachdem sich das Oberkommando geweigert hatte, die beschlagnahmten Materialien des Referendums freizugeben und zu verteilen. Das war offener Ungehorsam gegen den Staatschef, der wie in den USA militärischer Oberbefehlshaber ist. Um die Lage weiter zuzuspitzen, trat auch der Verteidigungsminister zurück.

Bereits am nächsten Tag setzte der Oberste Gerichtshof General Vásquez wieder in sein Amt ein. Zehntausende Honduraner gingen in der Hauptstadt Tegucigalpa zur Unterstützung von Zelaya auf die Straße. Der rechtmäßige Präsident wurde am folgenden Morgen vom Militär festgenommen und ins Ausland verbracht. Die Ehefrau des gekidnappten Staatsoberhauptes, Xiomara Castro de Zelaya, prangerte den Überfall und die Entführung ihres Mannes an. Sie forderte die internationale Gemeinschaft auf, in Honduras die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen.

Die linksgerichteten Präsidenten Boliviens und Venezuelas, Evo Morales und Hugo Chávez, gaben sofort öffentliche Erklärungen ab, mit denen der Putsch scharf zurückgewiesen wurde. Am 24. Juni verlangten auch die anderen Mitgliedsländer der Bolivarianischen Alternative für die Amerikas (ALBA) auf einem außerordentlichen Treffen in Venezuela ein Ende der Untergrabung des demokratischen Prozesses in Honduras.

Aus Tegucigalpa eintreffende Berichte besagten, die Situation ähnele in gewisser Weise jener vom April 2002 in Venezuela. Damals war Präsident Chávez ebenfalls von Putschisten entführt worden. Während die in der Hand seiner Gegner befindlichen Medien alle wahrhaften Informationen unterschlugen, begann das Volk zu demonstrieren, um letztlich die Aufrührer aus Kreisen des Militärs und des Unternehmerverbandes zurückzuwerfen, den Präsidenten zu befreien und die konstitutionelle Ordnung wiederherzustellen.

Honduras, das jetzt zum Schauplatz des ersten Staatsstreichs seit 20 Jahren in Zentralamerika und des ersten Putsches während der USA-Präsidentschaft Barack Obamas geworden ist, war einer ganzen Serie von Militärinterventionen des Pentagons ausgesetzt. Die letzte ereignete sich in den 80er Jahren, als Washingtons Todesschwadronen und Paramilitärs zur "Abwendung der kommunistischen Gefahr" in der Region operierten. Damals war der berüchtigte CIA-"Diplomat" John Negroponte US-Botschafter in Tegucigalpa. In jener Zeit verschwanden Tausende Antiimperialisten spurlos.

Nach dem Putsch in Honduras wandte sich die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in einem Kommuniqué gegen die Bedrohung der honduranischen Demokratie. Sie entsandte sogar eine Delegation an den Ort des Geschehens. Auch seitens der EU wurden ähnliche Erklärungen abgegeben. Philip J. Crowley, stellvertretender US-Außenminister, weigerte sich indes, die Position der Obama-Administration zum Putsch gegen Präsident Zelaya klar zu definieren, und übermittelte stattdessen eine zweideutige Erklärung, aus der zu entnehmen war, Washington mache sich "Sorgen über den Abbruch des politischen Dialogs zwischen den honduranischen Politikern über die Verfassungsbefragung am 28. Juni". Man dränge die Beteiligten, "eine abgestimmte demokratische Lösung" zu suchen, "die mit der Verfassung und den honduranischen Gesetzen" übereinstimme, lavierte das U.S. State Department zu Beginn des Dramas.

Alle Beteiligten sind sich darüber im klaren, daß Washington in Honduras die Hände im Spiel hat. Das Land ist total von den USA abhängig. Zu den Haupteinnahmequellen Tegucigalpas gehören die Geldüberweisungen in den Vereinigten Staaten lebender Honduraner, die dort aufgrund eines Abkommens zeitweilig arbeiten dürfen. Erhebliche Mittel überweist die als "Hilfsorganisation" getarnte AID, deren Geheimdiensthintergrund bekannt ist. Sie gibt jährlich mehr als 50 Millionen Dollar für Programme zur "Förderung der Demokratie" aus. Das Geld fließt in die Schatullen den US-Interessen wohlgesonnener politischer Parteien und Gruppierungen. Eine zentrale Rolle spielt die Pentagon-Basis im honduranischen Soto Cano, wo zahlreiche Kampfflugzeuge und Hubschrauber stationiert sind. Präsident Zelaya, der den Kampf keineswegs aufgegeben hat, war durch seine Forderung nach Auflösung dieses US-Stützpunktes ins Fadenkreuz des Imperialismus geraten.

Die rechtmäßige honduranische Außenministerin Patricia Rodas berichtete kurz nach dem Putsch gegen Zelaya, sie habe wiederholt versucht, Kontakt mit USA-Botschafter Hugo Llorens aufzunehmen. Der Diplomat habe auf keinen ihrer Anrufe reagiert. Nach Ansicht politischer Beobachter hätten weder die honduranische Armee, deren Offiziere durchweg auf USA-Kriegsschulen ausgebildet worden sind, noch die "Eliten" des Landes einen demokratisch gewählten Präsidenten ohne Rückhalt Washingtons abgesetzt. Die konservativen Kräfte hätten Präsident Zelaya vor allem wegen seiner wachsenden Zusammenarbeit mit den ALBA-Staaten, insbesondere dem ölreichen Venezuela, massiv angegriffen. Offensichtlich habe der Staatsstreich darauf abgezielt, eine weitere Annäherung des linksliberalen Präsidenten, der sich unterdessen von den FDP-Schirmherren seiner Partei distanziert hat, an die antiimperialistischen Regierungen Lateinamerikas zu verhindern.

Eva Golinger, Caracas

Übersetzung: Isolda Bohler

Bearbeitung: RF

Raute

Grönland: dänisch, unabhängig oder mit Stars and Stripes?

Zum Spielraum der neuen Linksregierung in Nuuk

In Grönland stellt die linksgerichtete Inuit Ataqatigiit (IA) seit den letzten Parlamentswahlen, bei denen sie mit verdoppelter Stimmenzahl 43,7 % des Votums erhielt, die Regierung. Der Parteiname steht für Gemeinschaft des Volkes. Bisher befand sich die sozialdemokratische Siumut am Ruder. Die eng mit Kopenhagener Führungskreisen verbundene Partei fiel auf nur 26,5 % zurück. "Grönland verdient es. Jetzt können wir das Land in eine neue Ära führen", erklärte der zum Premierminister berufene IA-Vorsitzende Kuupik Kleist unmittelbar nach dem Wahlsieg. Der Urnengang vom 21. Juni war angesetzt worden, nachdem rund 75 % der 63.000 Grönländer bei einem Referendum im November 2008 für ein größeres Maß an Unabhängigkeit von Dänemark gestimmt hatten.

Dem neuen Kabinett der weltgrößten Insel wurde vom Kopenhagener Parlament eine Halb-Autonomie eingeräumt. Während innere Angelegenheiten wie Volksbildung, Justiz und Polizei jetzt stärker von der Hauptstadt Nuuk aus verfolgt werden können und das Idiom der Inuit-Ureinwohner zur Amtssprache erklärt wurde, bleiben Außen- und Verteidigungspolitik weiterhin fest in den Händen des NATO-Staates Dänemark. Das trifft allerdings insofern nur teilweise zu, als Washington den Grönländern in einer Weise gegenübertritt, die bisweilen den Eindruck erweckt, als handele es sich um den 51. Bundesstaat der USA.

Wie ist indes die reale Situation des schon 1775 von Dänemark kolonisierten und seit 1953 bis zur Einführung der Teilselbständigkeit im Jahre 1979 (Home Rule) als inländische Provinz des skandinavischen Festlandstaates betrachteten Territoriums und seiner Bewohner?

Der neue Status gibt den Grönländern formal das Recht, die unter dem schmelzenden Eis vermuteten Bodenschätze "in eigener Regie" zu verwalten. Noch sind die meisten Erwerbstätigen in Fischfang und - verarbeitung beschäftigt. Doch die Zukunft dürfte eindeutig mit den Milliarden Tonnen des Energieträgers Erdöl verbunden sein, die unter dem erst allmählich tauenden Perma-Frostboden lagern. Die Giganten der Petro-Industrie haben in imperialistischer Arroganz bereits ihre Anwartschaft auf das grönländische Öl angemeldet.

Nach dem Abkommen, das am 21. Juni zwischen Kopenhagen und Nuuk geschlossen wurde, werden die ersten 14 Millionen Öl-Dollar an das Inselbudget überwiesen. Alle weiteren Einnahmen sollen dann mit Dänemark geteilt werden. Überdies will Kopenhagen jährlich 600 Millionen Dollar so lange an Grönland überweisen, bis dieses selbst 1,5 Milliarden Dollar pro Jahr aus der Ölförderung zu erzielen vermag.

Während die Dänen so den Fuß in der Tür des formell halbunabhängigen Riesenreiches behalten, bekundet auch Washington strategisches Interesse. Die USA, die seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts in Grönland "zu tun" hatten, boten der dänischen Regierung 1946 offiziell den Kauf des Territoriums an. Natürlich sind solche Leidenschaften nicht touristischer Natur. Es geht vor allem um die Überwachung der Seewege im Nordatlantik.

Während des Zweiten Weltkrieges wurden erstmals USA-Militärkräfte auf der Insel stationiert. Damals begann das Pentagon damit, seinen Stützpunkt Thule zu einer strategischen Bomberbasis ersten Ranges auszubauen. Heute spielt diese eine Schlüsselrolle bei der USA-Raketen- und -Radar-Dislozierung. Für Thule und andere Einrichtungen ihrer Air Force und Navy zahlen die Amis einen hohen Preis: Er entspricht etwa 20 % des grönländischen Budgets.

Während das USA-Militär natürlich auch für den künftigen Zugriff der eigenen Konzerne auf die bisher noch unberührten Ressourcen patrouilliert, gibt sich Dänemark in diesem ungleichen Kampf keineswegs geschlagen. Immerhin hat Kopenhagen seit 300 Jahren in das gewaltige Gebiet enorme Mittel investiert, ohne dafür irgendeine Kompensation zu erhalten.

Grönlands jetzt regierende Linke dürfte unter den geschilderten Umständen ihren Spielraum kaum wesentlich zu erweitern imstande sein. Allerdings ist auch nicht auszuschließen, daß sich die Grönländer bei den ambitiösen Hahnenkämpfen der kapitalistischen Mächte in mancher Hinsicht als die lachenden Dritten erweisen könnten.

RF, gestützt auf "Prawda", Moskau, und "The Guardian", Sydney

Raute

Jemen: Neue Zuspitzung im Konflikt zwischen Nord und Süd

Die VDRJ ist unvergessen

Im ND las ich vor einiger Zeit einen Artikel über die gegenwärtige politische Situation in der Jemenitischen Arabischen Republik (JAR). Er trug die Überschrift "Der Süden begehrt gegen Sanaa auf. Die Lage im Jemen spitzt sich zu". Der Inhalt dieses Artikels weckt in mir Erinnerungen, war ich doch Mitte der 70er Jahre als Lehrer in Südjemen, der damaligen Volksdemokratischen Republik Jemen, tätig. Die VDRJ gibt es nicht mehr. Sie wurde Anfang der 90er Jahre von der bürgerlichen JAR "einverleibt", ebenso wie die DDR von der BRD. Schon von dieser Warte aus gibt es Ähnlichkeiten in der politischen Entwicklung beider Länder, wenngleich die spezifischen nationalen Bedingungen dabei nicht zu übersehen sind.

Nachdem die Briten und die mit ihnen koalierenden Scheichs und Emire bis 1963 nach jahrzehntelangen blutigen Kämpfen aus Südarabien mit den Hauptstädten Aden (Süden) und Sanaa (Norden) vertrieben waren, bildeten sich auf diesem Territorium zwei Staaten heraus: die bürgerlich-feudale Jemenitische Arabische Republik (JAR) im Norden und die Volksdemokratische Republik Jemen (VDRJ) als ein Land mit sozialistischer Orientierung im Süden. Hier hatten nach 1969 die Linken in einem zweijährigen ideologischen Kampf gegen opportunistische Kräfte die Oberhand gewonnen. Die führenden Leute des neuen Staates kamen vor allem aus den Reihen einer revolutionären Intelligenz. Sie vertraten in Anlehnung an entsprechende Prozesse in der Welt die Auffassung, daß es möglich sein könnte, einen nichtkapitalistischen Weg mit sozialistischer Perspektive zu beschreiten. Und sie hatten damit auch Grund zum Optimismus, besaßen sie doch in der Sowjetunion, der DDR, der VR China und in Kuba zuverlässige Freunde. Die Unterstützung durch diese Länder erfolgte auf wirtschaftlichem, politischem, kulturellem und militärischem Gebiet.

Die DDR konzentrierte ihre Hilfe auf die Vermittlung von Erfahrungen im landwirtschaftlichen Genossenschaftswesen. Ein solcher Weg war in der Hochebene, dem Hadramaut-Gebiet, durchaus möglich. Außerdem richtete die DDR ein nationales Fernmelde- und Funkwesen ein, womit die Abhängigkeit der VDRJ von einem einschlägigen britischen Konzern beendet wurde. Hinzu kam Unterstützung bei der Ausbildung der Kriminal- und Verkehrspolizisten. Die VR China war aktiv im Straßenbau tätig und schuf zuverlässige Verbindungswege zwischen einzelnen Städten und Ortschaften. Die Sowjetunion konzentrierte sich auf die Förderung der Entwicklung im industriellen Bereich, während Kuba auf militärischem Gebiet Hilfe erwies.

Ein Ersuchen der jemenitischen Staats- und Parteiführung, bei der Vermittlung politischer und kultureller Erfahrungen, vor allem an junge Menschen mitzuwirken, führte zur Entsendung von Lehrkräften aus der Sowjetunion und der DDR an die Hochschule für Politische Wissenschaften in Aden, welche 1971/72 ihre Tätigkeit aufnahm. Die Studenten dieser Einrichtung lernten mit großem Eifer die Geschichte ihres Landes kennen und strebten aufmerksam danach, sich die marxistische Theorie anzueignen. Besonders wißbegierig waren Funktionäre der Jugendbewegung, Lehrer an den Volksschulen des Landes und Mitarbeiterinnen des Demokratischen Frauenbundes. Aufgeschlossene Kursanten kamen auch aus der staatlichen Verwaltung, der Polizei, dem Militär und aus Genossenschaften.

Wie freuten sich die Teilnehmerinnen, im Unterricht ohne Schleier erscheinen und ihre hübschen Gesichter zeigen zu können. Auch im Straßenbild nahm das Schleiertragen zusehends ab. Sehr angetan waren die Studentinnen der Hochschule vom fachlichen Können der Dolmetscherinnen aus der DDR.

Der Weg des jungen Staates war in Dokumenten und fortschrittlichen Gesetzen vorgezeichnet und festgelegt - einmalig im arabischen Raum. In der Verfassung hieß es: "Die VDRJ ist eine souveräne demokratische Volksrepublik, die nach der Verwirklichung eines einheitlichen demokratischen Jemens strebt. Alle politische Macht ... liegt in den Händen des arbeitenden Volkes. Das feste Bündnis zwischen Arbeiterklasse, Bauern, Intelligenz und Kleinbürgertum ist die unerschütterliche Basis der nationaldemokratischen Revolution in der VDRJ."

Im Gesetz über die Agrarreform hieß es, daß sie "den Grundstein für ein besseres Leben legt, das von unserem Volk angestrebt wird". Es "stellt zusammen mit der Nationalisierung der ausländischen Monopolfirmen und der Errichtung eines staatlichen Sektors ... einen großen Schritt vorwärts bei der ökonomischen Entwicklung des Landes dar".

Das Gesetz über die Nationalisierung legte fest, daß "die Kontrolle des Staates über die entscheidenden Höhen der nationalen Wirtschaft zu stärken und eine produktive agroindustrielle Basis als Lebensalternative für die Verwirklichung der ökonomischen Unabhängigkeit aufzubauen" ist.

Im Programm der "Politischen Organisation der Nationalen Front" (der späteren Jemenitischen Sozialistischen Partei) wurde formuliert, daß sie "das Instrument für die Etappe der nationaldemokratischen Revolution" ist, "da sie den breiten Rahmen für das umfassende Bündnis zwischen allen demokratischen Kräften der Arbeiter, Bauern, Soldaten, revolutionären Intellektuellen und dem Kleinbürgertum bildet". Das waren klare, unmißverständliche Aussagen über den eingeschlagenen Kurs.

Wie bitter muß es für das Volk der VDRJ gewesen sein, als nach 1990, mit dem Wegfall der Unterstützung durch die sozialistischen Länder, alles Progressive beseitigt wurde und im Gefolge der nordjemenitischen Okkupation die feudal-kapitalistischen Zustände wieder Einzug hielten, die Arbeitslosigkeit rapide zunahm, die Frauenrechte wegfielen, die Zeitungen linker Kräfte zensiert wurden, die Auflösung der landwirtschaftlichen Genossenschaften erfolgte, die aus dem Südjemen stammenden Soldaten und Polizeiangehörigen scharfer Diskriminierung ausgesetzt waren und Funktionäre der Jemenitischen Sozialistischen Partei allenthalben gemaßregelt wurden.

Infolge dieser Entwicklung ist es nur allzugut zu verstehen, wenn sich im Süden des Landes jetzt Kräfte sammeln, die gegen den gesellschaftlichen Rückschritt Front machen.

Dr. Rudolf Dix

Unser Autor war von 1973 bis 1975 Leiter der Lektorengruppe des ZK der SED an der Hochschule für Politische Wissenschaften in Aden (VDRJ).

Raute

Heterogene Widerstandsfront gegen Irans Präsidenten Ahmadinedschad

Wer steht wo in Teheran?

Auf den Ausgang der iranischen Präsidentschaftswahlen, nach denen Amtsinhaber Ahmadinedschad zum Sieger erklärt wurde, haben sehr unterschiedliche Kräfte - von links bis rechts - mit Protest und Widerstand reagiert. Das Widersprüchliche der Situation besteht darin, daß Teheran in der internationalen Sphäre antiamerikanische und antiwestliche Töne anschlägt, während das Regime an der Heimatfront unter ideologischen Aspekten mittelalterlich-klerikale und in politischer Hinsicht arbeiter- und volksfeindliche Züge trägt.

Diese komplizierte Dialektik hat zur Folge, daß sich unter den Gegnern des Präsidenten sowohl die drakonisch verfolgten Kämpfer für wirklich demokratische Veränderungen und die Überwindung des reaktionären Mullah-Regimes - mit den heldenhaften Genossen der Tudeh-Partei in den vordersten Reihen - als auch jene befinden, die heuchlerisch "Freiheit" für die proimperialistischen und proamerikanischen Gegner eines unabhängigen Iran einfordern. Mit den zuerst Genannten sind wir uneingeschränkt solidarisch, der zweiten Gruppierung - dieser 5. Kolonne der CIA, der MI6, des BND und der Securité des Monsieur Sarkozy - signalisieren wir indes, daß wir ihr Spiel mit gezinkten Karten durchschaut haben.

Natürlich sind nicht nur diese beiden Extreme in der Bewegung gegen Ahmadinedschad vertreten, sondern ein breiter Fächer von Kräften sehr unterschiedlicher Natur, von denen etliche unsere Sympathie verdienen. Was allerdings die Regisseure der Kampagne für den gemäßigteren Gegenspieler Mussawi und dessen neue Bewegung betrifft, dürften nicht wenige von ihnen ihre Verstellungstalente schon anderswo erprobt haben. Washingtons Antipode Ahmadinedschad ist ein außenpolitischer Partner Moskaus und Beijings, zugleich aber auch der Spitzenmann religiös verbrämter Finsterlinge und repressiver Machtverhältnisse. In der Wahl grüner Erkennungsmerkmale knüpften gewisse Hintermänner des rechten Flügels der Opposition im Zusammenspiel mit prowestlichen Kräften zweifellos an andere bereits bekannte "revolutionäre Farbspiele" an. Erinnert sei hier an die Ukraine und an Georgien, wo der Imperialismus ebenfalls am Mischen der Karten beteiligt war.

"Die Herausforderer Ahmadinedschads wenden sich gegen die Monopolisierung der Macht durch die islamistische Armee der 'Revolutionswächter', deren Kommandeur Firouzabad 2008 unverblümt versichert hatte, man könne sich notfalls einem Wahlresultat widersetzen", bemerkte die belgische Wochenzeitung "Solidaire" unter der Schlagzeile "Eine neue farbige Revolution?" Zu den Teilnehmern der Protestaktionen hätten Gewerkschafter, aber auch Vertreter der Großbourgeoisie wie der Milliardär Rafsandschani gehört. "Die politische Front ist sehr breit. Sie umschließt u. a. auch Mohsen Reza'i, den Kandidaten der konservativen Rechten und ehemaligen Anführer der Revolutionswächter. Andererseits befinden sich in ihren Reihen fortschrittliche Reformer. Es wäre daher falsch, wenn man sagte, die ganze Bewegung sei eine Fabrikation des Westens."

Dennoch sei es sehr aufschlußreich, die Reaktion von Sarkozy, Merkel und USA-Vizepräsident Biden mit jener der Gruppe von Shanghai zu vergleichen. Der Westen habe sofort seine "Zweifel" am Wahlresultat bekundet und die Teheraner Regierung verurteilt, während China und Rußland die Souveränität Irans respektiert hätten.

Es ist eine Tatsache, daß die imperialistischen Mächte mit den einst unter Khomenei arg gedemütigten USA an der Spitze seit 30 Jahren alles nur Mögliche unternehmen, um den zentralasiatischen Staat in die Hörigkeit zurückzuwerfen. George W. Bush drohte Teheran mehr als einmal mit Militärschlägen wie gegen Irak und Afghanistan. Unter Obama hat Washington bestehende Sanktionen sogar verschärft und unterstützt offen die Subversion prowestlicher Gruppen in Iran.

An den gewaltigen Manifestationen Mussawis waren demnach echte Volkskräfte wie iranische Gewerkschafts-, Frauen- und Jugendorganisationen aktiv beteiligt. Aber es fehlte auch nicht an Provokateuren. Ihr Ziel waren blutige Zusammenstöße. Aufschlußreich ist die Tatsache, daß die über jeden Verdacht der Fortschrittlichkeit erhabenen Sender der britischen BBC die Teheraner unablässig dazu aufriefen, sich an den Demonstrationen zu beteiligen. Und das USA-Netz Twitter bot iranischen Regimegegnern sogar die ständige Nutzung seiner Kommunikationskanäle an.

Alles in allem mangelt es nicht an Verdachtsmomenten, daß Leute im Dienste der in- und ausländischen Großbourgeoisie ihre Hebel genutzt haben, eine von der Sache her grandiose Massenbewegung zu unterwandern. Das ist ihnen allerdings nur zum Teil gelungen; nicht zuletzt wegen der kompromißlosen Haltung der kampferprobten Tudeh-Partei Irans, die seit eh und je die meisten Opfer für Freiheit und Demokratie in ihrem Heimatland gebracht hat.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel, und "The Guardian", Sydney

Raute

Wie eine Kündigung zum Todesurteil wurde

Eigenbedarf

Er liegt im Schatten unter dem alten Apfelbaum, in der Mansarde ist es an den Hundstagen nicht auszuhalten. Fast dreißig Jahre leben sie jetzt als Mieter in dem Nachkriegsbau, dessen Rigipsschrägen er mit Poresta und Profilbrettern wärmegedämmt hat. Jahrzehnte hat er fast kontinuierlich erst in einer gewerblichen, dann in der kaufmännischen Branche gearbeitet.

Als Junggeselle und am Anfang ihrer Ehe war er in den großen Industriezentren beschäftigt, ist seiner Karriere quasi vorausgeeilt. Noch ledig, hatte er aber auch schon zwei Jahre Arbeitslosigkeit überstanden; in der Industrie nannte man seinen verdeckten Rauswurf nicht Berufsverbot. Die Bosse warfen nicht mit Steinen und nicht mit Knüppeln, sie kündigten einfach, schoben unliebsame Kritikaster aufs Abstellgleis. Und die Radieschen von SPD-Betriebsräten rissen sich auch kein Bein aus, um einen "Radikalen" im Betrieb zu halten.

Nach Umschulung und erfolgreichem und erfülltem Neustart wurde er, nunmehr verheiratet, Jahre später wieder aus der Arbeit gejagt. Nach insgesamt achtundzwanzig Jahren Berufslebens war dann im besten Mannesalter absolut Schluß. Da nützten kein Diplom und keine AT-Position.

Er bekam trotz bester Qualifikationen keine Anstellung mehr; die Personalleiter von Deutscher Lufthansa oder Deutscher Bank hatten einen guten und direkten Draht zum Verfassungsschutz. Für kleine und mittlere Betriebe war er überqualifiziert.

So wurde aus einem "mündigen Bürger" in Zeiten der Vollbeschäftigung und des NATO-Doppelbeschlusses ein Langzeitarbeitsloser. Er zog mit seiner Helga in diese billige Hütte hier am Stadtrand. Sie machten sich wegen ihrer Zukunft keine Illusionen mehr, der Garten war ein schwacher Trost. Das Leben wurde nicht leichter ohne Arbeit.

Die Reibereien mit der Arbeitsvermittlerin, die keinen blassen Schimmer vom Funktionieren der Nachrichtendienste hatte, nagten ganz schön am Selbstbewußtsein. Doch Resignation war für ihn dank seines Kumpels Helga ein Fremdwort. Und Langeweile kannten sie nicht. Demonstrationen gegen die Nachrüstung, Raketenstationierung und Neonazis konnten nun wahrgenommen werden, ohne daß man Angst vor einer Abmahnung haben mußte. Doch da wurde er nach einigen Abstufungen, die man sich trotz heftiger Gegenwehr nach vielen Jahren der Arbeitslosigkeit gefallen lassen mußte, auch noch chronisch krank.

Kein Streß, keine Aufregung, und doch wachte man nachts schweißgebadet auf, hatte Magenkrämpfe. Das Leben insgesamt forderte seinen Tribut, aus heiterem Himmel kamen die Herzinfarkte. Verdammte Qualmerei! Fluchen half auch nicht. Bypässe und Kuren. Vorzeitig und unerwartet problemlos wurde er in Rente geschickt. Vielleicht zehn oder fuffzehn Jahre noch, hatte ihm der Kardiologe auf sein Drängen eigene Erfahrungswerte mitgeteilt. Aber Schonung und Nichtstun gab's nicht, die Genossen wußten schon, wie man "einem, der Zeit hat", Arbeit aufbürdet. Er dachte zwischendurch an die prophezeiten verbleibenden zehn Jahre und war zufrieden, daß es ihm besser als erwartet ging, selbst Rumturnen im Apfelbaumwipfel beim Ästeschneiden machte ihm nichts aus. Polyarthritis, Kortison, BEs und Altersdiabetes gehörten fortan zu seinem Invalidenvokabular. Im fuffzehnten Jahr der Schwerbehinderung begann die Keucherei auf den Treppenstufen. Wasser in der Lunge. Herzkatheter - alle Gefäße zu, keine Stents und keine OP mehr möglich. Nur noch Linderung durch Pillen. Na ja, einmal ist jede Vorstellung zu Ende. Das Dutzend Pharmazie-Smarties pro Tag half kaum. Kopfschmerzen lösten Gliederschmerzen ab. Er wollte Tacheles mit den Medizinern reden. "Butter bei die Fische, Doktor."

Eine Oberärztin: Wenn Sie es denn unbedingt wissen wollen ... bei allem Vorbehalt ... vielleicht noch ein Jahr, aber solche Vorhersagen sind äußerst vage. Den Hausarzt nahm er sich zur Brust, der säuselte: Ich halte Sie noch nicht für einen Todeskandidaten. Nein, nein, nein! Sicher, seine irdischen Angelegenheiten sollte man davon unabhängig schon bei bester Gesundheit regeln, schob er noch nach. Was sollte da noch Schlimmeres kommen?

Heute ist es noch schlimmer gekommen. Nun blinzelt er aus dem Liegestuhl hoch in die Baumkrone, hält die Kündigung, über die ein Ohrenkneifer läuft, gegen den blendenden Sonnenstrahl. Der Kabachel ist verkauft. Eigenbedarf! Acht Monate Zeit! Ich bin bis dahin wahrscheinlich schon umgezogen, in die Urne gerieselt, aber meine Helga ... Wenn ich allein wär, ja dann ... Er hatte nie aufgegeben, aber jetzt ... Im Keller ist eine Baretta versteckt, ein gängiges Kaliber aus dem Zweiten Weltkrieg. Sieben-fünfundsechzig. "Meine Pflegeversicherung" taufte er die Pistole, von der nicht einmal Helga wußte. Denn das war für ihn immer schon klar: Seine Helga ihn als Bettlägerigen pflegen? Ihm womöglich Pampers wechseln müssen. Das hat sie wirklich nicht verdient. Sie wollte ihm auch nicht ausdrücklich versprechen, sich buchstäblich an die Patientenverfügung zu halten. Er als hilfloser sabbelnder alter Sack? Nee, Mund voll Wasser und abgedrückt, aus! "Gebiß vorher rausnehmen." Er grinst vor sich hin, schnippt den Ohrenkriecher weg. Eigenbedarf! Acht Monate sind schnell um, aber ich pack das nicht mehr.

Unser Kubatraum bleibt unerfüllt. Wegen Helga muß ich wieder Verbindung zu den Genossen aufnehmen; mal sehen, daß so der Notgroschen für Umzug und neue Bude nicht ganz draufgeht. Altersgerechte Wohnung kann sie sich von der Rente sowieso nicht leisten. Der Garten wird ihr fehlen. Trotzdem soll sie für mich eine anonyme Urne wählen, für Vogelgezwitscher braucht sie nicht auf den Friedhof an einem Grab zu sitzen, die Hänskes im Stadtgarten sind vielleicht sogar fröhlicher.

Helga ruft aus dem Fenster: "Hörst du? Soll ich dir etwas aus dem Kühlschrank mitbringen?" Er lächelt, hebt die Hand.

Das Gartentor quietscht, die grauhaarige Frau kommt angewatschelt, streckt ihm die Seltersflasche entgegen. Sie beugt sich über ihn, sieht den Ohrenkriecher in seinem Gesicht und begreift: Ich muß die 112 wählen.

Hans-Dieter Hesse (2006)

Unser langjähriger Autor - ein angesehener Arbeiterschriftsteller aus Recklinghausen im Ruhrgebiet - verfaßte diesen Text nur Monate vor seinem Tod. Es war das letzte Manuskript aus seiner Feder, das uns erreichte. Mit dem Abdruck grüßen wir seine tapfere Lebens- und Kampfgefährtin Rosel.

Raute

Liselotte Welskopf-Henrich: Mehr als eine profilierte Literatin

Ehrenmitglied der Dakota

An Liselotte Welskopf-Henrich zu erinnern, heißt, die volksverbundene, vielseitige Schriftstellerin und zugleich die anerkannte Wissenschaftlerin zu würdigen. Am 15. September 1901 wurde sie als Tochter eines Münchner Rechtsanwalts geboren. Nachdem ein Onkel der Achtjährigen Coopers "Lederstrumpf" geschenkt hatte, waren die Indianer "ihre Sache". Später studierte sie Geschichte, Wirtschaftswissenschaften und Philosophie. 1925 promovierte sie zum Dr. phil. Sie unternahm schon früh literarische Schreibversuche. "In meinem 14. Lebensjahr beschloß ich, Professor für Geschichte und Schriftstellerin zu werden. Mit 17 habe ich aus Opposition zu der Papierflut, in der die Indianer als Abenteuerfiguren, sympathisch nur als Weißenfreunde, die Weißen aber als stets überlegen dargestellt wurden, 'Die Söhne der großen Bärin' konzipiert. Als ich 50 war, lag dieser Band gedruckt in meiner Hand. Mit 58 wurde ich Professor."

Liselotte Welskopf-Henrich nutzte ihre Anstellung beim Statistischen Reichsamt, um Juden und Antifaschisten zu helfen. Ihren späteren Ehemann, der elf Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern hatte zubringen müssen, versteckte sie mit Hilfe eines Pfarrers ein Dreivierteljahr bis zur Befreiung Berlins. Sie beteiligte sich von 1943 bis 1945 am antifaschistischen Widerstandskampf. Davon berichtet der Maler Hans Grundig in seinem Buch "Zwischen Karneval und Aschermittwoch".

1949 nahm Liselotte Welskopf-Henrich ihre wissenschaftliche Arbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin auf, an der sie nach der Habilitation 1960 zum Professor für alte Geschichte berufen wurde. Neben ihrer Lehrtätigkeit trat sie mit zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Standardwerken hervor, die ihr internationale Anerkennung einbrachten. 1964 wurde sie als erste Frau Ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Als Wissenschaftlerin sah sie die Krönung ihres Lebenswerkes in der fünfbändigen Publikation "Die Krise des alten Griechenland", die 1981 unter dem Autorennamen Elisabeth Charlotte Welskopf im Akademie-Verlag Berlin erschien.

Als Schriftstellerin verfaßte Liselotte Welskopf-Henrich zunächst drei Kinderbücher: "Hans und Anna" und "Drei Wassertropfen" (beide 1954) sowie "Frau Lustigkeit und ihre fünf Schelme" (1958). "Jan und Jutta" (1954) stellte ein literarisches Zeugnis über den illegalen Kampf der Autorin zur Zeit des Faschismus dar. 1956 folgte eine Trilogie mit den Bänden "Zwei Freunde", "Die Wege trennen sich" und "Das Wiedersehen". Das spätere Ehrenmitglied des Dakota-Stammes schrieb eine beachtliche Zahl spannender Indianerbücher, die ein wirklichkeitsgetreues Bild des Reservatslebens der Ureinwohner Nordamerikas ohne falschen Optimismus oder kitschige Romantik zeichneten. Seit 1951 vermittelte Liselotte Welskopf-Henrich allen folgenden Lesergenerationen den von ihr selbst erlebten Indianeralltag aus persönlicher Sicht.

Ihre Dakota-Trilogie befriedigte das Bedürfnis nach echter, spannungsreicher Abenteuerliteratur, da die Schriftstellerin im Ergebnis ihrer ausgedehnten Studienaufenthalte vor Ort packend und farbig zu berichten wußte. Sie verstand es, Mentalität, Kultur, Sitten, Bräuche und Sorgen der Indianer anschaulich darzustellen, mit feinem Gespür auch die Psyche der von ihr Porträtierten zu erforschen und zu gestalten. Liselotte Welskopf-Henrich betrachtete den Spannungsfaktor als oberstes Gesetz ihres Schreibens.

Ihre Dakota-Trilogie mit den Bänden "Die Söhne der großen Bärin" (1951) "Harka, der Sohn des Häuptlings" (1962) und "Top und Harry" (1963) wurde zu einem Standardwerk der Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Der Autorin gelang es, an die großen Traditionen eines Cooper, Gerstäcker, Hearting und Sealfield anzuknüpfen. Ihre Bücher zeichneten sich überdies durch ethnographische und geographische Exaktheit aus. Sie waren das Vorbild einer realistischen und modernen Indianerliteratur. In diesem Sinne stellten sie das Gegenstück zu den auf Phantasie beruhenden Büchern von Karl May dar. Was die Indianerliteratur der Liselotte Welskopf-Henrich auszeichnet, ist die Wissenschaftlichkeit ihres Inhalts und die künstlerisch-ästhetische Qualität. Sie war eine Meisterin dramatischer Gestaltung und fesselnder Darstellung.

Ein Höhepunkt war es für die Schriftstellerin, als sie 1963 Nachfahren ihres Bären-Stammes in Kanada besuchen konnte. Mehrere Male weilte sie bei den Indianern, insgesamt zwei Jahre. In den 60ern erschien zunächst eine weitere Trilogie - die Geschichte des Indianers Inya-he-yukan (Stonekorn und Joe King genannt). Zu dieser zählen die Romane "Nacht über der Prärie" (1966), "Licht über weißen Felsen" (1967) und "Stein mit Hörnern" (1968). Sie berichten von der Selbstbehauptung eines Indianers. 1972 folgte noch ein vierter Band "Der siebenstufige Berg". 1980 legte der Mitteldeutsche Verlag Halle den letzten Roman Liselotte Welskopf-Henrichs "Das helle Gesicht" vor, mit dem sie ihre Pentalogie "Das Blut des jungen Adlers" beendete. Im Mittelpunkt dieses Werkes stand die große Zuversicht eines Indianermädchens im Kampf um die Menschenrechte der Ureinwohner. Die Schriftstellerin bezeugte wiederum in ihrer unverwechselbar schlichten Sprache die innere Größe der besten Töchter und Söhne der Prärie.

Mit ihren Indianerbüchern wurde Liselotte Welskopf-Henrich eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der DDR. Die Ergebnisse ihres literarischen Schaffens erreichten hohe Auflagen und sind in über sechs Millionen Exemplaren verbreitet worden. Man übersetzte sie in 18 Sprachen. Ihr beliebtestes Jugendbuch "Die Söhne der großen Bärin" verfilmte der Regisseur Josef Mach 1966 für die DEFA, wobei Gojko Mitic die Rolle des Tokei-ihto übernahm.

Jürgen Kuczynski umriß die Verdienste der Literatin sehr treffend: "Als Schriftstellerin sprach sie zu allen Lebensaltern. Als Wissenschaftlerin fand sie hohe internationale Anerkennung. Als Mensch liebte sie Angehörige aller Rassen; Weiße und Rote, Schwarze und Gelbe."

Die außergewöhnliche Frau starb am 16. Juni 1979.

Dieter Fechner

Raute

Archie: Keine Referenzen an den Geßler-Hut

Archie will die DDR wiederhaben, im Prinzip und insgesamt. Gelegentlich hört er jedoch von einem Dichter-Freund, einem ziemlich renommierten DDR-Autor, der erfolgreich in vielen Genres der Literatur tätig war und ist, außer als Dramatiker, Archie möge doch auch nach anderen Themen Ausschau halten, die unwiderruflich verlorene Zeit sein lassen, er wiederhole sich. Der Freund meint es gut mit ihm, er möchte, daß Archie Erfolg hat. Der Freund selbst hat auch keinen mehr, kann nicht den ihm gebührenden Platz in der Literatur seines Landes richtig einnehmen, weil er im Ausland sensible Aufgaben für die DDR gelöst hat und sich dazu bekannte. Damals feierte man den literarischen Exoten vor den Toren Berlins in der Westpresse als einen der wenigen DDR-Autoren, die Weltniveau produzierten. Dafür ist es jetzt so, als sei der Mann gesellschaftlich ins Koma gefallen, obwohl er einen Roman nach dem anderen schreibt und man eher der Presse bescheinigen kann, sie sei ins Koma gefallen, vor allem den auflagenstarken bürgerlichen Mainstream-Journalen. Diese Literaturkritik spielt ihm gegenüber toten Käfer, wie auch in bezug auf andere, die nicht zu Kreuze gekrochen sind.

Das Zu-Kreuze-Kriechen, diese Gebetsmühlenformel, daß man die DDR nicht wiederhaben wolle, vor allem von DDR-Künstlern im Westfernsehen eingefordert, diese gnadenlos verlangte Anbiederung, die an vielen Talk-Tischen zu hören ist, bedingt bei etlichen Leuten im Osten sofortiges Abschalten. Archie quält sich dann gelegentlich noch weiter. Ab und zu, nur bei wenigen, vernimmt man auch andere Töne, die vom Moderator nicht besonders honoriert werden.

Auf Archies Freund trifft das alles nicht zu, weil er zu solchen Plapperrunden nicht eingeladen wird. Trödel- und Blödel-Spezialisten haben da den Vorrang. Nonsens ist Konsens, heißt die Devise.

Will Archie an etwas Schönes z. B. im Fernsehen oder in seinem Berufsleben zurückdenken, dann muß er sich unwillkürlich an die DDR erinnern. Das ist so. Auch ein sehr populärer DDR-Schauspieler, der sogar nach der sogenannten Wende ein TV-Star und Publikumsliebling blieb, kann es sich durchaus leisten, in seinen Memoiren zu betonen, er habe gern in der DDR gelebt. Der virtuose Mime stellt sich die Frage, wie lange es die DDR in der Erinnerung noch geben wird. Irgendwann dürften keine Zeitzeugen mehr zur Verfügung stehen. Von der DDR wird man dann nur noch aus Berichten, Büchern und vom Hörensagen etwas erfahren. Wissen aus zweiter Hand sozusagen.

Der beliebte Volksschauspieler schreibt dazu: "Da darf man gespannt sein. Napoleon soll gesagt haben: 'Das objektive Bild der Geschichte ist die Summe der Lügen, auf die sich die Gesellschaft nach 30 Jahren geeinigt hat.'"

Was die Lügen betrifft - sie werden im Hinblick auf die DDR bestimmt auch im Leugnen von Errungenschaften bestehen. Ich bin froh, daß mir das erspart bleibt. Ich war gern Bürger der DDR.

Das Leugnen ihrer Errungenschaften bleibt uns ja leider schon heute nicht erspart. Es ist in sämtlichen Medien tägliche Realität. Inzwischen gibt es keinen Bereich, der nicht zur Besudelung freigegeben worden wäre. Im Fernsehen wird, was die DDR betrifft, das denkbar tiefste Niveau angesteuert. Wenn der letzte Aussagefähige gestorben ist, könnten die Medienmacher völlig freie Hand haben. Sie dürften dann z. B. behaupten, die DDR habe den Zweiten Weltkrieg vom Zaun gebrochen, obwohl ihr Entstehen ein Ergebnis desselben war. Bei weiterer Bildungsabflachung ist so etwas durchaus vorstellbar.

Aber auch bei dem Superstar des Fernsehens, den ich erwähnte, findet sich in den Memoiren die Beidrehformel: "Ich will die DDR nicht zurückhaben, aber ..." Zu diesem Vorspruch fühlt sich heutzutage beinahe jeder verpflichtet, der auch nur die klitzekleinste Kritik am System des Kapitalismus anbringen will. Noch dazu, wenn er aus der DDR stammt. Man erlebt das auch bei manchen Linken. Es ist quasi der Reue-Spruch des Besiegten, die Demutspose des Unterlegenen, der Gruß an den aus Schillers "Wilhelm Tell" bekannten Geßler-Hut. Archie würde das etwa so formulieren: Die alte DDR wäre auch schon gut, aber eine veränderte DDR, die aus den sozialen Dammbrüchen gelernt hätte, wäre noch besser.

Und überhaupt regen ihn diese Unterwerfungsposen auf, weil es ihm unmöglich gemacht wird, seine eigene Kritik an der DDR zu äußern, da er sofort Beifall von der falschen Seite bekäme oder die eigenen Gesinnungsgenossen aufstöhnen und knurren würden: "Archie, halt die Klappe, das können wir uns jetzt nicht leisten, in der Zeit der tiefsten Niederlage kannst du das nicht machen."

Der so gescholtene Archie denkt bei derlei Sprüchen oft an die Kritik, die Karl Marx nach der Niederlage der Pariser Commune an die Adresse ihrer Führer gerichtet hat. Alles ist nachlesbar. Aber im übrigen will Archie die DDR wiederhaben, einfach so, als Orientierung wenigstens. Das jetzt als BRD existierende Deutschland kann kein Wegweiser für ihn sein, auf Dauer schon gar nicht. Also wird er gegen den Rat seines guten Freundes bei diesem Thema bleiben.

Der bereits zitierte Allround-Fernsehkünstler schreibt treffend in seinen Lebenserinnerungen: "Wenn gesagt wird, die DDR war ein Unrechtsstaat, werde ich immer darauf entgegnen: Die DDR war ein Staat, in dem auch Unrecht geschah." Dem kann man nicht widersprechen. Aber Archie möchte hinzufügen: Die BRD ist ein sogenannter Rechtsstaat, wo Millionen kein Recht auf Arbeit haben, kein Recht auf ein Leben ohne Kinderelend und kein Recht auf ein würdevolles Alter ohne Armut. Wer kann dem widersprechen?

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Aufrichtigen Dank für die Veröffentlichung des Artikels "Das Platzen der Gorbimanie" von Dr. Rudolf Dix im RF Nr. 136.

Die "Gorbimanie" ist eigentlich schon längst geplatzt. Einerseits wird ihr Protagonist von ehrlichen Kommunisten und Sozialisten verachtet, andererseits ist er bei der breiten Masse bereits in Vergessenheit geraten. Und viele seiner Versuche, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, wirken lächerlich. Mal macht er in Moskau Reklame für Pizza, mal tut er ähnliches im Ausland.

Doch die Rolle Gorbatschows beim Ausverkauf der DDR und des Sozialismus war enorm. Wir müssen sie noch tiefer analysieren. Mir und vielen meiner Kollegen tut es weh, was "Gorbi" und seinesgleichen in der UdSSR, der DDR und ganz Europa hinterließen. Seine Vereinbarungen mit Kanzler Kohl hatten schwerste Folgen, nicht nur für die Bevölkerung der DDR, besonders auf sozialem Gebiet. Ein äußerst harter Schlag war es für jene, welche in den bewaffneten Organen dienten. Aber es traf auch die sowjetischen Streitkräfte in der DDR. Nach dem eiligen Abzug mußten Soldaten und Offiziere samt Familien oftmals unter freiem Himmel biwakieren.

In eine Reihe mit "Gorbi" würde ich auch gewisse Persönlichkeiten der DDR stellen, die jahrelang mit der BRD flirteten und objektiv bestimmte Voraussetzungen (auch wenn nur psychologischer und wirtschaftlicher Natur) für die mögliche "Vereinigung" schufen. Sie, aber in erster Linie Gorbatschow, haben alles getan, um unser Ideengut zugrunde zu richten. Es ist ihnen jedoch nicht gelungen.

Vielen Dank für die Möglichkeit des Erhalts Ihrer Zeitung. Sie wird auch von vielen meiner Kollegen gerne gelesen.

Oberst a. D. Witali Korotkow, Moskau


*


Ich erinnere mich an die Massenflucht von DDR-Bürgern über Ungarn nach Österreich am 15. August 1989. Nicht weit von Eisenstadt überschritten sie die Grenze. Ich lebe in der Landeshauptstadt des Burgenlandes und sah im Fernsehen, wie Flüchtlinge johlend und im blinden Freiheitsrausch in das Reich der Reisefreiheit und Arbeitslosigkeit rannten. Wo sind inzwischen die blühenden Landschaften der DDR geblieben? Schon damals wußte ich, wohin diese Reise führen wird. Die freiheitssüchtigen DDRler wollten um jeden Preis den Kapitalismus kennenlernen.

Doch wer nicht hören will, der muß fühlen. 40 Jahre lang hatten die DDR-Bürger Gelegenheit, die Theorie des Kapitalismus zu studieren. Heute spüren sie ihn in der Praxis. Doch die Erinnerung an die DDR ist bei denen, die sie erlebten, mehrheitlich positiv. Das Demoskopische Institut Allensbach bestätigte es.

Den 15. August 1989 feierte man hierzulande als jenen Tag, an dem sich DDR-Urlauber, denen es gutging, mit ihren Trabbis in den "goldenen Westen" absetzten, weil sie es noch besser haben wollten. Doch viele von ihnen hatten sich in den Finger geschnitten.

Bruno Böröcz, Eisenstadt/Österreich


*


In diesen Tagen denke ich oft, gern und dankbar an 40 Jahre DDR zurück. 1937 als Sohn eines Bergmanns geboren, wurde ich selbst Schlosser für Tagebau-Großgeräte in der Braunkohleindustrie. Nach der Lehre diente ich drei Jahre freiwillig in der NVA. Danach delegierte mich mein Betrieb zum kostenlosen Studium der Bergbautechnik nach Zwickau. Zurückgekehrt, wurde ich, erst 24 Jahre alt, Steiger im Tagebau. Diesem Beruf und dem Industriezweig blieb ich treu, bis mich die kapitalistische BRD aus meiner Arbeit vertrieb. Hatte ich schon 1958 für meine junge Familie eine Neubauwohnung (Miete: 45,90 Mark) erhalten, so konnten wir uns - auch meine Frau arbeitete in der Braunkohle - in den 60er Jahren mit großzügiger Hilfe und Unterstützung durch unseren Betrieb ein Einfamilienhaus bauen. Auch eine Keller-Bar und ein Swimmingpool gehören dazu, was unsere Westverwandtschaft damals in Erstaunen versetzte. Dank des sicheren Arbeitsplatzes, eines guten Einkommens und der liebevollen Betreuung unserer Kinder durch den Staat schufen wir uns einen Lebensstandard, der eine materiell sorgenfreie Existenz und ein vielfältiges bezahlbares Kulturleben ermöglichte.

Als Bergarbeiter, die nicht nur im Drei-Schichten-System, sondern oft auch unter schwierigen Witterungsbedingungen tätig waren, erhielten wir kostenlose Erholungskuren und preiswerte Urlaubsreisen.

Wenn wir unser Leben in 40 Jahren DDR mit dem heutigen vergleichen, dann stellen wir ohne jede Einschränkung fest: Es war das bessere.

Gerd Freyer, Hohenmölsen


*


Klaus Baunacks Recherche im Juli-RF ("Warum das Europaparlament eine Luftnummer ist") beeindruckt mich. Eine Lachnummer wird das Thema, wenn wir den "Spiegel" 26/2009 zu Hilfe nehmen. Dort berichtet man über den "erbitterten Machtkampf" in der EU-Spitze. "Von Barroso, der wieder Kommissionspräsident werden will, hält Angela Merkel gar nichts. Für sie ist er der 'wendige und profillose Portugiese, der sich vom Maoisten zum Neoliberalen wandelte und sich heute als Christsozialer gebärdet'." Und weiter im "Spiegel": "Barroso ist der Inbegriff für Europas kleinsten gemeinsamen Nenner - farblos, visionsarm, kurzum: ein Produkt der Brüsseler Bürokratie. Doch trotz der Vorbehalte wünschen sich Europas Regierende genau so jemanden als Chef der Kommission, weil er leicht zu handhaben ist."

Inzwischen hat sich dieser Wunsch ja erfüllt.

Prof. Dr. Horst Schneider, Dresden


*


Trotz Empfehlung der "Neuen Internationale" Nr. 140, "Die Linke" zu wählen, bin ich nicht zur EU-Wahl gegangen. Die EU ist ein imperialistisches Bündnis von Staaten unterschiedlichsten Entwicklungsstandes unter Führung Deutschlands und Frankreichs, das vor Krieg nicht zurückschreckt. Wenn ich Deutschland höre, erinnert mich das unwillkürlich an "Deutschland, Deutschland über alles".

Ich war vier Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg begann. Mein Vater wurde eingezogen. Ich sah die ersten Judensterne. Ich erlebte, wie ein Haus in Hohenschönhausens Berliner Straße, das von Juden bewohnt worden war, über Nacht "leergezogen" wurde. Juden durften nicht mehr mit der Straßenbahn fahren und den Bürgersteig benutzen. Zigeuner (die heute üblichen Begriffe gab es nicht), welche überwiegend in Marzahn in ihren Wagenburgen wohnten, verschwanden aus unserem Gesichtskreis. Der Krieg, den deutsche Übermenschen in vielen Ländern angezettelt hatten, kehrte zurück. Ich sah den feuerroten Himmel über Königsberg und Memel. In Berlin erlebte ich dann den Feuersturm in Mitte. Während eines Tagesangriffs schossen Tiefflieger auf Zwangsarbeiter, die in der kriegswichtigen Fabrik Hasse & Wrede (Marzahn) arbeiteten und zum Bunker wollten. Berlin war nur noch ein Trümmerfeld. Doch die an diesem Inferno Schuldigen überlebten mehrheitlich. Es zog sie nach Westdeutschland. Dort bekleideten sie bald wieder einflußreiche Posten, vor allem auch in Justiz und Polizei.

Als die PDS gegen ihre Kommunistische Plattform Stimmung zu machen begann, verließ ich diese Partei. Bei innerdeutschen Wahlen wird "Die Linke" wie immer meine Stimme erhalten, da sie für die sozialen Belange derjenigen eintritt, welche die Reichtümer schaffen, die wenige verprassen.

Margot Falk, Schulzendorf


*


Herzlichen Dank für die Glückwünsche zu meinem 92. Geburtstag. Ich kann nicht umhin, ein paar Gedanken zu Papier zu bringen. Warum? Ich bin bei den Mobilen Schwestern Zwickaus in Pflege. Früh und abends kommen sie zu mir, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Natürlich führe ich mit den Schwestern Gespräche. Ich möchte es kurz machen: Ihr Wissen, besser gesagt, ihr Nichtwissen ist erschreckend. In Geschichte und Politik, von Philosophie ganz zu schweigen, kann man heutzutage nichts mehr voraussetzen. Ich versuche, nur die allergrößten Wunden zu heilen. Auf Fragen der Schwestern, wie "Herr Meyer, woher wissen Sie denn das alles?" gebe ich zur Antwort: "Das verdanke ich alles meiner Deutschen Demokratischen Republik. Sie hat mich als Arbeiterkind auf die Universität geschickt!"

Herbert Meyer, Zwickau


*


Als Frontsoldat des Zweiten Weltkrieges kann man nur maßlose Empörung empfinden, wenn man die verlogenen Phrasen zum Tod von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan liest. So schrieb z. B. "Bild am Sonntag": "...bevor ihr Freund Martin B. nach Afghanistan flog, um Deutschlands Freiheit zu verteidigen ...".

Meine Generation kämpfte und verblutete im Zweiten Weltkrieg nicht für Frieden und Freiheit Deutschlands, wie das auch damals behauptet wurde, sondern für Profit-, Raub- und Einflußinteressen den Staat beherrschender Wirtschaftsgruppen.

Jetzt stehen Bundeswehrsoldaten, zunehmend kostensparende "Ossis", in Ländern, die uns nie bedroht haben.

Nachdenkende Weltkriegsveteranen eint die Erkenntnis: Geändert haben sich bei Deutschlands Militäreinsätzen nur Umstände, Begründungen und Verfahrensweisen, nicht aber Interessenten und volksferne Ziele.

Arndt Näser, Riesa


*


Vor der Werratal-Kaserne in Bad Salzungen wurde jetzt ein Stein gesetzt. Er trägt die Inschrift: "Zum Gedenken an unsere verstorbenen Kameraden". Welch eine Heuchelei! In Wahrheit sind sie für eine macht- und profitgierige Klasse im Krieg gefallen. Doch dieses zutreffende Wort fürchten bestimmte Politiker wie der Teufel das Weihwasser. Es könnte ja das Volk aufwecken.

Marianne Wuschko, Hoyerswerda


*


Wir gratulieren der Bürgerbewegung "Freie Heide" zu ihrem Erfolg im 17 Jahre währenden Kampf gegen die Nutzung der Ruppiner Heide als Luft-Boden-Schieß-Übungsplatz für die Bundeswehr. Aber auf dem schwer erkämpften - auch juristischen - Sieg dürfen wir uns nicht ausruhen. Nach Ankündigung des Herrn Jung sollen die Bundeswehrübungsplätze Nordhorn-Range in Niedersachsen und Siegenburg in Bayern nun noch intensiver genutzt werden. Die Friedensbewegung muß also am Ball bleiben.

Rosemarie und Wolfgang Nicolas, Stralsund


*


Wenn man Kriegsminister Jungs in holprigem Militaristendeutsch vorgetragene Bundestagsrede zum Platzen des Bombodroms genau verfolgt hat, spürt man, wie unzufrieden er damit war, daß die Abwurfszenerie bei Wittstock unserer neuen Bundes-Wehrmacht nicht mehr zur Verfügung steht. Dieser "Beschluß" war nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nur noch eine peinliche Farce. Herr Jung strebt weiter danach, am Hindukusch und anderswo Krieg zu führen. Ihm reichen die Holzkreuze seiner in Afghanistan gefallenen "Helden" offenbar noch nicht. Um die "Opferbereitschaft" hochzutreiben, wird wieder einmal mit billigen Blechorden gelockt. Doch immer mehr Menschen durchschauen dieses üble Spiel.

Dieter Kramp, Grevesmühlen


*


Unlängst verkündete unsere Kanzlerin in ihrer bunten Jacke dem fernsehzuschauenden Volk, daß sie "diesen Krisen den Kampf ansagen" werde. Damit müsse endgültig Schluß sein. In der "Mitteldeutschen Zeitung" vom 3. Juli las ich dann folgendes durchgeistigte Merkel-Zitat: "Wir werden darauf beharren, daß sich ... eine solche Krise nie wieder wiederholt." Abgesehen von der stilistischen Qualität der Äußerung fragt sich, wie das denn geschehen soll. Führt man den von Frau Merkel in ihrer bravourösen Art geäußerten Gedanken auf seinen rationellen Kern zurück, dann kann nicht ausgeschlossen werden, daß sie die längst tot geglaubte Planwirtschaft zu neuem Leben erwecken will.

Im Kern keine schlechte Idee, beweist sie doch auch damit, daß sie ihre Lektionen bei der Ausbildung zum Dr. rer. nat. nicht nur stur eingebimst, sondern auch begriffen hat. Selbst in dieser brenzligen Situation vermag sie ihr in der DDR erworbenes Wissen gar trefflich einzusetzen.

Dr. Günther Freudenberg, Bernburg


*


In wenigen Wochen ruft man das Volk an die Wahlurnen. Ehe man sich für eine Partei oder eine Wählervereinigung entscheidet, muß man deren Programme ansehen. Was haben die Regierenden zu bieten? Die zweite Weltwirtschaftskrise, soziale Unsicherheit größten Ausmaßes, die Verstrickung in ganze und halbe Kriege. Nicht eine der den Staat tragenden Parteien besitzt ein Konzept, wie die Bundeswehr aus ihren "Aufbaueinsätzen" wieder herausgeführt werden soll.

Man hat das Gefühl, die schwarze Angela wäre am liebsten Kanzlerin eines "Vereinigten Europas deutscher Nation". Der blaßrosa Herr Steinmeier hält sich da nur wenig bedeckter, und Kriegsminister Jung verkündet in altbekannter Manier: "Unsere Soldaten am Hindukusch sorgen unmittelbar für die Sicherheit der deutschen Bevölkerung."

Meine Wahl steht fest: Ich halte mich an die Koordinaten von Marx, Engels und Lenin.

Oberstleutnant a. D. Werner Franke, Meißen


*


Da hat sich doch unser christdemokratischer Kriegsminister im Eifer, alles Bestehende und Geschehene schönzureden, zu folgendem Satz hinreißen lassen: "Die Gefallenen müssen im nachhinein erkennen, daß sie nicht umsonst gekämpft haben."

Sofern er auch Christ ist, was ich annehme, hat er Gottes Wort, wie die Bibel im Untertitel auch genannt wird, sträflich ignoriert (oder er wurde schlecht informiert).

König Salomo, in seinem Herrschaftsbereich auch Oberpriester, verkündet im Prediger 9.5 im obrigkeitlichen Auftrag folgendes: "Denn die Lebendigen wissen, daß sie sterben werden; die Toten aber wissen nichts, sie haben auch keinen Lohn mehr; denn ihr Gedächtnis ist vergessen."

Helmut Müller, Berlin


*


Im aktuellen ARD-Deutschland-Trend fordern 69 % der Bundesbürger den Rückzug aus Afghanistan. Selbst US-General Petraeus, Oberbefehlshaber der dort eingefallenen Truppen des Pentagons, kommt zu dem Schluß: "Wir kämpfen in Afghanistan gegen einen nationalen antiwestlichen Aufstand. Geostrategisch ist die Region interessant, denn von dort kann man Rußland, Indien, Pakistan und auch China kontrollieren. Rohstoffpolitisch ist das Land ein fabelhafter Standort. Die USA wollen eine Erdgaspipeline durch Afghanistan bauen."

Verteidigungsminister Jung, der sich besser Kriegsminister nennen sollte, züchtet am Hindukusch Terroristen, die sein Kollege Schäuble dann in Deutschland jagen läßt. Weltweit flimmern in Millionen und Abermillionen muslimischen Haushalten täglich die Bilder von durch Bombenangriffe getöteten Zivilisten, zerstörten Dörfern und verwüsteten Landstrichen über den TV-Schirm. Junge Muslime wollen sich dagegen wehren. So gesehen ist der NATO-Krieg am Hindukusch ein Terroristenzuchtprogramm.

Egon Eismann, Wernigerode


*


Der "RotFuchs" ist sehr interessant und aufschlußreich. Ich habe die Artikel über Dresden und die BRD-Luftwaffe im Krieg gelesen. Kürzlich fand ich in der INFO-Post der Bundeswehr ein Material, in dem es ganz unverfroren heißt: "60 Jahre NATO - das sind 60 Jahre Entwicklung in Frieden, Freiheit und Demokratie." So etwas wird unserer Jugend vorgesetzt. Es ist die reinste Märchenstunde, wenn in der Zeitschrift behauptet wird, NVA und Bundeswehr seien 1990 "zusammengewachsen" und bildeten "eine dufte Truppe".

Wenn das so weitergeht, muß ich wahrscheinlich mein ganzes DDR-Leben umschreiben lassen.

Heinz Fritsche, Berlin


*


"Und es bleibt dabei: Eine begriffene Niederlage trägt im Engelsschen Sinne schon den Keim neuer Siege in sich. Auf anderen Kontinenten werden sie bereits errungen." So steht es im Juli-RF. Und ich sage: Nichts und niemand wird vergessen! So ist das, und so wird das auch in Zukunft sein.

Herzlichen Dank für Walter Ruges bewegenden Artikel "Bringeschuld" im Juni-RF.

Edwin Wesemann, Hannover


*


Im bundesdeutschen Wahlkampf nimmt "Die Linke" aus Gefälligkeiten zu viel Rücksicht. Vom thüringischen Ministerpräsidenten über die Kanzlerin bis zu den Vorsitzenden der um ihre Pfründe kämpfenden Parteivorstände verbreitet jeder trotz besserem Wissen die Lüge vom "Unrechtsstaat DDR".

In meiner Dienstzeit bei den Grenztruppen der NVA (1954-1988) habe ich die Zeit des Abschusses der US-Spionagemaschine U 2 des Gary Powers bei Swerdlowsk (1960), die Landung von Exilkubanern unter CIA-Betreuung in der Schweinebucht (April 1961), den angeblichen Angriff nordvietnamesischer Schnellboote auf US-Zerstörer in der Tonking-Bucht (August 1964) und den anschließenden Luftüberfall der USA auf die DRV als Soldat erlebt.

Als Kompaniechef vernahm ich freudig die Nachricht von der Niederlage der 6. US-Feldarmee in Vietnam. Die Verlegung von Teilen dieser Truppe in die BRD erfolgte 1970. Das 11. Gepanzerte Aufklärungsregiment der Kavallerie wurde nach Fulda disloziert. Es bezog Stützpunkte u. a. auf den Schmiedeköpfen ca. 150 m von der Staatsgrenze der DDR zu den BRD-Ländern Hessen und Niedersachsen. Zum Einsatz kam die Einheit in Zugstärke mit einem Panzer vom Typ M 51.

Unter solchen Bedingungen leisteten unsere Grenzsoldaten ihren Dienst, um einen Krieg an der strategischen Trennlinie zwischen den Staaten des Warschauer Vertrages und der NATO zu verhindern.

Klaus Keller, Heiligenstadt


*


Eine Weile habe ich gegrübelt, ob ich diesen Brief schreiben soll, weil er als "Reklame in eigener Sache" mißdeutet werden könnte. Deshalb vorneweg: Dies ist keine Werbung, sondern nur die Aufklärung eines Sachverhalts. Der RF hat völlig zu Recht dem Buch "Was war unsere Schule wert?" eine ausführliche Rezension gewidmet. Nicht erwähnt hat der Rezensent, daß ursprünglich auch ein Kapitel über die Volksbildungsministerin der DDR vorgesehen war. Der Herausgeber Markus weigerte sich jedoch, dem Vorschlag des Verlags nachzukommen, und drohte sogar, seine Mitwirkung einzustellen. Das bewog den Verlag, einen "Spotless"-Autor - nämlich mich - zu bitten, in dieser Reihe ein Buch über die Ministerin herauszubringen. Sein Titel: "Margot Honecker - die rote First Lady".

Dr. Klaus Huhn, Berlin


*


Obwohl mir als unter Makula-Degeneration Leidendem das Lesen der Zeitschrift kaum bezwingbare Schwierigkeiten bereitet und die Computersprache der Ausgabe für Sehbehinderte nicht das Gelbe vom Ei ist, freue ich mich doch, wenn ich den RF allmonatlich aus dem Briefkasten hole, in dem sich sonst im allgemeinen nichts anderes als Werbematerial und die Telefonrechnung befinden.

Übrigens: Die erste Auflage meines Gedichtbandes "Gereimtes über Ungereimtes", aus der auch der RF Verse druckte, ist bereits vergriffen. Die zweite erscheint umgehend.

Walter Meier, Halle


Bemerkung der Redaktion: Bei der Veröffentlichung eines Gedichts des Schreibers dieser Zeilen, der zu den legendären Spitzensportlern der frühen DDR gehörte, ist uns leider ein Lapsus unterlaufen. Wir haben seinen Namen mit y statt mit i geschrieben und bitten um Entschuldigung.


*


Krieg mit deutschen Soldaten in Afghanistan. Die Kanzlerin und ihr Kriegsminister verleihen wieder einmal sogenannte Tapferkeitsmedaillen. Neue Ehrenkreuze.

"Nein, dort ist kein Krieg!" sagt Herr Jung. "Ja, es gibt Gott!" spricht die Pfarrerstochter laut Deutsche Welle.

"Durchhalten, die Wunderwaffe kommt bestimmt", spricht ... Heinz Denne, Berlin


*


Dies ist ein Zwischenruf zum Artikel von Richard Georg Richter "Eine andere Sicht" in der Juli-Ausgabe des RF. Richter polemisiert um den Begriff des internationalen Terrorismus, mit dem sich Dr. Udo Stegemann im RF 136 beschäftigt hat. Die Polemik geht den Weg der "brotlosen Kunst" oder ist - wie Marx gesagt hätte - fruchtlos wie eine gottgeweihte Nonne. Stegemann behandelt die Begriffe, die er verwendet, aus klarer, klassenorientierter Sicht. Das "Selbsterhaltungsinteresse des Imperialismus" zur Zeit des Kalten Krieges ist nicht nur erwähnenswert, sondern schuf auch reale politische Grundlagen für den Übergang der USA zur sogenannten Politik des Appeasement, die in gewisser Weise unserem Kurs der friedlichen Koexistenz und dem Helsinki-Prozeß entgegenkam. Daraus den Schluß zu ziehen, "... unsere Teilnahme am Wettrüsten ..." sei reine Spiegelfechterei gewesen, erscheint mir undialektisch. Man darf nicht vergessen, daß sich die auch auf eigenes Überleben gerichtete Strategie des Imperialismus nicht zuletzt aus den inneren Widersprüchen des kapitalistischen Marktes entwickelte, der in den USA während der Carter-Administration von Kräften dominiert wurde, die nicht in erster Linie zum militärisch-industriellen Komplex gehörten.

Wenn Richter schreibt, am Ende seien auch wir vom Klassenfeind geschluckt worden, dann schließt das nicht aus, daß wir bis dahin unseren Auftrag ehrenvoll erfüllt haben. Der politische Kollaps durch die Agonie der Führung, der zu den entscheidenden Ursachen des Untergangs der DDR gehörte, ging nicht auf die Kappe des MfS.

Horst Joachimi, Berlin


*


"Die Linke", bei der viele ehrliche Genossen mit und ohne Parteibuch einen festen Halt suchen, und eine ideologisch wie organisatorisch überzeugende, in sich geschlossene Führung erwarten, gab bisher eher ein abschreckendes Beispiel. Die Führungskräfte sind sich nicht einig. Etliche, von denen die egoistische Teilhabe an der kapitalistischen Gewinnverteilung als ihre persönliche Parteiarbeit betrachtet wird, gehören nicht in eine Partei, die den Klassenkampf allseitig führen müßte. Ein anderer, keineswegs kleiner Teil der Mitglieder schaut diesem Treiben mit Sorge, aber untätig zu. Der Klärungsprozeß als Voraussetzung für das Entstehen einer in Deutschland so dringend gebrauchten großen revolutionären Partei hat noch nicht stattgefunden, muß aber unter Einbeziehung aller aufrechten Genossen geführt werden.

Manfred Wulf, Glauchau


*


Seit geraumer Zeit beziehen mein Mann und ich den RF, wobei wir stets auf die nächste Ausgabe warten, die dann gründlich gelesen wird. Heute wage ich es zum ersten Mal, eine Meinung zu äußern. Wir befinden uns mit vielem, was andere RF-Leser schreiben, und mit zahlreichen Beiträgen in Übereinstimmung. Den Artikel von Ernesto Athanaton, dem jungen Mann, der im Extra des RF 136 schrieb, möchte ich besonders hervorheben. Er hat mich wegen seines Appells an "Alte und Junge" sehr beschäftigt. Ich selbst wurde 1949 eingeschult und habe mit der Mittleren Reife, was damals keinesfalls selbstverständlich war, abgeschlossen. Dann absolvierte ich eine dreijährige Ausbildung an einer medizinischen Fachschule. Meinen Beruf habe ich bis 1991 gerne ausgeübt.

Jetzt erleben wir den Kapitalismus genau so, wie wir es theoretisch gelernt haben. In der DDR hatte ich Perspektiven und fühlte mich sicher. Ich empfand weitgehende Zufriedenheit. Diesen Staat lasse ich nicht beschmutzen.

Übrigens: Ich werde - wie andere DDR-Bürger das auch tun - meine Biographie zu Papier bringen.

Sieglinde Ernst, Strasburg


*


Als viertes Kind einer Arbeiterfamilie wurde ich 1954 in Berlin-Buch geboren. Es folgten 35 schöne Jahre meiner Entwicklung bis zum Parteiaustritt im Frühjahr 1989. Zuletzt war ich für das Parteilehrjahr der Parteigruppe eines Instituts der Akademie der Wissenschaften der DDR in Frankfurt/O. verantwortlich.

Wegen Arbeitslosigkeit mußte ich diese Stadt verlassen und 1997 mit meinen Söhnen nach Wedel ziehen. Auch meine in Templin (Uckermark) erwerbslos gewordene Tochter lebt jetzt hier.

In der DDR konnten wir alles Wichtige so leicht bekommen! In gewisser Weise waren wir zu satt. Wir hatten stets eine angemessene Wohnung, Kinderversorgung und Schulbildung waren gesichert.

Ich bin der Auffassung, daß die Partei im Prinzip recht hatte. Nur die Führung ist vom richtigen Weg abgekommen. Man hat uns das logische Denken beigebracht, doch dann durften wir es nicht anwenden. Ich stehe voll hinter dem RF-Beitrag "Auf Tote schießt man nicht". Er entspricht meinen Überlegungen der letzten 20 Jahre. Auch der Bericht "Rede auf einem Klassentreffen" bestätigt meine Erfahrungen. Der Artikel "Wegbereiter der Konterrevolution" wirft viele Fragen auf. Wie konnte man 40 Jahre DDR so leicht wegwerfen? Warum wurde nicht rechtzeitig eingegriffen? Der Staatsschutz der BRD würde eine analoge Situation niemals dulden.

Als jemand, der von 1971 bis 1997 selbst in der Forschung gearbeitet hat, möchte ich feststellen: Was Frau Merkel über die Akademie der Wissenschaften der DDR erzählt, ist völlig falsch. Ich kann das beurteilen, weil ich wie sie mehrere Jahre in Berlin-Adlershof auf dem Gelände der Akademie tätig war.

Jürgen Beckmann, Wedel


*


Das Stahlunternehmen Walzwerk Finow hat in der letzten Woche beim Amtsgericht Frankfurt/O den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Der Firma "drohe" die Zahlungsunfähigkeit, erklärte der geschäftsführende Gesellschafter Patrick von Hertzberg. Das Unternehmen ist also noch liquide und hätte die Löhne in Höhe von 700.000 Euro in der Woche danach auszahlen können. Von Hertzberg erklärte jedoch, die Mittel würden zur Warenbeschaffung benötigt. Die Arbeiter müssen also auf Insolvenzgeld von der Bundesagentur hoffen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Dieser Fall zeigt einmal mehr, welche neue Qualität der Sozialbetrug durch findige Krisennutzer erlangt. Wenn das Beispiel Schule macht, werden die Löhne bald insgesamt aus dem Staatssäckel beglichen, um die Profite der Unternehmen zu sichern. Unter dem Vorwand der Arbeitsplatzerhaltung läßt sich jede bürgerliche Regierung - besonders vor Wahlen - wunderbar erpressen.

Ronald Wiese, Vorsitzender der DKP Barnim, Ruhlsdorf


*


Eine RF-Ausgabe wie die des Monats Juli wünschte ich mir öfter: ohne Todesanzeige. Im Juni traute man sich kaum, die Seiten umzublättern, so viele Verluste gab es. Vor dem Hintergrund, daß der Klassenfeind wie auch gewisse Kräfte innerhalb der Linken - ich spiele auf die scharfe Kontroverse zwischen Holz und Haug in der Lenin-Debatte der jW an - die alten DDR-Genossen gar nicht schnell genug unter der Erde haben können, täte ich diesen sämtlich wünschen, daß sie bei guter Gesundheit mindestens 120 Jahre erreichen. Hans Heinz Holz wünschte ich, daß er sich mehr zu schonen vermag, wobei ich allerdings weiß, daß daran wohl kaum zu denken ist. H. H. H. hat recht, daß man jenen die Stirn bieten muß - und zwar auf die Gefahr hin, durch recht häßliche Anfeindungen Kräfteverlust zu erleiden -, die das Lebenswerk unserer Veteranen schon zu deren Lebzeiten demontieren möchten.

Ronald Brunkhorst, Kassel


*


"Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst." Diese Feststellung des ollen Goethe ist heute noch zutreffend. Nur muß man einen Sinn in sein Leben bringen. Wie wir "Roten" es ja wollen.

Johannes Konopka, Naumburg/S.


*


Am 13. August 1961 haben die Maßnahmen zur Grenzsicherung bei der Mehrheit der DDR-Bürger, so auch bei mir, viel Zustimmung gefunden. Unsere Medien begründeten den Schritt als einen Akt zur Sicherung des Friedens und der Souveränität des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden. Den Währungsschiebern und allen Aktivitäten gegen unseren Staat war ein Riegel vorgeschoben. Der Artikel von Hans Horn im Juli-RF findet bis dahin meine Zustimmung. Doch das eigentliche Problem der DDR im Sommer 1961 beschreibt er nicht. Ralph Hartmann, Autor des Bestsellers "Die Liquidatoren" stellt dazu fest: "Die Mauer in Berlin und die Sicherungsanlagen an der westlichen Staatsgrenze dienten in erster Linie dazu, die Abwanderung von Bürgerinnen und Bürgern der DDR ... zu verhindern. ... Infolge eines unaufhörlichen Bevölkerungsschwundes stand zu befürchten, daß die DDR ausblutete. Seit ihrer Gründung haben 2,6 Millionen Menschen ihre Koffer gepackt ­..."

Im Sommer 1961 ging es um die Existenz des Staates DDR. Der Gefahr mußte Einhalt geboten werden. Der Bau der Mauer war aus der Not geboren, es gab keine Alternative. Der Frieden wurde für einen hohen Preis bewahrt.

Übrigens: Nach 1990 haben rund 3 Millionen Ostdeutsche ihre Heimat verlassen - trotz "Demokratie und Freiheit" nach BRD-Maß vor ihrer Haustür.

Dieter Meusel, Strausberg


*


Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Die Staatssicherheit war, wie schon das Wort besagt, für die Sicherheit des Staates DDR verantwortlich. Mögen sich einzelne Mitarbeiter auch gelegentlich unfairer Methoden bedient haben, so war das MfS dennoch Schutzschild gegen Feinde und Gegner eines erstmals auf deutschem Boden zustande gekommenen sozialistischen Staates.

Die "Stasi" war das direkte Gegenstück zum Verfassungsschutz der BRD, der zwar gegen Kommunisten aktiv wurde, in bezug auf Altnazis und faschistische Militärs aber auf beiden Augen blind blieb.

Wie bezeichnet man heute die großangelegte Bespitzelung bei Bahn, Telekom, Lidl, Deutscher Bank und anderswo? Zieht der "freiheitlich-demokratische Rechtsstaat" BRD deren Spitzenmanager zur Verantwortung?

Hermann Thomas, Wilsdruff


*


Beim Lesen des Beitrags "Drohbriefe an Kinder" von Georg Dorn fiel mir ein, daß uns mal - allerdings auf ganz anderem Gebiet - ähnliches passiert ist. Auch kurz vor Weihnachten erhielt mein Enkel ohne vorherige Rechnung einen Drohbrief mit sofortiger Zahlungsaufforderung. Wir vermuteten, daß er vielleicht im Internet "Hausaufgaben-Service" angeklickt hatte oder ein Computerspiel in der Annahme, es sei kostenlos, während irgendwo ein kleingedruckter Preis stand. Also zahlten wir. Aber im Jahr darauf, kurz vor Weihnachten, kam vom selben Notar wiederum ein Brief gleichen Inhalts. Nun ging meine Tochter damit zur Verbraucherzentrale. Sie hatte das Schreiben noch in der Hand, als der Berater sagte: "Ach, die sind mal wieder aktiv! Nicht zahlen, überhaupt nicht reagieren, dann geben sie es von allein auf." So war es dann auch.

Nun liegt dieser Fall ja etwas anders. Doch man fragt sich: Was hat die BfA denn überhaupt mit Kindern zu tun? Es wäre nicht das erste Mal, daß sich Betrüger hinter Institutionen verstecken.

Gisela Tews, Berlin


*


Liebe "RotFuchs"-Macher, neulich haben wir in Irland einen Namensvetter von Euch gesehen. Als treuer und dankbarer Leser, für den jede Ausgabe Freude bringt und Kraftquell ist, lege ich als Mini-Dankeschön ein Foto von ihm bei.

Mein RF-Exemplar macht übrigens die Runde zu den Kindern, den Nachbarn sowie den Wander- und Kegelfreunden.

Siegfried Promnitz, Werder/Havel


*


Ich bedanke mich sehr für die Gratulation zu meinem 87. Geburtstag im Juli-RF. Es haben daraufhin eine Reihe von Leuten reagiert, von denen ich das gar nicht erwartet hätte. Hier und dort gibt es ein gewisses Erstaunen über meine Umtriebigkeit bei der Werbung neuer Abonnenten für unsere Zeitschrift. Wann ich damit aufhören würde, wollte jemand von mir wissen. Meine Antwort: Wenn in China ein beliebiger Reisbauer gefragt wird, welche drei Begriffe ihm bei dem Wort Deutschland sofort einfallen, müßte er zumindest sagen: "Beckenbauer, Mercedes, RotFuchs".

Helmut Hellge, Berlin


*


Mir geht es wohl wie den meisten RF-Lesern: Auch ich warte voller Spannung am Monatsanfang auf das Erscheinen unserer Zeitschrift und lese begierig den Leitartikel, weiß ich doch, daß er eine klassenmäßige Antwort auf die brennenden Fragen unserer Zeit gibt - auch auf solche, die in unseren PDL-Veranstaltungen nur allzu häufig offen bleiben. So war es auch bei der 2. Historischen Debatte Anfang Juli, an der mehrere RF-Leser teilnahmen. Themen wie: Wende oder Konterrevolution? Wie war die Zusammenarbeit der Blockparteien in der DDR? War die DDR ein Unrechtsstaat? standen im Mittelpunkt. Auch Helmut Holter, eingeladen nach der 1. Historischen Debatte aufgrund seiner unverzeihlichen Äußerungen im "Stern"-Interview, konnte uns keine akzeptable Antwort geben und vertröstete die Teilnehmer auf die Programmdiskussion nach den Bundestagswahlen. Der langjährige Funktionär und Absolvent mehrerer Parteihochschulen wich einer klaren Antwort auf die Frage der jungen Genossin Daniela Grand aus, die wissen wollte, was er eigentlich unter Sozialismus verstehe. Und auch dem Genossen Bernd Holtz, der sich sehr emotional gegen Holters Unrechtsstaats-Äußerung wandte. Als neues Mitglied der PDL brachte dieser seine große Enttäuschung über den Umgang mit DDR-Geschichte zum Ausdruck. Aber Holter offenbarte in seinen Antworten eine überholte, revisionistische Sichtweise, als wäre das "schwedische Modell" nicht schon längst ad acta gelegt.

Wie zutreffend, klar und vor allem parteilich ist hingegen die Einschätzung dieser Fragen in den Leitartikeln des RF. "Auf Tote schießt man nicht" findet angesichts der nebulösen Diskussion in der PDL zur DDR-Geschichte meine volle Zustimmung.

Erfreulich ist auf jeden Fall, daß trotz all der losgelassenen und laut bellenden Hunde bei immer mehr nachdenklichen Menschen deutlich wird, welche Spuren die DDR hinterlassen hat. Das macht Mut, nach einer schweren Niederlage die richtigen Lehren zu ziehen und weiterzukämpfen.

Harald Holtz, Rostock

Raute

RF-Bezugsbedingungen

Kurze Nachricht per Telefon oder E-Mail oder Briefpost an den Vertriebsleiter Armin Neumann genügt.

Er ist folgendermaßen erreichbar.
Tel.: 030/654 56 34
E-Mail: arminneumann@ewt-net.de
Adresse: Salvador-Allende-Straße 35, 12559 Berlin

Der RotFuchs wird ausschließlich aus Spenden und nach eigenem Ermessen jedes einzelnen finanziert. Einen festen Preis gibt es nicht. Die Zeitschrift kommt jeweils am letzten Werktag eines Monats zum Versand.

Raute

IMPRESSUM

Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift für Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.

CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin,
Telefon 030/561 34 04
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
(Redaktionsadresse)

SEKRÄTERIN: Karin Mory

LAYOUT: Rüdiger Metzler

HERSTELLUNG: Druckerei Bunter Hund

INTERNET: www.rotfuchs.net

Redaktionsschluß ist jeweils der 10. des Monats.

AUTORENKREIS:
Dr. Matin Baraki
Rolf Berthold
Dr. Manfred Böttcher
Isolde Bohler (Valencia)
Dr. Vera Butler (Melbourne)
Wolfgang Clausner
Prof. Dr. Götz Dieckmann
Dr. Rudolf Dix
Ralph Dobrawa
Dieter Fechner
Dr. Peter Fisch
Bernd Fischer
Peter Franz
Günter Freyer
Prof. Dr. Georg Grasnick
Dr. Ernst Heinz
Dr. Dieter Hillebrenner
Manfred Hocke
Prof. Dr. Hans Heinz Holz
Hans Horn
Dr. Klaus Huhn
Dr. Hans-Dieter Krüger
Rudi Kurz
Wolfgang Mäder
Bruno Mahlow
Dr. Bernhard Majorow
Wolfgang Metzger
Prof. Dr. Harry Milke
Frank Mühlefeldt
Sokrates Papadopoulos (Thessaloniki)
Richard Georg Richter
Prof. Dr. Werner Roß
Walter Ruge
Karl Schlimme
Gerhard Schmidt
Prof. Dr. Horst Schneider
Joachim Spitzner
Fritz Teppich
Dr.-Ing. Peter Tichauer

KÜNSTLERISCHE MITARBEIT:
Dieter Eckhardt, Heinz Herresbach,
Klaus Parche, Heinrich Ruynat,
Michael Westphal

INTERNET-PRÄSENTATION DES ROTFUCHS
UND AKUSTISCHE AUSGABE (für Sehbehinderte):
Sylvia Feldbinder

VERSAND UND VERTRIEB:
Karin Dockhorn
Anna-Louise-Karsch-Str. 3, 10178 Berlin
Telefon 030/241 26 73
WDockhorn@t-online.de
oder Sonja Brendel, Tel. 030/512 93 18
Bruni Büdler, Hans Ludwig, Harry Schreyer,
Peter Barth u.v.a.m.

FINANZEN: Jürgen Thiele, Wartenberger Str. 44
13053 Berlin, Tel.: 030/981 56 74

UNSER KONTO:
"RotFuchs"-Förderverein, Konto-Nr.: 2 143 031 400
Berliner Sparkasse, BLZ: 100 500 00
Für Einzahler im Ausland:
IBAN: DE 27 1005 0000 0220 1607 59
BIC: BELADEBEXXX

Die Mitarbeit weiterer Autoren ist erwünscht. Die in namentlich gezeichneten Beiträgen zum Ausdruck gebrachten Auffassungen müssen nicht immer mit denen der Redaktion übereinstimmen.


*


Quelle:
RotFuchs Nr. 140, 12. Jahrgang, September 2009
Redaktion: Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin
Telefon: 030/561 34 04, Fax: 030/56 49 39 65
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
Internet: www.rotfuchs.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2009