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ROTFUCHS/106: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 152 - September 2010


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

13. Jahrgang, Nr. 152, September 2010



Inhalt
Eine anrührende Freundschaft
Gedanken an einem Soldatengrab
August 1945: Die Wende im Fernen Osten
UdSSR entsprach Bitte Wilhelm Piecks
Der Düsseldorfer Prozeß gegen die westdeutsche Friedensbewegung
Ein Mittäter als Namenspatron: Prof. Ferdinand Sauerbruch
Euthanasie war Massenmord
Meinungen zum Sindermann-Artikel
Abc des Marxismus: Negation der Negation
Wolfgang Junkers tragischer Tod
Detlef Joseph antwortet Giftmischern
Wer terrorisiert eigentlich wen?
Rückkehr an die Curzon Line
Der sorbische Antifaschist Jan Skala
Gänsehaut auf der Hirnhaut
Lenins Meßlatte anlegen!
Bilanz erfolgreicher Außenpolitik
Das "Phänomen" heißt jetzt "Osten"
RF-Extra Eine Schonerbrigg symbolisierte die DDR
RF-Extra Haltet den Dieb!
DR Kongo: Laurent Kabila blieb Lumumba treu
US-Gefängnisindustrie: "Freiwillig" unter der Knute
Eine Revolution in Westeuropa: Portugal 1974/75
Belgiens Partei der Arbeit im Aufwind
Kirgistan: Absturz einer Republik
Australiens Starreporter Burchett: Von Kisch fasziniert
Hitlers Komplizen im Vatikan
Aus Hellges Anekdotenkiste
"Froll'n Teller" oder Kumpel Renate?
Ein Lenin-"Taschen-Rutscher"
Urgestein aus dem Ruhrpott
Anna Seghers
Der Trick mit den Bio-Produkten
Von "Kornmuhmen" und "Erntepolzen"
DDR-Frauen unter den Hauptverlierern
Archie und die wichtigen Dinge
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Ein weißer Schimmel

Im Dezember 1989 war ich zugegen, als ein weißer Schimmel in die Berliner Dynamohalle, wo der Sonderparteitag der SED-PDS stattfand, Einzug hielt. Am Zügel führte ihn Gregor Gysi, damals ein neuer Stern am politischen Firmament. Das schon betagte, aber auf jung herausgeputzte Roß wurde auf den Namen "demokratischer Sozialismus" getauft.

Die Leser dürften verblüfft sein, daß eine bereits über einhundert Jahre alte Begrifflichkeit, die nicht auf Bebel, sondern eher auf Bernstein zurückgeht, hier in Pferdegestalt daherkommt: Aber es handelte sich in der Tat um einen weißen Schimmel. In derlei Dingen Bewanderte bezeichnen so etwas als Tautologie. Denn demokratischer Sozialismus ist doppelt gemoppelt. Sozialismus, der dieses Wort verdient, ist zugleich demokratisch. Verhält es sich nicht so, dann steht auch kein Sozialismus zur Debatte, sondern irgendein pseudosozialistischer Schaum, mit dem man die Leute über den Löffel balbieren will.

Sozialismus im Sinne der marxistischen Klassiker zeichnet sich durch zweierlei aus:

Erstens muß die auf revolutionärem Wege überwundene Macht der Ausbeuterklassen durch die politische Herrschaft der Arbeiter und ihrer natürlichen Verbündeten ersetzt worden sein. Zweitens ist die Enteignung der strukturbestimmenden kapitalistischen Unternehmen in Industrie, Handel, Dienstleistungen und Finanzwesen sowie des Großgrundbesitzes unerläßlich. Ohne eine solche Brechung der Diktatur des Kapitals, zu der es einer die Massen in den Kampf führenden Kraft bedarf, gleicht alles Gerede von Sozialismus der Architektur eines Luftschlosses. Wer diesen von Marx und Engels konzipierten, durch Lenin und dessen Genossen zuerst in die Praxis umgesetzten und seitdem von Denkern und Akteuren vieler Länder weiterentwickelten wissenschaftlichen Sozialismus als undemokratisch verwirft, hat weder mit Demokratie noch mit Sozialismus etwas am Hut. Leuten dieses Schlages schwebt eher die Fata Morgana eines "Kapitalismus mit menschlichem Gesicht" vor. Schmuckelemente an der Fassade sollen verdecken, daß innen alles beim alten bleibt.

Wenn man die sozialistische Entwicklung in der DDR, die dem Kapital in einem Drittel Deutschlands für vier Jahrzehnte die politische Macht und das ausbeuterische Eigentum entzog, unter dem Aspekt der Demokratie betrachtet, dann gab es da Licht und Schatten, Bewegung und Erstarrung. Die Befreiung der Ostdeutschen durch die Rote Armee, die Freisetzung ihrer antifaschistisch-demokratischen Kräfte und die von diesen in härtestem Klassenkampf selbst vollzogenen revolutionären Umgestaltungen führten in den ersten Jahrzehnten der DDR zu einer Massenbeteiligung ungeahnten Ausmaßes. Mit der Demokratie im Betrieb, wo volle Mitbestimmung gewährleistet war, und im genossenschaftlichen Dorf, wo die LPG-Bildung dem Egoismus Schritt für Schritt den Boden entzog, kann die parlamentarische Spiegelfechterei westlichen Stils in keiner Weise mithalten.

Leider stellten sich in späteren Jahren Deformationen ein, die der sozialistischen Sache Abbruch taten. Dabei handelte es sich um Abweichungen vom lange Zeit tatkräftig umgesetzten Ideal. Der ins Getriebe gestreute Sand führte dazu, daß die Wahlen mehr und mehr zu formellen Treuebekundungen für die Partei- und Staatsführung entarteten. Mit fast 100 Prozent Ja-Stimmen logen wir uns selbst die Taschen voll. Die 1968 bei geheimem Votum erlangte Zustimmung von etwa 90 Prozent der DDR-Bürger zur sozialistischen Verfassung wurde so unterlaufen.

Trotz mancher Verzerrungen, Hemmnisse und Defizite war die sozialistische Demokratie der DDR - gestützt auf die Macht der Werktätigen und bei uneingeschränkter Wahrung des gesellschaftlichen Eigentums an den entscheidenden Produktionsmitteln - der bürgerlichen Demokratie auch in dieser Phase haushoch überlegen. Angesichts zunehmender Faschisierung im kriegführenden Staat des deutschen Kapitals schätzen und verteidigen wir heute die vom Grundgesetz umrissenen Rechte und Freiheiten.

Der von der Linkspartei vorgelegte Programmentwurf birgt ungeachtet der häufigen Verwendung des Begriffs "demokratischer Sozialismus" und anderer Schwächen wichtige antimonopolistische Aussagen. Da ist es kein Wunder, wenn Wortführer des rechten Flügels der PDL - von Petra Pau, die sich über "Schwarzweißmalerei" beschwert, bis zu Klaus Lederer, dem "plakativer Antikapitalismus und demonstrativer Protestgestus" mißfallen -, ihre Pferde gegen den Entwurf satteln.

Unverkennbar ist "demokratischer Sozialismus" ein der SPD entwendetes Patent für Reformismus. Der Bernsteinsche Begriff ist auch im Godesberger Programm der SPD verankert. Damals mußte man die prosozialistische Stimmung einer erheblichen Arbeiterklientel in Rechnung stellen. Heute bedienen sich dieser Wortverbindung nicht zuletzt jene, die glauben, sie könnten ein "links von der SPD" durch deren Rechtsdrift entstandenes "Vakuum" auffüllen. Doch der weiße Schimmel von einst hat Schimmel angesetzt. Wir bevorzugen deshalb auch unter den Rossen den roten Fuchs.

Klaus Steiniger

Raute

Eine anrührende Freundschaft

Arthur Schmerl, ältester Freidenker in Deutschland, Kommunist seit den 20er Jahren und Antifaschist, den die Nazis einkerkerten, feierte am 21. Mai 2010 seinen 100. Geburtstag. Einer der Gratulanten, der gerne teilgenommen hätte, war der im Oktober 2009 in Gostyn verstorbene Jósef Kordus. Nur wenige Tage vor seinem Tode schrieb er mit letzter Kraft einen Abschiedsbrief an seinen Freund Arthur Schmerl. Was veranlaßte den polnischen Katholiken zu dieser Handlung?

Jósef war Mitglied der katholischen Widerstandsgruppe "Schwarze Legion" gewesen, die zumeist aus Jugendlichen bestand und gegen die Nazi-Okkupanten kämpfte. Ein Teil wurde gefaßt, zwölf von ihnen am 23. Juni 1942 in Dresden, Münchner Platz, enthauptet, einige überlebten die Zuchthäuser des Dritten Reiches. Zu ihnen gehörte Jósef. Als die Mahn- und Gedenkstätte am Münchner Platz 1957 eröffnet worden war, hielten es deren Mitarbeiter für ihre Ehrenpflicht, Beziehungen zu den Überlebenden und Angehörigen der "Schwarzen Legion" herzustellen.

Seit 1969 gibt es ständige Kontakte, die auf deutscher Seite von Erich Schäfer, Bambi Gimmel und Arthur Schmerl gehalten wurden, auf polnischer Seite von E. Piechowiak, Marian Sobkowiak und Jósef Kordus. Die Zusammenarbeit betraf die jährlichen Ehrungen im Juni in Dresden und im Oktober in Gostyn sowie den Delegations- und Literaturaustausch, der von polnischer Seite exakt dokumentiert wurde.

Mit der "Wende" kam das Aus für die ständige Ausstellung der Mahn- und Gedenkstätte, in der das Wirken der "Schwarzen Legion" gewürdigt worden war. Vor allem bewährte Dresdner Antifaschisten (deren kommunistische Gesinnung die polnischen Katholiken nicht störte) sorgten nach 1990 dafür, daß die freundschaftlichen Beziehungen zu Gostyn - nun unter erschwerten Bedingungen - weiter gepflegt wurden. Die Gostyner wissen das zu schätzen. Als Geste der Versöhnung übergaben sie 1999 der Frauenkirche die "Flammenvase", eine von einem polnischen Bildhauer geschaffene Skulptur, die durch Spenden Gostyner Bürger finanziert worden war. Das wurde in der Rede Horst Köhlers anläßlich der Einweihung des Gotteshauses ausdrücklich erwähnt. Nur von der Geschichte der einmaligen Freundschaft sagte der Bundespräsident nichts. Die Zusammenarbeit zwischen den Gostyner und den Dresdner Antifaschisten wird fortgesetzt. Die Saat ist aufgegangen.

"Anläßlich Deines 100. Geburtstages wünsche ich Dir, daß Du niemals zu träumen aufhörst, denn die Träume lassen uns alle schwierigen Momente überwinden. Du sollst wie bisher immer Freude geben. Deine Tränen sollen nur Freudentränen sein.

Der Himmel über Dir möge immer Frieden erblicken, und alle um Dich herum sollen wohlwollend sein. Dein weiteres Leben soll so verlaufen, wie Du es Dir am besten wünschst", hieß es im Abschiedsbrief des Katholiken Jósef Kordus an den Kommunisten Arthur Schmerl.

Vielleicht veranlassen diese Worte die Verantwortlichen der Dresdner Gedenkstätte am Münchner Platz, die nach 1990 auch das Andenken an die "Schwarze Legion" getilgt haben, ihre zweifelhafte Erinnerungskultur zu überprüfen. Das Vermächtnis der tapferen Polen ist aktueller denn je.

Prof. Dr. Horst Schneider


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Der Jubilar Arthur Schmerl mit den Vertretern des Vorstandes der RF-Regionalgruppe Dresden Rudi Mittag und Günter Strobel

Raute

Gedanken an einem Soldatengrab

"... wann wird man je versteh'n?" So fragte einst die große Schauspielerin und Chansonette Marlene Dietrich in dem Lied "Sag mir, wo die Blumen sind", das in vielen Sprachen Verbreitung fand. Ein anderer Text schließt mit den Worten: "und der Krieg ist kein Gesetz der Natur, und der Frieden ist kein Geschenk ..."

Auf dem weitläufigen Gelände des "Waldhofs" bei Herzberg befindet sich an unauffälliger Stelle ein schlichtes Soldatengrab. Ein unbekannter Deutscher, der bei den erbitterten Kämpfen kurz vor Kriegsende noch am 20. April 1945 sein Leben verlor, hat hier die letzte Ruhestätte erhalten.

Der Betrachter ist eigenartig berührt, wenn er bei seinem Waldspaziergang plötzlich auf dieses Grab stößt. Unbewußt wird er an die Vergangenheit, an die Endlichkeit des Lebens und an die eigene Ohnmacht erinnert. Es sind die Alten, die einst als junge Menschen freiwillig oder widerstrebend in Hitlers Krieg gezogen sind.

Für die Jüngeren liegt all das weit zurück, obwohl die Kampfhandlungen erst vor 65 Jahren zu Ende gegangen sind. Damals sah man in den Brandenburger Wäldern, wo erbitterte Schlachten getobt hatten, vielerorts mit Kreuzen und Helmen markierte Gedenkorte. Die sterblichen Reste der meist unbekannten Toten sind unterdessen auf Friedhöfe umgebettet worden, viele Gräber wurden eingeebnet. Von den Müttern, Witwen und Kindern der Gefallenen des II. Weltkrieges sind die meisten ebenfalls bereits gestorben. Und die noch Lebenden haben oft nur vage Erinnerungen an das Geschehene.

Am Antikriegstag 2010 gibt es bereits wieder frische Gräber deutscher Soldaten. Ihre Beisetzung erfolgt nach dem gleichen Zeremoniell wie in den Zeiten der großen Kriege. Und abermals fragen weinende Mütter, Witwen und Waisen nach dem Warum.

Deutschland, das in einem Jahrhundert zwei Weltgemetzel anzettelte, in denen Millionen und Abermillionen Menschen ihr Leben lassen mußten, stünde es gut zu Gesicht, eine ehrliche Politik des Friedens und der Völkerverständigung zu betreiben. Die DDR ist dieser Maxime vier Jahrzehnte lang treu geblieben. Zeit ihrer Existenz haben deutsche Soldatenstiefel keine fremden Territorien zerstampft. Doch nach ihrer Einverleibung in den nun um ein Drittel größer gewordenen Staat des deutschen Imperialismus verfolgt die BRD die alten Vorherrschafts- und Expansionspläne mit militärischen Mitteln. So ziehen ihre Soldaten einmal mehr für die Interessen des Kapitals in schmutzige Kriege. Auch das ist eine Frucht jener die Völker ängstigenden "Einheit", die vor 20 Jahren mit "gewaltfreier" Gewalt herbeigeführt wurde. Wäre Annexion nicht das angemessenere Wort? Wann wird man je versteh'n?

Rudolf Herz, Berlin

Raute

Zum 65. Jahrestag des Sieges über die japanischen Aggressoren

Die Wende im Fernen Osten

Die diesjährige Würdigung des 8. Mai offenbarte wiederum grundsätzliche politische Differenzen. Der Charakterisierung des Tages der Befreiung vom Faschismus standen Formulierungen wie Ende des Weltkrieges, Kapitulation und ähnliches gegenüber. Für die Völker Europas war und bleibt es die Befreiung von der faschistischen Herrschaft. Hier soll indes ein weiterer Aspekt dieser Frage behandelt werden. Der 2. Weltkrieg fand sein tatsächliches Ende erst mit der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch Japan am 2. September 1945. In vielen Geschichtsbetrachtungen wird der asiatische Kriegsschauplatz im 2. Weltkrieg weitgehend oder völlig ausgeblendet.

Der 2. Weltkrieg, der von Deutschland, Italien und Japan mit dem Ziel globaler Herrschaftseroberung vorbereitet und entfesselt wurde, entwickelte sich zum antifaschistischen Krieg und wurde mit der Zerschlagung der Achsenmächte beendet. Den Hauptanteil an diesem Sieg erbrachte die Sowjetunion. In der asiatisch-pazifischen Region wurde China zum Hauptkriegsschauplatz. Die chinesische Nation hat für diesen Sieg 35 Millionen Menschen geopfert. Sie sind in der Gesamtzahl der Toten des 2. Weltkrieges nur zum Teil berücksichtigt worden.

Der Krieg Japans gegen China begann im September 1931 mit dem Angriff der aufgrund ungleicher Verträge und des Versailler Vertrages von 1919 in China stationierten japanischen Truppen, bei dem zunächst Mukden und innerhalb von vier Monaten drei nordchinesische Provinzen besetzt wurden. Die sogenannte Mandschurei-Krise war Ausgangspunkt der bis dahin größten Expansionswelle des japanischen Imperialismus in Ostasien. Im März 1932 wurde die Gründung des japanischen Marionettenstaates Mandschukuo mit einer Bevölkerung von zunächst 32 Millionen und einem Gebiet von 1,3 Mill. km² verkündet.

Am 28. Januar 1932 intensivierte Japan seine Aggression mit der Eroberung von Shanghai. Der japanische Angriff auf China erfolgte ohne Kriegserklärung. Die damals international anerkannte Regierung Chinas, die von der Guomindang (Tschiang Kai-schek) geführt wurde, hat das so hingenommen. Allein die Demokratische Regierung der Arbeiter und Bauern unter Leitung von Mao Zedong, die Ende 1931 in einem revolutionären Stützpunkt gegründet worden war, erklärte dem japanischen Imperialismus im April 1932 den Krieg und rief zum unversöhnlichen Kampf gegen die Eindringlinge auf.

Am 25. November 1936 wurde in Berlin der deutsch-japanische Antikominternpakt unterzeichnet, mit dem die Kollaboration der beiden Mächte ein vertragliches Gefüge erhielt.

1937 wurde Mandschukuo von Italien und Spanien und 1938 von Hitler-Deutschland anerkannt. Im Vorfeld des 2. Weltkrieges waren Japans Eroberung der Mandschurei und Italiens Einnahme Abessiniens die Auftaktaktionen der faschistischen Mächte im Kampf um die Errichtung ihrer Weltherrschaft. Der erste Schritt erfolgte in Ostasien.

Mit ihrem Angriff an der Luguoqiao-Brücke (Marco-Polo-Brücke) bei Beijing am 7. Juli 1937 begann Japan den allumfassenden Krieg gegen China mit dem Ziel der Eroberung des ganzen Landes.

Das (Marco-Polo-Brücke) bei Beijing am 7. Juli 1937 begann Japan den allumfassenden Krieg gegen China mit dem Ziel der Eroberung des ganzen Landes. Das war auch der Startschuß für den umfassenden Widerstandskrieg der chinesischen Nation. Im Juli 1937 besetzten japanische Truppen Beijing. Am 22. Oktober wurde Kanton, am 25. Oktober Wuhan eingenommen. Am 12. November fiel Shanghai und am 13. Dezember wurde die damalige Hauptstadt Nanjing erobert. Innerhalb von sechs Wochen ermordeten die Aggressoren allein dort 300.000 Einwohner und entwaffnete Soldaten. Im März 1940 installierte Tokio in Nanjing das Marionettenregime unter Wang Jingwei.

Die japanische Armee hat vernichtende Luftangriffe auf dicht besiedelte Gebiete Chinas durchgeführt, auf den besetzten Territorien furchtbar gemordet und gebrandschatzt. Die Einheit 731 brachte mit chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen Hunderttausende um. Bis heute ist es nicht gelungen, die in China angehäuften chemischen Waffen der japanischen Armee vollständig zu entsorgen. Diese hatte große Teile Ostchinas besetzt.

Unter Führung der KPCh entwickelte sich der Widerstandskampf des chinesischen Volkes gegen die japanischen Eindringlinge, gegen die Marionettentruppen und die fortgesetzten militärischen Angriffe seitens der Guomindang.

Die Sowjetunion erwies China in diesem Widerstandskrieg wirksame Unterstützung. Am 21. August 1937 schloß sie mit der Tschiang-Kai-schek-Regierung einen Nichtangriffspakt ab. Sowjetische Truppen erteilten 1939 am Chalchin-Gol den japanischen Aggressoren bei ihrem Versuch, in die UdSSR einzudringen, eine entschiedene Abfuhr.

Im September 1940 unterzeichneten Japan, Deutschland und Italien einen militärischen Bündnisvertrag.

Nach dem Überfall Japans auf den US-Stützpunkt Pearl Harbor (Hawaii) am 7. Dezember 1941 sowie die pazifischen Besitzungen der USA und Großbritanniens erklärten beide Staaten Japan den Krieg und wurden damit zu Verbündeten Chinas. Die Regierung Tschiang Kai-schek veröffentlichte nun eine formelle Kriegserklärung an Japan und stellte klar, daß sich China auch im Kriegszustand mit Deutschland und Italien befinde. In großangelegten Militäraktionen besetzte Japan den Süden Vietnams, Hongkong, Manila, Singapur, Burma, Malaya und Niederländisch-Indien (Indonesien).

Mit der Wende des Kriegsverlaufs in Europa nach der Schlacht bei Stalingrad veränderte sich auch die strategische Situation im asiatisch-pazifischen Raum. Im November und Dezember 1943 fand in Kairo eine Konferenz statt, an der Roosevelt, Tschiang Kai-schek und Churchill teilnahmen. In ihrer Erklärung vom 1. Dezember 1943 legten sie fest, daß alle von Japan geraubten Gebiete, insbesondere die Mandschurei, Taiwan und die Pescadores-Inseln an China zurückzugeben seien.

Nach der Kapitulation des faschistischen Deutschlands begannen die von der KPCh geführten Truppen auf dem chinesischen Kriegsschauplatz eine Offensive gegen die von den japanischen Streitkräften besetzten Gebiete. Am 26. Juli 1945 veröffentlichten China, die USA und Großbritannien die Potsdamer Erklärung, in der Japan zur bedingungslosen Kapitulation aufgefordert wurde.

Die Formulierung lautete: "Kapitulation oder Vernichtung". Am 8. August erklärte die Sowjetunion Japan den Krieg, einen Tag später stieß die Rote Armee in die von Japan besetzten chinesischen Nordprovinzen vor und zerschlug die japanische Kuantung-Armee.

Zur gleichen Zeit rief Mao Zedong zur "letzten Schlacht gegen die japanischen Eindringlinge" auf. Am 11. August erteilte Zhu De der 8. und der Neuen 4. Armee der Volksbefreiungsstreitkräfte den Befehl zur Generaloffensive gegen die japanischen Truppen. Fast ganz Nordchina und ein Teil Zentralchinas wurden befreit. Die Generaloffensive der Volksbefreiungsarmee und der langjährige Kampf des chinesischen Volkes gegen die japanischen Eroberer waren ein wichtiger Beitrag zum Sieg über den japanischen Imperialismus.

Mit der Unterzeichnung der Kapitulation Japans am 2. September 1945, die kurz nach den USA-Atomschlägen gegen Hiroshima und Nagasaki auf dem amerikanischen Schlachtschiff Missouri erfolgte, war der antijapanische Widerstandskrieg siegreich beendet.

Die Signatur nahmen auch die Vertreter der UdSSR und der Tschiang-Kai-schek-Regierung vor. Am 9. September 1945 kapitulierten die japanischen Einheiten in China. Bis heute gibt es keinen Friedensvertrag zwischen Japan und der VR China. Tokio leugnet unverändert die ungeheuerlichen Kriegsverbrechen seiner Truppen gegen das chinesische Volk.

Rolf Berthold

Raute

Adenauers Lüge von der "Heimholung" der letzten Kriegsgefangenen

UdSSR entsprach einer Bitte Wilhelm Piecks

Jedes Jahr im Herbst werden Heldenlieder von der "Heimholung" aller Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion durch BRD-Kanzler Konrad Adenauer angestimmt. Da werden Szenen gezeigt, die manchen, der nicht die ganze Wahrheit kennt, zu Tränen rühren. Vom Dank an Gott, von Adenauers Menschlichkeit und der russischen Barbarei ist die Rede. Erschütternd wirkt der Kniefall einer älteren Frau, die dankbar Adenauers Hand küßt.

Mit keinem Satz aber wird die Tatsache auch nur erwähnt, daß es sich bei den im Herbst 1955 Heimkehrenden um 9626 verurteilte Personen - Uniformierte und Zivilisten - handelt, die Kriegsverbrechen begangen hatten oder in diese verstrickt waren.

Helmut Kohl, der damals 25 Jahre alt war und diese Heimkehr miterlebt hat, suggeriert in seinen Erinnerungen die Vorstellung, erst 1955 sei die Mehrheit der Kriegsgefangenen zurückgekommen. Er dürfte mit Gewißheit darüber informiert gewesen sein, daß bereits bis Ende 1950 rund 1,7 Millionen reguläre Gefangene nach Hause entlassen worden waren. Kohl gibt in seinen Memoiren indes zu Protokoll: "Ich erinnere mich auch noch sehr konkret an die Übertragung des Dankgottesdienstes 1955 aus dem Lager Friedland, wo an diesem Tag der erste Großtransport mit 600 Männern aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft eingetroffen war. ... Das Gefühl der tiefen Sorge und eines ungeheuren Ernstes hatte sich seit Kriegsende bis zu dem Tag gehalten, als Adenauer mit der erlösenden Botschaft aus Moskau kam." Die Wahrheit: Es waren nicht die ersten, sondern die letzten Transporte mit deutschen Gefangenen. Hinzu kommt, daß es nicht die ersten von Zigtausenden, sondern die ersten 600 von insgesamt 9626 verurteilten Personen waren. Und schließlich trifft zu, daß zu jenem Zeitpunkt, als sich Adenauer in Moskau aufhielt, die Messen längst gesungen waren.

Der BRD-Kanzler konnte sich keineswegs das Verdienst an die Mütze stecken, die Betreffenden innerhalb von drei Monaten nach Deutschland "geholt" zu haben. Schon allein die kurze Frist vom Moskaubesuch Adenauers bis zum Eintreffen des ersten Gefangenenkontingents beweist, daß bereits vor der Reise des CDU-Politikers in die UdSSR die sowjetische Führung alles organisatorisch Notwendige eingeleitet und die in Frage kommenden Personen aus allen Gegenden des Riesenlandes zusammengeführt hatte, um sie nach Friedland ausreisen zu lassen.

Wenn jetzt der 55. Jahrestag der "Heimholung" überschwenglich gefeiert wird, dann ist daran zu erinnern, daß es nicht Adenauer war, der sich seit 1946 für die Rück kehr der Gefangenen einsetzte. Die Akteure waren Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht. Später tat das dann die Regierung der DDR.

Sicher ging man nicht so spektakulär wie Adenauer ans Werk, dafür aber kontinuierlich. Warum die Bemühungen der DDR nicht an die Öffentlichkeit drangen, kann wohl nur damit erklärt werden, daß sie mit ihrem engsten Verbündeten verhandelte, dessen Volk unter der faschistischen Aggression besonders schwer gelitten hatte. Überdies hegte die DDR niemals die Absicht, Moskau in Schwierigkeiten zu bringen, handelte es sich doch bei diesen Gefangenen um Menschen, die wegen Naziverbrechen von Gerichten der UdSSR verurteilt worden waren. Man hätte es der sowjetischen Bevölkerung sicher schwer vermitteln können, wenn ausgerechnet deutsche Kommunisten in aller Öffentlichkeit um die Begnadigung von Kriegsverbrechern ersucht hätten. Ohne Zweifel befanden sich unter den Verurteilten auch Betroffene, die man schuldlos zu Kriegsverbrechern erklärt hatte. Auch dessen war sich die Regierung der DDR durchaus bewußt. Fest steht indes, daß das Gros tatsächlich überführte Gewalttäter waren.

Liest man die heutige Literatur zu dieser Thematik, so nährt sie den Verdacht, daß die erst 1955 Entlassenen sowohl Moskau als auch der BRD-Regierung gewissermaßen als Faustpfand gedient haben könnten. Die Sowjetunion strebte damals diplomatische Beziehungen mit der BRD an, wofür Bonn einen politischen Preis zu erzielen suchte. Neben der "Heimführung" der wegen Kriegsverbrechen Verurteilten, von denen man etliche "Männer mit einschlägiger Erfahrung" dringend benötigte, wollte Adenauer der Weltöffentlichkeit zeigen, wie inhuman die UdSSR mit den besiegten Deutschen noch zehn Jahre nach dem Krieg umging. Nicht zuletzt verfolgte er die Absicht, der bundesdeutschen Bevölkerung vor Augen zu führen, daß der DDR das Schicksal der verbliebenen Kriegsgefangenen völlig egal sei.

Dennoch steht fest: Bereits im Oktober 1949 hatte Wilhelm Pieck in Moskau ein Gespräch mit Stalin, in dem er um die Freilassung der verbliebenen Kriegsgefangenen bat. Otto Grotewohl schrieb noch vor Gründung der DDR an Stalin, daß die zu bildende provisorische Regierung zu erklären beabsichtige, bis Ende 1949 würden alle Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion entlassen. Dem wurde zwar im Prinzip stattgegeben, aber es kam zu Verzögerungen. Daraufhin intervenierte Walter Ulbricht am 8. Dezember 1949 bei den Verantwortlichen. Er erhielt die Zusicherung, 6000 Kriegsgefangene würden in den nächsten drei Wochen zurückkehren. Eine nach Moskau entsandte Regierungsdelegation mit Walter Ulbricht und Otto Grotewohl brachte im August 1953 das Problem der Freilassung der Kriegsverurteilten zur Sprache. Im Kommuniqué vom 22. August wurden dann Schritte angekündigt, "die deutschen Kriegsgefangenen von der weiteren Abbüßung der Strafen zu befreien".

Etwa ein halbes Jahr vor Adenauers Moskaureise übergab Grotewohl dem sowjetischen Botschafter in der DDR einen Brief von Generalfeldmarschall Paulus. Der zu dieser Zeit in Dresden Wohnende regte ebenfalls eine Begnadigung der noch in der Sowjetunion befindlichen Kriegsgefangenen an. Wenige Wochen danach erhielt Ulbricht eine Mitteilung Chruschtschows, die Sowjetregierung halte nunmehr den Zeitpunkt für gekommen, die Frage der deutschen Kriegsgefangenen und Zivilisten, die in der UdSSR Strafen verbüßen, zu entscheiden. In seinem Schreiben vom 14. Juli 1955 betonte er, "daß die Frage bei den bevorstehenden Verhandlungen mit Adenauer angesprochen wird. Deshalb möchten wir sie mit Ihnen vor den Verhandlungen mit Adenauer erörtern." Nach Beratungen Moskaus mit der DDR übermittelte Wilhelm Pieck am 31. August 1955 dem Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, Kliment Woroschilow, ein offizielles Dokument, in dem um die vorzeitige Entlassung der noch in der Sowjetunion verbliebenen Gefangenen ersucht wurde.

Als Adenauer dann am 9. September 1955 in Moskau eintraf, waren die Würfel bereits gefallen. Dennoch verliefen die Verhandlungen beider Seiten angespannt. Der Bundeskanzler beharrte darauf, daß es sich bei den 9626 Personen durchweg um klassische Kriegsgefangene handele. Die sowjetische Delegation erklärte demgegenüber, zwei Drittel seien verurteilte Militärangehörige, ein Drittel straffällig gewordene Zivilisten. Ungeachtet dessen wurden später auf Adenauer - den "Befreier aller deutschen Kriegsgefangenen" - Heldenlieder angestimmt. Die historische Wahrheit besteht indes darin, daß Adenauer "den Soffjets" keineswegs die Freilassung der klassischen wie der durch sowjetische Gerichte verurteilten Kriegsgefangenen dadurch abgerungen hat, daß er damit gedroht habe, die Verhandlungen über diplomatische Beziehungen platzen zu lassen und aus Moskau abzureisen.

Günter Bartsch, Berlin


Wichtige Literatur hierzu:
Hans Reichelt: Die deutschen Kriegsheimkehrer.
Was hat die DDR für sie getan?
edition ost, Berlin 2008, 224 S.

Raute

Wie die westdeutsche Friedensbewegung kriminalisiert wurde

Der Düsseldorfer Prozeß

Nur jenes Erinnern ist fruchtbar, das zugleich erinnert, was noch zu tun ist." Dieses Wort des Philosophen Ernst Bloch ist dem Buch "Justizunrecht im Kalten Krieg" vorangestellt. Acht Autoren berichten darin über den Düsseldorfer Prozeß von 1959/60 gegen die Mitglieder des westdeutschen Friedenskomitees, darunter der einzige noch lebende Verurteilte und alle fünf Verteidiger. Herausgeber und einer der Verfasser ist Studiendirektor a.D. Dr. phil. Friedrich-Martin Balzer.

Vergegenwärtigen wir uns das Geschehen. Die Ermittlungen gegen die Friedensaktivisten begannen im Frühjahr 1952. Seitdem wurde verhört, gab es Haussuchungen, gekaufte Spitzel, Verfolgungen. Ende 1958 wurde die Anklageschrift unterschrieben. Die Hauptverhandlung vor der Sonderstrafkammer beanspruchte 56 Tage. Seinen Abschluß fand der Prozeß mit der Nichtzulassung der Verfassungsbeschwerde der Verurteilten durch das Bundesverfassungsgericht im Herbst 1965. Der deutsche Imperialismus betrieb zu dieser Zeit die Remilitarisierung der BRD. Die konsequentesten Gegenkräfte waren die Kommunisten. Darum wurden sie am härtesten verfolgt, deshalb wurden alle Bemühungen um Frieden, Abrüstung und Verständigung als "kommunistische Umtriebe" attackiert.

Der Düsseldorfer Prozeß sollte jene, welche sich den erneuten Kriegsvorbereitungen entgegenstellten, einschüchtern. Angeklagt wurden: die todkranke 71jährige frühere Münchener SPD-Stadträtin Edith Hoereth-Menge (sie starb noch im April 1960), Pastor Johannes Oberhof (54) aus Bremen, der ehemalige Pfarrer und badische Staatsrat Erwin Eckert (66, OdF), der Diplom-Dolmetscher Walter Diehl (32) aus dem Rheinland, der Gärtner Gerhard Wohlrath (52), Gewerkschaftsfunktionär und Spanienkämpfer aus Neurath, der Arbeiter Gustav Tiefes (38) aus Düsseldorf und der Versicherungsdirektor Erich Kompalla (38, einst Kriegsfreiwilliger) aus der Pfalz. Die Anklage: Staatsgefährdung, Geheimbündelei, Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die "Beweisführung": Die KPD sei verfassungsfeindlich. Sie habe ihre Mitglieder zum Tätigwerden in der Friedensbewegung aufgerufen, also stelle diese eine verkappte Formation der Kommunisten zur Unterminierung der BRD dar. Ihr Ziel sei es, die ostdeutschen Verhältnisse auch dort einzuführen. Das westdeutsche Friedenskomitee unterhalte Verbindungen zum Friedensrat der DDR. Damit sei klar: Die Friedensfreunde wollten die BRD den Kommunisten ausliefern. Eine fürwahr eigenartige Logik: Hexen haben rote Haare, Maria hat rote Haare, ergo ist sie eine Hexe und wird verbrannt ... Wäre es nicht einfacher gewesen zu erklären: Wer gegen die westdeutsche Wiederaufrüstung eintritt, wandert in den Knast. Beweismittel der Anklage: gefälschte Sitzungsprotokolle zweifelhafter Herkunft, marxistische Literatur, die mit der Tätigkeit des Friedenskomitees in keinem Zusammenhang stand, Flugblätter gegen die Vorbereitung eines Atomkrieges. Belastungszeugen: gewerbsmäßige Denunzianten und bezahlte Polizeispitzel, die sich in Widersprüche verwickelten und dann die Aussage verweigerten. Von anfangs über 60 solcher "Zeugen" nennt die Anklageschrift noch 18, von denen 13 auftreten sollen. Im Gerichtssaal erscheinen indes nur zwei. Die durch Generalbundesanwalt Güde erhobene Anklage wird von den Staatsanwälten Stinshoff und Keppler vertreten. Sie behandeln die Angeklagten wie Kinder, für deren Erziehung sie sich verantwortlich fühlen. Das Gericht: abgesehen von den beiden Beisitzern (einem Finanzbeamten und einem Gewerkschaftssekretär, die während des ganzen Prozesses stumm bleiben) - drei Berufsrichter, "die dem Druck der Regierung ausgesetzt" sind, die Angeklagten für schuldig zu befinden, so der britische Kronanwalt Pritt. "Zu Beginn des Prozesses fragte ich einen besonnenen und gut informierten Juristen, welche Aussichten für einen Freispruch bestünden. Darauf antwortete dieser: 'Das Ergebnis steht bereits fest. Geben Sie sich keinen Illusionen hin.'" Die vielgerühmte Gewaltenteilung Montesquieus läßt grüßen! Sah sie nicht vor, daß Gesetzgebung, Regierung und Rechtssprechung völlig unabhängig voneinander wirken und sich wechselseitig kontrollieren? Wird nicht der DDR bis heute vorgeworfen, gerade dieses Prinzip mißachtet zu haben?

Vorsitzender in dem Verfahren ist Landgerichtsdirektor Erich Meyer, ein frommer Mann, der jeden Morgen zur Messe geht. Er wurde ausgewählt, weil man einen erfahrenen Richter brauchte, der nicht aus der Nazizeit vorbelastet war. So sah also die Mannschaft aus, die den Angeklagten und ihren Anwälten gegenüberstand. Die Verteidiger: der liberale Katholik Dr. Walter Ammann aus Heidelberg, der Sozialdemokrat Dr. Dieter Posser aus Essen, der Pazifist Heinrich Hannover, der Kommunist und ehemalige KZ-Häftling Prof. Dr. Friedrich Karl Kaul, Bürger der DDR, der bereits erwähnte Kronanwalt D.N. Pritt, welcher schon seit über 50 Jahren als Verteidiger in politischen Prozessen wirkte. 39 Zeugen wurden auf Antrag der Verteidigung gehört, darunter Kirchenpräsident D. Martin Niemöller, der Innenminister der ersten Adenauer-Regierung Dr. Dr. Gustav Heinemann, Prof. John Desmond Bernal, Präsident des Weltfriedensrates, Oberbürgermeister a. D. Wilhelm Elfes, Hewlett Johnson, Dekan von Canterbury und Oberhaupt der anglikanischen Kirche. Sie alle bezeugten die Unschuld der Angeklagten und die Abwegigkeit der Vorwürfe. Das interessierte das Gericht in keiner Weise. Sein Urteil: Schuldspruch, Gefängnisstrafen von sechs Wochen bis zu einem Jahr. Hinzu kamen die immensen Prozeßkosten, die zu Lasten der Angeklagten gingen.

Seitdem sind fünfzig Jahre vergangen. Angeblich ist der Kalte Krieg beendet. Ist er das wirklich? War dieser Krieg nur eine Auseinandersetzung zwischen Staaten konträrer Gesellschaftssysteme? War er nicht zugleich auch ein erbitterter Klassenkampf gegen alle, von denen das wiedererstarkende Kapital seine Rüstungsprofite gefährdet sah? Sind die Justizopfer von damals rehabilitiert und entschädigt? Ist das KPD-Verbot aufgehoben? Wie unterscheidet sich die heutige Kriminalisierung der Friedenskräfte nach den §§ 129, 129a und b von den damaligen Praktiken? Werden die Gegner der BRD-Kriegsbeteiligung in Afghanistan besser behandelt? Müssen Friedensdemonstranten nicht nach wie vor befürchten, mit Polizeiknüppeln, Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen traktiert zu werden? Benutzt man nicht mehr denn je die Massenmedien, um Friedensfreunde zu Terroristen und Verbrechern zu erklären?

Immer wieder wird die "Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit" verlangt, was immer das auch sein soll. Warum geht es nicht um die Bewertung der Vergangenheit der BRD? Wohl deshalb, weil diese kein abgeschlossenes Kapitel ist, sondern in die Gegenwart hineinragt. Jene Kräfte, welche vor einem halben Jahrhundert Friedenskämpfer verurteilen ließen, ziehen auch heute alle Register, um Kriegsgegner zu verleumden, einzuschüchtern, zu bestrafen und wegzusperren. Das ist es, was Balzers Buch so brandaktuell und das Erinnern so fruchtbar macht. Noch immer bleibt ein friedliebendes Deutschland das Ziel des Kampfes.

Dr. Ernst Heinz


Friedrich-Martin Balzer (Hg.): Justizunrecht im Kalten Krieg. Die Kriminalisierung der westdeutschen Friedensbewegung im Düsseldorfer Prozeß 1959/60. Mit einer Einleitung von Heinrich Hannover.
Papyrossa Verlag, Köln 2006, 380 Seiten, 24 Euro, ISBN 3-89438-341-0

Raute

Ein Mittäter als Namenspatron: Prof. Ferdinand Sauerbruch

Leben und Wirken des Mediziners Prof. Dr. Ferdinand Sauerbruch waren äußerst zwiespältig. Dabei sollen seine berufliche und persönliche Entwicklung sowie seine Verdienste als Chirurg und Wissenschaftler nicht unerwähnt bleiben. Doch bilden sein Verhalten und Handeln in der Nazizeit den Schwerpunkt heutiger Meinungsbildung über ihn.

Historiker, die sich gründlich mit Sauerbruchs Rolle im Hitler-Staat befaßt haben, legten Beweise vor, welche die mittäterlichen Verstrickungen Prof. Sauerbruchs zwischen 1933 und 1945 eindeutig belegen. Daraus können wir schließen, daß ein Mitwirken Ferdinand Sauerbruchs bei Versuchen an Häftlingen in Konzentrationslagern nachweisbar ist, wodurch sein ärztliches Ethos in Frage gestellt wird. Sauerbruch unterstützte das faschistische Regime in Wort und Tat bis zu dessen Untergang. Diese Feststellung ist auch angesichts dessen gültig, daß er formell nicht der NSDAP angehörte und einzelne Seiten der nazistischen Politik, so die Euthanasie, ablehnte.

Ferdinand Sauerbruch trug mittäterliche Verantwortung bei der Bewilligung von Geldern des "Reichsforschungsrates" für Experimente an KZ-Häftlingen in Natzweiler und Auschwitz.

Bei den Senfgasversuchen im KZ Natzweiler kamen bekanntlich Häftlinge ums Leben. Welche weiteren Opfer es gab, auch in Auschwitz, wußten die Nazis geschickt zu verschleiern, indem sie Akten und Unterlagen vernichteten. Daß der SS-Lagerarzt von Auschwitz, Mengele, ein Schüler Prof. Verschuers, die Menschen dort für die Gaskammern selektierte, ist hinlänglich bekannt. Er setzte die von Sauerbruch bewilligten Gelder für "Forschungen" zu Genwirkstoffen ein, veranlaßte die Tötung und Sezierung der Opfer.

Sauerbruch hatte Kenntnis von Sulfonamid- und Malaria-Versuchen an KZ-Häftlingen (u. a. in Ravensbrück), ohne Protest dagegen zu erheben. Elie Wiesel, Begleiter des US-Präsidenten Barack Obama bei dessen Aufenthalt in der Gedenkstätte Buchenwald 2009, bezeugte schriftlich die Genehmigung, Finanzierung und Ergebniskontrolle der Menschenversuche Mengeles im KZ Auschwitz. Die "Forschungsberichte" gingen von Mengele über Prof. Verschuer an den "Fachspartenleiter des Reichsforschungsrates" Prof. Sauerbruch. So schließt sich der Kreis der mittäterlichen Verantwortung Mengele-Verschuer-Sauerbruch. Das Lebenswerk Prof Sauerbruchs ist nicht geeignet, den Schülern und Lehrern des Gymnasiums Großröhrsdorf ethisch-moralische und politische Werte im Sinne des Grundgesetzes der BRD zu vermitteln.

Deshalb sehen wir es im Sinne einer demokratischen Erziehung der Schuljugend nicht als ehrenhaft an, wenn Menschen wie Prof. Sauerbruch heute Kindern und Jugendlichen als Namenspatron oktroyiert werden. Dieser Mann kann nicht als Vorbild gelten!

Wir raten daher dem Kreistag Bautzen, die Entscheidung vom November 2009, daß der Name "Ferdinand-Sauerbruch-Gymnasium" in Großröhrsdorf weitergeführt wird, zu korrigieren.

Dr. Peter Fisch / Dr. Dieter Rostowski


Kontaktadressen für RF-Leser, die sich ebenfalls für die Umbenennung des Gymnasiums in Großröhrsdorf aussprechen möchten:
Dr. Peter Fisch, Ritterstr. 25, 01097 Dresden, E-Mail: gabpet40@gmx.de
Dr. Dieter Rostowski, Körnerstr. 2, 01917 Kamenz, E-Mail: di-ros@web.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Der Chirurg als Nazigeneral

Raute

Was die deutschen Faschisten unter "Gnadentod" verstanden

Euthanasie war Massenmord

Als 29jährige gehöre ich seit 2006 zu den ständigen Lesern des RF. Als ich vor einiger Zeit über das Gelände der Helios-Klinik in Schwerin spazierte, fiel mir ein neu errichtetes Mahnmal positiv auf Es befindet sich im Teil der Carl-Friedrich-Flemming-Klinik, die hauptsächlich für mentale Störungen zuständig ist.

Die Stele wurde von der Künstlerin Dörte Michaelis entworfen und plastisch umgesetzt - zum Gedenken an die Opfer von Zwangssterilisation und Euthanasie im faschistischen Dritten Reich. Sie zeigt die Vielfältigkeit und Andersartigkeit von Leben, Individuen und was von ihnen bleibt, wenn man sie auslöscht. Abgehackte, verbrannt wirkende Stümpfe. Tot. Das am 12. Juni 2008 eingeweihte Denkmal wurde durch die Helios-Klinik, die Landeszentrale für politische Memoriale und den am 16. April 1991 gegründeten "Freundeskreis Sachsenberg" e. V. initiiert.

Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" ("Erbgesundheitsgesetz") vom 14. Juli 1933 erlaubte die Sterilisierung von Schwachsinnigen, Schizophrenen, Epileptikern, Blinden, Tauben, Körperbehinderten und Alkoholkranken auch gegen deren Willen. Es trat am 1. Januar 1934 in Kraft. Das Gesetz war zutiefst rassistisch und menschenverachtend. Darin hieß es u. a.: "Ziel der dem deutschen Volk artgemäßen Erb- und Rassenpflege" sei "eine ausreichende Zahl erbgesunder, für das deutsche Volk rassisch wertvoller kinderreicher Familien zu allen Zeiten". In den Jahren zwischen 1934 und 1945 sind insgesamt etwa 350.000 Zwangssterilisationen in ganz Deutschland durchgeführt worden. Etwa 7000 Menschen starben an den Eingriffen. Ihrer wird vielerorts durch Stolpersteine gedacht.

Im Oktober 1939 gab es einen Geheimerlaß Hitlers. "Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann." Gnadentod. Das Wort Euthanasie stammt aus dem Griechischen. Gemeint war damit der schöne, leichte Tod. Schöner Tod? Das paßt eher in heutige Debatten über Patientenverfügungen und Sterbehilfe. Die Euthanasie unter Hitler war eindeutig Mord.

Der derzeitige Ärztliche Direktor der C-F-F-Klinik, Prof. Andreas Broocks, erklärte im Januar 2007 in einem Interview mit der "Schweriner Volkszeitung": "Allein auf der von Dr. Alfred Leu geleiteten Kinderabteilung gab es 430 Todesfälle, von denen mindestens 100 auf aktive Tötungen zurückzuführen sind, an denen Leu unmittelbar beteiligt war." Besagter Dr. Leu wurde von einem Gericht der Alt-BRD, vor dem er sich wegen Beihilfe zum Totschlag 1953 zu verantworten hatte, freigesprochen. Danach arbeitete er unbehelligt als Nervenarzt und gerichtsmedizinischer Gutachter.

Wer aber gedenkt der Opfer? Wer spricht für sie? Viele waren über Jahre dort, um am Ende zu verhungern, totgespritzt oder in einer der sechs Mordzentren (Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Sonnenstein, Bernburg und Hadamar) mit Kohlenmonoxyd vergast zu werden. Auf zwei Transporten am 18. Juli und am 1. August 1941 wurden insgesamt 275 Menschen aus der Schweriner Nervenklinik nach Bernburg verbracht und dort ermordet. Hier starb auch die legendäre Kommunistin Olga Benario.

Doch um mit einem Zitat des Psychotherapeuten Karl-Heinz Farni aus seiner Kolumne in der Ausgabe der Zeitschrift "Emotion" vom Mai 2007 zu schließen: "Wer ist hier eigentlich behindert? Ich möchte an dieser Stelle all jenen meine Hochachtung ausdrücken, die den Schritt wagen, sich wirklich kennenzulernen. Darunter sind manche (und das sind die mich berührendsten Klienten), die sich dafür geißeln, daß sie nicht mehr funktionieren, die sich für krank halten, weil sie bei 'Harald Schmidt' ... einen Brechreiz spüren, weil sie weinen, wenn sie die 'Tagesschau' sehen ... mithin zu den wenigen Menschen gehören, die sich noch einen Rest Anstand, Gefühl und Instinkt aus ihrer Kindheit herübergerettet und bewahrt haben."

Auch mit unserer Blockade gegen den Neonaziaufmarsch am diesjährigen 1. Mai in Rostock haben wir gegen alte und neue Verbrechen Stellung bezogen.

Stefanie Rosin, Rostock


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Gedenk-Stele für Euthanasie-Opfer von Dörte Michaelis in Schwerin

Raute

Leserdebatte zum Artikel über Horst Sindermann

Kein "versilbertes Abstellgleis"

Heinz Schwarz zeichnet ein eindrucksvolles Bild von Horst Sindermann (RF 150). Im Unterschied zu ihm kannte ich Sindermann nicht persönlich. Aber mir leuchtet nicht ein, warum man jemanden, der so erfolgreich als 1. Bezirkssekretär der Partei tätig war, nicht zum Ministerpräsidenten der DDR hätte berufen sollen. Aus meiner Sicht hat er diese Aufgabe hervorragend gemeistert. Daß er dann Präsident der Volkskammer wurde, hing damit zusammen, daß Honecker Stoph als Staatsratsvorsitzenden verdrängte und dieser wieder Ministerpräsident wurde. Doch auch wenn die Volkskammer in der DDR nicht die Rolle spielte, die ihr eigentlich hätte zukommen müssen, wurde Sindermann m. E. nicht auf ein "versilbertes Abstellgleis" geschoben. Er blieb Mitglied des Politbüros.

Mir ist unklar, warum Sindermann nicht auch in diesen Funktionen die Monopolstellung von Mittag hätte brechen können, wenn er es gewollt hätte und wenn es überhaupt möglich gewesen wäre. Der ZK-Sekretär für Bildung, Kultur und Wissenschaft oder der für Agitation und Propaganda zuständige hatten doch keinen größeren Einfluß. Übrigens war Kurt Hager ein gebildeter Mensch. Das galt auch für Werner Lamberz, den Sekretär für Agitation und Propaganda, der erst so kurze Zeit in dieser Funktion war, daß er noch nicht "Erbrecht und Alterssitz" im Politbüro haben konnte.

Dr. Kurt Laser, Berlin


Mich hat der mutige und ehrliche Artikel über Horst Sindermann im Juli-"RotFuchs" sehr bewegt. Hier wurden in aller Offenheit Dinge genannt, die so wohl noch nicht gesagt worden sind.

Ohne Zweifel ist die Feststellung, daß der Untergang der DDR eine Niederlage auf dem Gebiet der Ökonomie war, richtig. Von ihr leiten sich andere Defizite ab. Es wäre indes falsch, von einem Scheitern des politischen Systems zu sprechen. Dieses bewies trotz der erlittenen Blessuren seine generelle Überlegenheit über das der BRD und aller kapitalistischen Staaten.

Wie aber wurde das seinem Wesen nach überlegene politische System der DDR von den gewählten und nichtgewählten Führungskräften gehandhabt? In der Art und Weise der Leitungstätigkeit ist sicher eine der Hauptursachen für das Entstehen einer zunehmenden Kluft zwischen dem Volk und der politischen Spitze zu finden. Wachsender Subjektivismus bei wichtigen Entscheidungen, Verzicht auf Diskussionen im Kollektiv sowie immer mehr einsetzender Mangel an Großzügigkeit im Denken und Handeln führender Genossen, falsche und sogar bewußt wahrheitswidrige Berichterstattung nach oben wie nach unten haben zu dem Desaster beigetragen. Allmählich entstand ein Beziehungsgeflecht aus Abhängigkeiten von Personen und Institutionen.

Hinzu kommt ein Anwachsen des wechselseitigen Mißtrauens. Manche selbständige geistige Regung löste unbegründeterweise gleich den Verdacht aus, der "Feind" stecke dahinter. Durch unser eigenes Verhalten haben wir letzten Endes die "Bürgerbewegung" selbst mit erzeugt, statt sie großzügig ins Leere laufen zu lassen.

Deformationen der sozialistischen Demokratie mündeten in dem Sozialismus fremden Maßnahmen. Dazu zähle ich das zwar gewissen "Vorbildern" nachempfundene, letztlich aber selbstgewählte Politbüro-Ghetto in Wandlitz. Hier kultivierte man die gegenseitige Isoliertheit von Führung und Volk sehr plastisch. Ich rechne dazu auch das an feudale Zeiten erinnernde Großjagdgehabe sowie die bombastischen Aufmärsche.

Wer ist schuld am Entstehen solcher und anderer negativer Erscheinungen? Ganz allein wir selbst, haben wir sie doch zugelassen, uns nicht dagegen gewehrt.

Ich hätte mir eine Regierung gewünscht, von der am jeweiligen Monatsende öffentlich zu erfahren gewesen wäre, was sie richtig und was sie falsch gemacht hat. Ein solches Vorgehen hätte sie in beständiger Volksnähe gehalten.

Dr. Martin Dressel, Berlin

Raute

Abc des Marxismus - Negation der Negation

Negation der Negation ist ein grundlegendes Gesetz der Dialektik, ein "allgemeines und eben deswegen äußerst weitwirkendes Entwicklungsgesetz der Natur, der Geschichte und des Denkens". (MEW, 20/131) Was Geschichte und Denken betrifft: Wer der Gefahr entgehen will, in "kommunistischen Hochmut" abzugleiten, oder andererseits sich in einen der berüchtigten "Revolutionäre mit Pensionsberechtigung" zu verwandeln, muß dieses Gesetz verstehen. Denn nur so erschließt sich ihm im Wust der Tatsachen "eine Entwicklung, die die bereits durchlaufenen Stadien gleichsam noch einmal durchmacht, aber anders, auf höherer Stufe ('Negation der Negation'), eine Entwicklung, die nicht geradlinig, sondern sozusagen in der Spirale vor sich geht; eine sprunghafte, mit Katastrophen verbundene, revolutionäre Entwicklung". (LW, 21/42 f.)

"Kommunistischer Hochmut" - so Lenin - "heißt, daß ein Mensch, der der Kommunistischen Partei angehört und aus ihr noch nicht hinausgereinigt worden ist, sich einbildet, alle seine Aufgaben durch kommunistisches Dekretieren erledigen zu können." (LW, 33/59) Handlungsunfähigkeit bei jähen Wendungen infolge undialektischen Glaubens an die Unumkehrbarkeit früher errungener Siege ist damit verwandt. Pensionserpichte Weltenretter gibt es zuhauf in unseren Tagen. Wer aber das revolutionäre Wesen der geschichtlichen Entwicklung nicht erfaßt, wird weltanschaulich scheitern. Denn er steht nach der schweren Niederlage des Sozialismus in Europa den bürgerlichen Mythen vom "Ende der Geschichte" ziemlich hilflos gegenüber und hat auch einem Slogan wie "Marx ist tot - Jesus lebt!" wenig entgegenzusetzen.

Die wichtigste Schlußfolgerung, die Karl Marx aus den Niederlagen der Revolutionen von 1848/49 zog, lautete: "Die Gesellschaft scheint jetzt hinter ihren Ausgangspunkt zurückgetreten; in Wahrheit hat sie sich erst den revolutionären Ausgangspunkt zu schaffen, die Situation, die Verhältnisse, unter denen allein die moderne Revolution ernsthaft wird.

Bürgerliche Revolutionen, wie die des achtzehnten Jahrhunderts, stürmen rascher von Erfolg zu Erfolg, ihre dramatischen Effekte überbieten sich, Menschen und Dinge scheinen in Feuerbrillanten gefasst, die Ekstase ist der Geist jeden Tages; aber sie sind kurzlebig, bald haben sie ihren Höhepunkt erreicht, und ein langer Katzenjammer erfaßt die Gesellschaft, ehe sie die Resultate ihrer Drang- und Sturmperiode nüchtern sich aneignen lernt. Proletarische Revolutionen dagegen ... kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eigenen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegenüber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältnisse selbst rufen:

Hic Rhodus, hic salta!
Hier ist die Rose, hier tanze!"
(MEW, 8/118)

Rosa Luxemburg hat sich darauf wiederholt bezogen. Sie unterstrich: "Dies ist Gesetz des proletarischen Klassenkampfes geblieben, auch nachdem die Sozialdemokratie dessen Führung übernommen hat. Für sie ­... gilt deshalb nicht die Sorge, sichere Siege zu erspähen, sondern das elementare Gebot einer revolutionären Partei: Tausendmal schlimmer als jede Niederlage ist längeres Ausweichen dem Kampfe dort, wo er unvermeidlich geworden ist." (Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 258)

Prof. Dr. Götz Dieckmann

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Vom Gegner gehetzt, von den eigenen Leuten im Stich gelassen

Wolfgang Junkers tragischer Tod

Am 9. April 1990 schied ein großartiger Mensch kurz nach seinem 61. Geburtstag in tiefer Verzweiflung aus dem Leben. Seit diesem tragischen Geschehen sind 20 Jahre vergangen.

Wolfgang Junker, am 23. Februar 1929 in einer Quedlinburger Arbeiterfamilie geboren, erlebte das Kriegsende als Befreiung. So führte sein Weg in die FDJ und die SED. Nach Mittelschule, Maurerlehre und Fachschulstudium übernahm der junge Ingenieur Verantwortung an Brennpunkten des Geschehens. Er war Bauleiter an der Stalinallee, dann Direktor großer Baubetriebe in Berlin und Brandenburg. Schon damals legte er viel Wert auf hochproduktive Neuerungen. So geriet er in das Blickfeld Walter Ulbrichts, der fähige Organisatoren im Bauministerium einsetzen wollte. Junker wurde stellvertretender Minister für Industriebau, bald darauf Staatssekretär. Als Bauminister Ernst Scholz 1964 starb, war der erst 34jährige sein Nachfolger.

Damals bestand eine sehr komplizierte Lage. Ob Wohnungs- oder Industriebau, Stadtentwicklung oder Baumaterialienproduktion - überall blieb das Leistungsvermögen hinter den Bedürfnissen der Gesellschaft zurück. Arbeitskräfte und Ressourcen waren begrenzt. Hinzu kamen die von der BRD ausgehenden Störmanöver. Es mußte eine Konzeption der Industrialisierung entwickelt werden, die das Bauwesen auf Erfolgskurs brachte. Wolfgang Junkers Verdienst bestand darin, alle Kräfte - Wissenschaftler, Ingenieure, Architekten, Technologen, Ökonomen und vor allem die Bauarbeiter - dafür zu gewinnen. Vorfertigung, Montagebau und Mechanisierung, verbunden mit der rationellen Technologie der Takt- und Fließfertigung verdrängten die körperlich schwere Arbeit. Es entstanden Polikliniken für Bauarbeiter, Arbeitsschutz und Unfallverhütung erhielten einen immer höheren Stellenwert. Der Konsum schuf an Bauschwerpunkten spezielle Versorgungseinrichtungen.

Anfang der 70er Jahre erklärte das ZK der SED das Wohnungsbauprogramm zum Kernstück der Sozialpolitik. Die Konzentration auf den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Stadtzentren war wegen des höheren Aufwands nicht geeignet, den Mangel an Wohnraum kurzfristig zu beheben. Wolfgang Junker leistete dabei eine immense Arbeit. Am 24. Februar 1989 konstatierte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Seit dem VIII. Parteitag der SED 1971 sind in der DDR unter Bauminister Junker mehr als 3 Millionen Wohnungen, darunter 1,9 Millionen neu gebaute, fertiggestellt worden. Anfang 1971 standen für je eintausend Einwohner 345 Wohnungen zur Verfügung, 1987 waren es 417. Die Wohnfläche pro Person stieg im gleichen Zeitraum von 20,6 auf 26,8 Quadratmeter, und der Anteil der Wohnungen mit Bad oder Dusche und Innentoilette verdoppelte sich."

Ab 1973 wirkte Wolfgang Junker als Vorsitzender der Ständigen Kommission Bauwesen beim Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Damit zog dort ein neuer, praxisnaher Arbeitsstil ein, der die Probleme der anderen Länder stets in Rechnung stellte. In seinem Verhalten blieb Wolfgang Junker immer bescheiden. Nichts war ihm mehr zuwider als deutsche Arroganz.

Der Minister war kein Einzelkämpfer. Die Arbeitsergebnisse seines Hauses beruhten in hohem Maße auf seiner Fähigkeit, Kollektive zu formen und andere zu hohen Leistungen anzuspornen sowie Verbündete und Freunde zu gewinnen. Zu ihnen gehörten vor allem Prof Dipl-Ing. Werner Heynisch, Präsident der Bauakademie, der sich durch neuartige, kühne und rationelle Konstruktionslösungen einen Namen gemacht hatte, und Prof. Dr.-Ing. Erhardt Gißke, zu dessen Hauptwerken der Palast der Republik, das Nikolaiviertel, das Konzerthaus am Gendarmenmarkt, der Pionierpalast in der Wuhlheide, das chirurgisch orientierte Zentrum der Charité und der neue Friedrichstadtpalast zählen. Wolfgang Junker setzte sich selbst für den Wiederaufbau der Dresdner Semperoper, den Neubau des Leipziger Gewandhauses und die Schaffung der Bauernkriegs-Gedenkstätte bei Bad Frankenhausen ein.

Anfang der 80er Jahre war das DDR-Bauwesen noch intakt. Die Pläne wurden erfüllt. Viele Menschen bezogen Neubauwohnungen. Weil die Baubetriebe aber immer weniger Maschinen, Ausrüstungen und Transportmittel zugeteilt bekamen, sah sich Wolfgang Junker gezwungen, auf andere Weise die Deckung des dringenden Bedarfs zu sichern. Unter seiner Leitung wurde z. B. die Energieträgerumstellung kurzfristig realisiert und so die Versorgung mit Zement und Baukeramik aufrechterhalten. Doch insgesamt spitzte sich die Lage zu. In älteren innerstädtischen Wohngebieten verschlechterte sich die Bausubstanz zusehends. Der Vorschlag des Ministers, diese Situation durch differenzierte Mieten ohne soziale Härten abzumildern, wurde abgelehnt. Auch seine Anregung, die "FDJ-Initiative Berlin" geordnet zum Abschluß zu bringen und die Bauleute in ihren Heimatorten für die Modernisierung der Altbausubstanz einzusetzen, stieß nicht auf Gegenliebe.

1988/89 komplizierte sich die materiell-technische Versorgung sowohl der volkseigenen als auch genossenschaftlichen und privaten Baubetriebe noch mehr. Wieder wurden Entlastungsvorschläge Wolfgang Junkers in den Wind geschlagen. Man kürzte sogar Kontingente bei wichtigen Zuliefererzeugnissen. In Leipzig organisierten sogenannte Bürgerrechtler eine "Baukonferenz von unten". Wolfgang Junker mußte dort den aufgestauten Frust gegen die Führung von Partei und Staat über sich ergehen lassen.

Wenigstens die Volkskammer befaßte sich nun mit der entstandenen Lage. Auf ihrer Tagung am 18. November 1989 trat Wolfgang Junker für eine sozialistische Erneuerung der DDR ein. Doch der gerade erst gebildete Volkskammerausschuß "zur Überprüfung von Amtsmißbrauch" veranlaßte, daß ihm unter fadenscheinigen Vorwänden die Immunität als Abgeordneter entzogen wurde. Fast zeitgleich leitete man ein Untersuchungsverfahren gegen ihn ein. Die immer mehr abdriftende Presse überschlug sich in Vorverurteilungen. Während der Untersuchungshaft verschlechterte sich Wolfgang Junkers Gesundheitszustand dramatisch. Ein ärztlicher Antrag auf Haftverschonung wurde abgelehnt. In der Regierung fand sich niemand, der diesem üblen Treiben ein Ende setzte. Als Wolfgang Junker schließlich wegen erwiesener Unschuld freigelassen werden mußte, war er ein an Leib und Seele gebrochener Mann.

So kam es zur Tragödie. Uns aber, die wir auf das engste mit ihm zusammengearbeitet haben, wird der Bauminister als ein hochgeachteter Fachmann und als ein wunderbarer Mensch, der den Idealen des Sozialismus stets die Treue wahrte, unvergessen bleiben.

Gerhard Trölitzsch / Rolf Kühnert

Raute

Abfuhr für infame "Antisemitismus"-Unterstellungen

Detlef Joseph antwortet Giftmischern

Detlef Josephs Buch, das hier besprochen werden soll, hat eine Vorgeschichte. Datieren läßt sie sich ziemlich exakt auf den Beginn der 90er Jahre. Die Zeitspanne also, in welcher der Anschluß der DDR an die BRD erfolgte. Zugleich begann, erst zaghaft, dann in steigendem Tempo eine Neubewertung der Nachkriegsgeschichte von 1945 bis 1990. Aber nur der im östlichen Teil 1949 entstandene Staat war davon betroffen. Das Signal gab der damalige, nun für ganz Deutschland zuständige Justizminister Kinkel. Er erteilte seiner ihm unterstellten und an keinerlei Weisungen gebundenen Richterschaft den Auftrag, die DDR - wo immer möglich - zu delegitimieren. Denn es habe sich ja um einen "Unrechtsstaat" gehandelt. Eine Wortschöpfung, die weder im Grundgesetz noch im Strafgesetzbuch und auch nicht im Völkerrechtskodex zu finden ist.

Unter diesem Vorzeichen suchten nun einige Gremien, Zusammenschlüsse und Stiftungen nach Möglichkeiten, sich mit ihrer Deutung des Lebens in der DDR zu profilieren. Eine ihrer Behauptungen: Es habe dort nicht nur ein latenter, sondern ein struktureller Antisemitismus existiert. Und sie präsentierten eine Wanderausstellung mit dem provokanten, ironisch verschlüsselten Titel "Das hat's bei uns nicht gegeben". Auf den Tafeln finden sich Vermutungen, Halbwahrheiten und Unterstellungen. Unwiderlegbare Beweise für die Behauptungen sucht man vergebens.

Die gab es zu Beginn der 50er Jahre jedoch wirklich - für eine kurze Zeit. Mit dem kleinen Unterschied, daß sie importiert - parallel zu Schauprozessen - wurden. Auf Weisungen Moskaus wurden führende Personen der kommunistischen Parteien in Rumänien, Bulgarien und Ungarn bezichtigt, Agenten des Imperialismus zu sein, die im Zusammenspiel mit Zionisten die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern wollten. In der CSR befanden sich plötzlich Mitglieder des Politbüros auf der Anklagebank. Die meisten Angeschwärzten waren jüdischer Herkunft. Der damalige Generalsekretär Rudolf Slánsky und mehrere seiner Gefährten wurden in einer Justizfarce zum Tode verurteilt und anschließend hingerichtet. In der DDR beschränkte sich diese Periode auf propagandistische Manöver mit nicht überhörbarer antisemitischer Tonlage. Nach dem Tod Stalins im Frühjahr 1953 endete diese bedrückende Nachkriegsetappe.

Doch es stellt sich die Frage, in welchem Klima konnten die jüdischen Gemeinden im Land ihren Aufgaben nachgehen? Es waren unmittelbar nach Kriegsende einige Hunderte, die neue Gemeinden aufbauten. Sie setzten sich aus den wenigen Juden zusammen, die als "U-Boote" nur mit Hilfe von mutigen, ihr eigenes Leben riskierenden sogenannten Ariern der Shoah entrinnen konnten. Hinzu kamen die aus den KZs befreiten Überlebenden und Hunderte Remigranten aus westlichen Ländern, die den Neuaufbau der Gemeinden organisierten. Die Letztgenannten überwanden ihre Vorbehalte, in das Land der Mörder zurückzukehren, um am Aufbau eines Staates mitzuwirken, dessen oberstes Gebot sein sollte, für immer in Frieden mit anderen Völkern zu leben.

Wer könnte über diese Zeit ein kompetenteres Urteil fällen als der Arzt Dr. Peter Kirchner. Er war über zwei Jahrzehnte Vorsitzender der größten der Jüdischen Gemeinden der DDR, in Berlin. Am 9. September 1971 sagte er anläßlich der 300. Wiederkehr der Gründung der ersten Berliner Jüdischen Gemeinde: "Die hier lebenden Bürger jüdischen Glaubens sind entsprechend den Grundrechten der Verfassung gleichgestellte freie Bürger der DDR und genießen volle Souveränität bezüglich ihrer religiösen Gebundenheit." Kirchner beendete seine Rede mit einem Satz von Moses Mendelssohn: "Jeder lebe nach seinem Glauben und seinen Überzeugungen und liebe seinen Nächsten wie sich selbst."

Detlef Joseph, viele Jahre Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, hat sehr genau recherchiert. Mit Hunderten von Quellennachweisen belegt er, daß die Behauptungen der Ausstellungsmacher über Antisemitismus in der DDR eine Unterstellung bleiben.

Doch die Besprechung wäre unvollständig, ohne die im Buch enthaltene Bibliographie von Renate Kirchner zu erwähnen. Man liest sie wie eine Offenbarung. So gab es zwischen 1945 und 1990 über eintausend Bücher, Publikationen und Texte, die das Leben der Juden zum Inhalt haben und in Verlagen der DDR erschienen sind. Frau Kirchner hatte als studierte Bibliothekarin 1974 begonnen, am Sitz der Jüdischen Gemeinde in der Oranienburger Straße eine Judaica-Sammlung aufzubauen. 1977 wurde die Bibliothek, für jedermann zugänglich, eröffnet. 1991 vereinigten sich die beiden Jüdischen Gemeinden Berlins, und die östliche Bibliothek wurde in die westliche als Zweigstelle integriert. Zehn Jahre später sollte sie geschlossen werden. Proteste der Leser erzwangen eine eingeschränkte Benutzungsmöglichkeit bis 2005.

"Die DDR und die Juden" - das Buch belegt, was Antisemitismus ist, wie er sich im Alltag äußert und welchen Stellenwert er für politische Brunnenvergifter hat. Deshalb sollte man sich diese Lektüre nicht entgehen lassen.

Alfred Fleischhacker


Der Autor dieses in der Zeitschrift "Antifa" (Mai/Juni 2010) unter der Überschrift "Antisemitismus strukturell?" erschienenen Beitrags ist am 16. Juni verstorben. Wir drücken den Angehörigen des erfahrenen und bewährten DDR-Journalisten unser Mitgefühl aus.

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Eine historische Betrachtung zu "heiligen" Kriegen gestern und heute

Wer terrorisiert eigentlich wen?

Begriffe wie "Dschihad" (heiliger Krieg) und Terrorismus werden durch die hierzulande tonangebenden Medien prompt dem Islam zugeordnet, als würden nicht die christlichen Nationen seit den Kreuzzügen und der Ausweisung muslimischer Mauren aus Spanien nach deren 800jähriger Seßhaftigkeit bis heute ständig einen "Dschihad" gegen den Islam führen. 1799 besetzten christliche Armeen unter Napoleon Ägypten. 1830 und 1881 eroberten die christlichen Franzosen Algerien und Tunesien. 1839 besetzten die christlichen Engländer Jemen, 1882 Ägypten und 1889 Sudan. 1838 bis 1842 führten sie vom muslimischen heutigen Pakistan aus einen erbarmungslosen Krieg gegen Afghanistan. Christliche Armeen haben auch in unserer Zeit keinerlei Skrupel, in muslimische Länder einzumarschieren, sie zu unterjochen, auszubeuten, Gefangene und unbeteiligte Zivilisten zu terrorisieren oder gar zu ermorden.

Wie viele Demütigungen haben die Christen den Moslems und dem Islam als Religion bereits zugefügt! "Die Geschichte beweist und zeigt, wie Christentum und Unmenschlichkeit immer wieder Hand in Hand gingen", stellte die Theologin Dorothee Sölle fest. Wir verwechseln Ursache und Wirkung, wenn wir aufschreien, weil sich arabisch-muslimische "Terroristen" bitter und drastisch an Soldaten und "christlichen" Ländern des Westens rächen.

Ich wende mich grundsätzlich gegen Terrorakte. Angriffe, bei denen der massenhafte Tod unschuldiger Menschen billigend in Kauf genommen wird, sind mit nichts zu rechtfertigen! Aber sind Patrioten, die mit allen Mitteln gegen Eindringlinge und Fremdherrschaft vorgehen, etwa Terroristen, oder handelt es sich hier nicht um Freiheitskämpfer?

Die Antwort hängt vom Standpunkt jedes einzelnen ab. Es sind jedenfalls mutige Männer und Frauen, die mit Entschlossenheit und Todesverachtung um die Befreiung ihrer Heimatländer kämpfen und versuchen, die fremden Eindringlinge aus ihren angestammten Territorien zu vertreiben. Früher nannte man sie Partisanen - so im 2. Weltkrieg in der Sowjetunion, in Jugoslawien und Albanien oder im Vietnamkrieg gegen Franzosen und Amerikaner. Heutzutage bezeichnen sie die Medien in Bausch und Bogen als Terroristen.

Dabei werden zweifellos auch schreckliche Racheakte in den Herkunftsländern der Besatzer und gegen deren Handlanger in den eigenen Ländern verübt, die stets auch unbeteiligte Menschen in großer Zahl treffen. Das ist mit nichts zu rechtfertigen. Besonders wird immer wieder betont, daß moslemische Sunniten ihre scheitischen Glaubensbrüder terrorisierten und umbrächten. Aber was haben denn im Dreißigjährigen Krieg die christlichen Armeen ihren christlichen Glaubensbrüdern nicht alles angetan? Sie verfügten zwar noch nicht über hochexplosive Kampfstoffe, Giftgas, Bombenflugzeuge und Raketen, aber ihre nicht weniger entsetzlichen Taten sind historisch verbrieft.

Der erste und - wenn man so will - prominenteste Terrorist in der erzählten Geschichte war der Gott der Christenheit selbst. Er war und ist bekanntlich auch der Gott der Juden, des Volkes Israel, der höchstpersönlich den Massenmord an unschuldigen ägyptischen Kindern anordnete, um den Exodus seines "auserwählten Volkes" aus Ägypten zu erzwingen. Und er schickte - so die biblische Legende - einen "Würgeengel", um diesen Massenmord zu vollziehen. Im 2. Buch Mose steht geschrieben: "So spricht der Herr: Um Mitternacht will ich durch Ägyptenland gehen und alle Erstgeburt in Ägyptenland soll sterben, vom ersten Sohn des Pharao an." War das etwa kein Terror? Wurde hier nicht sogar ein Engel im Auftrag Gottes zum Terroristen?

Und derselbe Gott übergab wenig später auf dem Berg Sinai dem Moses zwei Gesetzestafeln. Auf der zweiten Tafel stand an erster Stelle das 5. Gebot: Du sollst nicht töten! Ein Gott mit zwei Gesichtern, mit doppelter Moral? Im 5. Buch Mose, Kap. 7, im 4. Buch Mose, Kap. 33, und im 2. Buch Mose ist im Detail nachzulesen, welche Aufträge Moses von Gott erhielt: "Wenn dich der Herr, dein Gott, ins Land bringt, in das du kommen wirst, es einzunehmen und er ausrottet viele Völker vor dir her, die Hetiter, Girgaschiter, Amoriter, Kanaaniter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter, sieben Völker, die stärker sind als du, und wenn sie der Herr, dein Gott, vor dir dahingibt, daß du sie schlägst, so sollst du ihnen den Bann vollstrecken. Du sollst keinen Bund mit ihnen schließen und keine Gnade gegen sie üben."

Was daran Wahrheit und was Mythos ist, sei dahingestellt, aber wen wundert es, daß orthodoxe Juden, die Nachfahren des "auserwählten Volkes", noch heute den göttlichen Rat befolgen und rücksichtslos mit Palästinensern und anderen Arabern verfahren?

Christenmenschen wollen solche Worte nicht hören, das weiß ich, aber ich habe die Geschichten nicht erfunden, sie stehen in der "Heiligen Schrift", und da darf man sie ja wohl auch einmal nachdenklich erwähnen! Und wen erstaunt es, wenn auch spätere Christen, die diesen Gott übernommen haben und anbeten, gar nicht zimperlich mit der massenhaften Vernichtung von Menschen umgegangen sind und noch immer umgehen?

Die Vereinigten Staaten haben in terroristischer Absicht Hiroshima und Nagasaki mit Atombomben dem Erdboden gleichgemacht. Ohne Beispiel war der unglaubliche Terror der US-Truppen gegen die Zivilbevölkerung in Korea und Vietnam. Dort haben sie riesige Ackerflächen vermint und mit "Agent Orange" für die landwirtschaftliche Nutzung und Erzeugung von Nahrungsmitteln unbrauchbar gemacht.

Sie haben ganze Wälder entlaubt und unzählige Siedlungen mit Napalm abgefackelt, weil hier die vietnamesischen Freiheitskämpfer Schutz und Unterstützung fanden. Das nenne ich Terror! Wer will da verurteilen, wenn mutige Männer und Frauen geplagter Völker sich an den Aggressoren rächen und diese abstrafen?

Die Afghanen werden sich niemals einer fremden Macht beugen, auch wenn sie in deutschen Militärstiefeln daherkommt. Warum regt man sich in der BRD eigentlich über die Partisanenkämpfe am Hindukusch auf? Der General und Militärtheoretiker der antinapoleonischen Befreiungskriege 1806 bis 1813, Carl von Clausewitz, formulierte einst als Grundmotiv: "Keine sklavische Unterordnung unter den Willen einer fremden Macht." Das gilt für alle Völker, mißt man nicht mit zweierlei Maß.

Terroristen sind in meinem Verständnis Angehörige gedungener Kommandos und Todesschwadronen, die im Auftrag von Diktatoren oder herrschenden Cliquen im eigenen Land oder auch in fremden Ländern unzufriedene oder anderswo aufbegehrende oder fremdgläubige Menschen in Angst und Schrecken halten, um sie davon abzubringen, bestehende Gesellschafts- und Machtverhältnisse revolutionär zu verändern. Ein solches Mordkommando hat in der deutschen Geschichte die Wortführer der Arbeiterklasse Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg meuchlings hingerichtet.

Bei all dem fragt man sich: Wer terrorisiert eigentlich wen? In Afghanistan wird mit Waffengewalt ein von den USA und der NATO unterstütztes Regime im Interesse eigener Einflußsphären gehalten. Es ist nicht unsere Sache, darüber zu befinden, ob die Frauen dort eine Burka tragen müssen oder nicht. Der Umgang mit den Taliban ist ein innerafghanisches Problem und kein deutsches.

Prof. Dr. Hartmut Hoffmann

Raute

Zur Mär vom sowjetisch-polnischen Gebietsaustausch

Rückkehr an die Curzon Line

Die "Informationspflicht" der Medien, besonders die unermüdliche "Aufklärung" der Fernsehsender, hat dazu geführt, daß sich bestimmte Vorgaben zur angeblichen Entstehung der Oder-Neiße-Grenze bei den Bürgern fest eingeprägt haben. Als Bestandteil des Establishments agierten die sogenannten Vertriebenenverbände. Der Legenden und Mythen war kein Ende. Aus diesem Grunde scheint erbände. Der Legenden und Mythen war kein Ende. Aus diesem Grunde scheint es mir notwendig zu sein, zu diesem Thema, das uns noch lange beschäftigen wird, für die eigenen Mitstreiter eine Skizze zu veröffentlichen, die dem Gerede von einem angeblichen Gebietsaustausch die historische Wahrheit entgegenstellt.

Zu diesem Thema ist folgendes verbreitet worden:

In der Folge des "Hitler-Stalin-Paktes" habe sich eine "Teilung Polens" vollzogen. Durch die Sowjetunion sei 1939 "Ostpolen" besetzt und annektiert worden. Den "Rest" hätten die Nazis erhalten. Als nach dem 2. Weltkrieg die mit Hitlerdeutschland geschlossenen Verträge ihre Gültigkeit verloren hätten, habe die UdSSR die "abgetrennten" ostpolnischen Gebiete nicht wieder herausgerückt, sondern sich "in Deutschland bedient", um Polens "Gebietsverlust im Osten zu kompensieren". Die Folge sei eine Ausdehnung Polens in westlicher Richtung gewesen. Tatsache ist, daß auch die USA und Großbritannien in Jalta einem Polen bis an die Oder ausdrücklich zustimmten.

Man frage einen beliebigen Bürger - übrigens gelegentlich auch Anhänger der Linkspartei - nach dem Geschehen, wobei man in dieser oder jener Form auf solche Mythen stoßen wird.

Wenn wir versuchen, uns die Gesamtlage nach der Oktoberrevolution und dem Bürgerkrieg vor Augen zu führen, entsteht indes folgendes Bild:

Sowjetrußland lag nach dem 1. Weltkrieg, zwei Revolutionen und dem Bürgerkrieg völlig am Boden. Das Land war enorm geschwächt. Aus heutiger Sicht ist es nicht zu fassen, wie es sich je wieder aufrichten, noch dazu zur Supermacht werden konnte.

Diese Lage stellt sich nicht nur uns so dar, sie war auch den maßgebenden imperialistischen Kreisen voll bewußt. Zunächst begann eine gigantische Fledderei. Die Japaner landeten ihre Marinekräfte in Wladiwostok, die Amerikaner "eroberten" die Neusibirischen Inseln im nördlichen Eismeer, etwas später machten die konterrevolutionären chinesischen Truppen in der Äußeren Mongolei mobil, um die russisch-chinesische Eisenbahn nach Port Arthur und damit das de facto russische Charbin in ihre Hand zu bekommen. Britische Einheiten besetzten Murmansk, französische Verbände Odessa, britisch-französische Archangelsk - ein wahrhaft buntes Bild von beutegierigen Besatzern.

Rosa Luxemburg äußerte sich damals gegen das Leninsche Prinzip der Selbstbestimmung der Völker, weil sie (besonders für Polen) mit der Lostrennung von der russischen revolutionären Arbeiterbewegung einen Sieg der Weißen befürchtete (was sich für Polen und Finnland dann ja auch bestätigte). Die baltischen Republiken wurden - gedacht als "Puffer gegen die rote Pest" - zu Lande mit Hilfe der deutschen "Freiwilligenkorps", zur See mit Unterstützung der Marine Ihrer Britischen Majestät Sowjetrußland entrissen. Hier etablierten sich halbfaschistische Regierungen wie das lettische Ulmanis-Regime, die alles, was nach Arbeiterbewegung roch - nicht nur Kommunisten, sondern auch Sozialdemokraten und Gewerkschafter - brutal verfolgten. Den Entente-Mächten war jede "Lösung" genehm, wenn dabei keine "bolschewistischen" Regierungen ans Ruder gelangten.

In den Grenzen des halbfeudalen "Turkestan" - die mittelasiatischen Sowjetrepubliken Tadshikistan, Kirgisien, Kasachstan, Usbekistan und Turkmenien gab es noch nicht, sie wurden erst mit der "Stalinschen Verfassung" von 1936 geschaffen - erhoben sich die Kalifen und Grundherren. Ihr Ziel war die Lostrennung von Sowjetrußland. Eine bewaffnete Bewegung der Basmatschen entstand, die sich erst 1928 unter dem Druck der Roten Armee über die Grenzen nach Afghanistan zurückzogen. Dort traf Jahre später die Rote Armee auf deren Nachkommen und deren "Geist", auf die ursprünglich von der CIA erfundenen und militärisch gerüsteten Taliban.

Von Südwesten her bedienten sich die Türken, besetzten Kars, Erdehan und Batumi, außerdem das Wahrzeichen Armeniens - den bis heute im Staatswappen geführten Berg Ararat direkt vor der Toren der Hauptstadt Jerewan. Die Deutschen versuchten im Zusammenwirken mit separatistischen "Befreiungsbewegungen" in der Nähe der reichen Erdölquellen Transkaukasiens Fuß zu fassen. Besonders die menschewistische Regierung im georgischen Tbilissi spielte ihnen dabei in die Hände.

Osteuropa verwandelte sich in einen Selbstbedienungsladen. Rumänien annektierte Bessarabien, Polen langte nach den Scherben der zerfallenden Habsburger Monarchie, besetzte Lemberg (Lwow, Lwiw). Der dort am Boden liegenden Sowjetmacht mußten wirksame Schranken gesetzt werden. "Man" machte sich Gedanken, wo man die Roten zum Stehen bringen könnte. Unter Bezugnahme auf die jeweilige Muttersprache, also ethnische Gesichtspunkte, wurde 1919 in Paris die international anerkannte polnisch-russische Demarkationslinie, die sogenannte Curzon-Line (benannt nach dem englischen Diplomaten George Curzon) festgelegt. Das Polen Pilsudskis mißachtete diese Festlegungen, marschierte gar in Kiew ein, um sich einen etwa 200 Kilometer breiten Streifen, beginnend mit der alten russischen Festung Brest-Litowsk am Bug (später nur Brest) und das litauische Wilna einzuverleiben. Die "neue Grenze" lag jetzt auf halbem Weg zwischen Brest und Minsk. Diesen Raub ließ sich Polen 1920 im Vertrag von Riga bestätigen.

Es sei am Rande vermerkt, daß zaghafte Versuche einer "Westerweiterung" Polens schon mit Abschluß des Versailler Vertrages - also ohne "die Russen" - unternommen wurden. Die deutschen, ursprünglich preußischen Provinzen wurden mit dem "polnischen Korridor" durchschnitten, Oberschlesien nach einer "Volksbefragung" an Polen gereicht, Danzig vom Deutschen Reich abgetrennt. Die - nicht befragte - Bevölkerung im "Korridor" sprach tatsächlich überwiegend polnisch, man "begründete" den Einschnitt auch mit der "Notwendigkeit", Polen einen Zugang zur Ostsee zu verschaffen.

Nach dieser Skizze können wir zum Jahr 1939 zurückkehren. Die Rote Armee blieb damals am Bug, bei Brest, an der alten Grenze des Zarenreiches - der von den Briten ermittelten Curzon Line - nach 200 Kilometern Vormarsch stehen. Wahrscheinlich war das zwischen Ribbentrop und Molotow so abgesprochen. Es handelte sich dabei ausschließlich um Gebiete, die zuvor niemals ein Teil Polens gewesen waren. Anders ausgedrückt: um die im Vertrag von Riga den Russen entrissenen Territorien. Wilna fiel als neue Hauptstadt Vilnius zurück an Litauen, das kurz darauf die Litauische Sozialistische Sowjetrepublik wurde.

So verhält es sich, sachlich betrachtet, mit dem angeblichen Gebietsaustausch. Eine Kompensation hat also nicht stattgefunden. Die Oder-Neiße-Grenze ist das Ergebnis des von den deutschen Faschisten entfesselten 2. Weltkrieges.

Walter Ruge

Raute

Jan Skala - ein fast vergessener sorbischer Antifaschist

Würde und Standhaftigkeit

In Kamenz, Bautzen und Nebelschütz gibt es Jan-Skala-Straßen. In der DDR trugen Brigaden seinen Namen, ebenso die Domowina-Gruppe sorbischer Studenten zwischen 1951 und 1991.

Wer war Jan Skala?

Geboren wurde der Sohn eines sorbischen Steinbrucharbeiters und einer sorbischen Trachtenschneiderin 1889 in Nebelschütz. Für gründliche Schulbildung fehlte den Eltern das Geld. Nach der Porzellanmaler-Lehre eignete sich Jan Skala autodidaktisch politische, historische und juristische Kenntnisse an. In Weißwasser, Bautzen und Prag entwickelte er seine journalistischen Fähigkeiten. Von 1925 bis 1936 war er Chefredakteur der "Kulturwehr". Sein Konzept und seine Artikel für die Zeitschrift des Verbandes nationaler Minderheiten Deutschlands machten ihn zum "schärfsten Kritiker der Minderheitenpolitik des Reiches und der Länder" (Bamberger-Stemmann: Der Europäische Nationalitätenkongreß 1925 bis 1938, S. 32) und zum Antifaschisten. Skala setzte dem Faschismus eine positive Konzeption entgegen. Alle Jahrgänge der "Kulturwehr" enthalten vor allem Analysen zum Alltag nationaler Minderheiten in Deutschland, aber auch zur Situation der Minoritäten der meisten europäischen Länder. Den breit gefächerten und solide bearbeiteten Inhalt komplettieren umfangreiche Buchbesprechungen, ausführliche Wiedergaben der europäischen Presse und zahllose, meist polemische Kommentare zu aktuellen Ereignissen aus Skalas Feder. So machte er schon damals Entwicklungen sichtbar, die heute klar benannt sind: Die Politik der Weimarer Republik gegenüber ethnischen Minderheiten schuf viele Voraussetzungen für die rassistische Politik der Nazis. "Bereits vor 1933 war die enge Verwobenheit ... innen- und außenpolitischer Bezüge charakteristisch für die deutsche Volkstumspolitik ..." (M. Jaguttis/S. Oeter: Volkstumspolitik, S. 216)

Vier ausgewählte Details sollen Skalas Wirken in diesem Kontext belegen:

Am 6. März 1925 sprach er vor Angehörigen der dänischen Minderheit in Flensburg. Schon einen Tag später wurde der Regierungspräsident von Schleswig-Holstein davon in Kenntnis gesetzt, es sei gelungen, "unauffällig (an der Versammlung) teilzunehmen". Der Informant(1) meldete, Skala habe "äußerst scharf gegen die Preußen gesprochen". Der Zusammenschluß der Minderheiten in Deutschland sei "unbedingt erforderlich, weil die Preußen sämtliche Minderheiten in einer Weise unterdrücken und ausrotten wollen, worin wirklich System liegt!" Skala kritisierte, Deutschland fordere "Rechte für seine im Ausland wohnenden Minderheiten", verweigere sie aber denen im eigenen Land, weswegen man die Deutschen "hierin nicht zu einem Kulturvolk halten kann". (Staatsarchiv Dresden, MdI, Nr. 9638)

Skala rügte Stresemann, weil er die "Schaffung eines Staates, dessen politische Grenzen alle deutschen Volksteile umfaßt, die innerhalb des geschlossenen deutschen Siedlungsgebietes in Mitteleuropa leben und den Anschluß an das Reich wünschen" (Bamberger-Stemmann, a.O., S. 59) anstrebte. 1931, die Nazis waren schon politisch unüberhörbar, formulierte Skala, Stresemanns Politik für deutsche Minderheiten in Europa sei Grundlage für die alte, nationalistische Losung: "Ein Reich, ein Volk!" gewesen. (Kulturwehr = KW 2/1931, S. 49) Wenig später hieß es: "Ein Volk, ein Reich, ein Führer!" Es folgten Reichstagsbrand, Bücherverbrennung, verbrannte Erde, Millionen Tote auf Schlachtfeldern, das Verbrechen industriell organisierter Ermordung von Menschen "undeutschen Wesens".

Skala klagte die Terrorisierung der Juden an. Ende 1933 unterstützte er die Forderung jüdischer Minderheiten aus Polen, Rumänien, Lettland, Litauen, der Tschechoslowakei und Bulgarien, der Genfer Nationalitätenkongreß solle die Entrechtung der Juden in Deutschland klar als Verstoß gegen die Gesetze der Menschlichkeit verurteilen. In faschistischem Geist reagierten Sprecher deutscher Minoritäten: "Die Ausgliederung ... andersrassiger Menschen aus einem Volkskörper ... halten wir für grundsätzlich berechtigt." Skala konterte, diese Diskriminierung bedeute, daß alle Minderheiten durch eine "von keinen Rechtsgrundsätzen gehemmte Gewalt des Stärkeren bedroht" (KW 2/1931, S. 49) sind.

Skala vereitelte mit anderen Sorben die "Gleichschaltung" der Domowina. Als Goebbels verkündete, er werde das geistig-kulturelle Leben so umgestalten, daß alle vorbehaltlos dem Führer folgen, sahen sich Skala und Freunde wie Nowak-Njechornski, Dr. Cyz, Marko Smoler, Nedo im Interesse der Sorben gefordert, dem zu wehren. Am 28. November 1934 klärte die Domowina ihre Haltung zum Nazi-System durch eine scheinbar unpolitische Satzungsdebatte. Als "die einzige Volkstumsvereinigung der Sorben" (õ 1) trete sie für die "Verteidigung der nationalen Rechte der Lausitzer Sorben" ein (õ 3). So zeigte der Bund slawischer Sorben, daß er nicht bereit war, dem totalitären Anspruch der Nazis zu weichen. Diese wollten den Widerstand mit dem Ultimatum brechen, die Domowina müsse sich als "Bund wendischsprechender Deutscher e.V." definieren.

Skala und Alojs Andricki(2) lehnten das Tage später auf einer Vertrauensleutekonferenz - trotz Anwesenheit von Gestapospitzeln - furchtlos und offen als "unerträglich und unzulässig" ab. Einstimmig meinten die Versammelten, dem zuzustimmen "(würde) eine Verantwortungslosigkeit sondergleichen dem sorbischen Volkstum gegenüber bedeuten". (Sorbisches Kulturarchiv Bautzen, D I/13 C) Aus Achtung vor Geschichte und Kultur der Sorben lehnte die Domowina rassistisch-antislawische Unterdrückung mit Würde und Standhaftigkeit ab. Jan Skala hat daran einen unverwechselbaren Anteil.

All das war nicht folgenlos. Am 3. März 1936 erhielt Skala Berufsverbot. Goebbels hatte mit Hilfe des diskriminierenden Schriftleitergesetzes geurteilt, Skala habe "nicht die Eigenschaften ­..., die die Aufgabe der geistigen Einwirkung auf die Öffentlichkeit erfordert" (zitiert nach: KW 1936, April-Dezember, S. 62). So wurde am sorbischen Antifaschisten Skala demonstriert, wie in rechtsförmiger Weise Unrecht präjudiziert werden kann. Damit jedoch begnügten sich die Nazis nicht. Am 21. Januar 1938 verhaftete ihn die Gestapo. Zehn Monate später mußte er, halb taub geschlagen, aufgrund internationaler Proteste freigelassen werden. Am 1. Juni 1939 stellte der Volksgerichtshof das Hochverratsverfahren wegen Mangels an Beweisen ein.

Sein Tod durch Schüsse eines betrunkenen sowjetischen Soldaten am 22. Januar 1945 ist unglaublich tragisch. Skala wurde nicht einmal 56 Jahre alt. Er begrüßte die Rote Armee als Befreier. Er erlebte nicht die von ihm vorausgesagte Niederlage der Unterdrücker auch seines Volkes. Der Familie wurde der Ehemann, Vater und Großvater genommen, dem sorbischen Volk ein engagierter Kämpfer entrissen, die Minderheiten in Europa verloren einen klugen politischen Kopf.

Dr. Peter Jan Joachim Kroh


Anmerkungen:

1) Hans Hermannsen (1891-1952), bespitzelte ab Mitte der 20er Jahre im Grenzpolizeikommissariat Flensburg die dänische Minderheit. Er wurde 1935 NSDAP-Mitglied und Gestapo-Chef von Flensburg. Am 20. April 1940, unmittelbar nach dem Einmarsch faschistisch-deutscher Truppen in Dänemark, wurde er als "Beauftragter der Gestapo" nach Kopenhagen versetzt und war dort für die koordinierte Kommunistenverfolgung zuständig. Der US-Chefankläger im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß, Robert W. Kempner, zählte ihn zu den engsten Komplizen Adolf Eichmanns. Nach dem Krieg war er für den dänischen Geheimdienst sowie für die britische Besatzungsmacht in Flensburg tätig. 1948 arbeitete er in Hamburg für den US-Geheimdienst und baute unter Mitarbeitern der Deutschen Reichsbahn in der DDR ein funktionierendes Spionagenetz auf.

2) katholischer Pfarrer (geboren am 2.7.1914, ermordet am 3.2.1943 im KZ Dachau); 1998 Eröffnung des Seligsprechungsverfahrens auf Antrag des Bischofs der Diözese Dresden-Meißen

Raute

Vier Besuche in Moskau, Verlust eines Modells und Glut unter der Asche

Gänsehaut auf der Hirnhaut

Auch wenn man mit einem Ideal und für dieses lebt, wie das bei meiner Generation der Fall ist, die zu den Gründern und Erbauern der DDR zählt, und seine Vorstellungen von der sozialistischen Zukunft unter schwierigsten Bedingungen verwirklicht sieht, schließt das Unerwartetes und Konträres nicht aus. Das ist 1989/90 eingetreten. Dennoch waren es vier Jahrzehnte für den Sozialismus, die bestmögliche Form gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wir beschritten diesen Weg an der Seite der Sowjetunion, die nur drei Jahrzehnte vor uns aufgebrochen war, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen. Ein anderes "Modell", an dem man sich hätte orientieren können, gab es nicht.

Viermal besuchte ich Moskau, das einstige Zentrum der Weltrevolution. Ich hatte dabei stets das Gefühl, als lägen meine Finger am Puls der Zeit. Bereits in jener frühen Phase, als sich die DDR noch im Aufbau befand, zog es mich an die Moskwa. Dort sah ich Stalin, den Generalissimus und Mitbegründer der UdSSR, zum ersten Mal. Jahre später verdankte ich einer Kritik an ihm meine zeitweilige "Delegierung" in das Stahlwerk Silbitz, wo ich als Helfer am Siemens-Martin-Ofen arbeitete. Ich hatte seine Politik im Hinblick auf Jugoslawien in Zweifel zu ziehen gewagt. Damals war ich ein glühender Verfechter des von Tito beschrittenen Weges. Die Stalin-Note vom 10. März 1952, mit der plötzlich gesamtdeutsche freie Wahlen vorgeschlagen wurden, hielt ich - wie mancher andere - für eine frühe Aufgabe der jungen DDR.

Doch zurück zu meiner ersten Moskau-Reise. Der Bezwinger des faschistischen Deutschland stand also in voller Lebensgröße auf der Tribüne des Lenin-Mausoleums, an dem ich mit Zehntausenden Bürgern der sowjetischen Hauptstadt tief bewegt vorbeidefilierte. Die Welt schien mir in Ordnung zu sein.

Als es mich dann ein zweites Mal nach Moskau führte, sah ich Stalin nicht auf dem, sondern bereits im Mausoleum. Nach seinem Tode war er dort neben Lenin aufgebahrt worden. Was die Welt betraf, so war sie für mich immer noch in Ordnung, und ich bewunderte die staatsmännische Besonnenheit und revolutionäre Energie dieses Mannes, auch wenn mich die Kritik an ihm fast das Parteibuch gekostet hätte.

Dann - bei einem dritten Besuch der sowjetischen Metropole - entdeckte ich Stalins Grab hinter dem Mausoleum, unweit der Kremlmauer. Inzwischen waren Rechnungen aufgemacht worden, und die Welt begann, "aus den Fugen zu geraten". Die einst so mächtige KPdSU löste ihre Probleme vorerst noch über die Umbettung eines Toten, statt längst überfällige strukturelle und substantielle Veränderungen vorzunehmen.

Wenige Jahre darauf folgte mein vierter und letzter Moskau-Besuch. Nun war ein Gang zu Stalins Ruhestätte überhaupt nicht mehr möglich. Man hatte ihn in die Anonymität versinken lassen. Statt eine ausgewogene Bewertung mit Licht und Schatten vorzunehmen, wurde der einstmals mächtigste Mann der Sowjetunion kurzerhand zur Unperson erklärt.

Mit Gorbatschow gelangte später jener Emporkömmling ans Ruder, der die Partei Lenins, deren Geschichte und das Erbe der Revolution längst preisgegeben hatte, bevor sein Verrat für jedermann sichtbar geworden war. Ein sowjetisches Modell gab es nun nicht mehr. Die Welt war, so schien es mir, nicht mehr in Ordnung, denn ein Drittel von ihr brach - aus inneren wie aus äußeren Gründen - sang- und klanglos in sich zusammen. Die Gänsehaut, die mich überzog, bildete sich auf meiner Hirnhaut, und ich brauchte lange, um zu gesunden.

Wer aus der Entwicklungslogik des Kapitals ausbricht, wie wir deutschen Kommunisten und Sozialisten es nach der Befreiung durch die Rote Armee im Mai 1945 getan haben, verfällt gnadenloser Diffamierung. Dem entspricht die Karikatur der DDR, die heute von den herrschenden Gewährsleuten des Kapitals und deren Medien allenthalben verbreitet wird. Sie widerspiegelt einzig und allein die Machtinteressen und Profitgelüste der jetzt ganz Deutschland nach ihrer Elle messenden und ausrichtenden Bourgeoisie. Sie will jede wahrheitsgemäße Erinnerung an die DDR auslöschen. Mit der Abwertung seiner historischen Rolle und seiner beispielgebenden Errungenschaften soll der sozialistische deutsche Staat noch einmal auf dem Schafott des Antikommunismus hingerichtet werden. Damit stellt sich die BRD bewußt in ihre selbsterklärte Tradition als Nachfolgestaat des Dritten Reiches. Ihm stand die DDR 40 Jahre als Hort des Antifaschismus auf deutschem Boden gegenüber. In der Wolle gefärbte Gegner dieses Weges, die auf den "Erbhöfen" reaktionären Denkens groß wurden, gab es natürlich auch bei uns. Ihre Hochburgen lagen indes in der alten BRD, wo das Zerrbild vom Sozialismus stets zur Staatsraison gehörte.

Nicht einmal offenkundige Verbrechen in kirchlichen Ordens-Gymnasien und Klosterschulen oder in staatlichen Internaten der BRD sind Grund, auf eine Verunglimpfung des haushoch überlegenen DDR-Bildungs- und Erziehungssystems zu verzichten. Man stelle sich vor, solches wäre bei uns passiert. Die McCarthyisten der Gauck-Birthler-"Behörde", die Knabes und ihresgleichen hätten ihre Sternstunden und würden einstige DDR-Bürger im Sinne des berüchtigten Arnulf Baring als "verhunzte und verzwergte Geschöpfe" in den Schmutz ziehen.

Noch eine zweite Hypothese: Was wäre, hätte die DDR 1979 als Verbündeter der UdSSR an den Operationen der Sowjetarmee in Afghanistan teilgenommen, wie es heute die Bundeswehr ganz selbstverständlich an der Seite der U.S. Army tut?

Bekanntlich beteiligte sich die Nationale Volksarmee an keinerlei Auslandsoperationen und Kampfeinsätzen ihrer Bündnispartner. Sie war ebensowenig in den CSSR-Einmarsch sowjetischer Truppen involviert wie in Aktionen, die in den 80er Jahren auf afghanischem Boden stattfanden. Hätte die staatliche und politische Führung der DDR nicht dieses Maß an Besonnenheit bewiesen, würde sie heute von den BRD-Machthabern und deren Medien als "blutiger Aggressor" und "Satellit des Sowjetimperialismus" etikettiert. Die Lügen der DDR-Hasser, so sehr sie auch eine Weile wirken mögen, haben letztlich kurze Beine und werden vom Leben widerlegt. Der Sozialismus ist in Deutschland zwar derzeit geschlagen und auf absehbare Zeit verschüttet. Aber die Glut unter der Asche glimmt weiter, da Menschlichkeit und Kapitalismus miteinander unvereinbar sind.

Horst Joachimi, Berlin

Raute

Das Verhalten einer Partei zu ihren Fehlern ist ein wichtiges Kriterium

Lenins Meßlatte anlegen!

Einem marxistischen Gesellschaftswissenschaftler ist es fremd, die Gründe für den Untergang der DDR allein bei deren Gegnern zu suchen. Ohne Zweifel sind Irrtümer und Fehler beim Aufbau einer völlig neuen sozialen Ordnung nahezu unvermeidlich. Das hatte bereits Lenin vorausgesehen, als er schrieb: "Für die Politik und die Parteien gilt dasselbe, was für die einzelnen Personen gilt; klug ist nicht, wer keine Fehler macht. Solche Menschen gibt es nicht. Klug ist, wer nicht allzu wesentliche Fehler macht und es versteht, sie leicht und rasch zu korrigieren." (LW 31, S. 20) Der Führer der Bolschewiki war so kühn zu behaupten, daß es keine Klasse gäbe, "die uns stürzen könnte. ... Niemand und nichts kann uns zu Fall bringen, außer unsere eigene Fehler." (LW 32, S. 44)

In einem seiner Hauptwerke traf Lenin die Feststellung, daß "das Verhalten einer politischen Partei zu ihren Fehlern ... eines der wichtigsten und sichersten Kriterien für den Ernst einer Partei und für die tatsächliche Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber ihrer Klasse und den werktätigen Massen ist". (LW 31, S. 42) Und an anderer Stelle bemerkte der Führer der Bolschewiki, daß eine der "größten und bedrohlichsten Gefahren" in der Loslösung von den Massen besteht, darin, "daß die Vorhut zu weit vorauseilt ..., ohne mit der gewaltigen Mehrheit der Arbeiter- und Bauernmassen in fester Verbindung zu bleiben".

Nimmt man die Worte Lenins, der sich stets gegen "kommunistischen Hochmut" wandte, als Maßstab, dann kann man prüfen, ob sie in der Vergangenheit beachtet worden sind oder nicht. Es liegt auf der Hand, daß eine subjektivistische, nicht kollektiv durchdachte Politik ohne aktive Einbeziehung der Massen diese dem politischen Gegner in die Arme treibt. Das hat die Geschichte unzählige Male bewiesen.

Ich möchte hier ein konkretes Beispiel, das mir noch sehr lebendig in Erinnerung ist, anführen: Die Ende der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts angestellten Überlegungen des erfahrenen Kommunisten Anton Ackermann über den "besonderen deutschen Weg zum Sozialismus", die seinerzeit aus Furcht, sie könnten antisowjetisch interpretiert werden, aus dem Verkehr gezogen wurden, stießen auf offizielle Ablehnung. Dabei befanden sie sich durchaus in Übereinstimmung mit Lenins Standpunkt, daß alle Nationen zum Sozialismus gelangen werden, "aber keine genau auf die gleiche Art und Weise". Jede werde "in dieser oder jener Form der Demokratie ..., zu diesem oder jenem Tempo der sozialistischen Umgestaltung ... etwas Eigenes beitragen". (LW 23, S. 64)

Unter Beachtung des hier Gesagten hätte es m. E. seitens der SED-Parteiführung im Hinblick auf Formen, Methoden und Zeitspannen des sozialistischen Aufbaus tieferes Nachdenken geben müssen. So wurde der Beschluß der 2. Parteikonferenz 1952 über den planmäßigen Aufbau des Sozialismus offensichtlich zu früh gefaßt. Die Möglichkeiten der antifaschistisch-demokratischen Ordnung waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht voll ausgeschöpft.

Die von DDR-Ökonomen entwickelte Theorie des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft (NÖS) hätte bei längerer praktischer Erprobung sowie weiterer Vervollkommnung ihrer Methoden und Inhalte meßbare Erfolge bringen können. Sie befand sich durchaus in Übereinstimmung mit Lenins Neuer Ökonomischer Politik (NÖP), die er als Voraussetzung für den Aufbau des Sozialismus in Rußland betrachtete.

Wie wurde die von Walter Ulbricht kreierte interessante Theorie vom "Sozialismus als sich selbst regulierendem System" verteufelt, wobei man ihm die Leugnung der führenden Rolle der Partei beim sozialistischen Aufbau unterstellte. Übrigens führte die falsche Auslegung gerade dieser Rolle nicht selten zu Gängeleien von Wissenschaftlern, Technikern und Ingenieuren. Ziehen wir auch hier Lenin zu Rate: "Ein Kommunist, der nicht bewiesen hat, daß er es versteht, die Arbeit der Spezialisten zusammenzufassen und mit Bescheidenheit (! R.D.) zu leiten, indem er in die Dinge eindringt und sie bis ins Einzelne studiert ..., ist oft schädlich. Solche Kommunisten haben wir viele, und ich würde sie dutzendweise gegen einen einzigen sein Fachgebiet gewissenhaft studierenden und kenntnisreichen bürgerlichen Spezialisten eintauschen." (LW 32, S. 138)

Ein fundamentaler Fehler der SED-Führung bestand m. E. darin, ehrliche Kritiker vorschnell ins "gegnerische Lager" einzuordnen. Lenin schrieb über die Stärke des Staates: "Nach unseren Begriffen ist es die Bewußtheit der Massen, die den Staat stark macht. Er ist dann stark, wenn die Massen alles wissen, über alles urteilen können und alles bewußt tun." (LW 26, S. 246)

Es ist nicht zu bestreiten, daß eine entscheidende Ursache für den Untergang auch der DDR in der sukzessiven Preisgabe marxistisch-leninistischer Positionen durch die sowjetische Führung bestand. Hätte Lenin je daran denken können, daß Typen wie Gorbatschow, Jakowlew und Schewardnadse einst sein Schiff zum Sinken bringen würden? Einige Mitglieder des Politbüros der SED, dessen Mehrheit den Sozialismus nicht verriet, obwohl die Führungsschwächen mancher Genossen eklatant waren, ließen sich von den Steuerleuten der KPdSU erst in die falsche Richtung lenken und strotzten auch dann noch von Siegesgewißheit, als das Moskauer Leuchtfeuer bereits am Erlöschen war.

Doch die Idee von Marx, Engels und Lenin ist bei aller Bitterkeit der erlittenen Niederlage und bei aller Reduzierung des Potentials der kommunistischen Bewegung keineswegs tot. Die fortschreitende Entwicklung des Imperialismus stellt sie immer wieder auf die Tagesordnung. China, Vietnam, Kuba und andere lateinamerikanische Länder liefern Beweise dafür, wie man die Massen an tiefgreifende Veränderungen der Gesellschaftsstrukturen heranführen kann. Die Formulierung der marxistischen Ökonomin Prof. Dr. Christa Luft, der Kapitalismus liege derzeit "im Wachkoma", ist durchaus zutreffend. Auch bürgerliche Wirtschaftswissenschaftler machen sich über den Niedergang ihres Systems Gedanken. Wir selbst ziehen Bilanz und analysieren nüchtern den Ablauf des Geschehens. Künftige, den Massen ergebene revolutionäre Vorhutparteien werden nicht umhin können, aus unseren Fehlern Schlüsse zu ziehen, um deren Wiederholung zu vermeiden. Auch diese Worte Lenins sollte man beherzigen: "Geschlagene Armeen lernen gut." (LW 31, S. 12)

Man darf gespannt sein, mit welchem Programm die PDL fortan ihren Kurs bestimmen wird und ob sie dazu in der Lage sein wird, der Verwässerung des vorliegenden, einige positive Akzente setzenden Entwurfs durch die Parteirechte zu begegnen.

Dr. Rudolf Dix

Raute

"Alle Welt sehnt sich nach Frieden, reicht den Völkern Eure Hand!"

Bilanz 40jähriger erfolgreicher Außenpolitik

Der Buchtitel zeigt das Wandbild Bert Hellers (1912-1970) nach Motiven der DDR-Nationalhymne: "Alle Welt sehnt sich nach Frieden, reicht den Völkern Eure Hand." Es hing bis zum willkürlichen Abriß des Gebäudes des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR im Weißen Salon, einem offiziellen Empfangsraum der Ministeretage. Mit der Zerstörung des erst in den 60er Jahren errichteten Gebäudes - einem Akt der Barbarei - ließen die neuen Machthaber auch das Gemälde vernichten. Nicht auszulöschen ist indes die Chronik der internationalen Beziehungen des sozialistischen deutschen Staates. Das belegt auch der dritte Band zu seiner Außenpolitik, den Zeitzeugen aus dem diplomatischen Dienst der DDR und Politikwissenschaftler unlängst vorgelegt haben. Die Publikation ist ein solides Handbuch, das unter den Editionen dieses Genres seinesgleichen sucht.

18 Autoren konzentrieren sich neben einem Rückblick auf die Rolle der Außenpolitik zwischen Aufbruch 1949/50 und dem faktischen Untergang der DDR im Frühjahr 1990 vor allem auf sachliche Details. Damit ergänzt das vorliegende Buch die Informationen und Analysen aus dem ersten Band "DDR-Außenpolitik im Rückspiegel", der 2004 erschien. Er befaßte sich vorrangig mit der Herausbildung und frühen Ausgestaltung der internationalen Beziehungen der DDR nach der Staatsgründung im Jahre 1949. Der zweite Band "Alternative deutsche Außenpolitik?" (2006) konzentrierte sich auf die Beziehungen zu den Ländern Ost- und Südosteuropas, zu einigen afrikanischen Staaten und nationalen Befreiungsbewegungen sowie auf die Mitarbeit in der UNO.

Die persönlich involvierten Herausgeber und weitere Zeitzeugen haben den erfolgreichen Versuch unternommen, eine Bilanz der 40jährigen Geschichte der DDR-Außenpolitik zu ziehen. Siegfried Bock verweist darauf, daß bei der Bewertung der deutschen Zweistaatlichkeit die vom Auswärtigen Amt der BRD verhängte 30jährige Sperrfrist über das Archiv des MfAA die Arbeit nicht unwesentlich erschwert hat. Er erinnert daran, daß die DDR zu zwei Dritteln aller Staaten der Welt diplomatische Beziehungen unterhielt. Sie gehörte den Vereinten Nationen sowie vielen staatlichen und nichtstaatlichen internationalen Organisationen an. Das können auch die Sieger dieser Runde der Geschichte nicht leugnen.

Werner Fleck stellt im Rückblick auf die Ereignisse 1989/1990 fest, daß in Gesprächen mit westeuropäischen Politikern nicht so sehr die Zusammenführung beider deutscher Staaten, sondern die sich daraus ergebenden Risiken für die Sicherheit in Europa Sorgen bereiteten. Er belegt diese Auffassung mit Gesprächsnotizen, Erklärungen und Dokumenten des französischen Präsidenten François Mitterrand, des österreichischen Bundeskanzlers Franz Vranitzky, des italienischen Außenministers De Micheles und anderer. Aus der Sicht eines aus Jugoslawien scheidenden Botschafters gelangt auch Siegfried Bock zu dem Schluß, daß "insbesondere Frankreich und Großbritannien beachtliche Vorbehalte zu der von der BRD und den USA forcierten Politik der Vereinigung" hatten.

Unter dem Titel "Achillesferse Nationale Frage" untersucht Ernst Krabatsch die angestauten Krisenfaktoren 1989/90 und Belastungen aus der nationalen Problematik. "Alle Bemühungen der DDR um ein längerfristiges Zusammenwachsen zweier gleichberechtigter deutscher Staaten waren aussichtslos", da die Bedingungen für den "Beitritt" im wesentlichen von der Bundesrepublik diktiert wurden. Auch die anderen Autoren runden dieses Bild ab. Unter ihnen befinden sich Hans Voß, Karl Seidel, Erich Wetzl, Klaus-Dieter Ernst und Heinz-Dieter Winter.

Der zweite Teil des Buches enthält eine umfangreiche Zeittafel zu 40 Jahren DDR-Außenpolitik. Sie umfaßt 138 Druckseiten und vermittelt ein exaktes Bild der diesbezüglichen Aktivitäten des deutschen Friedensstaates seit seiner Gründung bis zum Ende seines Bestehens. Sie wurde nach monatelanger Recherche von Joachim Krüger und Hermann Schwiesau zusammengestellt. Die Tabelle ist für Historiker und Politikstudenten eine wahre Fundgrube. Das betrifft auch die Übersicht zu den Auslandsvertretungen der DDR bis 1990 und deren Leitern.

Ein dritter Komplex enthält die Namen und Kurzbiographien von 338 Diplomaten - Minister, Staatssekretäre und Botschafter sind hier verzeichnet. Allein das Material zusammenzutragen, hat für Ingrid Muth und Horst Neumann Jahre in Anspruch genommen.

Franz-Karl Hitze


Siegfried Bock, Ingrid Muth, Hermann Schwiesau (Hg.): DDR-Außenpolitik - ein Überblick, Daten, Fakten, Personen (III).
LIT-Verlag Berlin 2010, Reihe Politikwissenschaften, Band 173, 368 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978-3-643-10559-2


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Akt der Normalität: Auf der Abschlußveranstaltung der Konferenz von Helsinki saßen BRD-Kanzler Helmut Schmidt, DDR-Staatsratsvorsitzender Erich Honecker und USA-Präsident Gerald Ford nebeneinander.

Raute

Das "Phänomen" heißt jetzt "Osten"

Beispiele dafür, wie man's macht, gibt es viele. Ich greife mal einen simplen Vorgang auf, dessen Zeuge ich am 19. Januar 2009 wie Hunderttausende andere im Sendegebiet bei der Betrachtung des "Länderzeit-Fernsehens" im MDR wurde.

Zwei Meldungen über die "Ehemalige" wurden vom Sprecher innerhalb weniger Minuten verkündet: Die erste betraf den Tod des Dresdner Jazz-Pioniers, Hochschullehrers und Bigband-Leiters Günter Hörig. Wo hatte dieser Mann gelebt? Genau: "im Osten Deutschlands" - früher bezeichnete man das "Phänomen" als "Ostzone".

Für Zuschauer und Zuhörer wurde Hörig als einer vorgestellt, der den damals Mächtigen im Lande trickreich seinen Jazz als Tanzmusik unterzujubeln verstand. Der Mann war einfach eine Jazz-Legende des "deutschen Ostens".

Zwei Minuten später blendete man als Episode ein, wie in den 80er Jahren die "DDR" eine Variante des französischen Citroën habe einführen müssen, weil die "DDR-Autoindustrie" trister als trist gewesen sei. Man mußte so lange auf die Dinger warten, und überdies waren sie auch noch schweinisch teuer. Apropos "Autos in der DDR": Zu diesem Thema wurde immer wieder die Becher/Eisler-Nationalhymne eingespielt und das Staatswappen gezeigt. - Merke: Wo sich im Gänsefüßchen-Land etwas Gutes, vielleicht sogar Vorbildliches abspielte, war das allein eine Leistung des "deutschen Ostens". Wenn man die einstigen Sieger bei sportlichen Großereignissen auf Schwarzweißfotos einblendete und zeigte, wie die DDR-Athleten auf dem Treppchen standen, dann waren das natürlich staatenlose Sportlerseelen "aus dem Osten Deutschlands".

Ein Zufall? Wohl kaum. Eher ein Tip aus dem Ratgeber: "Wie kehre ich ein Land unter den Teppich?"

Peter Franz, Weimar

Raute

RF-Extra

Einer der ersten Kursanten des Segelschulschiffes "Wilhelm Pieck" erzählt

Eine Schonerbrigg symbolisierte die DDR

Wenn die heutige Schonerbrigg "Greif" mit Heimathafen Greifswald ihre Segel setzt und in See sticht, fährt ein Stück deutscher Geschichte mit. In der 59jährigen Fahrzeit dieses 1951 in der Warnow-Werft Warnemünde auf Kiel gelegten "Schiffes der Jugend" wurde es vier Jahrzehnte lang als Segelschulschiff "Wilhelm Pieck" der DDR weltbekannt. Ein Jahr war die Freie Deutsche Jugend (FDJ) der Reeder, danach 39 Jahre die Gesellschaft für Sport und Technik (GST). Seit fast 20 Jahren bietet es nun als Schonerbrigg "Greif" Tausenden jungen Freizeitseglern erlebnisreiche Tage. Reeder ist inzwischen die Hanse- und Universitätsstadt Greifswald. Beim zweimaligen Reeder-Wechsel 1952 und 1990 gehörte ich jeweils der Übergabe-/Übernahme-Kommission an. Bis heute fühlte und fühle ich mich dem Schiff, seinen Kapitänen und Besatzungen verbunden.

Die wahre Geschichte anhand von Eckdaten und persönlichen Erlebnissen darzustellen, ist dringend geboten, weil sich im 20. Jahr des Anschlusses der DDR an die BRD Geschichtsschreiber und Autoren darin überbieten, die Chronik der DDR als eine einzige Kette von Verirrungen und Verwerfungen darzustellen. Das reale Geschehen muß in die historischen Zeitabläufe eingebettet und der Nachwelt überliefert werden. Auch wenn es manchen heutigen Bildungspolitikern nicht gefällt, fragen uns Enkel und Urenkel: "Opa, wie war denn das Leben in der DDR nun wirklich? Empfindest du die heutige Freiheit tatsächlich als Glück?"

Die Antwort erleichtert uns der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712-1778): "Was nützt die politische Freiheit, wenn wirtschaftliche Sklaverei bestehen bleibt? Die Freiheit, die jeder Europäer zu genießen glaubt, ist nur die Freiheit, einen Herrn zu verlassen, um sich einem anderen anzuschließen."

Der Austausch über Werte und Vergangenheit in Ost und West muß, wenn er fruchtbar sein soll, auf gleicher Augenhöhe erfolgen. Die Anerkennung unserer Lebensleistung als DDR-Bürger, die Würdigung unserer Biographien ist schlicht ein Gebot des Anstands und der Fairneß. "Aufgabe des Historikers ist es nicht, über die Vergangenheit zu richten, sondern zu zeigen, wie es eigentlich gewesen ist", stellte Leopold von Ranke (1795-1886) fest.

Bereits ein Jahr nach Gründung der DDR gab es 1950 im Land Mecklenburg Überlegungen, Präsident Wilhelm Pieck zu dessen 75. Geburtstag als Geschenk der Werktätigen eine Staatsyacht zu bauen. Angesichts anderer dringender Bedürfnisse der jungen Seeanrainer-Republik war deren Staatsoberhaupt indes gut beraten, diese redliche Initiative eher auf den Bau eines Segelschulschiffes zur Motivierung und Heranbildung des seemännischen Nachwuchses zu lenken. Für die See- und Hafenwirtschaft, die Fischerei und die maritimen Schutzinteressen der DDR wurde dringend qualifiziertes Personal gebraucht. So entstand im Januar 1951 der Gedanke, ein "Schiff der Jugend" auf Kiel zu legen. Es sollte durch Spenden der mecklenburgischen Bürger und durch viele gute Taten finanziert werden. Der Verkauf Tausender Spendenabzeichen der FDJ, 559 Einzelspenden und beachtliche Leistungen von Kollektiven und Spezialisten sind nachgewiesen.

Auftraggeber für den ersten Neubau eines Segelschulschiffes nach dem II. Weltkrieg in einem deutschen Staat war Mecklenburgs Landesregierung. Erst sieben Jahre später, im Dezember 1958, wurde das neue Segelschulschiff der damaligen Bundesmarine, die "Gorch Fock", in Hamburg in Dienst gestellt.

Am 2. Februar 1951 unterbreitete Chefkonstrukteur Wilhelm Schröder den Generalplan für den Bau der Schonerbrigg. 25 Tage später erfolgte die Kiellegung. Es begann eine Zeit intensiver Arbeit. Neben vielen Gewerken der mit dem Bau beauftragten Warnow-Werft waren Takler der Schiffswerft Wismar beteiligt. Ausrüstungen und Einzelteile wurden durch Zulieferbetriebe und Handwerker bereitgestellt. Für die beteiligten Arbeiter und Ingenieure war der Neubau dieses ersten Stahlschiffes in Niet- und Schweißkonstruktion eine Herausforderung. 156 Tage von der Kiellegung bis zur Jungfernfahrt galten unter den damaligen Produktionsbedingungen nur sechs Jahre nach dem Ende des II. Weltkriegs als beachtliche Leistung. Sie wurde im zweiten Jahr des Bestehens der DDR erbracht.

Taten dieser Art beruhen auf der Schöpferkraft mit der Technik vertrauter Menschen, und diese wiederum wird von ihrer Denk- und Verhaltensweise maßgeblich beeinflußt. Kein Geringerer als Friedrich Schiller hat uns die Erkenntnis hinterlassen, man müsse "eine Handlung nicht nur vollbringen, sondern auch wollen. An den Gedanken, an den Quellen der Gedanken liegt uns in der Bewertung einer Sache ebensoviel wie an den Folgen der Tat."

Wer aber waren jene, die 1951 von der Schonerbrigg Besitz ergriffen?

Der betagte erste Kapitän des Schiffes Ernst Weitendorf sah in der Übernahme dieser ehrenvollen Aufgabe eine Erfüllung seines ganzen Seemannslebens. Das galt auch für seinen Bootsmann Wilhelm Kaiser. Gemeinsam mit der neuen Generation von Nautikern, den ersten Absolventen der Seefahrtsschule der DDR Klaus Heiden, Herbert Jark und Rolf Schilling vermittelten sie uns Kursanten Wissen, Können und Verhaltensweisen, die uns ein Leben lang prägen sollten.

Wir hatten Hunger auf Erkenntnisse, um eine friedliche Zukunft zu gestalten. Die DDR gab uns die Möglichkeit für eine solide berufliche Ausbildung. Ehemalige Kursanten und Stamm-Matrosen des Segelschulschiffes haben sich später in vielen Tätigkeitsbereichen und Berufen bewährt.

Von 1951 bis 1990 erhielten über 7000 junge DDR-Bürger auf der "Wilhelm Pieck" eine seemännische Grundausbildung mit vielen Erlebnis- und Bewährungssituationen. Über 4000 wurden Offiziere und Maate der Volksmarine der DDR. Über 50 Kapitänspatentträger waren in der Handelsschiffahrt tätig. Auch Chefinspektoren und Seelotsen befanden sich unter den Absolventen der Schonerbrigg.

Die Indienststellung des Schiffes hat damals in den Wasserfahrtsport-Gemeinschaften der FDJ und dann in den Seesportsektionen der GST große Begeisterung ausgelöst. An den Wasserfahrtsport-Schulen und späteren Seesport-Schulen Rechlin, Altrupin, Lauenhain und Seeburg wurden die Kursanten für das Segelschulschiff "Wilhelm Pieck" ausgewählt. Aus Kapazitätsgründen konnten nicht alle Bewerber berücksichtigt werden. Neben den Seesportprüfungen A-B-C war der Erwerb des Hochseeleistungsabzeichens der "Wilhelm Pieck" gefragt.

Die Strecke vom Kursanten zum Stamm-Matrosen und Bootsmann, vom nautischen Patenterwerb zum Steuermann und Kapitän galt damals als ein heiß begehrter Weg ins Leben. Darüber hinaus bot das Schiff von Beginn an ehren- und hauptamtlichen Funktionsträgern im Seesport die Möglichkeit, ihre theoretischen und praktischen seemännisch-nautischen Kenntnisse aufzufrischen, sich weiterzubilden und neue Kraft für ihre engagierte Tätigkeit an den maritimen Ausbildungszentren der Bezirke und Kreise der DDR zu schöpfen.

Es wehte schon ein kühler Seewind, als wir Teilnehmer eines Vorbereitungslehrgangs der FDJ für die erste Besatzung des Segelschulschiffes am 26. Mai 1951 auf dem Gelände der Warnow-Werft an dessen Stapellauf teilnahmen. In dunkelblauem Rollkragenpullover und Khakihose standen wir mit Flaggen Spalier, um Präsident Wilhelm Pieck mit einem traditionellen Wink-Spruch zu begrüßen. Unter den Klängen der DDR-Nationalhymne wurde das Schiff seinem Element übergeben. Wilhelm Pieck rief uns zu: "Übt Euch im Kutter-Pullen, im Kutter-Segeln und in der Handhabung seemännischer Geräte. Gedenkt der revolutionären Matrosen Reichpietsch und Köbis, pflegt die fortschrittlichen seemännischen Traditionen!"

Am 2. August 1951 stand ich dann an Deck in der Reihe der ersten Schülerbesatzung der "Wilhelm Pieck", in neuer Matrosenuniform zur Indienststellung des Schiffes und zur Jungfernfahrt.

Die erste Eintragung in das Gästebuch hatte der Mann vorgenommen, dessen Namen die Schonerbrigg trug: "Dem Schiff der Jugend, dem Kapitän und seiner Besatzung alle Zeit gute Fahrt im Dienste unserer Deutschen Demokratischen Republik."

Wenige Monate danach, am 25. Januar 1952, gehörte ich zur Delegation der Besatzung, die Wilhelm Pieck in seinem Berliner Amtssitz besuchte. In Erinnerung sind mir besonders der Optimismus und die große Sachlichkeit, mit welcher der Präsident über die neuen Anforderungen und Ansprüche der Seefahrt und die maritime Ausbildung der Jugend sprach. Er machte uns bewußt, daß hohes Wissen und Können, Disziplin und Begeisterung nun eine völlig neue Bedeutung erhalten hätten. Die DDR müsse sich als Seeanrainer-Staat exportorientiert entwickeln, Rohstoffe einführen und Schätze des Meeres heben, weshalb die Handelsschiffahrt und die Fischerei großes Gewicht besäßen. Außerdem seien maritime Sicherheitsinteressen der DDR wahrzunehmen. Diese Gedanken haben mein Verhalten in späteren Lebensabschnitten bestimmt.

Im März 1952 - ich war gerade 20 - meldete ich mich bei Kapitän Weitendorf, um im Auftrag des Zentralrats der FDJ eine Vertretung als Politoffizier des Schiffes zu übernehmen. Der "Alte" staunte nicht schlecht, wie schnell sich damals die Entwicklung eines seiner Kursanten, der noch vor kurzem an Bord gewesen war, vollzogen hatte. Vier Monate segelte ich in dieser Funktion unter Kapitän Weitendorf um Bornholm, Gotland und zu einem ersten Besuch der "Wilhelm Pieck" in Wismar. Beim Kommando "Klar zum Segel-Manöver ..." beobachtete ich unsere Kursanten. Starke Willenseigenschaften wurden gefordert. Schnell und sicher mußten die Befehle ausgeführt sein. Unter großem körperlichem Einsatz wurden die Segel gesetzt. Einige bissen die Zähne zusammen. Jeder empfand sich als Teil eines Kollektivs. Beim Festmachen der Segel in den Rahen wuchs jene Gemeinschaft, die dann in der Abendsonne auf der Back saß und zu Akkordeonklängen sang. Meine Aufgabe war es, für den Kapitän Reden auszuarbeiten und für gute Stimmung zu sorgen.

Nach Übergabe des Schiffes von der FDJ an die neu gegründete GST im August 1952 nahm ich - inzwischen Sektorleiter für Schulen und Schulschiffe des GST-Zentralvorstandes - einen Monat darauf an der ersten Auslandsfahrt der "Wilhelm Pieck" nach Polen teil. Diese Reise war nicht nur ein wichtiges Ereignis in den neuen Beziehungen guter Nachbarschaft beider Länder, sondern auch Ausdruck der sich abzeichnenden gemeinsamen maritimen Interessen.

Dann vergingen fünf Jahre, in denen ich als Leiter der zentralen Seesportschule der GST Rechlin und anschließend als Leiter des zentralen Marineklubs Rostock-Gehlsdorf tätig war. Nun ging ich wieder an Bord der "Wilhelm Pieck", dieses Mal unter Kapitän Artur Friedrich. Das Schiff unternahm eine große Schwarzmeerreise.

Am 29. Mai 1957 passierten wir Portugals Cabo S. Vicente. Meine Stationen beim Setzen der Segel waren die Fock und die Mars. Mein nautisches Praktikum einschließlich astronomischer und meteorologischer Beobachtungen absolvierte ich als Wachoffiziersassistent. Wir fuhren in 99 Tagen über sieben Meere.

Ich habe auf dem Segelschulschiff im Laufe der Jahre Rost geklopft, Reinschiff und Backschaft gemacht, meine zugewiesenen Rollen an Deck, bei der Schiffssicherung, in der Takelage, als Rudergänger und in der Schiffsführung ausgeübt, heiße Sonne, Sturm und Gewitter erlebt, Lieder gesungen sowie Disziplin und Kameradschaft gelernt.

Von 1958 bis 1972 war ich als Leiter der Seesportschule - später Marineschule - Greifswald-Wieck, zu deren Bestand die "Wilhelm Pieck" gehörte, verantwortlich für den Einsatz, die Ausbildungsplanung und die personelle Besetzung des Schiffes. Ich bemühte mich nach bestem Wissen und Gewissen um ein gutes Verhältnis zu den Kapitänen und Besatzungen, sorgte auch für deren fachliche und pädagogische Weiterbildung. Das "Schiff der Jugend" hatte für mich und für jene, die es führten und damit in See stachen, auf all seinen Reisen Symbolkraft für eine solide maritime Ausbildung.

Die Ostseeländer-Reisen nach Schweden, Dänemark, Finnland, Polen, der RSFSR und den baltischen Sowjetrepubliken sollten dem Gedanken des Friedens und der Völkerverständigung im Ostseeraum dienen. Beim Besuch von Marineschulen und Marineclubs, von Partnerorganisationen der GST in Leningrad, Riga, Gdynia, Gdansk, Szczecin und Kolbrzeg wurden freundschaftliche Kontakte gepflegt und einschlägige Erfahrungen ausgetauscht. Die erste Teilnahme der "Wilhelm Pieck" am Internationalen Segelschiffstreffen "Operation Sail 72" in Kopenhagen und Gdynia war gleichsam der Start in die bis heute gewachsene Familie der großen Windjammer.

1971 schenkte mir Kapitän Ernst Weitendorf, der Nestor der deutschen Segelschiffahrt, sein autobiographisches Werk "Aus dem Logbuch meines Lebens". Hinein schrieb er die Widmung: "Schiffe sinken, doch der Stern meines ehemaligen Schülers Helmut Sieger möge niemals untergehen."

Dr. paed. Helmut Sieger, Strausberg


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Die "Wilhelm Pieck"
Kapitän Ernst Weitendorf
Wenn das Schifferklavier erklingt ...

Raute

Wie Somalias Fischer zu "Piraten" wurden

Haltet den Dieb!

Piraten! Wie gut klingt dieses Wort und welche Erinnerungen an unsere Kindheit birgt es in sich. Inzwischen sind es allerdings erbarmungslose Wesen ohne alle Skrupel, schlau und sogar mit Repetiergewehren ausgerüstet.

Wir in Spanien können es gar nicht mehr abwarten, sie zu sehen, wenn sie uns in Handschellen einen Besuch abstatten, also hierzulande vor Gericht gestellt werden. Sollen sie uns doch die tatsächlichen Seeräuber im Städtebau und in der Finanzspekulation sowie die Freibeuter in den politischen Parteien vom Hals schaffen!

Im Unterschied zu den Kleinstpiraten befinden sich die ganz großen natürlich weiterhin auf freiem Fuß, obwohl sie völlig ungeniert immer wieder im Fernsehen auftreten und somit jedermann bekannt sind. Es scheint nicht so, daß die demgegenüber absolut unbekannten Armutspiraten den wackeren Richtern unseres Staates entkommen. Sie haben alles gegen sich: Sie sind schwarz, finanziell pleite und obendrein noch Muslime, die es wagen, Spanier anzugreifen.

Wenn man recht überlegt, dann sind die am Horn von Afrika Aufgebrachten vielleicht gar nicht so bekümmert, wie es den Anschein haben könnte. Sie erhalten jetzt im spanischen Knast dreimal täglich eine Mahlzeit und bekommen möglicherweise zum ersten Mal in ihrem Leben einen Arzt zu sehen. Überdies sind sie vor den immer mal wieder auf ihr Land abgefeuerten US-Raketen ebenso sicher wie vor den Schüssen der Äthiopier und einiger ihrer vom Imperialismus ausgehaltenen Landsleute.

Ob es jenen, welche sich mit der Entsendung von Kriegsschiffen und Flugzeugen vor die Küsten Somalias ihr Geld verdienen, paßt oder nicht: Es trifft nicht zu, daß Spanien durch in unseren Gewässern operierende somalische Piraten bedroht wird, die allein auf Reibach aus sind, sondern das Gegenteil ist natürlich der Fall.

Vielleicht könnten die spanischen Fischer den Somaliern verzeihen, daß sie nicht zwischen jenen zu unterscheiden wissen, welche ohne vorherige Ankündigung oder entsprechende Erlaubnis in ihre Meere eindringen - ob sie nun aus dem baskischen Hafenstädtchen Bermeo kommen, ob sie in militärischer Mission auftauchende "Seeleute" aus den USA oder Zivilbeschäftigte einer italienischen Firma zur Versenkung nuklearer Abfälle vor ihren Küsten sind.

Dem UN-Entwicklungsprogramm ist zu entnehmen, daß die somalischen Fischer in einem der ärmsten Länder der Welt ihr Dasein fristen müssen. Dessen Bewohner haben nur eine Lebenserwartung von etwa 48 Jahren. Es handelt sich um ein Land mit mehr als 60 % Analphabeten, ohne obligatorischen Schulunterricht, wo 36 % der Kinder unter fünf Jahren nicht das ihrem Alter entsprechende Gewicht haben; ein Land, das eine halbe Million Flüchtlinge und eine Million innerhalb der eigenen Grenzen Vertriebene aufweist, wo eklatanter Mangel an allem herrscht, besonders aber an Menschenrechten.

Der Internet-Seite von UNICEF ist zu entnehmen, daß sich die Chancen eines somalischen Kindes, das Erwachsenenalter zu erreichen, unter den weltweit geringsten befinden. Hinzu kommt, daß die Müttersterblichkeitsrate während der Schwangerschaft und bei der Geburt zu den höchsten auf der Erde zählt. Seuchen, Unterernährung und das Fehlen von Trinkwasser gehören zu den Gründen dafür. Nur 37 % der Bevölkerung Somalias haben Zugang zu elementarer Hygiene.

Vielleicht könnten die Somalier den spanischen Fischern verzeihen, daß sie nicht den Unterschied zwischen ungesetzlichem Fischen vor ihren Küsten und denen Norwegens kennen, folglich also auch nicht wissen, daß jedes Land ihm entsprechende Formen gefunden hat, das Seinige zu verteidigen.

Am 20. November 2005 brachte die norwegische Marine ein aus der spanischen Provinz Galicien stammendes Schiff wegen illegalen Fischens in küstennahen Gewässern auf. "Während der Inspektion entdeckten wir, daß das mit Schleppnetz fischende spanische Schiff große Mengen blauen Heilbutts illegal gefangen und an Bord versteckt hatte. Außerdem stellten wir fest, daß die Besatzung Fisch über Bord warf", erklärte Kommandant-Kapitän Steve Olsen, Chef des nördlichen norwegischen Küstenschutzes. In der Digital-Tageszeitung "Aftenposten" ging Olsen so weit, die Besatzung des mit Schleppnetz fischenden Schiffes als "Piraten" zu bezeichnen.

Vielleicht könnte man den Norwegern ihr lästiges Vorgehen verzeihen, denn am Tag nach dem ersten Zwischenfall mit einem spanischen Schiff brachte ihre Marine auch noch den zweiten galizischen Fischdampfer auf.

"Die mit Schleppnetz operierende 'Garoya Segundo' wird verdächtigt, blauen Heilbutt gefischt zu haben", teilte die norwegische Marine mit. Das Kommuniqué enthält die Feststellung, der Kapitän sei angeklagt worden, dem Direktorium des Fischfangs - einem verantwortlichen Organ in Bergen - unrichtige Angaben gemacht und im Logbuch die Fangmenge manipuliert zu haben.

Vielleicht könnte man den spanischen Medien verzeihen, daß sie es unterließen, ausgerechnet in diesen Tagen das Drama bis jetzt aufgebrachter eigener Schiffe zu kolportieren, das sich auf den sieben Meeren abspielt und in dessen Verlauf Patrouillen auch aus Marokko, Irland, Kanada, Südafrika, Großbritannien und von anderswo unsere Fischdampfer mit Beschlag belegt haben.

In Somalia gibt es seit Anfang der 90er Jahre keine Regierung mehr, die diesen Namen verdient. Zufällig handelt es sich um jenen Zeitabschnitt, in dem der damalige Besitzer der Meere, des Landes und des Weltraums, der größte Pirat aller Zeiten USA-Präsident George W. Bush, eine militärische Intervention in Somalia anordnete, die ihm endgültig das Genick brach.

Der seinerzeitige Staatschef Somalias, Siad Barre, stand in den 70er Jahren zunächst der Sowjetunion nahe, was für die USA aber kein Hindernis war, ihn ein Jahrzehnt später an Land zu ziehen. Als sich das Weiße Haus dann in den 90er Jahren für ein Paktieren mit den somalischen Warlords entschied, um die Islamisten zu bekämpfen, hatte Barre auch damit kein Problem. Man könnte dem Westen verzeihen, sich einzig an den Tod jener 19 US-Marines zu erinnern, die an der seinerzeitigen Militäroperation von Mogadischu teilnahmen - Hollywood machte einen Film daraus -, aber die Somalier vergaßen nicht, daß dabei Tausende ihrer Landsleute von Bushs Soldaten umgebracht wurden.

Trotz seiner blutigen Diktatur durfte Siad Barre jahrelang auf Entwicklungshilfe aus den USA rechnen, was hauptsächlich Waffenlieferungen bedeutete, damit sich die so Versorgten untereinander umbringen konnten. Zur politischen Rechtfertigung der vielen Opfer, welche die "Hilfsaktion" forderte, wurden altbekannte Standardvokabeln ins Spiel gebracht: Bedrohung durch den Kommunismus, islamistischer Extremismus, Stammeskämpfe und Drogenhandel.

Dieser typischen Art von US-"Entwicklungshilfe" folgte die Überschwemmung des somalischen Nahrungsgütermarktes mit subventioniertem Getreide aus den Vereinigten Staaten und andere Eingriffe, die der Jagd nach Öl und geopolitischen Interessen geschuldet waren. Das Ergebnis ist eine physisch und moralisch zerstörte Nation, in der allein der Kampf ums nackte Überleben geführt wird, den logischerweise der jeweils Stärkste gewinnt. - Auch die somalischen Meere entkamen nicht dem ausländischen Zugriff. Wie Johann Hari Anfang 2009 in seinem von der Zeitung "The Independent" veröffentlichten Artikel "Sie werden über die Piraten belogen", bewies, nutzten mehrere westliche Länder das Fehlen einer intakten Staatsmacht in Somalia aus, um ihren gesamten nuklearen Müll in dessen Ozeane zu versenken. Die fatalen Konsequenzen für die Bevölkerung sind denen der Kriegsschäden und Verluste durchaus vergleichbar.

Um das Maß vollzumachen: Somalische Fischer beobachteten von der Küste aus enorme Schiffsfabriken unter fremden Flaggen, die tonnenweise gefangenes Seegetier wegschleppten, ohne den Einheimischen zu gestatten, dem Meer mit ihren simplen Schaluppen auch nur einige Kilo zu entreißen.

Vielleicht könnte man den Somaliern vergeben, wenn sie sich dagegen zur Wehr setzen, weil sie nicht wollen, daß die eigenen Kinder vor ihren Augen aus Mangel an elementaren Nahrungsgütern sterben, während andere fette Beute für die ihren machen.

Den in somalischen und benachbarten Gewässern fischenden Spaniern und den in Spanien diesen Fisch Verzehrenden könnte ebenfalls verziehen werden, weil sie eigentlich nur in Frieden arbeiten oder dringend benötigte Proteine essen wollen. Es könnte ihnen sogar nachgesehen werden, daß sie Politikern die Stimme geben, die ihnen um jeden Preis, auch den des Lebens anderer Völker, Arbeit und Essen versprechen.

Überdies könnte man solchen Führern Spaniens die Allianz mit ihren Nachbarn verzeihen, die von Kampfflugzeugen unterstützte Kriegsschiffe entsenden, um den verelendeten Somaliern das Existenzminimum streitig zu machen, ohne die Inanspruchnahme der Fischereirechte zu bezahlen. Was aber keineswegs zu entschuldigen ist, dürfte die Tatsache sein, daß man sehenden Auges auf unerbittliche Weise die Somalier zermürbt, beschuldigt und ver folgt, obwohl sie sich doch nur gegen die wahren Piraten verteidigen.

Agustín Velloso

Übersetzung: Isolda Bohler †

Ende RF-Extra

Raute

Zum 50. Jahrestag der staatlichen Unabhängigkeit Kongos

Laurent Kabila hob Lumumbas Fackel auf

Als der schon im folgenden Jahr grausam umgebrachte Patrice Lumumba 1960 erster Premierminister des gerade aus der belgischen Kolonialherrschaft "entlassenen" jungen afrikanischen Staates Kongo wurde, war Laurent Kabila - ein anderer großer Patriot dieses Landes - 17 Jahre alt. Später schlugen sich Kabila und dessen Freunde in der kupferreichen Provinz Katanga gegen die Horden des von den Belgiern und ihrer Union Minière de Haut-Katanga ins Rennen geschickten Millionärs-Separatisten Moise Tschombe. Der hatte die Absicht und den Auftrag, seine ethnische Hochburg vom Rest des Landes abzutrennen und so die dort lagernden Bodenschätze für sich und den Imperialismus zu retten. Als sich dann in der kongolesischen Hauptstadt Leopoldville (Kinshasa) die CIA-Marionette Mobutu zum Nachfolger Lumumbas erklären ließ, nahm Kabila auch gegen ihn den Kampf auf. Am 21. April 1964 wurde er - an der Seite des bald darauf ermordeten Pierre Mulele - Vizepräsident des Obersten Revolutionsrates, dessen Aufgabe darin bestand, die Aktionen der einzelnen "Fronten" des Anti-Mobutu-Lagers zu koordinieren. Zwischen 1970 und 1980 stand Kabila an der Spitze der Machtorgane einer kleinen befreiten Zone im Osten Kongos.

Bis 1996 hatte sich die Lage im Lande fundamental verändert. Nicht nur die Nachbarstaaten, sondern auch seine Gönner in den USA waren zu der Überlegung gekommen, Mobutu fallenzulassen. So wurde Kabila zur zentralen Gestalt eines sieben Monate andauernden Befreiungskrieges, in dessen Verlauf er mit den verschiedensten Kräften, die an Mobutus Sturz interessiert waren, Allianzen einging. Dabei wich er nicht vor dem massiven Druck Washingtons zurück, das nunmehr eine "Regierung der nationalen Einheit" ohne Mobutu, aber mit seinen engsten Vertrauten zu installieren suchte.

Am 17. Mai 1997 fiel das verhaßte Mobutu-Regime von Gnaden der USA. Zum Verdruß des Westens begann nun ein neuer Wind in Kinshasa zu wehen. Laurent Kabila widersetzte sich den erpresserischen Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IMF). Innenpolitisch hatte der gestandene Revolutionär eine völlig neue Staatsform im Auge. Es ging ihm um die landesweite Schaffung von Komitees der Volksmacht (CPP) - vom Wohnviertel über die Gemeinde und Provinz bis zur nationalen Spitze. In den CPPs konnte jeder Bürger mitarbeiten und seine Vorschläge unterbreiten. In diesem Rahmen sollten dann auch für die jeweilige Ebene verbindliche Beschlüsse gefaßt werden. Kabila wollte auf diese Weise mit den seit 1885 bestehenden und auch in den Jahren formeller Unabhängigkeit nur unbedeutend veränderten Kolonialstrukturen ein für alle mal brechen. Das war eine Kampfansage an ausländische und multinationale Konzerne, deren phantastischer Reichtum auf der Armut von 60 Millionen Kongolesen beruht.

Kabilas im Dezember 1997 verkündeter maßvoller Plan sah vor allem den schrittweisen Ausbau der zurückgebliebenen Infrastruktur und die wirksame Förderung der Landwirtschaft vor. Sein Projekt wurde durch die Regierungen der USA, Frankreichs, der BRD, Großbritanniens und Belgiens mit aller Schärfe zurückgewiesen. So unter Beschuß geraten, wandte sich der kongolesische Präsident nunmehr an die Volksrepublik China, mit der erste gemeinsame Vorhaben vereinbart wurden, denen zehn Jahre später der berühmte "chinesische Vertrag" folgen sollte.

Schon damals griffen die imperialistischen Widersacher des beherzten Mannes im Präsidentenpalast von Kinshasa zu jenen Mitteln, mit denen sie von jeher am besten vertraut waren. Sie setzten auf ethnische Entzweiung, Gewalt und Bürgerkrieg. Am 2. August 1998 begannen Kongos Nachbarstaaten Rwanda, Uganda und Burundi, hinter denen sich die Regie der USA und früherer europäischer Kolonialmächte nur notdürftig verbarg, ihre Aggression gegen die Demokratische Republik Kongo. Sie dauerte fünf Jahre und kostete Millionen Menschen das Leben. Doch Kongo blieb nicht allein: Angola, Simbabwe und Namibia, die bereits Erfahrung im bewaffneten antikolonialen Kampf besaßen, kamen Kinshasa zu Hilfe. Der blutige Krieg endete offiziell im September 2003. An seine Stelle traten nun Banditismus und Gewalt, die bis heute - vor allem in Ost-Kongo - anhalten.

Am 16. Januar 2001, dem Vorabend des Tages der Ermordung Patrice Lumumbas, fiel Präsident Laurent Kabila einem Attentat zum Opfer. Alles war wie 1961, als Lumumba ins Fadenkreuz geriet. Wieder hatten die großbürgerliche belgische Presse und andere Medien im Dienste des Kapitals eine haßerfüllte Kampagne gegen den kongolesischen Staatschef entfesselt. Kabila wurde als "antidemokratischer, korrupter Despot und skrupelloser Mörder", der mehr Drogen als Nahrungsmittel zu sich nehme, attackiert. Die Zutaten zum Rezept solcher Art von Verleumdung sind auch hierzulande bestens bekannt.

In Washington, London, Paris und Brüssel hoffte man, daß Kabilas Tod zu ausnutzbaren Unruhen in Kinshasa führen werde. Vorsorglich zog man in Kongo-Brazzaville Truppen für erforderlich werdende "Hilfsaktionen" zusammen.

Doch Laurent Kabilas Mitstreiter sorgten dafür, daß dessen Sohn Joseph an die Stelle des Vaters trat. Der junge Kabila hat dem Westen seitdem zwar weitgehende Zugeständnisse gemacht, Kongos Souveränität aber im wesentlichen behaupten können. Fünf Jahre nach Laurent Kabilas Tod kam in Kinshasa nach Wahlen eine Regierung ans Ruder, die Stück für Stück wirkliche Unabhängigkeit einzufordern beginnt.

RF, gestützt auf Beiträge von Tony Busselen in "Solidaire", Brüssel

Raute

Komplex der US-Gefängnisindustrie knüpft an Sklaverei an

"Freiwillig" unter der Knute

Jeder kennt die Bilder der in Ketten geschlagenen, an Händen und Füßen gefesselten, mit die Sicht nehmenden Kapuzen überzogenen Gefangenen, die von stupiden Wärtern durch die Gitterkäfige des auf Kuba gelegenen US-Folterlagers Guantánamo geschleift werden. Doch der Haftalltag - vor allem in den Maximum-Sicherheitsanstalten des imperialistischen Hauptlandes - unterscheidet sich davon nur graduell. Gegenwärtig befinden sich 2,3 Millionen Menschen in Bundesgefängnissen und örtlichen Verliesen der Vereinigten Staaten - eine halbe Million mehr als in der Volksrepublik China, deren Bevölkerungszahl bekanntlich das Fünffache beträgt. Die Mehrzahl der Insassen ist schwarz oder spricht spanisch.

Derzeit "beherbergen" die Gefängnisse der USA rund ein Viertel aller Straf- und Untersuchungshäftlinge der Welt, obwohl die Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten nur fünf Prozent der Erdbevölkerung ausmacht. Die hohe Ziffer hat nichts mit einer das Land neuerlich überflutenden Verbrechenswelle zu tun - im Gegenteil: Die Kriminalitätsentwicklung stagniert oder ist bei einigen Delikten sogar leicht rückläufig. Zugleich wächst die Zahl der Gefängnisinsassen unablässig.

Wie erklärt sich ein solcher Widerspruch? Das Strafmaß, das z. B. für den Besitz geringer Drogenmengen verhängt wird, hat erheblich angezogen. Und wer dreimal hintereinander straffällig geworden ist, kann sogar lebenslänglich weggesperrt werden. Aufschlußreich ist die Klassenbrille, die sich Amerikas Richter bei der Urteilsfällung aufsetzen. Wen man mit fünf Gramm Crack-Kokain, das vor allem in Vierteln der Afroamerikaner und Latinos gehandelt wird, antrifft, geht auf fünf Jahre in den Knast. Bei Kokain-Pulver aber, das überwiegend die sogenannte weiße Mittelklasse konsumiert, muß der Erwischte mit 500 Gramm angetroffen worden sein, um die gleiche Strafe zu erhalten.

In den USA reichen die Wurzeln der Gefängnis-Zwangsarbeit bis in die Zeiten der Sklaverei zurück. Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg wurden viele "befreite" Sklaven dazu gezwungen, als sogenannte Sharecropper auf fremden Plantagen für ein geringes Deputat Baumwolle zu pflücken. Wer auf die eine oder andere Weise "vertragsbrüchig" wurde, wanderte ins Gefängnis und wurde dann von dort den Plantagenbesitzern gegen Entrichtung einer Gebühr "ausgeliehen". Bald praktizierte man dieses "Ritual" vielerorts auch in Bergwerken und beim Bahnbau. Die meisten durch die Haftanstalten "zur Verfügung gestellten" Gefangenen waren Schwarze.

1885 setzte man Haftkommandos in Texas zur Errichtung des neuen State Capitol ein. Die Gewerkschaft der Steinmetze protestierte dagegen, woraufhin die Baufirmen statt der Gefangenen Streikbrecher aus Schottland heranführen ließen.

1891 verboten die Minenbosse Tennessees ihren Bergleuten die Zugehörigkeit zu Unions. Sie ersetzten gewerkschaftstreue Belegschaften kurzerhand durch Strafgefangene, die als Streikbrecher dienen sollten. Die Arbeiter attackierten daraufhin die Gefangenenbaracken und befreiten die Häftlinge. Angesichts dessen sahen sich die Bosse dazu gezwungen, die entlassenen Kumpels wieder einzustellen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Verleih von Strafgefangenen an private Unternehmen in den meisten US-Bundesstaaten offiziell beendet. Tatsächlich aber gab es nach wie vor die gefürchteten "Chain Gangs" in Ketten gelegter Häftlinge im Süden der USA bis in die 50er Jahre. In Alabama und Arizona setzte man sie sogar noch in den Neunzigern beim Straßenbau ein.

Der den Komplex der Gefängnisindustrie vereinigende Superkonzern UNICOR entstand 1934 als staatseigenes Unternehmen. Heute erzielt dieser Gigant, der Fähigkeiten, Kenntnisse und Arbeitskraft der Strafgefangenen skrupellos ausbeutet, jährlich Umsätze von mehr als 2,4 Mrd. Dollar. UNICOR ist übrigens eng mit dem Pentagon liiert. Sämtliche Stahlhelme und kugelsicheren Westen der U.S. Army liefert die US-Gefängnisindustrie.

Und auch das sollte man wissen: Die Zahl der von Privatfirmen betriebenen, also ausschließlich profitorientierten Haftanstalten ist in den USA von fünf im Jahre 1998 auf derzeit über 100 angewachsen.

Offiziell erfolgt die Beschäftigung von Strafgefangenen, denen in der Regel örtlich variierende Mindestlöhne gezahlt werden, nach dem Prinzip der Freiwilligkeit. Während sich viele Insassen tatsächlich selbst zur Arbeit melden, um der Dumpfheit des Zellendaseins zeitweilig zu entfliehen und sich etwas Taschengeld zu verdienen, ist der auf den Häftlingen lastende Druck tatsächlich enorm. Arbeitsverweigerung bliebe nicht ohne Konsequenzen, zumal Amerikas Firmenbosse nirgends einen so hohen Profit zu erzielen vermögen wie in der Gefängnis-"Branche".

RF, gestützt auf "The New Worker", London


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- In Guantánamo gelten keine Menschenrechte: In der Hölle des US-Gefangenenlagers auf Kuba
- Wie in den Zeiten der Sklaverei: Angehörige eines Arbeitskommandos von US-Strafgefangenen

Raute

Ein kühner antikapitalistischer Vorstoß in Westeuropa

Portugals Nelkenrevolution 1974/75

Am 25. April 1974 wurde in Portugal nach 48jähriger Schreckensherrschaft Salazars und Caetanos die kolonialfaschistische Diktatur durch eine Erhebung von Teilen der Armee bei sofortiger und entscheidender Beteiligung der Volksmassen gestürzt. Damals ging José Afonsos verbotenes Lied "Grandola, Vila Morena", dessen Radioübertragung als Aufstands-Signal gedient hatte, um die Welt. Die "Nelkenrevolution" - wegen der roten Blüten in den Gewehrläufen der Soldaten so genannt - entwickelte sich unter maßgeblicher Beteiligung der von Álvaro Cunhal geführten Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP) zu einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzung. Diese führte fast an die Grenzen einer sozialistischen Revolution. 245 inländische Konzerne und Banken wurden nationalisiert und die Arbeiterkontrolle in vielen Unternehmen eingeführt. Auf 1,3 Millionen Hektar vorherigen Gutsbesitzerlandes entstanden 550 ausbeutungsfreie Kollektivgüter und Kooperativen. Doch es gelang der kühn und weit vorgestoßenen portugiesischen Arbeiterklasse nicht, die Staatsmacht insgesamt zu erobern, obwohl sie in Entscheidungszentren treue Verbündete besaß.

Die Landesmitte und der Norden blieben unter Kontrolle der Reaktion. Westliche Geheimdienste, die NATO und die in Portugal "federführende" Sozialistische Internationale bahnten mit Milliardenbeträgen der Konterrevolution den Weg. Die EU soll fortan neuen "Nelkenrevolutionen" vorbeugen. Dennoch verfügt die Linke in der iberischen Republik über starke Positionen, ist die marxistisch-leninistische PCP mit ihrem Wähleranteil von 10 bis 12 Prozent eine der großen kommunistischen Parteien unseres Kontinents. Auch die klassenkämpferische Gewerkschaftszentrale CGTP-Intersindical hat bei mehreren Generalstreiks ihre hohe Mobilisierungskapazität bewiesen.

Derzeit findet in der Ladengalerie der "jungen Welt", Torstraße 6, 10119 Berlin, eine aufschlußgebende Fotoschau zur portugiesischen Revolution statt. Gezeigt werden Aufnahmen Klaus Steinigers, der von Mai 1974 bis Juli 1979 als ND-Korrespondent in Lissabon ein Zeitzeuge des Geschehens war.

RF


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Das Banner der Partei kann jetzt hoch erhoben werden
- Erster Aufmarsch der Gewerkschaftszentrale Intersindical (Juni 1974)
- Soldaten und Matrosen mischen sich unter die Arbeiter
- PCP-Generalsekretär Álvaro Cunhal spricht im alentejanischen Märtyrerdorf Baleizão
- General Vasco Gonçalves war während der Revolution Regierungschef
- Jubel im Lissabonner Armenviertel Bairro da Liberdade

Raute

PTB überschritt erstmals bei Wahlen die Hunderttausender-Grenze

Belgiens Partei der Arbeit im Aufwind

Belgiens PTB/PvdA, die besonders in den letzten Jahren einer durch Prinzipienfestigkeit und Massenverbundenheit gleichermaßen bestimmten Konzeption gefolgt ist und deren attraktiv aufgemachte Wochenzeitung "Solidaire" inzwischen eine beachtliche Mobilisierungskapazität besitzt, gehört heute zu jenen kleineren marxistischen Parteien in Westeuropa, deren Einfluß beständig im Wachsen begriffen ist. In kurzer Zeit konnte sie ihre Mitgliederzahl von 1500 auf 4000 Genossinnen und Genossen steigern. Sogar Tine Van Rompuy, die Schwester des früheren belgischen Ministerpräsidenten und heutigen EU-Präsidenten, gehört dazu.

Bei den Parlamentswahlen im Juni votierten erstmals mehr als 100.000 Belgier für die Partei von Peter Mertens. Im Kanton Antwerpen erhielten die Kommunisten 4,1 Prozent der Stimmen, in der Stadt Liège 4,2 Prozent. In Wallonien und Brüssel konnte die PTB ihren bisherigen Anteil nahezu verdreifachen. Im Kanton Herstal entschieden sich sogar 9,8 Prozent der Wähler für ihre Liste.

Das - wenn auch begrenzte - Vorrücken konsequenter Linkskräfte in Belgien stellt im europäischen Maßstab eher eine Ausnahme dar. Selbst die einflußreiche KP Griechenlands, die jetzt an einem neuen Aufschwung der Massenkämpfe gegen die Brüsseler und Athener Verelendungspolitik maßgeblich beteiligt ist, mußte bei den letzten Parlamentswahlen Verluste hinnehmen.

Fast überall auf unserem Kontinent - vor allem aber in dessen Osten und Südosten sowie in den baltischen Republiken - befindet sich die immer stärker faschistoid aufmunitionierte Rechte demgegenüber im Vormarsch.

Die Ergebnisse der jüngsten Wahlen in Ungarn und Tschechien haben das auf schmerzliche Weise bewiesen. Auch die in Spanien, Griechenland und Portugal regierenden Sozialdemokraten, die sich dort aus Tarnungsgründen als Sozialisten ausgeben, setzen dem generellen Trend keine eigenständige Konzeption entgegen. Unter diesen Bedingungen heißt es für die PTB, tapfer gegen den Strom zu schwimmen. Die Partei widersetzt sich engagiert den Bestrebungen rechtspopulistischer und faschistoider Kräfte Belgiens, die den Zusammenhalt von Flamen und Wallonen durch Schüren chauvinistischer Hysterie untergraben wollen. Denn: Nicht Anpassung an das Europa der Monopole und dessen als EU bezeichnete Exekutive führt zu Ergebnissen, sondern besonnener und entschlossener Widerstand.

Die Erfolge der belgischen PTB vermitteln anderen kommunistischen Parteien Europas, auch der DKP, deren Einfluß in den letzten Jahren nicht gewachsen ist, wie man eine erfolgreiche, flexible und massengestützte Politik entwickeln und dabei zugleich einer ideologisch zielklaren Linie folgen kann.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

Raute

Wären die Massaker in Kirgistan zu Sowjetzeiten denkbar gewesen?

Absturz einer Republik

Die Kirgisische Sowjetrepublik - auf dem Territorium leben heute fünf Millionen Menschen - war einst eine aufblühende Region im zentralasiatischen Teil der UdSSR. Massaker aus sozialen und nationalen Gründen, wie sie dort heute beinahe an der Tagesordnung sind, hätte man sich unter den Bedingungen des in mancher Hinsicht gewiß noch defizitären Sozialismus nicht vorstellen können. Erst unlängst wurden erneut Hunderte Landesbürger ermordet. 40.000 Angehörige der nur 15 % der Bevölkerung ausmachenden usbekischen Minderheit wurden aus dem Gebiet um die im Süden gelegene Stadt Osch vertrieben.

Schon am 7. April hatten blutige Zusammenstöße zwischen regierungsfeindlichen Demonstranten und Anhängern des bald darauf nach einem Zwischenaufenthalt in seiner Hochburg Osch ins Exil gezwungenen Expräsidenten Kurmanbek Bakijew zu zahlreichen Opfern geführt.

Der Präsidentenclan stand für maßlose Bereicherung auf Kosten eines verarmten Volkes. Ein Sohn des ehemaligen Staatschefs ist Milliardär. Er hält sich in Großbritannien auf und hat dort um politisches Asyl ersucht.

An der Spitze Kirgistans steht jetzt mit der aus der Sowjetnomenklatura hervorgegangenen früheren Außenministerin Rosa Otumbajewa eine undurchsichtige, eher rechtslastige Person, die einerseits zu Moskau tendiert, von wo sie sich Schutz erhofft, andererseits aber weiterhin lukrative Geschäfte mit dem Westen machen will. Hinter den jüngsten Unruhen werden vor allem dessen Geheimdienstkreise vermutet.

Nach Jahrzehnten gleichberechtigten Zusammenlebens von Kirgisen und Usbeken unter der Sowjetmacht brach vor 20 Jahren, als Gorbatschow sein sukzessive vorangetriebenes Zerstörungswerk zur Liquidierung der UdSSR begann, ein sich rasch aufheizender ethnischer Konflikt in Kirgisien aus. Als es zu Zusammenstößen kam, bereiteten sowjetische Truppen dem Spuk innerhalb von 24 Stunden ein Ende. Mit dem weiteren Niedergang der Sowjetunion verschärfte sich die Situation erneut. Frühere wie heutige Führer in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek ließen die Lunte schwelen.

Unterdessen sprangen ausländische "Interessenten" in die Bresche und nutzten den Konflikt für ihre Zwecke aus. Sie verstanden es, die Spannungen noch mehr zu schüren. Die brennendsten Probleme - eine enorme Arbeitslosigkeit und die Herrschaft krimineller Banden - wurden weder angepackt noch bewältigt. Wissenschaftliche Talente und tüchtige Fachleute sind unterdessen in erheblicher Zahl aus Kirgistan abgewandert und haben sich im Ausland als Gastarbeiter verdingt. Im Lande selbst können "lukrative Jobs" fast nur über die Drogenmafia und andere Verbrecherkartelle beschafft werden. Diese Kreise sind es auch, die in der kirgisischen Politik das Sagen haben. Die Führung des Landes kümmert sich weder um ethnische Entspannung noch um eine Milderung der ökonomischen Sorgen, die Kirgisen wie Usbeken auf den Nägeln brennen.

Bischkek ist für Rußland, die Vereinigten Staaten und China gleichermaßen von strategischer Bedeutung. Der US-Luftwaffenstützpunkt unweit der Hauptstadt dient dem Pentagon als Hauptnachschubbasis für die NATO-Truppen in Afghanistan. Der zentralasiatische Staat ist überdies zu einer Drehscheibe für Spionageaktivitäten aller Art geworden. Rußlands Interesse konzentriert sich vor allem darauf, Moskau freundlich gesonnene Nachbarn an seinen Grenzen zu wissen und den auch von Kirgistan ausgehenden Drogenschmuggel wenigstens teilweise zu unterbinden.

Unlängst hat die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), zu der Rußland, China, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan gehören, ihr Jahrestreffen in Taschkent abgehalten. Auf der Tagesordnung der Beratung in der usbekischen Metropole, an der auch Beobachter aus Iran, Pakistan, Indien und der Mongolei teilnahmen, stand nicht zuletzt die Entwicklung der Ereignisse in Kirgistan. Die SCO sprach sich für "die Wiederherstellung von Stabilität durch Dialog" in diesem Land aus und sicherte "die Gewährung notwendiger Unterstützung" zu. Das Treffen unterstrich einmal mehr das Bekenntnis der SCO zu Souveränität, Unabhängigkeit und territorialer Integrität. Es wandte sich gegen jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedsländer sowie "gegen Aktionen, die regionale Spannungen auslösen sollen". Ein deutlicher Wink an Washington, wo man zunächst die Entsendung von US-Truppen nach Kirgistan in Erwägung gezogen hatte. Die SCO versicherte, den usbekischen Flüchtlingen aus der Region Osch humanitäre Hilfe erweisen zu wollen.

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney

Raute

Ein großer Reporter Australiens: Wilfred Burchett

Von Kisch fasziniert

"Er ist der größte Journalist, den Australien jemals hervorgebracht hat, einer der besten Auslandskorrespondenten aller Zeiten", stellte Nick Shimmin im Vorwort zu Wilfred Burchetts Autobiographie "Rebellen-Journalist" fest. Der so Herausgehobene war der erste westliche Berichterstatter, der 1945 seine Eindrücke vom Maß der Verwüstung Hiroshimas und Nagasakis zu Protokoll gab. Burchett schrieb die bis dahin noch von niemandem erzählte Geschichte der deutschen Spaltung. Er enthüllte den Einsatz chemischer Waffen durch das Pentagon im Koreakrieg der frühen 50er Jahre. Kein australischer Zeitungsmann vor ihm lebte so lange in einem volksdemokratischen Land Osteuropas. Burchett begleitete die Kämpfer Südvietnams durch den Dschungel. Er wurde wiederholt von Australiens Regierenden heftig attackiert.

Wilfred Burchett, der aus einer konservativen britischen Einwandererfamilie stammte, führte das ungestüme Leben eines echten "Rebellen-Journalisten", wobei er Kopf und Kragen riskierte. Er verhielt sich de facto immer wie ein Kommunist, auch wenn er wohl nie ein Parteibuch besessen hat. Lebensorientierend war für ihn die Begegnung mit Egon Erwin Kisch. Dessen sensationelle "Landung in Australien" 1934 gab der weltweiten Bewegung gegen Krieg und Faschismus starken Auftrieb. Der damalige australische Innenminister Menzies hatte zunächst Paß und Gepäck des unerwünschten "Roten" beschlagnahmen lassen. Seine Erklärung, der notorische Kommunist aus der Tschechoslowakei werde niemals den Boden des Australischen Commonwealth betreten, war keine leere Drohung. Auch als sich Kisch beim Sprung von einem Schiff im Melbourner Hafen ein Bein brach und halb bewußtlos ins Gefängnishospital abgeschleppt wurde, blieb Menzies hart. Am Ende gelang es dem Mann aus Prag doch noch, sich in Sidney schwer bandagiert von Bord schmuggeln zu lassen. Durch einen Untersuchungsrichter wegen illegaler Einreise festgesetzt, kam Kisch schließlich auf Kaution frei. Das verschaffte ihm die Gelegenheit, in einer christlichen Einrichtung zu sprechen.

"Mein Englisch ist gebrochen, mein Bein ist gebrochen, aber mein Herz ist nicht gebrochen, so daß ich die Antifaschisten Australiens von den Antifaschisten Europas grüßen kann", sagte er damals.

Als Egon Erwin Kisch seine Rede beendet hatte, gehörte der junge Wilfred Burchett zu jenen Bewunderern und Freunden, die ihn umringten und damit vor dem Zugriff der reaktionären Staatsmacht schützten. Burchett befand sich auch unter den Tausenden Anti-Hitler-Demonstranten, die anschließend die Macquarie Street hinunterzogen - mit geballter Faust und der Internationale auf den Lippen.

Übrigens wurde Kisch am Ende doch noch wegen illegalen Aufenthalts zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Innenminister Menzies wagte es aber nicht, die Strafe vollstrecken zu lassen. Der unerwünschte linke Eindringling wurde einfach abgeschoben. Das Groteske dabei: Australiens Regierung gab ihm nicht nur den Paß und das Reiseticket zurück, sondern übernahm obendrein auch noch die gesamten Prozeßkosten in Höhe von 1500 Pfund.

Wilfred Burchett schrieb dazu in seiner Autobiographie: "Kisch wurde auf der Stelle mein Held. ... Ich akzeptierte ihn als das Beispiel eines fortschrittlichen Journalisten."

Der Rebellen-Reporter "on the spot" - am Ort des unmittelbaren Geschehens - richtete sein ganzes weiteres Leben nach den moralischen Maßstäben Egon Erwin Kischs ein. Ob in London, wo er sich mit jüdischen Emigranten aus Nazideutschland verband, oder in Indien und Burma, wohin er sich nach dem japanischen Überfall begab und als erster Journalist den bevorstehenden Fall Singapurs voraussagte - immer und überall war Wilfred Burchett ein durch nichts aufzuhaltender Frontkämpfer antifaschistischer Berichterstattung.

Seine zeitgemäße, politisch unanfechtbare, sachlich korrekte Wiedergabe des Geschehens sowie sein klarer und schlichter Stil sorgten dafür, daß das Verlangen, Burchetts Berichte zu drucken, niemals nachließ.

In der DDR erschienen seine Bücher im Berliner Verlag Volk und Welt:

• Sonnenaufgang über Asien, 1948
• Der kalte Krieg in Deutschland, 1950
• China verändert sich, 1952
• An den Ufern des Mekong, 1959
• Land der Verheißung (eine Reportage über die Sowjetunion), 1962
• Partisanen contra Generale, 1965

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dr. Vera Butler ist seit vielen Jahren die ständige Korrespondentin des RF in Australien.
Die renommierte Ökonomin und Politologin lebt in Melbourne.

Raute

Die Pius-Päpste waren nicht nur Mitwisser, sondern auch Akteure

Hitlers Komplizen im Vatikan

Der Artikel "Kratzen für Pius XII. (RF 150) ist informativ, rundet das Bild aber leider nicht ganz ab. Dem französischen Historiker Antoine Casanova, der in der "Humanité" publizierte, scheinen einige Fakten durch den Rost gerutscht zu sein. Beide Pius-Päpste, sowohl der XI. als auch der XII., amtierten in einer Zeit, als das Kapital unverhohlen auf die Etablierung faschistischer Regimes setzte, um seine Herrschaft abzusichern. Dabei spielte die Kirche eine unheilvolle Rolle. In diesen Zusammenhang gehört die Etablierung der faschistischen Herrschaft in Italien, Portugal, Deutschland, Österreich und Spanien. In etlichen Fällen war der hohe Klerus direkt an der Machtausübung beteiligt, in anderen unterstützte er sie.

Als Beispiel mag Spanien gelten. In Francos "Regierung" - der Caudillo hatte den Rat gegeben, bei der "Vernichtung" des republikanischen Gegners nicht mit Munition zu sparen - drängelten sich Minister aus den Reihen des katholischen Laienordens "Opus Dei". Diese konnten das "kulturhistorische Werk" des Schlächters im Palast gar nicht hoch genug loben. In Gefängnissen und Lagern waren oftmals Pater und Nonnen zur Bewachung der Häftlinge eingesetzt. Die faschistische Verfolgung in Spanien kostete Hundertausende das Leben. Es brauchte nicht viel, um mit zerquetschten Hoden an der Friedhofsmauer zu landen oder in deutsche Gewehrläufe zu blicken. Republikanisch gewählt zu haben, reichte ebenso aus wie eine gewöhnliche Denunziation oder die Tatsache, nicht katholisch zu sein. In den Zeitungen der faschistischen Regimenter fanden sich stets die gleichen Bilder: Pius, Hitler, Mussolini, Franco und dessen Mörderbande.

Mit dem Lostreten des Zweiten Weltkriegs durch Hitlerdeutschland erweiterte sich das Experimentierfeld des Vatikans: Die klerikal-faschistische Slowakei unter dem Prälaten Tiso kam hinzu, schließlich das päpstliche Einflußgebiet auf dem Balkan - vor allem das klerikal-faschistische Kroatien unter dem Massenmörder Ante Pavelic. Dem Amoklauf seiner Ustaschi fielen Hundertausende Sinti, Roma und Serben zum Opfer. Ein großer Teil der Ermordeten waren Partisanen. Das Wüten dieses durch Pius XII. "für seine weitere Arbeit" wiederholt gesegneten Potentaten vollzog sich derart unterschiedslos, daß selbst die Naziokkupanten zuweilen kalte Füße bekamen und entsprechende Berichte mit dazugehörigen Illustrationen nach Berlin schickten. Auch an diesem Regime war der katholische Klerus unmittelbar beteiligt. Das reichte von der Ministerebene bis zu den mordlustigen Patern in den Konzentrationslagern.

Als den kroatischen Faschisten klar wurde, daß vorerst die Stunde ihrer Niederlage geschlagen hatte - später kamen sie ja wieder zum Vorschein -, versuchten sie, ihr zusammengeraubtes Blut-Gold in den Vatikan zu retten. Zum Teil kam es dort auch an. Schon Goethe sagte: "... die Kirche hat einen großen Magen". Auch Ante Pavelic griff die hohe Geistlichkeit unter die Arme: Er starb friedlich und als freier Mann im Madrider "Deutschen Hospital" - mit dem Segen des Papstes. Francos Spanien und Salazars Portugal retteten sich 1945 in die Arme des Westens, wobei der Vatikan den "Brückenbauer" spielte. Schließlich war man im Antikommunismus vereint und gehörte damit zu den "Guten". Auch in Italien landeten die Faschisten weich: Sie wurden Bestandteil eines Macht- und Herrschaftskonglomerats aus Kirche, Mafia, Unternehmertum und politischer Reaktion. Das Land diente als bevorzugtes Experimentierfeld westlicher Geheimdienste, wobei die CIA den Takt angab. So erwies sich die angebliche Zerschlagung der Mafia als ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Für die Überreste des Mussolini-Regimes wurde gut gesorgt.

Zugleich konnten etliche Nazi- und Kriegsverbrecher, unter ihnen Franz Stangl, der stellvertretende Kommandant des Vernichtungslagers Sobibor, mit der brüderlichen Hilfe des Anima-Kollegs des Alois Udal die Reise nach Mittel- und Südamerika antreten. Ihre Zahl kann nur grob geschätzt werden. Gesicherte Erkenntnis ist aber, daß die "Rattenlinie" und die "Klosterroute" allein mit der aktiven Zuarbeit der katholischen Kirche und der Unterstützung bestimmter Geheimdienste funktionierten. Kurz gesagt: Der Vatikan hat nicht nur passiv "geschwiegen", sondern in den faschistischen Vasallenstaaten, wo Vertreter der Kirche oftmals im Machtapparat Schlüsselpositionen einnahmen, aktiv mitgemischt. Die Pius-Päpste waren nicht nur Mitwisser, sondern Mittäter. Das sollte man sich stets vor Augen führen.

Gunnar R. Vogel, Ober-Ramstadt

Raute

Floda und das Operndebüt

Aus Hellges Anekdotenkiste

Kürzlich blätterte ich mal wieder im Schulzenhofer Kramkalender. Dort schildert Erwin Strittmatter, wie er seinen Söhnen gesagt habe, er wolle Niwre Rettamttirts heißen, wenn in jener Frühlingsnacht nicht die ersten Stare zurückkehren würden.

Diese lustige "Umdrehung" seines Namens erinnerte mich an eine Begebenheit aus meiner Schulzeit. Bei irgendeiner Herumalberei - es muß wohl im 7. Schuljahr, also etwa 1935 gewesen sein - kam einer meiner Mitschüler auf die Idee, unsere Namen "von hinten nach vorne" zu lesen. So wurde aus Hubert Karsten Trebuh Netsrak, aus Günter Klinder Retnüg Rednilk und aus Helmuth Hellge Tumleh Eglleh. Als wir alle Klassenkameraden durch hatten, wandten wir uns Filmschauspielern zu. So wurde aus Hans Moser Snah Resom, aus Rene Deltgen Ener Negtled, aus Grete Weiser Eterg Resiew und aus Zarah Leander Haraz Rednael. Dann kamen die Sportskanonen wie Hanne Sobeck, Bernd Rosemeyer und Sonja Henie an die Reihe. Plötzlich fiel einem von uns der Name Adolf Hitler ein. Floda Reltih fanden wir besonders komisch und das grölende Lachen wollte kein Ende nehmen. Das erstickte aber, als dreien von uns - darunter auch mir - bald darauf mitgeteilt wurde, daß wir uns am nächsten Tag beim Rektor zu melden hätten ...

In der großen Pause des Folgetages standen wir dann wie begossene Pudel dem mächtigen Mann gegenüber. Er galt als ein besonders strenger Lehrer, welcher schnell zum Rohrstock griff. Der Direx musterte uns zunächst recht eingehend. Dann forderte er dazu auf, derjenige, der zuerst die Idee gehabt habe, den Namen des "Führers" umzudrehen, solle einen Schritt vortreten. Als sich links und rechts von mir nichts rührte, nahm ich all meinen Mut zusammen und trat nach vorn. Ohne ein Wort zu sagen, nur mit einer Handbewegung, wies unser Gegenüber die beiden anderen aus dem Raum. Dann zog er die Schreibtischschublade auf - das konnte ja nichts anderes bedeuten, als daß er nun zum Rohrstock greifen würde. Doch zu meiner Verblüffung hatte der Rektor ein Stück Papier in der Hand. Er hielt es mir entgegen und erklärte, dies sei ein Billet für die Deutsche Staatsoper. Dort werde "Madame Butterfly" gegeben. Ich solle mir die Aufführung ansehen oder anhören und ihm darüber berichten. Obwohl damals die berühmten Stars Maria Cebotari und Helge Roswänge sangen - die dreistündige Oper hat mich nicht so zum Nachdenken gebracht, wie das erstaunliche Verhalten meines Rektors.

Helmuth Hellge

Raute

Wie ich 1945 als Hilfsarbeiterin beim Aufbau des Dresdner Zwingers mitwirkte

"Froll'n Teller" oder Kumpel Renate?

Ich wollte weiterkommen und ... begann erst mal wieder ganz unten in einem Beruf, an den ich nie gedacht hatte. Ich wurde Bauhilfsarbeiterin. Einerseits, um in den Genuß der Schwerarbeiterkarte zu kommen, denn der Hunger war allgegenwärtig. Andererseits konnte ich pünktlich zum Unterricht in der Volkshochschule erscheinen. Drittens hatte es für mich besonderen Reiz, beim Wiederaufbau des berühmten Zwingers mitzuhelfen.

Anfang des 18. Jahrhunderts beauftragte August von Sachsen, auch der Starke genannt, seinen Architekten Daniel Pöppelmann, eine Orangerie in der Nähe des Schlosses zu bauen. Dieser machte sich ans Werk und schuf so den Zwinger, nämlich Gebäudetrakte, die einen viereckigen Platz umschließen, auf dem Turniere, Reiterspiele und Bärenhatzen veranstaltet werden konnten. Zu den letztgenannten ist es aber nie gekommen. Balthasar Permoser schmückte Fronten, Treppen und Dächer mit Hermen, Putten und Faunen in barocker Fülle. In den vielen Sälen sammelten die Könige Sachsens im Laufe der Jahre Kostbarkeiten aller Art. Heute sind im Zwinger außer den Gemäldegalerien die einzigartige Porzellansammlung und der Mathematisch-Physikalische Salon untergebracht.

Der Krieg hatte dem Zwinger übel mitgespielt. Seine barocke Vielfalt war noch zu erkennen, aber es gab kaum einen Faun, der noch einen Kopf besaß, kaum eine Putte, die noch ihre vier Gliedmaßen beisammen hatte. Die patinagrünen Dächer hingen in Fetzen über die Außenwände, die feingliedrigen Gesimse waren unbarmherzig zerschrotet. Das, was einst jeden Besucher zur Bewunderung hinriß, lag jetzt nackt und allen Blicken preisgegeben unten auf der Erde. Es waren sogar Gerüchte im Umlauf, nach denen die Ruine abgerissen werden sollte, zumindest aber das Kronentor, von dem kaum noch etwas übrig war. Architekt Hubert Georg Ermisch, der die Restaurierung leitete, konnte im Verein mit der sowjetischen Militäradministration, die viel Verständnis für die Erhaltung der historischen Bauwerke zeigte, das verhindern.

Wir Bauarbeiter waren eine bunt zusammengewürfelte Truppe, der unser Polier Fritz Lange den nötigen Schwung beizubringen versuchte. Er war ein wortkarger Mann aus dem Erzgebirge, der für seine kommunistische Überzeugung viele Jahre in Buchenwald hatte zubringen müssen. Er konnte andere ohne viele Worte führen und war einer jener Menschen, die man nicht vergißt.

Bruno war unser Gewerkschafter, ein emsiger Mann, der sich hier und überall zugleich aufzuhalten schien. Wenn Polier Lange ihm eine Arbeit zuteilen wollte, hatte er oft unaufschiebbare gewerkschaftliche Angelegenheiten zu regeln. Dennoch war er ein Mann, der stets half, wenn es mal klemmte.

Paul war berühmt dafür, daß er sich nicht gerne anstrengte, und Karle redete ununterbrochen und hatte wohl auch deswegen ständig Hunger.

Zur Gruppe gehörten noch zwei Lehrer, die in der Nazi-Partei gewesen waren und sich bei körperlicher Arbeit bewähren sollten. Der eine paßte sich mühelos an und griff wacker zu, der andere prahlte immer wieder mit seinem früheren Leben als Rektor eines Gymnasiums. "Gut", sagte Herr Lange, "aber nu müssen'se erschtemal lern', ne Schaufel richt'ch anzufassen."

Ilse war in der Munitionsfabrik dienstverpflichtet gewesen und wollte den Beruf einer Schlosserin erlernen, was damals noch als mutig galt.

Mich konnten sie nicht so recht einordnen. Ich hörte einen den Polier fragen, wer denn das Mädel mit der Brille sei: "Vielleicht ne Studentin, die sich was dazuverdienen will ...?"

"Da kannste recht ham", meinte Lange. Alle redeten sich mit Vornamen an und duzten einander, wie das unter Arbeitern üblich ist. Nur mit den beiden Lehrern und mir machten sie eine Ausnahme. Ich war eben "Froll'n Teller" und die beiden Lehrer Herr X und Herr Y. Zuerst war mir das egal, aber später fühlte ich mich irgendwie ausgeschlossen.

Wir waren zunächst im Taschenbergpalais neben dem Zwinger eingesetzt. Es war völlig ausgebrannt, das Dach herabgestürzt, die Zwischenwände nur zum Teil erhalten. Die Außenmauern standen noch, mit Asche und Schutt meterhoch angefüllt. Die Männer hatten diese traurige Hinterlassenschaft in Schubkarren zu schaufeln, die wir zwei Mädels zu einem Sieb schoben. Manch feuerfester Gegenstand konnte so noch geborgen werden, bronzene Figuren, kupfernes Eßgeschirr und ähnliches.

Eines Tages blieb uns ein besonders trauriger Fund im Sieb hängen: ausgeglühte menschliche Knochen und Skelett-Teile. Jedem von uns, die wir wie erstarrt das Sieb umstanden, war das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Bruno murmelte mit Tränen in den Augen: "Die ham ooch nich gedacht, daß 'se mal durchs Sieb geschaufelt wer'n." Wir saßen an diesem Tag länger als sonst beim Frühstück und sinnierten über das schreckliche Ende dieser Menschen, über das zerstörte Dresden, über Kriege im allgemeinen und deren Ursachen.

"Das sin immer de Reichen, die woll'n ihre Macht behalten, un dazu brauchen se Geld. Un das verdien'se am schnellsten durch'n Krieg. So isses", ließ sich Polier Lange vernehmen.

An einem frostklaren Februartag gab es in der Kantine ein fürstliches Mahl: Beafsteak mit Bohnen und Kartoffeln. Ein älterer Mann erklärte uns, weshalb wir so feines Essen bekämen. Heute trete der erste Zweijahrplan in Kraft. Das sei eine Art Katalog, der alle Schritte der Produktion sinnvoll in Betracht ziehe, damit nichts vergeudet werde und Staat wie Wirtschaft langsam wieder in Gang kämen. Wir seien dabei, einen sozialistischen Staat aufzubauen, in dem die Arbeiter, Bauern und Angestellten das Sagen hätten. Unser Festredner gebrauchte mehrmals den Begriff Arbeiterklasse. Soviel bekam ich mit: Es gab eine Klasse der Besitzenden und eine Klasse der Nichtbesitzenden. Die einen mußten gegen Lohn für die anderen arbeiten. Zu welcher Klasse gehöre ich selbst, fragte ich mich unwillkürlich und ertappte mich bei dem Gedanken, gern zur Arbeiterklasse zählen zu wollen. Anders als die beiden Lehrer, die sich nicht dazurechneten, obwohl sie doch Geld verdient hatten, was man bei ihnen allerdings Gehalt nannte. Sie empfanden sich wahrscheinlich als "etwas Besseres". Nun ja ...

Ich stammte väterlicherseits aus einer Bauernfamilie, war jetzt aber Arbeiterin im Wortsinn. Zugleich nahm ich die Mühe auf mich, nach achtstündiger körperlicher Tätigkeit noch vier Stunden zu lernen, da ich es weiterbringen wollte. Ich fühlte mich zu den Leuten mit der großartigen Idee hingezogen, einen Staat aufbauen zu wollen, in dem endlich die sogenannten kleinen Leute die Herren sein würden. Das wäre dann eine echte Demokratie. Hatte ich mich schon - zumindest gedanklich - zu ihrer Klasse hinaufentwickelt? Ich wollte gern richtig zu ihnen gehören und nicht mehr "Froll'n Teller" sein. Meine Kumpel sollten mich mit Renate und Du anreden.

Schon am nächsten Tag brachte ich die Sache beim Frühstück zur Sprache. Polier Lange guckte mich mit wachen Augen an und fragte in die Runde: "Na, paßt'se zu uns oder nich?" "Se paßt!"

Ich mußte alle Hände schütteln und gehörte von da an zu der Klasse, der ich mich bis heute verbunden fühle.

Neben aller Arbeit fand sich die Zeit, gerade in dieser Phase des Wiederaufbaus Kultur und Kunst voll zu genießen. Eintrittskarten für Museen und Theater waren billig, so daß sie ohne weiteres auch von einer Hilfsarbeiterin bezahlt werden konnten. Vom Staat war gewollt, daß auch der Ärmste Zugang dazu haben sollte.

Renate Teller, Worpswede

Raute

Ein Lenin-"Taschen-Rutscher"

Auf Lenin berufen sich all jene, welche keine Sprechblasen verbreiten wollen und Kommunisten geblieben sind. Ohne ihn und seine Partei wäre Rußland viele Jahre mehr ausgesaugt worden. Politiker und Pseudowissenschaftler, die schon vor seinem Namen erschrecken, verunglimpfen Lenin, können ihm aber in bezug auf präzise Aussagen und geschliffene Dialektik nicht das Wasser reichen. Heinrich Mann hat bis heute recht, wenn er dem Revolutionär und Parteiführer bescheinigt: "Lenin bleibt die stärkste Konzentration des revolutionären Gedankens. Er ist der Anfang, niemand hat ihn überwunden, und so viele sich auf ihn berufen, so viele erhöhen seine Macht." Obwohl der Fortsetzer des Werkes von Marx und Engels lange Zeit in der Verbannung lebte und später in die Emigration gehen mußte, hat er Wichtiges geschaffen, was das historische Ereignis im Oktober 1917 gedanklich vorbereitete und ins Rollen brachte. Er schrieb höchst Wissenswertes über Revolution und Konterrevolution, über Krieg und Frieden, über Sozialismus und Kommunismus.

Da etliche Mitbürger noch nie einen Leninband in Händen gehalten haben dürften, ist es verdienstvoll, daß ein zur Eulenspiegel-Verlagsgruppe gehörendes Buchhaus die kleine Reihe "Klassiker heute" herausbringt. Bisher erschienen dort u. a. Brecht, Marx und Engels. Auf rund 110 Seiten sind viele wichtige Gedanken versammelt, die zum "Tiefergraben" anregen und dann doch manchen Nachgeborenen zu einem größeren Werk des Wegbereiters der Oktoberrevolution greifen lassen.

Alle Zitate in "Wem nützt es?" machen deutlich, daß Lenin vor allem ein großer Philosoph war, von dem so manche Sentenz in den normalen Sprachgebrauch Einlaß gefunden hat. Das Bändchen ist schmal, als literarischer Taschen-Rutscher gut geeignet. Bereits beim Durchblättern springt dem Leser Bekanntes und Wichtiges ins Auge. So schrieb Lenin, der mit bürgerlichem Namen Wladimir Iljitsch Uljanow hieß, zur Machtfrage den folgenden Kernsatz: "Der Staat ist eine Maschine zur Aufrechterhaltung der Herrschaft einer Klasse über eine andere." Wer auf das Treiben der heute in Deutschland Regierenden blickt, muß dem Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare recht geben.

Eine weitere wichtige Aussage, die Lenin bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts traf, verdeutlicht, warum "die Deutschen" angeblich so gerne in den Krieg ziehen: "Solange die Grundpfeiler der heutigen, der bürgerlichen gesellschaftlichen Beziehungen fortbestehen, kann ein imperialistischer Krieg nur zu einem imperialistischen Frieden führen, d. h. zur Festigung, Erweiterung und Verstärkung der Unterdrückung der schwachen Nationen und Länder durch das Finanzkapital, das nicht nur vom Krieg, sondern auch im Verlauf des Krieges einen riesenhaften Aufschwung nahm."

"Wem nützt es?" ist lesenswert. Es bringt Lenin auch Jüngeren näher und präsentiert seinen historischen Optimismus, der der Strategie vom Oktober 1917 zugrunde lag: "Revolten - Demonstrationen - Straßenkämpfe - Abteilungen einer revolutionären Armee - das sind die Entwicklungsetappen des Volksaufstandes", skizzierte er seinerzeit den Weg der Revolution.

Thomas Behlert, Gotha


Lenin heute. Wem nützt es?
Verlag Neues Leben, Berlin 2007, 112 Seiten,
4,90 Euro, ISBN 978-3-355-01741-1

Raute

Der Arbeiterschriftsteller Günter Westerhoff

Urgestein aus dem Ruhrpott

Aus Anlaß des Kulturjahres Ruhr 2010 wirft der "RotFuchs" einen Blick auf die Arbeiterschriftsteller des Ruhrgebiets, dieser ehemaligen Kohle- und Stahlregion. Einer von ihnen ist Günter Westerhoff, dem das Verdienst zukommt, die Situation der arbeitenden Menschen seit Jahrzehnten in die Literatur eingebracht zu haben. Der einstige Schlosser ist mittlerweile 87 und lebt in einer historischen Bergarbeitersiedlung in Mülheim an der Ruhr. "Tief im Westen" könnte man mit Herbert Grönemeyer sagen, wenngleich dieser die Nachbarstadt Bochum meinte.

Die "realistischen Darstellungen aus der Welt des westdeutschen Arbeiters", die Westerhoff veröffentlichte, hob 1967 das "Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller" (VEB Bibliographisches Institut Leipzig) hervor, "allerdings ohne dem Wunsch nach Veränderung Ausdruck zu verleihen". Schon nach 1945 begann Westerhoff zu schreiben. Aber erst in den 60er Jahren boten sich in der BRD bessere Möglichkeiten, daß Arbeiterschriftsteller ihre Werke auch veröffentlichen konnten. Wie Max von der Grün (siehe RF 150) erhielt der Mülheimer Autor durch den katholischen Paulus-Verlag die Chance zur Publikation. Sein Buch "Gedichte und Prosa" erschien in der Reihe "Neue Industriedichtung".

"Bei Reihenmaschinen / in dröhnender Enge, / wo Automaten fauchend Schweißbahnen ziehn / im Schatten einer Stanzensäule, / mit gewölbtem Leib schwer gebeugt / vor dem Matrizentisch: / ohne Aufblick." So heißt es beispielsweise im Gedicht "Akkordstanzerin". Als der Aufbau-Verlag seine Anthologie "Seilfahrt" 1967 veröffentlichte, war auch Günter Westerhoff dabei. Schließlich gehörte er für kurze Zeit zur "Dortmunder Gruppe 61", die in diesem Buch recht ausführlich dem DDR-Publikum vorgestellt wurde.

1978 erschien der Band "Vor Ort - Gedichte und Erzählungen eines Arbeiters" von Günter Westerhoff im Oberhausener Asso-Verlag. Auch in einem umfangreichen Asso-Sammelband zur westdeutschen Arbeiterliteratur war er mit mehreren Beiträgen vertreten. 1980 erhielt der Arbeiterdichter den "Ruhrpreis für Kunst und Wissenschaft".

Dennoch wagt Günter Westerhoff die Aussage: "Die Arbeiterliteratur war immer ein Stiefkind." Gedruckt wurde in der BRD nämlich im Vergleich mit anderen Themenbereichen von der industriellen Arbeiterliteratur nur sehr wenig. Deshalb hat es auch noch viele Jahre gedauert, bis Westerhoff 2009 den Band "Moment - Wiederkehr - Arbeiterlyrik" herausgeben konnte. 2005 publizierte er zuvor seine Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg unter dem Titel "Zwangsvereidigt". In 21 Geschichten blickt er auf seine Erlebnisse in jener Zeit zurück. Beide Bücher erschienen im Agenda-Verlag Münster. - Neben seinen gedruckten Werken konnte Westerhoff auch zwei Hörspiele veröffentlichen: "Ratten im Kanal" und "Abkehr mit Martinshorn". Seine musikalische Begabung zeigte sich im Bandoneonspiel. Da trat er einst sogar mit Musikern der Spitzenklasse in Paris und Berlin auf.

Paul Sielaff

Raute

Und wenn sie nur "Das siebte Kreuz" geschrieben hätte ...

In über 30 Sprachen erschienen: Anna Seghers

1900 geboren, fand Anna Seghers (eigentlich Netty Reiling, verheiratete Radvanyi) mit ihrem umfangreichen epischen Werk weltweite Resonanz. Dazu trugen hohe Auflagen, Übersetzungen in über 30 Sprachen und mehr als ein Dutzend Verfilmungen ihrer Prosawerke bei. Erinnert sei an "Der Aufstand der Fischer" (Sowjetunion, Regie: Erwin Piscator, 1934) und "Das siebte Kreuz" (USA, Regie: Fred Zinnemann, 1944). 1955 brachte Hedda Zinner diesen großen Stoff in eine hörspielgemäße Form mit Willy A. Kleinau, Harry Hindemith, Franz Kutschera u. a. Am Staatstheater Schwerin stellte man 1981 eine Bühnenfassung vor.

1968 kam der Film "Die Toten bleiben jung" (Regie: Joachim Kunert mit Barbara Dittus, Kurt Böwe, Klaus Piontek u. a.) heraus. Aus dem Band "Die Kraft der Schwachen" verfilmte Regisseur Joachim Kunert "Das Duell" mit Wolfgang Kieling, Otto Mellies u. a. (1970) Aufsehen erregte "Die große Reise der Agathe Schweigert" (1972) mit Helga Göring in der Hauptrolle. Joachim Kunert schuf 1974 auch den Fernsehfilm "Das Schilfrohr" mit Walfriede Schmitt, Klaus-Peter Thiele u. a. In dem DEFA-Film "Das Licht auf dem Galgen" (1976, Regie: Helmut Nitzschke) spielten Erwin Geschonneck, Alexander Lang u. a.

Erwähnt werden muß die Koproduktion zwischen dem polnischen Fernsehen und dem der DDR "Jozia - die Tochter der Delegierten" (1977, Regie: Wojciech Fiwek). Der Dramatiker Lothar Trolle besorgte nach der Erzählung ein gleichnamiges Hörspiel, das der Rundfunk der DDR 1986 erstmals sendete. Trolle schrieb auch ein entsprechendes Theaterstück, das 1988 in Berlin Premiere hatte. Die Prosawerke von Anna Seghers drängten sich gerade für eine filmkünstlerische Umsetzung auf, da es die Schriftstellerin auf beispielhafte Weise verstand, tief bewegende Menschenschicksale aus ihrer Zeit heraus schlicht und verdichtet zu erzählen. Nach einer nur acht Seiten umfassenden Novelle "Das Obdach" entstand in der Regie von Ursula Schmenger und Hannes Walsinger 1981 ein Fernsehspiel. Auf wunderbare Art kündete es von der Menschlichkeit, der Kraft der Schwachen, die ihre Angst besiegen. Nach der Seghers-Erzählung "Der Mann und sein Name" drehte Vera Loebner 1983 einen Film. Eine der schönsten Liebesgeschichten der Schriftstellerin - "Die Überfahrt" - bildete 1984 die Grundlage für einen Fernsehfilm von Regisseur Fritz Bornemann.

1986 drehte die Regisseurin Christa Mühl den Fernsehfilm "Das wirkliche Blau" mit Henry Hübchen und Arno Wyszniewski. Im November 1988 fand die Premiere des Fernsehfilms "Aufstand der Fischer von Sankt Barbara" statt. Regisseur Thomas Langhoff setzte bekannte Schauspieler wie Hansjürgen Hürrig, Ulrich Thein, Monika Lennartz und Ulrike Krumbiegel ein.

In drei Dokumentarfilmen wurden die produktive Schriftstellerin und ihr Schaffen vorgestellt: "Eine neue Zeit wird auch eine neue Kunst gebären" (1975), "Blumen für Anna Seghers / Stationen - Wege - Glückwünsche" (1980) und "Für Anna Seghers - Stationen eines Lebens" (1985). Seit 1945 erschienen allein in der Universalbibliothek des Reclam-Verlages Leipzig sieben ihrer Werke mit rund 800.000 Exemplaren. Reclam editierte auch ihr Hörspiel "Der Prozeß der Jeanne d' Arc zu Rouen 1431" als Ausgabe im Querformat, da 55 Aufnahmen aus dem Stummfilm (1928) von Carl Theodor Dreyer beigefügt worden waren. Bereits 1975 umfaßte die Gesamtauflage ihrer Werke allein in der DDR 2,5 Millionen Exemplare, später waren es über 4 Millionen. Zehn Titel aus ihrer Feder überschritten jeweils die Auflagenhöhe von 100.000. In der Sowjetunion lagen ihre Bücher in mehr als 3 Millionen Exemplaren und in 17 Sprachen der Völker der UdSSR vor. In Frankreich brachte man 1977 eine Werkauswahl auf den Buchmarkt. Ihr Herausgeber Claude Prevost äußerte, Anna Seghers habe "durchaus (und reichlich!) Nobelpreis-Format ..."

Anläßlich ihres 75. Geburtstages begann der Aufbau-Verlag Berlin mit der Herausgabe der zwölfbändigen "Gesammelten Werke in Einzelausgaben". 1975/76 wurden in acht Bänden alle Prosawerke der Autorin vom "Aufstand der Fischer von St. Barbara" (1928) bis "Das Vertrauen" (1968) herausgebracht.

1977 legte der Verlag in vier weiteren Bänden alle Erzählungen der Autorin - von "Grubetsch" (1927) bis "Wiederbegegnung" (1977) - vor. Dieser Edition des epischen Gesamtschaffens von Anna Seghers bestätigten Rezensenten, hier seien Entscheidungsfragen des 20. Jahrhunderts in einem großen Erzählwerk gestaltet worden. Als Ergänzung zur zwölfbändigen Ausgabe brachte "Aufbau" zwei weitere Bände mit einer Auswahl aus dem publizistischen Schaffen der Jahre 1927 bis 1979 unter dem Titel "Aufsätze, Ansprachen, Essays" heraus. "Aufbau" begann im neuen Jahrtausend mit einer weiteren Seghers-Gesamtausgabe, die auf 21 Bände konzipiert ist. 2003 legte jener Verlag das Tagebuch von 1924/25 unter dem Titel vor "Und ich brauch doch so schrecklich Freude".

Bereits 1975 wurde die Primärliteratur von Anna Seghers aus der Zeit von 1924 (beginnend mit ihrer Dissertation über Rembrandt) bis zum Jahre 1974 (ihrem Artikel zum 25. Jahrestag des Weltfriedenskongresses) mit insgesamt 140 Titeln beziffert. Die Sekundärliteratur umfaßte 1975 insgesamt 865 Arbeiten, die in deutsch- und fremdsprachigen Zeitungen und Zeitschriften bzw. als Dissertationen erschienen waren. Verwiesen sei auf Seghers-Biographien wie die von Kurt Batt (1980), Christiane Zehl-Romeros ("Anna Seghers. Eine Biographie" in zwei Bänden, 2001) und Sigrid Bock ("Der Weg führt nach St. Barbara, Die Verwandlung der Netty Reiling in Anna Seghers", 2008). Der Sohn der 1983 verstorbenen Autorin Pierre Radvanyi veröffentlichte die Erinnerungen an seine Mutter unter dem Titel "Jenseits des Stroms" (2005).

Seit 1986 vergab die Akademie der Künste der DDR das Anna-Seghers-Stipendium zur Förderung junger Künstler und Schriftsteller aus der DDR und aus Entwicklungsländern. Nachdem Walter Janka "Schwierigkeiten mit der Wahrheit" veröffentlicht hatte, versuchte man die Schriftstellerin in den Medien zu demontieren. Sie wurde bezichtigt, 1957 im Prozeß gegen Janka nicht für den Angeklagten Partei ergriffen zu haben. Ihre Tochter Ruth Radvanyi erklärte in einem Interview mit der Zeitschrift "Sonntag" (19/1990), ihre Mutter habe sich für viele Menschen in der DDR eingesetzt und in besonderen Fällen Ulbricht, Hager oder Honecker aufgesucht. Sie verabscheute es aber, westliche Kanäle für Proteste im eigenen Land zu benutzen.

Anna Seghers bemerkte einmal, die Dichter "bringen menschliche Werte in unser Bewußtsein, ohne die wir nicht leben können und ohne die wir nicht leben möchten". Dies ist auch ein bedeutungsvolles Kriterium für die weltweite Wirkung des epischen Gesamtwerkes der herausragenden Schriftstellerin. In gewisser Weise setzte sie mit ihren Gesellschaftsromanen und Erzählungen die Traditionen eines Lew N. Tolstoi und eines Honoré de Balzac fort.

Dieter Fechner

Raute

Was steckt hinter der ökologischen Landwirtschaft?

Der Trick mit den Bio-Produkten

Von Bio-Produkten ist heute allenthalben die Rede. Kaum jemand kommt noch daran vorbei - von der alternativen Studierenden-WG bis hin zur besser verdienenden Mutter. Das Spektrum der Gründe, Erzeugnisse aus ökologischem Anbau konsumieren zu wollen, reicht von ideologischen bis zu pragmatischen oder auch ernährungsphysiologischen Motivationen.

Der "biologisch-dynamische" Landbau geht auf den Anthroposophen Rudolf Steiner zurück. Er fordert den Verzicht von chemischen Hilfsmitteln und setzt stattdessen auf "geistige" Kräfte, die angeblich dazu in der Lage seien, Materie zu bestimmen. Die mehr oder weniger abgeschwächten Varianten der ökologischen Landwirtschaftsweise verzichten zum Teil auf die hanebüchensten "Argumente" der Steinerschen Lehre. In der Esoterik werden derartige Konzepte dann meist mit dem Attribut "ganzheitlich" versehen, um ihnen den Anspruch von Ernsthaftigkeit zu verleihen.

Durch die gegenüber der konventionellen Landwirtschaft erschwerten Produktionsbedingungen sind Bio-Erzeugnisse für den Verbraucher teurer. Deshalb können sich meist nur betuchtere Schichten der Gesellschaft ständig von Öko-Produkten ernähren. In Zeiten zunehmender Verarmung ganzer Bevölkerungsteile bildet sich in wachsendem Maße eine elitäre "Öko-Schicht" heraus, während die Mehrheit der Menschen von jeglicher Teilhabe ausgeschlossen bleibt.

Aufgrund der genannten Einschränkungen ist der Ertrag bei Weizen z. B. um die Hälfte geringer als in der konventionellen Landwirtschaft. Hier drängt sich natürlich die Frage auf, ob der ökologische Landbau tatsächlich die richtige Wahl ist, wenn es darauf ankommt, die Nahrungsmittelproduktion auf begrenzten Flächen im Interesse der Weltbevölkerungsernährung zu erhöhen. Würde man heute die gesamte Landwirtschaft auf ökologische Produktion umstellen, brauchte man 30 Prozent mehr Fläche. Konkret hieße das, auf den Wald als wichtigsten Absorbierer des Treibhausgases CO2 zu verzichten. Bereits jetzt werden riesige Flächen des brasilianischen Regenwaldes abgeholzt, damit der Bedarf an Bio-Produkten in den reichen Industrieländern gedeckt werden kann. - Ein Vorteil der ökologischen gegenüber der konventionellen Landwirtschaft besteht im geringeren Energieverbrauch. Die Herstellung von künstlichen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln ist sehr energieintensiv. Diesem deutlichen Plus in der Energiebilanz steht indes ein ebenso deutliches Minus gegenüber: Es ergibt sich aus der Notwendigkeit einer mechanischen Bodenbearbeitung. Damit geht ein höherer Dieselverbrauch einher, der vor allem durch das Pflügen bedingt wird. Eine energiesparende pfluglose Bodenbearbeitung, wie sie bereits in konventionellen Betrieben weite Verbreitung findet, ist im ökologischen Landbau infolge des Unkrautdrucks nahezu unmöglich.

Nicht unerwähnt bleiben sollte die Methanemission aus der Milchproduktion. Bekanntlich stammt ein erheblicher Teil des klimawirksamen Methans aus den Mägen der Kühe. Dabei ist zu beobachten, daß mit höherer Leistung der Kuh die Methanemission je Liter Milch sinkt. Durch die geringeren Milcherträge je Kuh trägt die ökologische Landwirtschaft stärker zur Methanemission aus der Landwirtschaft bei als der konventionelle Landbau. Freilich treten hier durch die Ausbringung von Kunstdüngern starke Lachgasemissionen auf, die bedeutend klimawirksamer sind als das Methan.

Jeder Öko-Fan sollte sich kräftig die ideologische Brille putzen, wenn es um die Betrachtung von Bio-Produkten geht. Nicht zuletzt auch wegen der Verbindungen der Öko-Szene zu rechten Kreisen.

Marc Gerisch / Roy Dittmann

Raute

Von "Kornmuhmen" und "Erntepolzen"

Moderne Erntetechnik erleichtert heute die Einbringung des Gewachsenen. Man denke nur an die Leistung eines Mähdreschers. Einstige DDR-Bürger vom Lande können sich wahrscheinlich noch daran erinnern, wie 1953 die sowjetischen Mähdrescher vom Typ "S 4" vielerorts erstmals zum Einsatz kamen. Mit der Mechanisierung landwirtschaftlicher Arbeit sind leider auch die Erntebräuche verschwunden. Es handelt sich um Volksgut, das nicht in Vergessenheit geraten sollte. Der Publizist und Heimatforscher Anton Röska aus der Zeitzer Gegend hat einiges davon aufgeschrieben.

Hochbeladene Erntewagen ziehen die Dorfstraße entlang, auf der schwankenden goldgelben Last sitzen fröhliche Menschen. Weithin leuchten die Blumensträuße, die an der eingespießten Langgabel angebunden sind. Sie gelten als sichtbare Zeichen dafür, daß die Landarbeiter die Getreidefelder geräumt haben. Das Einholen der letzten Garben auf einer geschmückten Fuhre war ein Brauch, der noch aus jener Zeit stammte, in welcher der Schnitt mit der Sense erfolgte.

Aber es gab noch viele andere Sitten zum Ernteabschluß, der ja im Bauernleben von ganz besonderer Bedeutung war. Im Zeitzer wie auch Weißenfelser Gebiet war die "Scheune", manchmal auch "Mierte" genannt, allgemein üblich. Die Schnitter ließen am Rande eines Feldes ein Büschel Roggen stehen, das dann von Mägden mit 1953 - junge Mitglieder der LPG Merxleben auf dem festlich geschmückten Erntewagen Kornblumen und Klatschmohn geschmückt wurde.

Die im Getreide verborgene Kornmuhme sollte sich - sie war vor den Sensenschlägen geflüchtet - hier versteckt haben. Man wollte sie als ein unholdes Wesen nicht mit in die Scheune fahren. Das entsprach einem bis in uralte Zeiten zurückreichenden Volksglauben. Auch die "Erntepolze" dürften den Alten in jener Gegend noch in Erinnerung sein. Anderen Orts nannte man sie auch "Sichellege". Die Arbeit war getan - das Erntegerät weggelegt. Aus Freude über den Abschluß der Kampagne, der so viele Mühe vorangegangen war, wurde abends in den Bauernstuben bei gutem Essen und Trinken gefeiert. Das tägliche Brot war gesichert, ein kleiner Vorschuß auf das bevorstehende Erntefest konnte genommen werden.

Wie vieles andere wandelten sich auch die Erntegepflogenheiten. Manches wurde ausgeschmückt, Neues hinzugetan, wieder anderes verschwand für immer. So auch die "letzte Fuhre". Geblieben aber ist die Freude über die glückliche Einbringung einer guten Ernte.

Günther Röska, Leipzig

Raute

DDR-Frauen unter den Hauptverlierern der "Einheit"

Kahlschlag statt freier Entfaltung

Prof. em. Dr. Helga E. Hörz hat zwei Bücher im Verlauf eines Jahres herausgebracht. Ihr zweites Werk trägt den Titel "Der lange Weg zur Gleichberechtigung. Die DDR und ihre Frauen". Ein Jahr zuvor kam im trafo-Verlag "Zwischen Uni und UNO. Erfahrungen einer Ethikerin" heraus. Das Buch wurde seinerzeit im RF (Nr. 142) besprochen.

Während es Helga Hörz 2009 um Frauenrechte als Menschenrechte, um moderne Ethik und deren Forschungsergebnisse ging, zeichnet sie diesmal den Weg zur Gleichberechtigung nach, der von den Frauen der DDR zurückgelegt worden ist. Die Wissenschaftlerin erklärt, wie sich Frauen unter den gesellschaftlichen Bedingungen eines sozialistischen Landes entwickelt haben. Sie erinnert dabei an die Marx'sche Auffassung von der Stellung der Frau als Kriterium des sozialen Fortschritts. "Jeder, der etwas von der Geschichte weiß, weiß auch, daß große gesellschaftliche Umwälzungen ohne das weibliche Ferment unmöglich sind. Der gesellschaftliche Fortschritt läßt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts (die Häßlichen eingeschlossen)."

Viele Leserinnen und Leser haben die erfolgreiche Frauenpolitik in der DDR selbst mitgestaltet. Sie ist der Maßstab, der an die 40jährige Geschichte dieses Staates anzulegen ist. Helga Hörz setzt sich in ihrer Beweisführung mit der Männerherrschaft auseinander und erinnert an August Bebel, Clara Zetkin und andere Vorkämpfer für Frauenrechte. Sie würdigt die Aktivistinnen der ersten Stunde und untersucht die "Frauenförderung durch Forderung in der DDR", die sie in eine Vorgeschichte und vier Etappen unterteilt. Der Spannungsbogen reicht von der Gegensätzlichkeit der Entwicklung im Osten und Westen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zum Wirken des Demokratischen Frauenbundes der DDR - des DFD. Die Abschnitte "Demokratischer Frauenbund (dfb)" und "Der Chor der fröhlichen Rentnerinnen" scheinen angehängt zu sein und lassen das zuvor prägnant gezeichnete Frauenbild etwas verblassen. Hervorzuheben ist hingegen, daß sich die Autorin auch um die Aufhellung des Wesens und der Erscheinungsformen des Feminismus bemüht. Überdies werden kulturell-philosophische Auseinandersetzungen in der DDR zu Frauenbildern und Gleichberechtigung nicht ausgespart. Im Buch kommen erfreulicherweise viele Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen und Verfasserinnen von Frauenliteratur zu Wort.

Allen Aussagen von Helga Hörz liegen die in der DDR erworbenen und gefestigten Erkenntnisse und Praktiken zugrunde, daß die Gleichberechtigung der Geschlechter durchaus realisierbar ist, wenn die entsprechenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Der heute öfter verwendete Terminus "Geschlechtergerechtigkeit" soll wohl Ähnliches ausdrücken. Im Berliner Koalitionsvertrag von SPD und Linkspartei werden Gleichstellung und Frauenförderung zur Verpflichtung aller politischen Bereiche erhoben: "Die Koalition wird (daher) mit aller Konsequenz für die geschlechtergerechte Verteilung von Arbeit und gesellschaftlichen Ressourcen, für die Selbstbestimmung und Achtung der Menschenrechte eintreten."

Was daraus geworden ist, wird sich spätestens bei den nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhaus herausstellen. Auf die gesellschaftlichen Voraussetzungen, die auch die Sozialisation beeinflussen, kommt es an. Sie dürften in diesem Falle wohl kaum gegeben sein.

Beklagenswert ist die Tatsache, daß die zu DDR-Zeiten bereits errungene Gleichstellung von Frau und Mann im östlichen Anschlußgebiet wieder rückgängig gemacht wird. Die Frauen zählen zu den Hauptverlierern der vielgepriesenen "Einheit" und werden - so sie einen Job haben - als minderbezahlte Arbeitskräfte diskriminiert.

Prof. Helga Hörz gehört selbst zu den "Abgewickelten". Aber ihre Lebensleistung als Ethikerin, Frauenrechtlerin und Mutter von drei Kindern hat Bestand. Was bleibt, sind "die durch das Leben in der DDR gewonnenen Erfahrungen der Menschen, ihre Wertorientierungen und dazu manche Verhaltensweisen, die das Alltagsleben bestimmen", schreibt sie. Die Hoffnung wächst, daß immer mehr Frauen Bündnispartner der Männer im politischen Kampf sein wollen und sein werden.

Siegfried Birkner, Berlin


Helga E. Hörz: Der lange Weg zur Gleichberechtigung. Die DDR und ihre Frauen.
trafo-Verlag, Berlin 2010, 262 S., 19,80 €

Raute

Archie und die wichtigen Dinge

Was sind die wirklich wichtigen Dinge im Leben?, fragt sich Archie manchmal. Im Interview mit einer bürgerlichen Zeitung sagte Dr. Arnold Stadler, Büchner-Preisträger und Romanautor, über die DDR: "Ich möchte endlich mal viel Geld haben, kein Sklave mehr der Banken sein. Ich glaube, ich wäre glücklich, wenn es keine Banken mehr geben würde oder nur noch eine staatliche. Das war das einzige, was mir an der DDR gefallen hat - sowie, daß es keine Katzenfuttermittelwerbung vor den Welt-Nachrichten gab. Täusche ich mich?"

Nein, keinesfalls, möchte Archie da hinzufügen, jedenfalls wäre das, was die Banker und die Banken mit der BRD und ihrer Regierung veranstalten, in der DDR nicht denkbar gewesen.

Und so hört man in Gesprächen mit politisch interessierten, linksorientierten, aufgeklärten Ur-BRD-Bürgern des öfteren den Satz: "Das war bei euch vernünftiger. Genau besehen war der Sozialismus oft das bessere Prinzip."

Nehmen wir die Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter. In der BRD sind Frauen ein Viertel weniger wert als Männer: Ihr durchschnittlicher Stundenlohn liegt um 23 % niedriger, dafür ist die Teilzeit-Arbeitsquote bedeutend höher. Im Sport werden die weiblichen Teilnehmer stets als Damen bezeichnet, aber in den Betrieben, wo auch immer, sind sie nur unterbezahlte Arbeitsbienen, die nach mehr als 30jähriger makelloser Betriebszugehörigkeit wegen ein paar Cent gekündigt werden können. In der BRD gibt es kein Arbeitsgesetzbuch. Auch eine Frau im Kanzleramt ändert daran nichts, vielleicht, weil die Industriebosse das Sagen haben und nicht die Chefin der Regierung.

Die wesentlichen Dinge im Leben, so meint Archie, sind Brot und Butter, ein fester Arbeitsplatz, auskömmlicher Lohn, bezahlbare Mieten, kostenlose Bildung samt Studienmaterialien, eine Medizin, die sich am Menschen orientiert, unentgeltliche Medikamente, die dringend gebraucht werden, Kultur, die für alle zugänglich ist. Die Liste ließe sich erweitern, nicht zu vergessen die Freiheit. Nein, nicht die des Kapitalismus, sagt Archie. Bei der fragt man sich, wem sie gehört und wem nicht. Mit dem Freiheitsbegriff wird viel Schindluder getrieben. Ist Freiheit eine Art Eigentum, für das man bezahlen muß? Ist die Freiheit, bei der ein Obdachloser im Winter den Kältetod stirbt, dennoch seine eigene Freiheit? Hat Freiheit ohne Gleichheit nicht einen äußerst relativen Wert? Wenn die Schere zwischen Arm und Reich wie in der BRD immer weiter auseinandergeht, wenn es keine Verteilungsgerechtigkeit gibt, dann erscheint der Freiheitsbegriff sinnentleert. Wo sind die Freiräume des "kleinen Mannes" in der Finanz-, Wirtschafts- und Welthungerkrise unserer Tage? Das Fernsehen der BRD, ob privat oder öffentlichrechtlich, gaukelt dem Betrachter ständig Möglichkeiten vor, die wie Schall und Rauch sind. Positives Denken, Sich-selbständig-machen, Auswandern von A bis Z, von Australien bis Zypern, Nischenerkundung für Profitmacherei, rät man an. Sind das die wichtigen Dinge für die Allgemeinheit in dem allzu kurzen Leben?

Bei Bertrand Russell fand Archie neulich die Worte: "Die moderne Menschheit hat zwei Arten von Moral: eine, die sie predigt, aber nicht anwendet, und eine andere, die sie anwendet, aber nicht predigt." Archie fällt nichts anderes dazu ein, als daß die Moral des Kapitals einzig und allein der Profit ist. Die wichtigen Dinge, welche die Menschheit wirklich angehen und auch die Natur einschließen, interessieren die Profitjäger überhaupt nicht. Die Masse der Menschen ist für die Herrschenden lediglich als Stimmvieh von Bedeutung und überdies höchstens noch als Steuerzahler. Schon Georg Büchner schrieb 1834 im "Hessischen Landboten": "Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag: Sie wohnen in schönen Häusern, tragen zierliche Kleider, haben feiste Gesichter und reden eine eigene Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker."

Im Prinzip hat sich daran nichts geändert. Büchner hätte das heute sicher schärfer formuliert und wäre gar als Kommunist verschrieen worden. Er mußte vor 176 Jahren wegen seiner revolutionären Flugschrift aus Deutschland fliehen.

An diesen Ausspruch Büchners muß Archie ständig denken, wenn er die selbstzufriedenen Gesichter in den diversen Talk-Shows des Fernsehens sieht und dem Dauergeplapper von Hans-Olaf Henkel oder Arnulf Baring und anderen Typen dieses Schlages zuhört, deren Argumente an Dürftigkeit kaum noch zu überbieten sind. Sie kennen nur einen Refrain, der da lautet, die BRD werde an ihren viel zu hohen Sozialausgaben zugrunde gehen. Andererseits sind sie wieder stolz auf das "deutsche Volk", um das uns die anderen Völker angeblich so beneiden. Allerdings ertragen sie dessen Geruch nicht und wissen nichts von seinen Bedürfnissen und den wirklich wichtigen Dingen, die im Leben der einfachen Menschen den Ausschlag geben. Wenn man die endlosen Diskussionen um Kinderarmut in der BRD, um Alleinerziehende, um Langzeitarbeitslose, um die Bildungsmisere, um die vielen jungen Leute, die ohne Abschluß die Schule verlassen, um die gegen Hartz-IV-Empfänger gerichteten Kürzungsvorhaben, um die Hilflosigkeit der "Job-Center", um Löhne, die keine sind, um die unbezahlten "Praktikanten", um die miesen Unternehmertricks gegenüber den Arbeitsuchenden am Bildschirm verfolgt, kann einem regelrecht übel werden. Kein Wunder also, wenn es immer mehr Leute gibt, die den Kapitalismus nicht für reformierbar halten und davon überzeugt sind, daß Kriege wie Krisen zum System gehören. Genügend Gründe also, es abzuschaffen, meint Archie.

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Auf meine Anfrage im RF vom August 2009 "Wer kennt Heinz Koch?" bekam ich einige wertvolle Hinweise. Dank dieser und der Hilfe zweier Gedenkstätten, der Stadt Sondershausen, des Büros von Dr. Gysi sowie zweier Hallenser "RotFüchse" wurde folgendes erreicht: Mein Vater ist rehabilitiert worden. Ich wurde als NS-Opfer anerkannt und entschädigt. Gemeinsam mit dem Justizminister des Landes Thüringen und der Bürgermeisterin durfte ich auf dem Ehrenhain des Hauptfriedhofes Sondershausen im Beisein von Presse und Fernsehen sowie der im Kreis vertretenen Parteien und Vereine einen Gedenkstein für meinen Vater anläßlich des 70. Jahrestages seiner Ermordung enthüllen. Der Stein trägt die Inschrift: "Zum Gedenken Heinz Koch, geboren am 16. Februar 1919 in Sondershausen-Bebra, aus der Wehrmacht nach Polen desertiert, im antifaschistischen Widerstand in Warschau am 20. September 1939 verhaftet, am 8. Mai 1940 in Berlin zum Tode verurteilt und am 15. Juni 1940 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Sondershausen, 15. Juni 2010"

Ich möchte mich hiermit bei allen Genossen, "RotFüchsen" und Freunden für ihre Hilfe recht herzlich bedanken.

Klaus Gödicke, Brettin


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Seit etwa einem Jahr bin ich begeisterter Leser des RF. Als erstes ziehe ich mir stets die Zuschriften zu Gemüte, da dort schon immer eine schöne Auswahl von konkreten und informativen Meinungen zu erfahren ist. Ich nehme an, daß unter den Lesern des RF viele aufgeschlossene Leute zu finden sind. Mein auf Begeisterung für Arbeiter- und Kampflieder beruhendes Anliegen ist es nämlich, eine kleine Singegruppe Gleichgesinnter ins Leben zu rufen, die vor allem auch mal in meinem Alter (22) sind. Es wäre doch gelacht, wenn sich im Großraum Berlin nicht ein paar Leute finden ließen, die dieses Interesse mit mir teilen und bereit sind, über solche Dinge bei netten Abenden miteinander zu reden. Wenn alles klappt, hätten wir bei RF-Veranstaltungen oder zu anderen Anlässen möglicherweise eine kleine Singe-Truppe an der Hand.

Felix Seitz, Berlin


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Der "RotFuchs" macht auf Réunion die Runde. Durch Gespräche und die Weitergabe von Heften gelangten diese auch zu Daniel Lallemand - einem eingesessenen Bürger der Insel und engagierten Kommunisten. Er spricht gut deutsch, das Lesen fällt ihm leichter als das Schreiben. Vor etwa 30 Jahren war er einige Zeit in der DDR. Als Lehrer hatte er in kapitalistischen Ländern wegen seiner politischen Einstellung Berufsverbot. Nun sandte er mir einen Brief. Er ist einverstanden, daß ich daraus kurz zitiere: "Ich bedanke mich für den 'RotFuchs', dessen Lektüre ich mit viel Interesse betreibe. Ich verstehe das Vorgehen der Genossen des RF, die kraftvoll im Detail und insgesamt die DDR verteidigen. Es ist völlig klar, daß dort nicht alles negativ war, auch wenn an so manchem Kritik zu üben ist. Der Westen aber macht alles schlecht. Mir scheint jedoch, daß die Analyse des RF bei der Bewertung des Zusammenbruchs etwas zu steril ist.

Er ereignete sich nicht brutal und global, sondern erfolgte eher schleichend und betraf den Euro-Sozialismus. Er erfolgte ohne nennenswerten Widerstand, ohne Blutvergießen und bei totaler Kapitulation der verantwortlichen Politiker. Im 'RotFuchs' wird das Geschehen natürlich nicht isoliert betrachtet.

Man wird niemals eine Erneuerung der kommunistischen Weltbewegung ohne eine sehr schmerzhafte schonungslose Selbstkritik der Rolle der Kommunisten 1989/90 und zuvor erreichen können."

Mir scheint, daß Daniels Bemerkungen die RF-Leser interessieren dürften. Ich grüße Euch herzlich

Marianne Hoffmann, Piton-Saint-Leu/La Réunion (Frankreich)


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Mit großem Interesse habe ich im Juni-Heft des RF den Artikel von Günter Bartsch zu Ursachen und Hintergründen des 17. Juni 1953 gelesen. Ich war gespannt, ob auch die Rolle der damals neuen sowjetischen Spitze bei ihrer Zusammenkunft mit der DDR-Führung am 2. Juni 1953 und der Veröffentlichungsbefehl Semjonows an Herrnstadt für das Kommuniqué vom 9. Juni Erwähnung finden würden. Es freute mich, daß dem so war.

Von Bedeutung ist die Wirkung des Kommuniqués auf die Genossen der westdeutschen KPD, die damals noch ihre Vertreter zu den Tagungen des ZK der SED entsandten. Max Reimann, Vorsitzender der KPD, erklärte auf der 15. Tagung (24.-26. Juli 1953) u. a.: "Man kann doch nicht unsere Aufgabe darin sehen, die Fehler der SED und der Regierung der DDR zum Hauptdiskussionspunkt in Presse, Rundfunk und bei Versammlungen zu machen. Deren Politik wurde verzerrt und in ein falsches Licht gerückt. ...

Indem wir unsere Fehler an die Spitze stellten, gaben wir den Provokateuren die Möglichkeit, die Arbeiter zu verwirren und sie zu Handlungen zu bewegen, die sie nicht wollten und die sich gegen sie selbst richteten."

Offenbar wußte Max Reimann zu diesem Zeitpunkt nichts von der Moskauer Vorgeschichte des Kommuniqués, auch nicht, daß seine Veröffentlichung gegen den Protest Otto Grotewohls, Walter Ulbrichts und Rudolf Herrnstadts von Semjonow diktiert worden war. Dennoch hat er den konterrevolutionären Inhalt dieses Diktats treffend charakterisiert.

Dr. Kurt Gossweiler, Berlin


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Schon als Kind erzog man mich zur Menschlichkeit. So wurde ich Kämpfer gegen Faschismus und Krieg. Als Angehöriger der Strafdivision 999 zerstörte ich die Waffe und desertierte. Zweimal entrann ich dem Tode. Niemals hätte ich Wulff oder Gauck wählen können. Beide wollen die Fortsetzung des Krieges in Afghanistan. Dort, wo auch Frauen und Kinder durch NATO-Soldaten getötet werden. Ich bin ein ganz einfacher Kommunist und stehe im 95. Lebensjahr.

Kurt Neukirchner, Burkhardtsdorf/OT Kemtau


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Ich bin froh, daß der Exorzist und Großinquisitor Gauck nicht BRD-Präsident wurde. Seine Hetze gegen alles, was mal DDR war, die unterschiedslose Verfolgung schuldloser Menschen und Gaucks unerträgliche Rechthaberei hätten bei seiner Wahl auch noch höchste präsidiale Weihen erhalten. Ein Wulff ist mir da lieber als ein Wolf im Schafspelz.

Gefreut habe ich mich über das Verhalten der Wahlmänner/-frauen der Linkspartei. Sie erreichten durch ihr taktisch kluges Handeln alle gesteckten Ziele: Die Regierung Merkel/Westerwelle wurde wegen ihrer volksfeindlichen Politik in der Bundesversammlung mit gütiger Unterstützung der Abweichler aus CDU und FDP vorgeführt, die Linkspartei bewies Stärke und bestimmte am Ende sogar die Dauer der Veranstaltung. Es zeigte sich, daß wichtige politische Fragen in der BRD nicht mehr ohne oder gegen sie gelöst werden können.

Werner Richter, Gotha


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Die Wahl in das formell höchste Amt der BRD wurde wie ein Ausverkauf gehandhabt. Ob Gauck oder Wulff - was die Klassenposition betrifft, ist der Unterschied nicht allzu groß. Aber bei dem, was Gauck von sich gab, konnte einen schon die Wut packen. Er drückte gewaltig auf die Tränendrüse, als er erzählte, seinen Vater habe er erst als 15jähriger zurückbekommen. Wie viele Kriegswaisen hatten nicht mal so viel Glück.

Wie dem auch sei - in der verhaßten und verteufelten DDR mußte Joachim Gauck sogar Theologie studieren. Er wurde wie so viele andere, die heute von ihrer Diskriminierung berichten, zugelassen. Sicher gab es zu DDR-Zeiten ungerechte Entscheidungen wie in jedem anderen Staat, die BRD nicht ausgenommen. Ist die DDR deshalb etwa ein Unrechtsstaat gewesen? Während Rechtswissenschaftler und Politologen den Begriff als völlig irrelevant bezeichnen, sprüht unser Gottesmann Gift und Galle. Dabei redet er wie der Blinde von der Farbe.

Marianne Wuschko, Hoyerswerda


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Bei der Wahl des Bundespräsidenten habe ich deutliche Demokratiedefizite erkennen können. Erstens sollte ein solcher Amtsträger direkt vom Volk gewählt werden. Demokratisch zu verfahren heißt auch, daß Abgeordnete den Kandidaten einer anderen Partei nicht unterstützen müssen, wenn sie Vorbehalte gegen ihn haben. Spitzenpolitiker von SPD und Grünen wollten die Abgeordneten der Linkspartei moralisch unter Druck setzen und entfachten eine zügellose Verleumdungskampagne, als sich deren Teilnehmer an der Bundesversammlung anders entschieden, als es Gabriel, Schulz & Co. von ihnen erwarteten.

Jürgen Förster, Dresden


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Nun, Gauck hat es nicht geschafft, und da ertönt von der SPD der Vorwurf, die Linkspartei hätte wesentlichen Anteil daran. Gabriel versteigt sich sogar zu der Behauptung, Die Linke habe ihr SED- und "Stasi"-Image noch immer nicht aufgegeben. Es sind die Worte einer Partei, die das Hartz-IV-Verbrechen zu verantworten hat. 20 Jahre medialer Antikommunismus, Entmenschlichung und Entsolidarisierung einer ganzen Gesellschaft, die daran nicht nur sozial, sondern auch ökonomisch zerbrochen ist, gehen auf ihr Konto. Taktisch hat sich Gabriel, der wohl schon längst die Bodenhaftung verloren hat und den Frust seiner Fehlentscheidung jetzt an den Linken ausläßt, verrechnet. Da wäre es wohl angebracht, er zöge endlich seinen abgetragenen Mantel des Antikommunismus aus. Gratulieren kann man der Linkspartei zu der Konsequenz, einen Hexenjäger nicht zum Bundespräsidenten gewählt und der sozialdemokratischen Erpressung standgehalten zu haben.

Jochen Singer, Leipzig


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Den August-"RotFuchs" finde ich sehr informativ und gelungen. Danke. Allerdings habe ich auch eine solidarische Kritik. Warum geht Ihr/gehen wir nicht auf die verbrecherischen atomaren Angriffe der USA auf Hiroshima und Nagasaki ein? Wir wissen Bescheid, aber auch unsere Nachkommen müssen im Bilde sein.

Falk Moldenhauer, Bochum

Bemerkung der Redaktion: Dank für die Kritik. Im Oktober-RF erscheint Klaus Steinigers Fotoreportage "Die Kinder von Hiroshima".


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Dem Beitrag von Norbert Podewin über Albert Nordens "Braunbuch"-Premiere kann ich nur zustimmen. Ich arbeitete seinerzeit sehr eng mit Albert Norden zusammen. Das Buch überzeugte nicht nur durch seine Sachlichkeit, sondern vor allem auch durch seine Korrektheit, da sich trotz aller Angriffe erwies, daß es nur ganz wenige Fehler gab. Die festgestellten Tatsachen waren insgesamt unwiderlegbar und bewiesen, daß das braune Gesindel nach Gründung der BRD sofort auf allen Ebenen integriert wurde. Bonn behielt nicht nur das Feindbild des Antikommunismus bei, sondern offenbarte auch eine spürbare Unlust bei der Verfolgung von Naziverbrechen. Die heutige Geschichtswissenschaft versucht, die damaligen DDR-Veröffentlichungen als "Kampagnen gegen Bonn" abzuqualifizieren. Es ging aber vor allem darum, demokratische Kräfte in aller Welt zu alarmieren und ihnen vor Augen zu führen, daß an den Schalthebeln der Macht in der BRD Personen saßen, die Mitverantwortung für Hitlers Raubkrieg oder die nazistischen Untaten trugen. Globke war hier zweifellos eine Schlüsselfigur. Friedrich Karl Kaul hatte bereits als Beobachter beim Eichmann-Prozeß darauf hingewiesen, daß ein Gehilfe Eichmanns inzwischen als Adenauers Staatssekretär tätig sei. Der damalige Bundespräsident Karl Carstens entlarvte sich selbst, als er 1980 das Geleitwort für eine Globke-Würdigung verfaßte.

RA Ralph Dobrawa, Gotha


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Dem gesamten Kollektiv des RF herzlichste Glückwünsche zur 150. Ausgabe. Es gibt nichts Schöneres, als einmal im Monat etwas Revolutionäres als Lektüre zu erhalten.

Der Alltag im Staat BRD ist für uns ehemalige DDR-Bürger eine einzige Zumutung. Bei Euch habe ich einen Teil meiner Heimat DDR wiedergefunden. Habt herzlichen Dank dafür. Ich freue mich schon auf die nächsten 150 Ausgaben.

Kurt Gutschmidt, Berlin


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Die Herausbildung neuer Polizei- und Rechtspflegeorgane war in der Sowjetischen Besatzungszone ein komplizierter, aber einheitlicher Prozeß. Mit der feierlichen Einführung des Magistrats der Stadt Berlin am 19. Mai 1945 durch den Stadtkommandanten Generaloberst N. E. Bersarin wurden die bereits im Tagesbefehl Nr. 5 des Kriegsrates der Ersten Belorussischen Front festgelegten Maßnahmen, noch während der Kampfhandlungen Militärkommandanten und Bürgermeister einzusetzen, verwirklicht. Es galt von Anfang an durch Schaffung örtlicher deutscher Zivilverwaltungsorgane eine Normalisierung des Lebens herbeizuführen. Dazu gehörte auch die Bildung von Operativ- bzw. Ordnungsgruppen, die den Grundstock neuer Polizeiorgane bildeten. Schon am 20. Mai 1945 nahm das Polizeipräsidium Berlin seine Tätigkeit auf. Zur Neuaufstellung der Polizei hob der gerade berufene Polizeipräsident, Oberst Paul Markgraf, Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland, hervor, daß sich alle Zweige der Polizei durchaus bewußt seien, ihre Aufgaben im Sinne einer wahren Volkspolizei zu lösen. Im Befehl Nr. 3 vom 25. Mai 1945 wurde der Selbstverwaltung der Stadt Berlin vom Kommando der Roten Armee erlaubt, die Stadtpolizei, das Gericht und die Staatsanwaltschaft zu organisieren. Es wurde bestimmt, daß die Einkleidung der Schutzpolizei unter Zugrundelegung der bis 1933 im Dienstgebrauch befindlichen Uniformen zu erfolgen hatte. An die Bevölkerung erging der Appell, die Organe der Berliner Selbstverwaltung und die ihre Dienstpflichten erfüllenden Angehörigen der Roten Armee zu unterstützen.

Major der VP a. D. Heinrich Jendro, Berlin


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Im RF Nr. 150 äußert sich Mario Kettler, Reichenbach zu einem ND-Leserbrief von mir.

Erstens unterstellt er mir, daß ich "dem Grundanliegen des Buches von Sahra Wagenknecht widersprechen will". Das ist nicht so. Ich widerspreche lediglich dem Titel dieses Buches, weil in einer derartigen Verkürzung eine ähnliche These verabsolutiert werden kann wie das Merkmal des Imperialismus. Lenin hatte es vor fast 100 Jahren etwa so formuliert: Imperialismus ist ... sterbender Kapitalismus. Dagegen wende ich ein, daß der Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium in etwa 100 Jahren nicht gestorben ist; außerdem - wenn man eine derartige These (und das ist schon vorgekommen) zu einem objektiven Gesetz deklariert -, dann braucht man sich ja nur "hinzusetzen" und auf diesen Tod zu warten. So fördert man nicht das aktive antikapitalistische Verhalten.

Zweitens möchte ich anmerken, daß ich nicht unterstellt habe, die Fortschritte des Kapitalismus in den letzten hundert Jahren seien sozialen Motiven geschuldet. Es ist das Profitmotiv, das diese Fortschritte bewirkt hat.

Drittens halte ich die an mich gerichtete Frage für absurd, ob ich (Prof. Trost) wirklich der Ansicht sei, "daß das derzeitige Stadium des Kapitalismus noch 100 Jahre dauern könne". Das steht weder in dem Leserbrief noch habe ich das anderen Ortes geäußert. Was aber meine Position zum Leninismus als politischem System und zu Lenins inhaltlichen Leistungen betrifft, habe ich mich ausführlicher in der Programmdebatte der "Linken" geäußert (vgl. www.die-linke.de/Programm/Programmdebatte/Wortmeldungen).

Prof. Dr. sc. oec. Hans-Georg Trost, Zittau


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Im RF Nr. 150 fragt Frank Schumann, warum ich in meinem Artikel über Dr. Alexander das entsprechende Buch Dr. Wiebens nicht erwähnt hätte. Dort sind dessen Äußerungen angeführt, ohne die Quelle zu nennen. Das ist durchaus zu beanstanden, und dafür bin ich auch von Dr. Wieben schon kritisiert worden. Im übrigen habe ich auf diese Weise erfahren, daß er länger als ich Leser des RF ist.

Als mecklenburgischer Heimatforscher betrachte ich Boizenburg seit Jahrzehnten als meine Lieblingsstadt im Altkreis Hagenow, weil sie ein Zentrum der Arbeiterklasse war. Meine erste Veröffentlichung als Schrift mit festem Einband stammt aus dem Jahre 1967 ("Ein Tagebuch spricht für sich"). Im März und im Mai 1975 lieferte ich Boizenburg eine umfangreiche Konzeption zur Erarbeitung seiner städtischen Geschichte. Für mich war der Vorläufer des Dr.-Wieben-Buches eine zu DDR-Zeiten in Boizenburg abgehaltene Konferenz über Leben und Werk Dr. Alexanders. Nach Einverleibung der DDR durch die BRD habe ich das Konferenzprotokoll ebensowenig vernichtet wie die diesbezüglichen Zeitungsartikel.

Es würde sich lohnen, im RF darüber zu berichten, warum die Boizenburger Kommunisten den Gedenkstein für Dr. Alexander wegschaffen ließen und wie dessen Pflege jetzt aussieht.

Siegfried Spantig, Hagenow


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Unlängst entdeckte ich in der Arnstädter Rosenstraße ein "Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewalt 1945-1989". Sicher ist es nichts Außergewöhnliches, daß hierzulande und heutzutage gegen die DDR, gegen Sozialisten und Kommunisten gehetzt wird. Aber daß die Arnstädter Bürger das so einfach hinnehmen, wie hier auf ihr Lebenswerk gespuckt wird, fand ich erschreckend. Mir stellte sich unwillkürlich die Frage, ob es nicht angebrachter wäre, 1,5 Mill. Mahnmale für die etwa 1,5 Millionen armen Kinder dieses Landes - Opfer kapitalistischer Politik in der BRD - aufzustellen. Mit den Beträgen, die von "der Politik" zum Systemerhalt in die Banken gepumpt werden, könnten nicht nur deutsche Kinder vor Armut bewahrt, sondern auch Kinder anderer Länder vor dem Verhungern gerettet werden. Mir ist einfach nur noch übel in diesem Land!

Karsten Tittel, Rudolstadt


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Im Artikel "Juden in der DDR" (RF 150) steht folgender Satz: "Charakteristisch war, daß es in der DDR nur ein Kriterium dafür gab, wen man als Juden betrachtete. Man rechnete dazu lediglich die Mitglieder der Jüdischen Religionsgemeinschaft. Alle anderen waren wie die übrigen Menschen Bürger der Deutschen Demokratischen Republik."

Mir geht es um den letzten Satz: "Alle anderen ..." Dieser Satz ist bereits von der Logik her fragwürdig und hätte gestrichen werden müssen. Ein Ersatz etwa in folgender Art wäre jedoch denkbar: Auch diese Mitglieder waren selbstverständlich Staatsbürger der DDR mit allen verfassungsmäßig verbrieften Rechten und Pflichten. Was aber wird im RF-Text mit "Alle anderen" suggeriert? Nicht weniger, als daß Mitglieder der Jüdischen Religionsgemeinschaft keine DDR-Staatsbürger waren. Und genau dies ist angesichts des mit besonderer Sensibilität zu behandelnden Themas nach meiner Auffassung Ausdruck gravierenden redaktionellen Versagens.

Dieter Hornung, Berlin

Bemerkung der Redaktion: D. H. ist im Recht. Wir entschuldigen uns.


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Bestätigen möchte ich die Feststellung von Brigitte Rothert-Tucholsky im RF Nr. 150: "Dabei spielte die Tatsache, ob jemand zur Jüdischen Religionsgemeinschaft gehörte oder nicht, keine Rolle." In der NVA der DDR diente ich gemeinsam mit Oberst Horst Witt im Militärbezirk Neubrandenburg. Er war ein sehr geachteter Politoffizier. Eines Tages fragte er mich, ob ich eigentlich wüßte, daß er Jude sei. Ich wußte es nicht, und es war für mich nicht relevant. Uns einte der gemeinsame Wille, dem Frieden und dem Sozialismus zu dienen. Sicher gab es noch andere jüdische Genossen in der NVA, was aber in unserem Dienst keine Rolle spielte.

Generalmajor a. D. Heinz Bilan, Leipzig


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Einige Bemerkungen zum Beitrag "Als Wutzke zuschlug" (RF Nr. 150):

11. Juni 1974. Wir Fernstudenten der Sektion Deutsch-Russisch an der Pädagogischen Hochschule "Lieselotte Herrmann" in Güstrow erhalten unsere Abschlußurkunden. Damit sind wir Diplomlehrer für Deutsche Sprache und Literatur. Ich bin glücklich. Hätten sich das meine Großeltern, Tagelöhner auf einem Gut in Ostpreußen, je träumen lassen? Und können es meine Eltern - Verkäuferin und Kraftfahrer - überhaupt fassen, daß ihr "Mädchen" es tatsächlich geschafft hat?

Zu den "Mühen der Ebenen" gehörte: Neben dem Lehrerberuf, der Familie, der ehrenamtlichen Pionierleitertätigkeit auch noch neun Semester Fernstudium zu bewältigen. Das Lehrangebot der PH Güstrow war ausgezeichnet. In den folgenden Schuljahren unterrichtete ich zumeist in den Klassen 8-10: Goethes "Faust", Schillers "Kabale und Liebe", ihre Balladen, Heines "Wintermärchen", Friedrich Wolfs "Professor Mamlock", Scholochows "Ein Menschenschicksal". Hinzu kamen vielfältige Übungen in Rechtschreibung/Grammatik und Ausdruck. Das Bestehen der Pädagogischen Hochschule Güstrow war ein Segen für die Bildung der Schüler vor allem in den drei Nordbezirken. Sie trug dazu bei, daß im Lese-Land DDR ein gebildetes Volk heranwuchs. Solche Menschen durchschauen das Wirken des Kapitalismus. Darum mußte Herr Wutzke zuschlagen, darum wurde die PH abgewickelt.

Heute nimmt das Land M-V in puncto Bildung bei Vergleichen einen der hinteren Plätze ein, wissen sogar Abiturienten nichts mehr über die Klassiker der deutschen Literatur. Da wünschen sich viele ehemalige Schüler, jetzt Eltern und Großeltern, das Bildungssystem der DDR zurück.

Ingrid Glow, Demmin


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Mit großem Interesse habe ich den Beitrag von Heinz Schwarz "Sindermann macht's möglich" im RF Nr. 150 gelesen. Auch ich hatte in den Jahren 1951/52 die Möglichkeit, Horst Sindermann in der täglichen Arbeit kennenzulernen. Für mich als jungen redaktionellen Mitarbeiter der Landeszeitung "Freiheit" in Halle und später als Kreisredakteur in Torgau waren die Anregungen und die in Redaktionssitzungen erteilten Hinweise des Chefredakteurs immer eine Fundgrube für unsere Arbeit. "Beginnt Eure Artikel nicht im Urschleim, schreibt zum Thema", sagte uns Horst Sindermann. Worte, die ich auch heute noch beherzige, wenn ich unser Informationsblatt "Der Sport-Senior" redigiere.

Erhard Richter, Berlin


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Wieder einmal hat mich Euer, eigentlich unser "RotFuchs", von der ersten Seite an gefesselt. Im Artikel "Leipzigs früherer Kripo-Chef ­..." ist der Redaktion jedoch ein Schreibfehler unterlaufen. Der dort zitierte Professor der Kriminalistik Hans Giros heißt richtigerweise Hans Girod. Als Fernstudent hatte ich das Glück, mir unter seiner Federführung an der Sektion Kriminalistik der Humboldt-Universität Wissen anzueignen. Prof. Dr. Hans Girod ist unterdessen auch als Autor anspruchsvoller Kriminalliteratur bekannt geworden.

Klaus-Peter Breinig, Halle/S.


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In den letzten Tagen habe ich mich an Gedanken von Friedrich Engels erinnert. In der Einleitung zur "Dialektik der Natur" schreibt er: "Indes, alles was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht. Millionen Jahre mögen darüber vergehn, Hunderttausende von Geschlechtern geboren werden und sterben ... Es ist ein ewiger Kreislauf, in dem sich die Materie bewegt, ein Kreislauf, der seine Bahn wohl erst in Zeiträumen vollendet, für die unser Erdenjahr kein ausreichender Zeitraum mehr ist ..." Man kann diesen Artikel immer wieder lesen, diese verflixte Dialektik der Natur zeigt uns, wie Engels es beschreibt, das Entstehen, Werden und Vergehen von Natur, Erde und Gesellschaft.

Grundkenntnisse des von Marx und Engels entwickelten dialektischen Materialismus sind auch heute modern und für eine objektive und realistische Betrachtung der Welt unerläßlich.

Wenn Sozialisten, Kommunisten und andere Linke den Lauf der Dinge im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts ändern wollen, können sie das nur gemeinsam. Mit klein, klein und jeder macht seins ist dem Monster Finanz- und Industriekapital nicht beizukommen.

Siegfried Claußnitzer, Kremmen/Hohenbruch


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Beim Lesen eines Berichts von Ilona Schleicher über den Vietnam-Solidaritätsausschuß der DDR im ND wurde mir erneut bewußt, was wir alles verloren haben. Die Solidaritätsbewegung für das tapfere vietnamesische Volk war nicht gegen die herrschende Macht in der DDR gerichtet, sondern entstand mit ihrer Unterstützung. Gegen menschenverachtende Regimes zu demonstrieren, war nicht wie in der BRD mit der Angst verbunden, niedergeknüppelt oder erschossen zu werden. Unser Staat unterstützte Befreiungsbewegungen in aller Welt, und wir waren mit Recht stolz darauf.

Die DDR bestärkte ihre Schüler und Jungen Pioniere in der großen Kampagne für die Rettung von Angela Davis. Angela hat all das nicht vergessen, wie sie bei ihrem Besuch im Juni einmal mehr bekräftigte. Auch Menschen in Chile und Südafrika wissen, wer ihre Freunde in schwerer Zeit waren. Um so verlogener war der Empfang Nelson Mandelas in der BRD, weiß doch jeder, in welchem Maße deren herrschende Klasse von der Apartheid profitiert hat.

Konstantin Brandt, Berlin


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Alljährlich wird in der BRD am 20. Juli des Obersten im Generalstab Claus Schenk Graf von Stauffenberg gedacht. Man bezeichnet ihn als Märtyrer des Widerstandes gegen den Faschismus. Das war Stauffenberg indes mit Sicherheit nicht. Noch während des Polen-Feldzugs schrieb er an seine Frau: "Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohl fühlt." Als Stabschef des Ersatzheeres hat Stauffenberg dann offenbar neue Erkenntnisse gewonnen. Judenvernichtung, Zwangsdeportationen und ähnliche Maßnahmen ließen ihn vermutlich zum Gegner Hitlers werden. Stauffenberg hat aber das System und den faschistischen Krieg nie in Frage gestellt. Sein mutiges Attentat verdient höchste Anerkennung, es hat aber aus dem Attentäter noch keinen Antifaschisten gemacht. Stauffenberg und seine Mitverschwörer glaubten nach wie vor, den Krieg gewinnen zu müssen, gingen aber davon aus, daß das mit Hitler nicht möglich sei.

Antifaschistische Kämpfer wie Thälmann, Breitscheid und ihresgleichen waren da von ganz anderem Kaliber. Ihnen zu Ehren gibt es allerdings in der BRD keine Gedenkappelle mit militärischem Zeremoniell.

Wilfried Steinfath, Berlin


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Vielleicht ist über Walter Ruges Wahlartikel schon genug diskutiert worden. Ich möchte dennoch meine Meinung dazu sagen. Den Satz "Wenn Wahlen etwas änderten, wären sie längst verboten" halte ich in dieser Absolutheit nicht für richtig. Man muß über Deutschland hinausblicken. In Chile, Venezuela und Bolivien haben Wahlen zu entscheidenden Veränderungen geführt. Daß es den USA in Chile mit Hilfe der einheimischen Ausbeuterklasse gelang, die demokratisch gewählte Allende-Regierung mit Gewalt zu stürzen, ist bekannt. Es ist nicht auszuschließen, daß auch in Venezuela und Bolivien die progressive, auf Wahlen gestützte Entwicklung wieder rückgängig gemacht werden könnte. Hoffentlich wird das nicht durch eigene Fehler der Revolutionäre begünstigt.

Der von Dr. Peter Fisch erwähnte Erfolg der KPD bei den Novemberwahlen 1932 mit fast sechs Millionen Stimmen führte dazu, daß weitere Kreise des deutschen Finanzkapitals, die vorher noch andere Optionen hatten, auf die NSDAP einschwenkten. Diese Partei war zwar immer noch die wählerstärkste, büßte damals aber zwei Millionen Stimmen ein, was erkennen ließ, daß ihre Massenbasis zu bröckeln begann.

Die russische und die kubanische Revolution siegten durch bewaffnete Aufstände. An deren Berechtigung gibt es für mich auch heute keinen Zweifel. Für die BRD und andere westeuropäische Länder ist dieser Weg derzeit ausgeschlossen. Hier geht es langfristig um die Gewinnung von Mehrheiten.

P. S.: Walter Ruge würdigt zu Recht Gustav Adolf Schur. Aber Olympiasieger ist er nie gewesen. Erst seinem Sohn gelang es 1988 beim Mannschaftsfahren, "an seinem Alten vorbeizusegeln".

Dr. Kurt Laser, Berlin


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Auch diesmal war der RF für mich wieder eine sehr gute Quelle für den Wissenserwerb. Es fällt nicht leicht, eine Wertung zu treffen, wenn man nach dem besten Beitrag gefragt wird. Die übergroße Mehrzahl der Artikel war interessant, manche habe ich kopiert und meinem Archiv hinzugefügt.

Die sehr lehrreiche kurze Form des "Abc des Marxismus" sollte beibehalten werden. So prägnant habe ich zum Thema Mehrwert noch nirgendwo etwas gefunden.

Beim Transparent auf Seite 27 konnte ich im Internet den ersten Vornamen des Autors leider nicht lesen. Ich möchte es gelegentlich verwenden, natürlich mit exakter Quellenangabe. Kann mir geholfen werden?

Dipl.-Ing. Bernd Graupner, Pritzwalk

Bemerkung der Redaktion: Der Sänger und Songwriter heißt Franz Josef Degenhardt.


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Es ist bedauerlich, daß das "Abc des Marxismus" ohne Angabe eines Autors erscheint. Der Beitrag "Wie entsteht eigentlich Mehrwert?" (RF 150) verharrt im Jahre 2010 nach meiner Meinung auf dem Überlegungsstand von 1847. Das ist vielleicht Marxismus, aber nicht marxistisch.

Die Aussage "Im Kapitalismus schließt der produktiv Tätige mit dem Ausbeuter einen Vertrag ..." ist - auch nach Ansicht des anonymen Autors - falsch. Warum formuliert er nicht, was er für "real" hält? Für wahr halte ich: Im Kapitalismus schließt der Eigentümer von Produktionsmitteln und geschäftlichen Verbindungen mit Personen, die ihre Arbeitskraft und technisches Know-how einbringen, einen Dienstvertrag.

Die Aussage "Mehrwert entsteht ursächlich nicht durch Handel" ist nicht falsch. Die Verknüpfung von Produktion und Handel bei der Realisierung des Mehrwerts darf dennoch nicht unter den Tisch fallen.

Die Aussage "Es gibt auf dem kapitalistischen Markt nur eine Mehrwert produzierende Ware: Das ist die Arbeitskraft" ist ein Mantra aus der Hammer-Sichel- und -Schweiß-Zeit. Die Rolle diverser Know-how-Einbringer in den Produktionsund Reproduktionsprozeß wird nicht dargestellt. Die Aussage "Die Kapitalisten sind ... gezwungen, menschliche Arbeit mehr und mehr durch Maschinen zu ersetzen. So wird die Arbeitsproduktivität gesteigert" scheint mir ebenfalls eine antiquierte Vereinfachung zu sein.

Heutzutage werden vielerlei "Maschinen" fabriziert, verkauft und eingesetzt, die nichts mit der Steigerung irgendeiner Arbeitsproduktivität zu tun haben. Und unglaubliche Menschenmassen schuften in der Dritten Welt mit einfachster Technik, um den globalen Kapitalisten ihr Mehrwertchen zu bringen.

Dr. Hermann Wollner, Berlin


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Im vergangenen Monat traf ich zu meiner Freude in der "RotFuchs"-Regionalgruppe Neubrandenburg meinen Patienten der 60er Jahre wieder: Generaloberst a. D. Horst Stechbarth. Ich würde mich freuen, wenn mehr solcher kompetenter Zeitzeugen den Weg auch zu uns in den Norden fänden.

Dr. Gerd Machalet, Siedenbollentin


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Ich finde es richtig und notwendig, daß sich der RF oft und gründlich mit unserer Geschichte befaßt. Zweifelsohne war die Gesellschaftsordnung der DDR bei allen Defiziten und Ungereimtheiten, die beste, die es je auf deutschem Boden gegeben hat. Überdies bedeutet die erlittene Niederlage beim Aufbau einer ausbeutungsfreien sozialistischen Gesellschaft keinesfalls den Endsieg ihrer Gegner.

Die Aufgabe der älteren Generationen ist es, die Gründe des Debakels von 1989/90 nüchtern zu analysieren, um nachfolgenden Generationen eine möglichst exakte Einschätzung zu hinterlassen. In diesem Sinne stimme ich dem Artikel von Günter Glante über die "Massenpartei" in der Juli-Ausgabe rückhaltlos zu. Der Schaden dieser Orientierung ist dort eindeutig definiert. Übrigens haben weder Marx noch Lenin jemals von einer "führenden Massenpartei" in einem nichtkapitalistischen Staat gesprochen.

Kaum jemand wird bestreiten, daß unser Land - territorial klein und anfangs ökonomisch sehr schwach sowie mit einem auf seine Vernichtung bedachten Feind konfrontiert - im Alleingang nie den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft hätte schaffen können. Auch eine eigenständige Verteidigung wäre wohl kaum zu bewältigen gewesen. So nahmen wir neben Richtigem auch weniger Richtiges in unseren Bestand an gemeinsamen "Erfahrungen" auf.

Dr.-Ing. Peter Tichauer, Berlin


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Heute ist allenthalben von sozialer Gerechtigkeit die Rede. Jeder gibt subjektiv zum besten, was er darunter versteht. Aber es gibt natürlich objektive Kriterien. Die Linke fordert sie ein, und die Rechte will vorspiegeln, sie sei auch ihr ein Anliegen. Der Begriff wird oft sinnentleert verwendet. Man muß nur die richtigen Fragen aufwerfen, z. B.:

Ist es gerecht, wenn ein Unternehmer 30 Millionen Euro veruntreut, dafür eine Million Euro Strafe zahlt, und alles hat sich erledigt, während ein kleiner Ladendieb mit einer für ihn empfindlichen Geldstrafe belegt wird oder gar ohne Bewährung in den Knast geht?

Ist es gerecht, wenn ein Abgeordneter, der nur eine vierjährige Legislaturperiode im Amt war, dafür 1400 Euro Rente bezieht, während ein Arbeiter, der 45 Jahre geschuftet hat, nicht mehr als 850 Euro zur Alterssicherung erhält?

Ist es gerecht, daß ein Fußballspieler der Bundesliga im Jahr bis zu fünf Millionen Euro bekommt oder, falls er Spiel für Spiel auf der Reservebank sitzt, dennoch sein hohes Monatsgehalt bezieht, während die kleinen Clubs kaum Geld zum Erhalt ihrer Sportanlagen haben?

Ist es gerecht, daß ein Neonazi in einem Landesparlament hohe Diäten erhält, während Leute, die auf der Straße für Demokratie und Frieden eintreten, ständiger Gewalt durch die Polizei ausgesetzt sind?

Ist es gerecht, daß Millionen Kinder in der Welt hungern und verhungern, während man andererseits riesige Mengen an Lebensmitteln täglich vernichtet oder deren Produktion verhindert, um die Preise in die Höhe zu treiben?

Ist es gerecht, daß sich eine reiche Oberschicht die beste Medizin kaufen kann und eine Top-Behandlung erfährt, während ein großer Teil der Bevölkerung kaum die 10 Euro aufzubringen vermag, um die Gebühr beim Praxisbesuch zu begleichen?

Und schließlich: Ist es gerecht, daß die Rentner im Westen 100 % und die Rentner im Osten - 20 Jahre nach dem Anschluß der DDR an die BRD - lediglich 89 % der gesetzlichen Bezüge erhalten?

Dr. Hans Rost, Bautzen

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Quelle:
RotFuchs Nr. 152, 13. Jahrgang, September 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2010