Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

ROTFUCHS/108: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 154 - November 2010


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

13. Jahrgang, Nr. 154, November 2010



Inhalt
Das verkaufte Lachen
Kritik der Kritik
Imperialistische Handelsbarrieren gegen die DDR
"junge Welt"-Interview mit Patrick Köbele
Abzuwägendes oder Abwegiges?
Entzauberung von Mythen
Im Geist der Volksmarinedivision
Über einen Cottbusser ND-Journalisten, der kein Chamäleon sein wollte
Eine feine Gesellschaft
Zirkus Sarrazini
Ein Mann des Glaubens und der Erkenntnis: Hanfried Müller
Arbeitergeneral Walter Breitfeld
Hünfelder Knast macht Schule
Vor dem Essen, nach dem Essen
Leipzig: Von der "Heldenstadt" zur Armuts-Metropole
Abc des Marxismus: Kapital
Vietnamesen in Berlin-Lichtenberg
Ein ehrenhafter Rausschmiß
RF-Extra Herbert Mies: "Konsultation" vor der Kapitulation
RF-Extra Frankreichs Kommunisten im Wandel der Zeiten
Bericht aus Kabul: Afghanen sind Freiwild
Nahost-"Friedensverhandlungen": Eine gigantische Irreführung
"König der Solidarität"
Wieder unter Hammer und Sichel
Präsidentenwechsel in Kolumbien
Die Legion Étrangère: Helden und Henker
China: Bahnbauer als Bahnbrecher
Erbitterte Klassenkämpfe in Südafrika
Luxus in der DDR: Gesprächsrunde von Peter Hacks
Erhart Ellers tragische Grotesken
Literarischer Verteidiger der Ruhr-Proleten: Kurt Kläber
Rudi Kurz: Der Fan
Ein Autor, der Millionen Leser gewann
Archie über Butler und Bettler
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Gedanken zu einem Stoßseufzer

Für alle hörbar brach Gregor Gysi zu Sommerbeginn in den Stoßseufzer aus: "Wenn die SPD doch wenigstens wieder sozialdemokratisch wäre!" Er hatte wohl die Tatsache im Auge, daß die einstmals unter August Bebel - einem marxistischen Arbeiterführer von außergewöhnlichem Kaliber - in die Klassenschlacht gezogene SPD über Etappen zu einer gewöhnlichen bürgerlichen Partei mit glanz- und profillosem Spitzenpersonal entartet ist. Daran war Gerhard Schröder - längst ein Mann der Monopole - ganz maßgeblich beteiligt. Oder hatte der durch unzählige Talkshows und Parlamentsreden als Meister geschliffener Rhetorik ohne ideologischen Schliff hervorgetretene PDL-Fraktionsvorsitzende mit seinem Ruf nach mehr Sozialdemokratie etwas ganz anderes gemeint? Wollte er vielleicht den Eindruck erwecken, wieder "sozialdemokratisch" zu sein, wäre etwas Rühmliches? Gysi ging zwar nicht so weit wie Lothar Bisky, der in einer Aufwallung von Offenbarungsbereitschaft davon gesprochen hatte, er halte "eines Tages" sogar den Zusammenschluß von PDL und SPD für denkbar. Das wäre dann gewissermaßen - als Kontrastprogramm zur SED-Gründung im April 1946, die auf marxistischer Basis erfolgte - ein "Vereinigungsparteitag" entgegengesetzter Art. So löst der Wunsch nach mehr Sozialdemokratie oder - besser gesagt - mehr Sozialdemokratismus der SPD beim Leser vermutlich gemischte Gefühle aus.

Zunächst soll hier betont sein, daß wir Hochachtung vor jenen Sozialdemokraten empfinden, die sich für die Verteidigung der grundgesetzgemäßen Ordnung engagieren und dem Ansturm des rechtskonservativ-faschistoiden Lagers Widerstand entgegensetzen. Mit ihnen und den SPD-nahen Gewerkschaftern haben wir viele Gemeinsamkeiten, streben wir die Aktionseinheit an.

Die Linkspartei ist derzeit - parlamentarisch wie außerparlamentarisch - eine unverzichtbare antifaschistisch-demokratische Kraft im Kampf gegen das antisoziale Kriegskabinett von Schwarz-Gelb. Offensichtlich warten ihre Gegner - zumindest im Osten - auf eine "biologische Lösung": Sie gehen davon aus, daß die der Sache treu gebliebenen alten Genossen über kurz oder lang das Feld räumen müssen, was es prinzipienlosen und karrierebeflissenen Postenjägern des bereits sozialdemokratischen rechten Parteiflügels gestatten würde, der SPD mit ausgebreiteten Armen entgegenzugehen.

Wenn indes unter "mehr Sozialdemokratie" eine Rückkehr zu August Bebel und Wilhelm Liebknecht, Clara Zetkin und Franz Mehring gemeint wäre, könnten auch wir einer solchen Sozialdemokratisierung freudigen Herzens zustimmen.

Wir verneigen uns vor dem Heldenmut jener SPD-Genossen, die wie Rudolf Breitscheid gemeinsam mit Kommunisten, lauteren Christen und anderen Antifaschisten durch die Hölle der Konzentrationslager gegangen oder auf dem Schafott gestorben sind. Zugleich gedenken wir voller Wärme solcher Erbauer der DDR mit zuvor sozialdemokratischer Biographie wie der Genossen Otto Grotewohl und Otto Buchwitz.

Die Geschichte hält der SPD den Spiegel vor. Ihr Image ist seit dem Kriegskreditevotum von 1914 alles andere als strahlend. Weder der mit den Namen Ebert, Scheidemann und Noske verbundene Verrat von 1918, der im Mord der Soldateska an Karl und Rosa gipfelte, noch der Einheitsfrontboykott von 1933 sind in Vergessenheit geraten. Nach dem Sturz des Faschismus setzten Schumacher und Ollenhauer, aber auch Brandt und Bahr zunächst auf die Untergrabung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung in der sowjetischen Besatzungszone und dann auf die Verhinderung des sozialistischen Aufbaus in der DDR. Vom kriminellen Agieren des SPD-Ostbüros über die heimtückische Strategie eines "Wandels durch Annäherung" und die aktive Teilhabe an der Konterrevolution 1989/90 bis zur Aufstellung des Hexenjägers Joachim Gauck - eines deutschen McCarthy - für die Präsidentschaft der BRD reicht die Skala antikommunistischer Exzesse der SPD.

Heute zeichnen sich deren Führer vor allem durch Kraftmeierei und vordergründiges Oppositionsgehabe aus. Wenn sich Leute wie Gabriel auf August Bebel berufen, dann ist das blanker Hohn. Denn der legendäre Mitbegründer der SPD war ein furchtloser Kämpfer gegen Bismarcks Sozialistengesetz, während seine angeblichen Erben keinen Finger gerührt haben, um das 1956 erlassene Sozialistengesetz der BRD - das KPD-Verbot - aus der Welt zu schaffen. Unter ihrer aktiven Mitwirkung exekutierte man den Gesinnungsterror der Berufsverbote, der "rote" Lehrer, aber auch Briefträger und Lokführer gnadenlos ausgrenzte. Die Teilnahme der Bundeswehr an der verbrecherischen Afghanistan-Intervention des Pentagons und der NATO wäre ohne die Komplizenschaft der SPD-Führung nicht vorstellbar.

Da ist schon Hellhörigkeit angebracht, wenn jemand Gabriels Partei so nachdrücklich empfiehlt, "wenigstens wieder sozialdemokratisch" zu werden. Gemeint ist wohl die Rückkehr zu Bad Godesberg. Dort aber verabschiedete sich die SPD endgültig von ihrer Tradition als Arbeiterpartei und bekannte sich zu Bernsteins "demokratischem Sozialismus", der die Lehren von Marx, Engels und Lenin in den Wind schlägt.

Klaus Steiniger

Raute

Als Baron Lefuet dem kleinen Timm Thaler die Fröhlichkeit stahl

Das verkaufte Lachen

Als Kind freute ich mich immer, wenn - zugegebenermaßen - im Westfernsehen die Serie von Timm Thaler und dem verkauften Lachen kam. Die Geschichten beruhten auf einem Roman von James Krüss. Timm verkaufte sein kindliches Lachen an den listigen Baron Lefuet, was - umgekehrt gelesen - Teufel heißt. Als Gegenwert gewann er von nun an jede Wette. Der satanische Baron nutzte die Unschuld und Unwissenheit des kleinen Jungen aus, um sich selbst sympathischer erscheinen zu lassen, als er in Wirklichkeit ist. Er kann nun lachen, Timm aber nicht mehr. Erst jetzt merkt dieser, wie sehr ihm sein Lachen fehlt. Am Ende jagt er es dem Baron durch List wieder ab.

Die Fabel erinnert mich an den Zustand vieler Menschen heute. Wo ist deren Lachen geblieben? Welcher Teufel hat es ihnen abgejagt?

Erinnern wir uns, wie es in so mancher Mittagsrunde am Eßtisch im Kreise der Arbeitskollegen damals zuging. Es wurde viel gescherzt und über die kleinen Unwägbarkeiten unseres DDR-Lebens gelacht. Wir lachten auch über uns selber. Da waren die Witze: "Kennst Du den? Eine Frau geht ins Kaufhaus. Haben Sie keine Gardinen? erkundigt sie sich in einer Abteilung. Der Verkäufer antwortet prompt: Keine Gardinen gibt es eine Etage höher, hier gibt's keine Sofas!"

Auch unsere Politiker bekamen ihr Fett ab. Selten waren diese Witze bösartig. Eigentlich wurden nur kleine und große Schwächen unserer Wirklichkeit auf deren Schultern geladen und humoristisch pointiert. Das Belächeln politischer Größen durch das Volk ist wahrscheinlich so alt wie die Politik selbst. Ich behaupte: In der DDR war das ein echtes Stück Alltagskultur.

Und heute? Ist denn schon jemandem aufgefallen, daß es kaum noch politische Witze gibt? Wie viele kursieren eigentlich über Merkel? Ulbricht- und Honecker-Witze gab es doch wie Sand am Meer! Ich kannte etliche. Doch über jene Politgrößen, welche ich seit nunmehr 20 Jahren ertragen muß, habe ich, so unglaublich das klingen mag, während dieser ganzen Zeit keinen einzigen aus dem Volk heraus entstandenen und dann per Buschfunk in Windeseile verbreiteten Witz gehört! Ich kann mir nicht denken, daß das als ein Zeichen ihrer Beliebtheit zu werten ist. Eher signalisiert es mir, daß den Menschen - wie Timm Thaler - die Fröhlichkeit abhanden gekommen ist.

Die Sache muß indes ernst genommen werden. Wenn den Bürgern eines Landes nicht mehr danach zumute ist, über ihre politischen Repräsentanten oder die Unbilden des Alltags zu schmunzeln, ist das ein Warnsignal. Merkwürdig, daß wir in der DDR - obwohl wir doch angeblich ständig vor Angst zitterten - über tausend Dinge ganz unbekümmert lachen konnten. Und das, obwohl, wie seit 1989 permanent behauptet wird, jeder zweite Arbeitskollege, Nachbar oder Freund (bei Birthler, Knabe und Lengsfeld waren es bestimmt 120 Prozent!) ein Spitzel gewesen sein soll. Wir lachten, auch wenn wir geknechtet, unterdrückt, gebrochen und am Boden zerstört eine Apokalypse erlebten, wie sie Hieronymus Bosch niemals hätte malen können! Und heute, da wir endlich abgewickelt, strafberentet und in die Glückseligkeit freigehartzt worden sind, wirken unsere Gesichter oft versteinert. Manche können nur noch mit der Bierflasche in der Hand lachen oder, besser gesagt, lallen.

Vor 20 Jahren haben die meisten von uns wie Timm Thaler ganz unschuldig ihr Lachen an viele Barone Lefuet verkauft. Sie dachten sich nichts Schlimmes dabei und schenkten ihnen Vertrauen. Dafür bekamen sie Versandkataloge, schreiende Farben, aufdringliche Versprechungen, dumme Lügen und dreisten Betrug als Betäubungsmittel. Zugegeben, auch ich war anfangs vom Glanz des Konsums geblendet.

Unterdessen ist das Leben vieler Menschen vom täglichen Kampf ums Dasein so belastet, daß ihnen die Kraft und der Grund zum Lachen fehlen. Viele spüren wohl nun, daß gleißende Warenangebote, schrille Werbeprospekte und "Wetten, daß"-Sendungen das Wichtigste nicht zu ersetzen vermögen: soziale Geborgenheit. Gardinen bekommt man hierzulande überall, doch Gerechtigkeit gibt es nicht einmal mehr hundert Etagen höher. Die Barone grinsen mit dem uns durch List gestohlenen Lachen um so dreister: entweder arrogant wie Ackermann oder dümmlich wie Jung und Brüderle.

Timm Thaler hat am Ende den Baron besiegt, obwohl der alle Register zu ziehen vermochte und er nur ein Kind war. Wir sind freilich keine Kinder mehr, und wie unsere Geschichte ausgeht, ist noch offen. Die Barone haben sich bis an die Zähne bewaffnet und gehen im wörtlichen Sinne über Leichen. Doch anders als Timm, der allein war, sind wir viele und die Barone nur eine winzige Minderheit. Überdies wissen wir im Unterschied zu ihm, daß wir gewinnen können, denn es ist hierzulande ja schon einmal gelungen und wirkt anderswo weiter, daß man Barone, Kapitalisten und deren politische Handlanger zum Teufel gejagt hat. Deshalb haben sie trotz aller zur Schau gestellten Großmannssucht schlotternde Angst vor der Zukunft. So verkriechen sie sich hinter Armeen, Überwachungsnetzen und Bannmeilen. Die Diebe fürchten die Bestohlenen. Unsere Entschlossenheit nimmt zu, und vielleicht werden wir eines nicht allzu fernen Tages den Baronen im wirklichen Leben das gestohlene Lachen wieder entreißen können.

Ich bin vom Jahrgang 1965 und voller Zuversicht.

Ulrich Guhl, Berlin

Raute

Ausschau nach einer "Gänsekeule"

Nun ist es wieder soweit. Im Weihnachtsvorfeld braucht der RF angesichts zusammengeschmolzener Kassenbestände einmal mehr Eure Solidarität. Sagen wir es ohne Umschweife: Es geht um die bereits legendäre "Gänsekeule". Wenn wir seit Februar 1998 - ohne Mäzene und jegliches Parteienhinterland - durchzuhalten vermochten und trotz ständig steigender Ausgaben für Druck und Versand unserer sich kontinuierlich erhöhenden Auflage nicht einen Monat in die roten Zahlen gerieten, dann ist das vor allem zwei Umständen geschuldet: der generösen Spendenbereitschaft unserer großen, breitgefächerten Leserschar und der Tatsache, daß Autoren, Redaktion und Vertrieb jederzeit ehrenamtlich gearbeitet haben. Die eingehenden Gelder werden daher nahezu ausschließlich für unser kleines und doch auch großes Blatt verwendet. Übrigens rührt uns besonders die warmherzige Unterstützungsbereitschaft jener Bezieher des RF, die selbst knapp bei Kasse sind und dennoch für die von ihnen favorisierte Zeitschrift in die Tasche greifen. Von Beginn an dem wütenden Trommelfeuer antikommunistisch-antisozialistischer Schmäher, Schwindler und Ehrabschneider ausgesetzt, suchten uns ganze Gegner und halbe Freunde anfangs in ein politisches Ghetto für unverbesserliche Nostalgiker zu sperren. Doch das ist Vergangenheit. Heute schnürt der von den einen geliebte und von den anderen gehaßte rote Fuchs unverdrossen durch ihm vertraute linke, aber auch durch eher ungewohnte Reviere.

Ursprünglich als Tribüne für in Deutschland lebende Kommunisten und Sozialisten mit und ohne Parteibuch geschaffen, geht unser wie einst Lenins "Iskra" den Weg erhellendes Blatt jetzt all jenen unter die Haut, die ihr Wasser von der Quelle holen und auf abgestandene Brühe verzichten wollen. Der "RotFuchs" verschafft denen Gehör, welche in Merkels medienmanipulierter Monopoldiktatur ohne Stimme sind.

Damit er auch fortan ins politische Geschehen einzugreifen vermag, bitten wir alle, die etwas erübrigen können, uns mit dem beigelegten Einzahlungsschein eine kleine oder auch größere "Gänsekeule" für den RF zukommen zu lassen.

K. S.

Raute

Nicht nur Fehlerdebatte, sondern vor allem auch Geschichtsanalyse

Kritik der Kritik

In der RF-Septemberausgabe wurde Lenin mit der Feststellung zitiert, "das Verhalten einer politischen Partei zu ihren Fehlern" sei "eines der wichtigsten und sichersten Kriterien für den Ernst einer Partei und für die tatsächliche Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber ihrer Klasse und den werktätigen Massen". (LW Bd. 31, S. 42)

Der Abbruch der sozialistischen Entwicklung in der DDR erfordert von Sozialisten und Kommunisten zwingend eine Antwort auf die Frage nach den Ursachen für ihre Niederlage. Dazu wurde im "RotFuchs" schon viel Wichtiges gesagt. Letztlich geht es aber um mehr als um eine bloße Fehlerdebatte und interessante Darstellungen individueller Lebenserfahrungen.

Notwendig sind Antworten, welche die komplexe und vielschichtige Wirklichkeit auf wissenschaftlicher Grundlage widerspiegeln. Das erfordert, sich vor Beginn einer Geschichtsanalyse über das Instrumentarium und die Untersuchungsmethoden klar zu sein. Den radikalsten Ausgangspunkt für wissenschaftliches Arbeiten hat Marx so formuliert: De omnibus dubitandum. (An allem ist zu zweifeln.) Das schrieb er auf die Frage nach seinem Lieblingsmotto ins Poesiealbum der Tochter Jenny Marx Longuet (MEW, Bd. 31, S. 597). Damit wird zugleich deutlich, welche irreführenden Folgen Zitate haben können, die aus ihrem sachlichen und historischen Zusammenhang gerissen werden. Denn natürlich hatte Marx dabei seine materialistische Vorstellung von der Welt und der menschlichen Geschichte im "Hinterkopf".

"Autoritätsbeweise" können für die Begründung gegenteiliger Positionen verwendet werden. So stammt der Satz "Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme" nicht von Bernstein, sondern wurde von Marx in der "Kritik des Gothaer Programms" (MEW Bd. 19, S. 13) verwendet, denn "die Zeitumstände ließen ... nicht zu - über das Eisenacher Programm hinaus(zu)gehn".

Wenn wir also eine Gesellschaftsanalyse versuchen, dann sollte theoretisch und methodisch Folgendes berücksichtigt werden:

Die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft vollzieht, sind objektiv und "Tendenzgesetze". Objektiv heißt im Sinne von Engels: "... in der Geschichte der Gesellschaft sind die Handelnden lauter mit Bewußtsein begabte, mit Überlegung oder Leidenschaft handelnde, auf bestimmte Zwecke hinarbeitende Menschen; nichts geschieht ohne bewußte Absicht, ohne gewolltes Ziel. ... Die Zwecke der Handlungen sind gewollt, aber die Resultate, die wirklich aus den Handlungen folgen, sind nicht gewollt, oder soweit sie dem gewollten Zweck zunächst doch zu entsprechen scheinen, haben sie schließlich ganz andre als die gewollten Folgen. Die geschichtlichen Ereignisse erscheinen so im ganzen und großen ebenfalls als von der Zufälligkeit beherrscht. Wo aber auf der Oberfläche der Zufall sein Spiel treibt, da wird er stets durch innere verborgene Gesetze beherrscht, und es kommt nur darauf an, diese Gesetze zu entdecken.

Die Menschen machen ihre Geschichte, wie diese auch immer ausfalle, indem jeder seine eignen, bewußt gewollten Zwecke verfolgt, und die Resultate dieser vielen in verschiedenen Richtungen agierenden Willen und ihrer mannigfachen Einwirkung auf die Außenwelt ist eben die Geschichte. ... Es kommt also auch darauf an, was die vielen einzelnen wollen. Nicht darin liegt die Inkonsequenz, daß ideelle Triebkräfte anerkannt werden, sondern darin, daß von diesen nicht weiter zurückgegangen wird auf ihre bewegenden Ursachen." (Engels: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW Bd. 21, S. 297)

"Tendenzgesetze" sind sie, da sie einer Vielzahl von Zufälligkeiten unterliegen, die zu berücksichtigen unmöglich ist. (siehe z. B. die Wettervorhersage)

Und zu berücksichtigen ist außerdem, daß die sogenannten "ökonomischen Gesetze keine ewigen Naturgesetze, sondern historische, entstehende und verschwindende, Gesetze" sind. "Für uns ist daher auch keins der Gesetze, soweit es rein bürgerliche Verhältnisse ausdrückt, älter als die moderne bürgerliche Gesellschaft; diejenigen, die mehr oder weniger für alle bisherige Geschichte Gültigkeit hatten, drücken eben nur solche Verhältnisse aus, die allen auf Klassenherrschaft und Klassenausbeutung beruhenden Gesellschaftszuständen gemeinsam sind." (Engels an F.A. Lange, MEW Bd. 31, S. 466)

Resümee: Die Wahrheit ist immer historisch konkret. Das einzig Stabile ist die Veränderung.

Die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung entfalten ihre Wirksamkeit unter den jeweiligen konkreten historischen Bedingungen. Die wichtigsten dabei sind die ökonomischen, das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen, die Existenz einer marxistischen Partei und ihr Masseneinfluß sowie die spezifische nationale Entwicklung und die weltweite Klassenkampfsituation. Ohne Berücksichtigung dieses Wirkungszusammenhangs (und weiterer Faktoren - siehe nachstehend) bleibt jede Gesellschaftsanalyse Stückwerk und kann sogar fehlerhaft sein. Erinnert sei an die Erkenntnis: "Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen sind." (Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie/Vorwort, MEW Bd. 13, S. 99)

Der Aufbau des Sozialismus/Kommunismus ist der erste geschichtliche Zeitraum, in dem die Menschen in immer umfassenderem Maße ihre Geschichte bewußt auf der Grundlage der Gesetzmäßigkeiten ihres eigenen Tuns gestalten. Dabei gilt: "Wir behaupten nicht, daß Marx oder die Marxisten den Weg zum Sozialismus in all seinen Einzelheiten kennen. Das wäre Unsinn. Wir kennen die Richtung dieses Weges, wir wissen, welche Klassenkräfte auf diesem Wege führend sind, doch konkret, praktisch wird das nur die Erfahrung der Millionen zeigen, sobald sie die Sache in Angriff nehmen." (Lenin, LW Bd. 25, S. 289) Die Erfahrungen der Millionen gründlich zu analysieren, die revolutionären Entwicklungstendenzen und Fehlentwicklungen wissenschaftlich zu analysieren und in politische Strategien umzusetzen ist die Grundaufgabe einer marxistischen Partei. Es ist leicht, diese Aufgabe zu formulieren, aber schwer, sie umzusetzen. Sie stellt hohe Anforderungen an das theoretische Potential der Partei, die Verfügbarkeit von Informationen, die Streitkultur in der Partei und ihre organisatorische Festigkeit. Schließlich ist das rechtzeitige Treffen von Entscheidungen und die Festlegung ihrer Rang- und Reihenfolge ein Prozeß, der nachhaltig von den verfügbaren Informationen, den Führungspersönlichkeiten der Partei und der Dynamik der gesellschaftlichen Veränderungen abhängig ist.

Wenn es notwendig ist, auf qualifiziertem Niveau Fehler zu kritisieren, dann setzt das ein theoretisches, historisch begründetes Wissen über gesellschaftliche Entwicklungsprozesse voraus. Selbstverständlich sollte sein, sich mit dem Wesen der Sache auseinanderzusetzen und nicht bei den Erscheinungsformen stehenzubleiben. Eine Menge Irrtümer lassen sich vermeiden, wenn man sich die Frage stellt: "Wem nützt es?" Der Zugang zu einer wissenschaftlichen Weltanschauung schließt den Klassenstandpunkt der Arbeiterklasse ein. Diskussionen darüber, wie sich die Dinge entwickelt hätten, wenn ... sind wenig fruchtbar. Sie sollten allerdings Anlaß sein, sich selbst zu fragen, was man hätte besser machen können und wie man künftig aktiv werden will.

Prof. Dr. Wolfram Triller, Dresden

Raute

Westliche Würgeschlingen (Teil II)

Imperialistische Handelsbarrieren gegen die DDR

Mit der Spaltung Deutschlands war de facto die Formierung von zwei Blöcken vollzogen. Die einstigen Gegner der Antihitlerkoalition - Deutschland und Italien - galten nunmehr als Verbündete im Kampf der Westalliierten gegen deren früheren Bundesgenossen, die Sowjetunion. Die Front war die frühere, nur hatten sich die Lager neu formiert. Und es ging wie seit 1917 um die Existenz. Die Sowjetunion und deren neue Verbündete, darunter auch die DDR, mußten sich wirtschaftlich, militärisch und politisch behaupten. Rings um deren Territorium entstanden in der Folgezeit militärische und geheimdienstliche Stützpunkte, man entwickelte Instrumente für Embargo und Boykott (COCOM), schuf diskriminierende Einrichtungen wie das Allied Travel Office und verkündete politische Glaubensgrundsätze wie die Hallstein-Doktrin.

Was bislang nur Demarkationslinie, Zonengrenze oder innerdeutsche Grenze hieß, gehörte nunmehr zu einer Systemgrenze quer durch Europa. Schon bald - nach dem Beitritt der BRD zur NATO und der danach folgenden Bildung des Warschauer Paktes, dem auch die DDR angehören sollte - wurde aus der Staats- und Systemgrenze ein Teil der Westgrenze des östlichen Verteidigungsbündnisses und der Ostgrenze des westlichen Militärpaktes. Das hatte zur Folge, daß über die Lage an dieser Scheidelinie mehr in Moskau und Washington als in Berlin und Bonn entschieden wurde.

Nach Gründung der DDR im Oktober 1949 wurde der Kampf der BRD und anderer NATO-Staaten mit politischen, ökonomischen und ideologischen Mitteln weitergeführt. Am 1. Januar 1950 trat das Coordinating Committee for East West Trade Policy, kurz COCOM, auf Initiative der USA in Aktion. Daraus wurde später das Coordinating Committee on Multilateral Export Controls, zu deutsch Koordinationsausschuß für mehrseitige Ausfuhrkontrollen. Die in Paris ansässige Institution sollte verhindern, daß die RGW-Staaten an der internationalen Arbeitsteilung und Wissenschaftsentwicklung partizipierten. Der Technologieboykott sollte die Sowjetunion und deren Verbündete isolieren, sie von der Welt abkoppeln. Das gehörte zur Containment-Politik der USA. Gründungsmitglieder waren Belgien, Großbritannien, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande und die USA. 1950 wurden die BRD, Dänemark, Kanada, Norwegen, Australien und Portugal aufgenommen. Schon bald kamen auch Japan, Griechenland, Spanien und die Türkei hinzu. Es war gewiß kein Zufall, daß alle NATO-Staaten bis auf Island dem Gremium angehörten. Obgleich Finnland, Österreich, Schweden, die Schweiz und Taiwan offiziell nicht dabei waren, folgten auch diese Staaten den Vorgaben aus Paris.

Im Gründungsdokument hieß es: "Es ist die Politik der Vereinigten Staaten, ihre wirtschaftlichen Ressourcen und Vorteile im Handel mit kommunistisch beherrschten Staaten zu nutzen, um die nationale Sicherheit und die außenpolitischen Ziele der USA zu fördern."

Mit dieser Begründung konnte Washington praktisch alles verhindern, was seinen Interessen entgegenstand. Die COCOM listete auf, welche Güter nicht in die "Ostblock"-Staaten geliefert werden durften. Gleichzeitig kontrollierte sie die Einhaltung der Listen durch die Mitgliedsländer. Die Vertreter der BRD überwachten in der Pariser Zentrale mit großem Einsatz die Befolgung der Zwangsmaßnahmen vor allem gegenüber der DDR.

In den Mitgliedsländern wurden besondere Gesetze erarbeitet, welche die Beachtung der COCOM-Listen sicherten. In der BRD regelten das Außenwirtschaftsgesetz in Verbindung mit der Außenwirtschaftsverordnung und das Kriegswaffenkontrollgesetz die rechtlichen Aspekte der Exportkontrolle. Die zuständige Behörde war das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Eschborn.

In der ersten Zeit seiner Existenz wies COCOM noch Lücken auf. Ab Mitte der 50er Jahre wurde es perfektioniert und eine der wichtigsten Einrichtungen zur Behinderung der wirtschaftlichen Entwicklung der DDR. In den Embargo-Listen waren Güter und Technologien erfaßt, die zum Schutz westlicher Interessen nicht oder nur unter besonderen Voraussetzungen in die "Ostblock"-Staaten exportiert werden durften. Auch wenn die COCOM-Listen nur Empfehlungscharakter besaßen, wurden sie in der BRD durch Verordnungen direkter Bestandteil des Außenhandelsrechts.

Mit diesem System und den nicht exakt festgelegten Listen, die außerdem ständig geändert wurden, um in die Entwicklung der sozialistischen Länder einzugreifen, konnten beabsichtigte Einfuhren verhindert oder verzögert werden, ohne daß die COCOM irgendwelche Auskünfte dazu erteilen mußte. Die NATO-Staaten hatten geplante Geschäftsbeziehungen mit sozialistischen Ländern bei der COCOM zu beantragen. Sie konnte ohne Begründung ablehnen oder zustimmen. Das hatte schwerwiegende Auswirkungen. Die Genehmigungsbearbeitung dauerte absichtlich lange.

Die bestehenden Unsicherheiten und ausgedehnten Entscheidungsphasen veranlaßten Firmen, nicht vor der Erlaubniserteilung mit der Produktion zu beginnen. Damit verzögerten sich bei erfolgter Genehmigung die Lieferung und damit auch die Realisierung von Projekten auf unserer Seite. Die BRD-Regierung beschloß zur Durchsetzung der COCOM-Maßnahmen Gesetze, die den Handel mit der DDR de facto strangulierten.

Eine besondere Rolle bei der ökonomischen Erpressung spielte der Finanzboykott. Die wirtschaftliche Entwicklung der DDR wurde damit bis weit in die 80er Jahre hinein negativ beeinflußt. Auch das aufwendige Programm zur Entwicklung einer eigenen Mikroelektronik war im wesentlichen ein Reflex auf die westliche Embargopolitik, weil die meisten Erzeugnisse der Mikroelektronik unter Verbote fielen und nicht an die DDR verkauft werden durften. Die Einhaltung des Lieferverbots wurde von den Geheimdiensten der USA und der BRD peinlich genau überwacht.

Zu den Störmaßnahmen gegen die DDR gehörte auch die Tätigkeit des Allied Travel Office in Berlin-West. Es war 1950 von den USA, Großbritannien und Frankreich ins Leben gerufen worden und sollte nicht nur die Einreise von DDR-Bürgern in NATO-Staaten kontrollieren, sondern diese auch verhindern. Das Büro stellte befristete Reisedokumente aus, die sogenannten Travel-Pässe, weil die Reisepapiere der DDR nicht akzeptiert wurden. Die DDR war nach westlicher Lesart kein Staat, was - worüber noch zu sprechen sein wird - in der Hallstein-Doktrin der BRD später sichtbar Ausdruck finden sollte. Das Travel Board unterstand den drei Militärkommandanten. Jeder Außenhändler, der geschäftlich nach Frankreich, Großbritannien, Belgien oder Holland wollte, hatte seine Reise in Westberlin mit ausführlicher Begründung zu beantragen. Überdies mußte er präzise Angaben über Reiseziele, Gesprächspartner, Firmenbesuche usw. machen. Dazu wurde er eingehend befragt. Der Vorgang war nicht nur diskriminierend, sondern auch kriminell. Es war doch klar, daß die Befragung auch nachrichtendienstliche Zwecke erfüllte.

Danach wurde der Antragsteller mit der Erklärung nach Hause geschickt, man werde ihn informieren, sobald der Antrag geprüft und über diesen entschieden worden sei. Das dauerte zwei bis vier Wochen. Nach einem positiven Bescheid konnte dann ein Visum für das Reiseland beantragt werden.

Dieses Vorgehen verfolgte das Ziel, Kontakte der DDR zu erschweren und zu verhindern. Welcher Außenhändler, der Verhandlungen führen wollte, konnte unter diesen Bedingungen mit seinen Partnern Termine machen? Und: Mit den geforderten Angaben zur Reise wurden Informationen geliefert, die der Konkurrenz wichtige Details über unsere Absichten vermittelten, von denen sie profitierte. Wenn unsere Techniker und Monteure, die zur Aufstellung von uns gelieferter Maschinen zu festgelegten Terminen vor Ort sein mußten, daran gehindert wurden, verschlechterte dies die Geschäftsbedingungen. Manche Käufer unserer Erzeugnisse versuchten, die damit verbundenen Unsicherheiten durch hohe Preisnachlässe auszugleichen.

Die Reisenden erhielten einen Travel-Paß mit der Bezeichnung "Vorläufiger Reiseausweis anstelle eines Passes für deutsche Staatsangehörige". Diese Praxis galt vom Oktober 1949 bis 1972/73. Alle NATO-Staaten sowie Japan und Australien wandten sie an. Sie fügte der DDR Millionen-Schäden zu.

Dr. Gerhard Beil †

Raute

Profilierter Vertreter des linken Parteiflügels wurde stellvertretender DKP-Vorsitzender

"junge Welt"-Interview mit Patrick Köbele

Der 19. Parteitag der DKP hat Sie am Wochenende zu einem der drei stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt, obwohl sich der bisherige Vorstand gegen Ihre Kandidatur ausgesprochen hatte. Wie erklären Sie sich das Votum der Delegierten?

Der Parteitag hat deutliche Signale ausgesandt. Die große Mehrheit hat sich dafür ausgesprochen, daß bestehende Meinungsverschiedenheiten offen und konstruktiv ausgetragen werden. Mit einer solchen Diskussion wollen die Delegierten ihre Partei wieder zusammenführen. Das drückt sich auch in der Wahl der anderen beiden Stellvertreter und der Vorsitzenden aus. Die unterschiedlichen Spektren sind nun in der Parteispitze vertreten. Bislang repräsentierten das Sekretariat und die Vorsitzenden nur die Mehrheitsmeinung des Parteivorstands.

Warum sah der Kongreß in Frankfurt am Main gerade jetzt den Zeitpunkt gekommen, das zu ändern?

Die Partei ist schlicht unzufrieden, wie die parteiinterne Debatte bisher abgelaufen ist. Das widerspricht ihrem Bedürfnis nach Transparenz in Meinungsfragen. Diese Kritik habe ich auch selbst auf dem Parteitag geäußert. Ich gehe aber davon aus, daß wir nun eine offene Diskussion organisieren werden.

Und welche Position wollen Sie selbst in diesem Prozeß einnehmen?

Natürlich stehe ich innerhalb der DKP für klare Inhalte. Ich lehne die "Politischen Thesen" des bisherigen Sekretariats ab. Sie weichen die revolutionären Grundsätze der DKP auf. Insofern habe ich als Person auch gegen die Inhalte der "Thesen" kandidiert. Ich vertrete die Tradition der Imperialismusanalyse Lenins. Es gilt, die Werkzeuge, die Marx, Engels und Lenin entwickelt haben, auf die heutige Situation anzuwenden. Die Hauptaufgabe einer kommunistischen Partei ist es, innerhalb der Arbeiterbewegung Klassenbewußtsein zu verbreiten und unseren Beitrag zu leisten, das Proletariat von der Klasse an sich zur Klasse für sich zu formieren. Über den Charakter der Partei und der Arbeiterklasse gibt es natürlich innerparteiliche Differenzen. Es ist nichts Schlimmes, in der heutigen Situation unterschiedliche Ansätze zu vertreten. Langfristig müssen wir die Positionen aber wieder vereinen. Das geht jedoch nur durch Offenheit und darf nicht auf den Parteivorstand beschränkt bleiben.

Auf dem Kongreß ging es dennoch hoch her ...

Ich habe den Eindruck, daß wir vielmehr einen sehr konstruktiven Parteitag erlebt haben. Das hat vor allem die Generaldebatte gezeigt. Es gab allerdings Personaldiskussionen und Gegenkandidaturen, die in unserem Parteileben noch recht ungewöhnlich sind. Das mag an der einen oder anderen Stelle tatsächlich emotionale Reaktionen hervorgerufen haben.

Die Mehrheitsverhältnisse auf Parteitagen haben sich deutlich verschoben. Konnte das DKP-Sekretariat sich bisher der Unterstützung von zwei Dritteln der Delegierten sicher sein, war es in Frankfurt nur noch die Hälfte.

Die Frage nach den Kräfteverhältnissen stellt sich in der Form nicht. Denn die Delegierten haben hohe Souveränität bewiesen, gemeinsam als höchstes Gremium der Partei zu handeln - über Meinungen hinweg. Es ist aber deutlich zutage getreten, daß ein Großteil der Partei eine Veränderung der Identität ablehnt, wie es die "Politischen Thesen" anstreben.

Sowohl die neue Vorsitzende Bettina Jürgensen als auch die Delegierten selbst haben klar zu verstehen gegeben, daß die Lager in der Partei wieder aufeinander zugehen müssen. Besteht nicht trotzdem die Gefahr, daß sich schon bald alte Gräben wieder neu auftun?

Es lohnt nicht, darüber zu spekulieren. Probleme löst man erst dann, wenn sie auftreten. Wir müssen jetzt dafür sorgen, daß wir nicht gleich wieder mit Streit beginnen. Das ist der gemeinsame Wille der DKP.


Das Interview von Mirko Knoche mit Patrick Köbele erschien am 11. Oktober unter den Schlagzeilen "Wir brauchen eine offene Diskussion. Meinungsverschiedenheiten in der DKP sollen konstruktiv ausgetragen werden".

Raute

Kerstin Kaisers "Übergang von der DDR-Gesellschaft zur Demokratie"

Abzuwägendes oder Abwegiges?

Jüngst warf Kerstin Kaiser im Zusammenhang mit der Gründung einer Brandenburger Enquete-Kommission im ND die Frage auf: "Wie ist der Übergang von der DDR-Gesellschaft in die Demokratie gelungen?"

Bereits mein alter Duden aus dem Jahre 1900 klärt mich darüber auf, daß sich das Wort Volksherrschaft mit der aus dem Griechischen stammenden Vokabel Demokratie verbindet. Es liegt mir fern, hier philosophische oder theoretische Erwägungen über Demokratie oder Volksherrschaft anzustellen. Ich habe lediglich ein paar Fragen zu diesem Thema: Wer ist das Volk, wenn wir vom Herrschen reden? Blicke ich über die Grenzen unseres Landes, dann wundere ich mich, daß mit dem Einzug der Volksherrschaft, zum Beispiel in Jugoslawien oder auf dem Gebiet der Sowjetunion, die Völker gegeneinander Krieg führen, obwohl sie doch über viele Jahrzehnte friedlich und im Einvernehmen zusammengelebt haben. Was oder wer veranlaßt sie zu solch mörderischem Handeln?

Auch im Osten unseres Landes herrscht doch nun seit zwanzig Jahren das Volk. Warum hat es den Einzug der Volksherrschaft sofort dazu benutzt, das Volkseigentum abzuschaffen? Warum beschließt das herrschende Volk eine Rente mit 67? Hieß es doch östlich der Elbe: Wenn immer weniger Leute in immer kürzerer Zeit immer mehr erzeugen, dann müssen alle künftig weniger arbeiten, sie haben mehr Zeit für Bildung und Erholung. Mit dem Einzug der Volksherrschaft wurde die Mangelwirtschaft durch planlos geschaffenen Überfluß ersetzt. Aber warum gibt es bei diesem Überfluß Millionen Menschen (mit ihren Familien), denen es unmöglich ist, ihr Leben durch eigene Arbeit selbst zu gestalten? Warum werden sie von der Volksherrschaft in die Arbeitslosigkeit gestürzt?

Warum schafft das herrschende Volk wieder ein Heer von Obdachlosen und Bettlern? Waren derartige Zustände nicht längst überwunden? Warum muß sich das herrschende Volk jetzt um Kinder- und Altersarmut sorgen, die es zuvor für undenkbar gehalten hätte? Warum schaffte das Volk die kostenlose Gesundheitsbetreuung ab? Warum erlaubt die Volksherrschaft das Spiel der Banken, wo doch bekannt ist, daß das Volk dadurch ins Unglück gestürzt werden kann? Es ist gut, daß in der Volksherrschaft jeder seine Meinung sagen kann. Aber was nützt es, wenn keiner hinhört? Was helfen Demonstrationen, wenn sich dadurch nichts ändert?

Oder Volksherrschaft ganz im kleinen: Da nun das Volk herrscht, könnte es doch viel mehr Hausgemeinschaften geben, die wie eh in "ihrem" Mietshaus und für dieses Haus gemeinsam wirken, zusammen feiern, füreinander da sind und das Leben darin mitbestimmen. Die Mieter sind doch Volk, und zu herrschen ist ohne mitzureden und mitzuentscheiden undenkbar! Warum hat das Volk selbst die Hausgemeinschaften abgeschafft?

Wir haben gelernt, daß Wahlen die Basis der Volksherrschaft sind. Warum bekommen dann Parteien von der Wirtschaft Geld, damit sie gewählt werden? Wahlen sind doch kein Geschäft! Und wenn das Volk bestimmt, warum kann es keine parteilosen Schriftsteller, Wissenschaftler, Ärzte, Bürgermeister, Fabrikarbeiter, Bauern oder große Organisationen wie den Mieterbund oder die Gewerkschaften wählen? Sie gehören doch dem herrschenden Volk an! Warum kann das herrschende Volk nur Volksvertreter wählen, die in einer Partei Funktionäre sind?

Warum protestiert man allerorten gegen den Neofaschismus, während Nazis für die Volksvertreter auch zum herrschenden Volk gehören? Warum lassen die Vertreter des herrschenden Volkes zu, daß deutsche Soldaten in fremden Ländern Krieg führen? Heißt die Armee nicht BundesWEHR? Warum macht das herrschende Volk unser Land zu einer der weltweit größten Waffenschmieden? Haben wir denn die Geschichte ganz und gar vergessen?

Es war an einem Sonnabend vor der Volksabstimmung über Erhalt oder Schließung des Berliner Flughafens Tempelhof. Mit einem älteren Genossen stand ich auf dem Vorplatz eines Pankower Supermarktes. In den Händen hatten wir einige Flyer zum Thema. Von den wenigen Kunden sprachen uns nur einige an. Da kam plötzlich eine junge Verkäuferin aus der Halle, stellte sich vor die Tür und rief uns zu: "Verlassen Sie sofort das Gelände, das ist privater Grund und Boden."

Wir gingen. Doch uns begleitete die Frage: Wer ist das Volk?

Erhard Römer, Berlin

Raute

Entzauberung von Mythen

Es klingt etwas eigenartig, wenn Verleger im Vorwort zu einem von ihnen herausgegebenen Buch schreiben "... haben wir uns dazu entschlossen, dieses Buch in unser Programm aufzunehmen, obwohl es nicht unbedingt unsere eigene Meinung zu den angesprochenen Problemen widerspiegelt". Dem Leser wird anheimgestellt, sich selbst ein Urteil zu bilden. Grund für die distanzierende Äußerung ist vermutlich, daß Alfred Peukert - aktiver Mitgestalter der DDR von Anfang an als Lehrer, Schulrat und Botschafter - bei aller Berechtigung der von ihm gesetzten Hauptakzente zuweilen wesentliche innere Widersprüche und Defizite der sozialistischen Gesellschaft zwar grundsätzlich benennt, sie aber doch vereinfacht und dabei manches ignoriert oder nach seinem subjektiven - wenngleich zweifellos ehrlichen - Empfinden interpretiert.

Ungeachtet dessen erbringt er für sein Anliegen, den Mystifizierungen und Verunglimpfungen der DDR entgegenzuwirken, eine Reihe - meist bekannter - Tatsachen, die in ihrer Zusammenschau geeignet sind, Licht in die Verdunklung und Vernebelung der Geschichte der DDR und der BRD zu bringen und die täglich massenhaft verbreiteten Unwahrheiten und Einseitigkeiten zu entkräften.

Nach einer Sicht auf die grundlegenden geschichtlichen Prozesse unseres Jahrhunderts wendet sich der Autor Fragen zu, die bis heute im Mittelpunkt geistiger Auseinandersetzungen stehen und eng mit dem aktuellen politischen Geschehen verknüpft sind. Er enthüllt den Mythos "friedliches Zusammenwachsen" der DDR mit der BRD und benennt Wahrheiten über die Spaltung Deutschlands und die Rolle Konrad Adenauers dabei.

Eingehend betrachtet er die Entstehung und Entwicklung der beiden deutschen Staaten im Lichte der internationalen Prozesse. Den Mythen und wirklichen Ursachen für die Republikflucht ist ein Abschnitt des Buches gewidmet, ebenso - besonders ausführlich - den Mythen über den Bau der Berliner Mauer. Bei der Entgegensetzung von BRD und DDR als Rechtsstaat und Unrechtsstaat (Begriffe, die es im Völkerrecht nicht gibt), ebenso beim Mythos SED-Diktatur weist er nach, daß sich hinter dem Gebrauch dieser Begriffe das völlige Unverständnis für die geschichtlich berechtigten sozialen Wandlungen in der DDR verbirgt und sich der Wille ausdrückt, diese Prozesse aufzuhalten.

Er entmythologisiert die vielstrapazierten Begriffe Freiheit, Unfreiheit und demokratische Wahlen und enthüllt ihren beschränkten Charakter unter kapitalistischen Bedingungen.

Der Mythos Ministerium für Staatssicherheit der DDR und der rigorose bis kriminelle Prozeß der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, das heißt der Eingliederung der DDR in die BRD, sind die Themen, denen sich der Autor abschließend zuwendet.

Schließlich verbirgt sich für ihn hinter dem Mythos friedliche Wiedervereinigung eine Rückkehr in den Kapitalismus und die Ausmerzung sozialistischer Errungenschaften.

Günter Lippold


Leicht gekürzt aus "Leipzigs Neue" (Mai 2010). Alfred Peukert: Gedanken zu Mythen der deutschen Geschichte.
Semikolon-Verlag, Berlin 2009. 184 Seiten, 14,95 Euro

Raute

Wie die DDR-Seestreitkräfte zu ihrem Namen kamen

Im Geist der Volksmarinedivision

Aus Anlaß der Namensgebung fand am 4. November 1960 auf dem Greifswalder Bodden eine Flottenparade statt, an der Kampfschiffe und Kampfboote, aber auch unsere ersten Marinehubschrauber teilnahmen. Ich war damals Stellvertreter des Chefs der Torpedoschnellbootbrigade und Leiter der Politabteilung. Die umfangreichen Vorbereitungen auf die Namensgebung und der Verlauf des militärischen Zeremoniells sind mir noch in guter Erinnerung, obwohl inzwischen ein halbes Jahrhundert vergangen ist.

Schon Wochen zuvor wurden Offiziere und Mannschaften der Torpedoschnellboote auf dieses Ereignis vorbereitet. Es gab Gespräche und Diskussionsrunden über unsere Vorbilder. Das waren nicht die "Helden" der kaiserlichen Marine, der Reichswehr oder der faschistischen Wehrmacht. Unsere Tradition gründete sich auf den Kampf der revolutionären Matrosen, die sich in der kaiserlichen Flotte zum Kampf gegen den deutschen Imperialismus erhoben hatten und in der Novemberrevolution eine hervorragende Rolle als Vorkämpfer für ein friedliches und demokratisches Deutschland spielten. Auszüge aus Briefen und Dokumenten über den Kampf der Roten Matrosen wurden verlesen, Ausschnitte aus Filmen gezeigt, um uns auf das bevorstehende Ereignis einzustimmen.

Die Besatzungen der 14 beteiligten Torpedoschnellboote trainierten fleißig und machten Klarschiff zur Parade. Dazu waren "Rote Matrosen" von einst als Ehrengäste eingeladen. Wir begrüßten auf unseren Booten Genossen wie Fritz Globik, Karl Baier, Max Roscher, Franz Beiersdorf, Willi Grünert, Karl Artelt, Walter Steffens und Karl Kittelmann. Sie weilten an diesem Tag an Bord und konnten sich vom Können der Matrosen der jungen Flotte der DDR überzeugen. Sie haben uns später sehr engagiert in unserer Traditionsarbeit unterstützt, und mit einigen von ihnen blieb ich über Jahre persönlich verbunden.

Der 4. November 1960 wurde für uns und unsere Gäste zu einem unvergeßlichen Tag. Der Minister für Verteidigung, Heinz Hoffmann, kam in Begleitung von Vizeadmiral Waldemar Verner und dem Chef der Seestreitkräfte, Konteradmiral Wilhelm Ehm.

Er beglückwünschte die "blauen Jungs" zu ihrem Ehrentag. In seiner Ansprache forderte sie der Minister dazu auf, das Vermächtnis der revolutionären Matrosen mit ihrer Bereitschaft zum Schutze unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates zu erfüllen und ihre Traditionen als ein verpflichtendes Beispiel im Kampf gegen Imperialismus, Militarismus und Krieg zu wahren.

Nach einem Trompetensignal und Kommando wurde die neue Dienstflagge für Kampfschiffe unter den Klängen der Nationalhymne gehißt. Es war eine rote Flagge mit schwarz-rot-goldenen Mittelstreifen und dem Staatswappen unserer Deutschen Demokratischen Republik. Für uns alle war es ein feierlicher Moment, als im Anschluß daran die Matrosen und Maate ihre Mützenbänder wechselten.

Anfang 1961 erhielten die Küstenschutzschiffe, die Torpedoschnellboote, später die Raketenschnellboote die Namen revolutionärer Kämpfer gegen Faschismus und Krieg. Die Marinehochschule führte seit 1964 den Namen Karl Liebknecht, unser Motorschulschiff fuhr unter dem Namen Wilhelm Pieck, und die Flottenschule erhielt den Namen Walter Steffens. Sie und andere Antifaschisten hatten dazu beigetragen, daß in unserem Teil Deutschlands die Konzernherren und Großgrundbesitzer, die Militaristen und Faschisten entmachtet wurden. Wir haben auf deutschem Boden den ersten Friedensstaat geschaffen, der den Sozialismus auf seine Fahnen geschrieben hatte. Gemeinsam mit den verbündeten Armeen des Warschauer Paktes haben wir unseren Verfassungsauftrag in Ehren erfüllt, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf.

Den "blauen Jungs" wurde in der Republik viel Sympathie entgegengebracht. Hunderte Patenschaften mit Betrieben und Städten förderten das enge Verhältnis der Bürger zur Flotte der DDR. Nicht zu vergessen sind die Beziehungen zu kulturellen Institutionen und Einrichtungen, dem Verband der Film- und Fernsehschaffenden, dem Friedrichstadtpalast oder den Theatern der Stadt Leipzig. Die drei Jahre an Bord dienenden Matrosen und Maate kamen in ihrer Mehrheit aus Betrieben aller Bezirke der DDR, was die Verbundenheit mit den Werktätigen zusätzlich belebte. Unsere Volksmarine war ein geachteter Partner unter den Flotten der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages.

Besonders enge Beziehungen bestanden zur Baltischen Rotbannerflotte der Seestreitkräfte der UdSSR und zur Polnischen Seekriegsflotte. Flotten- und Arbeitsbesuche, Schulschifffahrten, gemeinsame Ausbildungsmaßnahmen, Geschwaderfahrten, Manöver und Übungen gehörten zum Alltag der Flotte der DDR. Fahrten des Motorschulschiffs "Wilhelm Pieck" in entfernte Seegebiete führten die künftigen Offiziere der Volksmarine ins Nordmeer, den Atlantik, in das Mittelmeer und das Schwarze Meer. Sie waren Botschafter unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates, den sie in den Häfen und Stützpunkten der Gastgeberländer würdig vertraten. Die Volksmarine hat sich im Verlauf von mehr als vier Jahrzehnten aus maritimen Polizeikräften zu einer modernen Randmeerflotte entwickelt.

Und wenn es sie auch heute nicht mehr gibt, so behalten doch die Leistungen ihrer Matrosen und Offiziere einen ehrenvollen Platz in der Geschichte des sozialistischen deutschen Staates. Noch immer bringen in Bordkameradschaften, Arbeits- und Freundeskreisen sowie Vereinen Tausende ehemalige Matrosen, Unteroffiziere und Offiziere ihre Verbundenheit mit ihr zum Ausdruck und denken stolz an ihre Dienstzeit. Deshalb ist auch der 50. Jahrestag der Namensgebung nicht vergessen.

Konteradmiral a. D. Hans Heß

Unser Autor war der langjährige letzte Chef der Politischen Verwaltung der Volksmarine.

Raute

Über einen Cottbusser ND-Journalisten, der kein Chamäleon sein wollte

Wolfgang Herr war mit Leib und Seele Journalist. Seine Neugier und Hingabe, Rätsel zu lösen, entsprangen keinem falschen Ehrgeiz, sondern urwüchsigem Wissensdurst. Zeitungsleute dieses Typs waren in der DDR viel zu knapp. Das empfand er selbst, wenn er sich so manchen Berufskollegen gegenübersah. Karrieristen strafte er mit Nichtachtung. Wolfgang Herr suchte und fand in der neuen Gesellschaft bewußt den Sinn des eigenen Lebens. Ehrliches Schaffen imponierte ihm, wo immer er darauf stieß, ob im Gespräch mit Arbeitern in Betrieben der DDR, syrischen Bauern oder auch beim 1. Sekretär der Cottbuser SED-Bezirksleitung Werner Walde. Der starb in diesem Jahr, wie auch Wolfgangs früherer Kollege in der ND-Bezirksredaktion Hans-Hermann Krönert. Während sich dieser in den letzten Jahren eher dem Leben des Fürsten Pückler verschrieb, übernahm Wolfgang Herr mit Erfolg Recherchen für eine linke Zeitschrift der Region. Eine Phase zwangsläufiger Nachdenklichkeit im Gefolge der Konterrevolution von 1989/90 - er erlebte die Wirren des historischen Rückschlags als ND-Reporter in Syrien - veranlaßte ihn nicht zu Resignation oder Seitenwechsel. Nach dem Untergang der DDR verteidigte er dieses gute Deutschland auf Auslandsreisen, die ihm früher wegen seiner Westverwandtschaft lange verwehrt geblieben waren, obgleich er zu ihr keine Kontakte unterhielt.

Begonnen hat der spätere ND-Bezirkskorrespondent mit einer Elektrikerlehre im Braunkohletagebau Espenhain. Dort lebte er im Internat. Der Vater war ihm unbekannt geblieben, die Mutter hatte sich mit ihrem kleinen Sohn und dessen noch jüngerem Bruder durch Kriegs- und Nachkriegswirren geschlagen. Wolfgang erzählte, wie sie mit den zwei Kindern 1945 in die prächtige Wohnung eines Wehrmachtsgenerals eingewiesen worden war. Dieser hatte samt Familie das Weite gesucht. Als dann aber eines Tages die Generalsfrau an der Tür stand und Forderungen erhob, genügte eine leichte Andeutung, man werde sich auf der sowjetischen Kommandantur zu beschweren wissen, um die Dame loszuwerden. Auch für solchen Rückhalt, den sie einfachen Leuten gewährte, wird die Rote Armee noch heute von den Gestrigen und ihren Nachkommen gehaßt.

Im Betriebsinternat steckte Wolfgang mit einem Klaus Henkes und einem Wolfgang Mitzinger zusammen. In den 70er Jahren fand man sich wieder, und es entstand eine prächtig aufgemachte Bildreportage über das Trio in der "Neuen Berliner Illustrierten". Dies war die einzigartige Geschichte von Lebenswegen, welche "die Espenhainer" zum Synonym einer ganzen Aufbaugeneration machte. Wolfgang Herr beschrieb später dieses Stück Chronik der DDR mit den Worten: "Was immer man auch über unser Land sagt. Diese Generation nimmt uns keiner!" Die DDR erlebte ihren Aufstieg durch das Engagement ihrer bewußtesten Menschen, und sie machte etwas aus ihnen: Klaus Henkes brachte es bis zum Chef der Luftstreitkräfte der NVA und war zuletzt Generaldirektor der Interflug; Wolfgang Mitzinger, später Minister, leitete als Generaldirektor die größte Kraftwerksgruppe der Republik. So begründete Wolfgang Herr seinen Standpunkt, daß der Begriff "Arbeiter-und-Bauern-Staat" keine Phrase gewesen sei. Am 17. Juni 1953, als der junge Elektriker auf seiner Lok im Tagebau einen Kollegen zur Schicht mitnehmen und dieser Wolfgang zum Streik überreden wollte, warf er ihn kurzerhand von der Maschine: "Gegen einen Arbeiterstaat streike ich nicht!" ließ er den anderen wissen.

Wolfgang Herr wurde 1932 geboren und starb am 25. Juli 2010. Für seinen Grabstein wünschte er sich die Worte: "Er lebte in vier deutschen Staaten - im dritten war er zu Hause." Als sein Lebensweg dann ein Ende fand, zogen seine Angehörigen die Bilanz: "Er war und blieb ein Kommunist."

Thomas Waldeck, Cottbus

Raute

Eine feine Gesellschaft

Als Lothar de Maizière (CDU), Ministerpräsident der schon in ihr Endstadium eingetretenen DDR, kürzlich anmerkte, diese sei "kein vollkommener Rechtsstaat", aber auch "kein Unrechtsstaat" gewesen, fiel eine Meute von Journalisten und Politikern über ihn her. Für de Maizière braucht man keine Sympathie zu empfinden, die Pöbeleien aber waren, für sich genommen, abscheulich. Gibt es denn keine Möglichkeit, den selbstherrlichen, rechthaberischen, herrschsüchtigen Zensoren das Maul zu stopfen? Nein! Jedenfalls sind sie taub für jeden Hinweis auf rechtsstaatliche Defizite der BRD.

Am 3. Oktober vollendete sich das 20. Jahr des Vollzugs staatlicher Einheit. Das Jubiläum der beiden Gedenkjahre 2009 und 2010 (60 Jahre Grundgesetz / 20 Jahre Anschluß) wäre Anlaß genug für die überfällige sachliche Einstellung zu DDR und BRD, vor allem für einen um Objektivität bemühten Rückblick auf den Prozeß des Anschlusses der DDR sowie auf die verfehlte Berliner Politik der nachfolgenden zwei Jahrzehnte. Statt dessen war und bleibt man einer aggressiven, auf Besoffenmachen abzielenden "Erinnerungsorgie" ausgesetzt, mit ungezählten, der Volksverdummung dienenden politischen Hochämtern. Ernüchterungshilfen und Hygienemittel sind gefragt.

Hans Frickes Buch "Eine feine Gesellschaft" ist beides zugleich. Sein Untertitel: "Kritische Betrachtung der 'Wiedervereinigung' - Jubiläumsjahre und ihre Tücken". Hilfreich, daß der Autor die beiden Hauptmotive für die verlogene und lästige Jubelstimmungsmache von Politik und Massenmedien nennt. Sie soll die Menschen von Krieg, Krise, Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Hartz IV, Zerschlagung der Sozialsysteme, Armut und Bildungsmangel, kurz: unserer gesamtgesellschaftlichen Misere ablenken. Darüber hinaus dient die Selbstbeweihräucherung einem massiv fälschenden Geschichtsrevisionismus.

Frickes zur diesjährigen Leipziger Buchmesse erschienener Band ist ein Beispiel für faktenreich argumentierenden publizistischen Widerstand gegen die allgegenwärtige Geschichtsklitterung, mit der einerseits die DDR als abgewirtschafteter, maroder Unrechtsstaat niedergemacht und andererseits die BRD als Hort von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wohlanständigkeit verherrlicht wird. "Eine feine Gesellschaft" ist ein Angebot, sich mit geleugneten bzw. verdrängten Vorgängen und Verhältnissen (wieder) vertraut zu machen. Das Buch ermutigt, sich "des eigenen Verstandes zu bedienen", wenn man sich um ein zutreffendes Bild von unserem Land und seiner modernen Geschichte bemüht. Fricke unterstreicht die Notwendigkeit dazu, indem er Bernard L. Montgomery zitiert: "Die Geschichtsschreibung ist der zweite Triumph der Sieger über die Besiegten."

Volker Bräutigam, Mölln

Hans Fricke: "Eine feine Gesellschaft - Jubiläumsjahre und ihre Tücken. Kritische Betrachtung der 'Wiedervereinigung'",
252 Seiten, 15 €, GNN-Verlag, Badeweg 1, 04435 Schkeuditz. ISBN 978-3-89819-341-2

(Geringfügig redigierter Beitrag aus der Zeitschrift "Ossietzky")

Raute

Wie Deutschlands radikale Rechte einen neuen Herold aufzubauen sucht

Zirkus Sarrazini

Herr Thilo Sarrazin, vormals Bundesbankvorstand, hat ein Buch zu einem sehr komplexen gesellschaftlichen Problem - Migration und Integration - präsentiert. Durch Medienbegleitung und Abdruck von in tendenziöser Absicht herausgepickten Auszügen wurde ein von interessierter Seite gewünschter Inhalt suggeriert und lebhaftes Kaufinteresse erzeugt. Gleichzeitig gibt es eine von denselben Kreisen ausgelöste öffentliche Debatte über Sarrazins "Werk".

Im "Spiegel" Nr. 34/10 wird Sarrazin so zitiert: "Wer da ist und einen legalen Aufenthaltsstatus hat, ist willkommen. Aber wir erwarten von euch, daß ihr die Sprache lernt, daß ihr euren Lebensunterhalt mit Arbeit verdient, daß ihr Bildungsehrgeiz für eure Kinder habt, daß ihr euch an die Sitten und Gebräuche Deutschlands anpaßt und daß ihr mit der Zeit Deutsche werdet - wenn nicht ihr, dann spätestens eure Kinder. Wenn ihr muslimischen Glaubens seid, o.k. Damit habt ihr dieselben Rechte und Pflichten wie heidnische, evangelische oder katholische Deutsche. Aber wir wollen keine nationalen Minderheiten. Wer Türke oder Araber bleiben will und dies auch für seine Kinder möchte, der ist in seinem Herkunftsland besser aufgehoben. Und wer vor allem an den Segnungen des Sozialstaates interessiert ist, der ist bei uns schon gar nicht willkommen."

Hierzu ist zunächst zu bemerken: Bei Sarrazin fehlen in der Aufzählung der Bekenntnisse, denen Rechte und Pflichten in Deutschland zustehen, Juden, christliche Sekten, andere als die erwähnten Religionen (z. B. Buddhismus) und besonders die große Gruppe der Atheisten. Stehen diesen Bürgern, deren Zahl stetig zunimmt, besonders durch die Atheisten, die Rechte und Pflichten eines Deutschen nicht zu? Oder werden diese sehr verschiedenen Gruppen gar unter dem Begriff "Heiden" subsumiert?

Gleiches trifft für die Schlußfolgerung zu, daß nationale Minderheiten nicht gewollt seien. Weiß Sarrazin nicht, daß es in Deutschland vier gesetzlich anerkannte Minderheiten gibt, z. B. die Sorben in meiner Lausitzer Heimat?

Es bleibt die sprachliche Form: Wer ist "wir"? Sollte damit das deutsche Volk gemeint sein: Wer darf für dieses in seiner Gesamtheit sprechen? Oder ist gar ein Majestätsplural gemeint, dann würde neben dem Charaktermangel der Anmaßung ein Rechtschreibproblem sichtbar, da der Majestätsplural groß zu schreiben wäre.

Die herrschende politische Kaste betrieb die Volksverdummung mit verteilten Rollen. Die Medienmeute, angeführt von "Bild", katapultierte Sarrazins Buch über Nacht an die Spitze der Bestseller-Liste. Andere Abteilungen organisierten eine "öffentliche Meinung", die einige "Entgleisungen" des Autors verteufelte, so daß gewisse Medienmacher Sarrazins Recht auf Meinungsfreiheit verteidigen konnten. Sie verkündeten, er habe dem Volk endlich die Wahrheit gesagt. Parallel dazu kamen die Bataillone der Politik ins Spiel. Frau Merkel legte Sarrazins Ablösung im Amt nahe; Bundesbank-Chef Weber erwies sich als gehorsam, und unser "unabhängiger" Bundespräsident entließ den Mann aus seinem Amt.

Sarrazin betritt unterdessen wieder die Bühne und gibt seine Tarnung als Kritiker der Regierung auf. Er kehrt dorthin zurück, wo er herkommt, nämlich ins Establishment. Der Dienst des wackeren Mannes wird honoriert: Er erhält Zusatzbezüge von 1000 Euro, so daß seine monatliche Rente etwa 10.000 Euro betragen dürfte, was wohl in etwa dem Jahreseinkommen der von ihm als "Schmarotzer" verachteten Hartz-IV-Empfänger entspricht.

Es folgt ein erster Höhepunkt der Klamotte: Nachdem Sarrazin - wie kurz zuvor Herr Köhler - zwar allgemein bekannte, aber von den Politikern der Bourgeoisie aus Gründen der "Korrektheit" nicht kolportierte Tatsachen verkündet hatte und dafür von Merkel & Co. gerade erst diszipliniert worden ist, zeichnet die Kanzlerin den dänischen Haß-Karikaturisten Westergaard mit einem Medienpreis aus. Ihre verlogene Begründung: Die Meinungsfreiheit sei ein "unverzichtbares hohes Gut". (Ich empfehle der Dame, sie möge ihrem Vater, dem Pfarrer Kasner, Ehre erweisen, der erkannte: "Für die heute fälligen politischen Entscheidungen ist ein hohes Maß an Intelligenz erforderlich. Dem sind Politiker in der Regel nicht gewachsen. Ihr geistiger Horizont ... ist begrenzt. Sie sind mehr Macher als Denker. Und vor allem verstehen sie sich auf die Macht.")

Die politische Schizophrenie wird zur Volksverhöhnung, indem sich eine schillernde Gestalt mit abstoßend eingefrorenem Grinsen vor den Medien im Schatten der Kanzlerin spreizt: Joachim Gauck, der nie Bürgerrechtler war. Echte Vertreter dieser Gattung wie Martin Luther King oder Nelson Mandela wollten Freiheits- und Bürgerrechte für jedermann, auch für ihre Gegner, wenn diese keine Verbrechen begangen hatten.

Im 1. Akt der Vorstellung war Sarrazin Akteur, im 2. Akt ist er der gemaßregelte Statist, der zu Kreuze kriecht und dafür hoch entschädigt wird. Neben der üppigen Rente dürfte ihm der Verkauf seines Buches mit Gewißheit Millionen einbringen.

Im 3. Akt kann die wiedervereinigte Kraft aller Abteilungen des Kapitals nun Sarrazins menschenverachtende Ideen in Politik umsetzen. Nachdem Menschenmassen im Ergebnis der gewaltigen wissenschaftlich-technischen Umwälzungen bei der Produktion von Mehrwert nicht mehr wie früher gebraucht werden, in der Folge der sich daraus ergebenden Verarmung als Konsumenten ausfallen, legt Sarrazin den Grundstein für deren gesellschaftliche Ächtung, indem er ihre "Unverwertbarkeit" für Ausbeutungszwecke "biologischer Minderwertigkeit" zuschreibt. Er zählt dazu muslimische Immigranten und Unterschichten. Vergessen hat er die "undankbaren Ostdeutschen", z. B. jene rund 80 % der über 60jährigen früheren DDR-Bürger, die sich 20 Jahre nach dem Anschluß noch immer nicht als "richtige Bundesbürger" fühlen. Diese sind wohl deshalb außer acht zu lassen, weil sie schon "gegauckt", d. h. durch Abwicklung ausgeschaltet wurden. Brauchbar ist Sarrazin auf jeden Fall: Denn er hat Altnazis und deren Nachkommen als Zielgruppe für künftige Sturmabteilungen gegen die "Minderwertigen" fest im Blick.

Sarrazin lobt zwar die geistige Potenz vieler Juden, bedient aber mit seinem Geschwafel vom "Juden-Gen" zugleich den Antisemitismus. Die biologische Argumentation ist von ihm erneut in die Welt gesetzt worden, nachdem sie zuvor schon auf einem jahrtausendelang mit dem theologischen christlichen Antijudaismus gedüngten Boden wucherte. Die Giftblüten des Antisemitismus kulminierten als Zündstoff für die Öfen von Auschwitz.

Die deutschen Meinungsmacher haben sich in die internationale Front der Völkerverhetzer eingereiht. Sie stehen an der Seite des dänischen Karikaturisten, der Roma-Vertreiber in Frankreich und Italien wie des dümmlichen Haßpredigers Jones, ehemals BRD, heute USA.

Das Volk ist eingelullt und handlungsunfähig. Der Nationalismus des schwarzrot-goldenen Fahnen-Sommermärchens ist durch Sarrazin auf eine stabilere Basis gestellt worden: der Biologisierung, die sich als eine Variante des Rassismus erweist. Die Massen schlucken widerspruchslos weitere soziale Untaten: Verarmung neuer Seniorengenerationen durch Rente mit zunächst 67, Streichung des Elterngeldes für Arme und Arbeitslose, stete Verschlechterung der medizinischen Versorgung, zunehmende Kinderarmut und andere Grausamkeiten, während es am Geld für immer neue Kriegsabenteuer nicht fehlt. Sarrazin hat als letzte Variante eine biologische Endlösung ideologisch vorbereitet: Weil du arm bist, mußt du früher sterben!

Horst Gröger, Bautzen

Raute

Der Theologe Hanfried Müller war "so etwas wie ein Kommunist"

Ein Mann des Glaubens und der Erkenntnis

Zu unserem Glück gehören trotz Konterrevolution viele kämpferische Bücher. Sie werden, wenn die heute gängigen Geschichtsfälschungen längst zu Makulatur geworden sein werden, noch viele Leser haben, die wissen wollen, in was für einer Zeit wir vor wie nach der Rückwende gelebt und warum wir uns gerade auf sie besonnen haben.

Zu diesen Büchern zählen nun auch die "Erfahrungen, Erinnerungen, Gedanken" von Hanfried Müller. Das Besondere: ein durchaus theologisches Buch, aber ausdrücklich auch für Marxisten, und zwar ohne missionarische Hinterlist. Zugleich ein durchaus marxistisches Buch, aber besonders für Christen, und zwar, um ihnen die Freiheit und Verantwortung ihrer gesellschaftlichen Option zu zeigen.

Hanfried Müller (1925-2009) hatte eine reformatorische Bewegung in der Theologie und in antinazistischen Kirchengemeinden schon als Jugendlicher kennengelernt und erlebte sie nach dem Krieg intensiv als Student in Bonn und Göttingen. Fast gleichzeitig entdeckte er für sich den Marxismus. 1952 kam er in die DDR und wurde als Professor der Theologie an der Humboldt-Universität der in beiden deutschen Staaten wohl markanteste, am meisten angefeindete Repräsentant der für den Sozialismus offenen Christen. Diese bildeten eine Minderheit, die nicht so klein war, wie manche es sich wünschten, in der allerdings nicht alle in Hanfried Müller einen Freund sahen.

Dies ist sein letztes Buch. Es handelt weder theologische noch marxistische Lehrsätze ab. Mit dem Untertitel "Zur Geschichte von Kirche und Gesellschaft in Deutschland seit 1945" bezieht es sich auf nahezu alles, was in der DDR und der evangelischen Kirche in ihr geschehen ist. Es ist aber auch kein Geschichtsbuch. Der Verfasser erinnert sich an das, was er erlebt, was er dabei gedacht und getan hat und was er als Erfahrung weitergeben möchte. So ist es ein stark persönliches Buch. Wiederum ist es aber auch keine Autobiographie. Das ihm in dieser Hinsicht Wichtige stellt er bündig klar: Eigentlich müßte es auch im Deutschen zwei Wir-Formen geben, eine für "ich und viele" und eine nur für "zwei zusammen". Wenn er "wir" schreibe, meine er fast immer insbesondere seine Frau, Rosemarie Müller-Streisand, Professorin für Kirchengeschichte an der Humboldt-Universität. Sie haben seit Studententagen alles zusammen gemacht und waren füreinander zuweilen das weit und breit einzige "Wir".

Dies weist für einen, der schon in Göttingen in der FDJ aktiv war und später reichliche Kontakte zu SED und Staat pflegte, auf etliche Schwierigkeiten nicht allein mit seiner Kirche hin. Einige davon schildert er - nichts Besonderes für ihn, aber eben schwierig in schwieriger Zeit.

Das Leben der "beiden Müllers" ist der beharrliche Hinweis an die evangelische Kirche, sie möge ihre Sache ernst nehmen und ihr Verhalten zu allen Menschen klären. "Ihre Sache ist das Hören und Sagen der Liebe Gottes in Jesus Christus zur Welt, ihr Verhältnis zu den Menschen, also die Liebe, und nichts sonst. Ihre Sache ist somit weder Macht noch Weltanschauung, noch Sorge um ihre Existenz, ihr Verhältnis zur Welt weder Einteilung der Menschen in gute und böse noch das Bestimmen einer Gesellschaftsordnung.

Mit dem allen würde sie weltliche Bestrebungen an die Stelle des Wortes Gottes setzen. Sie lebt aber allein in der Liebe und im Gehorsam Gottes und hat darin ihre Freiheit. In ihrem Verhältnis zur Welt ist es die 'Freiheit zum Dienen'". So ist sie "durch ihre Selbstverleugnung von der Welt unterschieden und durch ihre Liebe mit ihr verbunden", liest man auf Seite 232.

Damit sind die "Sieben theologischen Sätze von der Freiheit der Kirche zum Dienen" angedeutet. Sie waren 1963 von Mitgliedern des Weißenseer Arbeitskreises als Polemik gegen den oftmals raffinierten Antikommunismus der Kirche herausgegeben worden. Es ist aber unschwer zu erkennen, daß nicht nur gegen diese Form des Mißbrauchs des Glaubens polemisiert wird. Hier ist im Geist der Reformation gesprochen, und das in wirklicher Kollektivarbeit, um die Hanfried Müller sich immer bemühte. Der Leser spürt einmal die besondere Beglückung des Erzählers. "Für uns" waren diese Sätze mehr als negierende Polemik, "vielmehr assertorisches (versicherndes, d. Red.) Bekenntnis"! (S. 231)

In reformatorischer Freiheit werden die Christen nicht mehr von gesellschaftlichem Eigeninteresse der Kirche gegängelt, das sich noch meistens bei den Besitzenden und Herrschenden aufhielt. Sie mißbrauchen den Glauben weder für falsche Macht noch für heuchlerische Verwerfung jeder Macht. In den Aufgaben aller Menschen wie Ordnung und Macht werden sie zusammen mit den anderen und ohne nach deren Glauben zu fragen vernünftig, frei und demokratisch nach dem einzigen Kriterium der Gerechtigkeit und des Friedens ihr Gebot der Liebe verwirklichen. Sie sind mit Jesus den Unterdrückten und Schwachen nahe.

Somit hat sich Hanfried Müller als Christ zu "so etwas wie einem Kommunisten" entwickelt. Die Formulierung meint nicht Distanz, sie drückt die Ehrfurcht vor der Arbeiterklasse aus, die er als Mensch großbürgerlicher Herkunft betonen möchte.

Das Buch berichtet von seinem gesellschaftlichen Einsatz in Zusammenarbeit mit anderen, zuweilen auch im Gegenüber zu ihnen. Im nachhinein urteilt er, daß seine Entscheidungen richtig oder daß sie falsch oder daß sie auch beides waren.

Spannung weckt bereits das Inhaltsverzeichnis, z. B. "Wider die Remilitarisierung Westdeutschlands", "Konflikt zwischen FDJ und Junger Gemeinde", "SfS bzw. MfS", "Konterrevolutionäre Vorwehen in Mariánské Lázne". Chronologisch endet das Buch mit dem Jahr 1973. Der Verfasser ist leider zu früh gestorben. Dieter Kraft hat die Manuskripte zum Druck gebracht und auch das Inhaltsverzeichnis des nicht mehr Geschriebenen veröffentlicht. Wie schade z. B. um die Abschnitte "Der Zerfall der Kultur in zügellosen Imperialismus und Faschismus" oder "Von der Kunst parteilicher Selbstkritik" oder "Warum zersplittert der Kommunismus?"!

Jedoch müssen wir Hanfried Müllers Gedanken zu unserer Lage heute nicht vermissen. Im Blick auf sie hat er dieses Buch geschrieben, zu ihr nimmt er in jedem Kapitel ausdrücklich Stellung. Auch darin gelangt er durch seine Art, alles von vielen, wenn nicht von allen Seiten zu untersuchen und dennoch in gleichsam knapper Ausführlichkeit darzustellen, zu für den Leser überraschender Klarheit. Wohl ist er voller Sorge, aber sein abschließendes Kapitel würde unter der Überschrift gestanden haben: "Trotz alledem: 'Und sie bewegt sich doch!'"

Pfarrer i. R. Dr. Dieter Frielinghaus, Brüssow

Hanfried Müller: Erfahrungen, Erinnerungen, Gedanken. Zur Geschichte von Kirche und Gesellschaft in Deutschland seit 1945.
GNN-Verlag, Schkeuditz 2010, 330 S., 15 €

Raute

Vorbild als Mensch, Genosse und Kommandeur

Arbeitergeneral Walter Breitfeld

Als Walter Breitfeld am 3. Dezember 1903 in Meinersdorf zur Welt kam, wäre es wohl keinem der Einwohner dieses Ortes auch nur im Traum eingefallen, daß ein Junge von dort einmal Generalsuniform tragen würde. Meinersdorf, nahe Stollberg im Erzgebirge, gehörte nämlich zu einer Region, die als Notstandsgebiet des Kaiserreiches galt. Die meisten der etwa 1800 Einwohner arbeiteten als Strumpfwirker, auch Walters Eltern. So lag es in der Natur der Sache, daß der Junge nach Abschluß der vierklassigen Volksschule im Jahre 1918 ebenfalls diesen Beruf ergriff. Er hatte auch keine andere Wahl, war der Familie doch durch den 1. Weltkrieg der Ernährer genommen worden.

Aber der Vater hinterließ dem Sohn ein wichtiges Vermächtnis: immer zu wissen, zu welcher Klasse man gehört und daß man sich gegen Ausbeuter und Unterdrücker wehren muß. So trat Walter schon als Lehrling dem Textilarbeiterverband bei. Im März 1920 gehörte er zu jenen, welche die Kapp-Putschisten zurückschlugen. 1923 schloß er sich dem KJVD an, noch im selben Jahr gehörte er zu den Gründern der KPD in Meinersdorf. Überdies beteiligte sich der junge Kommunist am Aufbau einer örtlichen Einheit des Roten Frontkämpferbundes, deren militärischer Leiter er einige Jahre war.

Seine Kollegen wählten ihn in den Betriebsrat. Dem Unternehmer mißfiel das entschiedene Auftreten seines Arbeiters, so daß er den 25jährigen kurzerhand auf die Straße warf. Da ihn auch andere sächsische Fabrikanten nicht einstellten, suchte sich Walter einen Arbeitsplatz in Jugoslawien. Von dort kehrte er 1932 ins Erzgebirge zurück.

Als Kurier der KPD organisierte er illegale Transporte, auch von Waffen, aus der CSR über die Grenze. Nach dem Machtantritt der Faschisten wurde er in Abwesenheit wegen Hochverrats und Sprengstoffverbrechen zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Walter Breitfeld ging nach Österreich, dessen Behörden ihn bald wegen antifaschistischer Tätigkeit auswiesen. In der Tschechoslowakei war er dann als Instrukteur der Partei und Verbindungsmann zur Roten Hilfe aktiv. Im August 1937 gelangte er mit einem mexikanischen Paß in das republikanische Spanien. Er wurde sofort dem Thälmann-Bataillon der XI. Internationalen Brigade zugeteilt, zuerst als Zugführer, dann als Politkommissar der 2. Kompanie. Während der Kämpfe bei Teruel im März 1938 schnitten die Faschisten ihn und weitere 20 Genossen vom Bataillon ab. Es gelang Walter Breitfeld aber unter schwierigsten Bedingungen, seine Gruppe durch die feindlichen Linien zu ihrer Einheit zurückzuführen. Fünf Monate später wurde er so schwer verwundet, daß ein weiterer Fronteinsatz nicht mehr möglich war.

Nachdem die Interbrigaden Spanien hatten verlassen müssen, fand sich der deutsche Kommunist im französischen Internierungslager Gurs wieder. Er floh von dort und gelangte nach Marseille, wo er für mehrere Wochen inhaftiert wurde. Nach einem abermaligen Fluchtversuch erreichte er die Schweiz. Die Eidgenossen schickten ihn nach Frankreich zurück, wo er sich der Résistance und dem Komitee "Freies Deutschland für den Westen" anschloß. In einer am 11. Juni 1945 ausgestellten Urkunde bescheinigte ihm das Zentrum für Aktion und Verteidigung der Stadt Lyon die aktive Teilnahme am Widerstand: "Von 1940 bis 1944 hat Herr Breitfeld als Agent in der antideutschen Bewegung namentlich gegen die Gestapo in der Absicht Dienst getan, zur Vernichtung der Okkupanten beizutragen", heißt es in dem Dokument.

Ende Juni 1945 wieder in Meinersdorf angekommen, stellte sich der kampferfahrene Genosse unverzüglich dem Neuaufbau zur Verfügung. Engagiert bereitete Walter Breitfeld in seinem Heimatort die Vereinigung von KPD und SPD vor. In Zwickau war er 1. Sekretär der SED-Kreisleitung. Er absolvierte einen Lehrgang der Landesparteischule. Im März 1949 brauchte man Leute wie ihn beim Aufbau der Sicherheitsorgane des Landes Sachsen. Ein Jahr später holte man Walter Breitfeld in die DVP-Hauptverwaltung nach Berlin, wo er mit Heinz Hoffmann, Herbert Grünstein und Hermann Dünow für die Politarbeit in der VP zuständig war. Im Herbst 1953 galt es, die Berliner Volkspolizei bei der zuverlässigen Sicherung der Hauptstadt zu stärken. Zugleich mußten die gerade erst formierten Kampfgruppen der Arbeiterklasse ausgebildet werden. Der erfahrene Revolutionär Walter Breitfeld wurde in dieser Situation Politstellvertreter des Berliner Polizeipräsidenten. Ein Jahr später kandidierte er für die DDR-Volkskammer, der er bis 1963 angehörte.

1956/57 komplizierte sich die internationale Lage. Die BRD war unterdessen der NATO beigetreten und begann nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht mit massiver Aufrüstung. An der Staatsgrenze der DDR häuften sich Zwischenfälle und Provokationen von westlicher Seite, an denen die von ehemaligen Nazioffizieren geführten Bundesgrenzschutzkommandos Süd und Nord großen Anteil hatten. Die DDR konnte die Unantastbarkeit ihrer Staatsgrenze nicht mehr durch einfache Grenzpolizeiposten garantieren. So war die Entwicklung einer Grenztruppe erforderlich. Neben materiell-technischen Maßnahmen ging es nicht nur um die Ausweitung des Personalbestandes, sondern auch um dessen fachliche und politische Qualifizierung. Im April 1957 wurde Oberst Walter Breitfeld als Stellvertreter des Kommandeurs der Deutschen Grenzpolizei, des Generalmajors Paul Ludwig, eingesetzt. Dieser hatte ebenfalls in den Internationalen Brigaden in Spanien gekämpft.

Fast fünf Jahre leitete Breitfeld die Hauptabteilung für Politische Arbeit, danach die Politische Verwaltung der Grenzpolizei/Grenztruppen. In dieser Funktion bemühte er sich vor allem um die Festigung der Parteiorganisationen und die Prägung des Offizierskorps in den Grenzbrigaden und Grenzbereitschaften. Besondere Aufmerksamkeit widmete er den jungen Beschützern der Republik. In persönlichen Gesprächen und bei vielen Zusammenkünften stand er ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Die Regierung der DDR würdigte Walter Breitfelds Leistungen durch die am 7. Oktober 1959 erfolgte Beförderung zum Generalmajor und die Verleihung des Karl-Marx-Ordens sowie weiterer hoher Auszeichnungen.

Im Januar 1962 schied der Arbeitergeneral aus dem Truppendienst aus, um fortan als Vizepräsident des Deutschen Roten Kreuzes und Mitglied des Zentralvorstandes der Gewerkschaft Gesundheitswesen zu wirken. Er gehörte dem Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR an. Walter Breitfeld starb am 21. Juni 1981 in Berlin.

Oberst a. D. Karl-Heinz Kathert,
Oberstleutnant a. D. Günter Freyer


PS: Die Autoren waren von 1957 bis 1962 als junge Offiziere Walter Breitfeld direkt unterstellt und haben ihn als Mensch, Genossen und Vorgesetzten schätzen und achten gelernt.

Raute

Warum die BRD jetzt auch den Strafvollzug zu privatisieren beginnt

Hünfelder Knast macht Schule

In der BRD ist die Zahl der Strafgefangenen rasant gestiegen. Befanden sich 1995 insgesamt 46.500 Frauen und Männer im Strafvollzug, waren es 2007 knapp 65.000. Bezogen auf je 100.000 strafmündige Einwohner (älter als 14 Jahre) saßen somit 67 (1997) bzw. 90 (2007) Personen in Justizvollzugsanstalten (JVA) ein. Die Tendenz ist weiter steigend. Die Tageshaftkosten schwankten zwischen 119,92 € in Brandenburg und 70,32 € in Bayern. Die Gefängnisse sind in der Regel baufällig und überfüllt. Sie platzen aus allen Nähten. Neubauten dauern 7 bis 10 Jahre. Und sie kommen die zuständigen Landesregierungen teuer zu stehen. Es fehlt aber auch an Personal, weil die Bundesländer kein Geld haben. Der Personalbedarf ist sehr unterschiedlich. Für 100 Haftplätze standen in Niedersachsen 58 Personen und in Baden-Württemberg nur 43 zur Verfügung. Die Zahl der Arbeitsplätze für Sozialarbeiter und Beamte geht ständig zurück, wodurch die Gefängnisse immer unsicherer werden. Der Justizstrafvollzug steckt in der Krise.

In dieser Situation bieten Konzerne den Länderregierungen ihre Hilfe an. Sie versprechen, in der Hälfte der üblichen Zeit und für weniger Geld eine neue JVA zu errichten und das schlüsselfertige Objekt dem Staat für einen vertraglich vereinbarten Zeitraum zu vermieten. Sie sind auch bereit, den laufenden Betrieb der JVA gleich mit zu übernehmen. Das spart den Ländern auch noch Personalkosten. Seit 2005 gibt es in Hünfeld (Hessen) das erste teilprivatisierte Gefängnis dieser Art in der BRD. Die dort einsitzenden 450 Strafgefangenen werden von 115 staatlichen Angestellten und Beamten bewacht. Zugleich ist die internationale Dienstleistungsfirma SERCO mit 102 Mitarbeitern für die Bauunterhaltung, Verpflegung, Küche, Reinigung, medizinische und psychologische Betreuung sowie den Betrieb der anstaltseigenen Werkstatt zuständig. Am ersten Jahrestag der Inbetriebnahme war man des Lobes voll. Die Haft- und Betriebskosten lagen angeblich um 10 % unter denen einer rein staatlichen JVA, und die Beschäftigungsquote der Strafgefangenen betrug 76 % statt 36 %. Unter Berücksichtigung der alters- und krankheitsbedingten Nicht-Arbeitsfähigen herrschte Vollbeschäftigung. Kein Wunder, daß das Beispiel Hünfeld Schule machte. Es folgten Offenburg (Baden-Württemberg), Bremervörde (Niedersachsen) und Burg (Sachsen-Anhalt). Mit der JVA Burg ging die Landesregierung noch einen Schritt weiter. Waren in Hünfeld die Aufträge für Bau und Betrieb der JVA getrennt ausgeschrieben worden, so wurde jetzt das gesamte Gefängnis - soweit rechtlich zulässig - einem privaten Konsortium überantwortet, von der Planung über den Bau und die Finanzierung bis zum Betrieb des "Hauses".

Bei dem Konsortium handelt es sich um den Bauriesen Bilfinger Berger und die Sicherheitsfirma Kötter, die bereits den Zuschlag für die JVA Offenburg erhalten hatte. Bilfinger Berger geriet in diesem Jahr in die Schlagzeilen. Grund dafür waren der lebensgefährliche Pfusch beim U-Bahn-Bau in Köln und Düsseldorf so wie die Mängel an der Autobahn A1 Hamburg-Bremen.

Die Privatfirma Kötter - 1934 als Wach- und Schutzdienst gegründet - ist heute mit 12.000 Mitarbeitern an 50 Standorten in Deutschland vertreten. Das Spektrum der von ihr angebotenen Leistungen reicht von Gebäudereinigung über Wachschutz bis zur Personalberatung. Kötter bietet Dienstleistungen für Industrie und Handel, Museen, Nahverkehrsbetriebe und den Strafvollzug an.

Das Kerngeschäft ist jedoch der Sicherheitsbereich. Im sogenannten Sicherheitsbeirat der Firma sitzen solche Fachleute wie der Gründer der Polizeisondereinheit GSG 9, Ulrich Wegener, und der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Peter Frisch.

Kötter betrachtet sich als Spezialist "für personalintensive Prozesse". Im Klartext: Die von den Landesregierungen "ausgelagerten", da hohe Personalkosten verursachenden Verwaltungsdienste werden von den ungenügend geschulten und gering bezahlten Mitarbeitern der Sicherheitsfirma wahrgenommen. Im Strafvollzug sieht es dann so aus, daß Staatsbedienstete mit entsprechender Vergütung acht Stunden ihren Dienst versehen, während die Mitarbeiter von Kötter - wie im Wach- und Sicherheitsgewerbe üblich - Zwölf-Stunden-Schichten bei etwa 7 € Stundenlohn absolvieren müssen.

Für die in Burg mit 22 ha flächenmäßig größte JVA der BRD verausgabten Bilfinger und Kötter 525 Millionen Euro. Davon waren 10 % Eigenkapital. Die Masse des Geldes brachten Commerzbank, Nord LB und HSH Nordbank auf. Durch den Bieterwettstreit (Sachsen-Anhalt hatte den Auftrag europaweit ausgeschrieben) drückte die Konkurrenz den Preis so weit nach unten, daß die Landesregierung statt der ursprünglich errechneten 8 % Kostenersparnis nunmehr von nahezu 15 % ausgehen konnte. Im Rahmen des zunächst für 25 Jahre geschlossenen Mietvertrages zahlt das Land Sachsen-Anhalt dem Betreiber monatlich 1,5 Millionen Euro. Für diesen ist das eine außerordentlich profitable Angelegenheit, denn es werden regelmäßig - unabhängig von der Krise - gleich hohe Einkünfte erzielt und so die konjunkturellen Schwankungen im Baugewerbe "abgefedert". Für die ohnehin kräftig wachsende Sicherheitsbranche ist das Vordringen in den Strafvollzug ein lukratives Geschäft.

Die Privatisierungspraxis steht in der Kritik. Nach Artikel 33, Absatz 4 des Grundgesetzes ist der Strafvollzug eine hoheitliche Aufgabe, die von Staatsbediensteten ausgeführt werden muß, welche einer entsprechenden Ausbildung bedürfen. Die Beamten müssen neben ihrer Qualifizierung im Beruf eine zweijährige Unterweisung im Strafvollzug durchlaufen. Die Mitarbeiter der Sicherheitsfirmen werden in einer Art Crash-Kurs von wenigen Wochen völlig unzureichend auf ihren Einsatz vorbereitet. Doch damit nicht genug. Die Strafgefangenen sind zur Zwangsarbeit verpf lichtet. Ihre Tätigkeiten reichen vom Verpacken von Werbegeschenken bis zu Leistungen für Autozulieferer. Sie erhalten dafür 8 bis 10 € pro Tag Entgelt.

Das sind etwa 10 % dessen, was der Auftraggeber zu zahlen hat. Die Strafgefangenen haben kein Streikrecht, können sich nicht gewerkschaftlich organisieren. Über Krankmeldungen entscheidet der Anstaltsarzt, der aber von der jeweiligen Sicherheitsfirma bezahlt wird.

Inzwischen ist auch ruchbar geworden, daß die angegebenen finanziellen Einsparungen nicht den Tatsachen entsprechen. Ein Vergleich der 2007 entstandenen Kosten ergab 83 Euro pro Tag und Strafgefangenen in Hünfeld und 79 Euro in der vergleichbaren staatlichen JVA Darmstadt.

Die Teilprivatisierung von Aufgaben des Strafvollzugs schreitet weiter voran. Das geht einher mit seiner Verschärfung, wie sie sich nach der Übertragung der Zuständigkeit für die Gesetzgebung vom Bund an die Länder durch die Föderalismusreform seit 2007 abzeichnet. Experten befürchten, daß die Resozialisierung - d. h. das eigentliche Ziel des Strafvollzugs - durch die fortschreitende Privatisierung wie in den USA auf der Strecke bleibt und damit auch die Rückfallquote steigt. Doch das ist nicht die Sorge der Konzerne. Auf ihrer Jagd nach Maximalprofit rechnen sie einzig und allein mit den Eingesperrten, und dazu zählen auch die Rückfälligen.

Dr. Dieter Hillebrenner, Dresden

Raute

Gedanken zur angeblichen Vereinigung und der "Befreiung" des Ostens

Vor dem Essen, nach dem Essen

Die deutschen Dinge sind so verfahren, daß an eine geistige Vereinigung nicht zu denken ist, da es keine gemeinsame Grundlage gibt und die Kontrahenten sich im gemeinsamen deutschen Haus mit Küchenutensilien statt mit Argumenten bewerfen. Und wenn sie über die Menschenrechte nachdenken, die in der 1948 von den Vereinten Nationen beschlossenen Internationalen Charta zu finden sind, das Recht auf persönliche Freiheit, Besitz, Asyl, Gleichheit, Arbeit und soziale Sicherheit und so weiter, werden sie feststellen, daß "vor dem Essen" oder dem sogenannten Anschluß manches anders klang.

Die Vereinigung hat das kapitalistische Deutschland veranlaßt, mit Siegermentalität in das "eroberte Feindgebiet" einzufallen, die Schlüsselpositionen mit eigenen Leuten zu besetzen, die Intelligenz "abzuwickeln", die Konkurrenz in den Konkurs zu treiben, die östlichen Verbindungen zu kappen und die "lieben Brüder und Schwestern" schließlich zu "konditionieren", also das Wohlverhalten (sprich Kollaboration) zu belohnen, die Aufmüpfigen aber zu bestrafen. Und summa summarum ein System überzustülpen, das für pornographische Freizeitspäße, angebotsüberladene Glitzermeilen, sinnentleerte Talkshows und ein Bildungssystem zuständig ist, das sein Ziel im Gelderwerb erblickt. Es soll den Menschen befähigen, jung, dynamisch, heuchlerisch und verlogen den Nebenmenschen als Konkurrenten zu betrachten, ihn im Wirtschaftskrieg aller gegen alle mit allen Mitteln auszuschalten und der perfiden Moral zum Sieg zu verhelfen, die das Weiterkommen in der Hierarchie und das Bankkonto zum alleinigen Gradmesser machen. Das alles oder so ähnliches hatten wir schon mal (mit Hakenkreuz, Führerkult, Nazistiefeln und dem Markenzeichen Weltuntergang).

Die Frage nach dem Glück und dem Sinn des Lebens, die in der sozialistischen Gesellschaft immerhin gestellt worden ist und den Einzelnen mit dem gesellschaftlichen Fortschritt verband, dürfte von denen, die ohne Arbeit sind, kaum aufgeworfen werden. Die übrigen sind rasch konditioniert, weil das Anpassen eine Frage des Überlebens geworden ist und das Geld, das verfluchte "Habendenken", die Suche nach humanistischen Werten, nach Selbstverwirklichung und Toleranz unmöglich oder zumindest fragwürdig zu machen scheint. Die "demokratischen" Instanzen haben kein Interesse daran, diese Frage zu stellen oder in den Mittelpunkt ihrer Politik zu rücken. Wenn zuvor der individuelle Wunsch und die gesellschaftliche Möglichkeit mehr oder weniger die Lebensplanung bestimmten, so ist es jetzt der Zufall oder die Bereitschaft, um jeden Preis und für jeden Preis eine Verdienstquelle zu finden, auch wenn die höhere Qualifikation das eigentlich nicht erlaubt.

Natürlich wären die Ostdeutschen, hätten sie in der deutsch-deutschen Auseinandersetzung den Sieg davongetragen - immerhin eine interessante Spekulation -, ähnlich mit dem Klassengegner umgegangen, wie es umgekehrt die Politstrategen zwischen Rhein und Elbe tun. Natürlich hätten die Genossen des Politbüros dafür gesorgt, die Macht der Arbeiterklasse zu sichern, Banken und Großindustrie zu enteignen, das Gesundheitssystem zu sozialisieren, die Frauen in den Produktions- und Verantwortungsprozeß einzuspannen, die Geburtenrate zu erhöhen, das Bildungssystem zu politisieren, die Bundeswehr aufzulösen, die Kunst realsozialistisch umzufunktionieren, die Wissenschaft in den Dienst des Fortschritts zu stellen und jeden, der dazu bereit gewesen wäre, solidarisch in die "Gemeinschaft der Werktätigen" aufzunehmen.

Es ist ein Gedankenspiel, nichts weiter, immerhin ein Spiel mit der Möglichkeit, denn die Umkehrung hat auch niemand erwartet. Und eine solidarische, gleiche, den Menschenrechten und der Humanität verpflichtete Gesellschaft ist eben nicht leicht zu verwirklichen.

Jetzt aber haben die Herren der Unternehmerverbände das Sagen, die Banker beraten sie, die Politiker führen's aus, die Macht wird gesichert, die Konkurrenz ausgeschaltet, der enteignete Boden wieder enteignet, das Gesundheitssystem privatisiert, die Schule auf den Markt gebracht, die Frau auf den Strich geschickt, der Mann in die Obdachlosigkeit, die Waffen der Volksarmee werden verscherbelt und Künste wie Wissenschaften politisch und moralisch diskreditiert. Das Rechtssystem trifft politische Entscheidungen, wenn es schwarze Kassen zu schützen gilt und bei gleichem Straftatbestand zu subjektiven Urteilen zwischen Freispruch und zehn Jahren Haft gelangt ...

Die "Befreiung" des Ostens ist eine halbe Vergewaltigung mit einer ganzen Lüge. Die Vereinigung holpert über die Kopfsteinstraßen des Kalten Krieges, die ökonomische Zusammenführung hat aus dem Osten einen Selbstbedienungsladen für westliche Unternehmer gemacht, die Andersdenkenden werden kriminalisiert, die politischen Gegner diffamiert und die "Vereinigungskosten" von den sozial Schwächsten bezahlt. Die Unsicherheiten beim Gebrauch des Grundgesetzes sind so groß, daß man geneigt ist, es selbst in Frage zu stellen. Und die anvisierten Veränderungen nützen dem Kapital und nicht der sozialen Sicherheit. Kurzum, nicht der Mensch, sondern das Geld und die Ideologie des Geldes, also ein Fetisch, ein Götze steht im Mittelpunkt.

Das Vereinigungsmotiv ist Gelderwerb und die vielgerühmte Freiheit ein Synonym für die Zwänge der Marktwirtschaft, die Gleichheit ein Vorrecht der Geldaristokratie, die Brüderlichkeit ein Privileg der Leute, die unter Brücken schlafen, und die über alles erhabene Demokratie ein Mäntelchen für die Politiker, die öffentlich Wasser predigen und die Hand aufhalten, wenn die Lobbyisten die Belange der Wirtschaft preisen. Da alles zu kaufen ist, kann man Menschen, Meinungen, Morde oder ein Stück Staat kaufen. Der Preis, nicht die Moral, regelt die Geschäfte, wenn der Gewinn hoch genug ist.

Die Karrieristen der DDR haben sich "konditionieren" lassen, Parteiabzeichen und Aktivistennadeln in den Müll geworfen und tun für Geld, für mehr Geld jetzt das, was sie früher getan haben: Sie heucheln Demokratie, wie sie Sozialismus à la Schabowski geheuchelt haben, und machen den Buckel so krumm wie ehedem. Warum nicht? Der Verführungskraft des Geldes ist schwer zu widerstehen. Auch Gorbatschow, die Hoffnung impotenter Intellektueller der DDR, hat die Spielregeln des Opportunismus begriffen, einstiges Mitmachen verdrängt und sein Säckchen mit Sterntalern gefüllt.

Aus einem Essay von Gerhard Schmidt, Halberstadt

Raute

Von der "Heldenstadt" zur Armuts-Metropole

Die "Heldenstadt" Leipzig erhielt im Juli eine besonders bittere Pille verpaßt: Wiesbadener Bundesamtsstatistiker ermittelten die Messemetropole als BRD-Armutshauptstadt. Das ist zwar schon seit Jahren der Fall, doch amtlich bestätigt wurde es erst in diesem Sommer. Was sagten Leipzigs famose "Bürgerrechtler" dazu? Oder die Stadtoberen? Natürlich herrschte absolute Funkstille. Die Bürger der Stadt an der Pleiße waren mal, lange her, sehr viel redseliger.

Im Juli-Heft des "Focus" begegnete ich einem als Blender daherkommenden Tiefflieger erster Klasse: Bundeswirtschaftsminister Brüderle ließ sich dort als Heiland Ludwig Erhard ablichten und trug dessen "Bibel" unter dem Arm. Deren Slogan hieß bekanntlich: Wohlstand für alle!

"Der Aufschwung ist da", verkündete Merkels Mann für Mißwirtschaft bei der unter Hartz-IV-Opfern und Hungerlöhnern grassierenden Armut! Brüderle und "Focus" erhalten dafür je eine Rote Karte. Das kann auch ein Parteienforscher nicht verhindern, der einige Seiten weiter das Versagen der von ihm untersuchten Formationen direkt benannte.

Anfang August fiel mir während eines kurzen Urlaubstrips in Markneukirchen die Pleite der Musikinstrumentenfirma Schreiber & Keilwerth im Gewerbegebiet auf. Als Retter in der Not übernimmt das französische Unternehmen Buffet 134 Holzblasinstrumentenbauer, während die noch 125 Beschäftigten der Blechblasinstrumentenfertigung leer ausgehen. Die "Freie Presse" brachte ein hübsches Foto mit Rettern und Gewinnern, während die Verlierer - wie üblich - ausgeblendet wurden. Deren Meinung war nicht gefragt. "Ein Glücksfall für Markneukirchen", hieß es nur.

Auch im benachbarten Plauen droht bei den Autolampenwerkern von Philips (ehemals VEB NARVA) das Licht auszugehen. Angst macht sich breit. Der Betrieb soll aus Profitgründen nach Polen "verlagert" werden. Bei den Plauenern greift das Staunen darüber um sich, was die zur Errettung und Beglückung herbeigerufenen Kapitalisten für nette Überraschungen auf Lager haben.

Bekannt wurde mir überdies, daß auch der "Freistaat" Sachsen aus Finanznot jetzt Produktionsaufträge ins Ausland vergibt und hiesige Firmen im Regen stehen läßt. In gewissem Maße ist das nachvollziehbar, gingen doch die Einnahmen aus der Gewerbesteuer im ersten Halbjahr zurück.

Ende August traf ich auf eine Sozialarbeiterin der Evangelischen Kirche, die ständig in den Niederungen des "Aufschwungs" zu tun hat. Aus ihrer Erfahrung bezeichnete sie die Situation als "psychisch belastend und ökonomisch oft unerträglich, dazu völlig überbürokratisiert". Die Hartz-IV-Betroffenen fühlten sich herumkommandiert und auf Schritt und Tritt kontrolliert, gewissermaßen wie Kindergartenzöglinge nackt ausgezogen und überdies unter Verdacht, nichts als Leistungs-Erschleicher zu sein. Sie stünden auf dem gesellschaftlichen Abstellgleis.

Die Frau weiß, wo und wie "unten" ist. Über das hohle, dumme und arrogante Geschwätz etlicher Besserverdiener kann sie nur den Kopf schütteln. "Ich fühle mich fast völlig hilflos", sagte sie mir.

Joachim Spitzner, Leipzig

Raute

Abc des Marxismus - Kapital

Im Alltag gelten fälschlicherweise Geld und Kapital als dasselbe. Kapital beruht aber stets auf Ausbeutung. Reichtum ist nicht immer Kapital. Ein hervorragender Maler kann durch seine Bilder reich werden. Durch eigene Arbeit wohlhabend zu sein, ist nicht verwerflich.

Geld wird jedoch zu Kapital, wenn es in der Produktion ausschließlich zu dem Zweck angewandt wird, durch Ausbeutung Mehrwert aus Lohnarbeitern (körperlich oder geistig Arbeitenden) herauszuholen. Kapital offenbart sich so als Wert, den sich der Kapitalist, der dem Lohnarbeiter lediglich den Wert seiner Arbeitskraft erstattet, durch dessen Mehrarbeit unentgeltlich aneignet. Es handelt sich um ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis. Seine Voraussetzung ist das kapitalistische Privateigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln. Dessen Konzentration in wenigen Händen und die Trennung der großen Masse der Produzenten von den Produktionsmitteln zwingt diese, ihre Arbeitskraft, die einzige ihnen gehörende Ware, bei den Kapitalisten zu Markte zu tragen.

Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft sind im Prozeß der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals zum bestimmenden Kennzeichen der bürgerlichen Gesellschaft geworden. Die Scheidung der sich objektiv unversöhnlich gegenüberstehenden Arbeiterklasse auf der einen und der Klasse der Kapitalisten auf der anderen Seite, die Unvereinbarkeit ihrer Interessen, ist die Konsequenz. Die Bourgeoisie siegte im Kampf gegen den Feudalismus und die Reste aller anderen vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen. Sie vermochte es, ein bis dahin nie gesehenes Wachstum der Produktivkräfte in Gang zu setzen. Insofern war - und ist in einigen Gegenden auch heute noch - die kapitalistische Produktionsweise ein Fortschritt im Verhältnis zu früheren, auf archaischen Formen der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beruhenden Gesellschaftsordnungen.

Der unüberbrückbare Gegensatz (Antagonismus) von Bourgeoisie und Proletariat hat schon seit mehr als einem Jahrhundert den Kapitalismus in die gleiche Situation historischer Überlebtheit versetzt wie den Feudalismus, den er einst auf revolutionärem Wege überwand. Wiederkehrende Krisen signalisieren der Menschheit: Das Kapital ist zum Entwicklungshemmnis geworden. Der auf die Spitze getriebene Grundwiderspruch des Kapitalismus zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit und privatkapitalistischer Aneignung drängt zur Lösung. Nunmehr handelt es sich jedoch nicht mehr darum, daß eine Ausbeuterordnung die nächste beerbt. Jetzt geht es um die Beseitigung der Ausbeutung überhaupt. Dazu bedarf es der politischen Macht der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten, um Schritt für Schritt das Privateigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln zu überwinden.

Zur Klarstellung: Es handelt sich dabei nicht um persönliches Eigentum, um das selbst genutzte Wohnhaus oder Grundstück usw. Es dreht sich auch nicht um Kleineigentum an Produktionsmitteln, etwa im Handwerk. Finanz- und Monopolkapital beherrschen die entscheidenden Schaltstellen und Kommandozentralen der Welt. Sie müssen auf revolutionäre Weise überwunden werden. Langfristig geht es darum, eine Gesellschaft zu errichten, in der die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist, also ein geleitetes Gemeinwesen, jedoch ohne Klassen und ohne Staat.

Das zu erkämpfen, ist in erster Linie Aufgabe der Arbeiterklasse, deren historische Mission. Marx und Engels unterstrichen realistisch, man dürfe "keineswegs ... die Proletarier für Götter" halten. Entscheidend ist: Das Proletariat "kann sich nicht selbst befreien ­..., ohne alle unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft, die sich in seiner Situation zusammenfassen, aufzuheben. ­... Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist, und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird." (MEW, Bd. 2, S. 38)

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

"info links": Bekenntnis zur internationalen Solidarität

Vietnamesen in Berlin-Lichtenberg

Anläßlich des Nationalfeiertages der Sozialistischen Republik Vietnam sprach Inge Junginger für "info links" mit Nguyen Son Thach, Projektleiter in der Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und Brandenburg.

"info links": Wie viele Bürger vietnamesischer Abstammung leben in Lichtenberg?

Nguyen: Von den ungefähr 11.000 Vietnamesen in Berlin sind es in Lichtenberg 4300. Viele sind ehemalige Vertragsarbeiter und deren Nachkommen, andere sind später nach Deutschland gekommen, auf Grund von Familienzusammenführung, zum Studium oder als Gastarbeiter. Nicht alle sind uns bekannt.

"info links": Zum Beispiel die Zigarettenhändler?

Nguyen: Die leben zumeist illegal hier, haben viel Geld an Schleuser gezahlt und auf ein gutes Leben in Deutschland gehofft. Sie sind auch an kriminelle Banden geknüpft. Da haben wir keinen Einfluß.

"info links": Sind die meisten Vietnamesen in Deutschland eingebürgert?

Nguyen: Nein, nur etwa 20 Prozent. Die Hürden sind hoch, zwei Eignungstests müssen bestanden werden. Auch wer schon lange hier lebt, kennt sich mit deutscher Geschichte und der politischen Ordnung nicht so gut aus. Unser Verein versucht, durch die Vermittlung entsprechender Lehrgänge zu helfen.

"info links": Wie sind Sie in Lichtenberg integriert?

Nguyen: Wer legal hier lebt, ist auch gut integriert. Im Unterschied zu anderen Migrantengruppen fallen die Vietnamesen nicht auf, sie leben ruhig. Viele sind als Blumen- oder Gemüsehändler, Imbißbetreiber usw. selbständig. Aber es gibt auch 20 Prozent Hartz-IV-Empfänger, und wer einen Job hat, erhält zumeist Niedriglohn und muß beim Jobcenter Aufstockung beantragen.

"info links": Wie sind die Sprachkenntnisse und der Bildungsstand?

Nguyen: Sehr differenziert, wie alles. Da gibt es diejenigen, die zum Studium in die DDR gekommen waren und hiergeblieben sind. Wie ich (lacht). Aber viele ehemalige Vertragsarbeiter können nur schlecht Deutsch. Sie waren eben zur Arbeit hier, können Deutsch verstehen und etwas sprechen, aber kaum lesen und schreiben. Mit den später Zugewanderten sieht es nicht anders aus (während unseres Gesprächs erhielt Nguyen vier Anrufe mit der Bitte um Dolmetscherdienste). Etwa 800 Kinder und Jugendliche gehen in die Schule. Die meisten lernen recht gut, 70 Prozent werden von den Lehrern fürs Gymnasium vorgeschlagen. Aber Schulnoten sind auch nur relativ.

"info links": Wie überall! Pflegen Sie die vietnamesische Kultur, und wie ist die Bindung zum Heimatland?

Nguyen: Das ist unsere wichtigste Aufgabe. Wir selbst haben künstlerische Arbeitsgemeinschaften, und da gibt es auch noch die "Reistrommel" und die "Bürgerinitiative Ausländische Mitbürgerinnen".

Wir unterrichten die Kinder in Vietnamesisch, denn wenn sie hier in den Kindergarten und in die Schule gehen, können sie ihre Muttersprache nicht mehr. Die Bindungen zu Vietnam sind sehr stark, aber leider haben die meisten nicht genug Geld, um jedes Jahr nach Hause zu fahren.

"info links": Haben Sie auch Verbindung zu SODI?

Nguyen: Natürlich! Ilona Schleicher (sie engagiert sich für SODI in verschiedenen Ländern - d. Red.) tut ja sehr viel für Vietnam.

"info links": Vielen Dank für das Gespräch.

(Aus "info links", September 2010)

Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildung:

Vietnamesischen Kindern in Berlin wird ihre Muttersprache vermittelt.

Raute

Energetikerin Dr. Merkel: Viel Wind mit kurzen Jacken

Täglich lesen und hören wir vom Energiekonzept der Bundesregierung und ebensooft die Beteuerungen der Kanzlerin, die doch mal Physikerin war, daß dabei die "erneuerbaren Energien" nicht zu kurz kämen, womit sie offenbar zuerst die Nutzung von Sonne und Wind meint. Als Alternative zu den fossilen Energierohstoffen aus der Erde und schließlich auch zur unsicheren Kernenergie. Aber wie meint sie das?

Und wie funktioniert das? Was will Frau Merkel tun, um die Energie von Wind und Sonne zu erneuern? Geht das so einfach? Will sie der Sonne dazu ein wenig einheizen? Mit Rohbraunkohle oder Holzhackschnitzeln?

Jene Energieträger kennt sie sicher noch von früher. Oder haben wir demnächst mit einem Winderneuerungsgesetz zu rechnen, das jede Familie verpflichtet, mindestens eine Tretmühle mit Windrad zu betreiben? Nicht um den Wind zu nutzen, sondern um neuen zu erzeugen, wenn der alte verweht ist. Oder meint man gar, die im Zusammenhang mit dem befürchteten und sich bereits abzeichnenden Klimawandel zu erwartenden katastrophalen Sturmlagen als Kollateralgewinn zu nutzen? Na, dann mal weiter so! Zunächst aber: Treten wir alle hinaus, beamen schwarzen Grus und Späne gen Himmel und wedeln emsig mit unseren kurzen Hemdchen!

Also ist es wohl doch recht unsinnig und geradezu unphysikalisch, diese Energien als "erneuerbare" zu bezeichnen. In dem Moment, in dem sie genutzt werden, sind sie auch schon verbraucht. Es sind Energiequellen wie andere, allerdings umwelt- und verbraucherfreundlicher als die heute dominierenden und wohl eines Tages fast unbegrenzt verfügbar. Erneuert wird dabei allerdings nichts. Sie sind aber eine unbedingt begrüßenswerte Alternative zur gegenwärtigen Lage. Wind- und Sonnenenergie faßt man deshalb auch gemeinsam mit anderen unter dem Begriff der "alternativen Energien" zusammen. Dieser Begriff stimmt, wird auch in Deutschland gebraucht, ist aber offensichtlich nicht so sehr regierungsamtlich.

Was mag wohl Kanzlerin und Regierung zu solch begrifflichem Unsinn bewegen? Ist das nur eine taktisch begründete Anleihe beim Vokabular der grünen "Erneuerungs"trommler, um diesen damit eine Portion Wahlwind-Energie aus den Segeln zu nehmen? Schwarze Parteiräson!? Oder ist das Vermeiden des alternativen Begriffs nichts anderes als ein devoter Bückling vor den AKW-Konzernen? Schwarzgelbe Koalitionsräson!? Das Wahlvolk hat es abzunehmen.

Aber kann man denn dafür seine akademische Reputation verkaufen? Möglicherweise soll man heute aber auch deshalb nicht so sehr von den "alternativen Energien" sprechen, weil sich mancher daran erinnern könnte, daß dieser Begriff schon in der DDR eine wichtige Rolle in mittel- und langfristigen Überlegungen zum Energieplan gespielt hat.

Wolfgang Mäder, Neubrandenburg

Raute

Wie ein "Staatsnaher" vom Bundesarchiv auf die Straße gesetzt wurde

Ein ehrenhafter Rausschmiß

In dem kleineren, seit Oktober 1990 nicht mehr bestehenden, aber immer noch spürbaren deutschen Staat, der einen gesellschaftlichen Gegenversuch wagte und sich das Recht des Widerspruchs gegen alte Klassenschranken herausnahm, hatte ich meine glücklichste Zeit. Nicht, weil es besonders bequem oder ich gar privilegiert gewesen wäre, sondern weil die Absichten und Ziele des Landes zugleich auch meine Wünsche zum Ausdruck brachten. Der Sozialismus schafft die Bedingungen dafür, zu jedermann gerecht zu sein, aber nicht im Selbstlauf. Meinen Lebensweg biete ich als vielsagendes Zeugnis dafür an. Dieses Land führte Millionen Menschen aus den Irrungen und Verstrickungen der faschistischen Gewaltherrschaft und ermöglichte Generationen bislang Unterprivilegierten soziale Gleichberechtigung. Allen Menschen boten sich eine von Existenzängsten befreite Gegenwart und eine gesicherte Zukunft.

Was mich im Ergebnis der Zerschlagung der DDR und des Anschlusses an die vergrößerte Bundesrepublik mit der "stabilsten Währung" auch immer erwarten sollte - ich wußte, daß ich mein Land vermissen würde. Nichts, nicht verschwenderischer Konsum oder unbegrenzte Reisefreiheit (wenn sie denn finanzierbar ist), weder schnelle Autos ohne Wartezeiten noch eine neue Nationalhymne konnten ersetzen, was ich verlieren würde. Was ich hingegen erhalten sollte - ein größeres Deutschland - war nicht für mich vorgesehen.

Pompöse Feierlichkeiten sollten den Staatsakt zum Anschluß begleiten. Was aber für eine vermutete Mehrheit ein Grund zum Jubeln sein mochte, mich und meine Frau bedrückte es. Wir beschlossen, den Tag fernab von Berlin zu verbringen. Wir wollten nichts davon hören oder sehen. So fuhren wir zum großen Waldgebiet zwischen Bernau und Wandlitz in die Pilze. Als wir eine Parkmöglichkeit am Eingang einer Waldschneise gefunden hatten, stellten wir überraschend fest: Wir waren nicht allein, der Wald war an diesem Tag voller Menschen. Familien mit Kindern, Leute, die das gleiche wie wir gedacht und gewollt hatten. Wir schauten uns stumm an, blickten einander in die Augen und verstanden uns wortlos. Nun konnte ich abends, zurück in Berlin, gelassen die Übertragungen von den Feierlichkeiten im Fernsehen verfolgen, eher erstaunt als mit Häme darüber, daß der Bundeskanzler mit seinem Gefolge am Brandenburger Tor auch von Pfiffen begleitet wurde.

Als das Höhenfeuerwerk in Stadtmitte den Himmel erhellte - bei uns in Hohenschönhausen war es kaum noch als Wetterleuchten wahrzunehmen - erklang in der nächtlichen Stille plötzlich aus einem der Nachbarhäuser die vertraute Melodie der Nationalhymne meines von diesem Tag an nicht mehr existenten Landes: "Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt ..." Nachdenklich still war es in der Umgebung der Wohnblocks geworden. Damals sprach man noch nicht von stigmatisierten Plattenbauten. Hier und dort wurden die Fenster geöffnet. Noch nie hörten wir so andächtig auf die von Hanns Eisler geschaffene Hymne!

Viel kann man verlieren, nicht aber die Würde eines anständigen Lebens und nicht das Glück der Erinnerungen daran. Ich schleppe nicht die ehrlose Last einer Lebenslüge mit mir herum. Ich heiße nicht Schabowski! Und so bleiben alle an mich gerichteten Erwartungen nach irgendwelchen Entschuldigungen oder Demutsgesten ohne Resonanz. Einst rebellierte ich als eine den Großbauern geschenkte Kinderarbeitskraft - das untergegangene, heute gedemütigte Land jedoch lehrte mich, meinen Wert zu erkennen, der weder zu verschenken noch käuflich ist. Aber das Leben geht weiter.

Seit dem 3. Oktober 1990 war ich aufgrund eines Schreibens, das mir ein Mitarbeiter des Bundesarchivs, Sitz Koblenz, übersandt hatte, im BRD-Dokumentationszentrum Berlin, Freienwalder Straße, tätig. Dort unterzeichnete ich ein Merkblatt, wonach ich das Grundgesetz und die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung anerkenne. So wurde ich im Schnellgang über die Grundlagen eines "Rechtsstaates" unterrichtet. Dazu gehörten aber offenkundig nicht die Regelungen, die seit dem Anschlußtag für mich und ausgewählte Personengruppen gelten. Ich denke an Berufsverbot, Ausschluß vom Kündigungsverbot und von Bestimmungen des Datenschutzes, Rentenstrafrecht, Verletzung des Rückwirkungsverbots im Strafrecht und anderes mehr. In diesem Schreiben war nichts davon erwähnt worden, was aber niemanden daran hindert, bei "Staatsnahen" und "DDR-Privilegierten" am Grundgesetz vorbei zu verfahren. Privilegierte Personen gab und gibt es ja nirgendwo in der heutigen Bundesrepublik!

Als belehrendes Präsent hatte ich eine Ausgabe des Grundgesetzes überreicht bekommen. Dessen Artikel 3 lautet bekanntlich: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und seiner Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Auffassungen benachteiligt oder bevorzugt werden." Die Grundgesetzwirklichkeit sieht anders aus, man denke nur an das Rentenstrafrecht!

Für meine Personalunterlagen füllte ich im Nachgang zur Einstellung in das Bundesarchiv am 8. Oktober gewissenhaft einen fünfseitigen Fragebogen aus, mit Angaben zu meinem beruflichen und politischen Werdegang, meiner Dienstlaufbahn in der NVA und im MfS und über die erhaltenen "Ehrungen und Auszeichnungen". Sorgfältig zählte ich alle Treue- und Verdienstmedaillen, den "Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland", die DDR-Verdienstmedaille und den Orden "Banner der Arbeit" auf. Verdienste um Volk und Vaterland, dachte ich, können ja kaum schaden. Noch ahnte ich indes nichts vom höheren Wert des Ritterkreuzes aus der faschistischen Zeit. Das berechtigt nämlich, nach dem Tod ein Ehrengebinde zu erhalten.

Unter Punkt 15 war die Frage zu beantworten: "Haben Sie vor dem 9. November 1989 ein Amt oder eine Funktion in der SED, in Massenorganisationen/gesellschaftlichen Organisationen oder eine sonst herausgehobene Funktion im System der DDR innegehabt?" (spielte NS-Zugehörigkeit bei Personalentscheidungen in der BRD je eine Rolle?) Die folgende Frage lautete dann: "Waren Sie Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit oder beim Amt für Nationale Sicherheit?" Warum wollte man wohl wissen, inwieweit ich in einer besonderen Verantwortung und Loyalität zu meinem Land gestanden hatte?

Nach einer Aussprache wurde mir schließlich vorgeschlagen, das Arbeitsverhältnis per Auflösungsvertrag zu beenden. "Zwischen der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister des Innern, dieser vertreten durch den Präsidenten des Bundesarchivs und Herrn Manfred Liebscher, wird im gegenseitigen Einvernehmen mit Wirkung vom 30. April 1991 das Arbeitsverhältnis wegen Personalabbaus aufgelöst." Der angeführte Entlassungsgrund entsprach nicht der Wahrheit.

Manfred Liebscher, Ahrensfelde

Raute

RF-Extra

Lenin-Friedenspreisträger Herbert Mies: Als Gorbatschow ein Alibi brauchte

"Konsultation" vor der Kapitulation

Ende Mai 1990 besuchte mich der damalige sowjetische Botschafter in Bonn, Wladislaw P. Terechow. Er überraschte mich mit einer Einladung Michail Gorbatschows zu einem Genesungsurlaub im kaukasischen Sotschi. Sie war mit der Bitte verknüpft, ich möge bei einem anschließenden Moskau-Aufenthalt meine Meinung als deutscher Kommunist zu den "Zwei-plus-Vier"-Verhandlungen und dazu sagen, was die Vertreter der UdSSR dort einbringen sollten. Bei den Gesprächen ging es dann um einen als Abschließende Regelung bezeichneten Vertrag in bezug auf Deutschland als Ganzes. Er sollte einen Friedensvertrag ersetzen.

Ich rätselte, was wohl der Grund dieses Wunsches sein könnte und was ich von ihm halten sollte. Ich war zu dieser Zeit ja schon nicht mehr Vorsitzender der DKP. Mein früheres, sehr freundschaftliches Verhältnis zu Gorbatschow hat te sich inzwischen nicht nur abgekühlt, sondern war völlig in die Brüche gegangen. Die Beziehungen der DKP zum ZK der KPdSU waren nahezu abgebrochen. Bei der Meinungsbildung zu einer so bedeutungsvollen Sache würde ich für das damalige Moskau mit Männern wie Gorbatschows Chefberater Alexander Jakowlew doch lediglich eine "Altlast" sein.

Das Anliegen Gorbatschows erschien mir als eine Art Alibi gegenüber einer bedeutenden Zahl sowjetischer Kommunisten dafür zu sein, daß er auch deutsche Kommunisten zu Deutschland betreffenden Fragen in seine Konsultationen einbezogen habe.

Wie auch immer! Gemeinsam mit meiner Frau Gerda entschied ich mich, die Einladung anzunehmen, wenngleich uns Urlaub in einer zerfallenden Sowjetunion mit ihrem in die Armut absinkenden Volk mehr als fragwürdig erschien. Nach der Ankunft wurden wir wie früher im Gästehaus der Parteiführung "Oktjabrskaja" mit den Worten begrüßt: "Sie befinden sich in der Metropole der Sowjetunion, der Heldenstadt Moskau. Das Personal des Hotels heißt Sie herzlich willkommen und ist bereit, alles Mögliche zu tun, damit Sie durch den Aufenthalt bei uns die besten Eindrücke gewinnen." Die Atmosphäre dort war in der Tat gut und freundschaftlich. Die Fassaden im Straßenbild des Zentrums trugen indes schon die Züge des heraufziehenden Kapitalismus. Die Stadt wirkte fremd und abweisend auf uns. Moskau hatte seit unserem letzten Aufenthalt zwei Gesichter bekommen - durch Gorbatschow.

Kurz nach unserem Eintreffen in der sowjetischen Hauptstadt lud mich Valentin Falin, damals Sekretär des ZK der KPdSU, zu einem Gespräch ein, um meine Meinung über die "Zwei-plus-Vier"-Verhandlungen abzufragen. Darauf hatte ich mich hinreichend vorbereitet. Indirekt kam mir dabei eine Information über Gorbatschows Besuch in den USA zu Hilfe. Am 31. Mai sollte der amerikanische Präsident George Bush sen. in einer Unterredung mit dem Gast erklärt haben, man sei sich darüber einig, "daß Deutschland für niemanden eine Quelle der Bedrohung sein darf ... Es muß den demokratischen Prinzipien treu bleiben und Sicherheit geben." Dieser Gedanke entsprach durchaus dem Geist und den Grundsätzen des Potsdamer Abkommens der vier Alliierten der Antihitlerkoalition. Er kam mir als Ausgangspunkt für die Vorstellung meiner eigenen Ansichten zu dieser Thematik sehr zupaß. Mir ging es um die Belebung des Potsdamer Abkommens. Dieser Wunsch sollte in den Gesprächen der Vertreter Moskaus mit ihren Partnern weder vergessen noch für überholt erklärt werden, sagte ich.

Die Potsdamer Konferenz und der von ihr beschlossene "Vertrag über die politischen und wirtschaftlichen Grundsätze der abgestimmten Politik der Alliierten in bezug auf das besiegte Deutschland" bildete die Basis für eine neue deutsche Politik. "Die Alliierten wollen dem deutschen Volk die Möglichkeit geben ..., sein Leben auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage wiederaufzubauen", hieß es in dem Dokument. Darauf hatten wir Kommunistinnen und Kommunisten von Beginn an gesetzt und standen auch in der Folgezeit dafür ein.

Nach dem Potsdamer Abkommen war ein von Militarismus und Faschismus befreiter deutscher Staat das seinerzeitige Ziel der vier Besatzungsmächte. Deshalb sollten der Militarismus vollständig ausgerottet (Demilitarisierung), kapitalistische Konzentrationen in Gestalt von Kartellen, Trusts und anderen Monopolvereinigungen aufgelöst (Dekartellisierung), demokratische Parteien und Gewerkschaften zugelassen, eine neue Verwaltung und Justiz sowie ein entsprechendes Erziehungswesen geschaffen (Denazifizierung und Demokratisierung) werden. Das alles wollte man bei Sicherung der nationalen Einheit Deutschlands erreichen. Die vier "D"-Prinzipien des Potsdamer Abkommens waren nach meiner Auffassung auch im Rahmen von "Zwei-plus-Vier"-Verhandlungen nach wie vor relevant. Das ließ ich Falin wissen.

Seit 1945 haben wir uns überall in Deutschland für die vollständige Verwirklichung des Potsdamer Abkommens eingesetzt. Während es in der DDR Realität wurde, mußte im Westen ein erbitterter Kampf gegen die Spalterpolitik Adenauers und dessen Remilitarisierungskurs, gegen die Pariser Verträge und die Eingliederung der Bundesrepublik in die NATO geführt werden. Zugleich ging es um den Abschluß eines Friedensvertrages. Dafür mußten Tausende von uns ins Gefängnis gehen, Abertausende juristische Schikanen über sich ergehen lassen. Sollte dieser Inhalt unserer Biographien nun so einfach in Vergessenheit geraten? Sollte das Potsdamer Abkommen etwa Knall auf Fall für null und nichtig erklärt werden? Das konnte und wollte ich auch persönlich nicht akzeptieren. Denn die Beachtung der von dieser historischen Konferenz vorgegebenen ständigen und nicht korrigierbaren Friedenspf licht war auch für mich eine verbindliche Leitlinie meines politischen Lebens.

Falin bedankte sich für die geäußerten Überlegungen, enthielt sich aber jeglicher Wertung. Er informierte mich statt dessen über seine eigenen Gedanken, die er Gorbatschow bezüglich eines "Zwei-plus-Vier"-Vertrages nahelegen wolle: keine Wiedervereinigung und kein Anschluß der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes der BRD, sondern Konföderation oder Föderation beider deutscher Staaten; keine Atomwaffen auf deutschem Boden; Anerkennung der im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges entstandenen Grenzen; Sicherung des sowjetischen Eigentums auf dem Territorium der DDR. Eine Rückbesinnung auf Potsdam spielte da keine Rolle mehr.

Danach hörte ich wochenlang nichts von Gorbatschow. Am 12. September bekam ich dann eine zwar indirekte, mich aber heftig schockierende Antwort auf meine Vorstellungen zur Bewahrung von Grundsätzen des Potsdamer Abkommens im "Zwei-plus-Vier"-Vertrag. Dieser erhielt nämlich den offiziellen Titel "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland". Durch sein Ja zu diesen Regelungen besiegelte Schewardnadse und mit ihm auch Gorbatschow den endgültigen Tod der Abmachungen von Potsdam, die Abkehr von den friedenssichernden und antifaschistischen Ergebnissen der Niederwerfung Hitlerdeutschlands im Zweiten Weltkrieg. Das war eine unverhohlene Kapitulation vor dem wiedererstarkten deutschen Imperialismus und den durch ihn hervorgebrachten neonazistischen und friedensgefährdenden Kräften. Die zerfallende Sowjetunion stieg damit aus ihrer Tradition des Kampfes gegen die besonders auch von Deutschland drohenden Gefahren knallhart aus. Das hat mich zutiefst geschmerzt.

Diesem Akt der Preisgabe bewährter Prinzipien gingen schändliche Kniefälle Gorbatschows vor Helmut Kohl voraus. Ich denke dabei an das Techtelmechtel beider im kaukasischen Archys am 15. Juli 1990. Gorbatschow beschrieb dies in seinen Memoiren so: "Wir machten einen kurzen Spaziergang unter dem einzigartigen Sternenhimmel. Die Luft war rein und frisch wie der Kuß eines Kindes, um Lermontow zu zitieren, von Bergdüften erfüllt. Der hohe und gleichzeitig so nahe Himmel, die Sterne, die Umrisse der Berge, die Stille und die Spiegelung des Mondscheins im Fluß - der Zauber dieser Landschaft nahm uns gefangen. In jener wunderbaren Umgebung besiegelten wir, wie man so sagt, am nächsten Tag die deutsche Einheit."

Hatte Gorbatschow noch Anfang 1990 kategorisch erklärt, ein Beitritt Gesamtdeutschlands zur NATO sei völlig unannehmbar, so akzeptierte er in Archys plötzlich die deutsche Mitgliedschaft in diesem imperialistischen Kriegspakt.

Andererseits denke ich auch an das, was dann am 17. August geschah.

Gorbatschow hatte in Odessa seine Absicht bekundet, schon in nächster Zukunft in der UdSSR "marktwirtschaftliche Reformen" einzuleiten. Am 7. September bot Helmut Kohl seinem neuen Moskauer Freund auf dessen Bitte telefonisch 11 Milliarden DM für "infrastrukturelle Maßnahmen" im Zusammenhang mit dem Abzug der Sowjetsoldaten aus der vom Untergang bedrohten DDR sowie einen Kredit in Höhe von 15 Milliarden DM an. Gorbatschow zeigte sich zufrieden. So roch denn auch die Deutschland betreffende Regelung nach einem zynischen "Deal".

Als der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse am 12. September - also nur fünf Tage später - seine Unterschrift unter den von der Bundesrepublik und den drei westlichen Alliierten vorgegebenen Vertrag über die Regelung der Beziehungen zum vereinigten Deutschland gesetzt hatte, konnten beide feststellen, daß sie auch die deutschlandpolitische Konsequenz ihres Verständnisses von "Glasnost", "Perestroika" und "Neuem Denken" zum Abschluß gebracht hatten. Die DDR war preisgegeben, das Potsdamer Abkommen annulliert worden. Ein Friedensvertrag stand nicht mehr zur Debatte. Fundamentale Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges waren korrigiert, der machtpolitische Status quo in Europa zugunsten des Imperialismus verändert worden.

Die endgültige Abkehr vom Geist des Potsdamer Abkommens alarmierte mich. Denn als Mitglied der NATO und unter Berufung auf dieses Militär- und Kriegsbündnis waren der um ein Drittel größer gewordenen BRD nun Tür und Tor für ihre fortan direkte Teilnahme an Aggressionsvorbereitungen und Militäreinsätzen geöffnet. Die spätere Entsendung deutscher Soldaten ins Kosovo und nach Afghanistan war die bittere Konsequenz.

Herbert Mies, Mannheim

Der Beitrag unseres Autors, der viele Jahre Vorsitzender der DKP war, wurde exklusiv für den "RotFuchs" geschrieben.


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen:

Auf Mahnwache vor dem Betriebstor

Herbert Mies und Horst Sindermann am 21. Februar 1986 in Bonn (anläßlich des Besuchs einer Delegation der DDR-Volkskammer in der BRD)

Festnahme kurz vor der Legalisierung der DKP (Februar 1968 in Frankfurt/Main)

Raute

Für die Wiedergeburt der Partei von Maurice Thorez, Marcel Cachin und Jacques Duclos

Frankreich an und verhandelte mit Frankreichs Kommunisten im Wandel der Zeiten

Das frühere Mitglied des ZK der Französischen Kommunistischen Partei (FKP) Pierre Pranchère gehörte fast 20 Jahre der Nationalversammlung und dem Europäischen Parlament als Abgeordneter an. Der Sohn eines Bahnarbeiters kämpfte schon als 16jähriger in der Résistance gegen die deutschen Faschisten. Mit 82 besuchte er Portugal und kehrte wieder in das Alentejo zurück, wo er bereits im Sommer 1975, von der Nelkenrevolution fasziniert, gewesen war. Dort interviewte ihn Alberto Lopes von der kommunistischen Wochenzeitung "Alentejo Popular". Wir drucken redaktionell leicht bearbeitete Auszüge aus seinen Antworten:

Während des 2. Weltkrieges gehörte ich in der Region Corrèze, die eine sehr wichtige Rolle im Widerstand gegen die Naziokkupanten spielte, der Résistance an. Dieses Departement blickt auf eine lange Geschichte des Freiheitskampfes zurück. Hier existierten z. B. während der Pariser Commune von 1871 revolutionäre Positionen. Das fand auch seinen Ausdruck in der Zeit der Volksfront der 30er Jahre, als die FKP in Corrèze ein besonders starkes Wachstum erlebte. Im Unterschied zu Spanien gelangten wir mit der Volksfront nicht in die Regierung, doch nach dem Wahlsieg der Linksparteien fand ein Generalstreik der Arbeiter statt, der durch die Bauernschaft unterstützt wurde.

Solche Errungenschaften wie bezahlter Urlaub, die 40-Stunden-Woche und spürbare Lohnerhöhungen konnten erkämpft werden. Angesichts der Tatsache, daß die Volksfront an der Schwäche der Radikalen und der Sozialisten scheiterte, war die Schaffung mächtiger Organisationen der FKP und der Gewerkschaft in den Fabriken das Entscheidende. Es folgte eine Periode scharfer Repression. 1939 wurde die kommunistische Presse verboten. Man nahm etliche Genossen fest und illegalisierte die FKP. Diejenigen, welche uns als Verräter am Vaterland bezichtigten, waren dieselben, die das Münchner Abkommen zur Liquidierung der Tschechoslowakei unterzeichneten und ein Bündnis mit der UdSSR zur Rettung Polens ablehnten. Die uns anklagten, waren im Wesentlichen jene, welche anschließend Frankreich preisgaben.

In Corrèze entwickelte sich ein vor allem auf die FKP gestützter Widerstand. Es gab auch Männer und Frauen, die General de Gaulle folgten, doch im Grunde war es dort von Beginn an eine von den Kommunisten geführte Schlacht. Mit 15 schloß ich mich der illegalen FKP an. Als die Francs Tireurs et Partisans (FTP) von der Partei geschaffen wurden, hatten wir allein in Corrèze etwa 11.000 Kämpfer - bei nur 240.000 Einwohnern.

1940 stand auf kommunistische Aktivitäten die Todesstrafe. Gerade in dieser Zeit wurden verantwortliche Genossen der FKP zu Kommandeuren und Offizieren. Sie bildeten diese großartige Volksarmee aus. In Corrèze wurde der Appell zum nationalen Aufstand, den nicht nur die Kommunisten, sondern auch die gaullistischen Kräfte befolgten, in eine Direktive umgewandelt: Es galt, die Militärkommandos der Okkupanten zu liquidieren. Die Einheiten der FTP griffen die faschistische Kaserne von Tulle an. Nach zweitägigen erbitterten Gefechten gelang es, die Nazi-Garnison nahezu auszulöschen.

Im Zentralmassiv verfügte der deutsche Befehlsstab nicht über die nötigen Einheiten, um die Lage unter Kontrolle zu halten. Der Angriff auf die Kaserne in Tulle änderte überdies das Kräfteverhältnis zugunsten der Résistance. Die Faschisten waren gezwungen, auf die SS-Division "Das Reich", die in der Schlacht bei Kursk geschlagen worden war, zurückzugreifen und sie ins Departement Corrèze zu entsenden. Ihre Angehörigen versuchten nicht einmal, die Francs Tireurs zu bekämpfen, sondern rächten sich an der Zivilbevölkerung. SS-Leute erhängten 99 Einwohner von Tulle, deportierten Hunderte Arbeiter und folterten zahlreiche Jugendliche. Weder Frauen noch Kinder entkamen dem ins unermeßliche gesteigerten Horror.

All das ist ein untrennbarer Teil meines Lebens. Ich weiß, daß ich damals mit dem Bewußtsein der Tragweite meines Schrittes in die Résistance eintrat. Mein Vater war ebenfalls FKP-Mitglied und Widerstandskämpfer. Ich selbst nahm an Sabotage- und Angriffsaktionen teil, erfüllte meine Pflicht als Patriot und Kommunist.

Nach dem Angriff Nazideutschlands im Juni 1940 ging General de Gaulle - ein Repräsentant der französischen Bourgeoisie, aber ein Demokrat - in Abstimmung mit dem britischen Premier Winston Churchill nach London. Die FKP sandte ihm am 10. Juni 1940, als der mit den Faschisten kooperierende Marschall Petain die Französische Republik mit deutschen Bajonetten ermorden ließ, einen Appell. Dieser besagte, daß ein großes Volk wie das unsere niemals ein Sklavenvolk sein werde. Später, als Churchill und USA-Präsident Franklin Delano Roosevelt sich de Gaulles zu entledigen suchten, da sie in ihm keinen in ihrem Sinne verläßlichen Mitspieler sahen, kam es zu einer Annäherung zwischen dem General und der FKP.

Diese war für die Résistance entscheidend. Sie vollzog sich im Augenblick der angloamerikanischen Landung in Nordafrika, die im November 1942 erfolgte. Roosevelt und Churchill hatten de Gaulle beiseitegeschoben und dem kämpfenden Frankreich nicht erlaubt, an der Operation teilzunehmen. Damals fand de Gaulle Unterstützung in der durch Moskau eingenommenen Position. Die UdSSR erkannte das kämpfende de Gaulle über Möglichkeiten eines Zusammenwirkens. Der General schlug vor, ein französisches Geschwader an die russische Front zu entsenden. Teile der französischen Luftwaffe kämpften damals bereits in der britischen Royal Air Force.

Im November 1942 landeten dann französische Piloten auf einer Basis bei Moskau und begannen mit der Formierung des Geschwaders Normandie-Njemen. Gleichzeitig kam es bei einem Treffen zwischen den Abgesandten de Gaulles und der Führung der FKP zu einer Übereinkunft. Am 10. Februar 1943 schrieb de Gaulle an das ZK der FKP - sie war die einzige Partei, an die er sich in dieser Form wandte - einen Brief, in dem er die Bedeutung der Kommunisten in der Résistance und bei der Formierung der Francs Tireurs anerkannte.

Der General bezog sich dabei auf den Sieg von Stalingrad. "Ich weiß, daß das kämpfende Frankreich auf die Kommunistische Partei zählen kann", schrieb er. Die Verständigung von Gaullisten und Kommunisten war das Rückgrat der Übereinkunft, die im Mai 1943 im Nationalrat der Résistance erzielt wurde, nachdem Jean Moulin die unterschiedlichen Kräfte zusammengeführt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war zwischen Roosevelt und Churchill bereits das Datum vereinbart worden, an dem sie de Gaulle ausschalten wollten. Sie sahen sich nun zähneknirschend dazu gezwungen, seiner Übersiedlung nach Algerien zuzustimmen, von wo aus er Schritte zur Befreiung Frankreichs unternahm.

Der Sohn des Generals, Admiral Phillipe de Gaulle, berichtete in seinen Memoiren über außergewöhnliche Dinge. So habe sein Vater, als er der Feindseligkeit Roosevelts und Churchills gewahr wurde, den sowjetischen Botschafter in London gebeten, Stalin darüber zu informieren, daß er sich gegebenenfalls in der UdSSR einzurichten wünsche.

Heute möchten die Frankreich Regierenden wie Sarkozy die einst von Gaullisten und Kommunisten übernommene historische Verpflichtung vergessen. Sie wollen die Erinnerung daran tilgen, daß es nach der Befreiung von den Naziokkupanten in Paris eine Regierung mit kommunistischen Ministern, unter ihnen Maurice Thorez, gegeben hat, welche herausragende Veränderungen zugunsten der Arbeiterschaft und der Nation herbeiführte.

1956 wurde ich mit 29 Jahren erstmals Abgeordneter der Nationalversammlung. Ich kandidierte für die FKP im Departement Corrèze. Damals errangen wir einen großen Sieg: Mehr als 150 kommunistische Deputierte zogen in das Parlament ein, in Corrèze besetzten wir zwei der vier Mandate. 40 % der Stimmen entfielen auf unsere Liste.

Nachdem die FKP-Vertreter durch Sozialisten, Radikale und Christdemokraten aus der Regierung verdrängt worden waren, begannen die Kolonialkriege in Indochina und Algerien. Unser Volk durchlebte eine äußerst schwierige Zeit. General de Gaulle kam zwar erneut an die Staatsspitze, diesmal aber mit Unterstützung der Rechten und der extremen Rechten. Später, als ich wieder der Nationalversammlung angehörte, gab es eine Verständigung zwischen FKP und Sozialistischer Partei, die auf einem gemeinsamen Programm beruhte. Dieses hatte die FKP ausgearbeitet. Aus heutiger Sicht bewerte ich diese Allianz im Unterschied zur Volksfront sehr kritisch. Während die Einheit an der Basis funktionierte, fehlte sie an der Spitze völlig.

Noch ein Wort zum Europäischen Parlament, in dem ich zehn Jahre gesessen habe. Bei der EU handelt es sich um das Europa des Kapitals, um das Europa der multinationalen Konzerne. Die konterrevolutionäre Periode wäre nur aufzuhalten, besäße der Kampf der Völker eine Stärke, an der es leider fehlt. Dieses Europa des Kapitals kann den Kontinent und die Welt in eine Etappe des Abenteuers führen, welche mit der Liquidierung der sozialistischen Länder ihren Anfang nahm. Wir befinden uns in einer Phase der Atomisierung von Staaten und Nationen. Die europäischen Völker sollen sich imperialistischen Mächten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien unterordnen. Die EU ist in die Afghanistan-Intervention verstrickt, wobei das mittelasiatische Land ein Pulverfaß darstellt. Was dort geschieht, ist eine Drohung gegen Iran, China und Rußland. Darin besteht der wahre Grund dafür, daß der Imperialismus über Afghanistan verfügen will.

Aus all dem folgt, daß die Europäische Union heute der Todfeind der Völker Europas ist. Wir vom Pol der Kommunistischen Wiedergeburt in Frankreich (Pôle de Renaissance Communiste en France; PRCF) verteidigen deshalb den Austritt Frankreichs aus der EU, um deren Politik keine weitere Legitimation zu verleihen. Es kann und sollte zu einem Bruch kommen, der kein Zerbrechen der ökonomischen und sonstigen Beziehungen bedeutet, aber die Rückeroberung der Unabhängigkeit, der Souveränität und der Verhandlungsfähigkeit zum beiderseitigen Vorteil erlaubt. Ein Wort zur heutigen FKP. Ich kannte Maurice Thorez und Jacques Duclos persönlich sehr gut. Thorez nahm 1964 an den letzten Wahlen vor seinem Tod in Tulle (Corrèze) teil.

Ich kann sagen, daß die heutige FKP nichts mehr mit der Partei von Duclos, Thorez und anderen Mitgliedern, die ihre Größe schmiedeten, zu tun hat. Die FKP-Führer dachten seit der Vereinbarung des gemeinsamen Programms mit François Mitterrand, daß man sich, um Veränderungen zu bewirken, von den Prinzipien des Marxismus-Leninismus distanzieren müsse. Diese Erfahrung führte bekanntlich zur Niederlage der FKP. Als Mitterrand gewählt wurde, informierte er sofort alle sozialistischen Parteien Europas darüber, daß er die Übereinkunft mit der FKP einzig und allein deshalb unterschrieben habe, um durch die Linke und nicht durch die Rechte ans Ruder zu kommen. Kurze Zeit danach erwies sich das vereinbarte Programm als unanwendbar, worauf Mitterrand von der FKP verlangte, sich entweder zu unterwerfen oder aus der Regierung auszuscheiden. Das war eine weitere Niederlage für die FKP, durch die sie enorm an Einfluß verlor, vor allem aber die Unterstützung der Arbeiter.

Trotz meiner Opposition und der vieler anderer Genossen im ZK siegten die revisionistischen Kräfte, was sich seit der Übernahme der Führung durch Robert Hue und dann durch Marie-George Buffet noch verstärkte. In dieser Partei gibt es überhaupt keine Prinzipien des Marxismus und des Leninismus mehr. Ihr Verhalten ist das einer auf Klassenzusammenarbeit setzenden Sozialdemokratie. So trat die FKP einer Regierung der "pluralistischen Linken" unter Lionel Jospin bei, die über keinerlei Programm verfügte. Das war eine komplette Anpassung an die sozialdemokratische Linie des Premiers. Auf dem Gipfel von Lissabon akzeptierten Marie-George Buffet und andere kommunistische Minister die Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen und des Energiesektors. 2002 stimmten sie auf einem anderen Gipfel in Barcelona an der Seite Jospins und Chiracs der Aufhebung des Rentenalters mit 60 zu.

Im Gegensatz dazu verfolgen wir - die Genossen des Pols - eine offensive Linie, welche auf die Wiedergeburt einer wirklich kommunistischen Partei in Frankreich abzielt. Wir suchen die Verständigung mit allen in diesem Sinne handelnden Kräften, auch mit Genossen der FKP, die mit ihrer Führung nicht einverstanden sind, die Partei aber nicht verlassen haben. Unser Pol ist noch keine große Organisation, aber sehr aktiv. Monatlich erscheint seine Zeitschrift "Initiative Communiste". Außerdem besitzen wir mit "Étincelles" (Funken) ein theoretisches Blatt, das allen linken Standpunkten gegenüber offen ist. Unser Ziel besteht darin, in Frankreich so bald wie möglich Bedingungen dafür zu schaffen, daß die Partei von Thorez, Cachin und Duclos wieder zu einer wirklich kommunistischen Partei wird.

RF, gestützt auf "Alentejo Popular", Beja

Übersetzung: Isolda Bohler †


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen:

Titelseite der in Frankeich erscheinenden marxistisch-leninistischen Monatsschrift "Initiative Communiste", Organ des Pols der Kommunistischen Wiedergeburt Text der Schlagzeile: Lassen wir uns nicht an die Wand drücken!

Maurice Thorez war viele Jahre Generalsekretär der FKP und gehörte nach dem Sieg über den Faschismus als stellvertretender Premier der Regierung de Gaulle an.

Ende RF-Extra

Raute

Was ich bei meinem jüngsten Aufenthalt in Kabul erfahren konnte

Afghanen sind Freiwild

Der neokonservative Politiker aus der Bush-Ära Zalmay Khalilzad - er war zeitweilig Washingtons Botschafter in Kabul - hielt sich in diesem Jahr für längere Zeit in der afghanischen Hauptstadt auf. Er befürwortete ausdrücklich die Fortsetzung des NATO-Vernichtungskrieges. Khalilzad soll bei der "Versöhnung" von Teilen des Widerstandes mit Karsais Marionettenregime eine beratende Rolle übernehmen.

Seine "Vorarbeit" begünstigte möglicherweise die Bedingungen für eine direkt aus den USA angereiste fünfköpfige Delegation der Hesbe-Islami von Gulbudin Hekmatyar. Dieser Mann hatte schon Anfang der 80er Jahre eng mit der CIA zusammengearbeitet. Aus dem Auftauchen seiner Leute in Kabul ist ersichtlich, daß die Gruppierung immer noch Verbindungen zu entsprechenden US-Stellen unterhält. Am 22. März führte die Abordnung Gespräche mit Vertretern der Karsai-Administration. Sie stellte keinerlei Vorbedingungen und akzeptierte die Anwesenheit der NATO-Truppen in Afghanistan. Das berichtete Tolo-TV.

Am 9. März verbreitete dann der TV-Sender Khybar aus Peschawar die Äußerung des US-Sonderbeauftragten für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, daß in jeder paschtunischen Familie Afghanistans mindestens eine Person zu den Taliban gehöre. Die gleichgeschalteten Kabuler Medien hüllten sich in Schweigen. Erst als sich das Parlament damit befaßte und die US-Botschaft um Schadensbegrenzung bemüht war, erwachten sie aus ihrem Tiefschlaf. Während "Präsident" Karsai eisern schwieg, stuften etliche Abgeordnete die Aussage Holbrookes als äußerst schädlich für einen Vielvölkerstaat wie Afghanistan ein. Sie untergrabe die nationale Einheit des Landes. Die Aussage des US-Sonderbeauftragten wurde sogar per Parlamentsresolution scharf verurteilt. Man forderte ihn auf, sich bei den Afghanen zu entschuldigen.

Schamschad-TV berichtete am 22. Februar aus Jalalabad, daß US-Soldaten in der nordöstlichen Provinz Kunar fünf Schüler oberer Gymnasialklassen, die sich nach dem Unterricht in ihre Schlafräume zurückzogen, erschossen hätten. Dorfbewohner ließen wissen, daß der Mord an den Jugendlichen durch Falschinformationen eines US-Agenten verursacht worden sei.

Wie im Krieg gegen Afghanistan üblich, wurde zunächst geschossen und erst dann gefragt. In Kundus war bekanntlich Bundeswehroberst Georg Klein am 4. September 2009 dem gleichen Muster gefolgt, als er eine Bombardierung anordnete, der nach ersten afghanischen Angaben 157 Menschen zum Opfer fielen. Die NATO-Soldateska hat in unserem Land drei Frauen, ein Mädchen und einen Mann getötet, deren Leichen mit verbundenen Augen gefunden wurden, wie ein Mitglied dieser Familie bekanntgab. Tolo-TV berichtete, die Mordtat sei zunächst von der NATO vertuscht worden.

Die ständig steigende Zahl ziviler Opfer ruft scharfe Reaktionen in der afghanischen Öffentlichkeit hervor. Selbst die Tageszeitung Nejat bezeichnete die Präsenz der NATO-Einheiten am Hindukusch als gesetzwidrig.

Nach einem am 17. März verbreiteten UNOBericht war 2009 das bis dahin mörderischste Jahr für die Zivilbevölkerung Afghanistans. Khybar News verbreitete eine Stellungnahme des UNO-Generalsekretärs, aus der hervorging, es seien 14 % mehr Menschen als im Jahr zuvor getötet worden.

Weiter ist diesem Material zu entnehmen, daß die afghanische Polizei an Drogenhandel und Menschenraub beteiligt ist. Dies dürfte auch ein Seitenhieb auf jene BRD-Instrukteure sein, welche seit 2001 die Polizisten des Kabuler Regimes abrichten und ausrüsten. Ein weiterer Schlag ins Gesicht dieser Ausbilder ist die Meldung, daß die USA bei der Aufstellung der afghanischen Polizei noch einmal von vorn anfangen müßten. Außerdem soll dieser Apparat von Anhängern der berüchtigten Pandjschiri-Warlords, die unter dem ersten Innenminister Karsais, Mohammad Jonus Qanuni, das Polizeiwesen des Landes kontrollierten, gesäubert werden.

Bei einer Straßenumfrage des TV-Senders Schamschad in der ostafghanischen Stadt Jalalabad erklärten sich alle angesprochenen Personen für den bedingungslosen Abzug der NATO. Die Frage lautete, ob es anläßlich des damals bevorstehenden Neujahrsfestes Grund zum Feiern gäbe. Manche Interviewte zählten historische Ereignisse wie die Erringung der Unabhängigkeit auf, die zum Feiern Anlaß gäben. Doch erst mit dem Verschwinden der NATO aus Afghanistan bestehe wirklich Grund dazu, antwortete die Mehrheit der Befragten.

Der NATO-Krieg wird u. a. damit gerechtfertigt, daß jetzt sechs Millionen Kinder die Schule besuchen könnten. Viele afghanische Familien halten das für einen schlechten Witz, und Karsai mußte selbst zugeben, daß fünf Millionen Kinder überhaupt keine Möglichkeit haben, unterrichtet zu werden.

Am 7. März sprach ein Tolo-TV-Reporter mit Kindern über ihre Armut und darüber, daß sie hungern müßten. "Wir haben kein Öl, kein Mehl, keine Heizung. Wir sind nur durch die Hilfe der Nachbarschaft noch am Leben", erfuhr er. Ein Mädchen sagte: "Ich möchte auch gerne zur Schule gehen wie andere Kinder, aber wir können uns das nicht leisten. Es fahren keine Busse von hier in das Zentrum Kabuls." Die staatlichen Unternehmen befördern entweder die Angestellten oder verpachten ihre Fahrzeuge.

Die Pächter aber bedienen nur profitable Strecken. Gholam Hazrat, Präsident der nationalen Busunternehmen, teilte mit, für die Fünf-Millionen-Stadt Kabul stünden lediglich 400 Fahrzeuge zur Verfügung. Während es sich viele Eltern nicht erlauben können, ihre Kinder zur Schule zu schicken, gibt es andererseits häufig weder eine Schule noch Lehrer. Zahlreiche "Bildungsanstalten", die offiziell als solche ausgegeben werden, besitzen nicht einmal Gebäude. Der Kabuler Erziehungsminister gestand ein, nur knapp 27 % der Lehrer hätten eine entsprechende Ausbildung.

Viele Kinder aus armen Familien werden überdies sexuell mißbraucht. Die UNESCO bezeichnete Afghanistan sogar als das schlimmste Land für Kinder, wie Khybar News aus Peschawar berichtete.

Eine weitere "Legitimation" des NATO-Krieges ist die angebliche Verteidigung der Frauenrechte. Dr. Zima Zamar, Präsidentin der unabhängigen Menschenrechtsorganisation Afghanistans, teilte anläßlich des diesjährigen Internationalen Frauentages mit, im Jahre 2009 seien etwa 2265 Fälle eklatanter Verletzung der Frauenrechte erfaßt worden. Experten gehen dabei von einer hohen Dunkelziffer aus, da viele Frauen keine Möglichkeit zur Meldung sie betreffender Geschehnisse haben oder sich nicht an die Öffentlichkeit wagen. Im afghanischen Kalenderjahr 1388 (2009/10) begingen nach offiziellen Angaben 119 Frauen Selbstmord. Fälle von Selbstverbrennung, vor allem im westlichen Teil des Landes, haben dramatisch zugenommen.

Bei der offiziellen Frauentagsveranstaltung am 8. März war Karsai nicht zugegen, während er sonst keine Gelegenheit zur Selbstdarstellung ausläßt. Die Abwesenheit des Chefs der Kabuler Marionettenregierung wurde von vielen als Mißachtung der Frauen bewertet. Sein 2. Stellvertreter eröffnete die Veranstaltung mit dem Hinweis darauf, weder Polizei noch Staatsanwälte oder die Organe der Exekutive seien bereit, gegen Verletzer von Frauenrechten vorzugehen.

Dr. Matin Baraki

Raute

Was hinter den angeblichen Nahost-Friedensverhandlungen steckt

Gigantische Irreführung

Kein Wunder eigentlich, wenn Zionisten bei dem gegenwärtig geschädigten Image Israels versuchen, über die Medien eine Desinformationsschlacht zu führen. Friedensverhandlungen nennen sie das, was da abläuft. Die Gesprächspartner am Washingtoner Verhandlungstisch waren der faschistoide Regierungschef Netanjahu, der käufliche Fatah-Führer Abbas sowie die Vertreter der imperialistischen Hauptmacht Barack Obama und Hillary Clinton.

Gemeinsam erklärten sie der Welt ihren vermeintlichen Willen zum Frieden. Zwei Staaten solle es geben - einen jüdischen und einen palästinensischen. Und das schon binnen Jahresfrist. Man muß kein Nahost-Experte sein, um zu erkennen, daß kein Wort so gemeint ist, wie es den Massen suggeriert wird. Was auch immer diese Verhandlungen - oder sollte man von einer Schmierenkomödie sprechen? - bringen werden, grundlegend ändern dürfte sich nichts! Am wenigsten wird es Frieden geben. Das merkt man bereits an der Rhetorik. Von einem "lebensfähigen Staat Palästina" ist da die Rede, obwohl alle wissen, daß die den Palästinensern verbliebenen Gebiete keinesfalls deren Existenz aus eigener Kraft gewährleisten könnten. Zugleich soll die Blockade gegen Gaza aufgehoben werden. Gehört denn der Gazastreifen etwa nicht zum künftigen Staat Palästina?

Abbas gibt sich staatsmännisch, um seine Unterwürfigkeit zu verbergen. Medienwirksam stellt er seine Forderungen. Diese sind indes Grundvoraussetzungen für Verhandlungen überhaupt, nicht etwa deren Bestandteil. Bevor zwei derart konträre Parteien miteinander faire Gespräche führen können, muß zunächst einmal das Völkerrecht umgesetzt worden sein. Zuerst geht es darum, daß Israel die Belagerung Gazas aufhebt und sich aus der Westbank zurückzieht. Der Mauerbau muß gestoppt werden, das Wasser für Palästinenser zugänglich sein. Erst dann sind beide Seiten dazu in der Lage, auf gleicher Augenhöhe Verhandlungen zu führen, die stabile Lösungen hervorbringen könnten. Alles Weitere - die Rückkehr der Flüchtlinge und wie der Frieden aussehen soll - kann man anschließend erörtern. Aber Abbas hängt seit seinem Amtsantritt als Palästinenserpräsident am Tropf Israels wie ein Lamm an der Zitze. Mit dieser Muttermilch saugt er auch den Zionismus in sich auf. So sehr, daß er seine bewaffnete Miliz, die übrigens aus Mitteln Israels finanziert wird, sogar zum Bruderkrieg führte. Nur um die Hamas zu schlagen und seinen Thron von Tel Avivs Gnaden zu sichern.

Um zu zeigen, daß man den Frieden wirklich möchte, wird der Welt die Brutalität der Hamas vor Augen geführt. Gleich zwei Attentate habe sie verübt, behauptete man medienwirksam. Beide in der Westbank. Sogar Bekennerschreiben habe es gegeben. "Trotz der offiziellen Bemühungen um Frieden ermorden die radikalen Islamisten jüdische Zivilisten. Dennoch hält die israelische Regierung an den Verhandlungen fest." So lautete die offizielle Version Tel Avivs.

Nach allem, was ich an Ort und Stelle selbst erlebt und erfahren habe, glaube ich davon kein Wort! Auch dann nicht, wenn es über den Bildschirm läuft und in jeder Zeitung steht!

Unbestritten sind diese Attentate auf Siedler - wie rassistisch oder gar faschistisch sie auch gewesen sein mögen - verwerflich. Aber waren es tatsächlich Leute der Hamas, die sie verübten? Führen wir uns vor Augen: In der Westbank ist die Hamas deutlich schwächer als im Gazastreifen. Die militanten Flügel anderer Parteien haben die wenigen bewaffneten Aktionen dort unter Kontrolle. Militante Gewalt ist in der Westbank - ausgehend von Palästinensern - zum gegenwärtigen Zeitpunkt strategisch äußerst unklug. Einmal, weil sie natürlich sofort gegen diese verwendet werden kann; zum anderen, weil damit dem weiter anwachsenden friedlichen und solidarischen zivilen Ungehorsam von Palästinensern, Seite an Seite mit antirassistischen Israelis und internationalen Aktivisten, Schaden zugefügt würde. Die unterschiedlichen politischen Akteure vertreten dazu ohne Zweifel differierende Ansichten. Aber weshalb sollte die Hamas solche groben Fehler begehen?

Ein Wort zu den Bekennerschreiben: Seit wann bekennt sich denn eine Partei zu Attentaten? Bestenfalls tun dies jene Strukturen, welche sie tatsächlich verübt haben. Die Al-Aqsa-Brigaden beispielsweise oder der militante Arm der palästinensischen Linken, die Abu-Ali-Mustafa-Brigaden. Aber wer kennt schon diese Bezeichnungen?

Hamas ist demgegenüber längst ein Kampfbegriff wie Al Qaida oder Bin Laden geworden. Zu Propagandazwecken müssen diese Namen herhalten, unabhängig davon, ob sie etwas mit den jeweiligen Geschehnissen zu tun haben oder nicht. Es geht um die Erzeugung von Bildern, mit denen man die Massen einzulullen versucht. Sie sollen zeigen, wie ehrlich und friedfertig die Zionisten und wie bösartig die Hamas-Anhänger dagegen sind.

Die Solidarität mit Palästina, der einzig wahre Weg zu nachhaltigem Frieden in Nahost und zu einem künftigen Miteinander von Juden, Muslimen, Christen und Atheisten, von Arabern und Einwanderern mit gleichen Rechten für jeden in einem gemeinsamen Staat soll blockiert werden. Notfalls auch mit Krieg gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen.

Damit wir uns richtig verstehen: Ich schließe nicht aus, daß die Morde an jüdischen Siedlern tatsächlich von Anhängern der Hamas verübt worden sind. Aber ich setze ein großes Fragezeichen hinter diese Ereignisse! Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß die Hamas oder andere Gruppen meinen, mit solchen Aktionen etwas in ihrem Sinne bewirken zu können. Die Frage, wer einen Nutzen daraus zu ziehen vermag, ist leicht zu beantworten.

Die Hamas ist nicht das Monster, das man uns permanent einreden will. Sie ist eine rechtskonservative, aber legitime Partei, die auf korrekte Weise gewählt wurde. Die herrschende Klasse Gazas sammelt sich dort ebenso wie religiöse Hardliner. Die Hamas als "radikal islamisch" oder "islamistisch" zu bezeichnen, geht zu weit. Natürlich ist sie nicht mein ideologischer Partner. Unter anderen Bedingungen wäre sie sogar mein politischer Gegner. Die Umstände aber machen sie zu meinem strategischen Verbündeten - nämlich im Kampf gegen Besatzung und Imperialismus. Ich übe Solidarität mit der Hamas, weil es um echten Frieden und Freiheit für alle Menschen in Nahost geht.

Diese Solidarität ist bedingungs-, aber nicht kritiklos. In der Debatte mit der Hamas können wir etwas bewirken, niemals jedoch in der Aktion gegen sie. Wir müssen die Bedingungen ändern, damit sich eine Organisation wie die Hamas erübrigt. Der Kampf gegen Befreiungsbewegungen - unabhängig davon, wo diese politisch stehen - wird nur zu mehr Gewalt führen.

Und machen wir uns nichts vor: Gäbe es in Palästina Öl, sähe die herrschende Klasse der BRD in der Hamas schon längst ihren besten Freund!

Ich stehe weder an der Seite der Hamas noch an jener der Zionisten. Als Marxist bin ich immer mit den sozial oder national Unterdrückten! An der Seite auch von Menschen, die begonnen haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Für sie ist in den großen Medien kein Platz. Ich stehe an der Seite der israelischen und palästinensischen Genossen sowie all meiner Kampfgefährten in der Welt. Im Augenblick gehört dazu, der Position der Hamas, die sogenannten Friedensgespräche zu boykottieren, Unterstützung zu geben. Eine Entscheidung, welche die linksstehende Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) nicht anders gefällt hätte.

Marco Görlach, Pößneck

Raute

Vor 60 Jahren wurde Belgiens KP-Führer Julien Lahaut ermordet

"König der Solidarität"

Am 18. August 1950 ereignete sich in Belgien ein brutaler Mord. Der bald darauf ermittelte, aber unbestraft gebliebene Attentäter erschoß den Generalsekretär und Parlamentsabgeordneten der damals sehr einflußreichen kommunistischen Partei des Landes Julien Lahaut am Eingang seines Hauses in Seraing. Am Tag nach der Bluttat legten die Proletarier im gesamten Industriebecken von Liège (Lüttich) die Arbeit nieder. Rund 300.000 Menschen nahmen dann an der Beisetzung des prominenten Politikers teil.

Was war geschehen? Eine Woche vor dem schrecklichen Ereignis hatte der frühere Metaller Lahaut inmitten seiner kommunistischen Fraktionsgenossen bei der feierlichen Übergabe der Regentschaft von dem wegen seiner Kollaboration mit den Nazibesatzern in Verruf geratenen König Leopold III. an dessen Sohn Baudouin im Parlament ausgerufen: "Es lebe die Republik!" Damals stand Belgien buchstäblich am Rand eines Bürgerkrieges zwischen Royalisten und Gegnern der Monarchie. In diesen Kontext muß man den Mord an Lahaut einordnen. Er bildete den Kulminationspunkt einer äußerst gefährlichen Entwicklung im Nachkriegs-Belgien.

Die in Brüssel auf Französisch und Flämisch erscheinende Wochenzeitung "Solidaire" - das Organ der Partei der Arbeit Belgiens - bat den renommierten marxistischen Historiker Prof. Jules Pirlot, Verfasser eines Buches über den Protagonisten, um genauere Auskünfte zu Leben und Kampf Julien Lahauts.

Der 1884 Geborene war zunächst wie sein Vater als Arbeiter bei Cockerill - dem größten Unternehmen der Region - beschäftigt. Der hochgewachsene, muskulöse Mann - aktiver Sportler in mehreren Disziplinen - stieg rasch zu einem weithin bekannten Funktionär der Metallarbeitergewerkschaft auf. Während des I. Weltkrieges schickte man ihn nach Rußland, wo er die Oktoberrevolution erlebte und deren begeisterter Anhänger wurde. Als Lahaut dann nach Belgien zurückkehrte, wurde er auch dort zum Zeugen eines stürmischen Aufschwungs der Arbeiterbewegung. Schon vor dessen gesetzlicher Einführung engagierte er sich für den Achtstundentag.

1921 sah man ihn an der Spitze eines neun Monate währenden Stahlarbeiterstreiks. Lahaut organisierte eine Hilfsaktion für die Kinder der im Ausstand Befindlichen.

Die bürgerliche Presse nahm ihn wütend unter Beschuß, er wurde verhaftet und sowohl aus der zum Reformismus tendierenden Gewerkschaftszentrale als auch aus der Belgischen Arbeiterpartei - der Vorläuferin heutiger Sozialisten - ausgeschlossen.

Doch Lahaut ließ sich nicht entmutigen. Er gründete ein Verteidigungskomitee, um das sich besonders Bergleute und Metaller scharten. Es trug den Namen "Ritter der Arbeit". Die Gruppe beschloß, sich der Roten Gewerkschaftsinternationale anzuschließen, die der Sowjetunion verbunden war. Zuvor hatte Lahaut bereits seinen Beitritt zur KP Belgiens vollzogen.

Doch die Sternstunde des angesehenen Arbeiterführers kam erst noch: Im Mai 1941 stand er an der Spitze eines Streiks von 100.000 belgischen Metallern gegen die faschistischen Okkupanten. Die gewagte Aktion ging erfolgreich aus: Den Beteiligten wurde eine Erhöhung der Verpflegungsration sowie eine Lohnaufstockung von acht Prozent bewilligt. Hinzu kamen Steuererleichterungen.

Doch die Rache folgte auf dem Fuße. Am 22. Juni wurde Julien Lahaut arretiert und zunächst in die Festung Huy gebracht, von wo er dreimal zu fliehen versuchte. Danach überführte man ihn über Neuengamme in das KZ Mauthausen. Dort wurde er von seinen Leidensgefährten "König der Solidarität" genannt, weil er die kargen Rationen stets mit noch schwächeren Häftlingen teilte.

Schon sechs Wochen nach dem Mord an Lahaut war der Name des Täters den belgischen Behörden bekannt. Aber weder Polizei noch Justiz zeigten sich an einer Verfolgung interessiert.

Augenscheinlich handelte es sich um den Auftakt zu einer abgesprochenen Provokation der Ultrarechten. Belgiens Reaktion wollte die Kommunisten in eine Falle locken und zum Aufstand herausfordern, den man dann gewaltsam hätte niederschlagen können. Damit wäre möglicherweise der Weg für eine Rückkehr des Nazi-Kollaborateurs Leopold III. auf den Thron und die Errichtung eines "Regimes der harten Hand" geöffnet worden.

Zusammenhänge werden klar, wenn man weiß, daß zur selben Zeit in mehreren Ländern Anschläge auf führende Kommunisten unternommen wurden, die allerdings scheiterten. Italiens KPFührer Palmiro Togliatti, Frankreichs legendärer Jacques Duclos und Japans KP-Generalsekretär Tokuda entgingen den auf sie verübten Attentaten nur knapp.

Am Jahrestag der Ermordung Julien Lahauts fand in seinem Geburtsort Seraing eine feierliche Ehrung des 1950 im Klassenkampf gefallenen Genossen statt. Abordnungen der KP und der Partei der Arbeit Belgiens, aber auch offizielle Gewerkschaftsvertreter gedachten seiner an dem ihm zu Ehren errichteten Denkmal.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildung:

300.000 Menschen folgten dem Sarg des ermordeten Kommunisten.

Raute

Rumäniens Kommunisten schufen eine neue Partei

Wieder unter Hammer und Sichel


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Schattenblick veröffentlicht an dieser Stelle den ungekürzten Artikel aus der DKP-Monatszeitschrift "Roter Brandenburger" vom September 2010.
Internet: www.dkpbrandenburg.de



Kommunistische Partei in Rumänien gegründet

Seit dem 3. Juli 2010 gibt es auch in Rumänien wieder eine Kommunistische Partei. Dem wachsenden Antikommunismus trotzend, der sich auch in Rumänien verstärkt, hat sich an diesem Tag auf einem außerordentlichen Parteitag die bisherige Sozialistische Allianzpartei Rumäniens (PAS) in Rumänische Kommunistische Partei (PCR) umbenannt. Damit wurde auch das Verbot der Kommunistischen Partei durchbrochen, das seit dem Januar 1990 besteht und durch die damaligen "revolutionären Organe", die nach 1989 geschaffen wurden, gefällt worden ist.

Geschichte nach 1990

In den folgenden zwei Jahrzehnten nach 1989 haben verschiedene Gruppen und Persönlichkeiten, die den Ideen des Sozialismus treu geblieben waren, immer wieder Versuche unternommen, die revolutionären Kräfte zusammenzufassen. Dabei wurden auch ideologische Unterschiede wirksam, die zeitweise auch die Gefahr einer weiteren Zersplitterung der sich kommunistisch bzw. sozialistisch einordnenden Strömungen in sich trugen. Mit der jetzigen Gründung einer Kommunistischen Partei Rumäniens wurde eine organisatorische und programmatische Plattform geschaffen, die Chancen eröffnet, um diese Tendenz der Zersplitterung zu überwinden.

Die jetzige RKP hat zwei Vorgängerparteien. Das ist die 1990 von Ilie Verdet, ehemaliger rumänischer Ministerpräsident, gegründete Sozialistische Partei der Arbeit (PSM), die bis Mitte der 1990er Jahre auch im Parlament vertreten war. Sie wurde als deutliche sozialistische Alternative zur Sozialdemokratischen Partei des damaligen Staatspräsidenten Ion Iliescu geschaffen.

Die Sozialdemokraten, die auch über die notwendigen materiellen Mittel verfügten, haben während der ganzen Zeit versucht, die PSM, die klar für die Interessen des arbeitenden Volkes und gegen die Restauration des Kapitalismus eintrat, als Konkurrenten auszuschalten. Dabei hat man sich nicht nur politischer und ideologischer Mittel bedient. Um die Partei von der politischen Bühne verschwinden zu lassen, hat man, nach dem Tode von Ilie Verdet, einen großen Teil der politischen Führung, einschließlich des neuen Vorsitzenden, zur Sozialdemokratischen Partei hinübergezogen (2003) und sie mit neuen Parteifunktionen, Abgeordnetenstellen, Staatssekretärs- und Bürgermeisterposten usw. versorgt. Die Mehrheit der PSM-Mitglieder ist aber nicht mitgegangen. Sie durfte den Namen der Sozialistischen Partei der Arbeit (PSM) nicht behalten, weil der übergelaufene Führungsteil auch den Namen mitgenommen hatte. Nicht nur die Partei sollte aus der Öffentlichkeit verschwinden, sondern auch der Name!

Die verbliebene Mehrheit hat dann die Sozialistische Allianzpartei (PAS) gegründet, die sich in den Folgejahren im Kampf mit den fortgesetzten Destabilisierungsversuchen der Sozialdemokraten einerseits und mit pseudorevolutionären Splittergruppen andererseits auseinandersetzen musste. Darunter hat nicht nur die ideologische Wirkung der Partei gelitten. Auch die Wirksamkeit des Kampfes gegen die Restauration des Kapitalismus und gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen breiter Kreise der Bevölkerung wurde beeinträchtigt.

Auf dem 1. Parteitag der PAS im April 2004 wurde Constantin Rotaru zum Vorsitzenden der PAS gewählt. Er ist Ökonom und war vor 1989 Mitglied der RKP. Er ist auch Vorsitzender der neuen Partei, der Rumänischen Kommunistischen Partei.

In seinem Grundsatzreferat vor dem außerordentlichen Parteitag hat C. Rotaru den Beschluss zur Umbenennung der Partei ausführlich begründet und wichtige Grundziele der Kommunistischen Partei beschrieben. Von den 534 Delegierten des Parteitages haben sich nur zwei Teilnehmer der Stimme enthalten.

Bilanz und Vergleich

Rotaru wies zuerst darauf hin, dass alle Regierungen in den vergangenen 20 Jahren eine, wie er sagte, Genozidpolitik begangen haben, indem sie die Bereicherung ihrer Klientel zum Nachteil der Mehrheit der Bevölkerung betrieben haben. Rumänien sei ein Land geworden, das den nationalen Kapitalisten im Verein mit dem multinationalen Kapital zur Verfügung steht. Alle Regierungen nach 1989 haben ein kriminelles Verhalten an den tag gelegt, weil sie ausschließlich an der Restauration des Kapitalismus und an der systematischen Vernichtung des rumänischen Staates und der Zerstörung seiner ökonomischen, sozialen und nationalen Rolle Interesse gezeigt haben. Nach zwei Jahrzehnten euro-atlantischer Politik sei Rumänien in den Zustand der Neo-Vasallität zurückversetzt worden.

Das sozialistische Rumänien, so Constantin Rotaru, habe sich bis 1989 von einem zurückgebliebenen Agrarland zu einem Industrie-Agrar-Staat mit mittlerer Entwicklung emporgearbeitet, das vier Jahrzehnte lang in Frieden gelebt hat und selbst an keinem Krieg beteiligt war.

Das kapitalistische Rumänien des Jahres 2010 ist ein ausgepresstes Land, ohne Industrie, mit einer mittelalterlichen Landwirtschaft, mit einem zerstörten Gesundheitswesen, das nicht mehr in der Lage ist, die Mindestversorgung der Bevölkerung zu sichern, mit einem desorganisierten und ineffizienten Bildungswesen, ein Land, dessen Institute für wissenschaftliche Forschung und technologische Entwicklung aufgelöst sind, das eine negative Entwicklung der Bevölkerungszahl aufweist und dessen nationale Integrität und Sicherheit in Gefahr sind.

Zur Untermauerung seiner Aussagen nannte der Parteivorsitzende einige Beispiele. Im Vergleich zu 1989 hatte Rumänien 2007 nur noch 54,6 % der Krankenhausbetten. Es wurden 2009 nur noch 36 % der Kohleförderung von 1989 erbracht. Die Stahlproduktion erreichte 2009 nur noch 19 % der 89er Produktion. Die LKW-Herstellung betrug 2006 noch 3 %, die Traktorenproduktion fiel bis 2006 auf 18 %, die Produktion von Metall verarbeitenden Maschinen erreichte 2006 nur 5 % der Produktion von 1989. Die Produktion von chemischen Fasern und Garnen sank in 2006 auf 4,7 % der Jahresleistung von 1989, die Gewebeherstellung sank auf 13 %. Der Rinderbestand fiel ebenfalls 2006 auf 39 % zu 1989. Die Fleischproduktion erreichte im Jahre 2006 ganze 14 % derer von 1989.

Der wirtschaftliche Verfall werde von einer sehr gefährlichen finanziellen Situation begleitet. Im Jahre 1989 hatte Rumänien keine Auslandsschulden. Heute ist das Land von den internationalen Finanzinstitutionen und seinen Geldgebern abhängig und hat einen Schuldenberg von 100 Milliarden Euro plus Zinsen zu begleichen.

In diesem Zusammenhang wies Rotaru auch darauf hin, dass alle kapitalistischen Regierungen, unabhängig von ihrer Couleur, das rumänische Volk mit Versprechungen über Wohltaten der Integration Rumäniens in verschiedene ökonomische und militärische Strukturen belogen haben.

Ziele der Partei

Von dieser Lage ausgehend schlage die Rumänische Kommunistische Partei dem Volk eine lebensfähige sozialistische Alternative vor, die dem gegenwärtigen Regime grundsätzlich entgegengesetzt ist. Das Ziel bestehe in der Entwicklung eines neuen Gesellschaftsmodell, das sozial, demokratisch, national, ökologisch ist. Es garantiert tatsächliche soziale Sicherheit und sozialen Frieden auf der Grundlage einer nachhaltigen ökonomischen Entwicklung. Rumänien soll auf diese Weise die Annäherung an das durchschnittliche Entwicklungsniveau der der EU erreichen.

Die Sozialistische Allianzpartei wandle sich in Rumänische Kommunistische Partei um, damit sie "die ehrlichen Menschen" an die Macht bringt. Die RKP will alle vorhandenen Energien zusammenführen und einen entschlossenen Kampf aufnehmen, um den wilden Raubfeldzug, dem das Land unterworfen ist, zu beenden. Sie will den Verfall der Gesellschaft stoppen.

In einem Kommunique wird mitgeteilt, dass die RKP "eine neue Doktrin in Übereinstimmung mit der ökonomischen und politischen Situation im Lande und in der Welt" haben wird.

Sie will die Partei "aller Bürger sein, die gute, ehrliche Patrioten und Kämpfer für die Wahrheit, Gerechtigkeit und Würde" sind.

Die Partei sieht im sozialistischen System die einzige Alternative, um eine dauerhafte ökonomische und gesellschaftliche Wiederbelebung des Landes zu bewirken.

Prof. Dr. Anton Latzo, Langerwisch


Raute

Washingtons Marionette ‘lvaro Uribe hinterließ einen Scherbenhaufen

Präsidentenwechsel in Kolumbien

Seit August hat die im Norden Lateinamerikas gelegene Republik Kolumbien mit Juan Manuel Santos einen neuen Präsidenten. Obwohl auch er aus dem rechtskonservativen Lager seines nach achtjährigem Regieren mit eiserner Faust glanzlos abgetretenen Vorgängers ‘lvaro Uribe stammt, werden an den neuen Mann in Bogotás Palácio de Nariño vorsichtige Erwartungen geknüpft. Diese erhielten vor allem auch durch erste Signale zu einer Aussöhnung mit dem Nachbarn Venezuela Nahrung. Auf eine persönliche Begegnung beider Staatschefs in der kolumbianischen Hauptstadt folgte eine erste Visite der neuen Außenministerin des Santos-Kabinetts in Caracas. Solche von beiden Seiten unternommenen Schritte könnten dazu beitragen, die unter Uribe durch massive Provokationen vergiftete Atmosphäre - der Konflikt hatte sogar zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Kolumbien und Venezuela geführt - Schritt für Schritt zu verbessern.

Uribe, politisch nicht nur ein Rechtskonservativer, sondern auch eine in ganz Lateinamerika als williger Lakai Washingtons betrachtete Figur im imperialistischen Spiel, unterhielt engste Kontakte zu CIA und Pentagon. Er räumte der US Army - teilweise im Rahmen eines angeblichen Drogenbekämpfungsprogramms - Militärstützpunkte ein und unternahm zugleich einen gnadenlosen Ausrottungsfeldzug gegen die auf lange Traditionen des bewaffneten Kampfes zurückblickende linke Guerilla-Organisation FARC. Durch Strafexpeditionen seiner militärischen und polizeilichen Verbände gelang es Uribe, den Einfluß des antiimperialistischen Widerstandes von FARC und ELP in einigen Provinzen zurückzudrängen. Letzte Meldungen besagen, daß die Vernichtungskampagne, die sich vor allem gegen Kader der FARC richtet, auch unter Santos ihren Fortgang nimmt.

Während sich Uribe durch innenpolitische Grausamkeiten zu profilieren suchte, spielte er auch in außenpolitischer Hinsicht Vabanque. Als Strohmann aufeinanderfolgender USA-Administrationen reagierte er mit besonderem Haß auf den sich vertiefenden revolutionären Prozeß in Venezuela. Dessen Präsident Hugo Chávez wurde zu seinem "Lieblingsfeind". Uribe ließ nichts aus, um der venezolanischen Reaktion und deren konterrevolutionärer Wühltätigkeit beizustehen, bezichtigte aber zugleich Caracas, Kämpfern der historisch durch die KP Kolumbiens ins Leben gerufenen FARC Unterschlupf zu gewähren und Nachschubbasen einzuräumen.

Uribes Behauptung, Chávez gewähre Kolumbianern in seinem Land Asyl, trifft tatsächlich den Nagel auf den Kopf: Nicht wenige der 3,3 Millionen Bauern, Arbeiter, Studenten und Intellektuellen, die in den zwei Perioden seiner Amtszeit nach Strafexpeditionen und Terrorakten der kolumbianischen Sicherheitskräfte obdach- und heimatlos wurden, haben in Venezuela Aufnahme gefunden. Nach Angaben von Radio Havanna leben derzeit etwa fünf Millionen Kolumbianer, die aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen ihre Heimat verlassen mußten, im gastfreundlichen Nachbarland.

Nicht nur viele Kolumbianer hegen gedämpfte Hoffnungen, sondern auch die Öffentlichkeit Lateinamerikas und der Karibik erwartet nach ermutigenden Schritten des Anfangs und einem offenbar veränderten Stil, daß der neue Staats- und Regierungschef in Bogotá die politische Akzentsetzung zu ändern vermag. Sollte sich das traditionell brüderliche Verhältnis zwischen Kolumbien und Venezuela fortan positiver entwickeln und wäre Präsident Santos dazu in der Lage, sich wenigstens partiell aus der nordamerikanischen Umklammerung zu lösen und der blinden Vasallentreue seines Vorgängers abzuschwören, könnte man das als einen Beitrag zur Entspannung der regionalen und subkontinentalen Situation betrachten.

RF, gestützt auf Radio Havanna, Kuba

Raute

Die zwei Gesichter der französischen Fremdenlegion

Helden und Henker

Im "RotFuchs" wurde wiederholt die Tatsache erwähnt, daß es in Paris einen Platz und eine Metro-Station gibt, die den Namen der Stadt Stalingrad tragen. Aber noch eine zweite Station der Pariser Untergrundbahn ist nach einem Ort benannt, der ebenfalls an die Vernichtung der Hitlerschen "Blitzkrieger" erinnert. In Bir Hacheim wurde Rommels Afrikakorps, dieser Elitetruppe Nazideutschlands, eine schwere Niederlage bereitet. Es handelt sich dabei um eine Oase südlich von Tobruk. Sie sollte für die faschistischen Möchtegern-Eroberer im Mai/Juni 1942 zu einem Verdun im libyschen Wüstensand werden. Es handelte sich um die erste größere militärische Operation des "Freien Frankreichs" im Kampf gegen überlegene faschistische Verbände. "Diese Schlacht wird für immer in den Herzen aller Franzosen die Würde und den Glauben an Frankreich wiederaufrichten", schrieb damals General de Gaulle. Hitlers seinerzeitiger Generaloberst Rommel sah sich zu dem Eingeständnis gezwungen: "Was ich mit meiner Armee in 15 Minuten 'erledigen' wollte, widerstand dauerhaft und entkam schließlich noch." Wer waren die 4200 "Freien Franzosen" von Bir Hacheim?

Es handelte sich um eine bunt zusammengewürfelte Brigade, die zur einen Hälfte aus regulären französischen Kolonialtruppen und zur anderen aus Fremdenlegionären bestand. Unter diesen befanden sich nicht wenige deutsche Kommunisten, die nach der Rückkehr aus Spanien für die Legion rekrutiert worden waren. Sie hatten zuvor in den Internationalen Brigaden gekämpft. Hinzu kamen Juden, die Hitlers Vernichtungslagern entrinnen konnten, außerdem Polen, Tschechen, Russen und Bürger anderer Nationen.

Bei Bir Hacheim glückte der Brigade unter General Koenig schließlich der Ausbruch an der schwächsten Stelle der Einkreisung durch Rommels Afrikakorps und die Vereinigung mit kämpfenden britischen Formationen. Es soll ein Schreiben Stalins an Churchill gegeben haben, in dem er zu diesem Sieg gratulierte und die "Freien Franzosen" als Alliierte anerkannte.

Die Brigade zahlte einen hohen Preis. Nur noch 2800 Mann konnten sich am Ausbruch beteiligen. Die anderen waren bereits gefallen, 500 mußten schwerverwundet zurückgelassen werden. Beim Ausbruch nahm Koenig alle Juden und Deutschen mit. Diese kühne Aktion kostete noch einmal fast 500 Menschenleben: Unter den Toten waren auch deutsche Antifaschisten. In der DDR haben wir leider nie etwas über die Helden von Bir Hacheim erfahren.

Zugleich beging die Legion Étrangère auf anderen Schauplätzen fürchterliche Verbrechen. Ihren Träumen von einer Unterwerfung Indochinas wurde in der Entscheidungsschlacht bei Dien Bien Phu durch Vietnams Kämpfer ein Ende bereitet. Auch in Algerien zogen die Legionäre den kürzeren, nachdem ihre Einheiten zuvor grauenhaft unter Zivilisten gewütet und sich bei der Ausrottung von Angehörigen der Nationalen Befreiungsfront FLN besonders hervorgetan hatten. Als General de Gaulle Frieden schließen und Algerien die Unabhängigkeit gewähren wollte, zettelte man einen Putsch gegen den Präsidenten an, bei dem sich die Legion besonders hervortat. - Wie man sieht, bietet die wechselvolle Geschichte der Legion Étrangère ein äußerst zwiespältiges Bild, das sowohl durch Helden als auch durch Henker geprägt worden ist.

Major a. D. Dr. med. Hans-Dieter Hoffmann, La Réunion, Frankreich

Raute

China: Bahnbauer als Bahnbrecher

Wie der "Time"-Berichterstatter Austin Ramzy verwundert mitteilt, hat er unlängst die Einhundert-Kilometer-Strecke zwischen Suschou und Schanghai innerhalb von 42 Minuten absolviert. 1956 hatte er dafür zwei Stunden gebraucht. Die numerierten Sitzplätze des Waggons sind bequem, und der Zug ist nicht mehr mit einer verzweifelten Menschenmenge vollgepfropft, die um Stehplätze kämpft, wie das früher der Fall war. Die Geschwindigkeit beträgt 231 km/h.

1981 verfügte China über 54.000 km Eisenbahngleise. Ende 2010 wird sich diese Zahl auf 100.000 km fast verdoppelt haben. Abgesehen von der Länge des Schienennetzes ist das chinesische Eisenbahnsystem eines der besten und schnellsten der Welt. Es beweist, daß sich auch die schwierigsten Terrains bewältigen lassen. So mußte z. B. die Route von Lhasa in Tibet nach Südostchina über 550 Kilometer Permafrostboden und einen 5000 Meter breiten Paß verlegt werden.

Systematisch erhöhte sich das Durchschnittstempo der chinesischen Eisenbahn - von 48 km/h im Jahr 1993 auf 70 km/h im Jahr 2007. Auf einigen Linien wurde eine Durchschnittsgeschwindigkeit erreicht, die geradezu phänomenal ist. So kann die Reise aus Wuhan in Zentralchina nach Guangschou im Südosten mit einer Schnelligkeit von 313 km/h zurückgelegt werden, wodurch sich die Fahrtzeit von 10 ½ auf drei Stunden verkürzt.

Auf einer Gesamtlänge von 6552 Kilometern können jetzt Züge mit einer Geschwindigkeit von mehr als 200 km/h verkehren. In den nächsten zwei Jahren soll die Länge dieser Strecken verdoppelt werden. Eine so rapide Entwicklung der Infrastruktur ermöglicht es, Menschen und Waren in immer kürzerer Zeit von einem Ort zum anderen zu transportieren. Nach Angaben von Yang Zhongmin, dem Generaldirektor des Ministeriums für Eisenbahnentwicklung und Planung, liegt Chinas Niveau auf diesem Gebiet aber noch immer um 30 Jahre hinter der nationalen Wachstumsrate zurück. Dieser Abstand muß nun intensiv aufgeholt werden. Ein weitgestecktes Ziel ist die Entwicklung der westlichen Gebiete des Landes, die mit den östlichen Provinzen nicht Schritt gehalten hat.

Die Modernisierung des Eisenbahnwesens hat den Lebensstil vieler Chinesen verändert. So unternimmt z. B. Lu Ke, ein 30jähriger Angestellter, zweimal wöchentlich die 90-Minuten-Fahrt zwischen seiner Arbeitsstelle in Hangschou und Shanghai, wo er wohnt. Die Fahrt kostet in einer Richtung 4,15 Dollar.

Nach chinesischen Quellen wird geplant, ein Eisenbahnnetz für Schnellverkehr durch die Länder Asiens bis nach Europa zu bauen. Firmen in China erhalten bereits heute Aufträge für Eisenbahnprojekte im Ausland. Letztes Jahr erteilte z. B. Saudi-Arabien einem Konsortium, dem Chinas Bahnbau-Gesellschaft angehört, den Auftrag für den ersten Abschnitt einer Schnellzuganlage zwischen Mekka und Medina. Der ausgehandelte Preis beträgt 1,8 Mrd. Dollar.

Chinesische Firmen entwickeln überdies Schnellzugprojekte für Venezuela und die Türkei. Sie beteiligen sich sogar an einer Ausschreibung für ein Schnellzugnetz in Kalifornien, das den Süden und Norden dieses USA-Bundesstaates verbinden soll. Kostenpunkt: 48 Mrd. Dollar.

Dr. Vera Butler, Melbourne

Raute

Rechter ANC-Flügel vertritt die Interessen der schwarzen Bourgeoisie

Erbitterte Klassenkämpfe in Südafrika

Am 18. August begann in Südafrika - dem am höchsten entwickelten kapitalistischen Land des schwarzen Kontinents - ein mit großer Erbitterung geführter Streik von 1,3 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. 19 Einzelgewerkschaften hatten ihn ausgerufen. Sie forderten eine Lohnerhöhung von 8,6 % und einen monatlichen Wohngeldzuschuß von 1000 Rand. Die Regierung, die nach wie vor vom Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) gestellt wird, der mit der Gewerkschaftszentrale COSATU und der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) zur Dreierallianz verbunden ist, bot 7,5 % und 800 Rand an. Um Spielraum für weitere Verhandlungen zu schaffen, wurde der Ausstand Mitte September unterbrochen.

Zwei Jahre nach der Ersetzung des prowestlichen Staatspräsidenten Mbeki durch ANC-Präsident Zuma hat sich die soziale und politische Lage in Südafrika keineswegs entspannt. Innerhalb der Dreierallianz spitzt sich der Konflikt zwischen den Kräften des rechten ANC-Flügels auf der einen und der starken ANC-Linken, der COSATU und der SACP auf der anderen Seite merklich zu. Während des Streiks gab es heftige Attacken auf die SACP und die maßgeblich von ihr beeinflußte gewerkschaftliche Dachorganisation.

Der auf Regierungsebene dominierende rechte ANC-Flügel vertritt vorwiegend die Interessen der schwarzen Bourgeoisie, welche sich nach dem Ende der Apartheid außergewöhnlich rasch entwickelt und verstärkt hat. Sie verfügt inzwischen über beträchtlichen Einfluß und sieht im ANC lediglich ein Instrument zur Erringung staatlicher Machtpositionen, mit deren Hilfe sie eine noch skrupellosere Bereicherung anstrebt.

Die Wortführer dieser Richtung innerhalb des ANC sind sich jedoch über das derzeit bestehende innenpolitische Kräfteverhältnis durchaus im klaren. Sie gehen davon aus, sich vor den nächsten Wahlen weder des linken ANC-Flügels noch der COSATU oder der SACP entledigen zu können, zumal allesamt im heterogenen Kabinett Sitz und Stimme haben. So ist SACP-Generalsekretär Blade Nzimande beispielsweise Minister für das höhere Bildungswesen.

Die Kommunisten - sie waren einst die "Paten" der ANC-Gründung - setzen sich unverändert für die Bewahrung der Einheit im Rahmen der Dreierallianz ein, stellten sich aber zugleich mit Nachdruck hinter die durch starke Polizeikräfte immer wieder brutal angegriffenen Teilnehmer des Staatsbediensteten-Streiks. Ihr stellvertretender Generalsekretär Jeremy Cronin sprach am 21. August Klartext, als er sagte: "Gewisse Leute in den Reihen des ANC sagen uns, wir sollten doch als Partei nicht so groß sein wollen. Immerhin stellen wir heute der Bedeutung nach die zweite Partei Südafrikas dar. Die SACP zählt gegenwärtig 108.000 Mitglieder, wobei wir noch stark zulegen wollen. Zugleich möchten wir weiterhin auf konstruktive Weise im Rahmen des ANC mit unseren Partnern zusammenarbeiten. Dabei wissen wir allerdings nicht, wie der Kampf ausgehen wird, woraus sich ergibt, daß wir auf alle Eventualitäten vorbereitet sein sollten."

Ein Gradmesser für die Verschlechterung des politischen Klimas in der Republik am Kap ist nicht nur das im Einsatz von Schußwaffen gipfelnde Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die streikenden Arbeiter und Angestellten, sondern auch die äußerst negative Haltung der überwiegend vom schwarzen und weißen Kapital kontrollierten Medien. Einige Blätter behandelten die am Lohnkampf Beteiligten unverhüllt als Kriminelle. "Das Leben zahlreicher Ungeborener ist in Gefahr", titelte eine Zeitung angesichts der Tatsache, daß auch Teile staatlicher Gesundheitseinrichtungen zeitweilig geschlossen blieben. Und in einer anderen Publikation hieß es: "Die Kadaver verfaulen in den Wohnungen, weil sich die Familien darum schlagen müssen, Bestattungstermine für ihre verstorbenen Angehörigen zu erhalten." Das Fernsehen brachte zwar ohne Unterlaß Bilder kampfentschlossener Streikender, verzichtete aber auf jede Berichterstattung über Gewalttätigkeiten der zum Einsatz gelangenden Polizei.

Von großer Bedeutung war die Solidarität der anderen Gewerkschaften. Vor allem die Verbände der Metaller und Bergleute kamen den Streikenden des öffentlichen Dienstes zu Hilfe.

In die Kritik geriet übrigens auch der Staatspräsident. "Wir haben nicht für Zuma gestimmt, damit er die neoliberale Politik Mbekis fortsetzt", erklärte der dem SACP-Politbüro angehörende Generalsekretär der COSATU. Zwei Jahre nach der Entfernung Mbekis aus dem Amt hat sich nichts zum Besseren verändert. Im Gegenteil: Die Zahl der Arbeitsplätze ist um 1,1 Millionen gesunken. Die Erwerbslosenrate beträgt jetzt 25 %, und es sieht nicht danach aus, daß sich die Tendenz in den nächsten Jahren ändern dürfte.

Als Lichtblick wird von politischen Beobachtern die Tatsache gewertet, daß sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Südafrika und China stürmisch entwickeln, was auch zu mehr Arbeitsplätzen führen könnte. Im Jahr 2009 stieß China auf den ersten Platz unter den größten Handelspartnern Südafrikas vor. Die Volksrepublik nahm damit den Platz der USA ein und liegt jetzt nur noch hinter dem Wirtschaftsblock der EU.

Alles in allem: In Südafrika haben sich die Klassenauseinandersetzungen enorm verschärft. Da ist es ein Glücksumstand, daß es die Linke mit den Kommunisten als stärkster und integrierender Kraft gibt. Man kann davon ausgehen, daß sie auf kommende Herausforderungen gut vorbereitet ist.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel und "Workers World", USA


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildung:

Südafrikas Gewerkschafter sind kampfbereit.

Raute

Als der Dramatiker Peter Hacks zur Akademie-Runde einlud

Luxus in der DDR

Drama steht für gesellschaftliche Widersprüche. Der Dramatiker Peter Hacks nahm diese Wahrheit zum Ausgangspunkt für seine Arbeitsgruppe, die er seit 1972 an der Akademie der Künste der DDR in deren Gebäude am Robert-Koch-Platz leitete. Er selbst bezeichnete diese Treffen mit Kollegen, Kritikern und Kunstwissenschaftlern als Ersatz für fehlende öffentliche Kulturpolitik in seinem Land, in dem zunehmend eine vom Westen beeinflußte Verwahrlosung des Kunstschaffens um sich greife. Es ging ihm dabei weniger um Vorträge als um Diskussionen. Einige Teilnehmer sagten später in Erinnerung an diese Treffen, es habe sich da um eine "äußerst hochsinnige Veranstaltung" gehandelt, Hacks habe ganz außerordentliche Formen des Diskurses hervorgebracht, die auf eigentümliche Weise "Parteilichkeit" mit hoher "Intellektualität" vereinigt hätten. Lesen wir heute die von Thomas Keck und Jens Mehrle sorgfältig edierten Gesprächsprotokolle, so fällt auf, daß es in der DDR eine erstaunliche Diskurskultur gegeben haben muß, der es offensichtlich darum zu tun war, ins Wesen der Dinge vorzustoßen. Daß Hacks dazu entscheidend beigetragen hat, wird hier deutlich. Den von Stenographen und auf Bändern festgehaltenen Protokollen ist zu entnehmen, daß die Teilnehmer, besonders aber Hacks selbst, auch vor einer ernsten Kritik der Regierungspolitik nicht zurückschreckten. Vor allem aber wurde hier harte Arbeit geleistet, ging es Hacks, diesem preußisch gewissenhaften Schwerarbeiter, doch nicht um "Poesie der Arbeit", wie eine andere Arbeitsgruppe hieß, sondern um "Arbeit der Poesie".

"Die Gesellschaft" sei "wichtiger als die Kunst", sagt dieser Kunstnarr. So sind alle seine Bemerkungen zur Ästhetik von politischem Bewußtsein durchtränkt. "Gegenstand des Dramas ist eine Geschichte von Klassenkämpfen", läßt er seine Mitstreiter beim ersten Treffen, das im Zeichen Hegels steht, wissen. Doch überflute zur Zeit die DDR-Kunst "eine Welle von Romantik" im verwahrlosesten und vernunftfeindlichsten Sinn. So ist Hacks bemüht, das Kunstschaffen seines Landes auf die Klassik hin zu orientieren, zu deren Wesen Affirmation gehöre, will sagen, "Bejahung menschlicher Möglichkeiten". Sie richtet sich an die gesamte Gesellschaft, meint also Totalität und Objektivität - im Gegensatz zum Subjektivismus der alten und neuen Romantik.

Klassische Kunst ist volkstümlich, ohne sich aber zum Volk niederzulassen. Im Imperialismus gebe es, so Hacks, keine klassische Kunst, denn kein großer Dichter könne den bejahen. Er hält es mit Lukács und dessen "Gipfelpunktästhetik", denn er ist der Meinung, daß ein etablierter Sozialismus sich eine Intelligenz leisten könne, die für hohe Kunst zuständig ist. Sie hätten so etwas wie Proletkult und Agit-Prop nicht mehr nötig, könnten vielmehr auf eine Kunst mit Langzeitwirkung setzen, wie sie im Westen schon lange nicht mehr möglich sei. Mit ihrem hohen Kunstverstand hätten Marx und Engels z. B. Brechts Lehrstücke nicht als Kunst bezeichnet. Jetzt lebten sie in einer Gesellschaft, die es notwendig mache, die fehlende kunstträchtige Unschuld vergangener Zeiten durch höhere Bewußtheit zu ersetzen. Die Grundfrage sei, wie erzeuge man gebildete Kommunisten.

So ist Hacks bemüht, den sozialistischen Realismus zu rehabilitieren, der zur Zeit ein schlechtes Ansehen habe, obwohl - oder weil? - es sich da um eine konsequente Fortentwicklung der Klassik handelt. Doch sei eine solche Kunst nur möglich, wenn man, wie der ungarische Philosoph, wie er selber, keine Angst habe, gegen den Strom zu schwimmen. Seine Devise ist: "Frage nicht den Markt, frage dein Gewissen." Daran hat er sich selbst gehalten, wie seine Gesprächspartner, bei allem Dissenz, anerkennen. Rudi Strahl sagt, er beneide ihn darum, daß ihn nicht störe, ob seine Stücke heute oder in zwanzig Jahren gespielt würden. Wir wissen, daß er dem Publikum keine Zugeständnisse zu machen pflegte und ihm dennoch gefallen hat.

Wie es mit dem vom Westen ausgehenden Kunstniedergang bestellt ist, wird anläßlich einer Gesprächsrunde über Becketts "Warten auf Godot" deutlich. Hacks fürchtet, daß dieses Stück über kurz oder lang auch in die DDR Einlaß finden werde, und er empfiehlt, Beckett ernst zu nehmen hinsichtlich seiner Zwecke. Es handele sich da um ein meisterhaftes Lehrstück über die Unabänderlichkeit des betrüblichen Zustandes im Imperialismus. Inhalt des Stückes sei, "daß das Nichts das Wahre ist". So wie es ist, muß es sein, wie von Gott gegeben. Folglich wird die Möglichkeit des Fortschritts ausgeschlossen. Dabei geht es Hacks vor allem um sein Land. Seine Kritik innerhalb des Sozialismus ist getragen von tiefer Sorge um dessen Zukunft. Einige Gesprächspartner verstehen Hacks' Befürchtungen nicht und fragen, warum man nicht ein Stück wie "Godot" "mit Gelassenheit zur Kenntnis nehmen" solle. Möglicherweise haben die später auch den Untergang ihres Landes "mit Gelassenheit zur Kenntnis" genommen. 1973 stellt Hacks fest, daß er mehr von der sozialistischen Gegenwart hält als alle seine Gesprächspartner. Ihm fehlt ein Kampf für Fortschritt, der nicht identisch ist mit dem Kampf gegen die Regierung. Die gegenwärtige Kunstmode sei westorientiert, statt daß man eine eigene Mode kreiert. Dabei sei z. B. das DDR-Theater einst führend in der Welt gewesen.

Hacks beklagt das mangelnde Überlegenheitsgefühl der DDR-Künstler, die - wie auch leider die Bevölkerung - mehr und mehr die "Minderwertigkeitswarte" einnehmen und nicht mehr vermitteln, "daß es bei uns ja doch besser ist als dort". Schuld daran sei nicht zuletzt die seltsam unüberzeugte Weise der Regierung, die sich eher durch Verordnungen als in Form eines Selbstgefühls zu einem ostdeutschen Nationalbewußtsein äußere. Sie verordne die Nation, aber sie fühle sie nicht. Es gebe bis in höhere Kaderkreise ein Abhandenkommen des politischen Denkens, man arbeite mit Verdrängung, statt mit Diskussion. So hätten sie alle das Gefühl eines Vakuums. Es sei aber außerordentlich schwer, Kunst zu machen "auf der Basis dieser verdammten Toleranz", Freiheit könne "die größte Diktatur" sein. Ja er sehnt sich nach einer Diskussion zurück, wie es sie einst anläßlich seines Stückes "Die Sorgen und die Macht" gegeben habe, das in deren Folge abgesetzt wurde. Zu einer solchen Auseinandersetzung fehle es jetzt an Niveau. Er ist der Meinung, daß der Apparat seiner Pflicht ungenügend nachkomme, die Produzenten, zu denen er auch die Künstler rechnet, im Zaum zu halten, indem er, statt sie zu ermutigen und zu lenken, sie lieber gewähren lasse und unterdrücke. Das zeuge von Ohnmacht, von Unfähigkeit, Einfluß auf die Künstler auszuüben.

Bei denen gebe es mehrere Fraktionen, von denen zwei als konterrevolutionär zu verbieten wären: "die anarchistische und die sozialdemokratische Fraktion". Schließlich könne man nach links und nach rechts vom Pferd fallen, hatte die Gesprächsteilnehmerin Anna Wiede Hacks gesagt. An anderer Stelle heißt es zum linken Dogmatismus, die linksopportunistische Forderung nach "Einfalt und Enge" sei nur der Gegenschwachsinn von der rechtsopportunistischen Forderung nach "Vielfalt und Weite", so Hacks. - Besondere Schwierigkeiten bereitet den Gesprächspartnern Hacks' Forderung nach einer postrevolutionären Ästhetik. Da wird er mehrfach (z. B. von Baierl, Abusch, Mittenzwei, Kohlhaase ...) angegriffen mit Argumenten wie: Die weltweite Auseinandersetzung mit dem Imperialismus zeige, daß es um Weiterführung der sozialistischen Revolution gehe. Oder: Könne man eine Revolution als beendet betrachten, wenn die Konterrevolution möglich sei? Darauf gibt Hacks die für ihn gültige Definition von Revolution, die darin bestehe, daß "eine Eigentumsform von Produktionsmitteln durch eine andere ersetzt" werde. Wenn sich diese Sache vollzogen habe, "ist die Revolution zu Ende". Fortan handle es sich um die Festigung des Bestehenden. Dieser Zustand eben sei Sozialismus. In dem lebten sie gegenwärtig - und keineswegs im Kommunismus, der sie noch nicht betreffe. Zwei Gruppen in der DDR brauchten aber dringend den Revolutionsbegriff, so Hacks: der Apparat, um seine Existenz und seine schlechten Manieren zu rechtfertigen, und die regierungsfeindlichen Verfechter einer jetzt fälligen Revolution, womit sie in Wirklichkeit die Konterrevolution meinten, an der sie sich dann beteiligten. Wolfgang Harich äußerte daraufhin:

"Da haben Sie zwei Mühlräder, zwischen denen Sie ganz schön zerrieben werden." Dem entgegnete Hacks: "Das ist mein Lebenslauf, und ich fühle mich glänzend dabei." 1976 wird die Frage aufgeworfen, ob der Sozialismus noch einmal rückgängig gemacht werden könne: Hacks verneint mit dem Hinweis auf die Weltgeschichte, die kaum Beispiele dafür zeige, daß Produktionsverhältnisse zurückgenommen worden wären. Als dann gefragt wird, was wäre, wenn Ota Sik 1968 in seinem Land gesiegt hätte, ist Hacks' Antwort: Die CSSR wäre auch dann nie wieder ein rein kapitalistisches Land geworden. Wir wissen heute, daß Hacks sich da geirrt hat. Doch dieser Irrtum rührt uns mehr als die schlaueste Voraussicht manches Zweifelnden.

Als Hacks nach längerer Unterbrechung Ende 1988 junge Autoren zu Gesprächen über Dramaturgie einlädt, hofft er auf eine Zukunft, die dem Land nicht mehr bevorsteht. Schon bald, anläßlich einer Besprechung von Shakespeares "König Lear", sieht er sich veranlaßt, den alten König mit Gorbatschow zu vergleichen, der auch auf seine Macht verzichte und sein Land wegschenke.

Zum "Kaufmann von Venedig" meint er Anfang 1990, das Stück handele davon, wie eine schöne Welt in vierzig Jahren zugrunde gehen wird. Die Aktualität angesichts der sich abspielenden Ereignisse ist offensichtlich. Dennoch ist erstaunlich, mit welchem Ernst die Gesprächsrunde noch im Januar 1990 über literarische Begriffe wie Redundanz, Unterschiedenheit der Momente, Fabelvorwand usw. diskutiert, während draußen ihre Welt zusammenbricht. Im März 1990 hören wir von Hacks, er wolle, "wie es in diesem Land sein muß", den Plan erfüllen (und über Dialog handeln). Erst im Mai 1990 sieht er sich gezwungen, das Unternehmen an der Akademie mit einer kleinen Abschiedsrede zu beschließen. "Unter den Bedingungen einer statthabenden Konterrevolution und während der Besetzung durch eine ausländische Macht", so Hacks, sei dieses "Kränzchen" nicht mehr durchführbar, das "an keinem andern Ort der Welt denkbar" gewesen wäre. Er bringt es auf die Formel: "DDR-Mensch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun." Wir wissen, daß unsere gegenwärtige Gesellschaft sich das nicht leisten kann. 1978 hatte Hacks von Kunst "als einer notwendigen Überflüssigkeit" gesprochen, und die Arbeitsgruppe, die nun ihr Ende findet, bezeichnet er als "einen extremen Fall von gesellschaftlichem Luxus". Luxus aber sei nur im Sozialismus erhältlich.

Heidi Urbahn de Jauregui, Montpellier


Unsere Autorin ist Professorin für deutsche Sprache und Literatur an mehreren französischen Universitäten, darunter St. Etienne und Montpellier. Auf Klassik spezialisiert, gilt sie als profunde Kennerin des Werkes von Peter Hacks.

Raute

Erhart Ellers tragische Grotesken

Hohe Achtung vor der Moral all jener linken Schriftsteller, die, oft hoffnungslos vereinsamt und in finanzieller Bedrängnis, gegen die "neue" alte Ordnung und deren politische Gralshüter anschreiben und dabei unter schweren persönlichen Opfern ein achtbares literarisches Lebenswerk aufbauen! Erhart Eller (geb. 1950) gehört zu ihnen. Sein seit 1989/90 entstandenes Werk umfaßt inzwischen etwa ein Dutzend Buchpublikationen.

Ellers jüngste Veröffentlichung heißt "Herzliche Feindschaft". In ihr sind zwölf unterschiedlich umfangreiche "groteske" Geschichten vereint, die "ungeheuerliche Vorgänge in frostiger Zeit" zum Gegenstand haben. Titel und Untertitel weisen dem Leser unmißverständlich die Richtung der Rezeption. Sie sind die gebündelte metaphorische Vorwegnahme all dessen, was ihm der Autor zu sagen beabsichtigt - scharfe Blicke von unten auf das derzeitige Deutschland.

Erhart Eller hat ein bitterböses Buch geschrieben. Seine Kritik an dieser Gesellschaft erwächst aus eigenen zermürbenden Erfahrungen; sie ist messerscharf und in ihrer Überspitzung provozierend. Bei etlichen seiner Geschichten aus dem täglichen Leben der an den sozialen Rand Gestellten, der "Unterklassigen", kommt einem unwillkürlich Franz Kafka in den Sinn - und das besonders dort, wo die Konfliktlösungen tragische Züge annehmen.

Im Mittelpunkt dieser jüngsten Ellerschen Prosa steht die Erzählung "Die Nöte des Dichters". Sie ist mit der Vorführung der gesellschaftlichen Situation eines linken Autors, der an den heiligen Säulen der Macht kratzt und deshalb der Anfeindung und Ausgrenzung unterliegt, am deutlichsten und berührendsten autobiographisch gefärbt. In ihr heißt es: "Ich wollte ... eine ehrliche Auseinandersetzung mit meinem Werk. Die Achtung, die mir zusteht. Aber die Feinde sind mächtig. Sie lassen nicht locker. Sie streuen Verleumdungen über mich aus."

Eller schreibt ohne politisch-ideologische Bindung. Er bejaht die Notwendigkeit des Kampfes um die Veränderung der derzeitigen Verhältnisse durch absolute Verneinung. Scharfe Angriffe richtet er auf den "verhunzten Staat". Verdunkelung und Bestechlichkeit dienen der Obrigkeit zur Erhaltung ihrer Macht. Habgier, Raffsucht, Egoismus und die Mißachtung des Volkes charakterisieren die politische Deformation des spätbürgerlichen Herrschaftssystems. Arme und Reiche, ein Dauerthema Ellers, werden einander kraß gegenübergestellt, wobei dem Autor die Möglichkeit einer Änderung der gegebenen Zustände aussichtslos scheint. Deutlich verurteilt er die der herrschenden Klasse als willfährige Handlanger dienenden Journalisten. Er sieht zu viele "stille Dulder", zu viele Unentschlossene und Hilflose, zu viel "seligen Schlaf" da unten. Ihnen gegenüber protzen die dem krankhaften "Reiz der Macht" erlegenen "Durchreißer" da oben ... Optimistische Ausblicke gibt es bei Eller nicht.

Eller bevorzugt einen markanten, eckigen Stil, dessen "Gefälligkeit" der Drang zur Wahrheit ist. Dabei scheut er sich nicht vor saloppen und vulgären Ausdrücken. Viele Sätze wirken wie hingehauen. Sein Hang zum Überzogenen, Grotesken und Verzerrten zerstört freilich nicht seine gediegenen psychologischen Einsichten. Unmißverständlich bewertet sind die von ihm gezeichneten Figuren: die "Sozialstaatsumgestalter" und die "Ordnungshüter", die Arbeitslosen und die Selbsthelfer, die Erfolgreichen und die Erfolglosen, die Verbitterten und die Gescheiterten.

Ellers Erzählungen stellen viele Fragen. Beantworten muß sie sich der Leser selbst.

Dr. Bernhard Igel, Eisenach


Erhart Eller, Herzliche Feindschaft. Groteske und ungeheuerliche Vorgänge in frostiger Zeit,
Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2010, 254 Seiten, 12,50 €

Raute

Kurt Kläber gehörte zur Garde der Ruhr-Schriftsteller

Noch einmal soll an dieser Stelle ein bedeutender Autor des Ruhrgebiets vorgestellt werden. Zwar ist von den alten Stahlbetrieben und Zechen der einstigen Industrieregion nicht mehr viel übriggeblieben. Und wenn man so will, haben auch die Arbeiterliteratur und die sozialistische Literatur ihren "Strukturwandel" erleben müssen.

Aber es ist wichtig, die geschaffenen Werke in all ihren Facetten zu bewahren. Denn sie berichten davon, wie die arbeitenden Menschen einst gelebt und gekämpft haben, welche Hoffnungen sie hatten und welche Ziele sie erreichten.

Einer der Pioniere der Arbeiterliteratur war Kurt Kläber. 1897 in Jena geboren, kam er in den 20er Jahren ins heutige Nordrhein-Westfalen. Sein Erzählband "Barrikaden an der Ruhr" erschien 1925. Noch vor Karl Grünberg mit "Brennende Ruhr" und Hans Marchwitza mit "Sturm auf Essen" (siehe vorherige "RotFuchs"-Ausgaben) hatte also ein Arbeiterschriftsteller die kämpfenden Proletarier des Ruhrgebietes zum Thema der Literatur gemacht.

Kurt Kläber gehörte bei Erscheinen seines Erzählbandes bereits der KPD an und gründete wenige Jahre später mit anderen Autoren zusammen den Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands. Aus dem Tätigkeitsbericht des Bundes für 1929 geht hervor, daß von mittlerweile 320 Mitgliedern immerhin 23 an der Ruhr wirkten.

Die "Geschichte der deutschen Literatur" bescheinigt Kläber in seinen Erzählungen "ungemein milieugetreue und dynamische" Darstellungen, mit denen er dem Leben des Proletariats sogar näher kommt als der wesentlich bekanntere Johannes R. Becher. Zugleich wird kritisiert, daß Kläber im Grunde dabei stehengeblieben sei, die spontane Bewegung der Arbeiter auch nur spontan wiederzugeben. Becher seinerseits lobte bei ihm dessen reife, vorzügliche Sprache und die Fähigkeit, Milieu und Leid des Proletariats zu schildern.

1929 gab Kläber das Werk "Der Krieg. Das erste Volksbuch vom großen Krieg" heraus, das im Internationalen Arbeiter-Verlag in Berlin erschien. Autoren waren bekannte Schriftsteller von Remarque über Brecht bis Kisch. War es schon die Vorahnung kommenden Unheils, die Kläber bewog, den Lesern ein solches Buch zu präsentieren?

Bereits 1924 hatte der Ruhrgebietsautor die Märchenerzählerin Lisa Tetzner geheiratet. Bis 1933 wohnten sie teils in Berlin, teils im schweizerischen Carona. Dort sollte denn auch ihr Wohnsitz während des Faschismus und danach bleiben.

1959 starb Kurt Kläber, der inzwischen längst unter dem Namen Kurt Held bekannt war.

Bürgerliche Verleger wollten keine Bücher eines Kommunisten namens Kläber drucken, und so nannte er sich eben Held. Sehr bekannt bis in die heutige Zeit ist sein Jugendbuch "Die Rote Zora und ihre Bande" aus dem Jahr 1941. Hier wird eine Schar Jugendlicher vorgestellt, die Partei für alle Bedrängten ergreift. Der Schauplatz ist ein Fischerdorf in Dalmatien. Im Januar 2008 wurde das Buch erneut verfilmt, unter anderem mit Mario Adorf und Ben Becker in den Hauptrollen.

Im heutigen Ruhrgebiet und auch im Rahmen des Kulturjahres Ruhr.2010 wird man wohl nicht mehr viel über Kurt Kläber-Held wissen. Doch in Jena, wo bis 1984 noch sein Geburtshaus stand, wird durchaus an den proletarischen Schriftsteller erinnert. So berichtete die "Thüringer Landeszeitung" im Januar 2008 davon, daß sich Schüler in einem Projekt mit dem Schriftsteller beschäftigten.

Paul Sielaff

Raute

Der Fan

Ich war gestern mit dem Wagen unterwegs. Mir begegneten dabei viele Hunderte, wenn ich den ruhenden Verkehr mitrechne, Tausende von Autos aller Klassen und Fabrikate. Ich hatte sehr auf den engen und überaus dichten Fahrzeugstrom zu achten, denn es gab etliche, den Verkehrsfluß stark einschränkende Baustellen.

Dabei begleitete mich ein auffälliger BMW. Mal war er vor, dann hinter mir. Oft auch seitlich, fast auf Tuchfühlung, oder in diesem Fall in bedrohlicher Blechnähe. Ob man wollte oder nicht - man wurde aus diesem Wagen wehrlos mit Überlautstärke beschallt. Ton ist Materie. Die Bässe aus den überdimensionierten Boxen ließen selbst die BMW-Karosse mitdröhnen, und im Takt schlugen jeweils harte, fühlbare Schläge auf ungeschützte Ohren. Mißbilligende Blicke und auch Drohgebärden aus anderen Autos trafen den Fahrer, den das unbekümmert ließ. Mehrere Male versuchte er, ohne den Blinker zu setzen, gefährliche Spurwechsel und brachte dadurch andere in Bedrängnis. Bei einem Ampelstop entspann sich zwischen ihm und einem seitlich von ihm befindlichen Fahrer durch die geöffneten Scheiben eine im Brüllton geführte Beschimpfungsorgie. Infolge einer anschließenden Beinahe-Kollision geriet er wieder an meine rechte Seite, und ich hatte - fast ist es mir peinlich, in dieses Klischee zu verfallen - seinen Stiernacken, den rasierten Schädel, den dumpfglasigen Blick und den tätowierten muskulösen Arm, den er aus dem geöffneten Fenster lehnte, längere Zeit in meinem Blickfeld.

Ich versuchte mit einem freundlichen Lächeln und einer pantomimischen Drehung meiner Hand, ihn zu einer etwas leiseren Einstellung seines Musikgeräts zu bewegen. Mit einem verständnisvollen Grinsen drehte er sofort seine Lautsprecher noch mehr auf. Bis zum Anschlag. Die Frau im Auto hinter uns gab ihren Unwillen durch ein kurzes Hup-Stakkato zu erkennen. Die Antwort war der hochgereckte Mittelfinger, geziert mit einem auffälligen Metallring. Nach der nächsten Kreuzung entstand eine kurze Lücke. Mit einem blitzschnellen, waghalsigen Manöver, ohne den Blinker zu benutzen, nahm er mir die Vorfahrt und entfernte sich, mir nun ebenfalls triumphierend den "Effe-Finger" zeigend.

Sicher sind Auto-Rüpel nichts Seltenes, und man wird mich fragen, warum ich dieser kleinen und unbedeutenden Affäre ein solches Gewicht beimesse. Von den Hunderten, sicher sogar Tausenden Fahrern, denen ich an diesem Vormittag begegnete, unterschied sich dieser soeben geschilderte durch ein bestimmtes, aber deutlich sichtbares Detail. An seinem BMW flatterte - Monate nach der Fußballweltmeisterschaft - die schwarzrotgoldene Fahne. Er allein zeigte Flagge. Der Fan. Der Auto Rüpel. Als Einziger. Armes Deutschland!

Rudi Kurz

Raute

Eberhard Panitz streifte seine Überzeugungen nicht wie ein schmutziges Hemd ab

Ein Autor, der Millionen Leser gewann

Der am 16. April 1932 in Dresden geborene Eberhard Panitz arbeitete nach dem Studium der Pädagogik und der Germanistik in Leipzig als Verlagslektor. In dieser Zeit schrieb er die biographische Erzählung über Katja Niederkirchner "Käte" (1955), die 1970 als Fernsehspiel gesendet wurde. Seit 1959 ist Panitz freischaffender Schriftsteller. Er entwickelte sich schnell zu einem DDR-Erfolgsautor. Seine Reportagen erreichten beachtliche Auflagen. Es folgten die Erzählungen "Flucht" (1956), "Verbrechen am Fluß" (1957) und "Die Verhaftung" (1960). Seine Kindheit in Dresden und dessen Zerstörung prägten zunächst die Sicht des Autors auf die Wirklichkeit in nachhaltiger Weise. Offensichtlich wird das in dem Roman "Die Feuer sinken" (1960), der von den letzten Kriegsmonaten in der Elbestadt handelt. Auch in seinen Büchern "Meines Vaters Straßenbahn" (1979, als Fernsehfilm von Celino Bleiweiß 1980 gedreht), "Mein lieber Onkel Hans" (1982, als Fernsehfilm 1985) und der Roman "Leben für Leben" (1987) schöpfte Panitz die Stoffe aus der Realität und faßte sie in beinahe photographische Bilder. Er erzählte seine Geschichten stets aus dem Blickwinkel eigenen Erlebens. Er schrieb vielgelesene Bücher, in denen sympathisch gezeichnete weibliche Hauptgestalten ihre Glücksansprüche energisch und einfallsreich gegen veraltete Konventionen vertraten. Sie deuteten diese nicht zuletzt in ihren Liebesbeziehungen an, ohne dabei tiefgreifende persönliche Konflikte zu scheuen. Beispiele dafür sind die Erzählung "Das Mädchen Simra" (1961) und der Bericht über Tamara Bunke in "Der Weg zum Rio Grande" (1973).

Ethische Normen versuchte der Autor in zwei besonders erfolgreichen Romanen zu erhellen: "Die unheilige Sophia" (1972) verfilmte Manfred Wekwerth 1974 als Zweiteiler für das DDR-Fernsehen. Den Besteller "Die sieben Affären der Doña Juanita" (1974) brachte Frank Beyer als Vierteiler auf den Bildschirm. In der Sommergeschichte "Die Moral der Nixe" (1978) trat dem Leser eine junge Frau entgegen, die keine Schranken gelten lassen wollte, welche einem von ihr erträumten Leben zu zweit entgegenstanden. Nach dem Roman "Unter Bäumen regnet es zweimal" (1969) schuf Egon Günther mit Jutta Hoffmann in der Hauptrolle den beeindruckenden DEFA-Film "Der Dritte", für den er 1972 in Karlovy Vary einen Hauptpreis erhielt. Zu dieser Thematik sind Panitz' Viktoria-Erzählungen (1985) und die Novelle "Frau mit dunkler Brille" (1989) zu rechnen. Hier stellte er eine ungeheure Lebenslüge vor. Bedauerlicherweise fand "Eiszeit. Eine unwirkliche Geschichte" (1983) nicht die erwartete Resonanz, obwohl Eberhard Panitz vor den Folgen einer atomaren Katastrophe warnte.

Der Autor ist oft als "Frauenschriftsteller" bezeichnet worden. Sein Anliegen war es, gegen althergebrachtes Rollenverhalten, Resignation vor einer "unveränderlichen Männerwelt" und übersteigerte Vorstellungen von Emanzipation anzugehen. Es gelang ihm zu schildern, wie DDR-Frauen den historischen Ballast abwarfen. Er porträtierte sie selbstbewußt, resolut, charmant und liebenswert. Panitz bekannte: "Ich meine, daß sich in Geschichten von Frauen sehr viele Möglichkeiten finden, die Entwicklung unserer Gesellschaft besonders eindrucksvoll darzustellen, drastischer und konfliktreicher." Der Autor bemühte sich um ein möglichst genaues Erfassen der Wirklichkeit, um die verschiedensten Aspekte zu beleuchten. Die DDR-Literaturkritik bescheinigte ihm Phantasie und Geschichtssinn.

Nach dem Ende der DDR hat Eberhard Panitz seine Überzeugungen "nicht wie ein schmutziges Hemd abgestreift". Er blieb produktiv wie zuvor. Besonders zu erwähnen sind die hundert Geschichten in dem Erzählband "Das Lächeln des Herrn 0." (1994). Darin reagierte er auf die veränderte Situation, wobei er die Borniertheit und Skrupellosigkeit vieler "Wessis", aber auch die Naivität, blinde Gläubigkeit und Widerstandslosigkeit der "Ossis" aufs Korn nahm. Zu verweisen ist auf die acht Panitz-Bändchen, die bei SPOTLESS erschienen: "Mein Chef ist ein Wessi" (zusammen mit Klaus Huhn), "Rübezahl" (beide 1992), "Ossiland ist abgebrannt" (1994), "Comandante Che" und "Mordverdacht" (beide 1997), "Villa Sonnenschein und der siebzehnte Juni", "Jorge Amados Einmischung" (beide 1998) sowie "Käthe Kollwitz und das verschwundene Bild" (2005). Sein packender Roman "Spielplatz in D." (2001) führte nach Dresden und ist Zeitdokument, Liebesgeschichte und Familienchronik, zugleich aber auch Krimi. Darin wird von einem Mann zwischen zwei starken Frauen berichtet, von Spionage und Kaltem Krieg. In seinem Buch "Geheimtreff Banbury" (2003) wies Panitz nach, wie die Atombombe zu den "Russen" gelangte. Im Mittelpunkt stehen der deutsche Kernphysiker Klaus Fuchs und die Kundschafterin "Sonja" alias Ursula Kuczynski-Burton. Panitz rekonstruierte, wie der Wissenschaftler der sowjetischen Kundschafterin die Geheimdokumente zukommen ließ. In der klug aufgebauten Novelle "Der geheime Rotbannerorden" (2006) widmete sich Panitz einer Spurensuche, die mehr als ein halbes Jahrhundert währte. Bestechend schilderte er das Schicksal eines verschollenen deutschen Widerstandskämpfers und Wehrmachtssoldaten, der sich als Rotarmist und Partisan Verdienste erwarb und auch in Friedenszeiten bewährte. In dem Bändchen "Deutschland hin und zurück" (2008) veröffentlichte Panitz einen Reisebericht aus dem Jahre 1965. Bei einem Aufenthalt erlebte er, wie in BRD-Gaststäten über Autos und Autobahnen oder Mord und Totschlag in Zeitungsberichten schwadroniert wurde, wobei man Themen wie Atomminen und Kalten Krieg völlig ausblendete. In der "Dresdner Novelle" (2009) erzählte er eine tragische Geschichte, die vom Kriegsende 1945 bis in das Frühjahr 1989 reichte und Naziverbrechen ebenso wie den Mordfeldzug in Vietnam berührte. Eberhard Panitz' Bücher erreichten hohe Auflagen und wurden vor allem in Ländern Osteuropas übersetzt.

Dieter Fechner

Raute

Archie über Butler und Bettler

Ja, natürlich gehört das "wiedervereinigte" Deutschland oder, besser gesagt, das um die DDR vergrößerte Gebiet der Alt-BRD zu den reichsten Ländern der Welt, denkt Archie, wenn er die Printmedien im ärztlichen Wartezimmer durchblättert. Ex-Export-Weltmeister, Handelskonkurrent Chinas, größter Beitragszahler der EU, Standort gewaltiger Pharma-Konzerne, Chemie-Riesen, Stromkartelle und Autogiganten, überdies Waffen- und Munitionsexporteur Nr. 3, Heeresdienstleister, Produzent von Kriegsgerät und Logistik - all das verbindet man mit dem Begriff BRD, wenn man ihre Hochglanzjournale zur Hand nimmt. Nicht zu vergessen die High Society, die hochdotierten, bonischluckenden Manager und PR-Berater, die Legion sind. Natürlich auch den Krieg in Afghanistan, der schon neun Jahre dauert, zuvor den Überfall auf Jugoslawien. Milliarden werden aus dem Fenster geworfen, die Krise nicht zu vergessen ...

Selbst bei "Bild" kann Archie zwischen den Zeilen lesen, was die BRD für ein seltsames Land ist. Dabei weisen die bürgerlichen Blätter nur recht verhalten auf die Schattenseiten dieser Gesellschaft hin; auf die sich ständig verschärfende Bildungsmisere, das Kinderelend und die zunehmende Altersarmut, das kränkelnde Gesundheitswesen, das Lohndumping, Zeitarbeit als moderne Sklaverei, Kindesmißhandlungen als Attribut sozialer Ausweglosigkeit, turmhohe Jugendkriminalität, Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr, prekäres Anwachsen der Zahl von Hartz-IV-Empfängern.

Natürlich wird die Misere unterschiedlich kommentiert. Für Westerwelles Liberale sind die Armen, da faul und unflexibel, selbst an ihrer Armut schuld. Außerdem gibt es ja genügend "Tafeln". Überhaupt ist "Tafel" jetzt ein Zauberwort! Sie dient als eine Art moralisches Ventil, indem sie das Gewissen der Reichen entlastet. Kurioserweise gebe es in den reichen westlichen Bundesländern mehr davon als in den ärmeren östlichen, liest Archie mit Erstaunen. Bei den Endlosdiskussionen im Fernsehen über das Abstandsgebot zwischen Verdienenden und Nichtverdienenden ist pure Heuchelei im Spiel, sowohl was die Löhne betrifft als auch die Höhe der Hartz-IV-Zahlungen. An dieser Stelle bekommt Archie oft vor Wut ein nervöses Augenlidzucken. Angesichts des Mißbrauchs der Armen-Tafeln durch den Staat der Reichen hat er eine Vision: Ein Bettler klingelt an der Luxusvilla des Fabrikanten. Der Butler kommt heraus und sagt: "Sehen Sie doch bitte einmal in den Abfalltonnen nach, lieber Mann, die hohen Herrschaften können ja allein nicht alles verspeisen. Gehen Sie ruhig zu den Tonnen, das hat schon seine Richtigkeit. Dort dürfen Sie sogar in Lachs waten, soviel ist noch davon übrig. Bringen Sie ruhig Ihre ganze Familie und auch noch Ihre armen Freunde mit." Der Bettler antwortet leicht pikiert: "Aber ich habe doch diese herrliche Villa mit aufgebaut, meine armen Freunde und meine ganze Familie auch." Der Butler lächelt würdevoll und sagt: "Ich werde es dem Herrn Direktor gern ausrichten." Darauf bedankt sich der Bettler, verbeugt sich und sieht dabei ein Schild in Augenhöhe: "Zu den Tafel-Tonnen. Die Verwaltung", steht darauf.

Apropos Verwaltung: Archie langweilt sich seit langem in Anbetracht des öden TV-Programms mit lauter faden Wiederholungen von Kitsch-Komödien, Küchen-Kocherei, Krawall-Krimis, Musikanten-Stadel, Gejodel und Gezither und fragt sich, wo seine GEZ-Gebühren eigentlich geblieben sind. Jetzt weiß er es: in der Verwaltung. Allein die Intendantin des WDR bezieht ein Jahresgrundgehalt von - sage und schreibe - 308.000 Euro, die fünf Direktoren nur dieses einen Senders erhalten zwischen 190.000 und 206.000 Euro. Potz Blitz und Donnerschlag! Wenn sich dann noch die anderen ARD- und ZDF-Anstalten outen würden, käme eine gewaltige Summe zusammen. 2009 nahmen die Sender 7,6 Milliarden an Gebühren ein, war zu erfahren. Archie würde der Schweiß auf die Stirn treten, gehörte er angesichts der überall zu bemerkenden sozialen Verwerfungen zu dieser Art von Schlaraffenland-Bewohnern. Aber solange die Hartz-IV-Empfänger, die "Aufstocker", die Arbeits- und Obdachlosen, die Mindestrentner und ihresgleichen brav in die Suppenküchen trotten und an den Tafeln Schlange stehen, droht keinerlei Aufruhr.

Im Kontrast zu den hohen Managergehältern tut es gut zu lesen, wie man mit fast Nichts durchs Leben kommen kann. Darüber erfährt man so manches in dem Büchlein "Berlin für Arme". Es handelt sich um einen Stadtführer für Lebenskünstler von Bernd und Luise Wagner, der im Eichborn-Verlag erschienen ist.

Im Vorwort wird gefragt: Was haben wir der Armut nicht alles zu verdanken? Die Antwort lautet: "Ohne sie gäbe es keine Philosophie, keine Gewerkschaften und keine selbstgedrehten Zigaretten." Auf amüsante Art wird hier geschildert, wie man als Armer in allen Lebenslagen zurechtkommen kann, ohne auf Würde und Kultur zu verzichten.

Archie war von dem Gelesenen durchaus angetan, hatte aber drei Einwände: Erstens ist es anstrengend, zu den Armen und dazu Arbeitslosen zu gehören, denn arbeiten ist immer noch leichter und bekömmlicher. Zweitens: Armsein scheint nur etwas für Jüngere zu sein, im fortgeschrittenen Alter erweist es sich als beschwerlich und kann sogar zum vorzeitigen Tod führen. Und drittens gibt das Buch zynischen Ex-Finanzsenatoren und zeitweiligen Bankbossen recht, die da behaupten, Hartz IV reiche völlig aus, wenn nicht gar zu viel des Guten verlangt werde.

Witz und Ironie tun dem Büchlein gut. Es enthält auch wichtige Hinweise für arme Schlucker, hebt aber den Klassenwiderspruch nicht auf, auch wenn selbst gewisse Linke auf seine Erwähnung nur allzu gerne verzichten.

Ein Marx-Zitat, das in dem Buch Platz gefunden hat, mag am Ende dieser Zeilen stehen: "Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört."

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Dem "RotFuchs"-Kollektiv herzliche Grüße aus Wroclaw. Ich bedanke mich nochmals für die Möglichkeit, daß ich vor der Berliner Regionalgruppe des RF über Entwicklungen in meinem Land und insbesondere über den komplizierter gewordenen Kampf der polnischen Kommunisten sprechen konnte. Es war eine interessante Zusammenkunft, weitere Begegnungen boten mir die Möglichkeit, Informationen zur Lage der deutschen Arbeiterbewegung in der Gegenwart zu erhalten.

Ich wünsche Euch, auch im Namen der Kommunistischen Partei Polens, Erfolg im Kampf gegen den Kapitalismus und für unsere sozialistische Sache.

Zum 7. Oktober - dem 61. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik - eine herzliche Umarmung.

Prof. Dr. Zbigniew Wiktor, Wroclaw


*


Ich bin Sprecher der Basisgruppe "Peene-Werft" der Partei Die Linke. Wir haben uns mit dem Kapitel I (Woher wir kommen, wer wir sind) unseres Programmentwurfs beschäftigt. Einige Aussagen entsprechen wohl mehr dem "Zeitgeist" als der historischen Wahrheit.

So heißt es im viertem Absatz: "1914 spaltete der Krieg die deutsche Sozialdemokratie." Das ist völlig falsch. Wie kann ein Krieg eine Partei spalten? Richtig ist, daß die unterschiedliche Haltung der Mitgliedschaft zum Krieg die Spaltung der Partei offen zum Ausdruck brachte. Und die Ursache dieser Spaltung ist deutlich zu machen. Dieser Satz sollte also wie folgt erweitert werden: 1914 trat mit Zustimmung der Führung der Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten unter Verletzung der Beschlüsse der II. Internationale die Spaltung der SPD erstmals offen zutage. Ursache dieser Spaltung waren vor allem revisionistische Theorien, nach denen Klassenkampf und Abschaffung des Kapitalismus durch die Realität überholt seien.

Im nächsten Absatz heißt es: "Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg befand sich Deutschland bis Sommer 1919 in einem blutigen Bürgerkrieg..."

Dieser Krieg wurde verloren von einem imperialistischen Block unter maßgeblicher Beteiligung des monarcho-kapitalistischen Deutschlands, nicht aber von den Linken. Im Gegenteil: Die wahren Linken haben unter großen Opfern ihren Beitrag zur Beendigung dieses Krieges geleistet. Also "verloren" gehört nicht ins Programm der PDL.

Um der historischen Wahrheit gerecht zu werden, sollte an dieser Stelle die Novemberrevolution nicht unerwähnt bleiben und auch nicht der Verrat der Revolution durch die SPD-Führung.

Etwas weiter heißt es: "Der Widerstand (...) gegen die nun einsetzende nationalsozialistische Barbarei war letztlich erfolglos."

Was war denn an dieser Barbarei national oder sogar sozialistisch? In ein linkes Programm gehört der zutreffende Begriff "faschistisch". Und die Opfer der Arbeiterklasse im Kampf gegen den Faschismus waren keineswegs erfolglos. Der Begriff "erfolglos" suggeriert doch, daß auch heute der Kampf gegen Krieg und Ausbeutung aussichtslos wäre. Nein, hier sollte stehen: Der Widerstand (...) wurde brutal unterdrückt.

Der fünfte und sechste Absatz sollten wie folgt formuliert werden: Nach dem Ersten Weltkrieg befand sich Deutschland infolge der Niederschlagung der Novemberrevolution durch die von der SPD-Führung herbeigerufenen konterrevolutionären Truppen bis Sommer 1919 in einem blutigen Bürgerkrieg, der Tausende von Todesopfern forderte und große Bitterkeit hinterließ. Die Konsequenzen waren dramatisch. Denn die fortbestehende Spaltung der Arbeiterbewegung erleichterte den Aufstieg der faschistischen "Nationalsozialisten" und verhinderte den gemeinsamen Widerstand gegen deren Machtübernahme.

Gerhard Scholz, Wolgast


*


Wer die Gegenwart verstehen will, muß die Geschichte kennen; wer wissen will, was ihm die Zukunft bringt, muß rückwärts schauen.

Walter Meier, Halle/Saale


*


1945, der Krieg war beendet, die Schule hatte wieder begonnen. Ich schlenderte durch meine Heimatstadt Freital und entdeckte an einer Litfaßsäule einen Aufruf der KPD. Diese 500 Zeilen waren nicht schnell gelesen, man mußte dabei auch nachdenken. Der Aufruf beruhte auf dem Befehl Nr. 2 von Marschall Shukow über die Bildung von demokratischen Parteien und Verbänden. Er trug 16 Unterschriften. Wilhelm Pieck war mir schon aus der Presse bekannt, Hermann Matern und Bernhard Koenen hatten mit der KPD in Sachsen etwas zu tun, das wußte ich. Die weiteren Namen waren mir jedoch fremd.

Um mehr zu erfahren, kaufte ich mir dann diese und jene Broschüre von Marx, Engels, Luxemburg - auch das Kommunistische Manifest. So entschloß ich mich bald darauf, bei der KPD anzuklopfen. Nach ersten Gesprächen erfolgte dann die offizielle Aufnahme in die Partei. Das war vor 65 Jahren.

Ich habe in dieser Zeit mehrere Parteien kennengelernt: KPD, SED, SED-PDS und PDS. Heute bin ich Mitglied der Partei Die Linke.

Wolfgang Ritter, Bautzen


*


Wir sind seit einigen Jahren als "RotFüchse" Leser der Leitartikel Klaus Steinigers und freuen uns jeden Monat darauf. Diese Arbeit könnte notwendiger nicht sein. Die Würze der Polemik liegt auch im häufigen Gebrauch von Sinnbildern, und das macht beim Lesen einfach Spaß! Im Septemberheft war es das Pferd, das dem Autor als Nutztier diente: "Ein weißer Schimmel".

Wenn man mit den Augen zwinkert, kann man durchaus das Pferd in seiner Farbigkeit ganz gut zur Charakterisierung der vielfältigen Positionen im gesellschaftlichen Spektrum heranziehen. Beispielsweise trifft man da auf den Rappschimmel als in der Menschenwelt derzeit häufige Spezis oder auch auf den Braunschimmel, ein selbst für Rappen gefährliches Tier.

Die meisten werden wohl Schimmel sein wollen, reine weiße unschuldige Demokraten im Gegensatz zu den knallroten diktatorischen Kommunisten, diesen Füchsen! Der von Euch erwähnte weiße Schimmel von einst, der jetzt Schimmel - oder vielleicht Rost - angesetzt und einen rötlichen Schimmer bekommen hat, entspricht dann als Rotschimmel dem berühmten Radieschen Tucholskys - außen rot und innen weiß.

In der Hoffnung, noch lange die den Kern der Dinge herausstellenden Leitartikel im "RotFuchs" lesen zu können, verbleiben wir

Petra und Dr. Klaus Petzold, Crimmitschau


*


Natürlich hat Klaus Steiniger recht, wenn er mit Bezug auf die PDL-Formulierung "demokratischer Sozialismus" von der Tautologie "weißer Schimmel" spricht. Denn Sozialismus und Demokratie bilden immer eine Einheit.

Recht aber hat er meiner Meinung nach nur bedingt. Insbesondere unter Stalin ist es in der Sowjetunion zu schlimmen Ungesetzlichkeiten gekommen. Auch in den letzten Jahren der DDR gab es gravierende Verformungen der sozialistischen Demokratie. Solche und andere Defizite werden durch den Klassengegner heute zum Anlaß genommen, den gesamten Sozialismus als Diktatur, als Unrechtssystem zu verteufeln. Unter diesem Aspekt halte ich es für richtig, trotz der Tautologie zeitweilig von "demokratischem Sozialismus" zu sprechen, um dem entgegenzuwirken. Zu einem späteren, gesellschaftspolitisch anderen Zeitpunkt, sollte dann diese Formulierung im Sinne von Lenin korrigiert werden.

Hans-Dietrich Grundmann, Eberswalde


*


Die "Linke" beschäftigt sich ausgiebig mit sich selbst. Für ihre Gegner sind sensationelle Enthüllungen über angebliche Vergehen einzelner Leitungsmitglieder ein gefundenes Fressen. Selbst in den eigenen Reihen beginnen manche zu schwanken.

Druckerzeugnisse, die wohl eine politische Zielrichtung haben, aber nicht unbedingt mit der Wirklichkeit übereinstimmen müssen - ich denke nur an die unendlich vielen Diffamierungen der DDR - werden wild drauflos herausgegeben.

Im Programmentwurf der "Linken" wird eine Vielzahl von Aufgaben angeführt, die durch die Genossen mit dem Ziel gelöst werden sollen, eine andere Gesellschaft zu erreichen. Aber das ist eben so lange nur Papier, bis wirklich etwas geschieht. Dabei herrscht unter den Massen absolut keine staatsfreundliche Stimmung. Gemeckert wird überall, aber auch viel resigniert. Bestimmte Aktionen haben Teilerfolge, am System aber ändert sich gar nichts.

Warum reagiert die "Linke" nicht auf diese Situation? Sollte man nicht, wie einst Lenin, die Frage stellen: Was tun?

Man muß prüfen, ob wirklich alle Einzelaktionen, alle erkennbaren Einzelschritte zur Veränderung der gegenwärtigen Gesellschaft führen. Einst wollten SPD-Funktionäre Arzt am Krankenbett des Kapitalismus sein. Zielen nicht heute ebenso manche Maßnahmen darauf ab?

Gerda Huberty, Neundorf


*


Eingeladen hatte Schwerins Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow zu einer von ihr moderierten Debatte über den Programmentwurf der Partei Die Linke. Den Ton gaben geladene Regierungsbefürworter wie Helmut Markov, stellvertretender Ministerpräsident Brandenburgs, und Helmut Holter, einstmals im gleichen Rang in M-V, an. Jetzt ist er der PDL-Kandidat für das Ministerpräsidentenamt. Und das trotz seines antikommunistischen "Stern"-Interviews und der darauf folgenden massiven Basis-kritik. Ich hatte Holter in der hiesigen Parteipresse bereits zweimal scharf angegriffen und fragte ihn auf der Veranstaltung danach, warum die "Linke" das "SED-Terror- und Mordregime" verurteilen müsse, um an die Regierung zu kommen. "Du selbst bist doch auf mittlerer Ebene für dieses Regime tätig gewesen, also hast du es gestärkt und verteidigt", sagte ich.

"Wäre es da nicht angebracht, mehr Zurückhaltung zu üben, als in einem 'freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat' nach dem Amt des Ministerpräsidenten zu greifen?"

Er hat darauf nur gesagt, man müsse in der Partei den Druck entgegengesetzter Meinungen aushalten können. Aufschlußreich war Holters ergänzende Bemerkung, die Landesparteiorganisation von M-V sei schon einmal "weiter in der Aufarbeitung der DDR gewesen" als das im gegenwärtigen Programmentwurf geschehe. Es ist tragikomisch, wie das Holtersche "Stern"-Interview auf Führungsebene verteidigt, umgangen oder gar verharmlost wird. Gewisse Leute haben allein eine Regierungsbildung oder -beteiligung um jeden Preis im Sinn.

Karl Scheffsky, Partei Die Linke, Schwerin


*


Leider kannte ich Ihre Zeitschrift bislang noch nicht. Doch zum Glück habe ich meinen lieben ehemaligen Staatsbürgerkundelehrer, der sie mir neulich nach Hause brachte. Die vielen Leserbriefe erstaunten mich zutiefst, denn die Absender denken und schreiben so wie ich. Ich habe es wahrlich nicht mehr für möglich gehalten, daß es bei all den Lügen und der Gehässigkeit in diesem Land noch Menschen gibt, welche die DDR genauso wie ich als liebenswert empfinden. Bei allen Artikeln, die ich in Ihrer Zeitung las, brach ich in Freudentränen aus, obwohl ich sonst eigentlich gar nicht so nah am Wasser gebaut habe. Besonders ging mir der Artikel "Der Düsseldorfer Prozeß" unter die Haut. Meine Eltern kamen 1972 aus Sofia in die DDR. Mein Vater war Berufsmusiker. Nach Anfangsschwierigkeiten lebte ich mich in der DDR sehr gut ein und begann 1979 ein Studium der Germanistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Mein Mann kam aus Leningrad und wohnte zufälligerweise auf meiner Etage im Studentenheim am Franz-Mehring-Platz. So lernte ich ihn kennen und lieben. Wir haben zwei wunderbare Kinder: Alex ist angehender Arzt, Toni studiert klassischen Gesang. Bereits zu DDR-Zeiten arbeitete ich als Dolmetscherin für Russisch und Bulgarisch.

Ich bin ein positiv denkender Mensch, wohl wie jeder überzeugte Sozialist. Daher gebe ich nicht auf und kämpfe weiter für Gerechtigkeit. Jetzt lese ich voller Glück Ihre Zeitung und habe wieder ein Stückchen Heimat gefunden - eine Heimat, von der ich schon längst glaubte, sie verloren zu haben.

Sonja Surikowa, Cottbus


*


Prof. Dr. Grasnick hat in seinem Essay (Beilage zum RF 152) den Kalten Krieg gegen die DDR sehr verständlich geschildert. Mitte der 60er Jahre war ich noch Schüler und lebte mit meiner Familie im Bezirk Schwerin, in unmittelbarer Nähe der Staatsgrenze zur BRD. Aus Schleswig-Holstein kamen ständig kleine Ballons angeflogen. Deren Last bestand aus Behältern mit Flugblättern, die sich gegen die DDR richteten. Deren Bevölkerung wurde aufgefordert, das Land zu verlassen und sich in den Westen zu begeben. Ähnliche Appelle richteten sich gezielt an Mecklenburgs Bauern. Bei etlichen von ihnen verfing diese "Einladung", zumal im Westen mit dem sogenannten Lastenausgleich eine beachtliche Summe winkte. Wir Schüler haben damals gemeinsam mit unserem Bürgermeister und dem ABV die Pamphlete eingesammelt, weil sie sich noch als Altpapier nutzen ließen.

Wilfried Steinfath, Berlin


*


In der Dokumentation von Prof. Dr. Georg Grasnick wird konzentriert nachgewiesen, daß die Strategie der Konservativen und anderer antikommunistischer Kräfte durch den Anschluß der DDR an die BRD voll aufgegangen ist. Die "Bürgerrechtsbewegung" ließ sich dazu mißbrauchen, den Kurs der Kohlschen BRD-Regierung in der DDR und später auch in den sogenannten neuen Ländern durchzusetzen. All das geschah unter dem Mantel einer "demokratischen Willensäußerung der DDR-Bevölkerung". Tatsächlich handelte es sich um gezielte politisch-ideologische Diversion und entsprechende 40jährige Beeinflussung auch der BRD-Bevölkerung. All das blieb nicht ohne Wirkung. Wenn es heute jemand wagt, auch nur halbwegs realistische Positionen in bezug auf die DDR einzunehmen, geht ein Aufschrei durch die Medien. Linke Publikationen haben angesichts dieser Dominanz des Gegners kaum eine Chance, gegen die Flut der Verunglimpfungen anzugehen. Der "RotFuchs" gehört zu jenen, welche sich diesem Kampf stellen.

Klaus Feldhacke, Berlin


*


Zu dem Artikel "Wer terrorisiert eigentlich wen?" (RF 152): Der Autor schreibt am Ende seiner Darlegungen, in Afghanistan werde mit Waffengewalt ein von den USA und der NATO unterstütztes Regime im Interesse eigener Einflußsphären gehalten. Hierin stimme ich ihm zu. Es ist ein imperialistischer Krieg mit all seinen bekannten Merkmalen.

Kriege brauchen Vorwände, bedürfen ideologischer Gehirnwäsche bei den Soldaten, welche in ihnen vielleicht ihr Leben verlieren. Um das zu erreichen, bedient sich die herrschende Klasse oftmals der Religion. Ich halte es indes nicht für vertretbar, eine Argumentation nach dem Motto historischer Aufrechnung unter den Religionen zu führen: Was hat die andere Seite mir in der Vergangenheit angetan? Was wird sie mir vielleicht noch antun? Mir erscheint es auch wenig sinnvoll, mit Zitaten zu arbeiten, die sich auf Überliefertes aus religiösen Schriften beziehen. Einen alttestamentarischen christlichen Gott der Rache anzuführen, halte ich für verfehlt.

Die im Artikel geschilderten Verbrechen, z. B. der USA, wurden nicht wegen einer Religion, sondern im Machtinteresse der jeweils Herrschenden begangen. Zur ideologischen Kriegführung gehört es, dem Gegner Terror, unlautere Machenschaften und Verbrechen zu unterstellen. Einzelne Begriffe wie Terrorismus und Fundamentalismus sollen hingenommen und bestimmten Religionen zugeordnet werden. Auf diese Weise verunglimpft man ganze Völker in ihrer Lebensweise und Weltanschauung.

Irene Seeger, Leuenberg


*


Dem Beitrag von Prof. Dr. Hoffmann "Wer terrorisiert eigentlich wen?" kann ich nur zustimmen. Zur Ergänzung ein weiteres Bibelzitat. Im 4. Buch Mose, Kapitel 33, Absatz 55 heißt es über den "Befehl zur Vertreibung der Kanaaniter": "Wenn ihr aber die Bewohner des Landes nicht vor euch her vertreibt, so werden euch die, die ihr übriglaßt, zu Dornen in euren Augen werden und zu Stacheln in euren Seiten und werden euch bedrängen in dem Lande, in dem ihr wohnt."

Dieses "Gotteswort" diente einst zur Rechtfertigung der Austreibung der Kanaaniter, heute richtet es sich gegen die Palästinenser.

Michael Brix, Potsdam


*


Seit längerem wird im RF die Haltung der SED-Mitglieder in der "Wendezeit" und danach thematisiert. Ich finde es nicht richtig, wie unsere Geschichte und die Konsequenzen aus der Niederlage des Sozialismus an der Haltung einzelner Genossen festgemacht werden. Sicher sind die Reflexionen bei den "RotFuchs"-Lesern und Mitgliedern des Fördervereins in dieser Frage sehr unterschiedlich. Aber die Zerstörung der SED und die Einverleibung der DDR durch die BRD sowie deren Folgen dürfen nicht als pauschaler Rundumschlag auf der Grundlage von Erinnerungen, ohne sachlichen Hintergrund, ohne Nachweis durch Berufung auf authentische Dokumente erfolgen. Diesen Eindruck aber hatte ich beim Lesen der Beiträge von Günter Glante und Peter Tichauer.

Unsere marxistische Geschichtsauffassung erfordert eine objektive, sachliche, vor- und werturteilsfreie Betrachtung der Ereignisse. Im Zusammenhang mit dem Untergang der DDR ist mir nicht klar, warum es durch das dargestellte Versagen einiger Genossen auf einem Sechstel der Erde - in der Sowjetunion und der mit ihr verbundenen Staatengemeinschaft - keinen Sozialismus mehr gibt.

Dr. Adolf Eser, Muldenstein


*


Der Beitrag von Generalmajor a. D. Dieter Winderlich im Juli-"RotFuchs" war der beste Ausgangspunkt für einen denkwürdigen Vorgang im privaten Museum zur Geschichte der Deutschen Volkspolizei in Pfaffroda-Schönfeld. Im Juli versammelten sich dort einstige Absolventen der VP-Hochschule Berlin-Kaulsdorf vom Jahrgang 1967. Sie hatten den Entschluß gefaßt, sich in regelmäßigen Abständen unter Einbeziehung ihrer Ehepartner zu treffen. Das geschah dann jährlich ab 1992. Diese neue Tradition wurde in einer Chronik festgehalten. Die Unermüdlichen erinnerten sich bei ihren Treffen gemeinsamer Zeiten, tauschten Informationen aus und waren sich einig, nicht eine Stunde ihres einstigen politischen und polizeilichen Wirkens bereuen zu müssen. Die "Kaulsdorf-Runde" verkleinerte sich jedoch im Laufe der Zeit - vor allem aus biologischen Gründen - immer mehr, so daß man beschloß, im Sommer 2010 auf diese Weise letztmalig zusammenzukommen.

Da den Beteiligten aber der persönliche Kontakt ans Herz gewachsen war, wurden neue Wege gefunden, um die Verbindung untereinander aufrechtzuerhalten. Mit einem historischen Staffelstab aus dem DDR-Leistungssport, der ihre Begegnungen markant nachzeichnet, wurde die Kaulsdorfer Chronik dem erzgebirgischen Museumsbetreiber Klaus-Dieter Erber feierlich und medienwirksam übergeben.

Helmut Holfert, Berlin


*


Jetzt benutzt man den Bau eines Atomkraftwerkes in Iran als Vorwand dafür, das angebliche Ziel Teherans - die Herstellung von Kernwaffen - zu attackieren. Man tut das, obwohl das zentralasiatische Land Kontrollen ausdrücklich zuläßt und im Gegensatz zu gewissen Amerikafreunden dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten ist.

Was bedeutet es eigentlich, wenn der saudische König Abdullah mit seinem Flugzeug den syrischen Präsidenten Assad abholt, obwohl der doch in den Augen des Mannes aus Riad zu den Bösen gehört? Beide haben angesichts neuer israelischer Drohungen im Herbst Libanon besucht.

Werner Juhlemann, Geithain

Bemerkung der Redaktion: Unser Autor Bernd Fischer hat im RF Nr. 153 diese Frage beantwortet. Durch eine Nachlässigkeit der Redaktion wurde anstelle des saudischen Königs Abdullah der gleichnamige jordanische König als "Reisegefährte" des syrischen Präsidenten erwähnt.
Wir bitten um Nachsicht.


*


1979 in Neubrandenburg geboren, lebe ich in Berlin-Marzahn und bin Mitglied der Partei Die Linke. Seit einiger Zeit beziehe ich den "RotFuchs". Leider muß ich sagen, daß mir darin das Wesentlichste fehlt: Es gibt viele Menschen, die unter dem Kapitalismus in besonderer Weise leiden: Hartz-IV-Betroffene, Migranten und Flüchtlinge, Ausgebeutete, welche in prekären "Jobs" einen Hungerlohn bekommen, Opfer von Krieg und Umweltzerstörung, Menschen, die Angst vor dem nächsten Tag oder um ihr nacktes Leben haben müssen. Das sind diejenigen, für deren Rechte und Interessen wir uns in besonderem Maße einsetzen und an deren Seite wir bei Demos und Aktionen des Protests und des Widerstands für eine humane Gesellschaft kämpfen.

Diese Opfer des Kapitalismus kommen im "RotFuchs" selten oder überhaupt nicht vor. In der Hoffnung, die von mir Genannten und unseren gemeinsamen Kampf für sie in Eurer Zeitschrift künftig angemessener berücksichtigt zu finden, verbleibe ich mit solidarischen Grüßen.

Martina Beyer, Berlin


*


Als Zweitleserin des RF (zwei weitere "rote Socken" folgen noch) möchte ich Euch besonders zur Septemberausgabe gratulieren. Sie ist ein absoluter Renner. Die anderen Nummern fand ich auch sehr gut.

Zum Artikel von Renate Teller möchte ich bemerken: Es stimmt, daß der Dresdner Zwinger bereits 1945 enttrümmert wurde. Die Autorin erwähnt indes auch, daß es an einem frostklaren Februar-Tag in der Kantine ein "fürstliches Mahl" zu Ehren des Zweijahrplanes gegeben habe. Der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, daß dieser Plan 1948 auf dem II. Parteitag der SED beschlossen wurde.

S. Kain, Erfurt


*


Der Beitrag zur Geschichte des Segelschulschiffes "Wilhelm Pieck" von Genossen Sieger hat mich stark berührt. Ich war 1951/52 in der Wasserfahrsport-Gemeinschaft der FDJ des Betriebes Polygraph "Gebr. Brehmer" in Leipzig. Auf dem Elsterstausee (der heute ausgetrocknet ist) hatten wir einen Spiegelheck-Kutter und haben wirklich seemännisch trainiert. Wir sollten dann zur Handelsschiffahrt oder zur Fischerei. Tatsächlich trugen wir Khakihosen und -jacken sowie blaue Rollkragenpullover. Ich legte die Seesportprüfung A ab.

Wir hatten auch eine Schifferklavierspielerin auf unserem Kutter und haben jede Menge Seemannslieder gesungen. Zum III. Parlament der FDJ in Leipzig demonstrierten wir als Marschblock mit dem Lied "Es rufen uns die freien Wogen, zur Reise fort vom Heimatland ..." Bei der Erinnerung an diese schöne Zeit kamen mir die Tränen.

Klaus Pinkau, Leipzig


*


War das eine Freude, im RF 152 den Beitrag von Helmut Sieger zu lesen! Nach langer Zeit habe ich meinen ehemaligen GST-Kumpel und Freund wiedergefunden. Da ist ihm ein lebendiger und aufschlußreicher Beitrag gelungen! Dem Autor und der Redaktion meine Anerkennung!

Siegfried Birkner, Berlin


*


Nichtachtung und Hohn für das dumme Völkchen liegen allein in dem Satz: "Wir müssen sparen, damit unsere Kinder nicht zu viel für uns zahlen müssen!"

Verlogener geht's nimmer: 1. Unsere Renten haben wir durch Arbeit und Abgaben verdient. 2. Die Industrie nimmt der jetzigen Generation Arbeitsplätze durch Auslandsverlagerung weg. Hinzu kommen Kurzzeitjobs und Billiglöhne, wodurch der "Rententopf" zum Bettelhut degradiert worden ist, in den lediglich Almosen fallen. Allein die Gier verantwortungsloser Monster führt uns in den Ruin!

Gisela John, Lübeck


*


Seit Jahren hören wir von den Regierenden das Wort Sparzwang. Da frage ich mich: Warum müssen Bundespräsidenten eigentlich auf Lebenszeit ihre Bezüge und Vergünstigungen in voller Höhe erhalten? Derzeit gibt es drei Ruheständler (Weizsäcker, Herzog und Köhler), die Steuergelder kosten. Würden nicht monatlich 5000 Euro auch reichen? Sollten nicht ausgeschiedene Ministerpräsidenten der Länder und ehemalige Bundesminister daraufhin überprüft werden, wo sie jetzt zusätzlich auf der Gehaltsliste stehen, so daß sie keine Steuergelder mehr benötigen? Würde nicht der sofortige Abzug aller Bundeswehrangehörigen aus anderen Ländern enorme Einsparungen bringen? Wie viele hochdotierte Posten in Apparaten der BRD könnten finanziell heruntergestuft werden, beim Bundespräsidenten angefangen? Sollten die Ausgaben für die hohe Geistlichkeit, vor allem für die Militärseelsorge, nicht gestrichen werden? Gilt denn bei uns nicht das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche? Wann wird endlich eine Reichensteuer eingeführt? Oder entscheiden auch darüber wie in der Frage der Atomkraftwerke die Energiebosse?

Marianne Wuschko, Hoyerswerda


*


Was ist Wahrheit - was Lüge? Da wird von kommunistischer Machtausübung, kommunistischer Parteimacht, kommunistischer Planwirtschaft und Stalin als kommunistischem Unhold gesprochen.

Im guten Sinne duldet man in der Partei Die Linke allerdings noch die Kommunistische Plattform. Kommunismus ist keine Ideologie, sondern die vollendete Entwicklung der menschlichen Gesellschaft auf dieser Erde. Er ist deren endgültige Befreiung von Ausbeutung, Unterdrückung und Bevormundung. Mit anderen Worten: der letztendliche Sinn des Daseins.

Ich bin Kommunist, weil ich vom Sieg der Menschlichkeit überzeugt bin.

Kurt Neukirchner, Burghardtsdorf


*


Ich bin 82 und lese seit Jahren regelmäßig den "RotFuchs". Die Beiträge und Informationen sind eine Bereicherung, auf die ich nicht verzichten möchte. Vor 20 Jahren begann mit dem Anschluß der DDR an die BRD eine politische, juristische, wirtschaftliche und soziale Diskriminierung ihrer einstigen Bürger.

Die Medien verbreiten nach wie vor und ohne Unterlaß Berichte, Filme und "Dokumentationen" über angebliche Machenschaften der Staatssicherheit, die an Falschheit und Gehässigkeit nicht zu überbieten sind. Der römische Historiker Tacitus befand vor rund 1900 Jahren, man müsse geschichtliche Vorgänge "ohne Zorn und ohne Vorliebe" darstellen und beurteilen. Werner Großmann und Wolfgang Schwanitz haben mit der Herausgabe des Buches "Fragen an das MfS" genau in diesem Sinne ein Stück deutsch-deutscher Geschichte sachlich aufgearbeitet. Es sollte vorrangig von Angehörigen nachfolgender Generationen gelesen werden.

Eddo Martin, Berlin


*


Leider hat sich bei der Bearbeitung meines zu Recht gekürzten Leserbriefes im RF 152 ein inhaltlicher Fehler eingeschlichen. Es heißt dort zur "Braunbuch-Premiere": "Ich arbeitete seinerzeit sehr eng mit Albert Norden zusammen ..." Es muß natürlich heißen: "Er (Norbert Podewin) arbeitete ..." Es liegt mir fern, mich mit fremden Federn zu schmücken.

RA Ralph Dobrawa, Gotha


*


Es wird häufig von einem subjektiven Faktor gesprochen. Mittlerweile meine ich zu wissen, was damit gemeint ist - das entsprechende Bewußtsein. Allerdings, sollte dazu gesagt werden, was man darunter zu verstehen hat, denn der Begriff scheint ja nicht allgemein bekannt zu sein, wenn es ihn überhaupt gibt. Ich meine, ich hätte bei Lenin etwas vom "Faktor Subjekt" gelesen. Das ist doch wohl etwas anderes als der subjektive Faktor. Deshalb habe ich die Frage: Wo wird der subjektive Faktor erwähnt?

Camillo Menzel, Strausberg


*


Insgesamt ist der RF Nr. 152 wieder ein Meisterwerk! Dennoch habe ich als Agrarökonom Einwände gegen den Beitrag "Der Trick mit den Bio-Produkten". Die hier benutzten Argumente sind teilweise fachlich und sachlich falsch. Öko-Bauern de facto in die rechte Ecke zu stellen, ist sehr unklug! Die Autoren erteilen damit den Chemie-Multis ungewollt Absolution. Herbizide und Fungizide vergiften den Boden. Ihr Eindringen in die Produkte wird verschwiegen. Durch oberflächliches Ackerkratzen mit Scheibenegge und Grubber ging in meiner Umgebung die Sommersaat 2010 nur äußerst mäßig auf. Deshalb wurde einfach alles totgespritzt. Es folgten erneutes Bodenkratzen und die abermalige Einsaat von Raps. Auch diesmal klappte es nicht. Also wieder Bodenkratzen und noch ein drittes Mal Säen. Erst Anfang September ging der Raps endlich auf.

Adolf Eduard Krista, Worbis


*


Im August-RF empfahl Bernd Gutte die neue Edition Aurora der Eulenspiegel-Verlagsgruppe. Er schrieb: "Wer heutzutage nach guter Literatur sucht, sollte nicht unbedingt die Buchhandlungen durchforsten." Aus eigener Erfahrung stimme ich ihm uneingeschränkt zu und ergänze: ... die Bibliotheken auch nicht. Was aber dann?

Es gibt inzwischen so viele interessante und wichtige Bücher, deren Kauf ich mir finanziell leider nicht leisten kann. Vielen RF-Lesern dürfte es ähnlich gehen. Doch es ist ein Jammer, daß diese wertvollen Werke für viele Interessierte unerreichbar bleiben. Könnte man nicht einen RF-Leserklub gründen, der gemeinsame Anschaffungen und Ausleihen ermöglicht? Vielleicht hat jemand, der erfahrener und klüger ist, eine brauchbare Idee?

Ewa Babarnus, Berlin


*


Mit Interesse habe ich den RF-Artikel "Glut unter der Asche" (Nr. 151) gelesen. Niemand hinderte damals die USA an der frechen Landung auf Grenada - weder die Sowjetunion noch Kuba. Wahrscheinlich ging es darum, keinen atomaren Zusammenprall herbeizuführen. Doch das freie Grenada ist nicht vergessen. Wer die Möglichkeit hat, die Insel als Tourist zu besuchen, sollte unbedingt einen Gang zum Fort Rupert nicht scheuen und im Gedenken an die Märtyrer vor der dort zu Ehren von Maurice Bishop und seinen Mitkämpfern angebrachten Gedenktafel Blumen niederlegen.

Hans-Peter Hoffmann, Velten


*


Seit mich ein Kollege aus Gera im September 2009 bei der Demonstration für die Freilassung der "Cuban Five" vor der USA-Botschaft am Brandenburger Tor mit dem "RotFuchs" bekannt machte, habe ich ihn in meine Lieblingslektüre eingereiht. Vor allem deshalb, weil er Hintergrundberichte über einen Staat bringt, der dem deutschen Kapital 40 Jahre die Vorherrschaft entzogen hatte.

Walter Drexler, Berlin


*


Vor mehr als zwei Jahrzehnten veränderte sich vieles in unserem Land. Auch die Menschen sind anders geworden, als sie vorher waren. Aus etlichen von ihnen wurden Individualisten - ein Wandel, der durchaus gewollt war. Uns wurde vorgegaukelt, nun dürften wir endlich Individualisten sein. Diese zeichnen sich ja bekanntlich dadurch aus, daß sie eigene Interessen höher bewerten als gesellschaftliche Anliegen. Nun heißt es: gegeneinander statt miteinander.

Im Kapitalismus muß man alle zu Individualisten erziehen. Mit "Gutmenschen" wie Mutter Theresa würde dessen Wirtschaft nie funktionieren. Dort allerdings, wo man mit einem Charakter, wie ihn Mutter Theresa besaß, problemlos einen Betrieb leiten könnte, wäre es auch möglich, eine ganz andere Art von Demokratie aufzubauen. Die durfte ich über viele Jahre erleben und kann heute der jungen Generation davon berichten.

Lutz Fischer, Wardow/Teschow


*


Mit dem Artikel von Horst Joachimi "Gänsehaut auf der Hirnhaut" bin ich im Großen und Ganzen einverstanden. Mir scheint allerdings die Frage überflüssig zu sein, was geworden wäre, wenn die DDR 1979 als Verbündeter der UdSSR an den Operationen der Sowjetarmee in Afghanistan teilgenommen hätte, wie es die Bundeswehr ganz selbstverständlich an der Seite der USA tut. Bekanntlich hat sich die NVA niemals an Auslandseinsätzen ihrer Bündnispartner beteiligt. Übrigens galt das auch für die Bundeswehr, solange es die DDR gab.

Da ich von 1987 bis 1995 beim Panzer-Aufklärungsbataillon 7 in Augustdorf stationiert und zuletzt Spähtrupp-Führer war, bin ich darüber informiert. Glücklicherweise habe ich rechtzeitig den Absprung geschafft und bin heute, dank in Kuba gesammelter Erfahrungen, Mitglied der DKP.

Norbert Müller, Höxter


*


Seit der Vereinnahmung der DDR durch die BRD wird auf viele im Osten politisch-moralisch dreingeschlagen, um sie zu delegitimieren, zu diskriminieren und zu kriminalisieren. Durch besondere Aktivität zeichnen sich dabei frühere Spitzen-"Bürgerrechtler", jedem dienstbare Opportunisten und skrupellose Überläufer aus, die für ihre Judas-Dienste lukrative Pöstchen mit weit mehr als "30 Silberlingen" erhielten. Auf ekelhafte Weise spucken sie auf ihr ehemals eigenes Nest und anständige Menschen, die sich in ihrem Staat wohl gefühlt und fleißig gearbeitet haben.

Eine alte Wahrheit lautet: Geliebt wird der Verrat, nicht aber der Verräter. So haben bereits einige aus diesem Stall die Quittung seitens jener bekommen, bei welchen sie sich so devot eingeschmeichelt hatten.

Klaus J. Hesse, Berlin


*


Zum "Phänomen", das jetzt "Osten" heißt (Peter Franz im RF 152) gibt es eine umgangssprachliche Parallele. Die Rede ist vom unbedarften Nachplappern oder auch bewußten Gebrauch des Begriffs "Ostzeiten" für die Dauer des Bestehens der DDR. Eine historische Periodisierung nach Himmelsrichtungen! Dümmlich ist der Begriff schon unter rein logischem Aspekt: Die DDR gibt es nicht mehr, den Osten schon. Zum Glück auch. Wenn wir den nicht mehr hätten, wo käme dann die Sonne her?

Was haben wir heute? Westzeiten? Als die Schweden Teile Pommerns und Mecklenburgs besetzt und dort das Sagen hatten, waren das "Nordzeiten"? Häufig sagt man - ein wenig verschämt - "ehemalige" oder "frühere" DDR. Das ist auch nicht durchdacht. Warum nicht einfach "zu DDR-Zeiten"?

Peter Franz hat recht: Mit der Sprache kann man ein Land unter den Teppich kehren oder das jedenfalls versuchen. Insofern stehen die "Ostzeiten" in der Tradition all jener, die sich emsig um untaugliche Synonyme für die unaussprechlichen drei Buchstaben DDR oder gar als Ersatz für den ausgeschriebenen Staatsnamen Deutsche Demokratische Republik bemühten - von Adenauers "Zoffjetzone" bis zum "Phänomen".

Rudolf Krause, Berlin

Raute

RF-Bezugsbedingungen

Kurze Nachricht per Telefon oder E-Mail oder Briefpost an den Vertriebsleiter Armin Neumann genügt.

Er ist folgendermaßen erreichbar.
Tel.: 030/654 56 34
E-Mail: arminneumann@ewt-net.de
Adresse: Salvador-Allende-Straße 35, 12559 Berlin

Der RotFuchs wird ausschließlich aus Spenden und nach eigenem Ermessen jedes einzelnen finanziert. Einen festen Preis gibt es nicht. Die Zeitschrift kommt jeweils am letzten Werktag eines Monats zum Versand.

Raute

IMPRESSUM

Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift für Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.

CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin,
Telefon 030/561 34 04
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
(Redaktionsadresse)

SEKRÄTERIN: Karin Großmann

LAYOUT: Rüdiger Metzler

HERSTELLUNG: Druckerei Bunter Hund

INTERNET: www.rotfuchs.net

INTERNET-PRÄSENTATION DES ROTFUCHS
UND AKUSTISCHE AUSGABE (für Sehbehinderte):
Sylvia Feldbinder

Redaktionsschluß ist jeweils der erste Tag eines Monats.

AUTORENKREIS:
Dr. Matin Baraki
Rolf Berthold
Dr. Manfred Böttcher
Dr. Vera Butler (Melbourne)
Wolfgang Clausner
Prof. Dr. Götz Dieckmann
Dr. Rudolf Dix
Ralph Dobrawa
Dieter Fechner
Dr. Peter Fisch
Bernd Fischer
Peter Franz
Günter Freyer
Prof. Dr. Georg Grasnick
Ulrich Guhl
Dr. Ernst Heinz
Dr. Dieter Hillebrenner
Manfred Hocke
Prof. Dr. Hans Heinz Holz
Hans Horn
Dr. Klaus Huhn
Dr. Hans-Dieter Krüger
Rudi Kurz
Wolfgang Mäder
Bruno Mahlow
Dr. Bernhard Majorow
Wolfgang Metzger
Prof. Dr. Harry Milke
Frank Mühlefeldt
Prof. Dr. Werner Roß
Walter Ruge
Karl Schlimme
Gerhard Schmidt
Prof. Dr. Horst Schneider
Joachim Spitzner
Fritz Teppich
Dr.-Ing. Peter Tichauer
Prof. Dr. Zbigniew Wiktor (Wroclaw)

KÜNSTLERISCHE MITARBEIT:
Dieter Eckhardt, Heinz Herresbach,
Klaus Parche, Heinrich Ruynat,
Renatus Schulz, Michael Westphal

VERSAND UND VERTRIEB:
Karin Dockhorn
Anna-Louise-Karsch-Str. 3, 10178 Berlin
Telefon 030/241 26 73
WDockhorn@t-online.de
oder Sonja Brendel, Tel. 030/512 93 18
Bruni Büdler, Hans Ludwig, Harry Schreyer,
Peter Barth u.v.a.m.

FINANZEN: Jürgen Thiele, Wartenberger Str. 44
13053 Berlin, Tel.: 030/981 56 74

UNSER KONTO:
"RotFuchs"-Förderverein, Konto-Nr.: 2 143 031 400
Berliner Sparkasse, BLZ: 100 500 00
Für Einzahler im Ausland:
IBAN: DE 27 1005 0000 0220 1607 59
BIC: BELADEBEXXX

Die Mitarbeit weiterer Autoren ist erwünscht. Die in namentlich gezeichneten Beiträgen zum Ausdruck gebrachten Auffassungen müssen nicht immer mit denen der Redaktion übereinstimmen.


*


Quelle:
RotFuchs Nr. 154, 13. Jahrgang, November 2010
Redaktion: Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin
Telefon: 030/561 34 04, Fax: 030/56 49 39 65
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
Internet: www.rotfuchs.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2011