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ROTFUCHS/127: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 173 - Juni 2012


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

15. Jahrgang, Nr. 173, Juni 2012



Inhalt

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Alle ihre Kriege

Kriege fallen nicht vom Himmel. Sie sind nicht "Gottes Werk", sondern werden von Menschen gemacht, die dabei handfeste Interessen verfolgen. Vorgespiegelte Ideale oder angeblich hehre patriotische Ziele sollen nur vom großen Raubzug ablenken.

Auf einem ganz anderen Blatt stehen die Wahrnehmung des Rechts Angegriffener auf Verteidigung - ein Beispiel hierfür lieferte die Antihitlerkoalition - oder der Anspruch unterdrückter Klassen und Völker auf Befreiung von ihren Ausbeutern und Drangsalierern. Deren Sache ist aller Ehren wert.

Doch weder Sklavenhalter noch Feudalherren, von Kapitalisten ganz zu schweigen, haben wohl jemals gerechte Kriege geführt. Auch wenn sie sich ohne Unterlaß auf die Moral berufen, war und ist ihr Handeln von höchster Amoralität. Das gilt besonders für den Imperialismus und dessen Spitzenpersonal. Es trägt die Verantwortung für unzählige Massaker - von Verdun über Oradour bis Kundus.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat das kapitalistische System Millionen Menschen in seinen überall auf der Welt angezettelten Kriegen abschlachten lassen. Deshalb besitzen dessen Wortführer auch keinerlei moralische Legitimation, sich als Menschenrechtsapostel aufzuspielen. Andererseits sicherte allein die Existenz des in die Form einer Staatengemeinschaft gegossenen sozialistischen Systems Europa die längste Friedensperiode seiner Geschichte. Nach dem Wegfall dieses Korrektivs war die Atempause auch für unseren Kontinent beendet.

Alle seit Trumans atomarem Massenmord an der Bevölkerung Hiroshimas und Nagasakis vom Imperialismus entfesselten Kriege - offene wie verdeckte, unmaskiert antikommunistische wie im Zeichen des Kreuzes geführte - verfolgten immer dasselbe Ziel: Es ging trotz mal dichterer, mal durchsichtigerer Rauchvorhänge bei der Inbesitznahme ressourcenreicher oder strategisch bedeutsamer Territorien wie beim Verpulvern von Waffen und Munition, deren drittgrößter Exporteur inzwischen die BRD ist, einzig und allein um Profit.

Als die Trümmer des Zweiten Weltkrieges noch rauchten, unternahmen die britischen Kolonialisten ihre Strafexpeditionen in Malaya und Burma, die holländischen in Indonesien und die aus den USA auf den Philippinen. Französische Unterdrücker traten in Indochina wieder an die Stelle der verjagten Japaner. In Griechenland zerschlugen die Monarcho-Faschisten im Auftrag Eisenhowers die Befreiungsarmee ELAS. Mit der Landung von Söldnern in Kubas Schweinebucht sollte schon im April 1961 eine der großartigsten Revolutionen der Menschheitsgeschichte ausgelöscht werden.

Zwei furchtbare Vernichtungskriege des Imperialismus tobten in Asien. Opfer waren die Völker Koreas und Vietnams. Dabei setzten die Aggressoren im ersten Falle mörderische bakteriologische Waffen, im zweiten die "Entlaubungschemikalie" Agent Orange ein, die unzählige Menschen tötete oder verkrüppelte. My Lai wurde zum Lidice der USA. Frankreichs Kolonialsoldateska wütete jahrelang in Algerien, Portugals in Moçambique und Angola.

Nachdem die britisch-französische Luftwaffe Nassers Ägypten als Antwort auf die Verstaatlichung des Suezkanals bereits 1956 bombardiert hatte, führte Israels berüchtigter 6-Tage-Krieg 1967 zur völkerrechtswidrigen Annexion arabischer Territorien. Erinnert sei auch an den Angriff von Söldnern der United Fruit Company auf das freie Guatemala unter Präsident Arbenz, die blutige Invasion der USA in Santo Domingo, die gegen das sandinistische Nikaragua von Honduras aus in Marsch gesetzten Banden der Contras und den 1973 erfolgten Putsch Pinochets gegen das Chile der Unidad Popular. Im Gedächtnis der Völker haften der brutale USA-Überfall auf den kleinen Karibikstaat Grenada im Oktober 1983 und der nicht minder infame Anschlag des Pentagons auf Panamas Souveränität im Dezember 1989.

Ströme von Blut flossen nach dem Sieg der Konterrevolution in der UdSSR und den sozialistischen Staaten Europas. In Jugoslawien zettelten die Imperialisten zunächst eine ganze Serie regionaler Sezessionskriege an - von Bosnien-Herzegowina bis Kosovo. Als 1999 dann der eigentliche NATO-Schlag gegen Belgrad geführt wurde, war Schröders und Fischers BRD-Regierung erstmals direkt mit im Boot. Zwei barbarische Golfkriege der USA gegen Irak, der 2001 begonnene und bis heute anhaltende Mordfeldzug der ISAF-Okkupanten in Afghanistan sowie der 2011 vom Zaun gebrochene Ölkrieg gegen Libyen wurden als "Befreiungsakte" deklariert. Die Operation zum Sturz Gaddafis gilt inzwischen ebenso als Teil eines dubiosen "arabischen Frühlings" wie die derzeitige Einmischung der NATO in Syriens innere Angelegenheiten. Unverhohlen zielt der nächste Hauptschlag der westlichen Friedensfeinde und ihrer Erfüllungsgehilfen in Tel Aviv auf Iran und dessen Öl.

"Keine Option wird ausgeschlossen", verkündete Obamas Kriegsminister Leon Panetta. Mit anderen Worten: Die Armeen des Imperialismus - darunter die Bundeswehr - stehen Gewehr bei Fuß, den Erdball jederzeit mit neuen Kriegen zu überziehen. Dieses System ist - und zwar im Sinne des Nürnberger Urteilsspruches von 1946, der explizit auch "Verbrechen gegen den Frieden" ahndete - durch und durch kriminell.

Klaus Steiniger

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Zur faschistischen Gefahr in der BRD
Braun oder in Nadelstreifen und mit Glacéhandschuhen?

Nach den Morden der faschistischen NSU an zehn Menschen ist der Ruf nach einem Verbot der NPD wieder lauter geworden. Auch rechtsbürgerliche Politiker geben sich angesichts der Verstrickung des Verfassungsschutzes in das Treiben der Täter plötzlich als eifrige Antifaschisten, wie der einstimmige Distanzierungsbeschluß des Bundestages zeigte. Brave Bürger, die den Phrasen vom "Rechtsstaat" und dessen "demokratisch kontrollierten Geheimdiensten" glaubten, sind inzwischen verunsichert. So gesehen ist die Diskussion um das Verbot der NPD, dem ein entsprechender Reflex gegen linke Kräfte folgen könnte, auch eine den Mächtigen der BRD durchaus willkommene innenpolitische Beruhigungspille und zugleich eine Möglichkeit, dem Ausland Aktionismus vorzutäuschen.

Doch die Gründe dafür, daß nun selbst der prononciert rechte Flügel von CDU/CSU und FDP ein NPD-Verbot verbal befürwortet, sind komplexerer Natur. Würde man die eher unbedeutende NPD verbieten, dann könnte man wirkungsvoll von der Tatsache ablenken, daß die BRD in den letzten Jahrzehnten einen Faschisierungsprozeß durchlaufen hat, der eine braune Partei fast überflüssig macht.

Seit dem Untergang der UdSSR und der sozialistischen Staatengemeinschaft Europas ist die BRD Schritt für Schritt politisch nach rechts gedriftet. Unterdessen sind Politiker in höchste staatliche Funktionen aufgerückt, die in den 70er und 80er Jahren wohl kaum eine solche Karrierechance gehabt hätten. Wir erleben zudem eine staatliche Gewaltbereitschaft nach innen und außen, die zu einer Zeit undenkbar gewesen wäre, als man noch den Warschauer Vertrag vor der Haustür erdulden mußte.

Von deutschem Boden gehen wieder Kriege aus! Das ist fast schon Alltag, wenn es um die Durchsetzung der ökonomischen Interessen des BRD-Kapitals geht. Am 21. März befanden sich nach offiziellen Angaben insgesamt 7049 Bundeswehrangehörige in zwölf Auslandseinsätzen. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen, stellt man den Einsatz von Polizeikräften und "Sicherheitsberatern" in Rechnung. Die Bundeswehr ist auf dem Weg ihrer Umwandlung in eine Truppe, die schnell und schlagkräftig überall auf der Welt eingesetzt werden kann, um der BRD-Wirtschaft den Zugang zu den knapper werdenden fossilen Rohstoffen zu sichern, zu erwartende Aufstände niederzuschlagen und Flüchtlingsströme aufzuhalten. Unverblümt militarisiert man die gesamte Gesellschaft. Die Bundeswehr ist an Schulen und in den Job-Centern ständig durch ihre Werbeoffiziere präsent, die neues Kanonenfutter beschaffen sollen. Auch ihr Einsatz gegen Proteste im eigenen Land ist seit dem G8-Gipfel von Heiligendamm 2007 Realität. Zwar bezeichnet sie das Grundgesetz als Armee zur Außenverteidigung, doch gibt es Schlupflöcher, welche das Eingreifen der Streitkräfte auch im Innern gestatten, "wenn der Bestand der BRD gefährdet ist". Das öffnet einer beliebigen Interpretation Tür und Tor.

Der BRD-Rechtsruck geht mit gewachsener innerer Repression einher. Heute ist es hierzulande kaum noch möglich, friedlich gegen Faschismus und Krieg zu demonstrieren, ohne von martialisch ausgerüsteten Polizeitruppen attackiert zu werden. Aber Nazi-Aufmärsche stehen unter dem Schutz der Sicherheitsorgane.

Die Staatsreligion des deutschen Kapitals - der Antikommunismus - wird seit der Annexion der DDR im Oktober 1990 mit einer Hingabe zelebriert, die mal hysterische, mal tragikomische, mal dümmlich-penetrante Züge trägt. In der BRD herrscht eine Atmosphäre muffiger Intoleranz und geistiger Enge, die einem fast den Atem raubt. Viele westdeutsche Linke fühlen sich an die Ära Adenauers und Globkes erinnert. Jeder Gedanke an eine Veränderbarkeit der Gesellschaft löst bei den politisch Herrschenden und deren Journaille wütende Beißreflexe aus. Die Vorstellung von einer Umwandlung der Welt soll aus den Hirnen der Menschen für immer getilgt werden. Dazu bedient man sich einer gigantischen Verdummungsindustrie, die unter der Bezeichnung "unabhängige Medien" daherkommt.

Teile und herrsche! Diese jahrtausendealte Überlebensregel aller Ausbeuter und Unterdrücker wird heute von den BRD-Granden in einem Maße befolgt, wie man es wohl noch nie erlebt hat. Jene, welche sich selbst als "Elite" empfinden, stellen ihren sozialen Hochmut offen zur Schau und verkaufen ihn als Tugend. Sarrazin, Broder und andere sind inzwischen millionenschwere Bestseller-Autoren und Medien-Lieblinge. Deutsche werden gegen Ausländer gehetzt, Junge gegen Alte, Vollbeschäftigte gegen Leiharbeiter, Jobinhaber gegen "faule" Erwerbslose, Wessis gegen Ossis. Armut gilt als selbstverschuldet. Leistungsfähigkeit und Gewinnsucht werden in der Werbung schon Kleinstkindern als Ideale vermeintlicher Selbstverwirklichung aufgedrängt. Jedem Armen wird ein noch Ärmerer präsentiert, an dem er seine Wut auslassen kann. Ein perfektes System der Überwachung und Bespitzelung ist installiert worden, um den gläsernen Bürger jederzeit durchschauen zu können. Die "digitale Revolution" hat die Menschen transparenter und verwundbarer als je zuvor gemacht.

Die BRD verfügt über das zu all dem passende politische Personal.

Angela Merkel dient sich als geborene Opportunistin ohne wirkliche Überzeugung jedem System an und funktioniert so lange perfekt, wie man es ihr weit oben auf der Karriereleiter gestattet. Moralische Skrupel oder christliche Grundwerte, die man von einer Pfarrerstochter erwarten sollte, tauchen in der machtpolitischen Handlungswirklichkeit dieser Frau nirgendwo auf.

Pfarrer Gauck, der als Großinquisitor Tausende Existenzen vernichtete, ist heute der Hausherr in Schloß Bellevue. Er symbolisiert wie kein anderer den Rechtsruck und die Erosion der bürgerlichen Demokratie in der BRD. Er bekennt sich zur Freiheit - solange es sich nicht um die der Andersdenkenden handelt.

Kriegsminister Thomas de Maizière bereitet das Feldherr-Spielen in Afghanistan sichtlich Freude. Wen wundert das, durfte doch schon Papa Ulrich im Generalstab des Heeres an den Lagebesprechungen mit dem "Führer" teilnehmen, was seiner Karriere in Bundeswehr und NATO keinen Abbruch tat.

"In Europa wird wieder deutsch gesprochen", tönte CDU-Fraktionsführer Volker Kauder, und setzte damit ein Zeichen für den chauvinistischen Führungsanspruch der BRD in der EU.

Die Geschichte hat gezeigt, daß der Kapitalismus immer dann, wenn ihm das Wasser am Hals steht, zu besonderer Aggressivität neigt. Aus der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 30er Jahre flüchtete sich die deutsche Großbourgeoisie in Faschismus und Weltkrieg. Das werden wir so nicht noch einmal erleben. Es dürfte keinen Fackelzug der SA durchs Brandenburger Tor geben, keine Nürnberger Reichsparteitage der NSDAP und kein massenhaftes Schwenken von Hakenkreuzfahnen. Das Kapital geht diesmal subtiler vor. Dafür gibt es handfeste Gründe. Der Druck von links ist unvergleichlich schwächer als zu Thälmanns Zeiten. Da kann man vorerst die Glacéhandschuhe beim Würgen ruhig anbehalten. Der Rechtsruck geht schleichend und auch in den Institutionen vor sich, so daß uns die Faschisierer vorerst keinen Holger Apfel oder anderes Fallobst vorsetzen werden.

Wer zu Recht gegen den braunen Mob auf den Straßen demonstriert, sollte nie den faschistoiden Mob in Nadelstreifen aus den Augen verlieren, der den Staub der Straße nicht nötig hat. Diesem genauso entgegenzutreten wie dem Nazi-Abschaum, auf den sich derzeit die Aufmerksamkeit konzentriert, ist dringend geboten.

Ulrich Guhl

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Wider die steigende Flut!
Kurt Gossweilers Schrift über die Frühgeschichte der Nazis - ein Reprint zur rechten Zeit

Genau zur rechten Zeit erschien im PapyRossa-Verlag ein Reprint des Buches von Kurt Gossweiler "Kapital, Reichswehr und NSDAP. Zur Frühgeschichte des deutschen Faschismus 1919 bis 1924", das bereits 1982 vom Akademie-Verlag der DDR und vom Pahl-Rugenstein-Verlag herausgebracht worden war. Bereits der Titel ist eine Erkenntnis.

Kapital und Reichswehr werden - vom Autor so gewollt - als Grundlagen und Voraussetzungen des Nazi-Faschismus markiert.

In der Tat: Wer ein wenig die jüngere deutsche Geschichte kennt, sie in Teilen selbst wahrgenommen hat oder durch die Eltern vermittelt bekam, weiß - auch aus überreichlich vorhandenem Schrifttum -, daß viele ideologische Verkündungen der Hitleristen bereits seit langem bei der Mehrheit der Deutschen, namentlich in ihren tonangebenden Kreisen, bestimmend waren: der extreme Nationalismus, besonders nach dem Sieg über Frankreich im Jahre 1871 und der Ausrufung des deutschen Kaiserreiches mit Wilhelm I., und der rabiate Militarismus, von Kaiser Wilhelm II. besonders gefördert, sowie Antisemitismus und Antikommunismus. Die Nazis haben diese Elemente reaktionärster Gesinnung "nur" aufgegriffen, ins Maßlose gesteigert und dann mit der faschistischen Führerideologie verbunden, was in wenigen Jahren einen Amoklauf ohnegleichen zur Folge hatte.

Warum ist mit so großem Nachdruck daran zu erinnern?

Wer irgendwann nach 1945 einmal gemeint haben mag, es genüge, das Hakenkreuz wegzulassen und die braune Farbe der Nazis mit Schwarz oder ähnlichen Tönen zu übertünchen, erlag nicht nur einem schrecklichen Irrtum, sondern tat sich selbst etwas Übles an.

Bekanntlich wurde in den Westzonen zu Zeiten Adenauers und mit maßgeblicher Unterstützung der imperialistischen Mächte niemals eine an die Wurzeln gehende Überwindung des deutschen Faschismus angestrebt, obwohl das von Truman, Attlee und Stalin unterschriebene und durch Frankreich später ausdrücklich gebilligte Potsdamer Abkommen seine Ausrottung im Gefolge der militärischen Niederschlagung des Aggressors zwingend vorschrieb.

Der die Potsdamer Völkerrechtsnormen grundsätzlich in Frage stellende Umgang mit schwerbelasteten Nazis und Kriegsverbrechern in den Westzonen mußte früher oder später, in dieser oder jener Form, in dieser oder jener Dimension ein Wiederauferstehen des deutschen Faschismus zur Folge haben. Demgegenüber hatten bekanntlich die maßgeblichen antifaschistischen Politiker und deren Parteien in der sowjetischen Zone mit Unterstützung ihrer Besatzungsmacht dem deutschen Faschismus den Boden entzogen. Das geschah durch die restlose Zerstörung seiner ökonomischen, historischen und politischen Grundlagen, die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher, eine demokratische Agrarreform und die Liquidierung des preußischen Junkertums.

In der SBZ und später in der DDR wurde dem Faschismus nicht ein Millimeter Raum zu seiner neuerlichen Entfaltung gelassen, blieb eine Wiedergeburt des deutschen Nationalismus und Militarismus von Beginn an ausgeschlossen. Die DDR war - wie im 22. Jahr nach ihrer staatlichen Zerschlagung noch deutlicher wird - der deutsche Staat des Antifaschismus und des Friedens.

Daß Hitlers NSDAP nach ihrem Münchener Putsch recht bald eine erhebliche Dimension erlangte, war nicht allein der Anknüpfung an nationalistisches, militaristisches, antisemitisches und antikommunistisches Denken geschuldet, sondern in zunehmenden Maße auch der massiven finanziellen Unterstützung durch das deutsche Kapital, besonders die Rüstungsindustrie und andere auf "Rache für Versailles" sinnende Kreise.

Deshalb ist es überaus wertvoll, daß durch ein Reprint des legendären Gossweiler-Buches jenen Lesern, die heute nach dem Warum fragen, handfestes, quellengestütztes und beweiskräftiges Material an die Hand gegeben wird.

In den letzten Monaten berichteten die Medien mit schlecht gespielter Überraschtheit von "rechten Gewalttaten", die bereits vor vielen Jahren begangen und durch die angeblichen Ermittler des Verfassungsschutzes gedeckt wurden. Die dabei vergossenen Krokodilstränen und beklagten "Aufklärungsdefizite" entbehrten bei aller Tragik der Ereignisse nicht des Grotesken. Verschwiegen wurde absichtsvoll, was die heutigen Sicherheitsstrukturen und deren Vorgänger in über sechs Jahrzehnten bewußt unterlassen haben, um dem Terror von rechts zu begegnen. Die Tatsache, daß z. B. die Führungsebene der faschistischen NPD mit V-Leuten - gewissermaßen den IM des Verfassungsschutzes - bis zum Bersten "penetriert" war, spricht Bände!

Beim Beklagen der faschistischen Gewaltkriminalität fragen die Verantwortlichen der BRD einmal mehr nicht nach den Gründen und Ursachen - obwohl sie eindeutig in den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen der BRD wurzeln. Dadurch, daß sie solche Nachforschungen absichtsvoll unterlassen, bekunden sie gewollt oder ungewollt jeglichen Verzicht auf ein Antasten dieser tiefer liegenden Strukturen.

Statt dessen nehmen sie die bekannten Vorkommnisse und unbestreitbaren Ermittlungspannen zum Vorwand, den bundesdeutschen Repressionsapparat zum Nachteil der Bürger auszubauen, ohne dabei den Akzent auf die Bekämpfung von "rechts" zu legen. Sie erwägen sogar Strukturen zu schaffen, die an die Zentralisierung des antikommunistischen und antijüdischen Naziterrors durch das Reichssicherheitshauptamt erinnern.

Kurt Gossweilers Buch hilft dem interessierten und politisch wachen Leser, die Zusammenhänge und Hintergründe einer immer gefährlicheren Politik der BRD besser zu durchschauen.

Prof. Dr. Erich Buchholz


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Diese Kinder überlebten die Ausrottung von Millionen Menschen in Auschwitz durch die deutschen Faschisten.

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Amoklauf in Suhl
Wie die BRD mit Zeugnissen des antifaschistischen Widerstandes verfuhr

Hier soll von Denkmälern und Gedenkstätten die Rede sein, welche in Suhl und Umgebung dem opferreichen Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung, Faschismus und Krieg gewidmet sind oder waren. Seit 1989 wurden in unserer Region mehrheitlich von hiesigen Künstlern geschaffene Monumente systematisch zerstört oder beseitigt. Mit ihnen verschwanden auch Namen von Straßenschildern und Einrichtungen. Die politische Tendenz, das Erinnern an den antifaschistischen Widerstand zu tilgen, zu verfälschen oder zu verschweigen, setzt sich in Suhl und den eingemeindeten Orten bis heute fort. Dafür gibt es eine Fülle von Beispielen.

Auf dem Hauptfriedhof war eine Grab- und Gedenkstätte für die antifaschistischen Widerstandskämpfer Robert Gladitz und Adolf Anschütz eingerichtet worden. Sie wurde nach 1990 mit der "normalen" Begründung eingeebnet, die Bestandszeit sei abgelaufen, während andererseits Soldatengräber aus den durch Deutschland vom Zaun gebrochenen Weltkriegen bis heute gehegt und gepflegt werden.

Auch der Ehrenhain für die Kämpfer gegen Faschismus und Krieg ist dem Erdboden gleichgemacht und der Ort einer neuen Bestimmung übergeben worden. Die Gedenktafeln am Henneberger Haus, wo 1911/12 Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, später auch Ernst Thälmann zu Suhler Arbeitern sprachen, sowie die Tafeln an der Erhard-Schübel-Schule in Neundorf und am ehemaligen Kontakt-Kaufhaus wurden nach 1990 demontiert, achtlos weggestellt und gestohlen; wahrscheinlich befinden sich einige irgendwo in Privathand. Die Reliefs des Suhler Bildhauers Ulrich Bühling über die Niederschlagung des Kapp-Putsches im Jahre 1920 und eine Steintafel zur Reichskinderkonferenz der KPD (1922) entdeckten wir in einem Abstellraum des Rathauses. Zur Konferenz der kommunistischen Kindergruppen schuf der Bildhauer Jürgen Conrad aus Albrechts eine von der Stadt Suhl erworbene Plastikgruppe, die achtlos in den Heizungskeller des Rathauses geworfen und dabei beschädigt wurde. Dieser Bildhauer gestaltete noch 1989 für den Spanienkämpfer und Teilnehmer am Kampf der französischen Résistance Wilhelm Holland eine Stele mit einem Relief. Sie wurde im Aschenhof von Albrechts, dem Heimatort des Antifaschisten, aufgestellt. Unbekannte haben sie ein Jahr später völlig demoliert.

Erich Wurzer, einer der bedeutendsten Suhler Bildhauer, hat außer dem antifaschistischen Monument, das heute dezimiert im Stadtpark steht, und neben seinen Plastiken zum Widerstand gegen die Naziherrschaft auch zahlreiche Büsten von Arbeiterführern geschaffen, die hauptsächlich in Schulen, Betrieben und Einrichtungen ihren Platz fanden. Bis auf einzelne Stücke sind sie nicht mehr auffindbar.

Bei der Aufdeckung und Ahndung der hier geschilderten Gewaltakte, deren Zahl um ein Vielfaches erweitert werden könnte, ist die Polizei niemals in Aktion getreten.

Doch - auch das soll nicht verschwiegen werden: Als Basisgruppe der VVN/BdA Südthüringens haben wir dem geschilderten Treiben nicht tatenlos zugesehen. Mit umfangreichen Recherchen zur Verlegung von Stolpersteinen für Mordopfer der Faschisten wurden durch uns die Gräber von Widerstandskämpfern symbolisch geöffnet, um ihren Heldenmut ans Licht zu bringen. Im Zusammenwirken mit dem Historiker Dr. Gerd Kaiser konnten wir nach fast anderthalbjähriger Arbeit unsere Schrift "Aufrecht und stark - Frauen und Männer aus Suhl und Umgebung im Widerstand gegen Faschismus und Krieg" auf der Leipziger Buchmesse im März 2011 vorstellen. 258 Persönlichkeiten des Widerstandes wurden aus der Anonymität geholt und den Lesern nahegebracht. So sind ihr Kampf und ihr Wirken für die nächsten Generationen aufbewahrt. Es macht uns froh, daß das Buch bereits viele Interessenten gefunden hat.

In Heinrichs befindet sich eine Gedenkstätte für die Widerstandskämpfer aus diesem zu Suhl gehörenden Ort, die von uns ganzjährig gepflegt wird. Im Bündnis für Demokratie und Toleranz, gegen Rechtsextremismus widersetzen wir uns offensiv den immer stärker werdenden neofaschistischen Tendenzen in der BRD. Unser Einsatz trägt dazu bei, die Tatsache ins Bewußtsein zu heben, daß der Widerstand gegen Faschismus und Krieg in unserer Region eine breite Basis besaß und von Kommunisten, Sozialdemokraten und Parteilosen, in erster Linie Menschen aus der Arbeiterschaft, getragen wurde. Wir entkräften damit zugleich die tendenziöse und wahrheitswidrige Behauptung der heute Herrschenden, der antifaschistische Kampf habe erst mit Stauffenberg und dessen Männern eingesetzt.

Für uns gilt die Regel: Antifaschismus und Widerstand gegen Neofaschismus gehören untrennbar zusammen.

Dagmar Schmidt, Suhl

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Brief an einen Denkmalsstürmer

Sehr geehrter Herr Dr. Ramsauer,

dieser Brief richtet sich nicht an den Bundesminister, sondern an den Politiker Peter Ramsauer, der in der 6. Legislaturperiode im Bundestag sitzt.

Mich hat es besonders empört, was Sie im Zusammenhang mit Ihrem Vorschlag der Verbringung des Marx-Engels-Denkmals nach Friedrichsfelde von sich gegeben haben. Ich sehe mal davon ab, daß der Standort dieser Statuen Sie als Minister überhaupt nichts angeht. Möglicherweise hat ein promovierter wirtschaftswissenschaftsgelehrter Müllermeister einen etwas verengten Zugang zur Philosophie und bei einem gewissen Wohlstand von Geburt an auch nicht das rechte Verständnis für soziale Belange, somit wird sich ihm auch der Weg zum Gedankengut solcher Geistesheroen wie Marx und Engels nur schwer öffnen. Aber im Zusammenhang mit Ihrem unmaßgeblichen Vorschlag, den Friedhof in Friedrichsfelde als "so eine Art sozialistisches Reste-Zentrum" zu bezeichnen, offenbart sich eine erschreckende Denkweise, die übrigens auch weit von Ihrer katholischen Ethik entfernt sein dürfte. Was haben Sie eigentlich für ein Menschenbild? Wie steht es um Ihren moralischen Wertekanon?

Hat sich Ihr verschlankter Traunwalchener Horizont selbst im Elite-College Eton nicht ausweiten lassen? Wissen Sie, daß in Friedrichsfelde durch machtvolle Demonstrationen die Sozialisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die durch eine reaktionäre Freikorpssoldateska grausam ermordet wurden, alljährlich geehrt werden?

Begreifen Sie eigentlich, in wessen geistige Nähe Sie sich - hoffentlich ungewollt und unwissend - mit solchen Äußerungen begeben? Sie werden sich von teils anrührender bayrischer naiver Frömmigkeit und dem dort konservierten Provinzialismus noch ein gutes Stück lösen müssen, um hier in der geschichtsträchtigen Hauptstadt nicht nur physisch, sondern vor allem auch geistig anzukommen. Ich glaube, daß sich in Ihrem schönen Bundesland mit seinen Sonderwegen und dieser Extra-Partei eine etwas schlichte Denkweise erhalten hat.

Jedenfalls habe ich eine so verletzende Ansicht über die letzte Ruhestätte von Menschen, die Sie ja als Geschöpfe Gottes empfinden sollten, bei meinen zahllosen Aufenthalten in Bayern auch von den schlichtesten Freunden nicht gehört.

Mit freundlichen Grüßen

Rudolf Krause, Berlin

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Hessens erster kommunistischer Landrat
Rettete und lehrte die Kinder von Buchenwald: Wilhelm Hammann

Als in der Morgendämmerung des 22. März 1946 schwerbewaffnete US-Militärpolizisten vor seiner Wohnungstür in Groß-Gerau/Hessen standen, glaubte Wilhelm Hammann zunächst, die Uniformierten wollten eine Auskunft von ihm. Doch sie machten ihm barsch und unmißverständlich klar, daß er festgenommen sei. Er habe während seiner Haft im faschistischen Konzentrationslager Buchenwald Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.

Schon in den nächsten Tagen hagelte es Proteste aus mehreren europäischen Ländern. Zahlreiche Zeugen waren bereit, den Gegenbeweis anzutreten. Doch ungeachtet dessen brachten die Amerikaner den 49jährigen in ihr Sonderlager Dachau bei München. Im einstigen Nazi-KZ wurde der Kommunist Wilhelm Hammann zum Häftling Nr. 29-14067. Er war dort Gefangener wie weitere Antifaschisten, aber zugleich auch seine Peiniger aus Buchenwald, unter ihnen SS-Lagerkommandant Pister, Lagerarzt Dr. Eisele und die berüchtigte Kommandeuse Ilse Koch. Vierzehn Monate mußte Hammann unter diesen faschistischen Mördern verbringen. Eine Anklage wurde durch die US-Behörden nicht erhoben. Diese kamen schließlich nicht umhin, ihm eine "vollkommen antifaschistische Einstellung und ... Unbescholtenheit" zu bescheinigen.

Die wahren Gründe für Hammans Verhaftung waren dessen Mitgliedschaft in der KPD sowie seine Tätigkeit als Hessens erster kommunistischer Landrat. Überdies hatte er es gewagt, von den Amerikanern die Absetzung der Nazi-Führung des Opel-Konzerns in Rüsselsheim und die Ahndung unter der Hitlerdiktatur begangener Verbrechen zu verlangen. Dafür hatten sie ihn bereits von Dezember 1945 bis Februar 1946 eingesperrt und als Landrat aus dem Amt gejagt.

Wilhelm Hammann wurde am 25. Februar 1897 in einem winzigen Dorf Südhessens geboren. Der Vater, Eisenbahner, und die Mutter, Hebamme, mußten acht Kinder ernähren. So waren sie nicht sehr begeistert, als der Dorfschullehrer vorschlug, den begabten und wißbegierigen Sohn auf die Realschule in Gernsheim zu schicken. Die verschaffte ihm aufgrund herausragender Leistungen einen der seltenen Freiplätze am Lehrerseminar in Alzey. Statt die Ausbildung dort zu beenden, holte ihn der deutsche Kapitalismus in seinen ersten großen Krieg. An der Ostfront diente er als Meldereiter. 1917 beobachtete er aufmerksam die revolutionären Ereignisse in Rußland. Als er sich dafür begeisterte und offen dazu bekannte, kommandierten ihn die Offiziere ins Hinterland nach Halle an der Saale ab, wo er zum Piloten ausgebildet werden sollte. 1919 begann nicht nur sein Berufsleben in Groß-Gerau, sondern auch seine aktive politische Tätigkeit. Mit einigen jungen Leuten trat er der USPD, wenig später der KPD bei. Tagsüber widmete er seine Kraft den Arbeiterkindern, die er unterrichtete, mit denen er aber auch spielte, wanderte und musizierte. Abends erteilte er in Arbeiterbildungszirkeln Freidenkerunterricht, sprach in Parteiversammlungen und auf Kundgebungen.

Im November 1927 wurde er vor allem mit Arbeiterstimmen in das hessische Landesparlament gewählt. Dort sprach er bis 1931 rund 70 Mal und brachte zahlreiche Anträge ein, die aber zumeist von der bürgerlich-sozialdemokratischen Mehrheit abgeschmettert wurden. Hammann ging scharf und unversöhnlich mit den Machthabern ins Gericht. So in der Haushaltsdebatte 1928. Er empörte sich darüber, daß für die Polizei und das Gefängniswesen jeweils 10 Millionen Mark ausgegeben würden, während für Jugendfürsorge nur 600.000 und für das Gesundheitswesen lediglich 90.000 Mark zur Verfügung stünden. Skandalös sei, daß dem 1918 davongejagten Landesfürsten täglich 700 Mark aus der Staatskasse gezahlt würden, einem Arbeitslosen hingegen 40 Pfennig.

Ganz besonders setzte sich der KPD-Abgeordnete für das Wohl der Kinder und deren Bildung ein. Er forderte Schulgeldund Lehrmittelfreiheit, die Verringerung der Klassenstärken in den Volksschulen, die Einrichtung von Kindererholungsheimen, bessere Bezahlung der Lehrer und vor allem das Verbot der Prügelstrafe. In die Volksschule Groß-Geraus sei ein Ortspolizist gerufen worden, um Kinder zu mißhandeln.

Die Konsequenz und Unerbittlichkeit des Pädagogen rief wütende Reaktionen seitens der Herrschenden hervor. Auf ein Disziplinarverfahren folgte die Entlassung aus dem Schuldienst. 1930 wurde Wilhelm Hammanns Immunität aufgehoben. Wegen "Beleidigung" verurteilte man ihn zu einer ersten Freiheitsstrafe, 1932 dann zu 15 Monaten Gefängnis. Nach ihrem Machtantritt jagten ihn die Faschisten. Seiner habhaft geworden, folterten sie ihn zuerst in Groß-Gerau, danach in Darmstadt. Im Februar 1935 erhielt er drei Jahre Zuchthaus. Statt ihn 1938 aber zu Frau und Tochter zu entlassen, "überstellten" sie ihn in das Konzentrationslager Buchenwald. Dort fand er bald Kontakt zu seinen Genossen und beteiligte sich an der illegalen Arbeit.

Mit anderen inhaftierten Lehrern diskutierte er über den künftigen Aufbau eines demokratischen Schulsystems. Als Blockältester des Kinderblocks 8 kümmerte er sich im Rahmen des Möglichen nicht nur um Kleidung und Schuhe, zusätzliche Nahrung und Medikamente für die minderjährigen Häftlinge. Mit Hilfe von im Außendienst eingesetzten Arbeitskommandos wurden Papier, Bleistifte, Radiergummis, auch einige Lehrbücher und andere Lehrmittel beschafft, so daß Wilhelm Hammann, aber auch die sowjetischen Pädagogen Nikodim Fedossenko und Nikolai Kjunge viele Kinder illegal unterrichten konnten. Nicht zuletzt gelang es dem hessischen Kommunisten, etliche von ihnen vor dem Abtransport in Vernichtungslager zu bewahren. Sowjetische Genossen stellten ihm später das Zeugnis aus: "Unter dem Risiko, Repressalien seitens der SS ausgesetzt zu werden, leistete der deutsche Kommunist Hammann eine große, wichtige und ehrenvolle Arbeit bei der Erziehung der Kinder, wobei er diesen Vater und Mutter ersetzte ... Wilhelm Hammann sei Dank, der durch sein Bemühen Hunderte kleine Buchenwaldhäftlinge gerettet hat."

Nach insgesamt elf Jahren Haft kehrte Wilhelm Hammann nach Groß-Gerau zurück und setzte die Arbeit fort, die er 1933 zwangsläufig hatte unterbrechen müssen. Im Juli 1945 wurde er Landrat des Kreises. Doch das paßte nicht ins Konzept der Besatzungsmacht. Die Amerikaner wollten keinen Kommunisten auf einem solchen Posten sehen. Deshalb gingen sie gegen Hammann und andere Antifaschisten in der eingangs beschriebenen Weise vor. Doch der inzwischen 48jährige gab nicht auf. Als KPD-Kreissekretär von Groß-Gerau setzte er seinen Kampf fort, bei dem es zunächst um die Bewahrung der Einheit Deutschlands ging.

Am Abend des 26. Juli 1955 fand Wilhelm Hammann den Tod, als er mit seinem Auto auf einen unbeleuchtet abgestellten Panzer der U.S. Army prallte.

Günter Freyer

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Wer bricht das Grundgesetz?

Bisweilen denke ich: verkehrte Welt! Das kann doch alles nicht wahr sein! Spinne ich, oder spinnen die anderen? Bin ich der einzige, der merkt, daß hier etwas nicht stimmt?

Mich bestürzt nicht so sehr die Tatsache, daß dies geschieht, als vielmehr die Erkenntnis, mit welcher Leichtigkeit es den Herrschenden hierzulande gelingt, Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen in Form von Desinformation, Volksverhetzung und Menschenverachtung zu verbreiten. Nehmen wir als Beispiel die Überwachung der Abgeordneten der Partei Die Linke durch den Verfassungsschutz. Welchem fruchtbaren Schoß die Gleichsetzung von Braun und Rot entspringt, lassen uns die Bayerische Staatsregierung und deren Ministerien des Innern sowie für Unterricht und Kultur auf ihrer Website im Internet wissen. Unter dem Titel "Linksextremismus in Bayern" kann man eine interaktive Karte des Bundeslandes betrachten, auf der sämtliche Orte vermeintlich linksextremistisch motivierter Verbrechen und zugleich die Sitze der DKP, autonomer Gruppierungen und der MLPD, aber auch der Partei Die Linke verzeichnet sind. Besonders aufschlußreich ist die Tatsache, daß diese "Information" aus einem Bundesland stammt, dessen Landtag in der Nacht vom 19. auf den 20. Mai 1949 gegen das Grundgesetz gestimmt hat.

Das Unglaubliche geschieht vor unser aller Augen: Jene, welche das Grundgesetz permanent brechen, halten sich den Verfassungsschutz als Hausmacht, mit der sie eine Partei kontrollieren, die sich im Deutschen Bundestag nachweisbar und ohne jegliche Einschränkung grundgesetzkonform und im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verhält. Weder die PDS noch später die Partei Die Linke haben auch nur einer der vielen Grundgesetzänderungen seit 1990 zugestimmt. Die Partei Die Linke steht gegen Hartz IV, gegen Krieg, Waffengeschäfte und Neofaschismus, der sich - wie inzwischen alle wissen - zumindest in den letzten zehn Jahren ungehemmt im Lande austoben konnte. Wie man sieht, ist der Verfassungsschutz seiner eigentlichen Aufgabe, Hüter des Grundgesetzes und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu sein, offenbar entbunden worden. Er hat sich gewissermaßen zum Schild und Schwert der die Bundesrepublik regierenden Parteien verwandelt, die lobbyistisch und demokratiefeindlich den Ausverkauf der Republik betreiben. Er ist auf dem rechten Auge blind, wie es die Befindlichkeit der BRD seit ihrer Gründung zur Bedingung macht.

Nehmen wir speziell den Hartz-IV-Terror, den eine menschenverachtende und wirtschaftsdominierte Bundesregierung aus SPD und Grünen mit der Agenda 2010 in die Gesellschaft hineintrug. Sie verstößt gegen Artikel 1 (Die Würde des Menschen ist unantastbar), Artikel 2 (das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit), Artikel 6 (Schutz der Familie), Artikel 11 (Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet), Artikel 12 (freie Berufswahl/Verbot von Zwangsarbeit) und Artikel 13 (Unverletzlichkeit der Wohnung) des Grundgesetzes. Millionen Menschen haben den von ihm garantierten Schutz verloren, sind den existenzgefährdenden Schikanen und Nötigungen der Bundesagentur für - eigentlich: gegen - Arbeit hilflos ausgeliefert.

Wer für Hartz IV steht, betreibt direkt (kraft Amtes) oder indirekt (durch Befürwortung) den Bruch des Grundgesetzes. Derartige Handlungen richten sich gegen die Demokratie, den Rechtsstaat und damit auch gegen das im Artikel 20 GG verankerte Sozialstaatsgebot. Die zuständigen Stellen des Staatsschutzes müßten hier in Aktion treten. Doch der Verfassungsschutz kümmert sich - offenbar von der CSU aufgehetzt - um eine Partei Die Linke, deren politische Arbeit, Programmatik und demokratisch gewählte Funktionsträger für das Grundgesetz eintreten.

Ich mache meiner Partei zum Vorwurf, daß sie den Umstand der vertauschten Rollen nicht öffentlich thematisiert. Warum greift sie ihre politischen Gegner auf dem Feld des von ihnen betriebenen Verfassungsbruches nicht offen an? Ich erlebe die Partei ständig nur in der Rolle eines unter falschen Verdacht gestellten Unbescholtenen, der einem dumpfen, von Kommunistenhaß beseelten Mob verzweifelt zu erklären versucht, weder Kommunist noch Gegner des Grundgesetzes zu sein. Dabei weiß Wadenbeißer Dobrindt ganz genau, daß seine Kommunistenhatz gegen "Die Linke" auf Unwahrheit beruht. Auch Frau von der Leyen ist sich darüber im klaren, daß ein Mensch von Hartz IV nicht leben kann. Frau Merkel kennt die großen Gefahren, die mit der aggressiven, den Euro zerstörenden bundesdeutschen Wirtschaftspolitik verbunden sind. Den bürgerlichen Parteien im Bundestag ist völlig klar, was sie tun. Sie sind vorsätzlich und gemeinschaftlich handelnde Täter beim vielfachen Bruch des GG. Solche Leute überzeugen zu wollen ist müßig. So sollte es für "Die Linke" also nicht um Belehrung gehen, sondern darum, den politischen Gegner mit allen demokratischen Mitteln parlamentarisch wie außerparlamentarisch konsequent zu bekämpfen. Dann werden uns die Menschen im Lande auch wieder Vertrauen und Unterstützung entgegenbringen.

Was für eine historische Chance wird hier vertan? Die Partei Die Linke muß als Hüterin und Verteidigerin des Grundgesetzes gegen die Verfassungsbrecher des gegnerischen Lagers in den Kampf ziehen. Eine solche Situation hat es in der mehr als 170jährigen Geschichte der sozialistischen Bewegung Deutschlands noch nicht gegeben.

Dabei ist die heutige Lage doch schon 1948 - vor 64 Jahren - vorausgesagt worden. Max Reimanns Worte nach der Ablehnung des Grundgesetzes durch die KPD-Vertreter im Parlamentarischen Rat sind in die Geschichte eingegangen. Er sagte damals: "Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen jene verteidigen werden, die es angenommen haben!"

Liebe Genossinnen und Genossen, die Ihr für "Die Linke" öffentlich an vorderster Front steht: Nehmt den Kampf auf! Führt ihn erforderlichenfalls gegen alle, denn im Bundestag und in den meisten Landesparlamenten gibt es keine oder fast keine Verbündeten. Wer unbedingt mittendrin sein will, sollte lieber die Partei wechseln und nicht weiter dazu beitragen, die Erwartungen von Millionen Menschen bundesweit zu enttäuschen. Den Kampfentschlossenen kann ich jedoch eines versprechen: Die Basis wird hinter Euch stehen, und Ihr werdet niemals allein sein!

Thomas Suckow, Berlin

*

NRW-Linkspartei: Faschisten und Verfassungsschützer unter einer Decke
Hege und Pflege

Man fühlt sich unwillkürlich in das Bayern der 20er Jahre versetzt, wie es Lion Feuchtwanger in seinem Roman "Erfolg" beschrieben hat. Damals stießen alle Bemühungen zur Rettung von Verfassung und Demokratie ins Leere, während den braunen Kohorten Hitlers Tür und Tor geöffnet wurden. Doch in unserem Falle haben wir es weder allein mit Bayern noch mit der Weimarer Republik oder gar einem Roman zu tun: Es geht um die bereits von Faschisten untergrabene heutige BRD und deren Verfassungsschutz, der Führungsgremien der Neonazis in einem solchen Maße "durchsetzt" hat, daß ihnen angeblich nicht mehr beizukommen ist. Die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" bleibt dabei auf der Strecke, während Mordbrenner Amok laufen und Antifaschisten niedergeknüppelt, mit Tränengas, Wasserwerfern und "körperlicher Gewalt" bearbeitet oder vor Gericht geschleift werden.

Es ist das Verdienst der bisherigen NRW-Landtagsfraktion der Partei Die Linke, der bundesdeutschen Öffentlichkeit Materialien darüber zugänglich gemacht zu haben, wie der Verfassungsschutz das Grundgesetz bedroht - eine Verfassung gibt es ja in der BRD ohnehin nicht. Vor einigen Monaten erschien ihre Broschüre "Außer Kontrolle", in der Landtagsreden, von der Fraktion eingebrachte Gesetzesentwürfe, Anträge, Berichte und andere parlamentarische Initiativen zusammengefaßt worden sind. Dokumentiert wird die Verstrickung des Verfassungsschutzes in die Verbrechen des "Nationalsozialistischen Untergrundes", die Behinderung polizeilicher Ermittlungen, die rechtzeitige Warnung von Tätern, das ganze Zusammenspiel von Geheimdienstlern und Terroristen.

Seit 1990 wurden in der BRD von Neonazis mehr als 150 Menschen erschlagen, erstochen, aus fahrenden Zügen geworfen, zu Tode gehetzt und verbrannt. Hinzu kommen Tausende Verletzte, die Hetze gegen Asylsuchende, Obdachlose, Behinderte, Juden und Ausländer sowie natürlich gegen alle Linken. Die V-Leute des Verfassungsschutzes seien "landauf, landab fleißig dabei, die NPD zu stabilisieren", heißt es in der Schrift.

Enthüllt wird auch, was sich hinter der "Zivil-militärischen Zusammenarbeit" (ZMZ) verbirgt. Während der Öffentlichkeit die Aussetzung der Wehrpflicht zur Kenntnis gebracht wurde, blieb anderes ausgeblendet: die Anhebung des Einberufungsalters von 45 auf 60 Jahre, der Reservisten-Einsatz in Kriegen wie bei inneren "Notständen" - z. B. Streiks und Demonstrationen. MdB Ulla Jelpke sprach davon, das ZMZ-Konzept laufe letzten Endes auf offenen Bruch des Grundgesetztes hinaus. Übrigens befindet sich in Berlin-Treptow das "Gemeinsame Terrorismus-Abwehr-Zentrum" aus Vertretern des BKA, des BND, der Kriminal- und Verfassungsschutzämter der Länder, der Bundespolizei, des Zollkriminalamtes, des MAD, der Generalbundesanwaltschaft und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Die Vernetzung von Polizei, Geheimdiensten und Militär erfolgt außerhalb jeder parlamentarischen Kontrolle! Die Bürgerrechte werden unter Einsatz modernster elektronischer Medien ausgehebelt. Polizeieinsätze gegen demonstrierende Antifaschisten und deren juristische Verfolgung wegen angeblicher "Bildung einer kriminellen Vereinigung" greifen ineinander.

Natürlich fehlt es nicht an Theorien zur "Begründung" all dieser Rechtswidrigkeiten. Die Stichworte heißen "Extremismus" und "radikal". Damit weiß man, was gemeint ist. Zwar wird von Links- und Rechtsextremismus gesprochen, tatsächlich aber handelt es sich um eine gezielte Gleichsetzung von Braun und Rot, womit vor allem die Linke diskreditiert werden soll.

Nun kann man, wenn von Bodo Ramelow die Rede ist, wahrlich nicht von einem Extremisten oder Radikalen sprechen. Und doch erfolgte seine jahrzehntelange geheimdienstliche Bespitzelung unter dem Vorwand des "Kampfes gegen den Extremismus". Bei Feststellung der Rechtmäßigkeit seiner Observation erklärte das Bundesverwaltungsgericht zugleich die Beobachtung der gesamten PDL für legitim - wegen angeblich verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Als Beweise dienen die Abneigung gegen Gauck als Bundespräsidenten, die Solidarität mit Kuba sowie die Existenz innerparteilicher Strömungen wie der Kommunistischen Plattform und der Linksjugend "solid". Die Extremismusformel der als besonders rabiat bekannten CDU-Rechtsaußen-Ministerin Schröder dient bekanntlich zur Rechtfertigung ihrer grundgesetzwidrigen Angriffe auf Projekte gegen Rechtsextremismus und Rassismus.

Zu welchen praktischen Konsequenzen der Rückgriff auf die Extremismuskeule führt, dokumentiert der durch die Fraktion dargestellte "Fall Gössner". Über vier Jahrzehnte wurde der prominente Jurist - schon als Student, danach als Gerichtsreferendar, Rechtsanwalt, Richter am Staatsgerichtshof von Bremen, Parlamentarischer Berater, Publizist, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Mitherausgeber renommierter Zeitschriften - geheimdienstlich beobachtet. Man legte ihm Kontakte zur DKP, zur Roten Hilfe, zur VVN und diversen Presse-Organen - darunter dem ND und der "jungen Welt" - zur Last. Seine Verfassungsschutzakte ist über 2000 Seiten stark. Als er bei Gericht die Einsichtnahme durchgesetzt hatte, waren plötzlich 1750 Seiten geschwärzt, unleserlich gemacht oder entfernt worden. Was für ein prachtvoller "Rechtsstaat"!

"Außer Kontrolle" ist sehr lesenswert! Die Landtagsfraktion der PDL (die leider abgewählt wurde) knüpft damit an die besten antifaschistischen und antimilitaristischen Traditionen in Nordrhein-Westfalen an. Nicht zufällig widmete sie ihre Broschüre dem Andenken des Kommunisten Jupp Angenfort.

Dr. Ernst Heinz

*

Für fairen Disput
Was Christen und Marxisten verbindet und was sie trennt

Renate Tellers "Nachdenken über Gott und die Welt" (RF 169) regt mich zu einem Disput unter Freunden an. Als Sohn eines evangelischen Dekans aus dem Westen und Herausgeber eines Buches über den Kommunisten und Pfarrer Erwin Eckert vermute ich, dazu berechtigt und hinreichend qualifiziert zu sein.

Zunächst: Man sollte keine Vanillesoße über Hering schütten. Christentum und Kirche sind zwei grundverschiedene Dinge, die voneinander getrennt betrachtet werden müssen. Kirche ist institutionalisierte Religion, und was Menschen in ihrem Namen während der vergangenen 2000 Jahre angerichtet haben, muß im "RotFuchs" sicher nicht detailliert beschrieben werden. Beide deutsche Amtskirchen zogen eine entsetzliche Spur von Blut, Raub, Folter und Mord durch die Geschichte. Neuneinhalb Millionen Menschen, hauptsächlich Frauen, wurden allein während der Inquisition in Europa bestialisch zu Tode gebracht. Die Kirche löschte das humanistische, medizinische und naturwissenschaftliche Erkenntnispotential der Antike nahezu vollständig aus und stieß die Völker Europas in die Barbarei zurück.

Die Diskussion zum Christentum als Religion muß hingegen differenzierter geführt werden. Unter jenen, welche sich als Christen bezeichnen, gibt es die ganze menschliche Bandbreite. Da finden wir machtgierige Politiker, Militaristen, Mörder, Kinderschänder u. a. Verbrecher, aber auch Helfer, Kämpfer, Sozialisten und sogar Kommunisten. Wir denken mit Respekt an Erwin Eckert, Paul Schneider, Dietrich Bonhoeffer, Martin Luther King und die Befreiungstheologen Lateinamerikas.

Worauf berufen sich all diese unterschiedlichen Menschen? Auf die Bibel - ein Buch, dessen Text vierhundert Jahre lang ausschließlich mündlich weitergegeben und dabei immer wieder verändert wurde, bevor man ihn aufschrieb. Doch auch der uns schriftlich vorliegende Wortlaut wurde von jeweils interessierten Kreisen verfälscht und ergänzt. Selbst Luther, der die Bibel durch Übersetzung aus dem Lateinischen ins Deutsche weiten Kreisen zugänglich machte, änderte Inhalte nach eigenem Gutdünken.

Die Bibel ist ein Konglomerat aus Sage, Dichtung, Erfindung und Weglassen. So kommt es, daß jedermann das herauslesen kann, was ihm in den eigenen Kram paßt. Die Humanisten berufen sich auf die Bergpredigt, doch es gibt unzählige Textstellen auch im Neuen Testament, die dem dort Gesagten widersprechen. Selbst Kriegstreiber finden genügend Zitate, um ihre Morde und Brandschatzungen zu rechtfertigen. So ist die Bibel nichts anderes als eine Anthologie, die eigentlich nur für Literaturhistoriker von besonderem Interesse sein dürfte.

Und wie verhält es sich mit Gott? Der angeblich Liebende und Allmächtige sieht tatenlos zu, wie Menschen gefoltert und ermordet werden, wie Kinder verhungern. Grausamkeit, Ungerechtigkeit, das Elend der Welt - warum verhindert er all das nicht? Vielleicht würde er es ja gerne tun - als Allmächtiger. Ist er das aber nicht, dann ist er auch kein Gott. Oder aber sind ihm die Menschen gar gleichgültig? Dann wäre er ein Zyniker und Sadist und unterschiede sich in nichts vom biblischen Satan, dessen Gegenpol er ja sein soll.

Viel wahrscheinlicher ist jedoch: Es gibt gar keinen Gott. Der schuf nicht den Menschen nach seinem Ebenbild, sondern es verhielt sich genau umgekehrt: Die Menschen erfanden sich ihren Gott oder ihre Götter nach eigenen Vorstellungen. Und sie tun es bis heute. Mit den Religionen als bequemer Ideologie der jeweils Herrschenden haben sie aus dem Paradies Erde eine Hölle gemacht. Von der Frucht der Erkenntnis aber besitzen die meisten Menschen, da sie diese nicht gegessen haben, keine Vorstellung.

Doch das Symbol dieser Frucht bedeutet: Wir wissen noch längst nicht alles, aber unser Wissen nimmt ständig zu. Die Welt ist erkennbar und kann verändert werden. Der geniale Dialektiker Friedrich Engels hat diese Freiheit als "Einsicht in die Notwendigkeit" wunderbar formuliert.

Der Atheist ist nicht auf das Hilfsmittel irgendeiner Religion angewiesen, um im Leben zu bestehen. Er glaubt nicht, weil er weiß. Er hofft nicht, weil er handelt.

Zurück zu dem eingangs erwähnten Artikel Renate Tellers: Das Göttliche sei unfaßbar und unerklärbar wie die Existenz des Weltalls, habe ich da gelesen. Mit der Zunahme des Menschheitswissens ist diese Existenz jedoch immer erklärbarer geworden. Da bleibt kein Platz für Gesponnenes, welcher Art auch immer. Wir müßten Ungerechtigkeiten hinnehmen? Warum eigentlich? Warum sollten wir nicht ändern, was der Änderung bedarf?

Die "Krone der Schöpfung" könne "spirituell denken" - das ist ja wie sich trocken waschen. Entweder denke ich, setze meinen Verstand zur Erkenntnis sein - oder ich spekuliere, leugne die Realität und verliere mich in esoterischen Spinnereien. Und schließlich: "reines Christentum" und "reiner Kommunismus" - was soll das sein? Wir haben es mit wirklichen Menschen, realen Gegebenheiten und gültigen Gesetzen zu tun. Es gibt also wohl eher ein real existierendes Christentum und einen real existierenden Sozialismus, während es eine kommunistische Gesellschaft noch nirgendwo gegeben hat. Was folgt aus all dem für unser Handeln? Christen sind uns Sozialisten und Kommunisten gute und redliche Bündnispartner, wenn sie sich den humanistischen Aspekten ihrer Religion verbunden fühlen. Wir können durchaus ein Stück des Weges gemeinsam gehen, uns gegenseitig unterstützen und einander helfen.

Mein Vater, ein westdeutscher Pfarrer, sagte am Ende seines Lebens: "Das Christentum hat nur im Kommunismus eine Zukunft." Das mag - in einem bestimmten Grade - durchaus zutreffen. Doch in der weltanschaulichen Konsequenz gehen unsere Wege auseinander. Denn Religion ist etwas Irrationales und damit der Gegensatz menschlicher Erkenntnis. Die aber weist den Weg zu Humanismus und Fortschritt.

Hans Dölzer, Hirschberg

*

Seltener Besuch eines höheren Herrn

Der war der letzte, den ich erwartet hätte,
aber nun ist er da, leibhaftig noch dazu,
kurzfristig hatte er sich angemeldet,
der leibhaftige Besuch.
Guten Tag!, sage ich zu ihm,
gleichwohl wissend,
daß Tage nicht sein übliches Maß sind,
sein kleinstes Zeitmaß ist eine Ewigkeit,
doch als mein Gast erwidert er
meinen gewohnten Gruß, ein höflicher Herr.

Guten Tag und herzlich willkommen!,
sage ich zu ihm, bin gar nicht sicher, ob ich's
so meine, jeder weiß doch,
wie es so ist mit unverhofftem Besuch.
Und weiter sage ich: ich gestehe,
ich bin über die Maßen überrascht,
daß du ausgerechnet mich besuchst,
(hätte beinahe gesagt: beehrst),
denn es ist schlicht so, ich glaube
grundsätzlich nicht an deine Existenz,
doch bist du nun einmal da,
also sei es, plaudern wir.

Gehen wir drüben in den Stadtpark, da
gibt's noch ein wenig Restgrün.
Siehst du diesen Vogel dort?
Seit Wochen sehe ich ihn das erste Mal,
aber eigentlich müssten zwei Vögel hier sein.
Und wundere dich nicht,
obwohl du zu Wundern neigst,
also wundere dich nicht
über das schwärzliche Braun
der Blätter an Bäumen und Büschen.
Das macht, wir haben nun Frühling.

Übrigens ist der Autoverkehr
jetzt noch schwach, höchsten so dreißig- bis
vierzigtausend, die am Tage die Parkallee
befahren.

Siehst du den Vogel im frischen
Frühlingsgrau?
Bitte benutze die Atemschutzmaske.

Wenn Ferien sind, wird es hier schlimm,
aber noch geht es, sieh nur, Herr,
hier blühen vier oder auch sieben Blumen.

Was es neues gibt?
Ja hast du denn keine E-Mail?
Bist du nicht drin? Im Internet?
Das ist ganz einfach.

Was ist schon neu? Vielleicht, daß Parteien
immer noch lügen und Unternehmer
Geld waschen und Abgeordnete sich selbst
Diäten erhöhen und sich kaufen lassen,
doch das ist alles nicht neu.

Der Autobahnverkehr hat sich
verzehnfacht, die Anzahl der
Atomkraftwerke ist auf fünfhundert Prozent
gestiegen, im Umkreis von einhundert
Kilometern sollte niemand mehr wohnen
und keine Pilze mehr sammeln,
doch das ist alles nicht neu.

Da ist der Vogel wieder!
Halt, trinke bloß nicht dieses Wasser,
es enthält Zyanid.
Die Politiker versprechen ja,
daß der Zyanidgehalt des Trinkwassers
in dreißig Jahren halbiert werden soll,
aber der Unternehmerverband ist dagegen,
weil durch die Reduzierung der Sterblichkeit
mehr Arbeitsplätze benötigt würden.

Der Vogel taumelt ganz seltsam!

Neues? Ach mein Gott, Herr,
entschuldige schon. Alles ist alt,
der Euro ist eine weiche Währung,
die Brücken reichen für die Obdachlosen
nicht mehr,
die Jungen fahren sich tot
in ihren schnellen Kisten,
Manager und Minister betrügen,
Waffenhandel blüht,
bei uns fallen zum Glück keine Bomben,
nein, bei uns nicht, Gott sei Dank, also dir.

Hier bei uns in Europa wird ja
nun Krieg nicht mehr gemacht
mit Bomben und so, sondern
mit der Krisenfratze,
mit Geld,
mit Euro,
mit Spekulation,
mit Rating und so,
aber direkt neues gibt es nicht zu
berichten.

Da, jetzt ist er heruntergefallen, der Vogel!
Der ist hinüber, schade,
war wohl doch der letzte, ist ja kein Wunder,
neuerdings haben wir im Winter
achtzehn Grad plus,
und im Sommer gibt es Schneeschauer.
Weil das Klima gewandelt wurde.
Hast du das gemacht?
Wer soll's denn sonst gemacht haben?
Die Welt ist übrigens überhaupt nicht mehr,
wie du sie gemacht hast,
aber das weißt du doch alles selbst,
nehme ich jedenfalls an.

Nichts ist neu.
Jeden Tag begehen welche Selbstmord.
Jeden Tag pfeifen irgendwo Granaten und
Raketen.
Jeden Tag sterben Kinder vor Hunger.
Jeden Tag sterben Regenwälder aus.
Jeden Tag sterben Tierarten aus.
Jeden Tag wächst Globalisierung.
Jeden Tag steigen Aktien.
Jeden Tag wachsen Profite.
Jeden Tag wächst Kriminalität.
Jeden Tag wird wer betrogen.
Jeden Tag wächst für viele Verzweiflung
und schwindet Hoffnung.
Jeden Tag werden Menschen stiller,
geduldiger,
gehorsamer,
dümmer auch.
Das ist in Ordnung,
das ist Demokratie, das ist nicht neu.

Tatsächlich nichts, Herr, es enttäuscht dich,
ich seh' es dir an, Herr, du weißt Bescheid,
deshalb interessiert es dich nicht, Herr,
du kennst das, wie heutzutag
jeder Mensch der Teufel
jedes anderen Menschen ist
und wie die Kälte aus deinem Weltraum
bei uns eindringt.
Es interessieren dich nicht, Herr,
Hunger, Elend, Tod,
Mord, Vergewaltigung.
Lüge, Schacher, Betrug, Raub.
Das ist für dich ohne Belang,
Herr des höheren Ratschlusses.
Du bist ein hoher Herr,
höher womöglich als der Papst,
höher am End' noch als Frau Merkel.

Warte, ich schiebe den toten Vogel
ins Gebüsch.

Du kannst nichts davon wissen?
Du sollst nichts wissen?
Du willst nichts von alledem wissen?
Es gefällt dir nicht, was ich berichte,
nur weil es nicht neu ist?
Dann verschwinde, verflucht noch mal,
arroganter Kerl, was hast du hier zu suchen?
Mach, daß du fortkommst,
ich glaube sowieso nicht an deine Existenz!

Du hast doch schuld daran,
wie die Menschen sind,
nicht der Mensch ist schuld,
du bist schuld an Sklavenmärkten
und Ketzerverbrennungen, an Inquisition
und Weltkriegen, an Oradour und
Buchenwald, an Urangranaten und
Vakuumbomben und Vietnam und Bosnien
und Tschetschenien und Afghanistan und
auch an New York!

Du bist nicht schuld, sagst du?
Ja, um Gottes willen, wer denn dann?
Es heißt doch hier unten immer:
alles ist gottgewollt!

Ach weißt du,
du hängst mir zum Halse raus!
Heb dich hinweg!
Scher dich zum Teufel, deinem Bruder!
Ich will dich nie wieder sehen!
Und rufe auch ja nicht wieder an!
Du bist Luft für mich, ja Luft!

Übrigens, warte, halte ein,
lasse mir ja
meine Atemschutzmaske hier!

Manfred Kubowsky

Gott besucht die Erde, Zeichnung vom Autor - © Manfred Kubowsky

Zeichnung vom Autor
© Manfred Kubowsky

*

Solidarität bis zum bitteren Ende
Als die DSF 1989/90 armenische Waisenkinder in die DDR einlud

Im Juli 1993 schrieb "Der Spiegel", die Zugehörigkeit zur Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) sei "nur formell freiwillig" gewesen. Sie habe in der DDR aber als "das kleinere Übel neben der SED-Mitgliedschaft" gegolten, ja es habe sich (so Jan C. Behrends) um eine "erfundene Freundschaft" gehandelt.

Solcherlei Gestammel ist ja inzwischen an der Tagesordnung. Was wurde von den einstigen Schwestern und Brüdern aus dem Osten nicht alles angezettelt?

Als ehemals 2. Sekretär der Berliner DSF will ich von einer Begebenheit berichten, wie diese inzwischen vielgeschmähte Freundschaft auch am Ende der 80er Jahre noch Bestand hatte.

Im Dezember 1988 wurde Armenien von einem schweren Erdbeben erschüttert. Viele Menschen fanden den Tod, Unzählige hatten kein Dach mehr über dem Kopf. Nicht wenige Kinder verloren ihre Eltern.

In unserem Berliner DSF-Sekretariat stellten wir Überlegungen an, wie wir den betroffenen Familien in der Kaukasus-Republik der UdSSR helfen könnten. Der Vorschlag des Bezirkssekretärs, armenische Waisenkinder zur Erholung einzuladen, stieß zwar auf Sympathie, doch es war leichter gesagt als getan. Zu dieser Zeit herrschte zwischen den Regierungen und Parteien der DDR und der Sowjetunion bereits ein gespanntes Verhältnis. In der DDR wuchs der vom Westen angefachte Widerstand gegen die Politik der SED, während die Sowjetunion unter Gorbatschow am Zerfallen war. So konnten wir davon ausgehen, daß wir auf der Berliner Leitungsebene wohl kaum mit Unterstützung würden rechnen können. Außerdem fehlte es an Geld, um eine solche Maßnahme zu finanzieren. Eigene Mittel für diesen Zweck hatten wir nicht geplant. Das Risiko des Scheiterns unseres Vorhabens war daher groß.

Dennoch gingen wir an die Arbeit. Wir formulierten einen Appell an die Berliner, in dem wir darum baten, für den von uns ins Auge gefaßten Zweck zu spenden. Dabei wußten wir genau, daß ungenehmigte Geldsammlungen nicht gestattet waren. Doch es gab nur zwei Möglichkeiten: aufzugeben oder die Initiative zu ergreifen. Mit Krach war zu rechnen, was wir einkalkulierten.

Zu diesem Zeitpunkt reiste unser Bezirkssekretär zur Partnergesellschaft nach Moskau, während ich bei der Berliner Vertretung der sowjetischen Fluglinie Aeroflot den Transport von 100 Kindern in beiden Richtungen "ventilieren" wollte.

In Moskau klappte zwar alles, aber die Aeroflot sah sich außerstande, mir zu helfen. Daraufhin nahm ich sofort Verbindung mit der Interflug auf und bat darum, unser Vorhaben wohlwollend zu unterstützen. Die Genossen der DDR-Linie dachten an einen Überprüfungsflug nach Armenien, um dabei die Kinder mitzunehmen. Als der Vertreter der Interflug dann aber die Frage der Bezahlung aufwarf, geriet ich ins Straucheln. Auch für Finanzen im Sekretariat verantwortlich, kam mir blitzschnell der Gedanke, die Summe zunächst aus unserem Jahresetat "zu borgen", um das Vorhaben nicht scheitern zu lassen.

Das Echo auf unseren Spendenaufruf war indes überwältigend. Nicht nur Mitglieder der DSF, sondern Betriebskollektive, Schulen, private Händler und Mitglieder von Produktionsgenossenschaften des Handwerks zeichneten großzügige Spenden. 1989 hatten wir eine solche Reaktion kaum noch erwartet. In kürzester Zeit kamen 640.000 Mark der DDR zusammen. Die nach Meinung des "Spiegels" in die DSF gezwungenen DDR-Bürger beteiligten sich an der nicht genehmigten Aktion auf eindrucksvollste Weise. Uns fiel ein Stein vom Herzen.

Nun konnten und mußten wir die SED-Bezirksleitung und den DSF-Zentralvorstand einweihen. Die Genossen kritisierten uns zwar, halfen aber dabei, ein geeignetes Ferienobjekt zu finden. Die DSF-Zentrale fühlte sich übergangen und reagierte sauer. Der FDGB drohte gar mit "Konsequenzen" wegen der ungenehmigten Sammlung. Es gab welche, die überdies verlangten, wir sollten die Sache rückgängig machen.

An meinen Ohren ging das alles vorbei. Ich konzentrierte mich darauf, einen Betreuungsplan auszuarbeiten und benötigte Helfer zu gewinnen.

Die außergewöhnliche Spendenbereitschaft gestattete es uns, im Sommer 1989 sogar zwei Ferienlager für je 100 Kinder einzurichten. Ein dritter Durchgang fand dann noch vom 30. Mai bis 20. Juni 1990 statt. Viele Menschen boten uns ihre Solidarität an, opferten den Urlaub und arbeiteten ohne Bezahlung. Die medizinische Betreuung übernahmen Ärzte der Sowjetarmee aus Karlshorst: Dolmetscher und Rettungsschwimmer, in Berlin ansässige Armenier und russische Frauen gehörten zum Betreuerteam. Die Kinder wurden liebevoll umsorgt. Es geschah alles nur Erdenkliche, um sie von den traurigen Erlebnissen daheim abzulenken. Berliner Schüler stellten sich ein und brachten für die kleinen Armenier ihre Kuscheltiere mit. Alle drei Durchgänge wurden neu eingekleidet. Als wir unseren armenischen Gästen die Frage stellten, was ihnen am besten gefallen habe, lautete die Antwort: "Alles."

So konnten wir am Ende auf unser eigenmächtiges Handeln stolz sein. Zugleich wußten wir - kurz vor der Vereinnahmung der DDR durch die BRD - daß es wohl unser letzter Beitrag dieser Art sein würde. Allerdings konnten wir damals nicht ahnen, welches Riesenmaß infamer Verteufelung auf uns zukommen würde.

Nach der Verabschiedung des dritten Durchgangs wollte ich mich bei den zahlreichen Spendern im Fernsehen bedanken und sie wissen lassen, daß die restlichen 60.000 Mark für die Kinder von Tschernobyl oder zur Ausstattung eines Krankenhauses in Rußland verwendet werden sollten. Doch im TV-Beitrag wurde die Tatsache, daß die DSF alle drei Ferienlager organisiert und durchgeführt hatte, mit keiner Silbe erwähnt. Damals hatten sich in der DDR bereits allenthalben die neuen Herren eingenistet - auch in Adlershof.

Günter Bartsch, Berlin

*

Gute Wünsche

Gesine Lötzsch hat sich als Linkspolitikerin inner- wie außerhalb des Parlaments tapfer geschlagen. Deshalb ist sie von der Meute mehr als einmal angefallen worden. Noch vor dem Göttinger Parteitag hat sie sich - mit einer ehrenhaften Erklärung - aus der Funktion einer Kovorsitzenden der Partei Die Linke zurückgezogen. Respekt!

Der RF wünscht Gesine und ihrem Mann, Gen. Prof. Dr. Ronald Lötzsch, das denkbar Beste.

*

Lenin: Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus (Teil II)
Politische Ökonomie

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

*

Londons City stellt Wall Street in den Schatten

Kurz vor dem britischen Veto gegen das geplante Brüsseler Finanzabkommen erschien in der englischen Wochenzeitschrift "The New Statesman" ein bemerkenswerter Beitrag über den Ort und die Macht des britischen Geldadels: Es ging um die City of London, genauer gesagt, um jenes etwa eine Quadratmeile umfassende Territorium, welches von der City of London Corporation verwaltet wird. Diese besitzt ihren eigenen Lord Mayor, nicht zu verwechseln mit dem ebenso bezeichneten Londoner Bürgermeister.

Die City of London Corporation repräsentiert das Innerste des Kapitalismus wie sonst nichts auf Erden. Worum handelt es sich bei dieser seit fast 1000 Jahren bestehenden Lokalverwaltung der Quadratmeile im Herzen der britischen Hauptstadt?

Bei Kommunalwahlen votieren hier auch die Konzerne und Geldinstitute - 40 % davon sind ausländische - und übertreffen die Stimmenzahl lebendiger Wähler erheblich.

Der City of London Corporation fällt auch noch eine zweite Rolle zu. Dabei handelt es sich um die Verteidigung der Spitzenposition Londons als Platz Nr. 1 im globalen Finanzsystem. Diesen Anspruch vertritt der Lord Mayor. Er empfängt z. B. Regierungs- und Staatsoberhäupter in der Gildenhalle und im Mansion-Haus der City of London - ein eigenartiger Rang für eine bloß lokale Autorität.

Wie machtvoll ist die Corporation?

Sie reguliert oder überwacht keineswegs die Londoner Finanzmärkte, sondern leistet vielmehr eine enorme Hintergrundarbeit, wobei sie sich als bei weitem einflußreichste Lobby-Organisation der Welt erweist. Hinter ihr stehen Milliarden Britische Pfund. Der offizielle Lobbyist der Corporation im britischen Unterhaus heißt derzeit Paul Doubles und hat seinen offiziellen Platz direkt gegenüber dem Speaker.

Während alle Welt auf die sehr sichtbare New Yorker Wall Street fixiert ist, hat man offenbar übersehen, daß der City of London Corporation in Geldangelegenheiten ganz eindeutig der Vorrang gebührt.

Dr. Vera Butler, Melbourne

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Rasante Talfahrt
Wie der Kapitalismus die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstört

Es war 2002 oder ein Jahr später, als ich für einen Neffen meine Sicht auf die damalige Situation und die vermutlich nachfolgende Entwicklung zu Papier brachte. So notierte ich: "Trotz eines Höchststandes von Wissenschaft und Technik ist die kapitalistische Gesellschaft immer weniger dazu in der Lage, die Probleme der Menschheit zu lösen.

Im Gegenteil: Sie verschärft diese in einem bislang unbekannten Tempo und Ausmaß. Banken und Kapitalverbände üben ihre Diktatur weltweit aus, was inzwischen als Globalisierung bezeichnet wird. Sie eignen sich den gesamten gesellschaftlichen Reichtum der Völker, die Naturressourcen, Kulturschätze und Produktionsergebnisse sowie die Resultate der wissenschaftlichen Forschung privat an. Druck, Erpressung und Krieg sind längst 'gesellschaftsfähige' Mittel geworden, für die auch internationale Organisationen wie die UNO instrumentalisiert werden.

Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer mehr und immer schneller. Das führt zu einer unvorstellbaren Verelendung der Besitzlosen, mittel- oder langfristig sogar in den hochentwickelten Industriestaaten, und zur Anhäufung überhaupt nicht mehr verwertbaren Reichtums in den Händen einer immer kleiner werdenden Gruppe Besitzender.

Ständige Kriege in den verschiedensten Teilen der Welt und die rücksichtslose Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit bedrohen deren Weiterbestehen. Diese Entwicklung erfolgt derzeit ungebremst. Dabei treffen die machtausübenden Kräfte auf einen so geringen Widerstand, wie es ihn niemals in der gesamten Geschichte der kapitalistischen Gesellschaft gegeben hat.

Die Linke in ihrer Gesamtheit ist in den meisten entwickelten Ländern zerstritten und agiert überwiegend ohne Konzept. Ein Teil der Gewerkschaftsführungen hat die Funktion eines 'Überdruckventils' übernommen, um mit Scheinaktivitäten und Streiks, die dem Kapital nicht wirklich weh tun, die Wut der arbeitenden Menschen abzufangen und letztlich verpuffen zu lassen. Das Geld wird zum einzigen Wert und die hemmungslose Jagd danach zum einzigen Lebenszweck erhoben."

Als ich meinen Text unlängst wiederfand, war ich schockiert, in welchem Tempo und Ausmaß sich die damals von mir angenommene Entwicklung tatsächlich bereits vollzogen hat.

Heute würde ich das Wort "langfristig" sofort und ersatzlos streichen. Klimawandel, Welthungerkrise, Wassermangel, Sozialabbau und Verarmung selbst in den am meisten entwickelten Industriestaaten und ständig neue Kriege zeugen von der unablässigen Vertiefung der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Die Umverteilung des gesellschaftlichen Vermögens zugunsten der besitzenden Klassen - umgangssprachlich als Reiche bezeichnet - hat immer weitere Lebensbereiche erfaßt und besonders auf den Gebieten der Daseinsfürsorge, Bildung, Gesundheit und Alterssicherung verhängnisvolle Dimensionen angenommen. Durch die Privatisierung von früher in öffentlicher Hand befindlichen Sektoren stehen der Bevölkerung und den Haushalten der Kommunen immer weniger Mittel zur Verfügung.

Existenzängste werden geschürt, das Arbeitstempo wird verschärft, die Erholungszeiten werden verkürzt und die Menschen bis zur völligen physischen und psychischen Erschöpfung ausgepreßt. Kleinunternehmer sind gezwungen, gleiche Ergebnisse durch Selbstausbeutung zu erreichen. Das alles führt nicht nur zu einer bereits weit fortgeschrittenen Zerstörung der Gesellschaft bis in die Familien hinein, sondern richtet auch die Menschen selbst zugrunde. Der Gesundheitszustand vieler hat sich dramatisch verschlechtert. Die einen leiden unter Depressionen, die anderen sind überfordert. Angst macht krank und Überbelastung auch. Die Anzahl der Menschen mit dem sogenannten Burnout-Syndrom hat eine vorher nie gekannte Steigerungsrate erfahren. Ergänzt wird dieser soziale Trend überdies durch einen rasanten Verfall der Alltagskultur. Der Kampf jeder gegen jeden führt zu verbalen und körperlichen Aggressionen, zu einer Vulgarisierung und Brutalisierung der Sprache. Dieser Umgangston soll zur Normalität im Lande selbst werden, damit man Gewaltanwendung gegen andere Völker dann als ebenso normal empfindet. Dann bedarf es nicht einmal mehr einer Rechtfertigung für vom Zaun gebrochene Kriege.

In einer Hinsicht allerdings bin ich - von der deutschen Situation ausgehend - wohl zu pessimistisch gewesen: Heute stehen immer mehr Menschen in Europa dieser Entwicklung nicht mehr widerstandslos gegenüber. 2011/12 haben in Frankreich, Italien, Griechenland, Portugal und Spanien zahlreiche Generalstreiks stattgefunden, die ein ermutigendes Signal dafür sind, daß sich auf der Gegenseite der sozialen Barrikade zunehmender Widerstand regt.

Horst Neumann, Bad Kleinen

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Zum Bundesverdienstkreuz

Merkwürdigerweise ereiferten sich einige Linke oder solche, die sich dafür ausgeben, darüber, daß der Präsidentschaftskandidat in der PDL Beate Klarsfeld - einer erwiesenen Nazi-Jägerin - noch immer kein Bundesverdienstkreuz verliehen worden sei und daß sie es unbedingt bekommen müsse.

Solche Politiker gerieten damit allerdings in schlechte Gesellschaft. Unser Foto zeigt BRD-Kriegsminister Thomas de Maizière bei der Dekorierung von Obamas Geheimdienstchef David Patraeus. Bevor der General zum CIA-Direktor ernannt wurde, erwarb er sich seine Meriten als Oberbefehlshaber der ISAF-Okkupanten in Afghanistan.

In äußerst seltenen Fällen wurden indes auch wirklich Verdiente ausgezeichnet: Die Vorsitzende des Auschwitz-Komitees der BRD Esther Bejarano erhielt das Kreuz - allerdings Jahrzehnte zu spät - durch Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz ausgehändigt.

Fortan wird der Orden den Erwählten durch oder im Namen von Bundespräsident Joachim Gauck - dem Großinquisitor a. D. - überreicht.

RF

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Ein gedankenfunkelndes Pamphlet
Jutta Ditfurths neue Kampfschrift bläst Worthülsen beiseite

Erleben wir eine Renaissance der Flugschrift, des kurzen politischen Pamphlets? Im Internet vielleicht, bietet das sich doch geradezu an, schnell und grenzenlos überschaubare Botschaften vor vieler Augen zu bringen. Große Aufmerksamkeit erlangt aber nach wie vor das gedruckte Wort. Seit Stéphane Hessels "Empört Euch!" hat das Literaturgeschäft die absatzfördernde Wirkung dieser Gattung von Publikationen erkannt und mit "Engagiert Euch!" ein Gespräch von Hessel nachgelegt. Und nun will Mode werden, was zunächst nur Aufruhr erzeugen sollte: "Vernetzt euch!", ruft uns eine tunesische Internetaktivistin zu, und "Beruhigt euch!" verkennt eine deutsche Autorin völlig die Funktion der Flugschrift.

Auch wenn heute das großbürgerliche Feuilleton bisweilen mit einem Vokabular und Gedanken jongliert, die unlängst nur Abgeordnete der PDL ins Ohr zu flüstern wagten, spült täglich ein Lügenschwall jegliches Interesse aus den Köpfen, und es bleibt nicht mehr als ein müdes resignierendes Schulterzucken. Stéphane Hessels öffentliche Empörung hat so nicht stattgefunden. In Deutschland zumindest nicht, in Frankreich vielleicht als "eine folgenlose Form der Auflehnung von kurzer Dauer", wie "Libération" schrieb. Gründe für die ausgebliebene Wirkung hat schon Fritz Dittmar im RF 162 dargelegt.

Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse warf Jutta Ditfurth ihre Flugschrift "Worum es geht" in die Runde. Eine Fackel, welche Feuer in müden Herzen entzünden könnte. Ihr Licht erhellt, was Heerscharen moderner Dunkelmänner zu kaschieren suchen.

Mit der Kraft von tausend Lungen bläst sie den Berg der Worthülsen beiseite. Und wenn all das Wortgeprassel vom Generationenkonflikt, der Bankenkrise, der Globalisierungsfalle, der "sozialen Marktwirtschaft" hinweggefegt ist, steht der Kapitalismus nackt und häßlich, aber auch blutig und unbarmherzig vor uns. Nicht der gute rheinische aus alten Tagen oder der wilde, böse Turbokapitalismus, sondern der Kapitalismus in seinem unveränderlich menschenfeindlichen Wesen.

Jutta Ditfurth ist näher bei Marx als manche, die ihn unablässig auf der Zunge führen und mit seinem Sprachschatz antraten. Sie erklärt dem Kapitalismus den Krieg. Sie tut das, weil sich dieser in allen seinen Entwicklungsformen in einem "terroristischen Normalzustand" befindet, menschenzerstörend und naturplündernd ist. Die herrschende Wirtschaftsweise, erinnert sie uns, basiert auf Rassismus und Zynismus. Besonders jungen Menschen sei ihr Buch ans Herz gelegt.

Aber nicht nur denen. Immer öfter nehme ich erstaunt zur Kenntnis, daß einst als marxistisch gebildet geltende Freunde mit dem Wortgestammel ihrer, unserer Feinde daherkommen, eingesponnen im Kokon falscher Begriffe. Ja, "die große konterrevolutionäre Welle war sehr erfolgreich" und "vor unsere Zukunft ist ein blickdichter Vorhang aus Scheinfreiheiten gezogen", wird da gesagt. Jutta Ditfurth geht gegen die Phrase vom Ende der Geschichte an, gegen die scheinbar "natürliche Ordnung" kapitalistischer Produktionsverhältnisse, gegen den "stummen Zwang der Verhältnisse", wie Marx das nannte.

Zornig und wütend attackiert sie die Verblödung durch den Warenfetischismus. Den iPhon/iPad-Jäger fragt sie, wieviel Blut an seinem neuen Spielzeug klebt. Wie kurz doch die Assoziationskette vom Handy zum Krieg ist! Ditfurth will wissen: "Von welchen Rohstoffen handelt dieser Krieg?" Da kommen keine knochentrockenen Theorien, da wird gedankenfunkelnd, scharf und mitreißend die Geld-Ware-Geld-Gesellschaft auseinandergenommen. Mit Recht stellt sie die Grundfrage: Wieviel Kapitalismus können Mensch und Natur noch ertragen? "Was tun?"

Ihr Resümee ist freilich ein Kapitel, bei dem einige derer, die dem zuvor Gesagten rückhaltlos zustimmten, in heftiges Streiten geraten könnten. Jutta Ditfurth sieht die Dreieinigkeit gegen den "Terror der Normalität" in Theorie, Aktion und Organisation. Einwürfe kommen sofort zur Organisation: Sieht die Autorin der Kampfschrift darin doch "eher keine Parteien". Aber man lese genau! Sie predigt keineswegs "locker-unverbindliches Netzwerkeln".

Ich erinnere mich der Podiumsdiskussion auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2008, wo sich Hans Heinz Holz auch mit dieser Problematik auseinandersetzte: Er sei nicht grundsätzlich gegen Bewegungen, sehe nur die Gefahr, daß diese nach gewissen Aufschwungzeiten wieder versanden. Es brauchte, so Holz "erstens die Organisation des Kampfes, zweitens aber die Organisation selbst". Von "Organisation" spricht er, nicht explizit von einer Partei, wenn er diese Organisation auch ohne Zweifel in der DKP, seiner Partei, erblickte. Jutta Ditfurth fordert "klare, gewählte Strukturen mit konkreten Verbindlichkeiten, jederzeitiger Abwählbarkeit und gut organisierten Lernprozessen". Sie sieht "nicht die Organisation, sondern das Programm und dessen Umsetzung" als Zweck.

"Was tun?" hat ein großer Russe die Frage schon einmal gestellt. Ich meine nicht Tschernyschewski, sondern Lenin.

Gleichwohl: Eine Streitschrift ist keine ausufernde Analyse, sie muß Gedanken knapp zusammenfassen, soll aber vor allem aufrütteln, zum Denken und zur Tat aufrufen. Auch zum Widerspruch.

Von allen Autoren in jüngerer Zeit verfaßter und veröffentlichter Pamphlete gelingt das nur Jutta Ditfurth wirklich. Deshalb: Diese Schrift in viele Hände!

Bernd Gutte


Jutta Ditfurth: Worum es geht.
Flugschrift. Rotbuch-Verlag, Berlin 2012,
ISBN 978-3-86789-154-7, Preis 3,99 €

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Fehdehandschuh einer Beherzten

Unerhörtes ist geschehen. In einem deutschen Parlament hat eine Frau gesagt: "Ich spreche hier nicht nur als Vertrauensperson des Volksbegehrens 'Wir Berliner wollen unser Wasser zurück', sondern vor allem für 666.000 wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger Berlins, die Ihnen, meine Damen und Herren Abgeordnete, durch Gesetz eine Aufgabe übertragen haben. Das sind 27 % der wahlberechtigten Berlinerinnen und Berliner, deutlich mehr, als jede der hier vertretenen Parteien auf sich vereinigen konnte.

Diese Bürger haben ... verlangt, daß Sie - die Volksvertreter - feststellen, ob es bei der Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe mit rechten Dingen, ob es verfassungsgemäß zugegangen ist.

­... Um es deutlich zu sagen: Ich komme hier nicht als Bittstellerin. Ich komme nicht als Vertreterin einer Bürgerinitiative, die von Ihnen Beachtung erbittet, sondern ausschließlich als Vertreterin jenes Teils der Bevölkerung, der klargestellt hat, was das Volk in dieser Frage der Daseinsvorsorge von seinem Staat und seinen Vertretern erwartet.

Um es noch deutlicher zu sagen: In dieser Frage repräsentieren nicht Sie den Willen des Volkes, sondern diejenigen, die gegen das damalige Abgeordnetenhaus gestimmt haben. Es ist Ihre Aufgabe - nicht die des Berliner Wassertisches - dem Volkswillen gerecht zu werden." Zwei Staatssekretäre und sieben Abgeordnete des Sonderausschusses "Wasserverträge" des Berliner Abgeordnetenhauses wurden blaß, als ihnen Gerlinde Schermer, eine selbständige Steuerbevollmächtigte und frühere Abgeordnete aus Berlin, mutig das Einmaleins der exorbitanten Renditeheckerei in der Berlin-Wasser-Holding - einer Beutegemeinschaft privater Investoren (VEOLIA und RWE) aus Paris und Essen mit willfährigen Berliner Senatoren - vorrechnete. Ihre Courage verdient den Respekt aller Bürgerinnen und Bürger nicht nur der Hauptstadt der BRD.

Dr. Hermann Wollner, Berlin

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Contergan-Opfer in Lüneburg verurteilt
"Schotter-Strafe" für Unterstützung von Schotterern

Am 15. März 2012 verurteilte das Amtsgericht Lüneburg den einstigen baden-württembergischen PDL-Landtagskandidaten Gotthilf Lorch aus Tübingen wegen "Störung des öffentlichen Verkehrsbetriebes" zu einer Geldstrafe von 375 Euro. Von seinem kargen Familieneinkommen muß der Sozialarbeiter, "Stuttgart-21"-Aktivist und Kämpfer für Behindertenrechte nun auch noch die Gerichtskosten zahlen. Nach dem Urteil legte der 50jährige Berufung ein und erklärte, er würde bis zum Verfassungsgericht gehen. Immerhin hatte das BVG 2011 ein Urteil wegen Blockade einer US-Kasernenzufahrt unter Hinweis auf das höhere Rechtsgut der Versammlungsfreiheit nach Art. 8/GG aufgehoben, obwohl es sich "im Rechtssinn um Gewaltausübung handelte".

Im Verfassungsschutzbericht vom Februar 2011 wurden das "Schottern" der Bahndämme und andere Blockadeformen gegen Castor-Transporte oder Naziaufmärsche als "linksextremistische terroristische Gewalttaten" bezeichnet. Entsprechend handeln Behörden, Justiz und Polizei. Die Grünen und die SPD im Landkreis Lüneburg verboten im November das von der linken Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke angemeldete Camp Dumstorf, "weil von ihm Straftaten ausgehen könnten".

Die Kampagne "Castor schottern" hatte zur Entfernung von Steinen aus dem Bahndamm der Strecke zum Atommülllager Gorleben aufgerufen. Plakate und Solidaritätslisten wurden beschlagnahmt. Gegen 1780 Unterzeichner, darunter Bundes- und Landtagsabgeordnete der Partei Die Linke leitete man nach dem "Tatort-Prinzip" in Lüneburg zahlreiche Verfahren ein. 450 waren zunächst abgeschlossen. Davon wurden 410 eingestellt, meist gegen Geldzahlung und Loyalitätserklärungen. Es handelt sich um die übliche Praxis des staatlichen Vorgehens gegen Formen des "zivilen Ungehorsams", wie sie Mahatma Gandhi und Martin Luther King einst zur Durchsetzung demokratischer Rechte propagiert und ausgeübt haben. Auch sie wurden wiederholt als "Straftäter" abgeurteilt und eingekerkert.

Ob in Lüneburg einer der prominenten Angeklagten erscheinen wird, was sehr zu wünschen wäre, bleibt abzuwarten. Beim ersten "Schotterer"-Prozeß waren keine Bundes-, Landes- oder Lokalpolitiker als Unterstützer vor Ort. Der Einzelkämpfer Gotthilf Lorch weiß nur allzugut, warum er Menschen vor radioaktiver Strahlung schützen will. Er gehört zu Tausenden Opfern der Habgier einer Pharmaindustrie, die werdende Mütter und deren ungeborene Kinder in ganz Europa mit dem Medikament "Contergan" vergiftete. Schwerstbehindert sitzt er im Rollstuhl. Aus seiner Sicht ist es unzulässig, die unterschriftliche Solidarisierung mit der Kampagne bereits als Straftat zu werten. Er selbst wäre ja gar nicht fähig, zu einer Castor-Demo zu gehen oder gar zu schottern. Viele Menschen hatten sich im November 2011 daran beteiligt, Steine an der Transportstrecke zu entfernen. Doch allein die Solidarität mit diesen Mutigen und Engagierten, die sich nach den Katastrophen von Tschernobyl, 3-Mile-Island und Fukushima für den Schutz der Allgemeinheit und die Wahrnehmung ihrer Bürgerrechte einsetzten, gilt in der BRD als "Straftat" und wurde mit dem ergangenen Urteil auch so geahndet. Übrigens hat die Lüneburger Justiz, die sich in der Adenauer-Ära mit ihren Gesinnungsurteilen besonders hervortat, seit den FDJ-Prozessen der 50erJahre und der Kommunistenverfolgung nicht mehr so viele politische Prozesse geführt wie jetzt.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Die Geschichte neu schreiben
Warum Joachim Gauck der Präsident der deutschen Normalisierung ist

Die von Joachim Gauck repräsentierte und zur Ideologie erhobene deutsche Normalität indiziert eine Radikalisierung der Normalisierungsbestrebungen. Sein extremer Antikommunismus und sein Geschichtsrelativismus drohen, ein wichtiges mit Richard von Weizsäckers Rede manifest gewordenes Eingeständnis, Deutschland sei am 8. Mai 1945 befreit worden, objektiv zurückzunehmen. Kritiker meinen sogar, er wolle ...

Der neue Bundespräsident überhäuft die polnischen Nachbarn mit Komplimenten. Schon 2009 hatte Joachim Gauck angekündigt: "Wenn die nächste Diktatur (in Deutschland) kommt, gehe ich nach Polen." Vorläufig kann er es bei einem Besuch belassen. Die Entscheidung, daß seine erste Auslandsreise in "das europäische Land der Freiheit" gehen soll, betont er, "kam von Herzen". Spätestens als ihm sein Gastgeber, Präsident Komorowski, ein Wahlplakat der Gewerkschaft Solidarnosc - sie hatte zum Ende des real existierenden Sozialismus in Polen und in ganz Osteuropa beigetragen - überreicht und Gauck überglücklich reagiert, ist auch der letzte Zweifel an der Aufrichtigkeit dieser Liebeserklärung ausgeräumt. Der Haß auf alles, dem das Label "Kommunismus" verpaßt werden kann, verbindet über Grenzen hinweg. Wenn es gegen die Roten geht, dann stören auch revisionistische und geschichtsfälschende Äußerungen, wie sie Gauck im Nachwort des Schwarzbuchs des Kommunismus verewigt hat, nicht die neue Harmonie: "Einheimischen wie Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten", hatte er 1998 behauptet (daß die Abtretung ehemals deutscher Gebiete an Polen ebenso von den westlichen Alliierten forciert wurde, ficht ihn nicht an). Gauck darf das. Er ist längst nicht mehr nur der Präsident der deutschen, sondern auch der "polnischen Herzen", meint zumindest die "Mittelbayerische Zeitung".

Susann Witt-Stahl, Hamburg

Quelle: stahlpress.medienbuero@googlemail.com


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die "Junge Freiheit" - die faschistoide Postille für "gehobene Ansprüche" - feierte die Kandidatur (und Wahl) Joachim Gaucks auf ihrer Titelseite mit den Worten: "Deutschland erhält einen Präsidenten des Volkes, der mit geistiger Führung überzeugen wird."

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Ein bürgerlicher Gelehrter mit Durchblick
Vor 140 Jahren wurde Nobelpreisträger Bertrand Russell geboren

Vernunft und Atomkrieg (1959), "Tatsache und Fiktion" (1961) und "Hat der Mensch eine Zukunft?" (1961) - diese drei Bücher stammen aus der Feder eines herausragenden Mannes, der am 18. Mai 1872 - vor 140 Jahren - geboren wurde. Es handelt sich um den berühmten Philosophen Bertrand Russell, Nobelpreisträger und Mitglied der britischen Royal Society. Die Gedanken Russells kreisten um die Grundfrage, die heute alle Menschen bewegt: Wie kann ein Atomkrieg verhindert und der Frieden dauerhaft gesichert werden?

Bertrand Russell geht von den furchtbaren Folgen aus, die ein atomarer Weltkrieg für die ganze Menschheit mit sich bringen würde. Er beweist den unvorstellbaren Vernichtungsgrad eines solchen Schlagabtausches. Russell erklärte, daß ab 1945 eine völlig neue Situation entstanden sei, welche Staatsführungen dazu zwinge, umzudenken und den Krieg als Mittel der Politik völlig auszuschließen.

Seine Vorschläge für die Lösung der Abrüstungsfragen gehen von drei Grundthesen aus:

1. Der Atomkrieg wäre ein Unglück für die gesamte Menschheit;
2. Jeder lokale Konflikt könne zum Weltkrieg führen;
3. Auch ein Krieg, der mit konventionellen Waffen beginne, münde bei längerer Dauer in einem Atomkrieg.

Folglich müßten alle Kriege aus dem Leben der Völker verbannt werden. Lord Russell befand sich in voller Übereinstimmung mit der Zielsetzung der sowjetischen Abrüstungsvorschläge, wie sie in der Präambel des in Genf vorgeschlagenen "Vertrages über allgemeine und vollständige Abrüstung unter strenger internationaler Kontrolle" formuliert wurden. Das war nicht immer so. Zu dem Zeitpunkt, als die USA noch das Atombombenmonopol besaßen, vertrat Bertrand Russel den Standpunkt, daß man gegen den Kommunismus auch militärische Mittel einsetzen dürfe. Der Lord gehörte zu jenen bürgerlichen Intellektuellen und Politikern, die aus dem veränderten Kräfteverhältnis in der Welt die Schlußfolgerung zogen, daß ein Angriff auf die Sowjetunion den Untergang der "Zivilisation" des Kapitalismus bedeuten würde. Allein die friedliche Koexistenz biete eine Grundlage zur Lösung aller lebenswichtigen Fragen der Völker und Staaten unterschiedlicher sozialer Systeme.

Diese Gedanken und Schlußfolgerungen des britischen Lords, die er in Artikeln und Reden leidenschaftlich verfocht, besaßen besondere Bedeutung für jene bürgerlichen Kreise in der BRD, die ihr "erstes und wichtigstes Interesse" im "Überleben" erblickten.

Obwohl Russell nicht die sozialen Wurzeln der Kriege erkannte und obwohl er nicht frei von Vorbehalten gegenüber der sowjetischen Außenpolitik war, gelangte er auf empirischem Wege zu dem Schluß, daß es die Regierungen der NATO-Staaten seien, welche die Abrüstung sabotierten. Er verurteilte den "wilden Fanatismus" der Kreuzzugsideologen das Westens, die die "Auslöschung der menschlichen Rasse dem Sieg einer Ideologie vorziehen, die sie verabscheuen".

Die Ursache der aggressiven NATO-Politik erblickte Russell allerdings nicht in ökonomischen und politischen Interessen imperialistischer Gruppen, sondern in "bestimmten menschlichen Leidenschaften" wie Stolz, Argwohn, Furcht und Ehrgeiz. An die Stelle dieser Leidenschaften setzte er den Geist der Verständigung und die menschliche Vernunft. Er forderte, sämtliche Staaten sollte ihre Truppen aus anderen Ländern zurückziehen und die ausländischen Militärstützpunkte auflösen, Großbritannien müsse aus der NATO austreten, die Militärbündnisse seien aufzulösen und die Produktion wie die Erprobung von Atomwaffen zu verbieten.

Der hochbetagte Lord Russell inspirierte die Friedenskämpfer der kapitalistischen Länder nicht nur durch seine Argumente und Vorschläge, sondern besaß vor allem auch durch seine persönliche Teilnahme an deren Aktionen eine große Ausstrahlung. Russell propagierte die Idee, daß jeder Mensch für das Schicksal aller anderen mitverantwortlich sei. Insbesondere die Wissenschaftler hätten die Pflicht, dafür zu sorgen, daß die Ergebnisse ihrer Arbeit nur zum Nutzen der Menschheit angewandt würden. "Wenn Ihnen Ihre Freunde und Kinder oder die großartigen Errungenschaften, zu denen sich die Menschen und Nationen aufgeschwungen haben, teuer sind, so ist es Ihre Pflicht, vielmehr Ihr Vorrecht, mit allen wirksamen Mitteln zu protestieren", erklärte er. Dieser Maxime folgend war Bertrand Russell Mitbegründer und Vorsitzender der britischen "Bewegung für nukleare Abrüstung", die sich als Initiator der Ostermärsche profilierte und ein mächtiges Bündnis gegen den Atomwaffenkurs der Londoner Regierung hervorbrachte. Er leitete das "Komitee der 100", welches "zivilen Ungehorsam" propagierte und bei seinen Aktionen auf militante Kampfformen zurückgriff. Russell trat nicht nur als Redner auf, sondern war trotz seines hohen Alters auch Teilnehmer an den Sitzstreiks des Jahres 1961, um gegen die raketenbestückten amerikanischen U-Boote am Clyde, die Landung von Bundeswehreinheiten in Wales und die USA-Luftwaffenstützpunkte in Großbritannien zu protestieren.

Die Verfechter der aggressiven NATO-Politik sorgten dafür, daß dem damals 89jährigen Philosophen der Prozeß gemacht wurde und er ins Gefängnis gehen mußte. Die über ihn verhängte Strafe erwies sich jedoch als wirkungslos. Die Popularität und die Zahl der Anhänger Russells, besonders unter der Jugend, wuchsen enorm an. Die Sitzstreiks, die am 9. Dezember 1961 vor USA-Stützpunkten stattfanden und bei denen über 800 Teilnehmer verhaftet wurden, lieferten dafür den Beweis. Hervorzuheben ist die Tatsache, daß Lord Russell auch mit den anderen Friedenskräften zusammenarbeitete. Im November 1961 übersandte er dem Kongreß des britischen Friedenskomitees eine Grußbotschaft, und in einer Rede vor Londoner Dockern forderte er diese auf, keine Arbeiten zu verrichten, die den Atomkriegsvorbereitungen dienen könnten. Durch sein Beispiel gab er eine Antwort auf die von ihm selbst gestellte Frage: "Hat der Mensch eine Zukunft?"

Der greise Philosoph glaubte, daß die "menschlichen Beziehungen ebenso schön werden können wie lyrische Gedichte" und daß "für den Menschen nichts unmöglich ist".

Prof. Dr. Horst Schneider

Gekürzte und aktualisierte Fassung eines Artikels aus der DDR-Zeitschrift "Deutsche Außenpolitik" 5/1962 zum 90. Geburtstag Lord Russells

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Profile, Profis und Profite
Olympisches und Unolympisches zwischen den Spielen in London 1948 und 2012

Die olympische Idee und die Spiele am Ende eines "Olympiade" genannten Zeitraumes von vier Jahren, durch Baron de Coubertin nach antikem Vorbild ins Leben gerufen, haben ihre Anziehungskraft seit 116 Jahren bewahrt. Im Altertum mußten kriegerische Auseinandersetzungen während der Olympischen Spiele ruhen. In der Moderne fielen die Spiele von 1916, 1940 und 1944 den beiden verheerenden Weltkriegen zum Opfer. Der Neubeginn 1948 in London fand folglich ohne die Kriegsverursacher Deutschland und Japan statt. Da war aber bereits der Kalte Krieg als Systemauseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus entbrannt, und der Sport wurde zu einem seiner Schauplätze.

Der internationale Sport mit seinem Olympischen Komitee und den Sportföderationen war fest in der Hand der kapitalistischen Länder. Sie konnten damit die Bedingungen diktieren, unter denen sozialistische Staaten am weltweiten Sportgeschehen teilnehmen durften. Überdies vermochten sie ihre Angriffe mit angeblich demokratischen Entscheidungen internationaler Sportgremien zu verschleiern.

Die BRD konnte bei den Winterspielen 1952 in Oslo bereits wieder starten und an den Sommerspielen 1952 in Helsinki teilnehmen, während die Sportler der DDR enttäuscht zu Hause bleiben mußten. Die BRD trat mit dem Anspruch auf, gegenüber allen internationalen Organisationen allein zur Vertretung ganz Deutschlands berechtigt zu sein, was der sogenannten Hallstein-Doktrin entsprach. Zu den Waffen, die gegen die DDR und die anderen sozialistischen Staaten ins Feld geführt wurden, gehörten: die gezielte Abwerbung gut ausgebildeter Sportler und Trainer; Einreiseverbote in westliche Länder, auch für Sportreporter; Startverbote für BRD-Sportler gegen Sportler der DDR bei internationalen Wettkämpfen; das Verbot der Staatsflagge und der Hymne der DDR auf dem Boden der BRD; der Abbruch des Sportverkehrs mit der DDR durch die BRD nach der Sicherung der Staatsgrenze der DDR am 13. August 1961 für volle zehn Jahre; der Boykott der Olympischen Spiele in Moskau 1980 durch die USA, die BRD und weitere westliche Länder. Es waren die ersten Spiele in einem sozialistischen Land!

Um für ihre Sportler überhaupt Zugang zu Olympischen Spielen und internationalen Meisterschaften zu erlangen, war die DDR gezwungen, dem Start in einer gemeinsamen deutschen Mannschaft zuzustimmen. Für Sieger wurde die Olympiafahne gehißt und Beethovens "Freude schöner Götterfunken" gespielt. Auch so sollte - optisch - eine Oberhoheit der BRD demonstriert werden. An den Olympischen Spielen von 1956 bis 1964 nahm die DDR teil, 1968 bereits mit eigener Mannschaft, aber noch ohne Flagge und Hymne.

Angesichts dieser diskriminierenden Politik gab es nur eine Schlußfolgerung: mit sportlichen Leistungen überzeugen!

Bei den Spielen 1968 in Mexiko überflügelte die DDR die BRD, 1972 war sie in München das dritte Land hinter der UdSSR und den USA, international weitgehend selbständig anerkannt und gefragter Wettkampfpartner. Die BRD sah sich gezwungen, ihr zehnjähriges Sportverbot aufzuheben. 1976 in Montreal und 1988 in Seoul hatten schließlich auch die USA das Nachsehen gegenüber der DDR.

Für 1984 waren die Spiele an Los Angeles/USA vergeben. Sollte man den Boykott von 1980 mit gleicher Münze heimzahlen? Sowohl die Bewahrung des olympischen Gedankens als auch das zu erwartende hohe Leistungsniveau einer DDR-Olympiamannschaft sprachen eindeutig für eine Teilnahme. Doch Erich Honecker entschied, ohne dazu eine Stellungnahme des Sports einzuholen, in "unverbrüchlicher Freundschaft mit der großen sozialistischen Sowjetunion" nicht an den Spielen teilzunehmen. Am Ende war von den Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft nur Rumänien in Los Angeles dabei. Die Enttäuschung unter Sportlern, Trainern, Funktionären und Sportanhängern in der DDR war groß.

Mit ihrem Anschluß an die BRD war die von allen Freunden verlassene DDR dem Rachefeldzug der kalten Krieger des Westens schutzlos ausgeliefert. Die erfolgreichen Organisationsstrukturen des DDR-Sports wurden rücksichtslos zerschlagen und das alte Vereinswesen wiederbelebt; 4700 Trainer schickte man in die Arbeitslosigkeit, nur etwa 300 wurden weiterbeschäftigt; es erfolgte die Liquidierung der international angesehenen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig; Sportfunktionäre und Mitarbeiter sahen sich mit Arbeitslosigkeit, Strafrenten und Gerichtsverfahren konfrontiert. Übernommen hat man die gut ausgebildeten Sportler der DDR. Mit ihnen konnte man die eigene magere Bilanz aufbessern und bei den Spielen 1992 in Barcelona Erfolge feiern. Bei abnehmender Tendenz dominierten unter den deutschen Medaillengewinnern, auch bei den folgenden Spielen in Atlanta und Sydney, noch Sportler aus der DDR. Inzwischen ist Gesamtdeutschland wieder auf das Niveau der BRD von 1988 abgesunken.

Die Olympischen Spiele der Neuzeit waren von Beginn an als Wettkämpfe der Amateursportler proklamiert und schlossen jede Art von Geschäftemacherei mit dem Sport oder den Spielen aus. Einem Verstoß gegen diese Regel folgten der Ausschluß von den Spielen sowie die Aberkennung bereits errungener Medaillen oder Plazierungen.

Eine neue Situation entstand in den 70er Jahren durch die weltweite Verbreitung des Fernsehens mit Direktübertragungen in theoretisch jedes Wohnzimmer auf der Welt. Die Medienkonzerne kaufen die Übertragungsrechte für Olympische Spiele und andere attraktive Sportveranstaltungen auf. Mit im Boot sind Sportartikelkonzerne und alle Arten von Großunternehmen, welche die Sendungen, die Sportstätten, die Sportgeräte und die Sportler selbst für den Transport ihrer Werbung zu den potentiellen Kunden nutzen. Die Sache wird aber erst profitabel, wenn sie sich zu einem Dauergeschäft ausbauen läßt. Das bedarf des Berufssportlers, der sich von Wettkampf zu Wettkampf schicken läßt und sich praktisch seinen Vermarktern verkauft. Die langen Wettkampfserien können nur von Profis bestritten werden. Das war in der angepeilten Größenordnung nicht erreichbar, solange Profis von den Olympischen Spielen ausgeschlossen blieben.

Mit IOC-Präsident Samaranch wurde 1981 ein Vorkämpfer für die Vermarktungsstrategen in Stellung gebracht. 1988 starteten im Tennis die ersten Profis bei Olympischen Spielen. Seitdem sind diese für den Berufssport vollständig geöffnet. Das IOC setzte sich an die Spitze der Vermarkter und erzielte 2006/2008 insgesamt vier Milliarden Dollar Gewinn. Mit den "Coca-Cola-Spielen" in Atlanta wurde 1996 sogar der Versuch unternommen, Olympische Spiele an private Veranstalter auszuliefern.

Noch hat die Vermarktung nur das Umfeld und nicht die Spiele selbst erfaßt. Nach wie vor ist jede Werbung auf den olympischen Sportstätten, auf Sportgeräten oder am Sportler verboten. Für den Start oder für Medaillen und Plazierungen gibt es kein Geld. Trotz des Starts von Profis bleiben die Spiele für Amateure offen.

Nach 64 Jahren sieht London andere Spiele als 1948: Die Zahl der teilnehmenden Länder ist von 59 auf über 200 gestiegen; das Wettkampfprogramm ist von 136 auf 302 Disziplinen und die Zahl der Starter von 4099 auf über 11.000 zu einer Größenordnung angewachsen, die kaum noch Erweiterungen zuläßt. Verändert haben sich auch die Kosten der Spiele. Sie werden für London auf 10 Milliarden Euro geschätzt.

Helmut Horatschke

Sonderdruck der GRH-Zeitschrift "Der Sport-Senior", Nr. 66/März 2012 (vom RF gekürzt)

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RF-Extra
Von der Sierra Maestra zur Schlacht der Ideen
Stella Calloni im Gespräch mit Fidel Castro

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Damals in Panmunjom
Was zwei DDR-Journalisten vor 41 Jahren am 38. Breitengrad erlebten

Im Juni 1950 begann in Korea einer der blutigsten Kriege der Neuzeit. Den Imperialisten ging es dabei um die Niederwerfung einer kämpferischen Massenbewegung des sozialen Protests im Süden und die Zerschlagung des auf den Sozialismus Kurs nehmenden volksdemokratischen Staates im Norden der Halbinsel. Die Truman-Administration griff in einen innerkoreanischen Konflikt zu Gunsten feudaler Kräfte und der Kompradorenbourgeoisie ein, die mit dem japanischen Kolonialregime auf das engste verfilzt gewesen waren. Die USA und andere beteiligte Staaten tarnten ihre Aggression mit der Flagge der Vereinten Nationen, da der UN-Sicherheitsrat in Abwesenheit des Vertreters der UdSSR und bei völkerrechtswidriger Inanspruchnahme des Mandats der VR China durch Taiwan entsprechenden Forderungen Washingtons gefolgt war.

Millionen Menschen starben in einem drei Jahre währenden Krieg, in dessen Verlauf die Interventen bis an die Grenzen Chinas vordrangen und schwere Verwüstungen anrichteten. Doch der Kampfesmut der weder durch Bombenhagel noch durch bakteriologische Waffen oder atomare Drohung zu demoralisierenden Koreanischen Volksarmee war nicht zu brechen. Das Volk Nordkoreas scharte sich nur noch fester um die Partei der Arbeit und deren Führer Kim Il-Sung, der sich als Partisanenkommandeur im antijapanischen Widerstandskampf und nicht zuletzt auch aufgrund seiner volkstümlichen Art im Umgang mit der Bevölkerung ein solches Prestige erworben hatte, daß er aus - dann durch die UNO verhinderten - gesamtkoreanischen freien Wahlen als Sieger hätte hervorgehen können.

Die Tatsache, daß die Koreanische Volksarmee im Bunde mit den ihr zur Hilfe eilenden zwei Millionen chinesischen Volksfreiwilligen die imperialistischen Eindringlinge unter großen Opfern auf beiden Seiten an den Ausgangspunkt ihrer Aggression - den 38. Breitengrad - zurückzuwerfen vermochte, war ein ebenso heroisches Kapitel im Befreiungskampf der Völker wie der am 1. Mai 1975 errungene Sieg des vietnamesischen Volkes über die zweite große USA-Aggression in Asien.

Damals - während des Krieges - wurden die Männer und Frauen der Koreanischen Volksarmee überall als Helden gefeiert. Ich erinnere mich noch gut an die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1951 in Berlin. Wie 22 Jahre später Angela Davis und Chiles Gladys Marin beim X. Festival, das gleichfalls in Berlin stattfand, alle Herzen zuflogen, schlug den direkt aus der Kampflinie kommenden Soldaten und Offizieren der DVRK damals eine Woge der Sympathie und Herzlichkeit entgegen. Gemeinsam mit der französischen Kommunistin Raymonde Dien, die sich auf die Schienen gelegt hatte, um einen Waffentransport für de Gaulles schmutzigen Krieg in Indochina zu blockieren, standen die Koreaner im Zentrum der Bewunderung. Auf den Schultern von FDJlern wurden sie in das Stadion der Weltjugend getragen. Mit außerordentlicher Wärme umgab die DDR dann jene koreanischen Waisenkinder, die in Moritzburg Aufnahme fanden und dort liebevoll betreut wurden.

Während des Studiums in den 50er Jahren unterhielt ich freundschaftliche Beziehungen zu jungen Koreanern, die an der seinerzeitigen TH Dresden und anderen DDR-Hochschulen ausgebildet wurden. Auch sie hatten im Krieg ihr Leben eingesetzt, waren oft selbst verwundet worden oder betrauerten den Verlust naher Angehöriger. Besonders gefiel mir der Genosse Sin Dze-Gun, dem ich etliche Jahre später bei einem Botschaftsempfang in Berlin wiederbegegnete, wo er mir nun als Handelsrat vorgestellt wurde.

Als ich 1955 - während der V. Weltfestspiele - mit dem Schriftsteller Peter Edel und der Grafikerin Elizabeth Shaw im selben D-Zug-Abteil von Warschau nach Auschwitz fuhr, um der Opfer des deutsch-faschistischen Völkermordes zu gedenken, schloß ich auch dort Freundschaft mit Festival-Delegierten aus der DVRK. Trotz unterschiedlicher Idiome fanden wir sehr schnell eine gemeinsame Sprache.

Jahre darauf erzählten mir Hans und Mädi Grotewohl bei einem gemeinsamen Abendessen in ihrer Turmhauswohnung am Frankfurter Tor davon, wie die beiden Architekten nach dem Koreakrieg im Auftrag der DDR-Regierung beim Wiederaufbau der weitgehend zerstörten koreanischen Hafenstadt Hamhung maßgeblich mitgewirkt hatten. Während ich Hans - den Sohn Otto Grotewohls - leider nicht mehr wiedersehen sollte, traf ich Mädi vor einigen Jahren bei einer Veranstaltung in Dresden - als "RotFuchs"-Leserin.

An das Gespräch im Eßzimmer der Grotewohls mußte ich zurückdenken, als ich mich 1971 selbst in Hamhung befand, wo mir Einwohner vom Wunder der Rekonstruktion ihrer Stadt berichteten. Gemeinsam mit dem Fotoreporter Klaus Morgenstern von der "Neuen Berliner Illustrierten" war ich als Vertreter des DDR-Journalistenverbandes in die DVRK eingeladen worden. Freundschaftliche Begegnungen mit dem Chefredakteur des Parteiorgans, Rodong Sinmun, dem Generaldirektor der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA und dem Vorsitzenden des Journalistenverbandes haben sich mir besonders eingeprägt.

Am Sitz der Partei der Arbeit Koreas empfing uns einer der Sekretäre des ZK im Beisein von DDR-Botschafter Georg Henke zu einem längeren Informationsgespräch. Dabei sagte ich unserem Gastgeber, daß die Solidarität mit dem koreanischen Volk - bei anhaltender Bedrohung durch dessen imperialistische Gegner - für die Bürger der DDR niemals eine leere Worthülse sein werde.

Um das Bild des damals Erlebten abzurunden, will ich hier noch eine Episode schildern, die mir auch heute noch lebhaft vor Augen steht. Nach Absolvierung eines sehr abwechslungsreichen Programms für ausländische Gäste - es reichte vom Besuch des hauptstätischen Pionierpalastes und mehrerer gut ausgestatteter Kindergärten über eine Theateraufführung in Pjöngjang und die Besichtigung industrieller Anlagen bis zu einem Blick in landwirtschaftliche Musterbetriebe - ging die Fahrt gen Süden. Ziel war Panmunjom am 38. Breitengrad - jener Ort, dessen kleines Baracken-Ensemble den in regelmäßigen Abständen stattfindenden Treffen der Waffenstillstandskommission vorbehalten war. Als wir dort eintrafen, fanden überdies von der internationalen Öffentlichkeit sehr aufmerksam verfolgte Gespräche der Rot-Kreuz-Gesellschaften beider Hälften Koreas statt. So hatten sich hier weitaus mehr Journalisten als gewöhnlich eingefunden.

Nach freundlicher Begrüßung im Gebäude der DVRK-Kräfte begaben wir uns in jenen kargen Raum, wo die Kommission zusammenzutreten pflegte. In der Nachbarbaracke trafen sich erstmals die Rot-Kreuz-Abordnungen aus dem Norden und dem Süden. Wir begaben uns zu dem Tisch mit den Flaggen der DVRK und - irreführenderweise - der UNO.

Unser Auftauchen löste bei amerikanischen und südkoreanischen Militärs hektische Betriebsamkeit aus. Während die uniformierten Begleiter gut auf uns achteten und der Dolmetscher - ein das Englische perfekt beherrschender junger Offizier - kurz die Chronik Panmunjoms erläuterte, drückten sich an den Fensterscheiben der Baracke amerikanische GIs und andere Beobachter der Szene buchstäblich die Nasen platt.

Wie sollte man sich in einer solchen Situation verhalten? Ich hatte das Empfinden, daß unsere Freunde aus der Koreanischen Volksarmee ein paar Worte von mir erwarteten. So sprach ich - mich des Englischen bedienend - ebenfalls von der bereits historischen Lokalität, um die Bemerkung anzuschließen: Hätten gewisse Leute aus Übersee und deren Verbündete damals darauf verzichtet, mit dem Feuer zu spielen, wäre es mit Gewißheit nicht zum großen Brand gekommen. Mag sein, daß ich auch noch etwas deutlichere Formulierungen wählte, um die Verbrechen der Aggressoren zu geißeln.

Als wir die Baracke verließen - Klaus Morgenstern hatte den bizarren Vorgang auf Zelluloid festgehalten - sah ich mich plötzlich von DVRK-Journalisten umringt. Etliche Reporter stellten Fragen und erwarteten Auskünfte. Ich blieb ihnen die Antwort natürlich nicht schuldig.

Wir hatten noch eine Reihe weiterer Höhepunkte erlebt - darunter ein sehr aufschlußreiches Gespräch mit den handfesten Kommandeuren jener Einheit der DVRK-Seestreitkräfte, die das US-Spionageschiff "Pueblo" unter Kapitän Bucher in nordkoreanischen Hoheitsgewässern aufgebracht hatten - als westliche Agenturen meldeten, die regulären Verhandlungen in Panmunjom seien vorerst unterbrochen worden, da "ein nicht näher identifiziertes Individuum aus Osteuropa" am Ort der Gespräche "antiamerikanische Reden" gehalten habe.

41 Jahre danach enthülle ich das vermeintliche Geheimnis und bekenne mich heute wie damals zu der zwingenden Pflicht der Friedensbewahrung am 38. Breitengrad. Aber auch das sei noch einmal unterstrichen: Angesichts fortgesetzter Provokationen - damit meine ich vor allem die Jahr für Jahr abgehaltenen gemeinsamen Manöver der US-Besatzer und südkoreanischer Einheiten mit nördlicher Stoßrichtung - bleibt die Solidarität mit den Bürgern der DVRK auch heute ein internationalistisches Anliegen aller Kämpfer gegen den Imperialismus.

Klaus Steiniger


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Blick auf das Baracken-Ensemble von Panmunjom
- Klaus Steiniger und der Dolmetscher am Verhandlungstisch der Waffenstillstandskommission
- Improvisierte Pressekonferenz in Panmunjom
- Im Gebäude der DVRK-Kräfte Fotos: Klaus Morgenstern

Ende RF-Extra

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Iran: EU-Diplomatie flankiert Eskalation
RF-Exklusivbeitrag der Europa-Abgeordneten Sabine Lösing

Inwieweit ein direkter Krieg gegen den Iran unmittelbar bevorsteht, läßt sich nur schwer beurteilen. Daß aber die immer unverhohleneren Angriffsdrohungen, vor allem seitens der USA und Israels, Anlaß zu größter Besorgnis geben müssen, steht außer Frage. Dies wäre eine Katastrophe! So warnte etwa die renommierte Oxford Research Group zuletzt im November 2011: "Die Folgen eines militärischen Angriffs auf den Iran sind so gravierend, daß er in keiner Art und Weise ermutigt werden sollte. Wie schwierig dies auch sein mag, andere Wege zur Lösung der Krise um das iranische Atomprogramm müssen gefunden werden."

Darüber hinaus muß klar gesagt werden, daß ein - verdeckter - Krieg gegen den Iran schon längst begonnen hat: Die USA rüsten seit Jahren oppositionelle Gruppen auf, US-Spezialeinheiten operieren Berichten zufolge schon länger verdeckt im Iran, und iranische Wissenschaftler werden immer häufiger Opfer gezielter Tötungen. Dies alles geschieht, ohne daß von europäischer Seite hieran entschiedene Kritik geäußert würde. Im Gegenteil: Die Europäische Union unterstützt den derzeitigen Eskalationskurs durch ihre Krisendiplomatie und einen regelrechten Wirtschaftskrieg gegen den Iran und macht damit eine militärische Konfrontation immer wahrscheinlicher.

Was nicht vergessen werden darf ist, wie sich der Streit um das Atomprogramm entwickelt hat. Nachdem dem Iran vorgeworfen wurde, sein Atomprogramm diene der Herstellung von Nuklearwaffen, unterbreitete das Land den USA Anfang 2003 ein Verhandlungspaket zur Lösung aller strittigen Fragen, das eine historische Chance gewesen wäre. Angeboten wurden damals u. a. die vollkommene Transparenz und Kooperation hinsichtlich aller strittigen Fragen des Atomprogramms, die Hilfe bei der Stabilisierung des Irak sowie die Zustimmung zu einer Zweistaatenlösung für Israel-Palästina.

Und was taten die USA? Sie lehnten dieses Angebot auf fahrlässige Art und Weise ab! Damals plädierten führende US-Regierungsvertreter offen dafür, nach dem Irak sofort in den Iran einzumarschieren - dessen Präsident seinerzeit, wohlgemerkt, noch der pro-westliche Mohammad Khatami war. Erst nachdem sich abzeichnete, daß ein solcher Angriff durch die sich rapide verschlechternde Lage im Irak unmöglich gemacht wurde, übernahmen die sogenannten EU-3 - also Deutschland, Frankreich und Großbritannien - den weiteren Verhandlungsprozeß.

Unabhängig davon, wie man zur Atomkraft stehen mag, aus linker Sicht ist sie abzulehnen, ist ein ziviles Atomprogramm sowie die Anreicherung von Uran allen Unterzeichnerländern des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) gestattet - also auch dem Iran. Im von den EU-3 geleiteten Verhandlungsprozeß, der sich von 2004 bis 2006 hinzog, wurde dennoch vom Iran verlangt - als einziges NVV-Unterzeichnerland -, auf die Anreicherung von Uran und sogar auf den Austritt aus dem Sperrvertrag zu verzichten. Dies sind im übrigen auch heute noch die wesentlichen Forderungen.

Daraufhin erklärte sich der Iran zunächst bereit, freiwillig die Uran-Anreicherung einstweilig auszusetzen und umfassende und unangekündigte Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) zuzulassen (sog. Safeguard-Kontrollen). Zu all dem war und ist das Land nicht verpflichtet, es war eine Geste des Entgegenkommens, die als vertrauensbildende Maßnahme eine Verhandlungslösung begünstigen sollte.

Der Iran wollte im Austausch für seine Zugeständnisse eigentlich nur eine Sache: eine verläßliche Sicherheitsgarantie. Was dem von US-Truppen umzingelten und mit Kriegsdrohungen überhäuften Land aber angeboten wurde, war lediglich die Versicherung, nicht mit französischen und/oder britischen Atomwaffen angegriffen zu werden. Der dann Anfang 2006 unterbreitete iranische Vorschlag, die Anreicherung für zwei weitere Jahre auszusetzen, wenn die Frage einer umfassenden Sicherheitsgarantie wenigstens debattiert würde, wurde ebenfalls abgelehnt. Vor diesem Hintergrund nahm der Iran 2006 seine Anreicherungsaktivitäten wieder auf.

Mit der Resolution 1737 (2006) verabschiedete der UN-Sicherheitsrat erstmals Sanktionen gegen den Iran, die mit Resolution 1747 (2007) und 1803 (2008) weiter verschärft wurden. Als Begründung diente die - weiterhin unbewiesene - Behauptung, das iranische Atomprogramm diene der Entwicklung von Atomwaffen.

Mitte 2009 bahnte sich dann eine weitere Eskalation an: Der Iran erklärte, sein Uran nicht wie bislang auf 3,5 %, sondern für medizinische Forschungszwecke auf 20 % anreichern zu wollen (atomwaffenfähiges Uran muß auf etwa 90 % angereichert sein). Daraufhin schlug die Internationale Atomenergiebehörde vor, der Iran solle niedrigangereichertes Uran nach Frankreich und Rußland exportieren und im Gegenzug stärker angereichertes für seine Forschungsarbeiten erhalten. Nachdem dies vom Iran akzeptiert wurde, lehnten vor allem die USA den Vorschlag ebenso ab wie eine ähnliche Initiative im Mai 2010 unter Führung Brasiliens. Der Iran erklärte sich im Grundsatz mit diesen Vorschlägen einverstanden, allerdings nur, sollte es zu keinen weiteren Sanktionsrunden kommen. Mutmaßlich um eine solche Verhandlungslösung zu torpedieren, wurden die Sanktionen mit Sicherheitsratsresolution 1929 im Juni 2010 weiter verschärft.

Die bislang letzte Drehung der Eskalationsspirale erfolgte im Anschluß an die Veröffentlichung des aktuellen IAEO-Berichts im November 2011. Dessen Kernaussage lautet, es ließen sich Anhaltspunkte - wohlgemerkt, keine Beweise - finden, daß bis 2003 ein Programm zum Bau einer Atomwaffe existiert habe. Zu heute sagt der Bericht lediglich: "some activities may still be ongoing" - "einige Aktivitäten mögen weiterhin laufen". Der Bericht liefert also keinerlei Beweise, daß der Iran eine Atomwaffe baut. Dennoch diente er den USA und der Europäischen Union als Rechtfertigung, die weit über den UN-Rahmen hinausgehenden unilateralen Sanktionen nochmals massiv zu verschärfen. So beschloß die Europäische Union am 1. Dezember 2011 bekanntlich die Einstellung von Ölimporten aus dem Iran.

Angesichts der sich immer weiter zuspitzenden Situation bedarf es dringend vertrauensbildender Maßnahmen. Die Destabilisierungskampagne und die verdeckte Kriegsführung müssen sofort beendet und Verhandlungen ohne Vorbedingungen aufgenommen werden. Dem Iran muß endlich ein substantielles Angebot in Aussicht gestellt werden - vor allem eine Nichtangriffsgarantie im Austausch für Zugeständnisse bei der Überwachung seines Atomprogramms. Statt dessen wird immer weiter an der Eskalationsspirale gedreht, wodurch sich der Verdacht aufdrängt, daß ein Regimewechsel das eigentliche Ziel der westlichen Politik ist.


Unsere Autorin ist Abgeordnete des Europaparlaments und gehört der Fraktion der Konföderalen Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke an.

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Licht am Ende des Tunnels
Seit 1997 in USA-Haft, entwirft Kurt Stand jetzt Zukunftspläne

Nach 14 Jahren im Gefängnis gibt es endlich Licht am Ende des Tunnels. Zu irgendeinem Zeitpunkt in diesem Jahr werde ich in den offenen Vollzug entlassen und bald darauf nach Hause. Das ist eine Perspektive, auf die ich mit großen Erwartungen, aber auch - zugegeben - mit ein wenig Bangen blicke. Das ist eine Mischung von Gefühlen, welche die meisten Menschen, die lange eingekerkert waren, kennen. Der Grund für die großen Erwartungen ist offensichtlich: Entlassung heißt in der Lage zu sein, am Leben teilzuhaben, die Freiheit zu besitzen, kleine und große Entscheidungen selbst zu treffen, was das Gefängnis natürlich nicht gestattet. Der Grund für das Bangen sollte ebenfalls offensichtlich sein: Entlassung heißt, sich mit der Unsicherheit konfrontiert zu sehen, wo man selbst hineinpaßt, wie man seinen Platz in einer immens veränderten Welt findet, nachdem man im Gefängnis ein Leben führte, das scheinbar völlig unabänderlich war.

Doch ich kann mit Bestimmtheit sagen, daß ich, wenn meine Strafe endet, auf festem Boden stehen werde. Seit dem Tag meiner Verhaftung haben mir Familie und Freunde beigestanden, und ebenso Genossen von nah und fern. Aus Deutschland war die Unterstützung besonders stark. Und deshalb möchte ich als erstes meinen Dank an die GRH-Mitglieder, an die Herausgeber und Mitarbeiter der "jungen Welt" und des "RotFuchs" übermitteln - aber auch an alle, die mir geschrieben haben, Petitionen unterzeichneten, mit anderen über das Unrecht unserer Verurteilung sprachen und dabei an mich und meine Mitangeklagten, den bereits entlassenen Jim Clark und die noch inhaftierte Theresa Squillacote, dachten. Jeder von Euch wird in meinen Gedanken bleiben, und, während es zu viele gibt, um ihnen namentlich zu danken, möchte ich Hans Kaiser hier hervorheben, der meine Artikel für die "junge Welt" aufbereitete und so viel mehr getan hat, als daß ich es aufzählen könnte. Ein Danke muß an dieser Stelle reichen. Bitte seid gewiß, daß es viel mehr ausdrückt, als Worte vermitteln können. Einzeln und als Kollektiv habt ihr mir durch eure Solidarität, die politische Unterstützung und persönliche Güte seit meiner Verhaftung 1997 viel Kraft gegeben. Und ebenso stärkt ihr mich, wenn ich an die Zeit meiner Entlassung denke.

Diese Solidarität hat für mich große Bedeutung, denn sie repräsentiert die Fortsetzung der besten Traditionen des deutschen Marxismus, eines Erbes, von dem die DDR ein wesentlicher Teil war. Ich achte dieses Erbe. Mit ihm bin ich aufgewachsen. Wie viele von euch wissen, verstarben meine Eltern im Verlauf der beiden letzten Jahre. Es ist traurig, daß sie den schönen Augenblick meiner Freilassung nicht mit mir teilen können. Meine Eltern und Großeltern gehörten in den 30er Jahren zu den antifaschistischen Flüchtlingen, die bewußt versuchten, die Verbindung zwischen der revolutionären Bewegung in Deutschland und der jener Deutsch-Amerikaner, die Beiträge zum Aufbau einer marxistischen Präsenz in der Arbeiterklasse der USA leisteten, aufrechtzuerhalten. Seit meiner frühesten Jugend kannte ich die Namen Bebel, Liebknecht, Lassalle, Luxemburg, Liebknecht und Lenin, natürlich auch Thälmann und Dimitroff. Ich erfuhr vom Einfluß der Exilanten des Jahres 1848 auf die Haymarket-Märtyrer Chicagos und die Gründung von sozialistischen und kommunistischen Organisationen in den USA. Zu wenig erinnert man sich jedoch an Menschen wie Joseph Weydemeyer, August Spies, Charles Ruthenberg und andere Männer und Frauen, die bereit waren, die schwere Aufgabe zu übernehmen, den Gedanken der Solidarität als Bindeglied zwischen den Kämpfen für soziale Gerechtigkeit und revolutionären Bestrebungen aufrechtzuerhalten. Kenntnis der Vergangenheit half, mein eigenes Engagement zu formen.

In den 50er Jahren wurde ein Großteil dieses Erbes durch das Zusammenspiel von Repression unter McCarthy und den scheinbaren Erfolgen der US-Expansion in der Ära des Kalten Krieges zerstört. Es wurde auch durch die Fehler geschwächt, die von Bewegungen unter Belagerung zwangsläufig begangen worden sind, als sich die Umstände, die einmal zu ihrer Bildung geführt hatten, veränderten. Dennoch war ich immer in der Lage, Spuren der marxistischen Tradition in der deutschamerikanischen Arbeiterbewegung zu finden, in den radikalen Traditionen anderer Gruppierungen, in meiner eigenen Aktivität bei Arbeitskämpfen, Anti-Kriegs- und Anti-Rassismus-Kampagnen vom Ende der 60er bis in die 90er Jahre. So sehen wir auch in jedem neuen Ausbruch sozialer Unruhen und Proteste, wie z. B. denen der Gewerkschafter von Wisconsin am Beginn des Jahres 2011 und den "Occupy Wall Street"-Blockaden die Wiederaufnahme und Weiterentwicklung von Traditionen und Initiativen der Vergangenheit.

Ich bewahre das Erbe der DDR. Daß dieser Versuch, den Sozialismus aufzubauen, eine Gesellschaft zu errichten, die sich auf gegenseitige Unterstützung und internationale Solidarität gründet, fehlschlug, ist eine schmerzhafte Erfahrung, denn das, was während seines Bestehens erreicht wurde, ist es wert, erhalten und weiterentwickelt zu werden. Aber wenn ihre Errungenschaften zusammen mit einer ehrlichen Analyse von Fehlern und Schwachpunkten in Betracht gezogen werden, habe ich keinen Zweifel: Was die DDR repräsentierte, wird eine sozialistische Zukunft in Deutschland und darüber hinaus positiv beeinflussen.

Ich weise auf all das hin, weil es wichtig ist, Rückschläge und Niederlagen im Zusammenhang mit dem fortdauernden Bestreben der Menschheit zu betrachten, der Ausbeutung ein Ende zu setzen und eine Welt ohne Mangel und Armut zu schaffen, damit sich die Schöpferkraft und die Möglichkeiten jedes einzelnen entfalten können. Es ist diese Überzeugung, die mich die letzten 14 Jahre geleitet hat. Ich habe, so wie es Nazim Hikmet in seinem Gedicht für alle Eingekerkerten empfahl, mehr an Meere und Berge gedacht als an Rosen und Gärten. Jetzt, wo ich auf meinen unmittelbar bevorstehenden Schritt durch das Gefängnistor blicken kann, schließe ich beides in meine Gedanken ein. Das heißt, jener Ungerechtigkeit entgegenzutreten, wie wir sie 2011 in der Hinrichtung von Troy Davis gesehen haben, aber auch in den lebenslangen Strafen eines rachsüchtigen Gerichtssystem für jene Kubaner, deren einziges "Verbrechen" darin bestand, ihre Gesellschaft vor der von den Küsten der USA ausgehenden Gewalt zu schützen.

Doch trotz all des Leids, das wir sehen, besteht auch Hoffnung. Ich bin davon überzeugt, daß wir, solange wir für andere leben, auch die Fähigkeit besitzen, zu lernen und zu lehren, einen Sinn zu finden und etwas Bedeutungsvolles zu schaffen, um einen Standpunkt einzunehmen. So sehe ich meine Zukunft.

Kurt Stand, USA


Dieses Manuskript beruht auf einer Rede, die von Kurts Frau Lisa auf einer Veranstaltung am 12. November 2011 in Berlin auf englisch vorgetragen und durch W. Thiel übersetzt wurde.

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Der Fuchs im Hühnerstall
Ein neues Buch des belgischen PTB-Führers Peter Mertens sorgt für Furore

Der Name der Partei der Arbeit Belgiens (PTB) ist längst zum Synonym für zielklare, prinzipienfeste und zugleich elastische Politik einer äußerst erfolgreichen marxistischen Kraft in Westeuropa geworden. Nicht ohne Grund stützen sich viele Artikel im RF auf eine gedankensprudelndeQuelle: die zweisprachig - in flämisch und französisch - erscheinende PTB-Wochenzeitung "Solidaire", an deren Niveau sich inzwischen andere Publikationen kommunistischer und linker Parteien messen lassen müssen.

Unlängst hat PTB-Präsident Peter Mertens, der bereits durch vorangegangene Bücher auf sein theoretisches Kaliber aufmerksam machte, einen neuen Titel "Comment osentils?" vorgelegt, der selbst im mehrheitlich konservativ oder sozialdemokratisch orientierten Belgien sofort zu einem echten Bestseller geworden ist. "Wie können sie es wagen?" - läßt sich übrigens auch mit "Wie können sie sich erdreisten?" übersetzen. Es geht darum, daß 0,5 % der Weltbevölkerung 38,5 % aller Reichtümer der Erde an sich gerissen haben. "Die Krise, der Euro und der große Raubüberfall", lautet der Untertitel des von Peter Mertens vorgelegten Werkes. Während Anfang Mai bereits 17.000 Exemplare der im Dezember 2011 erstmals in Antwerpen präsentierten niederländischen Version - sie nimmt den vierten Rang unter den 100 am besten gehenden Büchern Flanderns ein - verkauft waren, ist inzwischen auch die französischsprachige Fassung auf dem Weg zum ganz großen Erfolg.

Deren Vorstellung erfolgte übrigens am 22. März in dem mit 800 Teilnehmern voll besetzten Brüsseler Nationaltheater. Unter den Laudatoren des Buches, die in bequemen Sesseln auf der Bühne Platz genommen hatten, sah man Jean Hermesse, den Generalsekretär Christlicher Wohlfahrtseinrichtungen, Dominique Sicot, stellvertretende Chefredakteurin der Pariser Wochenzeitung "Humanité Dimanche", den Generalsekretär des belgischen Gewerkschaftsdachverbandes FGTP Paul Lootens und andere Prominente verschiedener demokratischer Richtungen. Am Tag der Premiere hatten von der gerade erst erschienenen frankophonen Fassung bereits 3000 Exemplare ihre Käufer gefunden.

"Peter, Du hast es geschafft, Flandern die Hoffnung zurückzugeben", leitete Jean Hermesse seine Bemerkungen ein. "Das Buch wärmt das Herz und ist wie eine Oxygen-Dusche", begann Dominique Sicot ihren Beitrag. Thierry Bodson, Generalsekretär der wallonischen Gewerkschaftszentrale FGTP erklärte nach der Lektüre des Mertens-Titels: "Die Krise ist kein Unglücksfall. Wir sind nicht dazu verdammt, für ihre Krise zu zahlen. Wir stellen die überwältigende Mehrheit der Menschen dar - 99 %. Die anderen sind das eine Prozent jener, deren Gier alles zerstört und verarmen läßt. Unsere Sache ist es, sie daran zu hindern. In diesem Sinne betrachte ich das Buch von Peter Mertens als eine Waffe. Es ruft kraftvoll zur Debatte der Ideen und zum Widerstand auf. Es enthält eine ganze Batterie von Vorstellungen für die Linke. Eine Linke, die nicht widerruft und die fähig ist, sich zu sammeln. Eine Linke, die dem Kapitalismus die Alternative eines emanzipatorischen Sozialismus entgegenzustellen wagt."

Peter Mertens, dessen Buch - eigene Erwartungen weit in den Schatten stellend - ein solcher Volltreffer geworden ist, hält den Erfolg für einen Beweis dessen, daß die Menschen nach schlüssigen Antworten auf die Krise suchen, denen die tonangebenden Medien entweder ausweichen oder nur fragmentarisch Rechnung tragen. Das belgische Establishment tanze zu deutscher Musik: Ein Teil empfehle das untaugliche "Modell" der Verarmung und des Lohndumpings, während ein anderer - darunter die Sozialdemokraten - schweigend an demselben Ballett teilnehme. Aller Widerstand aber beginne mit Information, sagte Mertens. Wenn die Leute sich Fragen stellten, sei das bereits ein erster Schritt zur Revolte. 2011 müsse als ein überaus dramatisches Jahr betrachtet werden - mit nicht weniger als 18 Generalstreiks, betonte der PTB-Vorsitzende. Sein Buch, dessen Übersetzung auch in andere Sprachen erwogen oder schon betrieben werde, handele von einem System in der Sackgasse der Wirtschafts- und Euro-Krise, bei der es sich weder um eine rein belgische noch um eine europäische Frage, sondern um ein Weltproblem handele.

Zweifellos haben viele andere Autoren seit den Tagen von Marx, Engels und Lenin dazu beigetragen, die gezinkten Karten des unheilvollen kapitalistischen Spiels aufzudecken. Doch das Werk von Peter Mertens hat auf ganz besondere Weise für Furore gesorgt. Wenn ein erklärter und bekannter Marxist in Belgien die Rolle des Fuchses im Hühnerstall übernehmen kann, spricht das wohl Bände.

Auf eine deutsche Version von "Wie können Sie sich erdreisten?" dürfen alle gespannt sein, die von dem durch Merkel und Gauck verkauften Kapitalismus in den Farben der Ackermanns, Henkels und Hundts die Nase voll haben.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Wie sich NATO und EU der Arabischen Liga bedienen
Erfüllungsgehilfen des "Westens"

Seit dem vergangenen Jahr hat sich eine 1945 gegründete und inzwischen 22 Mitgliedsstaaten umfassende Organisation als bevorzugte Würgeschlinge zum Erdrosseln einen selbständigen Kurs verfolgender und deshalb ins Fadenkreuz des Imperialismus geratener Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens erwiesen: die Arabische Liga. Sie ist zu einem wichtigen Instrument der Feinde einer unabhängigen nationalen Entwicklung geworden. Die Arabische Liga, in der Saudi-Arabien und andere noch im Feudalismus verharrende Golfstaaten längst den Ton angeben, war 2011 maßgeblich an der durch die NATO exekutierten Zerschlagung des Libyens von Gaddafi beteiligt. Jetzt fällt ihr ein wichtiger Part bei der imperialistischen Operation zur in Etappen verlaufenden Vertreibung Assads von der syrischen Staatsspitze und zur Wiederherstellung der "westlichen" Kontrolle über Damaskus zu.

In den Brüsseler Zentralen von NATO und EU ist man unter Berücksichtigung in Libyen gesammelter Erfahrungen zu der Erkenntnis gelangt, widerspenstige arabische Staatsführungen nicht mehr eigenhändig zu erdrosseln, sondern vielmehr von arabischen Händen erwürgen zu lassen.

Hierfür bietet sich in den Augen des "Westens" die Arabische Liga an. Sie hat in ihrer 67jährigen Geschichte erst zweimal die Mitgliedschaft ihr zugehöriger Staaten - als Teil gegen diese eingeleiteter Repressalien - durch Beschluß suspendiert: Das betraf Libyen im März, Syrien im November 2011. Als Vorwand diente in beiden Fällen die vermeintliche Sorge um die Sicherheit bedrohter Zivilisten, die gewalttätiger Repression seitens der jeweiligen Machtorgane ausgeliefert seien. Dabei gingen die imperialistischen Auftraggeber der Akteure davon aus, daß eine Intervention ohne Absegnung durch die Liga den Eindruck des klassischen Kolonialismus erzeugen würde. In beiden genannten Fällen verfuhr man nach dem gleichen taktischen Konzept: Schüren von Gewalt und Herbeiführung einer instabilen Lage, Bewaffnung einheimischer oppositioneller Gruppen, Einschleusen terroristischer Banden unter Führung eigener "Experten" und Bezichtigung der Ordnungskräfte des attackierten Landes von ihnen angeblich begangener "Menschenrechtsverletzungen". Eine solche "Gemengelage" rechtfertigt erforderlichenfalls auch ein direktes Eingreifen eigener Formationen der imperialistischen Mächte, die ihren "arabischen Freunden" dann auf deren Appell hin zu Hilfe eilen. Bekanntlich erfolgte der sieben Monate anhaltende NATO-Bombenterror gegen Libyen nach einem dringenden "Hilferuf" der Arabischen Liga.

Die Formierung der "Freien Syrischen Armee" ist nur eine andere Variante dieses taktisch-strategischen Vorgehens. Es war die Arabische Liga, die das "Assad-Regime" vor dem UN-Sicherheitsrat anklagte, wobei das Manöver dieses Mal am russischchinesischen Widerstand scheiterte. Beide Staaten hatten offenbar ihre "libysche Lektion" gelernt. So wurde im Fall Syriens ein "Blitzkrieg" verhindert.

Aufschlußreicherweise stimmte die russisch-chinesische Position, die von den NATO-Staaten im Sicherheitsrat sofort wütend attackiert wurde, mit Erkenntnissen einer Beobachtermission der Arabischen Liga überein, die zur selben Zeit - Monate vor dem Eintreffen Kofi Annans - nach Syrien entsandt worden war. Deren Erklärung, es handele sich um von "bewaffneten Oppositionsgruppen ausgehende Gewalt", wurde durch das Sekretariat der Liga sofort zurückgepfiffen.

Den eigentlichen Hintergrund der imperialistischen Attacken auf Syrien bildet die seit langem bestehende enge Verbindung zwischen Damaskus und Teheran, die sich auch auf die Zugehörigkeit beider Staatsführungen zur schiitischen Glaubensgemeinschaft stützt, welche in der syrischen Bevölkerung allerdings minoritär ist. Dabei steht außer Zweifel, daß die strategischen Interessen des Imperialismus in erster Linie auf das nahöstliche und mittelasiatische Öl gerichtet sind. Zugleich aber geht es um die politisch-militärische Vorherrschaft in einem Raum, in dem russische, chinesische und "westliche" Interessen scharf aufeinanderprallen, was die Gefahr eines nicht mehr regional begrenzbaren Konflikts im Falle eines Angriffs auf Iran außerordentlich erhöht. Übrigens war die Arabische Liga ursprünglich mit dem Ziel ins Leben gerufen worden, "die Unabhängigkeit und Souveränität ihrer Mitglieder zu verteidigen". Syrien gehörte damals zu den sieben Gründerstaaten.

Der Kurswechsel in der Liga erfolgte mit dem Aufstieg solcher vor allem durch die USA, nicht zuletzt aber auch seitens der BRD protegierter erzreaktionärer Golfstaaten wie Saudi-Arabien, Qatar, Kuwait, Bahrein, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Oman, die inzwischen in den Leitungsgremien den Ton angeben. Sie führen den antisyrischen Reigen ebenso an, wie sie im Falle Libyens Öl ins Feuer gegossen haben. Ist es nicht grotesk, daß diese Bollwerke der finstersten Reaktion, die jeden inneren Widerstand brutal unterdrücken, sich jetzt an die Spitze derer stellen, die Damaskus zu "größeren politischen Reformen" drängen wollen? Die sunitischen Monarchien der Nahostregion werden für ihr rabiates Vorgehen gegen unabhängige arabische Nachbarstaaten allerdings reich belohnt. Sie stehen - was auch durch die Präsenz von Marine- und Luftwaffenverbänden der USA manifestiert wird - unter dem Schutzschirm des Pentagons und der NATO.

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney

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Wachsende Armut in Israel

Etwa 20 % der 7,2 Millionen Einwohner des Staates Israel sind palästinensische Araber - Semiten wie die Juden selbst. Die Tatsache, daß etwa ein Viertel der rund 1,5 Millionen Palästinenser auf Wohlfahrtsleistungen angewiesen ist, dürfte wohl kaum Verwunderung hervorrufen. Doch auch viele Juden befinden sich unter den Opfern eines voranschreitenden Verelendungsprozesses. Zwischen 1998 und 2010 ist die Zahl in Israel lebender Familien, die wegen Armut soziale Zuwendungen in Anspruch nehmen mußten, um 298.000 auf 447.300 angestiegen.

In welchem Ausmaß davon auch jüdische Bürger Israels betroffen sind, haben die Massenproteste des vergangenen Jahres - vor allem die gewaltigen Straßendemonstrationen vom 6. August mit 300.000 Teilnehmern in Tel Aviv und vom 4. September mit 450.000 Beteiligten in etlichen Städten des Landes gezeigt. Etwa 6 % der Gesamtbevölkerung Israels brachten bei diesen Aktionen ihren Unmut über die soziale Entwicklung unter der rechtszionistisch-faschistoiden Regierung Netanjahu-Lieberman zum Ausdruck. Daß im letzten Sommer monatelang Tausende Protestierer auf Tel Avivs Magistrale - dem Rothschild-Boulevard - ihre Zelte aufgeschlagen hatten, war ein Indiz dafür, daß auch Israels Mittelschichten sowie viele Studenten und junge Intellektuelle mit der innenpolitischen Entwicklung - vor allem der rasanten Verteuerung lebenswichtiger Güter des täglichen Bedarfs und der Verkehrstarife - unzufrieden sind. Während die Preise unablässig steigen, blieben Löhne und Gehälter nahezu unverändert.

Die einzige politische Kraft des Landes, die sich der Protestbewegung ohne jegliche Vorbehalte oder Einschränkungen angeschlossen hat und sich sowohl aus linken jüdischen als auch aus fortschrittlichen palästinensischen Bürgern des Landes rekrutiert, ist die KP Israels. Sie hat bei allen bisherigen Aktionen des Widerstandes eine nicht unwesentliche Rolle gespielt.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel und "The New Worker", London

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Saudi-Arabien - eine in Erdöl getränkte feudale Diktatur
Bissige Schoßhunde

Wenn der "Westen" - die "internationale Gemeinschaft" - schonend und salbungsvoll mit der noch tief im feudalen Absolutismus verharrenden wahabitischen Monarchie umgeht, dann weiß man, daß es dafür einen entscheidenden Grund gibt: Bei Saudi-Arabien handelt es sich nämlich um den größten Erdölexporteur der Welt. Überdies ist Riad ein äußerst wichtiger und bislang sehr verläßlicher Bündnispartner der USA. Verwiesen sei auf die beiden Aggressionskriege gegen Irak. Saudi-Arabien gehört zu den territorial größten Staaten der Erde. Auf einer Fläche von 2,24 Millionen Quadratkilometern leben indes nur annähernd 29 Millionen Menschen, also 11,8 Einwohner pro km². Nehmen wir zwei andere Staaten zum Vergleich: In Syrien sind es 113, in Libanon 380. Unter dem Aspekt bisher im Weltmaßstab erkundeter Erdölreserven liegt Saudi-Arabien mit 40 Mrd. Tonnen an erster Stelle, gefolgt von Irak mit 38 Mrd. Tonnen.

Schon die 1957 verkündete Eisenhower-Doktrin stellte die Weichen für das militärische Bündnis mit Saudi-Arabien. Das Ziel bestand darin, die USA-Vorherrschaft in der Region durchzusetzen. Heute wird das Land von Paris bis Tokio und nicht zuletzt vom Berliner Herrschaftsklüngel hofiert. Die "internationale Gemeinschaft" gestattet es Saudi-Arabien, in den Nachbarstaaten Jemen und Bahrain direkt zu intervenieren, um Proteste Unterdrückter und Entrechteter niederzuschlagen - mit Waffen, die Riads westliche Gönner dem Land unter Mißachtung aller Gebote des Völkerrechts großzügig und gegen gute Bezahlung immer wieder ersetzen. Beim jüngsten Besuch des die Minipartei FDP im Merkel-Kabinett "repräsentierenden" BRD-Außenministers, der im März in der saudischen Hauptstadt verhandelte, hat nach Auskunft von Westerwelle die Lage in und um Syrien eine wesentliche Rolle gespielt. Auf der abschließenden gemeinsamen Pressekonferenz hob sein saudischer Amtskollege hervor: "Deutschland ist eines der Länder, mit denen wir bei der Bewaffnung zusammenarbeiten wollen." Öffentlich verkündete dann das für Kriegsangelegenheiten zuständige Kabinettsmitglied Saudi-Arabiens Interesse an der Lieferung von mehr als 200 weiteren Kampfpanzern aus bundesdeutscher Produktion. In Berlin wird offensichtlich nicht ohne Wohlwollen zur Kenntnis genommen, daß die Saudis mit diesen BRD-Waffen Al-Quaida-Terroristen ausstatten, die in Syrien für Unruhe sorgen.

Und ebenso ungerührt wird weiter geliefert, wenn Riad mit Panzern aus der BRD aufbegehrende Bahrainis niederwalzen läßt. Andere stets als Menschenrechtsapostel auftretende Politiker - außer Merkel und Westerwelle vor allem auch Hillary Clinton und die EU-"Außenpolitikerin" Catherine Ashthon - sehen kulant darüber hinweg, daß Saudi-Arabien allein im Jahre 2011 mehr als 70 Menschen hat hinrichten lassen - darunter eine Frau, die das mittelalterliche Regime der "Hexerei" bezichtigte. Freitags werden Köpfe abgeschlagen und "Sünderinnen" gesteinigt - oft für Bagatelldelikte. In Syrien wäre so etwas völlig undenkbar.

Als im Frühjahr 2011 das vom Westen aus Irreführungsgründen zur "Revolution" hochstilisierte Aufbegehren überwiegend junger Menschen gegen Perspektivlosigkeit, Diskriminierung und Unterdrückung elementarer Rechte viele arabische Länder erfaßte, gingen Saudi-Arabiens absolute Herrscher brutal gegen Proteste der Jugend vor und suchten sie als "neue Form des Terrorismus" zu diffamieren. Das störte die Wortführer der "internationalen Gemeinschaft" in keiner Weise, da die saudischen Prinzen im Bunde mit Katar in Libyen und Syrien vom Imperialismus gehätschelte "Rebellen" mit allen Mitteln unterstützen. Obwohl 1962 offiziell abgeschafft, besteht in Saudi-Arabien die Sklaverei in kaum verdeckter Form fort. Frauen dürfen zwar Kampfpilotinnen sein, Autofahren ist ihnen auf den heimischen Straßen aber unter Androhung und Anwendung drakonischer Strafen strengstens untersagt. Ihnen ist es z. B. auch verboten, an Olympischen Spielen teilzunehmen. Man stelle sich vor, Iran würde sexuelle Diskriminierung dieser Art praktizieren - eine internationale Protestkampagne wäre das mindeste, was dann losgetreten würde.

Am 15. März brachen die Herrscher in Riad als Vorreiter anderer arabischer Golfstaaten auf USA-Geheiß die diplomatischen Beziehungen mit Damaskus ab und kündigten zugleich Waffengeschenke für die syrischen Regierungsgegner an.

Die zunehmend selbstbewußten saudischen Herrscher verstehen es übrigens sehr gut, das Interesse der USA und weiterer Staaten des Westens an den wirtschaftlichen Potenzen des Landes zu nutzen, um diesen gegenüber auch eigene Positionen durchzusetzen. Als Washingtons bissige Schoßhunde erwiesen sie sich nicht zuletzt durch ihre Intervention in Bahrain. Dabei betrachten die USA das kleine Königreich - ihren wichtigsten Flottenstützpunkt am Golf - als eigenes Territorium. Die imperialistische Weltmacht, die dort eine ständig anwesende Flugzeugträgergruppe stationiert und in dem Ministaat doppelt so viele Soldaten unterhält wie Bahreins Armee (9000 Mann) angehören, nimmt unter diesen Umständen gewisse Eigenmächtigkeiten der Saudis hin.

Zu ihrem Entsetzen wurden die absolutistischen Potentaten auf der Arabischen Halbinsel allerdings dessen gewahr, daß die "treuen" Verbündeten aus Übersee und deren europäische Gefolgschaft nach dem Sturz ihrer willfährigen Günstlinge in Ägypten, Tunesien und Jemen diese wie heiße Kartoffeln fallen ließen.

Den Machthabern in Riad und anderswo schwant ein ähnliches Schicksal, denn auch ihre Untertanen dürften es nicht auf ewige Zeiten hinnehmen, in mittelalterlicher Manier der Grundrechte beraubt, entmündigt und unterdrückt zu werden.

Bernd Fischer, Vorbeck

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Arthur Goldreichs Liliesleaf-Farm
Als das geheime Hauptquartier der KP Südafrikas und des ANC ausgehoben wurde

Der 1929 geborene und im Mai 2011 verstorbene Arthur Goldreich war eine Schlüsselfigur der südafrikanischen Widerstandsbewegung gegen Pretorias ultrarassistische Apartheidpolitik. In der britischen Zeitschrift "The Socialist Correspondent" hat sein enger Mitstreiter und Freund Denis Goldberg, der im berüchtigten Rivonia-Prozeß verurteilt wurde und 22 Jahre im Gefängnis saß, das Geheimnis um Goldreich gelüftet.

Arthur sei als Designer für eine große Warenhauskette tätig gewesen, erfahren wir. Er habe vielfältige Kontakte zu Musikern, bildenden Künstlern und Schauspielern unterhalten, wobei er stets gegen die offizielle Politik der Rassentrennung aufgetreten sei, mit der vor allem schwarze Südafrikaner ausgegrenzt werden sollten.

Seine persönliche Verbindung zu Arthur reiche bis in den Mai 1963 zurück, berichtet Goldberg, Damals hätte ihn das ZK-Mitglied der KP Südafrikas Joe Slovo, der wie Nelson Mandela zu den Gründern von Umkhonto we Sizwe - des bewaffneten Arms des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) - gehört habe, mit Arthur bekanntgemacht.

Dieser bewohnte mit seiner Frau Hazel und zwei Söhnen ein großzügiges Anwesen an der Peripherie von Johannesburg - die Liliesleaf-Farm. Das Haus - ein für jene Zeit fast palastartiges Gebäude - hätten 12 ha Land umgeben, sagte Goldberg. Die Familie habe alles - auch die Fassade - bestens in Schuß gehalten. "Nichts deutete darauf hin, daß in diesem Ambiente etwas Außergewöhnliches geschah", fuhr Goldberg fort. In Wirklichkeit beherbergte das Haus den illegalen Kampfstab der südafrikanischen Kommunisten und des unter Mitwirkung der Partei entstandenen ANC.

In einer auf dem Grundstück gelegenen Dependance wohnte ein gewisser David Matsumayi, der als Landarbeiter und Hausbursche posierte. Es handelte sich um keinen anderen als Nelson Mandela. "Die Familie riskierte viel für den hartbedrängten ANC-Kämpfer, den die Medien Südafrikas damals Black Pimpernel nannten. Denn für die Geheimpolizei war er der "am meisten Gesuchte". Unter Anspielung auf Scarlet Pimpernel - eine Gestalt des Romanciers Alexandre Dumas - sagte man damals: "Sie suchen ihn hier, sie suchen ihn dort, sie suchen ihn überall."

Liliesleaf bot indes nicht nur der Zentrale der SACP, so die englische Abkürzung für die Südafrikanische KP, Unterschlupf, sondern beherbergte auch das Headquarter des ANC sowie das Oberkommando der bewaffneten Kräfte, die sich - auf deutsch - "Speer der Nation" nannten.

"Ich bewunderte den Mut und die Ergebenheit von Arthur und Hazel, die buchstäblich auf einem Pulverfaß saßen, das jeden Augenblick hochgehen konnte. Ihr Leben und die Zukunft ihrer Kinder standen auf dem Spiel. Zu den 'Dauergästen' des Anwesens gehörten die besten und kühlsten Köpfe Südafrikas - neben Joe Slovo auch Walter Sisulu und andere, die später an die Spitze der SACP und des ANC traten."

Goldberg berichtete weiter: "Arthur war der Chef des Logistik-Komitees unseres Oberkommandos, und er übergab mir die von ihm selbst entwickelten Skizzen für verschiedene Waffen, darunter auch Granaten und Landminen. Er war es, der meine Maske entwarf, die mich mit Vollbart und Nickelbrille wie einen Rabbiner aussehen ließ.

Unsere Sicherheit wurde ernsthaft dadurch gefährdet, daß etliche Genossen, die in aller Öffentlichkeit politisch tätig waren, die Liliesleaf-Farm immer wieder aufsuchten. Weil wir aber noch kein alternatives Quartier besaßen, wurde trotz der über uns schwebenden Drohung für den 11. Juni 1963 eine letzte Beratung des Oberkommandos vom 'Speer der Nation' auf der Farm einberufen. Als unser Treff gerade beginnen sollte, umstellte die Geheimpolizei den gesamten Komplex und nahm alle Teilnehmer fest - auch Arthur und Hazel, als diese von der Arbeit nach Hause kamen.

Arthur und Harold Wolpe konnten durch Bestechung eines jungen Polizisten während der 90tägigen Festhaltefrist ohne Haftbefehl entweichen, doch der erwartete Fluchtwagen blieb aus. So traten sie den Fußmarsch an. Als sie gerade an einer auf Rot geschalteten Ampel standen, stoppte neben ihnen ein Fahrzeug mit einem berühmten Theaterintendanten am Steuer. Er brachte die beiden zunächst einmal in Sicherheit. In Botswana, wohin sie sich durchgeschlagen hatten, sei dann ein von Tansanias Präsident Julius Nyerere entsandtes Flugzeug, das die Flüchtigen aufnehmen sollte, durch südafrikanische Agenten auf der Piste gesprengt worden. Schließlich gelang es, eine andere Maschine zu chartern, die Arthur und Harold nach Daressalam brachte.

Arthur ließ sich später in Israel nieder und wurde dort Professor für Design und Architektur. Er nahm in den politischen Auseinandersetzungen um die Palästinenserfrage stets eine klare Position gegen Tel Avivs zionistischen Kurs ein. Vor allem wandte er sich gegen dessen Paktieren mit den USA und anderen westlichen Mächten. 1982, als Libanon durch Israel überfallen wurde und sich die berüchtigten Massaker in den Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila ereigneten, stellte sich Arthur an die Spitze einer Gruppe von Reserveoffizieren, die ihre Teilnahme an der Aggression verweigerten.

"Als ich 1985 aus dem Gefängnis entlassen wurde und meine Tochter in einem israelischen Kibbuz besuchte", fuhr Goldberg fort, "erneuerte ich meinen Kontakt mit Arthur. Kurz nach der Ankunft ließ er mich wissen, daß er stolz darauf sei, mein letzter Quartiergeber vor der Verhaftung gewesen zu sein, während nun das erste Haus, das ich als freier Mann beträte, wiederum das seine sei. Ich antwortete mit einer Frage: 'Ist es diesmal sicher?'"

Danach habe er noch von Zeit zu Zeit Kontakt mit Arthur gehabt, sagte Dennis. "Dieser basierte vor allem auf unserer gemeinsamen Unterstützung der Antiapartheidbewegung." Zum letzten Mal hätten sie einander im Dezember 2001 auf der Liliesleaf-Farm gesehen, als Südafrikas damaliger Staatspräsident Mbeki auf deren Gelände den Grundstein für ein Museum des antirassistischen Kampfes gelegt habe. Unter den Treuhändern dieser Einrichtung befinde sich übrigens auch Nicholas Wolpe, der Sohn Harolds, mit dem Arthur einst aus der Haft des Rassistenstaates entwichen war, um abermals in den Kampf zu ziehen.

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", Glasgow


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Das Liliesleaf-Farmhaus

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In allen Sätteln der Kunst
P.P.P. - Italiens vielseitig-genialer Pier Paolo Pasolini

Er liebte das Kürzel P.P.P. - Pier Paolo Pasolini -, eine der vielseitig-kreativsten, wiewohl umstrittensten Künstlerpersönlichkeiten der italienischen Nachkriegsgeschichte. In der Nacht zu Allerseelen, am 2. November 1975, wurde er ermordet, erschlagen am Strand von Ostia. Der mutmaßliche Mörder, Strichjunge Pelosi, wurde schnell gefaßt und später zu neun Jahren und sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Die Staatsanwaltschaft sah in den homosexuellen Neigungen des Künstlers den Beweis für die Urteilsfindung. Indes ist das Verbrechen bis heute nicht restlos aufgeklärt.

Wer war P.P.P.? Allein das äußere Erscheinungsbild beeindruckte: ein attraktiver Mann mit der Aura eines Intellektuellen. Einer, dem die Frauen zugetan waren - und der sich dennoch stark zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlte. Dieses sexuelle Anderssein, das er "mit verzweifelter Ehrlichkeit in die Welt hinausschrie ..." (Umberto Eco) bestimmte sein Leben, widerspiegelte sich mithin auch im künstlerischen Werk.

1922 - dem Jahr des Machtantritts der italienischen Faschisten - in Bologna geboren, studierte P.P.P. Kunstgeschichte und war nach Abbruch des Studiums infolge der Kriegswirren zunächst als Volksschullehrer tätig. Zu Beginn der 50er Jahre knüpfte er Kontakte zu römischen Künstlerkreisen, so zu dem Filmregisseur Federico Fellini und dem Schriftsteller Italo Calvino.

Die Komplexität seines Gesamtwerkes ist bewundernswert. Pasolini war Schriftsteller als eigentlicher Berufung, Lyriker und Dramatiker, Filmregisseur und Schauspieler, Publizist, Maler und Zeichner. Unbequem, rigoros und kompromißlos in seinen gesellschaftlichen Ansichten, stieß Pasolinis visionäre, oftmals provokant-kritische widersprüchliche Weltbetrachtung, verbunden mit der extrem ausgelebten Andersartigkeit in der italienischen Öffentlichkeit auf Unverständnis, ja sogar auf Ablehnung. Der Künstler fühlte sich von der Gesellschaft geächtet und ausgestoßen. Im Zorn und aus Verzweiflung attackierte er das christdemokratische Regime und die Machtzentren des Staates. So wurde er ein linker Unabhängiger, ein Marxist. "Ich lag immer mit der Gesellschaft im Kampf ... und sie hat mich verfolgt", erklärte er in seinem letzten TV-Interview am 30. Oktober 1975.

Pasolinis Haltung zu den italienischen Kommunisten war zwiespältig. Einerseits reagierte er verärgert, weil die Parteiführung nicht bereit war, seine gesellschaftskritischen Thesen aufzugreifen, andererseits bekundete er seine Sympathie für die IKP bis zum Ende seines Lebens und bezeichnete sie als ein "sauberes Land in einem schmutzigen Land".

Die Italiener nahmen P.P.P. zunächst als Schriftsteller wahr. In seinem ersten Roman "Ragazzi di Vita" (1955) beschreibt er außerordentlich realistisch und deftig das soziale Milieu der römischen Vorstädte. Und er machte seine Helden des städtischen Lumpenproletariats - kleine Diebe, Gauner, Strichjungen, auch Gewalttäter - zu literarischen Gestalten.

Frühzeitig wurde seine Begabung als Lyriker erkennbar. "Ich war ein siebenjähriger Dichter wie Rimbaud", verkündete er stolz. Mehrere Lyrikbände enthalten sowohl Gedichte mit entschieden politischer Aussage als auch poesievolle Naturbeobachtungen.

Pasolini war auch ein anerkannter Filmregisseur. In den 60er und Anfang der 70er Jahre inszenierte er einige anspruchsvolle, aufsehenerregende Streifen: Accatone; Mamma Roma; Das 1. Evangelium Matthäus; Teorema; Medea; Decameron; Tolldreiste Geschichten. Archaische Themen - Liebe und Verrat, Glaube und Religion, Sexualität und Tod - stehen im Mittelpunkt der Filmhandlungen, die vorzugsweise an die antike Sagen- und Götterwelt wie an die biblische Geschichte anknüpfen. Sein letzter, unstrittig skandalträchtigster Film war "120 Tage von Sodom". Pasolini entwirft hier, basierend auf einem Roman von de Sade, die Schreckensvision menschlicher Machtgier und barbarischer Zerstörungswut inmitten einer grotesk wirkenden geistvollen Szenerie. Das Geschehen spielt sich in der "Republik von Salo", dem letzten Refugium der italienischen Faschisten ab.

Vier sadistische Typen der Oberschicht praktizieren in einer klassizistischen Villa abscheuliche Grausamkeitsrituale. Junge Männer und Frauen, nackte Lustobjekte dieser machtbesessenen Bestien werden erniedrigt, mißbraucht und zu Tode gefoltert. Ein Inferno, nachgerade der Vorhof der Hölle: die Vorführung einer apokalyptischen Epoche des Verfalls und menschlicher Abgründe.

P.P.P. arbeitete zudem als Publizist. Der Macht des Wortes vertrauend, war er ein Aufklärer im besten Sinne. Vor allem in den "Freibeuterschriften", sprachmächtigen Beiträgen und Essays, die u. a. in der Zeitung "Corriere della Sera" veröffentlicht wurden, machte er seine gesellschaftskritischen Positionen publik. Zentrales Thema ist hier die Konsumgesellschaft und deren zerstörende Wirkung auf die Kultur des einzelnen, eine Entwicklung, die Pasolini - zugespitzt - als "neuen Faschismus" bezeichnete. In einem vielbeachteten Essay assoziiert der Autor die Zeit des "Verschwindens der Glühwürmchen" mit den jeweiligen Entwicklungsphasen der italienischen Nachkriegsgesellschaft, gipfelnd Mitte der 70er Jahre in einem "dramatischen Machtvakuum". Und die Metapher vom Absterben der Glühwürmchen ist der sorgenvolle Blick des Künstlers auf das fragile Verhältnis von Mensch und Natur.

Was bleibt? Das achtungsvolle Erinnern an eine herausragende, eigenwillig-starke, allzu feinfühlige und verletzliche Künstlerpersönlichkeit. Ein mutiger und einflußreicher Mann wie Pier Paolo Pasolini, der den italienischen Staat und dessen Machtgefüge massiv angriff, war für die Herrschenden fraglos ein gefährlicher Gegner.

Zum Tathergang am 2. November 1975 gibt es neue Fakten. Der mutmaßliche Mörder hatte bereits 2005 sein ursprüngliches Geständnis widerrufen und vor Journalisten erklärt, mehrere Personen seien an dem Verbrechen beteiligt gewesen. Freunde des Künstlers sprechen deshalb von der Möglichkeit eines Auftragsmordes. Inzwischen fordern mehr als 700 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Italiens die Wiederaufnahme des Verfahrens.

Dr. phil. Wolfgang Semmler, Bernau

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Erhard Richter interviewte die DDR-Spitzenathletin Gunhild Hoffmeister

Die sportliche Entwicklung von Gunhild und ihre sportlichen Höhepunkte waren für uns genauso interessant wie ihre berufliche Tätigkeit und ihre Erwartungen an die Spiele 2012 in London. Gunhild war eine tolle Gesprächspartnerin, die geduldig und mit Feuereifer alle Fragen beantwortete.

Doch lassen wir das Mittelstrecken-As selbst zu Wort kommen: "In meinem Heimatort Welzow, wo ich 1944 geboren wurde, war ich als kleines Mädel immer auf Achse. Ich turnte, rannte, lief Ski, spielte Volleyball - kurz: Ich war stets in Bewegung. Nach meinem Schulbesuch verschlug es mich nach Alt Döbern zum Lehrerstudium.

Mit 18 Jahren stand ich vor meinen Schülern, die nicht viel jünger waren als ich. Deutsch und Sport waren meine Lehrfächer. In der Freizeit lief ich, nahm an Waldläufen teil, bis mich Werner Birnbaum unter seine Fittiche nahm und ein planmäßiges Training mit mir organisierte. Folgerichtig kam ich über die Kinder- und Jugendschule in Forst zum Leistungssport beim SC Cottbus. Fritz Jahnke war mein Trainer, der selbst alle Trainingsläufe mitlief, obwohl ihm manchmal die Puste ausging. Die 1500 m und die 800 m wurden meine Spezialstrecken, die auch in den Wettkämpfen meine Domäne waren. Praktisch über den zweiten Weg kommend, schaffte ich den Sprung in die Leichtathletik-Nationalmannschaft der DDR. Bei der Universade 1970 in Turin feierte ich meinen ersten internationalen Erfolg. Der Gewinn der Silbermedaille im 1500-m-Lauf 1972 bei den Olympischen Spielen in München war ein Paukenschlag. Es folgte noch eine Bronzemedaille über 800 m. Vier Jahre danach gewann ich in Montreal über 1500 m noch einmal Silber. Dazu kommen 17 DDR-Meistertitel, davon sechs als Doppelmeister (1500 m und 800 m). Es versteht sich, daß ich darauf stolz bin.

Ja und dann?

Nach Beendigung meiner aktiven Laufbahn war ich viele Jahre stellvertretender Direktor der KJS in Cottbus, auch Mitglied des Präsidiums des DTSB, und landete nach der Überredungskunst von Manfred Ewald im Sport- und Erholungszentrum an der Landsberger Allee in Berlin als Abteilungsleiterin.

Nach 1990 schulte ich noch einmal um und wurde Sport-Therapeutin, so auch im Unfallkrankenhaus Marzahn. Aber noch heute schlägt mein Herz für den Sport. Die Olympischen Spiele in diesem Jahr in London werden für die Sportjugend der Welt wieder ein großes Erlebnis sein. Mir scheint allerdings die Vielfalt der Disziplinen zu breit gefächert zu sein, und leider steht der Kommerz heute im Vordergrund.

Auf einen Sieg folgt doch sofort die Frage: Was bekomme ich auf mein Konto? Nun bin ich Rentnerin, die nie viel Zeit hat, aber dem Freundeskreis der Sport-Senioren will ich künftig gern angehören."

Aus: Der Sport-Senior, Nr. 66, März 2012

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Ansturm im Vale do Jamor

Bei der Lektüre des spannenden Interviews der Rentnerin Gunhild Hoffmeister steht mir eine Begegnung mit der jungen und attraktiven Sportlerin vor Augen, die sich vor 34 Jahren in Portugal zutrug. Gunhild nahm 1978 als durch das ND präsentierter Überraschungsgast an dem von Hunderttausenden besuchten Pressefest des portugiesischen KP-Organs "Avante" im Vale do Jamor - einem Tal unweit von Lissabon - teil. Die Massen umlagerten unseren Stand, um ein von der dreifachen Olympia-Medaillengewinnerin signiertes Foto zu erhaschen. In der Absicht, das tumultartige Geschehen zu beruhigen, stiegen wir beide auf nebeneinander stehende Hocker, wobei ich die portugiesischen Freunde mit den Worten "Bildet doch bitte eine Schlange, Genossen!" immer wieder dazu auffordern mußte, Gunhild nicht spontan zu erdrücken. Sie schlug sich an diesen drei Tagen im Vale do Jamor nicht schlechter als auf den Pisten vieler Stadien.

K. S.

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Kriegsgegner leben gefährlich

Wer sich Feinde macht, muß mit allem rechnen. Seit der SPD-Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht im Sommer 1914 gegen die Bewilligung der Kriegskredite stimmte, stand er auf der Abschußliste der Reaktion. Er war ein Rufer in der Wüste; jedoch nicht ganz allein. In seinen Ruf stimmte Albert Einstein ein.

Jener verweigerte seine Unterschrift unter ein Pamphlet, das 93 berühmte deutsche Intellektuelle signierten. Sie wandten sich im Oktober 1914 "An die Kulturwelt", rechtfertigten den Überfall auf das neutrale Belgien und priesen darin den deutschen Kaiser Wilhelm II. als "Schirmherr des Weltfriedens". Unter den 93 befinden sich Wilhelm Röntgen, Ernst Haeckel, Max Planck, Gerhart Hauptmann, Engelbert Humperdinck, Max Reinhardt, Philipp Lenard. Ein Satiriker schrieb später sinngemäß: Zum vollen Hundert fehlten den 93 nur noch die sieben Schwaben.

Einstein ist empört. Mit Georg Friedrich Nicolai schreibt er das Gegenstück zum chauvinistischen Appell der Dreiundneunzig, seinen "Aufruf an die Europäer", in dem er von den Wissenschaftlern aller Länder fordert, sich gegen den Krieg zu stellen. Insofern ist er der Liebknecht der Wissenschaft und lebt fortan gefährlich, steht auf der Abschußliste. Er entzieht sich später der Gefahr, indem er Deutschland verläßt. Liebknecht ermorden sie. Einstein wäre in Auschwitz geendet. Beide stellen sich gegen jene, die den Krieg entfesseln. Wer heute diesen ihren Mut hat, Staaten zu benennen, die einen großen Krieg anzukündigen wagen, lebt ebenso gefährlich wie nun Günter Grass.

Günter Eugen Jaffke, Schwerin

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Zwischen Wahrheit und Trugschluß
Vor 100 Jahren wurde die Schriftstellerin Inge von Wangenheim geboren

Wer Inge von Wangenheim in öffentlichen Lesungen und Diskussionen erlebte, wird bestätigen, welche faszinierende Ausstrahlung sie besaß: leidenschaftlich, ungewöhnliche Gedankenbögen über Jahrtausende der Kulturgeschichte schlagend, oft sich selbst kritisch befragend, klar in der Diktion - schließlich war ihr erster Beruf Schauspielerin - bildreich und nicht selten "vergoethet", wie sie sich zuweilen humorvoll bezeichnete. Eine überaus einprägsame Künstlerin, deren Weg von Berlin aus über viele Schauplätze nach Weimar führte, wo sie im Mekka der deutschen Klassik 19 Jahre gelebt hat.

Am 10. November 1989 wurde Inge von Wangenheim der Titel "Doktor der Philosophie ehrenhalber" von der Friedrich-Schiller-Universität Jena für ihr Gesamtwerk verliehen. In ihrer Dankesrede erklärte sie u. a.: "Nicht Marx also und das erste genaue Wissenschaftsbild von der Gesellschaft in der Geschichte muß nun abgeschafft werden, weil plötzlich die tibetanischen Gebetsmühlen alles durcheinandergebracht haben, sondern im Gegenteil: Wir sind nicht wegen zu genauer Befolgung der von der Wissenschaft entdeckten Gesetzmäßigkeiten gescheitert, sondern allein deshalb, weil wir sie sträflich mißachtet haben ..."

Was berechtigte die Kommunistin dazu, gravierende Defizite zu benennen? Immerhin konnte sie auf mehr als 70 Jahre erlebter deutscher Geschichte zurückblicken. Am 1. Juli 1912 in Berlin-Schöneberg als Tochter einer alleinerziehenden Schneiderin geboren, spürte sie schon in ihrer Kindheit, daß ihr von dem manchmal recht rauhen Milieu nichts geschenkt wurde. Sie lernte sich zu behaupten. In der Schule gehörten Deutsch und Geschichte zu ihren Lieblingsfächern. Gern wäre sie Lehrerin geworden. Doch das blieb ein Traum. Immerhin ermöglichte ihr die hart arbeitende Mutter den Besuch des Chamisso-Lyzeums. Mit 16, 17 fand sie Anschluß an linke Schauspielertruppen, zunächst die des Theaterregisseurs Erwin Piscator, dann beim Kommunisten Gustav von Wangenheim (1895-1975). Sie lernte, daß Kunst eine Waffe zur Veränderung der Gesellschaft sein kann. Hautnah erlebte die junge Frau den Berliner Blutmai 1929. Wenig später verband sie sich mit Gustav von Wangenheim und dessen "Truppe 1931".

Seit Mai 1933 bestimmten dann Flucht und aufreibende, schwere Jahre des Exils in Frankreich und der Sowjetunion ihr Leben. Paris, Moskau, Tschistopol und Alma-Ata hießen einige ihrer vielen Stationen. Kleinere Rollen in sowjetisch-deutschen Filmproduktionen und journalistische Arbeit prägten nun ihr Leben. In "Auf weitem Feld" (1954) und "Schauplätze" (1983) hielt sie die Erlebnisse jener Jahre in Wort und Bild fest. Seit den 60er Jahren - während und nach ihren Indien-Reisen - schuf sie überdies auch eindrucksvolle Gemälde.

1945 kehrten die Wangenheims aus der Sowjetunion in das schwer zerstörte Berlin zurück, wo sie am Aufbau einer neuen Kultur mitwirken wollten. Zunächst übernahm Inge Rollen am Deutschen Theater Berlin und in einigen DEFA-Filmen. Michael Tschesno-Hell, damals Leiter des Verlages Volk und Welt, verdankte sie den entscheidenden Anstoß zum ersten großen Erinnerungsroman "Mein Haus Vaterland". Er erlebte viele Auflagen. Nicht anders erging es ihr mit "Einer Mutter Sohn" (1958).

Inge von Wangenheim stürzte sich in eine Vielzahl von Aufgaben, oft auch begleitet von theoretisch-essayistischen Äußerungen zur großen bürgerlich-humanistischen Literatur. Lessing, Goethe und Schiller galt ihre besondere Liebe. In den 50er und 60er Jahren schuf sie zugleich Werke, in denen sie die widersprüchlichen Entwicklungen der Menschen beim Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft im Osten Deutschlands gestaltete. Hiervon künden u. a. "Professor Hudebraach" (1961) und "Das Zimmer mit den offenen Augen" (1965).

1960, nach der Trennung von ihrem Mann und nahezu zeitgleich mit dem Beginn des "Bitterfelder Weges" in der DDR-Kulturpolitik zog sie zunächst ins thüringische Rudolstadt. Brennend interessierten sie die neuen Beziehungen zwischen Arbeiterklasse und Intelligenz, Konflikte und Bündnisfragen. Erkenntnisse dieser aufregenden Phase stellte sie in ihren Essays "Die Geschichte und unsere Geschichten" sowie "Die Verschwörung der Musen" zur Diskussion. Es handelte sich um eine deutliche Warnung vor gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, deren Nichtbeachtung den Fortbestand der neuen Gesellschaft gefährden könnte.

Die sich im November 1989 überstürzenden Ereignisse wühlten sie auf wie nie etwas zuvor. Einerseits sah sie die Notwendigkeit, aus der schweren politischen Krise der DDR durch eine echte Demokratisierung gesellschaftlicher Prozesse herauszukommen. Andererseits machte sie sich unbegreifliche Illusionen über die klar absehbaren Folgen einer westlich-kapitalistisch dominierten deutschen Vereinigung.

Verdrängte sie total, was sie noch 1982 öffentlich selbst erklärt hatte? "Man möchte uns eine Friedensbewegung ins Haus schwatzen, die sich gegen unseren Staat, gegen unsere Staatsführung artikuliert - eine antisozialistische Friedensbewegung also, deren zunächst pazifistische Hülle alsbald, wenn die Stunde reif ist, fallen würde, um der Konterrevolution Platz zu machen ...", hatte sie damals gesagt.

Siebeneinhalb Jahre später, Ende 1989, gab sie den ihr erst 1987 verliehenen Karl-Marx-Orden zurück, was viele ihrer Leser nicht zu begreifen vermochten. Offenbar war sie zum Opfer verbreiteter Illusionen geworden. Nur zwei Jahre später erklärte sie in einem Interview Wochen vor ihrem 80. Geburtstag: "... Gorbatschow! Das ist herausragend. Das grenzt fast an ein Wunder. Für mich ist die überragende einzigartige Kraft seines Charakters ein bleibendes Erlebnis ..."

Zu diesem Zeitpunkt war der sozialistische Staatenbund UdSSR bereits zerfallen, derselbe Gorbatschow hatte dem Kapitalismus Türen und Tore geöffnet. Vermochte sie all das mit ihren jahrzehntelangen Klassenkampferfahrungen nicht zu sehen? Mir und anderen ist das ein Rätsel geblieben.

Freilich wäre es falsch, Inge von Wangenheims Werk deshalb einfach mit Nichtbeachtung zu strafen. Immerhin sind ihre Bücher bewegende literarische Dokumente des 20. Jahrhunderts, das von Widersprüchen und Irrtümern, Höhenflügen und Bruchlandungen gekennzeichnet war.

Inge von Wangenheim wurde 1993 auf dem Historischen Friedhof in Weimar, nahe den Gräbern von Louis und Lotte Fürnberg, Walther Victor, Armin Müller und Harry Thürk beigesetzt.

Werner Voigt, Kromsdorf

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Romantiker und Realist: Herbert Nachbar

Herbert Nachbar wurde am 12. Februar 1930 in Greifswald geboren und ist an den Ufern der Ostsee aufgewachsen. Nach dem Abitur (1950) nahm er in Berlin ein Medizinstudium auf, brach dieses aber ab und arbeitete als Reporter, Redakteur und Fotograf für verschiedene Zeitungen. 1953 wurde er Lektor beim Aufbau-Verlag. Dessen damaliger Cheflektor Max Schroeder (1900-1958) beeinflußte seine Entwicklung stark und beriet ihn auch bei der Arbeit an seinem ersten Roman "Der Mond hat einen Hof", der 1956 erschien. Die Handlung spielt im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts an der Ostseeküste. Geschildert werden die Not und erbitterte Auseinandersetzungen in einem Fischerdorf. Herbert Nachbar äußerte dazu: "Ich habe nichts anderes gestaltet als die Atmosphäre meines Elternhauses." Der Erstling erlebte hohe Auflagen und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Ab 1957 freischaffend, lebte Nachbar in Berlin, auf der Insel Ummanz bei Rügen, ging 1959 nach Graal-Müritz und kehrte später nach Berlin zurück.

In seinem zweiten Fischer-Roman "Die Hochzeit von Länneken" (1958) traten die Fronten in anderer Weise zutage. Eva Strittmatter bezeichnete den Schriftsteller als "einen unserer begabtesten jungen Epiker", nachdem sie sein Buch "Die gestohlene Insel" (1958) gelesen hatte. Die Robinsonade war eine Parabel. In seiner Erzählung "Oben fährt der Große Wagen" (1963) begegnen sich der junge Lehrer Krischan und die angehende Studentin. In einen Kirchturm eingeschlossen, teilen sie sich ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen mit. Das ewige Thema der Liebe wird durch das Sternbild Großer Wagen versinnbildlicht.

Unter dem Titel "Die Liebe des Christoph B." erschien 1965 ein Roman Nachbars in der "Neuen Berliner Illustrierten", der dann als "Haus unterm Regen" bekannt wurde. Wiederum gab die herbe Landschaft der Ostsee den Hintergrund für die Geschichte von Christoph Babendiek und Henriette Babenderärde, die sich als Düsenpilot und Kabelkranführerin auf der Werft begegneten. 1970 zeichnete Nachbar als Herausgeber norwegischer Volksmärchen unter dem Titel "Die Meisterjungfer" verantwortlich und veröffentlichte seinen Erzählband "Die Millionen des Knut Brümmer". In diesem vereinte er früher Veröffentlichtes, bis auf die Titelgeschichte. Der alte Korbflechter und "Schwedenkronen-Millionär" Knut Brümmer hielt kurz vor Kriegsende den "Deserteur" Karl Raubrock in seiner Bodenkammer versteckt. Der Roman "Ein dunkler Stern" (1973) erinnerte einmal mehr an Motive und Orte, die bereits in "Der Mond hat einen Hof" und "Die Hochzeit von Länneken" bedeutungsvoll waren. In "Ein dunkler Stern" erzählte Nachbar von "kleinen Leuten" und deren Schicksalen im Sommer 1938 im ostseenahen Wangelin. Dieser Roman basierte auf seinen vorangegangenen Büchern und bildete das Zwischenstück einer Trilogie, mit "Der Mond hat einen Hof" und "Die Hochzeit von Länneken". Besondere Resonanz fand Nachbars heitere Sommergeschichte "Der Weg nach Samoa" (1976) mit Illustrationen seiner Frau, der Malerin und Grafikerin Brigitte N. Kröning. Der Schriftsteller Paul Dornbusch verbringt eine Woche mit Jugendlichen an der Ostsee, die etwas Neues erleben, erregende Erfahrungen machen möchten. 1979 erschien Nachbars Kinderbuch "Das fliegende Paddelboot", ebenfalls illustriert von seiner Frau.

Im Roman "Keller der alten Schmiede" (1979) schilderte Nachbar die Geschichte der Jugend des Theo Olafson. Sie reflektierte dessen Wegstrecke zum Erwachsenwerden vom achten bis zum neunzehnten Lebensjahr in der Zeit zwischen 1938 und 1949. Auch der Erwachsene bleibt dabei ein Träumer, das Kind, das er einmal war, in ihm lebendig. Diesen autobiographisch angelegten Roman rang sich der Autor bei fortschreitender Krankheit ab. Herbert Nachbar verstarb am 26. Mai 1980 in Berlin-Karlshorst. 1981 gab der Aufbau-Verlag Nachbars gesammelte Erzählungen aus den Jahren 1956 bis 1979 unter dem Titel "Helena und die Heimsuchung" heraus. In der Titelerzählung variierte der Autor reizvoll das Emanzipationsthema aus der Sicht eines Mannes. In diesem Buch wurden Arbeiten aus "Die Millionen des Knut Brümmer", "Oben fährt der große Wagen" und "Der Weg führt nach Samoa" vereint. 1983 gestaltete der Regisseur Georg Schiemann nach "Helena und die Heimsuchung" ein Fernsehspiel mit den Schauspielern Ulrich Anschütz und Ute Lubosch. 1982 erschien Nachbars nachgelassenes Erzählfragment "Die große Fahrt", an dem er bis zu seinem Tode gearbeitet hatte. Günter Caspar und Sigrid Töpelmann gaben die Anthologie "Zu Nachbar" (1982) heraus, in der sie Texte des Autors, Rezensionen seiner Bücher und Erinnerungen an ihn vereinten. "Schreiben hieß für ihn: im Leben stehen und die Menschen lieben", las man dort.

Für sein Schaffen wurde Herbert Nachbar u. a. mit dem Heinrich-Mann-Preis (1957), dem Literaturpreis des FDGB (1961) und dem Nationalpreis der DDR (1976) geehrt.

Herbert Nachbar war es vergönnt, in nur etwa zwei Jahrzehnten eine ganze Reihe einprägsamer Bücher zu schreiben, die in 20 Sprachen übertragen wurden. Fast alle sind in die Landschaft und Lebensweise seiner Heimat, der kleinen Insel bei Rügen, eingebunden. Sein Werk zeichnet sich durch eine volksverbundene Erzählweise aus, die Mitdenken und Mitempfinden des Lesers herausfordern. Seine Bücher werden durch Wirklichkeitsnähe und einen Hang zur Idyllik geprägt. Dem Schriftsteller ging es um die Bewältigung weiter Themenkreise, "die dem weltanschaulich-ästhetischen Verständnis dessen galten, was Mensch sein, Träume hegen, im Leben stehen heißt", schrieb Hans-Jürgen Geisthardt in einer Würdigung.

Dieter Fechner

*

Cornelias kleine große DDR (7)
Vom ganz normalen Aufwachsen und Leben im Sozialismus

Ende August 1973 wurde ich an der Hochschule in Cottbus immatrikuliert. Bei der Krippenplatzverteilung blieb ich aber unberücksichtigt. Eine Nachfrage ergab: Niemand wußte, daß wir verheiratet waren und ein Kind unterbringen mußten, obwohl mein Mann dort bereits studierte. Dabei hatte ich Markus schon in Frankfurt (Oder) abgemeldet. So mußte er erst einmal bei meiner Mutter bleiben. Für mich bedeutete das, an jedem Wochenende hin- und herzufahren. Mit dem Studium kam ich zurecht, die Ehe lief ganz gut. Nach einem halben Jahr erhielt ich dann einen Krippenplatz, so daß wir nunmehr zu den ganz normalen Studentenfamilien gehörten. Wir hatten ein Zimmer mit eingebautem großem Schrank und Waschbecken, ein Gemeinschaftsbad, eine Gemeinschaftsküche sowie einen breiten Flur als Spielplatz für die Lütten. Das Zusammenleben mit den anderen vollzog sich ohne große Reibungen. Alle nahmen Rücksicht aufeinander und übten sich im Babysitten.

Mein Mann hatte die Hälfte des Studiums hinter sich, ein Bergfest mit Angehörigen war geplant. Doch kurz zuvor sagte er mir ab. Bei der Fete sahen mich seine Kommilitonen merkwürdig an, um mich schließlich wissen zu lassen, daß er bei "jemand anderem" sei. Ob ich das denn nicht wüßte... Ich hatte keine Ahnung.

Die nächsten Tage verliefen sehr unschön. Ich war verzweifelt. Mein Mann reichte seine Exmatrikulation ein, zog aus und ließ mich einfach mit dem Kind sitzen.

Zu Beginn des zweiten Studienjahres fuhren die kinderlosen Studenten für 14 Tage in ein Lager der Gesellschaft für Sport und Technik, während wir Mutti-Studenten in der Mensa-Küche arbeiteten.

Leider nahm mein Interesse am Studium auf Grund der Doppelbelastung merklich ab. Überdies bekam Markus eine hartnäckige Mittelohrentzündung, was dazu führte, daß ich einige Lektionen nicht besuchen konnte. Sogar mein einstiges Lieblingsfach Statik wurde plötzlich zu einem Buch mit sieben Siegeln. Ich hatte einfach keine Kraft mehr, so sehr ich mich auch bemühte. In Frankfurt (Oder) sah ich mich dann schon mal nach Arbeit um. Bei der Nationalen Volksarmee hätte ich als Stabszeichnerin anfangen können, war mir aber nicht schlüssig, zumal die Wohnungsfrage der Klärung bedurfte.

Zwei Monate später trat ich eine Tätigkeit als Zeichnerin in der Aufbauleitung des Frankfurter Getränkekombinats an, wo ich meine Anerkennung als Teilkonstrukteurin erhielt. Als Unterkunft diente mir ein großes kaltes Zimmer im früheren Hospiz. Toilettenbenutzung und Waschmöglichkeiten befanden sich auf dem Flur. Ich lebte nun inmitten alter Leutchen. Als einer der Opas starb, zog ich in sein geräumiges Zimmer und konnte Markus ganz zu mir nehmen. Unterdessen war meine Ehe geschieden worden. Der Junge ging in einen schönen Kindergarten, und ich hatte, nun 22, meine Arbeit, wobei der Verdienst nicht gerade üppig war und es an Abwechslung fehlte.

Als mich meine Mutti besuchte, war sie von der Bleibe entsetzt. Gemeinsam haben wir dann um eine bessere Unterkunft für mich und den Jungen gekämpft. Man wies mir eine kleine Zweiraumwohnung ziemlich am Rande der Stadt zu. Sie war zwar wunderschön gelegen, doch die Anmarschwege hatten sich verlängert.

Eines Tages fragten mich Kollegen vom Büro für Stadtplanung, mit dem ich des öfteren zu tun hatte, ob ich nicht dort arbeiten wolle. Nachdem ich zugesagt hatte, durfte ich zunächst den prächtigen Brunnen im Frankfurter Zentrum mit Marmorplatten bestücken, die beim Bau des Berliner Palastes der Republik übriggeblieben waren. An meinem "1000. Vorschlag" fand der Stadtarchitekt endlich Gefallen.

Eines Tages lernte ich zufällig den bezirklichen Stabschef der Zivilverteidigung kennen. Meine Mutter hatte ihm von meiner Tätigkeit erzählt. Da der Stab gerade eine Zeichnerin suchte, fragte er mich, ob ich mich nicht einmal vorstellen wolle. Da ich erst seit drei Monaten bei der Stadtplanung war, ging mir die Sache gegen den Strich. Sollte ich dort einfach verschwinden und schon wieder etwas Neues anfangen? Der Genosse von der Zivilverteidigung redete mir gut zu, überdies gäbe es auch 50 Mark mehr. Bei der ZV, für die ich mich dann letztlich doch entschied, ging es darum, im Katastrophenfall etwas für die Bevölkerung zu tun. Hier unterlag alles - wie in anderen militärischen Bereichen auch - strikter Geheimhaltung.

Ich fuchste mich schnell in die neue Tätigkeit ein und fühlte mich im Kreise Gleichgesinnter sehr wohl. Doch irgendwie ärgerte es mich, daß ich zwar das Abitur abgelegt, aber das Studium nicht zu Ende gebracht hatte. Das einzige, was die ZV brauchte, waren Bauingenieure. Obwohl ich davon nicht sonderlich begeistert war, nahm ich ein Fachschul-Fernstudium auf. Das war recht hart: Jeden Freitag brachte ich Markus zu meinen Eltern, weil ich an den Sonnabenden sehr zeitig in Berlin sein mußte. Fast ein Jahr lang saß in der Schule ein junger blonder Mann neben mir, den ich zunächst nicht sonderlich ins Auge gefaßt hatte. Als er erfuhr, daß ich zwar ein Kind hätte, aber unverheiratet sei, wurde er munter. Kurzerhand ließ er sich in meine Studiengruppe versetzen und erbot sich, mir zu Hause bei den Schularbeiten zu helfen. Markus fand gleich einen Draht zu ihm. Kurzum: Eines Tages erschien er mit einer Aktentasche voller Wäsche und zog bei uns ein. Er war nicht gerade zögerlich. Schon von der nächsten Jahresendprämie kaufte er zwei Ringe und machte mir im FDJ-Hemd einen Heiratsantrag.

Es wurde Zeit, daß bei uns "geordnete Verhältnisse" einzogen. Wer sein Leben planen will, muß sich entscheiden. So sannen wir über unsere gemeinsame Zukunft nach und dachten dabei auch an ein weiteres Kind. Wir heirateten, und ein gutes Jahr später wurde mein zweiter Sohn geboren. Inzwischen hatten wir eine Zweiraum-Neubauwohnung bezogen, und Markus wurde eingeschult.

In jener Zeit starb mein Vater. Er erlag erst 49jährig einem Krebsleiden. Der Verlust traf mich hart und wirkt bis heute nach.

Meine Arbeit bei der ZV bereitete mir Freude und lief gut, bis eines Tages meine Schwester heiratete. Auch ein paar Westverwandte hatten sich angesagt. Korrekt informierte ich meine Dienststelle, wartete auf Rückfragen oder Hinweise. Eine Reaktion blieb aus. Nach der Hochzeit hielt ich die Sache für erledigt. Doch 14 Tage später informierte mich der Stabschef, daß ich die Abteilung verlassen müßte. Ich hätte mich gegen eine Teilnahme an der Hochzeit entscheiden sollen, sagte er. Ich war wie geplättet. Wurde ich wegen meiner Ehrlichkeit bestraft?

Unserem Stabschef fiel die Entscheidung nicht leicht, zumal er mit meiner Arbeit zufrieden gewesen war. Mein unmittelbarer Vorgesetzter mußte sogar die Tränen unterdrücken. Man sicherte mir einen guten Arbeitsplatz zu, falls ich beim Rat des Bezirkes bleiben wolle.

Cornelia Noack, Beeskow

(Fortsetzung folgt)

*

Archie und Alma

Früher wurde Archie gelegentlich, dann und wann, von einem Fräulein Altmann angesprochen. Alma Altmann, damals in einem volkseigenen Betrieb als Chefsekretärin die rechte Hand des Werkleiters, unverheiratet und attraktiv, ging völlig in ihrem Beruf auf. Der Chef war ohne sie hilflos. "Altmännchen, wo sind die Akten, Altmännchen, die Unterlagen, bitte!" Das waren gewissermaßen geflügelte Worte im ganzen Betrieb.

Fräulein Altmann, mit sich und ihrem Leben zufrieden, hätte gar keine Zeit für einen Ehemann gehabt. Ihre zweite Leidenschaft waren Filme, Theater- und Opernbesuche, auch Konzerte. Sie hätte von ihrem Betrieb aus zum Studium geschickt werden können, sträubte sich aber dagegen. Eigentlich war sie ausgebildete Bibliothekarin. Der Chef hatte sie in der eigenen Betriebsbibliothek entdeckt. "Schweren Herzens würde ich Sie zum Direktstudium schicken, Abi haben Sie ja, aber was mache ich ohne Sie?" hatte der Junggeselle gesagt.

"Es klang fast wie ein Heiratsantrag", erzählte sie später Archie. Auf dessen Frage, ob sie das Ausschlagen seiner Avance nicht bereut habe, antwortete sie nicht, sah an ihm vorbei. Nun muß man hinzufügen, daß Alma A. eine modebewußte Person war, heute hieße es gestylt. Sie trug ständig und bisweilen auch gewagte Novitäten mit einer legeren Selbstverständlichkeit, als befände sie sich auf einem Laufsteg. Früher fragte sie Archie stets nach sehenswerten Filmen oder Theaterinszenierungen. Sie mußte immer den Hauseingang passieren, vor dem Archies Auto oft stand. Wenn er ein- oder ausstieg und sie gerade vorbeispazierte, sahen sie sich. Mit seiner Schwäche für weibliche Schönheit konnte er nicht umhin, ihr Komplimente zu machen. "Alles nur billige Sachen, es kommt allein auf die Abstimmung an", erwiderte sie dann etwa.

Alma arbeitete wohl in der Textilbranche, Archie wußte es nicht genau, und heute kann er sie nicht mehr danach fragen. Sie negierte seine Artigkeiten, war nur an Auskünften über Kunst und Literatur interessiert. Da aber befand sich Archie in seinem Element. Er redete mit ihr wie mit einem Kumpel, klopfte ihr dabei sogar auf die Schulter. Das gefiel ihr, so sagte sie spontan "Manne" zu ihm. Es kam auch zu Treffs mit Unterhaltungswert für zwei Personen.

Nach der Rückwende, als alles ausgelöscht wurde, was auch nur nach DDR-Produktion roch, war sie eine Weile nicht zu sehen. Als sie sich dann doch wieder einmal begegneten, wie stets am Auto, bat sie: "Sagen Sie nicht Alma zu mir, sonst muß ich an DDR-Zeiten denken." Dann ging sie weiter. Archie rief ihr noch fragend hinterher: "Denken Sie dabei an den Fernsehfilm 'Alma schafft alle' mit Agnes Kraus?" Sie hob nur die Hand, ohne sich umzudrehen.

Geraume Zeit später erfuhr Archie, Alma sei im Treptower Park, von einem Konzert heimkehrend, im Dunkeln überfallen, ihrer Handtasche beraubt und vergewaltigt worden. Danach habe man ihr die Kleidung "abgezogen" und sie ohnmächtig in Unterwäsche im Gestrüpp liegenlassen.

In der Zwischenzeit hatte sie Archie noch einmal von einem Theaterbesuch berichtet, in der Volksbühne, weil sie wußte, daß er dort einmal als Dramaturg tätig gewesen war. Sie sagte: "Ich weiß nicht, entweder sind die anderen alle verrückt oder ich bin es. Ich habe in dieser Vorstellung nichts begriffen."

Nach dem Vorfall im Treptower Park begannen sich Almas Sinne zu verwirren. Sie sprach nur noch schwer verständliche Sätze wie "Alles falsch geschaltet" oder "Die Himmel fallen auf die Erde" und "Das Unkraut schreit". Einem zusammenhängenden Gedankengang vermochte sie nicht mehr zu folgen. Neulich sagte sie zu Archie: "Du bist gar nicht Manne, du bist Archie, ein ganz anderer."

Sie bewegt sich noch immer so wie auf dem Laufsteg, jetzt etwas gröber gestylt, aber nicht ohne Geschmack. Alma wirkt nun auf Archie wie ein herrlich buntes, aber total zerrissenes Plakat auf einer beschädigten Litfaßsäule. Im Kiez gilt sie als geistesgestört, manche machen sich über sie lustig, doch jene, welche sie von früher her kennen, lachen da nicht mit. Alma Altmanns Lebensinhalt ist jetzt die Glitzerwelt der Kaufhäuser, wo sie viele Menschen sieht, ohne mit jemandem reden zu müssen. Sie läuft und läuft, kauft billigen Krimskram, verschenkt das Erworbene dann an Kinder, mit denen sie noch umzugehen vermag, oder hängt gefüllte Tüten an fremde Türklinken. Sie hat sich in ein geistiges Niemandsland verflüchtigt, das nur aus Versatzstücken der Wirklichkeit besteht.

Wessen Opfer ist sie?, fragt sich Archie. Opfer unglücklicher Umstände und Zufälle oder eines menschenzerstörerischen Gesellschaftssystems? Welcher "Opferverband" käme wohl für sie in Frage?

Manfred Hocke

*

Leserbriefe an RotFuchs

Die hochbetagte ehemalige DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker gab in einer von der ARD im April ausgestrahlten Sendung herzerfrischende Auskünfte. Konsequent und prinzipienfest setzte sie sich mit gegnerischen Auffassungen auseinander, verteidigte sie die DDR und deren Errungenschaften. Bravo, Margot!

Gehässig wie immer reagierten DDR-Verleumder. Ein altes Sprichwort bewahrheitet sich aufs neue: Getroffene Hunde bellen.

Günther Röska, Leipzig


Im April strahlte die ARD "Der Sturz, Honeckers Ende" aus. Es handelt sich dabei um das übliche Gemisch aus Teil- und Halbwahrheiten, Auslassungen und Lügen. So ist historisch längst verbürgt, daß die Verfügung zur Errichtung der Berliner Mauer nicht von Ulbricht ausging, sondern in Moskau beschlossen wurde. Das Buch von Heinz Keßler und Fritz Streletz "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" hat all das dokumentarisch nachgewiesen. Genauso verhält es sich mit dem angeblichen "Schießbefehl" der DDR, der abermals präsentiert wurde. Daß auf Verletzer des Grenzregimes geschossen wird, geschieht in aller Welt.

Wer von den Fernsehzuschauern weiß denn, daß allein im Aachener Raum zwischen 1946 und 1952 von westdeutschen Staatsdienern an der Grenze 31 Menschen erschossen wurden? Dabei beriefen sich die Schützen stets auf einen offiziellen "Schießbefehl", der seit 1921 unverändert galt.

Das Organ "Der Zöllner", in dem vornehmlich Regierungsbeamte publizierten, verkündete im August 1952: "Der Schmuggler, der sich trotz Kenntnis der Schießvorschrift in Gefahr begibt, muß selbstverständlich damit rechnen, daß er darin umkommt." Und "Der Deutsche Zollbeamte" betonte im März 1974: "Was sollen Gesetze, wenn ihre Befolgung nicht notwendig erzwungen werden soll? ... Es muß ganz klar und eindeutig festgestellt werden, daß Gesetze dazu da sind, um befolgt, und Dienstvorschriften, um angewendet zu werden."

Dr. Dieter Rostowski, Kamenz


Israel, das zu der Frage, ob es Atomwaffen besitzt, schweigt, den Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag verweigert, den Wiener Kontrollbehörden keinerlei Auskünfte erteilt, behält sich gegenüber Iran das Recht auf atomare Erstschläge vor. Und das auf Grund des bloßen Verdachts, daß Teheran nicht nur an der friedlichen Anwendung der Atomenergie arbeitet. Nach Schätzungen ausländischer Fachleute besitzt Israel derzeit etwa 200 Atomwaffen, so daß der angedrohte Erstschlag kein leeres Wort ist.

Die BRD unterstützt die atomare Aufrüstung Israels, wobei die an diesen Staat gelieferten U-Boote für den Abschuß atomarer Marschflugkörper umgerüstet werden.

Günter Grass hat recht. Die Schuld des faschistischen Deutschlands an der Ausrottung von Millionen europäischer Juden kann nicht als Rechtfertigung für den von Netanjahu angedrohten nuklearen Erstschlag und die damit einkalkulierte Ermordung von Millionen Iranern, für die so heraufbeschworene Auslösung eines atomaren Weltinfernos dienen.

Während das Existenzrecht Israels nicht bestritten werden darf, gilt es, den Reaktionären in Tel Aviv das Handwerk zu legen. Daß es uns nicht gelingt, die Bundesregierung daran zu hindern, das genaue Gegenteil dessen zu tun, empfinden wir - wie Günter Grass - als Schuld. Antisemiten sind wir deshalb keineswegs!

Dr. Udo Schulz, im Auftrag der RF-Lesergruppe Greifswald


Ich habe das kurze Interview mit Günter Grass zu seinem Gedicht im Fernsehen verfolgt. Als Angehöriger desselben Jahrganges wie der Schriftsteller und als engagierter früherer DDR-Bürger kann und muß ich den Äußerungen von Günter Grass voll zustimmen. Auch ich habe mir schon seit langem dieselben Fragen gestellt: Wie kann sich die derzeitige Regierung Israels das Recht anmaßen, anderen Ländern die Nutzung der Atomkraft und die Entwicklung von Atomwaffen zu verbieten, obwohl sie doch selbst im Glashaus sitzt?! Die Politik der in Israel herrschenden Kräfte ist eine reale Gefahr für den Frieden in Nahost: Dieser Staat wurde in den vergangenen Jahren wegen seiner aggressiven Rechtsverletzungen gegenüber den Palästinensern und anderen Arabern von der UNO mehrfach als Aggressor gebrandmarkt. Israel besitzt selbst Atomwaffen, was es bisher verschweigt, und macht für sich ein Erstschlagsrecht geltend.

Dieser Vorwurf muß in gleicher Weise gegenüber den USA erhoben werden. Deren Führung hat nachweislich die Kriege gegen Irak und Afghanistan unter Vorspiegelung "falscher Tatsachen" losgetreten. Grass hat recht: Das mußte einmal gesagt werden!

Eberhard Kunz, Berlin


Warum tritt Israel nicht dem Atomwaffensperrvertrag bei, warum läßt es keine diesbezüglichen Kontrollen zu? Von Iran wird das ständig seitens deutscher Politiker verlangt. Hat die BRD Angst, daß bei Kontrollen die Weltöffentlichkeit erfährt, wie tief die deutsche Rüstungsindustrie in all das verwickelt ist?

Ich habe überhaupt keine Probleme mit den Menschen in Israel, aber mit der Politik Tel Avivs und seinem Handeln im Nahen Osten. Bin ich deswegen ein Antisemit? Ich wünsche mir, daß dazu eine sachliche Diskussion geführt wird und nicht die SS-Zugehörigkeit von Herrn Grass als Jugendlicher benutzt wird, den Nobelpreisträger mundtot zu machen.

Harald Grünbeck, Magdeburg


Wenn heute einer die Wahrheit sagt, wird er zum Popanz gemacht. Man erklärt den Krieg einmal mehr zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Günter Grass hat das Spiel Israels und seiner westlichen Schirmherren durchschaut. Recht hat er, wenn er seinen Namen einsetzt, um Stopp! zu rufen.

Christel und Horst Joachimi, Berlin


Ein langjähriger "RotFuchs"-Leser und aufrichtiger Kommunist - Heinz Gust aus Sievershagen - ist am 11. April im Alter von 84 Jahren verstorben. Er war ein erfahrener Kämpfer und stand in jeder Situation seinen Mann. In Kuba leitete er einen Solidaritätseinsatz. Heinz Gust war es auch, der mich und viele andere Genossen der Partei Die Linke für den "RotFuchs" begeisterte.

Ich schreibe diese Zeilen, weil Heinz ebenso wie seine Frau Luise - eine aufrichtige Kommunistin, die in der PDL-Basisorganisation Schriftführerin und überdies eine engagierte "RotFuchs"-Leserin ist -, diese Worte der Ehrung und Anerkennung verdient haben.

Carsten Hanke, Lambrechtshagen


Am 30. März sprach Sabine Lösing, Abgeordnete der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke des Europaparlaments, im TGZ Wismar über das Thema: "Warum die EU-Außenpolitik keine Friedenspolitik ist". Veranstalter waren die Friedensinitiative Bad Kleinen, der "RotFuchs"-Förderverein und die Partei Die Linke. Inhaltlich wurde es sehr interessant, was nicht nur am Vortrag lag, sondern auch an der sich anschließenden Diskussion. Sabine Lösing benannte viele Aspekte der EU-Politik, welche in der Öffentlichkeit kaum bekannt sind. Das betrifft die hohe Aggressivität der EU-Außenpolitik durch ihre Verflechtung mit der NATO zur Sicherung (und Eroberung) von Rohstoffquellen und Handelswegen.

Andererseits ist den Menschen in Europa kaum bewußt, daß das Europäische Parlament im Rahmen des Lissabon-Vertrages nicht einmal bei so wichtigen Fragen wie Krieg und Frieden ein Mitbestimmungsrecht, geschweige denn eine Entscheidungsbefugnis, besitzt. Der Rat muß das Parlament lediglich regelmäßig informieren. All das begrenzt die Wirkungsmöglichkeiten der Abgeordneten.

Sabine Lösing gehört übrigens dem Unterausschuß für Sicherheit und Verteidigung im Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten an.

Horst Neumann, Bad Kleinen


Nach dem Angriff Beate Klarsfelds auf Günter Grass, der in einem skandalösen Vergleich gipfelte, ist mir noch klarer, wie sehr die Linkspartei bei ihrer Entscheidung für diese Kandidatin in den falschen Topf gegriffen hat. Ohne Zweifel war Frau Klarsfeld eine couragierte Nazi-Jägerin, wenn auch keine konsequente Antifaschistin. Davon zeugen ihr Engagement für den rechtskonservativen französischen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy ebenso wie ihre Parteinahme für die rechtszionistische Regierung Israels, zu der mit Außenminister Lieberman ein eindeutig faschistoider Politiker gehört. Überdies wurde die Kandidatur Beate Klarsfelds auch durch das Treffen mit dem BND-Chef und ihre Äußerung, daß sie ja eigentlich viel lieber für CDU oder SPD kandidiert hätte, arg überschattet.

Helga Skripulski, Leipzig


Wenn ich mich nicht verzählt habe, bediente sich Pfarrer Gauck nach der abgekarteten Wahl zum Bundespräsidenten in seiner Dankesrede nicht weniger als 23 Mal des Begriffs Freiheit. Da kam mir unwillkürlich Lenins Schrift "Was tun?" in den Sinn. Der hat sich dort nämlich mit den Liebhabern gerade dieses Wortes befaßt: "Da stimmt etwas nicht!, muß sich jeder Unbeteiligte sagen, der an allen Ecken und Enden das Modeschlagwort hört ... Dieses Schlagwort gehört offenbar zu jenen konventionellen Wörtchen, die sich wie Spitznamen durch den Gebrauch einbürgern und fast zu Gattungsnamen werden ... Freiheit ist ein großes Wort, aber unter dem Banner der Freiheit ... wurden die räuberischsten Kriege geführt, unter dem Banner der Freiheit der Arbeit wurden die Werktätigen ausgeplündert ... Oh ja, meine Herren, Ihr habt die Freiheit, nicht nur zu rufen, sondern auch zu gehen, wohin Ihr wollt, selbst in den Sumpf; wir sind sogar der Meinung, daß Euer wahrer Platz gerade im Sumpf ist, und wir sind bereit, Euch nach Kräften bei Eurer Übersiedlung dorthin zu helfen. Aber laßt unsere Hände los, klammert Euch nicht an uns und besudelt nicht das große Wort Freiheit, denn wir haben ja ebenfalls die 'Freiheit' zu gehen, wohin wir wollen, die Freiheit, nicht nur gegen den Sumpf zu kämpfen, sondern auch gegen diejenigen, die sich dem Sumpf zuwenden!"

Georg Dorn, Berlin (†)


Gibt es Historiker, Tschekisten aus der DDR und der UdSSR oder Journalisten, die in deutschen und sowjetischen/russischen Archiven darüber nachforschen, z. B. in Büchern und Verzeichnissen über Amtsträger der NSDAP, welche detaillierte Rolle die Eltern von Gauck zwischen 1933 und 1945 gespielt haben? Daß der Pfarrer "im Familieninteresse" etwas zu verbergen hat, geht allein schon daraus hervor, daß er ständig behauptet, sein Vater sei "Kapitän" gewesen, Wäre die Sache astrein, dann müßte er doch nur sagen, sein Vater sei Berufssoldat und Karriereoffizier mit dem letzten Dienstgrad Kapitän zur See, also Oberst, gewesen.

In diesem Falle besteht zwischen "Kapitän" und "Kapitän" doch wohl ein gravierender Unterschied.

Hans Schneider, Erfurt


Der April-"RotFuchs" hat meine Frau und mich moralisch wieder etwas "aufgebaut". Zum Thema Gauck habe ich im Prinzip die gleichen Schlußfolgerungen gezogen, wie die Autoren der RF-Beiträge.

Ich bin schon immer Atheist, aber mit dem Dienst-(Mein-)Eid des Herrn Gauck ... "so wahr mir Gott helfe!", wurde ich zum 150%igen Atheisten und glaube nur noch an "Arthur von der Schutzengelbrigade". Bei einem Verkehrsunfall im Juli 2011 "verarbeitete nämlich eine andere Fahrerin unseren Daihatsu an einer Kreuzung, an der wir verkehrsbedingt halten mußten, zum Totalschaden. Doch "Arthur, der Engel" hat uns beim Überleben geholfen.

Volker Kretzschmar, Potsdam


Ich habe beim ersten Anlauf Gaucks, sich zum Bundespräsidenten wählen zu lassen, nur einen Gedanken gehabt: Dieser narzißtische Demagoge von Gottes Gnaden darf dabei nicht als Sieger hervorgehen. Die Stimmung war nicht für ihn, sondern wurde durch die Medien forciert und geschönt. Meine Meinung war, daß sich die "Bilderberger", zu denen ja auch die Dame Springer gehört, bestimmt etwas einfallen lassen werden, um ihren Kandidaten am Ende doch durchzusetzen. Als dann, noch vor den Anschuldigungen gegen Wulff, im Fernsehen eine Autofahrt des Pfarrers mit der Schauspielerin Katrin Sass quer durch die Bundesrepublik kolportiert wurde, fand ich meine Befürchtungen bestätigt und harrte der Dinge, die da kommen sollten und dann ja auch kamen.

Die Ursache dafür, daß Angela Merkel am Ende ihre Zustimmung zur Gauck-Kandidatur gab, sehe ich darin, daß ihre Freundin Springer ihr die Negierung des Wunsches der im Hintergrund tatsächlich Regierenden nicht verziehen hätte. Sie hatte gegen den Stachel gelöckt und wurde zur Ordnung gerufen, denn ihre Ansage, "Nur über meine Leiche!" war sicher nicht aus der Luft gegriffen. Vielleicht ist man ja in der Chefriege ihrer Eigenmächtigkeiten überdrüssig und will irgendwann einen Wandel herbeiführen. Die wahrhaft Regierenden suchen sich doch stets solche Kanzler und Präsidenten aus, die letztlich nach ihrer Pfeife tanzen.

Ich bin übrigens gewiß kein Freund von Wulff gewesen, aber einen vorher hochgelobten Staatsmann so herabzuwürdigen, ist einfach geschmacklos.

Brigitte Wackernagel, Berlin


Auf Seite 2 des April-RF fand ich das schöne Überraschungsosterei - mein Gedicht zu Wulff und anderen. Ich habe mich sehr gefreut, nicht nur, weil es für mich eine große Ehre ist, im "RotFuchs" gedruckt zu werden, sondern auch, weil meine Verse wunderbar in Szene gesetzt worden sind. Ich hatte sie schon geschrieben, als von Gauck noch gar keine Rede war. Diesen Mann habe ich bereits seit langem in "mein Herz geschlossen". Auch der Beitrag zu Rainer Eppelmann "Demagoge im Talar" trifft meinen Nerv.

Annelies Kremkau, Leipzig


Die Monat für Monat von Klaus Steiniger vorgelegten Leitartikel zu aktuellen internationalen und nationalen Ereignissen sind dadurch beeindruckend, daß sie in einer für jeden "RotFuchs"-Leser verständlichen Sprache geschrieben werden, so daß der einzelne daraus unmittelbare Schlußfolgerungen für seine eigene Haltung ziehen kann. In einer Zeit, in der es in den Medien von Besserwissern nur so wimmelt, sind eine gradlinige revolutionäre und klassenbezogene Polemik sowie eine klare politische Linie von besonderem Wert.

Ich bin über 90 und weiß wie jeder in diesem Alter, daß ich nicht mehr über viele Möglichkeiten verfüge, meine Lebenserfahrungen der nächsten Generation zu vermitteln. Viele weichen dem aus oder wollen Jüngere damit nicht belasten. Doch heutzutage müssen unsere Erfahrungen mehr denn je weitergegeben werden.

Manfred Wulf, Glauchau


Im März-RF habe ich mich sehr über das Gedicht von Max Zimmering gefreut. "Es beginnt erst der Mensch ..." Das hatte ich als Schülerin und junge Rezitatorin einst viele Male öffentlich in Feierstunden oder Kulturprogrammen vorgetragen.

Auch der April-RF kommt wieder kulturbewußt daher: Christa Wolf, Künstlerkolonie Worpswede, Käthe Kollwitz, Erich Weinert, Ausstellung Parche. Ich finde Kollwitz und Weinert ohne ein reproduziertes Werkbeispiel stehen zu lassen, geht eigentlich nicht!

Die proletarisch-sozialistische Kultur hat kostbare Schätze, die es wert sind, aus der Verschwiegenheit und Versenkung herausgeholt zu werden.

Wie wär's mit mindestens einer Halbseite, besser einer Ganz-Seite in jeder Ausgabe, reserviert für eine Grafik oder ein Plakat aus dieser Schatzkammer? Jetzt ist der RF vieltausendfach verbreitet. Da ist es an der Zeit, dem etwas zu textlastigen Blatt mehr optische Attraktivität zu schenken.

Die Künstlerkolonie Worpswede war vor dem Ausbruch des Nazikultes eine Stätte sozialistisch-progressiver Kunst. Warum wurde neben dem Erinnern an den dortigen Ungeist die Blütezeit des fortschrittlichen Geistes (Heinrich Vogeler!) nicht wenigstens kurz erwähnt?

Marianne Walz, Gernsheim


Unsere Erwartungen am 7. März, dem 30. Todestag Konrad Wolfs, wurden ganz und gar erfüllt: Als ein Tondokument mit der markanten Stimme des Filmemachers abgespielt wurde, herrschte auf dem Platz vor der Stele in Bernau atemlose Stille. Dort hatten sich auf Einladung des Kulturbundes, des Deutschen Freidenker-Verbandes, Berlin, und der Projektgruppe "Filmretrospektive Konrad Wolf 2012" über 70 Menschen eingefunden, um den international bekannten Regisseur zu ehren.

Seine Aussagen gegen die atomare Aufrüstung und das von Konrad Wolf selbst rezitierte Gedicht Jewgeni Jewtuschenkos "Meinst du, die Russen wollen Krieg?" gingen allen sehr nahe.

Die Gedenkfeier stand unter der Schirmherrschaft des Bürgermeisters, dessen Stellvertreter ehrende Worte sprach und die Jugendlichen aufforderte, sich ein Bild von Konrad Wolf, dem Ehrenbürger Bernaus, zu machen. Seine Filme haben auch für die heutige Zeit nichts an Aktualität verloren.

Uta Mader, Bernau/Hans-Günther Dicks, Berlin

Richtigstellung:
In den Leserbrief Werner Dörings aus Hohnstein (RF 171) hat sich durch Unachtsamkeit der Redaktion eine Ungenauigkeit eingeschlichen. Der heute 86jährige Genosse hat nicht in den letzten Monaten, sondern Jahren auf mindestens zehn Bauernversammlungen gesprochen.


Der Abdruck des Artikels "Solidarische Kritik am 'RotFuchs'" zeigt, daß der RF durchaus selbstkritisch ist. Die Auffassungen von Rainer Stankiewitz sind nicht von der Hand zu weisen. Daß die biologische Uhr tickt, wissen wir alle. Nicht nur im Sport, sondern gerade auch in der Politik wird die Frage des Nachwuchses großgeschrieben. Trotzdem stimme ich nicht in allem mit ihm überein. Wäre es für den "RotFuchs" nicht besser, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen? Das eine tun heißt, unbedingt weiter Berichte aus unserem Leben in der DDR zu bringen. Warum? Rainer Stankiewitz verneint die Frage, ob wir, "die wir die kapitalistische Ausbeutung nicht wollen", einen Plan haben. Hier bin ich anderer Meinung. Karl Marx sagt von seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sie seien "kein Dogma, sondern eine Anleitung zum Handeln". Ist er heute überholt? Sind seine Leitsätze ungeeignet, um auf die veränderten Verhältnisse angewendet werden zu können? Warum sollte das für die Linken nicht der Plan sein, den Kapitalismus zu überwinden?

Das andere nicht zu lassen, bedeutet, den "RotFuchs" für die Jugend attraktiver zu gestalten. Das aber ist das "Einfache, das schwer zu machen ist". Es sind auch hier gute Ansätze zu sehen, z. B. in der Artikelserie "Cornelias kleine große DDR". Auch der Vorschlag, die gelesenen RF-Exemplare an Kinder, Enkel oder Jugendliche, die man kennt, zu verschenken, erscheint mir hilfreich.

Gerda Huberty, Neundorf


Nach der Rückwende stand für viele von uns die Frage: Was jetzt tun? Und so machte ich mich als Arbeitsloser 1992 mit wenig Geld als einziger aus Mecklenburg-Vorpommern auf die Socken nach Bad Godesberg, wo ich dann am 23. Mai am 1. Cuba-Kongreß Deutschlands gemeinsam mit ca. 1100 anderen Freunden der Inselrepublik teilnehmen konnte. Es war ein überwältigendes Erlebnis, das mir Inspiration und neue Kraft gab. Damals waren die UdSSR und die mit ihr verbundenen sozialistischen Staaten gerade zusammengebrochen. Den Stützpfeiler für die Befreiungsbewegungen in der Welt gab es nicht mehr. Wie konnte in dieser Situation das kleine Kuba - nur 200 Kilometer vor den Küsten der USA - ohne jeglichen wirtschaftlichen und militärischen Rückhalt allein eine Chance des Überlebens haben?

Der Kongreß war für mich neuartig, beeindruckend, vielleicht mein schönstes Erlebnis in dieser finsteren Zeit.

In der Stadthalle von Bad Godesberg wurde ein Wort Fidel Castros, das mir bis heute im Gedächtnis haftet, ausgesprochen: "Kuba durchlebt gegenwärtig die schwerste Krise seiner Geschichte. Doch es ist unsere internationalistische Pflicht zu widerstehen." Nirgends hatte ich in jenen Tagen einen solchen Gedanken vernommen. Und das mutige Kuba widerstand tatsächlich. Es widersteht bis heute! So begriff ich, daß uns im Widerstands- und Freiheitskampf auf deutschem Boden Kubas Flagge voranweht.

Karl Scheffsky, Schwerin, Cuba Sí


Die Untergrabung der bürgerlichen Demokratie der BRD setzte sehr früh ein. Am 8. Mai 1949 begründete Max Reimann die Ablehnung des Grundgesetzentwurfes durch die KPD und erklärte zugleich, daß die Kommunisten als erste die darin verankerten Rechte verteidigen würden. Nur zwei Jahre später wurde zunächst die FDJ und 1956 dann auch die KPD verboten. Schon damals trat man das Grundgesetz mit Füßen. Wer für die Einheit Deutschlands, für Abrüstung und Frieden in Europa wirkte, ging in den Knast. Ich selbst wurde als Funktionär der FDJ und der KPD insgesamt 33 Monate eingesperrt und bin bis heute weder rehabilitiert noch entschädigt worden.

Erich Schreier, Röthenbach/Pegnitz


Mit der von Dr. Klaus Blessing in der RF-Beilage zur Nr. 170 getroffenen Beschreibung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Realität befinde ich mich weitgehend in Übereinstimmung. Anders geht es mir mit den aus der Krise gewiesenen Wegen. Ich teile Dr. Blessings Meinung nicht, daß der Sozialismus in Europa zerstört worden sei. Aus meiner Sicht gab es bis 1989/90 noch keine ausgereiften sozialistischen Gesellschaften in Europa. Vor allem fehlte es am sozialistischen Massenbewußtsein. Die vom Absturz Betroffenen waren erst dabei, den Sozialismus aufzubauen. Dieser Prozeß wurde unter- und abgebrochen. Ohne das bereits Erreichte in irgendeiner Weise schmälern zu wollen, empfehle ich, nicht mehr vom "realen Sozialismus" zu sprechen. Dazu waren wir von der Vollendung des großen Werkes noch zu weit entfernt.

Nun zur allgemeinen Krise des Kapitalismus: Aus ihr gibt es keinen Ausweg, solange das System besteht. Klaus Blessing rückt die Staatsverschuldung und deren Ursachen in das Zentrum seines Krisenbildes. Aber auch wenn dieser Komplex gegenwärtig als Schwerpunkt wahrgenommen wird, ist er doch nicht mehr als ein Indiz der ökonomischen Seite des allgemeinen Krisenzustandes.

Der Autor entwickelt eine "Drei-Schritte-Therapie" zur Überwindung der Krise. Erstens empfiehlt er den Staaten, ihre aufgelaufenen Schulden, die im System beruhen, zu ignorieren, Rück- und Zinszahlungen zu verweigern, was ein Sägen am eigenen Ast wäre. Zweitens müsse dafür gesorgt werden, daß die derzeitigen "gesellschaftlichen Disproportionen nicht erneut entstehen". Offenbar meint er damit den Abbruch ihrer ständigen Reproduktion, denn beseitigt wurden sie bisher noch nie. Drittens plädiert Dr. Blessing für "eine wirkliche Zerschlagung der Macht des Finanzkapitals und der Abhängigkeit der Staaten und der Politik vom Agieren geistloser und anonymer Finanzmärkte".

Kann man aber zuerst die Eigentumsfrage klären, ohne zunächst die politische Machtfrage entschieden zu haben? Schließlich fragt Blessing auch selbst, ob das alles im Rahmen des gegenwärtigen Gesellschaftssystems möglich sei, womit er eigenen Zweifel andeutet. Trotz seines Hinweises auf die "Kraft der Massen" fehlt mir ein deutlicheres Wort zur Rolle des Klassenkampfes als letztlich einzigem Ausweg aus der Krise.

Wolfgang Mäder, Neubrandenburg


Herr Dr. Blessing hat ein sehr wichtiges Buch geschrieben: "Die Schulden des Westens". Einzelheiten werden auch in "Wege aus der Krise" aufgeführt. Derartige Literatur muß im Gedächtnis der Leser immer wieder vertieft werden, um dem Schmutz zu begegnen, der fortlaufend über die DDR verbreitet wird.

Wolfgang Schröder, Schöneiche


Schon lange wollte ich Dieter Fechner für seine "RotFuchs"-Beiträge zur Literatur und zu Filmen danken. Besonders freut es mich, daß es in Mühlhausen noch kluge Köpfe gibt. Wenn ich gelegentlich meinen 70jährigen Onkel im dortigen Kümmelgraben besuche, bin ich erschrocken, in welchem Maße sich Thüringen bewußtseinsmäßig zurückentwickelt hat. Reaktionäre Ansichten dominieren. Die eingeschränkte Sicht nicht weniger "kleiner Leute" verleidet es einem, dieses schöne Städtchen aufzusuchen. Doch langsam findet auch dort ein Umdenken statt. Die Abwanderung der Jugend und der bedrohliche Leerstand sowie die dem Vandalismus preisgegebenen Häuser tragen dazu bei.

Andrea Wohlfahrt, Hemmingen


Ich bin Hartz-IV-Empfänger. Nun hat mein Job-Center herausgefunden, daß ich für das Jahr 2010 einen Kapitalertrag von 2 Euro aus meiner "Vermögensanlage" erzielt hätte. Es forderte daraufhin die totale Offenlegung meines "Vermögens", das ich überhaupt nicht besitze. Grotesker geht's nimmer! Auf der einen Seite werden Milliarden verschleudert und abgezockt, auf der anderen Seite soll ich den Nachweis darüber erbringen, wie ich die zwei Euro zum Lebensunterhalt einsetze. Das Ganze spricht Bände und zeigt, was mit diesem "Sozialstaat" los ist.

Michael Junghans, Rosenthal-Bielatal


Der "RotFuchs" sollte sich auf jeden Fall der sozialen Netzwerke bedienen. Gerade diese öffnen den Zugang zur jüngeren Generation. Ein Paradebeispiel dafür ist der fast schon kometenhafte Aufstieg der Piratenpartei.

Twitter wird nicht nur von den bürgerlichen Medien verwendet - es finden sich auch kommunistische und sozialistische Parteien, progressive Bewegungen und engagierte Einzelpersonen aus aller Welt. Was sollte uns daran hindern, hier ebenfalls Präsenz zu zeigen?

Andreas Meister, Kulmbach


Hans Linke stellt im RF 171 zu Recht fest, daß bei Hans-Dieter Schütt im Begleittext zu seinem ND-Beitrag über "Menschenkolonnen in der Geschichte" die Todesmärsche von sechs Millionen Juden "offenbar in Vergessenheit geraten sind". In DDR-Zeiten Chefredakteur der "Jungen Welt", hat Schütt seine einstmals zur Schau gestellten "Überzeugungen" gänzlich vergessen. Nur so sind seine Lobeshymnen auf die Antikommunisten Gorbatschow (80. Geburtstag) und Havel (Ableben) zu erklären. In seinen Beiträgen spürt man, daß hds ganz und gar in der kapitalistischen Gesellschaft angekommen ist. Bezeichnend sind auch seine diffamierenden Ausfälle gegen Günter Grass. Ich warte gespannt auf Schütts Lobpreisungen des Freiheitspredigers Joachim Gauck.

Horst Plaschka, Schwerin


Leider ist auch im "RotFuchs" hin und wieder von "fünf neuen Bundesländern" die Rede. Tatsächlich handelt es sich jedoch um sechs. Denn Westberlin war bis 1990 kein Bundesland der BRD, wenn man auch in Bonn so tat, als ob es eines sei. Der Viermächtestatus Berlins stand dabei im Wege. Noch heute wird von den Herrschenden alles getan, dies vergessen zu machen. So erfand man den griffigen Kalauer "Neufünfland". Dennoch ist Berlin seit 1990 ein neues Bundesland. Das sechste.

Hans Dölzer, Hirschberg


Vielen Dank für die Veröffentlichung meiner Zuschrift über die Friedensfahrt im April-RF. Leider ist mir dabei ein Fehler unterlaufen. Im April 1952 wurde die Friedensfahrt in Warschau gestartet, ging über die Görlitzer Friedensbrücke in die DDR nach Berlin und endete am 13. Mai in Prag.

Gerhard Pfefferkorn, Lichtenstein


Zum Beitrag "Zwangsheimkinder" im RF 171: Von 1953 bis 1955 habe ich im Motorradwerk Zschopau gelernt und im angeschlossenen Internat gewohnt. Wir waren drei Kinder, unser Vater fiel im Krieg, und die Unterbringung im Internat entlastete das Familienbudget erheblich. Ich war mit drei Waisenjungen befreundet, die in einem Kinderheim lebten. Wir luden sie an Festtagen zu uns ein, obwohl wir es auch nicht "dicke" hatten. Aber wir kannten deren Schicksal. Von traumatisierten Opfern habe ich allerdings nichts gespürt.

Später wurden bei uns bereits erwachsene junge Leute aus dem Jugendwerkhof Torgau als Betriebsschlosser ausgebildet. Die 18jährigen machten recht derbe Späße. Deshalb wurden männliche Pädagogen als Erzieher für diese Rauhbeine eingesetzt. Die "Torgauer" waren gefürchtete Hallenhandballer. Auch niemand von ihnen wirkte traumatisiert. Noch heute tun mir die Arme weh, wenn ich daran denke, denn ich stand damals für unsere Klasse im Tor. So bin eigentlich ich der noch immer Traumatisierte, aber ich werde dennoch keine Entschädigung beantragen.

Peter Pöschmann, Döbeln


Erinnern Sie sich? Nur sechs Fußballhelden des DFB haben beim EM-Vorbereitungsspiel gegen Frankreich (1:2) die BRD-Nationalhymne mitgesungen. Sportdirektor Matthias Sammer thematisierte das im DFB. Ich hätte gern gewußt, ob Sammer 2006 auch die Frage aufgeworfen hatte, als eingeladene BRD-Nationalspieler (Kevin Kuranyi, Lukas Podolski, Bernd Schneider und Andreas Hinkel) ihre Teilnahme am Benefizspiel zu Gunsten eines UNO-Programms für die Armen der Welt auf "ausdrücklichen Wunsch" des Deutschen Fußballbundes absagen mußten. "Keine zusätzlichen Belastungen" mit Blick auf die Weltmeisterschaft 2006 in hiesigen Stadien, verkündete der DFB seinerzeit.

Obwohl 1994 die Olympischen Wettkämpfe in Lillehammer vor der Tür standen, war Olav Koss - von seinem Trainer unterstützt - mit Hilfsgütern in Afrika. Zu den aktiven und selbstlosen Sportlern, die sich für den internationalistischen Geist der Olympischen Bewegung eisetzten, gehörte auch Eric Heiden aus den USA. Der Eisschnellläufer hatte sich 1980 nach seinem fünffachen Olympiaerfolg in Lake Placid in einem Schreiben an den US-Präsidenten gegen den Boykott der Spiele in Moskau ausgesprochen.

Was soll da die "Flucht" von Matthias Sammer in den Nationalismus?

Meister des Sports Manfred Wozniak, Erfurt


Lieber Archie, unsere Familie fühlt mit Dir. Dein schreckliches Kurschicksal in Kolobrzeg bewegt uns tief. Wie tragisch muß es doch gewesen sein, den Aufenthalt in einem Zimmer ohne Aussicht, offensichtlich einer Dunkelkammer, verbringen zu müssen! Unsere Zimmer hatten immer Fenster.

Es tut uns leid, wenn Du zu den Kurpatienten gehören solltest, die meinen, daß man gefüttert, getränkt, ausgeführt, bespaßt und mit auserwählter Kunst verwöhnt werden müßte.

Jährlich besuchen Zehntausende Kurgäste Kolobrzeg. Von solch üblen Erlebnissen, wie sie Dir zuteil wurden, haben wir bei unseren Aufenthalten nichts bemerken können und in Gesprächen mit anderen Gästen auch nichts gehört. Auf Deinen Satireversuch, der sich auch auf die polnische Küche und die Servierkräfte bezog, antworten wir in gleicher Sprache.

Max und Irene Seeger, Leuenberg


Im November 2010 endete eine Veranstaltungsreihe, die unter dem Namen Berlin-Brandenburger Forum "Schule, Pädagogik, Gesellschaft" stand. Seit Juni 1991 waren hier Monat für Monat Pädagoginnen und Pädagogen unterschiedlicher erziehungswissenschaftlicher und berufspraktischer Provenienz zusammengekommen, um in freiem Gedankenaustausch themenbezogene Fragen aus Vergangenheit und Gegenwart kritisch zu reflektieren und über vernünftige Wege aus der Bildungskrise nach der "Wende" zu beraten. 201 Kolloquien bedeuteten 201 Mal Nachdenken über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Bildungspolitik, Erziehung und Pädagogik in Deutschland. Und es entwickelte sich die Idee, das breite Spektrum der Diskussionsthemen erneut aufzugreifen und aus heutiger Sicht in einem Sammelband mit dem Titel "Bildung - Pädagogik - Gesellschaft" (herausgegeben von Prof. Dr. Günter Wilms und mir) zu publizieren. Das im GNN-Verlag Schkeuditz erschienene Werk ist unter ISBN 978-3-89819-369-6 für 18 Euro beim Buchhandel zu beziehen.

Prof. Dr. Horst Weiß, Strausberg


Die führenden Vertreter der bürgerlichen BRD-Parteien berufen sich bei jeder Gelegenheit auf ihre politisch-moralische Einbettung in eine "christlich-abendländische Wertegemeinschaft". Meine seit 1990 hierzulande gesammelten Erfahrungen haben bei mir aber an diesem Fundament ernsthafte Zweifel aufkommen lassen, da es eine erkennbare Doppelmoral gibt. Sie betrifft besonders den Umgang mit Begriffen wir Vergebung, Verzeihen, Versöhnung und Barmherzigkeit sowie die These, jeder habe eine zweite Chance verdient. Das gilt offensichtlich nur für die eigene Klientel, nicht aber für einstige DDR-Bürger, die mit dem Stigma der "Staatsnähe" belegt wurden. Unter dem Verdikt, die DDR sei ein "Unrechtsstaat" gewesen - einem Begriff, den weder das Landes- noch das Völkerrecht kennt -, werden sie mit inquisitorischem Eifer verfolgt und moralisch hingerichtet. Das alles geschieht 22 Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung.

Eine solche Doppelmoral ist mit dem Bekenntnis zu einer "christlich-abendländischen Wertegemeinschaft" und dem apostrophierten freiheitlichdemokratischen Rechtsstaat unvereinbar. Das Wort Versöhnung, das nach dem 2. Weltkrieg zur Grundlage für das Zusammenleben der Völker wurde, gehört im Umgang mit früheren DDRBürgern offenbar weder zum Wortschatz noch zum Verhaltenskodex. Hier gilt Null-Toleranz gegenüber Andersdenkenden!

Oberstleutnant a. D. Roland Potstawa, Königs Wusterhausen


Wenn es altmodisch sein sollte, dem wissenschaftlichen Sozialismus von Marx, Engels und Lenin in Theorie und Praxis die Treue zu halten, dann möchte ich mich als sehr altmodisch bezeichnen. Ich tue das mit Stolz. Zugleich glaube ich, daß es ausgesprochen modern wäre, die politische Macht und das Eigentum an den Produktionsmitteln in die Hände der Werktätigen zu legen. Die einzige Partei, die auf deutschem Boden jemals sozialistische Lebensbedingungen geschaffen hatte, war die SED. Daher gilt ihr und allen, die ihr Programm umzusetzen bemüht waren, mein ganzer Respekt! Der Staat, der das tat, war die Deutsche Demokratische Republik. Deshalb bleibt sie für mich das Beste, was die deutsche Arbeiterklasse je zustande gebracht hat. Jeden Monat freue ich mich, wenn es den neuen "RotFuchs" gibt.

Max Ludwig, Berlin

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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2012