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ROTFUCHS/142: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 188 - September 2013


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

16. Jahrgang, Nr. 188, September 2013



Inhalt

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Erinnern an Auschwitz

Zwei schlimme Kindheitserlebnisse haben sich mir für immer eingeprägt. Das erste trug sich 1943 in der Riesengebirgsstadt Hirschberg - heute Jelenia Góra - zu. Ich hatte erst wenige Monate das Gymnasium besucht, als man mir eine von Erziehungsberechtigten zu unterschreibende "rassische Unbedenklichkeitsbescheinigung" vorlegte. Dort wurde bereits nach "Mischlingen 2. Grades" gefragt. Dieser faschistischen Kategorisierung zufolge galt ich als "Vierteljude", da mein Großvater väterlicherseits einer jüdischen Familie in Böhmen entstammte. So mußte ich sofort die Schule verlassen.

Das zweite Erlebnis war damit nicht zu vergleichen. Im Sommer 1945 erkundigte sich mein Vater bei einer Institution mit der Bezeichnung JOINT, die über sämtliche von der SS geführten Sterbelisten aus den Konzentrationslagern verfügte, nach dem Schicksal von 15 Verwandten. Diese hatten in Eger (Cheb) gelebt und waren zunächst nach Theresienstadt deportiert worden. Sie seien ohne Ausnahme in Auschwitz ums Leben gekommen, wurde unter Angabe der jeweiligen Todesdaten mitgeteilt. Die Opferlisten in Israels Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und in der Prager Synagoge vermerken ihre Namen.

Leider ist all das nicht nur Geschichte: Die faschistische Wahnsinnsideologie, welche zur Ausrottung von Millionen Menschen aus politischen oder ethnischen Gründen geführt hat, ist nicht mit den Nazis untergegangen. Unter Bedingungen einer sich weiter zuspitzenden sozialen Konfrontation verzichten die Exekuteure der Macht des Kapitals, die sonst eine gefälligere Kosmetik bevorzugen, auf die demokratische Maske. Sie greifen immer öfter zu Instrumentarien der Faschisierung. Gebietet man dieser Entwicklung nicht Einhalt, dann mündet sie im offenen Faschismus. Jene, welche unablässig den Popanz einer imaginären "roten Gefahr" bemühen, wollen nur von einer sehr realen Bedrohung ablenken: In Deutschland nennt man sie die braune Gefahr.

Dabei fehlt es nicht an Versuchen, die Öffentlichkeit durch makabre Inszenierungen irrezuführen. So soll die sich qualvoll hinschleppende Münchener Justiz-Farce die Illusion angeblich entschlossener bundesdeutscher Verfolgungswut gegenüber Naziumtrieben nähren. Zugleich wird die Legalität der in mehreren Landtagen etablierten faschistischen NPD nicht angetastet. Und diese Formation stellt ja auch nur die Spitze des Eisbergs dar. Faschisten und Faschisierer besitzen längst in bürgerlichen Parteien und staatlichen Institutionen eine Heimstatt. Wie weit die rechtsradikale Unterwanderung geht, zeigt die jüngste Verquickung von BRD-Geheimdienstlern mit der bundesdeutschen Naziszene.

Als Gipfel der Heuchelei erweist sich der empörte Aufschrei von Merkel & Co über die "Ausspähung selbst intimster Sphären dieses Landes" durch Dienste der USA. Haltet den Dieb! heißt die Parole. Wer im Glashaus sitzt, sollte aber nicht mit Steinen werfen. Wiegt sich denn irgend jemand in der naiven Vorstellung, das aus Pullach in den gigantischen Berliner BND-Komplex übersiedelnde Personal sei nicht mit genau dem befaßt, was den Verbündeten aus Washington und London zum Vorwurf gemacht wird?

Die unkontrollierbare Allmacht der Recht und Gesetz mit Füßen tretenden NATO-Geheimdienste ist ein wesentlicher Faktor der fortschreitenden innenpolitischen Faschisierung. Europas Rechtsradikale reizen die ihnen gewährte Legalität im Übermaß aus. Unmaskierte Faschisten machen sich längst in den Parlamenten Frankreichs und Italiens breit. Marine Le Pens Front National kann sich nach jüngsten Umfragen auf nahezu ein Fünftel der französischen Wähler stützen. Zur Regierungskoalition des als Krimineller verurteilten italienischen Ex-Premiers Berlusconi gehörte bekanntlich auch die Nachfolgepartei der Faschisten Mussolinis - Finis aus Getreuen des Duce rekrutierte MSI.

Diese Tatsache hat im Brüsseler EU-Hauptquartier keinen Anstoß erregt. Die in der Horthy-Tradition stehenden ungarischen Faschisierer Orbáns durften sogar ein halbes Jahr lang im Europa der Monopole den Taktstock schwingen. In Griechenland schreckte die Partei von Premier Samaras nicht einmal davor zurück, sämtliche hellenischen Staatssender auf einen Schlag mundtot zu machen.

Man könnte den Blick auch auf Ankara richten, wo der islamistische Faschisierer Erdogan den türkischen Unterdrückungsapparat mit äußerster Brutalität gegen die mutig aufbegehrenden Frauen und Männer vom Taksimplatz losschlagen ließ. Der regierungsoffizielle Terror zielt ganz besonders auch auf die Genossen der mutigen TKP.

Schließlich sollte man Israel bei dieser Betrachtung nicht aus dem Auge verlieren. Dessen zum Teil faschistoide Machthaber bestücken nicht nur die aus BRD-Waffenschmieden gelieferten U-Boote mit Atomraketen, sondern folgen in ihrem rassistischen Vorgehen gegen die Palästinenser Gazas und des Westjordanlandes auch der Spur jener Ideologie, welche einst den Holocaust hervorbrachte.

Um den Kreis zu schließen: Was meiner väterlichen Verwandtschaft unter der Schreckensherrschaft der Nazis widerfuhr, wurzelt keineswegs im "deutschen Wesen", sondern in dem mal mit, mal ohne Maske auftretenden kapitalistischen System. Der faschistischen Bedrohung überall den Kampf anzusagen und Barrikaden des Massenwiderstandes gegen sie zu errichten, ist das Gebot der Stunde.

Klaus Steiniger

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Vor 40 Jahren putschte Pinochet gegen das Chile der Unidad Popular

Mein kostbarstes Souvenir

Nach dem Militärputsch in Chile am 11. September 1973 machte die entfesselte Soldateska des Generals Pinochet Jagd auf bekannte Anhänger der gestürzten Regierung Salvador Allendes und des Linksbündnisses Unidad Popular. Ausnahmslos alle, derer man habhaft werden konnte, wurden verhaftet. Es waren so viele, daß die großen Sportarenen Santiagos in Gefängnisse umfunktioniert wurden. Festgenommene pferchte man in Räumen unter den Tribünen des Nationalstadions ein. Sie wurden an Ort und Stelle verhört, gefoltert und einige von ihnen ermordet. Bekanntestes Terroropfer war der populäre Sänger Victor Jara, dem zuvor die Hände, mit denen er seine Gitarre gespielt hatte, zerschlagen worden waren. Als nicht minder berüchtigt galt das Stadion de Chile, welches der damals neu gegründete Geheimdienst DINA für seine Untaten auserkoren hatte.

Im ganzen Lande richteten die Putschisten behelfsmäßige Gefangenenlager ein, die als Folterzentren traurige Berühmtheit erlangten. Darunter befanden sich "Villa Grimaldi" und "Tres Alamos" in Santiago, "Tejas Verdes" bei Concepcion, "Ritoque" an der Küste bei Vina del Mar und auch die späteren Konzentrationslager Chacabuco in der nördlichen Atacama-Wüste sowie das auf der Insel Dawson im unwirtlichen Süden des Landes. Die Gefangenen waren hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt. Sie erfuhren nichts über das weitere Geschehen im Lande und das Schicksal ihrer Familien.

Chacabuco war eine um 1908 verlassene Salpetermine. Wie andere "Oficinas" hatte man sie nach dem plötzlichen Verfall der Salpetergewinnung aufgegeben. Die Öfen, in denen die "Caliche", der Rohsalpeter, gekocht wurde, die primitiven Wohngebäude, die Kirche, welche gleichzeitig als Theater und Veranstaltungsraum diente, der als Wahrzeichen weithin sichtbare große Schornstein sowie der Verwaltungstrakt blieben infolge des trockenen Wüstenklimas in ihrer Grundsubstanz erhalten. Die Militärs zogen um das ganze Areal lediglich einen Stacheldrahtzaun.

Die Gefangenen, gebildete und politisch aktive Menschen, drohten in dieser Isoliertheit und nach den zuvor erfahrenen Foltern psychisch zugrunde zu gehen. So kamen einige auf den Gedanken kreativer Tätigkeit. Zuerst schuf man sich Werkzeuge zum Schleifen von Steinen, wozu auch Sand diente, Metallgegenstände wie Nägel, Beschläge und Schrott wurden zu Sticheln, Schnitz- und Schneidwerkzeugen. Letztendlich zerteilte man alte Holzbohlen in handliche Stücke. Hierauf zeichneten Begabte verschiedene Motive des Lagers, die dann von den Schnitzern so bearbeitet wurden, daß die Konturen plastisch hervortraten. Angesichts des primitiven Geräts sowie ohne vorherige Ausbildung oder praktische Erfahrung war das eine mühselige und aufwendige Arbeit, die Geschick erforderte. Dabei kamen beachtliche Werke zustande. Als nach einiger Zeit Familienangehörigen Besuchserlaubnis erteilt wurde, schmuggelten sie einzelne Gegenstände aus dem Lager, um sie in Santiago zu verkaufen und aus dem Erlös Lebensmittel zu bezahlen.

Auch uns - der Restgruppe der DDR-Vertretung, die nun unter dem Schutz der finnischen Botschaft stand - wurden solche kleinen Kunstwerke angeboten. Wir erwarben sie für einen Solidaritätspreis. Fast jeder unserer Mitarbeiter leistete dazu seinen Beitrag. Heute sind das Reliquien von hohem Erinnerungswert. Ich selbst kaufte eine Arbeit, die aus einer Tischplatte entstanden war. Sie zeigt Motive des Lagers Chacabuco. Von dem Laienkünstler weiß ich nur, daß er Roman hieß. Sein Relief erinnert mich stets an unser damaliges Wirken zur Unterstützung der drakonisch verfolgten chilenischen Antifaschisten.

Wir konnten damals vielen untergetauchten Genossen helfen und sie dem Zugriff der Junta Pinochets entziehen. So gelang es, den Generalsekretär der Sozialistischen Partei Chiles, Carlos Altamirano, in einer wagemutigen Aktion illegal über die Grenze nach Argentinien zu schleusen.

Viele zur Emigration Gezwungene fanden in der DDR politisches Asyl. Sie erlebten die Solidarität unseres sozialistischen Staates und seiner Menschen, wurden in den Alltag, vor allem in Arbeitsprozesse, voll integriert. Nicht wenige von ihnen studierten und konnten wissenschaftliche Kenntnisse oder praktische Erfahrungen erwerben. Auch die jetzt abermals für das höchste Amt der Andenrepublik kandidierende Ex-Präsidentin Michelle Bachelet, die sich in der DDR als Ärztin qualifizierte, gehörte dazu. Bei ihrer Bewerbung kann die Sozialistin diesmal mit der Unterstützung der KP Chiles rechnen.

Die uneigennützige Hilfe der DDR ist bei den Chilenen nicht in Vergessenheit geraten. Die heutige BRD-Außenpolitik gegenüber Chile - sie war auch damals auf die Stärkung der Reaktion im Andenland gerichtet - kommt vor allem einflußreichen Finanz- und Industriekonsortien zugute. Das Interesse der BRD an Chiles Rohstoffen, besonders Kupfer, sowie an Waffenlieferungen für die chilenischen Streitkräfte und militärischer Kooperation aber bestimmen aus Berliner Sicht die bilateralen Beziehungen.

Das Schicksal der Familie Honecker, die nach der Konterrevolution und dem Anschluß der DDR an die BRD als verfolgte deutsche Antifaschisten in Santiago Aufnahme und gute Freunde fand, zeugt davon, daß der Gedanke der Solidarität zwischen Chilenen und dem guten Deutschland die Zeiten überdauert hat.

Rudolf Herz, Berlin

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Im September 1938 wurde der CSR das Genick gebrochen

Berlin hält an München fest

Am 29./30. September 1938 entschieden Hitler und Mussolini, Chamberlain und Daladier in der bayerischen Metropole über ein Diktat. Die betroffene Prager Regierung war nicht vertreten. Die Tschechoslowakei wurde zerschlagen. "Sudetendeutsche" kehrten "heim ins Reich". Das "Münchner Abkommen" löste ein konträres Echo aus. Der Brite Chamberlain feierte es als "Frieden in unserer Zeit", wobei er hoffte, Hitlers Expansionsdrang gen Osten gelenkt zu haben. Die UdSSR, die KPD und viele nichtfaschistische Politiker urteilten, die "Münchner Politik der Befriedung" sei der entscheidende Schritt in den Krieg.

Die Naziregierung ging davon aus, ihren Aggressionskurs nun ungehindert fortsetzen zu können. Die meisten Bürger der CSR fühlten sich verraten und verkauft. Ein halbes Jahr später wehte auf dem Hradschin die Hakenkreuzfahne. Die Tschechoslowakei blieb bis 1945 das "Reichsprotektorat Böhmen und Mähren" des SS-Generals Heydrich und seiner Nachfolger. Die Stellung zum Münchner Diktat wurde zur entscheidenden Trennlinie aller politischen Kräfte Europas.

Wie standen beide deutsche Staaten zu München? In der Gemeinsamen Erklärung der Deutschen Demokratischen Republik und der Tschechoslowakischen Republik über Freundschaft und Zusammenarbeit wurde bereits am 23. Juni 1950 die Ungültigkeit des Münchner Diktats von Anfang an (ex tunc) erklärt. Darin hieß es: "Unsere beiden Staaten haben keine Gebiets- und Grenzansprüche, und ihre Regierungen betonen ausdrücklich, daß die durchgeführte Umsiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakischen Republik unabänderlich, gerecht und endgültig gelöst ist."

Hier muß auf den Begriff Umsiedlung aufmerksam gemacht werden. Die Alliierten verwendeten den Begriff Transfer, die Tschechen jahrzehntelang odsun (Abschiebung), in der DDR war von Umsiedlern die Rede, während man in der BRD gezielt die Worte Vertreibung und Vertriebene einbürgerte. "Vertreibung" assoziiert von vornherein Unrecht, "Vertriebene" sind "Opfer".

Eine Studie Tomas Staneks "Abschiebung oder Vertreibung" untersucht die Entwicklung und Bedeutung der Begriffe, um die es hier geht. Wer "Vertriebener" verwendet, muß beachten, welchen amtlichen Inhalt er durch ein Gesetz der BRD vom 3. September 1971 erhalten hat. Danach sind selbst die Urenkel einstiger Umsiedler "Vertriebene". So konnte es geschehen, daß sich deren Zahl unablässig erhöhte. Die BRD hat das Münchner Diktat bis heute nicht ex tunc für ungültig erklärt.

Am 27. Februar 2013 bat ich das Auswärtige Amt der Merkel-Regierung um Auskunft, ob der völkerrechtswidrige Gewaltakt noch in Kraft sei. Am 14. März 2013 antwortete der zuständige Mitarbeiter: "Die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakei geschlossenen Verträge (1973 und 1992) haben die unterschiedlichen Rechtsauffassungen stets ausgeklammert. Auch in der deutsch-tschechischen Erklärung vom 21. Januar 1997 wird festgehalten, daß jede Seite ihrer Rechtsauffassung verpflichtet bleibe und respektiere, daß die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat." In der Juristensprache heißt das: Nach "Maßgabe des Vertrages" verlor die CSR das Recht auf materielle Ansprüche ihrer natürlichen und rechtlichen Personen. Für die BRD-Seite gab es einen solchen Passus nicht.

Außerdem ist da noch die deutsch-tschechische Erklärung vom 21. Januar 1997, die durch die Parlamente beider Staaten einmütig gebilligt wurde: "Beide Seiten erklären ..., daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden." Auch die CDU-Fraktion, der die "Vertriebenen"-Chefin Steinbach angehört, votierte dafür. Helmut Kohl hatte in Prag ausdrücklich betont, daß Eigentumsfragen unberührt blieben.

Bis 1990 pochte jede BRD-Regierung darauf, daß die "deutsche Frage" - als territoriales Problem - nur in einem Friedensabkommen endgültig gelöst werden könne. Erst unter völlig neuen Rahmenbedingungen setzten die wichtigsten imperialistischen Staaten auf den Zwei-plus-vier-Vertrag - ein Münchner Diktat für die DDR! Die Tschechoslowakei war abermals nicht einbezogen.

In der BRD machten sich die Sudetendeutsche Landsmannschaft, der Witiko-Bund und andere Revanchisten breit. Die DDR war innen- und außenpolitisch, ökonomisch und ideologisch im Bruderbund sozialistischer Staaten aufs engste mit der CSSR verbunden.

Der "Prager Frühling" 1968 zeigte den Standort beider deutscher Staaten.

1989 sprachen die Konterrevolutionäre in Prag von der "samtenen Revolution", bei der Liquidierung der DDR hieß das Schlüsselwort hingegen "friedliche Wiedervereinigung".

Was folgte? Da gab es das inszenierte Geschrei um die "Benes-Dekrete", übrigens auch im Sächsischen Landtag.

Gewisse Politiker, Publizisten, Historiker und Amtsträger der Sudetendeutschen Landsmannschaft sprechen gern über die "Europäisierung der sudetendeutschen Frage". Dabei geht es nach ihrer Satzung um "den Rechtsanspruch auf die Heimat, deren Wiedergewinnung und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe" sowie "das Recht auf Rückgabe bzw. gleichwertigen Ersatz oder Entschädigung des konfisziertem Eigentums der Sudetendeutschen".

Voraussetzung für die Erfüllung solcher Ansprüche aber wäre die Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges, die sowohl im Potsdamer Abkommen als auch - was die Tschechoslowakei betrifft - in speziellen Dokumenten der Staatsführung festgeschrieben wurden. Die Revanchistenforderung, die abwertend als "Benes-Dekrete" bezeichneten Präsidentenerlasse für ungültig zu erklären, belastet das Verhältnis zwischen Berlin und Prag. Das zeigte sich z. B. bei der Wahl des tschechischen Präsidenten Anfang 2012, als sich der damalige Außenminister Fürst Schwarzenberg und der Sozialdemokrat Milos Zeman als Kandidaten gegenüberstanden. Die offen "prodeutsche" Haltung Schwarzenbergs führte zu dessen Niederlage.

Vier Wochen nach der Wählerentscheidung besuchte der Prager Premier Petr Necas die bayrische Landeshauptstadt München, die als Zentrum des antitschechischen Revanchismus in der BRD gilt. Dort gab er von sich: "Wir bedauern, daß durch die am Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie die zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung diesen viel Leid und Unrecht zugefügt hat." Das widersprach dem Text der Prager Erklärung von 1997, die den Weg zur Versöhnung hatte freimachen sollen.

Sachsens seinerzeitiger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der an der Arbeit der deutsch-tschechischen Kommission teilgenommen hatte, befand am 28. April 1995: "Objektive Wahrheiten, denen sich alle vorbehaltlos ein- und unterordnen können, gibt es in der menschlichen Erkenntnis nicht."

Eine Begründung für die Weigerung der BRD-Regierung, das Münchner Diktat ex tunc für ungültig zu erklären, liefern solche nebulösen Reden nicht.

Prof. Dr. Horst Schneider

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Die prägnanteste Zusammenfassung des Marxismus ... durch Marx

All in a nutshell" - Alles in einer Nußschale - pflegt man im anglo-amerikanischen Sprachraum zu sagen, wenn es um extrem komprimierte Aussagen geht. Der bald folgende Auszug aus Marxens "Vorwort zur Kritik der Politischen Ökonomie" ist die fundamentalste, verständlichste und zugleich kürzeste Zusammenfassung des Marxismus in seiner Einheit von Geschichte, Philosophie und Ökonomie. Jeder, der mit dem abstrakten Begriff "Marxismus" nichts anzufangen vermag, oder gar völlig falsche Vorstellungen von ihm durch die bürgerliche Ideologie aufgenommen hat, sollte sich diese konzentrierte Darstellung Satz für Satz gründlich durchdenken und aneignen. Leser könnten die Aussagen des Vorworts mit ihren eigenen Geschichtskenntnissen vergleichen, um festzustellen, daß alle bisherige Historie nach den dort skizierten Gesetzmäßigkeiten verlaufen ist. Daher kann es auch keinen Grund für die Annahme geben, daß deren Verlauf nunmehr und fortan nach ganz anderen Kriterien erfolgt und - wie die Apologeten dieses Systems behaupten - der Kapitalismus das letzte Kapitel der Menschheitsgeschichte darstellt.

Der Marxismus ist die einzige in sich geschlossene gesellschaftswissenschaftliche Konzeption, die der Menschheit den Weg in die Zukunft weist. Allein aus diesem Grunde wird er permanent auf den Index gesetzt und unterdrückt. Wer sägt schon gerne den Ast ab, auf dem er sitzt?

Die heutigen Nutznießer der Ausbeutergesellschaft müßten ja zugeben, daß ihre Lebens- und Produktionsweise geschichtlich überholt ist und daher grundlegender Veränderungen bedarf, um ein Fortbestehen von Natur und Gesellschaft zu gestatten.

Während heute die Bibel in fast jedem Hotelzimmer ausliegt, Okkultismus und Antikommunismus über TV in alle Wohnzimmer Einzug halten, muß die marxistische Wissenschaft durch mutige Verfechter in Wort und Bild außerhalb dieser alles durchdringenden Medienwelt verbreitet werden.

Doch geben wir Marx zum Antagonismus - dem unüberbrückbaren Gegensatz der Klassengesellschaft - selbst das Wort:

"In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten. Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebensowenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewußtsein beurteilen, sondern muß vielmehr dies Bewußtsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären. Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen sind. (...) Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht im Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab." (MEW, Bd. 13, S. 8 f.)

Freilich ist damit noch nicht gesagt, wie die Umwälzung vonstatten geht, aber daß sie kommen muß, ist bewiesen.

Ausgewählt und kommentiert von Dr. Werner Kulitzscher, Berlin

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Nahtloser Übergang vom Antisowjetismus zur Russen-Phobie

Schon wieder neue Nachrichten aus Putins Reich, bei denen allen Demokraten des Berliner Regierungsensembles das Blut in den Adern gefriert. Ihren Wählern natürlich auch:

1. Da baut sich der mächtigste Mann der Welt vor Berlins Brandenburger Tor auf, um eine Abrüstungsinitiative zu verkünden. Doch auf Obamas heldisches Vorbringen erschallte aus dem Moskauer Kreml nicht sofort bedingungslose Zustimmung.

2. Die russische Polizei stürmt das Büro einer als Menschenrechtsorganisation firmierenden Gruppe. "Wir Europäer" verurteilen dieses Vorgehen.

3. Rußland hält an der Unterstützung des syrischen "Assad-Regimes" fest und liefert weiter Waffen an den Machthaber in Damaskus.

4. Bundeskanzlerin Merkel redet mit Putin "Klartext" zum Thema "Beutekunst".

Das Verhältnis der beiden Regierungen scheint im argen zu liegen. Das mächtige Deutschland stellt die eigenen Ansichten klar, worauf aus Moskau offensichtlich immer nur Reaktionen - und zwar die falschen - gesendet werden. Verblüffend ist, daß die Regierung der BRD mit "deutlichen Worten" auftritt. Vielleicht sollte darüber noch einmal nachgedacht werden, damit sich die Reaktionen aus Moskau besser einordnen lassen.

Denn offensichtlich ist man in Berlin sehr wohl dazu imstande, mit Israel einen durchaus gemäßigten Umgangston zu pflegen und jede Art von substantieller Kritik vollständig auszublenden - zum Beispiel in bezug auf Tel Avivs Machtgelüste in den seit 1967 widerrechtlich besetzten arabischen Gebieten. Hier ist - angesichts der Verbrechen der Deutschen am jüdischen Volk - durchaus Zurückhaltung angesagt. Ich frage mich aber seit Jahrzehnten, ob dieses Maß der Scham nicht auch gegenüber den Völkern der früheren Sowjetunion angebracht wäre. Doch mittlerweile gehört es wohl zum guten Ton, die 25 Millionen, vielleicht sogar weit mehr Opfer, die der vom deutschen Faschismus entfesselte Zweite Weltkrieg dort gefordert hatte, zu übergehen und die alten Feindbilder wieder aufleben zu lassen. Mit und ohne Bolschewiki an der Macht! Inzwischen darf ungestraft über die "Putin-Diktatur" gesprochen und geschrieben werden.

Sogar der Begriff "Beutekunst" ist in vieler Munde, obwohl damit unterstellt wird, daß die Sowjetarmee diese Schätze völkerrechtswidrig in ihren Besitz gebracht hat. Eine Bemerkung dazu: Zu Recht wird von russischer Seite darauf verwiesen, daß die deutschen Eindringlinge unermeßliche Kunstschätze der UdSSR geraubt oder vernichtet haben, so daß nach dem Sieg nur in geringem Maße ein Ausgleich für die erlittenen Verluste geschaffen worden ist. Wir haben es hier mit einem massiven Eingriff in die Hoheitsrechte eines souveränen Staates zu tun.

Doch reden wir weiter ohne Umschweife: Das Büro einer sich als Menschenrechtsorganisation darstellenden Vereinigung wurde von Polizisten geräumt. Sofort hieß es, in Rußland würden die Menschenrechte mit Füßen getreten. Wenn man indes sein Ohr den wenigen Bekanntmachungen in der deutschen Presse leiht, handelt es sich darum, daß aus dem westlichen Ausland ohne alle Skrupel Geld in Vereine fließt, um deren oppositionelle Politik zu finanzieren. Von den meisten Staaten der Welt wird ein derartiges Vorgehen als Einmischung in innere Angelegenheiten betrachtet. Selbstverständlich hat in einem solchen Falle jeder Staat das Recht, gegen derartige Einflußnahme vorzugehen.

Mit erheblicher Skepsis dürfte im Generalstab der russischen Streitkräfte auch der zweifellos publikumswirksame Vorschlag Barack Obamas zur Reduzierung der Atomwaffenbestände aufgenommen worden sein, enthält er doch nicht das Angebot, Hunderte von Stützpunkten rund um Rußland schließen zu wollen. Es ist ein Leichtes, Waffen gegeneinander aufzurechnen, dabei aber auf den strategischen Vorteil nicht zu verzichten. Zum Beispiel kam der US-Präsident auch nicht darauf zu sprechen, die Atom-U-Boot-Flotte seiner Navy zu reduzieren oder die Stützpunkte in Japan aufzugeben. Daher dürfte es für Rußland äußerst riskant sein, sich auf ein solches "Abrüstungs"-Angebot einzulassen.

Ganz anders liegen die Dinge um Syrien. Zu Recht sympathisieren Menschen in aller Welt mit der russischen Position in diesem Konflikt: Das souveräne Syrien erwehrt sich einer Invasion von "Gotteskriegern", unter denen viele durch Damaskus feindlich gesonnene Mächte finanziert und versorgt werden. Diese Tatsache ist unbestreitbar. Trotz aller Greuelpropaganda stehen nach Berichten politischer Beobachter immer noch drei Viertel des syrischen Volkes zur Regierung Assad. Dies wurde auch durch eine bisher nicht veröffentlichte NATO-Studie belegt. Daher, aber auch aus begreiflichen Gründen wie der Abneigung, in den von "Rebellen" besetzten Gebieten nach den Regeln der Scharia leben zu müssen, ist die Forderung, tatenlos zuzusehen, wie Assads Gegner ohne jede Hemmschwelle mit Waffen versorgt werden, vollkommen unannehmbar.

In diesem Zusammenhang wird oft geringschätzig vom "Assad-Regime" gesprochen, obwohl dem syrischen Präsidenten keine Menschenrechtsverstöße vorgeworfen werden können. Behauptungen dieser Art sind konstruiert. Vielmehr sollten wir in dieser Frage Verständnis für die von Moskau eingenommene Position zeigen. Nicht ohne Grund befürchtet die russische Führung übrigens eine massive Einflußnahme militant-islamistischer Kräfte bis in den Süden ihres Landes. Ganz zu schweigen davon, daß mit den Waffen, die jetzt an die "Rebellen" geliefert werden, ein neues Bedrohungspotential entsteht, das nicht nur regionaler Natur ist.

Alles in allem zeigt sich, daß kein Weg daran vorbeiführt, gemeinsam mit der russischen Regierung die genannten Aspekte der angespannten Weltlage im Auge zu behalten. Der derzeitige Berliner Kurs einer arroganten Herabwürdigung russischer Positionen und Interessen bedarf einer Abfuhr seitens aller Friedenskräfte.

Torsten Scharmann, Berlin

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Zur Rolle der Persönlichkeit im proletarischen Klassenkampf

Revolutionen brauchen Köpfe

Der Wechsel von Gesellschaftsformationen ist eine gigantische Aufgabe und erfordert geschichtliche Zeiträume, welche die Lebensdauer nur einer Generation bei weitem übersteigen. Dies ist seit den Tagen von Marx und Engels bekannt, allerdings wollen es manche so nicht wahrhaben. Es gab bekanntlich Staatsmänner und Parteiführer sozialistischer Länder, die offiziell verkündeten, selbst noch im Kommunismus leben zu wollen. Die Bourgeoisie benötigte Jahrhunderte zur Überwindung des Feudalismus, wobei noch heute Reste von ihm fortbestehen. Die Vorstellung, den Kapitalismus voluntaristisch "wegblasen" zu können und den Sozialismus "auf die schnelle" aus dem Boden zu stampfen, ist absolut unhistorisch.

In einem Briefwechsel mit Klaus Steiniger stellte Nico J., Student der Philosophie und Mathematik in Wuppertal, bezogen auf Gorbatschow und seinesgleichen die rhetorische Frage: Welche Stärke besitzt eigentlich ein System, bei dem ein kleines Quantum Abtrünniger und Verräter ausreicht, um es zu Fall zu bringen? Seit dem Untergang der sozialistischen Staaten Europas beschäftigt diese Frage nicht wenige Menschen.

Von Beginn an galt die führende Rolle einer marxistischen Partei als Grundvoraussetzung für den Aufbau einer alternativen Gesellschaft zum Kapitalismus. Die Notwendigkeit einer fähigen eigenen Führung ergibt sich nicht zuletzt aus dem hohen Organisierungsgrad des sozialen Gegners und der Härte des Klassenkampfes, der letztlich auf Leben und Tod geführt wird.

Wenn eine starke und zielklare Organisation mit einer entsprechenden Spitze fehlt, gelangen revolutionäre Bewegungen nicht über eine Rebellion hinaus. Der Erfolg bleibt aus. Darin besteht gegenwärtig die Tragik der grandiosen Volksbewegungen in Ägypten, der Türkei, Brasilien und anderen Regionen, wo sich objektiv revolutionäre Situationen herausgebildet haben, die sich aber derzeit subjektiv nicht für eine fundamentale Veränderung der Macht- und Eigentumsverhältnisse nutzen lassen. Siege und Niederlagen jener Staaten, welche sich auf dem Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft befanden, müssen daher stets auch unter dem Aspekt der Stärken und Schwächen ihrer marxistischen Parteien betrachtet werden. Dabei geht es weniger um einzelne Fehlentscheidungen auf ökonomischem Gebiet, sondern vor allem um deren Kapazität zur Motivierung, Mobilisierung und maximalen Einbeziehung aller in Betracht kommenden Teile der Bevölkerung.

Nicht die Zahl ihrer Mitglieder bestimmt in erster Linie die Stärke einer marxistischen Partei, sondern deren Zielklarheit und Organisationsgrad sowie die Qualität ihrer Führung. 1917 folgten Millionen der zahlenmäßig kleinen bolschewistischen Partei - sie zählte zum Zeitpunkt der Oktoberrevolution etwa 40.000 Mitglieder -, weil sie eine durchdachte Strategie zur Lösung der Widersprüche und Probleme besaß. 1990 scheiterten die staatstragenden Parteien aller sozialistischen Länder Europas, obwohl ihnen nominell Millionen Mitglieder angehörten.

Am Beispiel Lenins wurde die bedeutende, ja geradezu entscheidende Rolle klar, die einer Führungspersönlichkeit zukommt oder einer Gruppe von Führern zukommen, welche den Kurs maßgeblich bestimmen und die strategische Generallinie taktisch klug umsetzen müssen. Das gilt besonders in Krisensituationen. Auch das seinerzeitige Überleben des plötzlich völlig isolierten Kuba und dessen heutige Ausstrahlung hängen entscheidend damit zusammen, daß Fidel Castro als prägender Teil eines Kollektivs über solche Fähigkeiten verfügte. Gleiches traf natürlich auch auf Mao Tse-tung und Ho Chi Minh zu. Erinnert sei hier an das Charisma des Venezolaners Hugo Chávez.

Solche Persönlichkeiten an der Spitze revolutionärer Kräfte sind unverzichtbar, weil der Mensch ein soziales Wesen ist, das sich mit seiner Individualität in die Gesellschaft einbringen und sie bereichern kann, allein aber kaum existenzfähig ist.

Wirkliche Führer zeichnen sich nicht zuletzt durch ein hohes Maß an Selbstlosigkeit und Bescheidenheit in persönlichen Dingen aus. Sie können eine starke Basis schaffen, die etwas bewegt. Mit ihrer Ausstrahlung hängt zweifellos auch die Schwierigkeit zusammen, jüngere Nachfolger oder ganze Kollektive zu entwickeln, die dazu imstande sind, die Arbeit nahtlos fortzusetzen. Nicht immer kann ein Verlust ausgeglichen und ein entstehendes Vakuum gefüllt werden. Die sozialistischen und kommunistischen Parteien haben viele führende Persönlichkeiten hervorgebracht, die Großartiges leisteten und leisten. Doch nicht alle vermochten den hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Etliche erlagen menschlichen Schwächen und der Verlockung, Einfluß oder Macht in einer der Sache abträglichen Weise zu mißbrauchen.

Lenin hatte die Arbeiter und Bauern Rußlands gelehrt, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Das bleibt sein größtes Vermächtnis. Es wurde auch für andere unterdrückte Völker zu Kompaß und Richtschnur. Immer dann, wenn es gelang, die Kreativität und Mitwirkung der Volkskräfte zu mobilisieren, haben Menschen Unglaubliches geleistet. Das faschistische Deutschland konnte nur besiegt werden - und ähnliches erfuhren die US-Aggressoren in Vietnam -, weil sie einem Volk gegenüberstanden, das seine ureigensten Interessen verteidigte.

Nicht weniger zählen Leistungen im Alltag des friedlichen Lebens, beim Aufbau einer menschenwürdigen Gesellschaft. Auch hier gab es Leiter, die es vermochten, die unterschiedlichen Potenzen der einzelnen Menschen für ein gemeinsames Ziel zu mobilisieren, und solche, die dabei versagten. Das Kaliber der Persönlichkeit fiel auf sämtlichen Leitungsebenen entscheidend ins Gewicht.

Kultur und Bildung hatten in den sozialistischen Staaten einen besonders hohen Stellenwert. Einfache Menschen erwarben Wissen zum Nutzen der ganzen Gesellschaft. Lenins besonders an die Jugend gerichteter Appell: "Lernen, lernen und nochmals lernen!" hat nicht nur in der UdSSR, sondern in sämtlichen sozialistischen Ländern reiche Früchte getragen. In der DDR sicherte die 10klassige polytechnische Oberschule eine allseitige Grundausbildung, zu der auch eine emotionelle Komponente gehörte. Ständige Weiterbildung und Qualifizierung wurden für Millionen zum Lebensprinzip. Nicht wenige von ihnen motivierte das dazu, sich, ohne nach persönlichen Vorteilen zu schielen, mit ganzer Kraft für die Entwicklung ihres sozialistischen Staates einzusetzen. Zu ihnen zählten auch viele Mitglieder der SED. Das widerspricht der heute durch Medien und Politiker der Bourgeoisie verbreiteten Unterstellung, die meisten Genossen seien allein aus Karrieregründen in die Partei eingetreten. Leider war deren Zahl angesichts der Verwandlung der Vorhutpartei in eine Massenorganisation ebenfalls nicht gering.

Eine machtausübende, damit auch für die Besetzung der Posten und das Drucken des Geldes zuständige Partei ist von vornherein für viele attraktiv. Das nicht hinreichend beachtet zu haben, gehört zu den Hauptversäumnissen der SED, die in ihrer bewegten Geschichte wichtige Führer der Klasse und auch solche anderer Art hervorgebracht hat.

Horst Neumann

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Kritisch-solidarische Wortmeldung einer Weggefährtin aus Frankreich

Jeden Monat warte ich voller Ungeduld auf den "RotFuchs" und lese die Zeitschrift mit großem Interesse. Der Beitrag Siegfried Schuberts in der Juli-Ausgabe zu den Ursachen des Untergangs der DDR löste bei mir besondere Zustimmung aus. Was er sagt, entspricht auch meiner Überzeugung, die ich bei zahlreichen Besuchen in der DDR als Gast der Akademie der Künste sowie bei Verlagen und Schriftstellern gewonnen habe. Zunehmend bewegt mich, daß den eigenen führenden Leuten der DDR immer mehr die Überzeugung abhanden gekommen war, zu den Siegern der Geschichte zu gehören - nicht an einem St.-Nimmerleins-Tag, sondern nach Maßgabe eigener Möglichkeiten und Anstrengungen noch zu Lebzeiten ihrer Enkel. Warum gelang es ihnen nicht mehr, diese Überzeugung ihrem Volk zu vermitteln?

So kam es aus meiner Sicht dazu, daß sie vom Volk immer weniger ernst genommen wurden, obwohl sie doch selbst aus diesem hervorgegangen waren. Warum zogen sie keine Konsequenzen aus dem spürbar wachsenden Abstand zwischen Volk und Regierung, der eines sozialistischen Staates unwürdig ist?

Und: Warum ging man an verantwortlicher Stelle zunehmend von einer Unterlegenheitsperspektive gegenüber dem Westen aus? Wieso wurde ich, bloß weil ich von dort kam, ohne besondere eigene Verdienste um vieles respektvoller behandelt als die eigenen Leute? Wie sollten in der Bevölkerung Ehrlichkeit und furchtloses Hinterfragen entstehen, wenn das "da oben" gar nicht mehr existierte? Warum gab es statt echter Bemühungen "von oben" nun einen erhöhten propagandistischen Aufwand und zunehmende Überwachung, so daß "unten" jegliches Bemühen um einen besseren Sozialismus erstarrte? Zunehmend bekam ich auf meine Fragen zu hören: Die da "oben" interessiert das nicht. Die glauben doch selber kaum noch an ihre Sache. Warum war der so wichtige Unterricht in Marxismus-Leninismus in Schulen und an Universitäten in nicht geringem Maße so wenig überzeugend? Hätte man da nicht überall und auf allen Ebenen die besten Lehrer einsetzen müssen?

Ich will an einem konkreten Beispiel schildern, um was es mir geht: Mein Bruder, ein in der BRD vom Berufsverbot betroffener Arzt, organisierte einst ein Treffen junger Kölner DKP-Genossen mit Genossen der SED in Magdeburg. Als er nach den obligatorischen Begrüßungszeremonien zu einer inhaltlichen Diskussion zwischen den Beteiligten kommen wollte, lag den SED-Gastgebern vor allem daran, von ihren jüngsten Jagderlebnissen zu berichten und mit der Schilderung ähnlicher Vergnügungen den jungen Wessis zu imponieren, so daß sich mein Bruder dafür vor seinen Kölner Genossen schämte.

Daß ich bei vielen Schriftstellern und in Büros von Kultureinrichtungen der DDR am Ende kaum noch Informationen erhielt, die mir wichtig erschienen, war recht erstaunlich. Der Grund lag weniger in Angst vor der "Stasi" und wohl mehr in ihrem Bestreben, auf die Besucherin aus Frankreich Eindruck zu machen. Da fällt mir eine Ausnahme ein: Peter Hacks. Der hatte als überzeugter Sozialist keine Unterlegenheitsperspektive nötig.

Zum eventuellen "Auftrumpfen" besaß er ja sein Werk. Spätestens seit 1975 war ihm klar, wohin sein Land trieb. Dazu genügte ihm die tägliche Lektüre des ND und der Umgang mit gewissen Kulturfunktionären. Warum ist diese Ausnahme so wenig bekannt, sei es als Ärgernis in den bürgerlichen Medien, sei es in der dünngesäten linken Presse?

Möge die Debatte über die Gründe des Untergangs der DDR und des sozialistischen Ostens Europas weitergeführt und vertieft werden. Wir, die wir von neuerlichen Kolonialkriegen betroffen sind, auf deren bourgeoise Begründung leider auch manche angeblich Linke hereinfallen, benötigen das sehr.

Als einzige Erklärung für den Niedergang des Sozialismus in der DDR und anderswo ist mir das psychologistische "Macht verdirbt den Charakter" zu wenig und zu unmarxistisch.

Prof. Dr. Heidi Urbahn de Jauregui, Montpellier

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Ein 100-Meter-Lauf der besonderen Art

Mitglied der SPD in Niederbayern, habe ich mich in den letzten Jahren über die Geschichte der DDR genauer informiert. Sehr hilfreich waren dabei die "RotFuchs"-Ausgaben, die ich fast ausnahmelos - überwiegend mit Hilfe von CDs - gelesen habe. Durch drei Berliner Freunde, die ich über den "RotFuchs" kennengelernt habe, erfahre ich immer wieder Wissenswertes zur DDR-Geschichte. Beim Studium aller bisher gelesenen Bücher wie des RF kommt mir ein Aspekt zu kurz: die völlig unterschiedlichen Startbedingungen nach dem 8. Mai 1945 für die sowjetische Besatzungszone und die drei Westzonen, aus denen die BRD hervorging.

Nun ist mir ein Büchlein der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart-München in die Hände gekommen. "Requiem auf eine Währung - die Mark" lautet sein Titel. Dort fand ich manches, was ich anderswo noch nie gelesen hatte.

Die drei Verfasser schildern die Situation nach dem 8. Mai 1945: Bereits im Sommer 1945 wurden in der SBZ sämtliche Altkonten in Höhe von 37 Milliarden Reichsmark gesperrt. Alle bei Banken und Sparkassen deponierten Guthaben wurden gelöscht.

Die UdSSR bezifferte damals ihren Reparationsanspruch auf 10 Mrd. US-Dollar. In der SBZ begannen die Demontagen sofort, im Westen erst ab Januar 1946. Die deutsche Industriekapazität sollte auf 50 bis 55 % ihres Standes von 1938 heruntergefahren werden, was in der SBZ auch geschah.

In den Westzonen gingen nur 8 % der 1945 vorhandenen Kapazität verloren. Das ist etwa der Anstieg von 1938 bis 1945. Ergebnis: Im Westen erfolgte also kein Abschlag gegenüber der Industriekapazität von 1938. Bereits im August 1947 wurden die Demontagen im Westen gekürzt und 1950 ganz eingestellt. Ihr Gesamtwert belief sich auf ca. 2,5 Mrd. DM.

Wenn man die hier geschilderte Ausgangslage betrachtet, dann hatten die Menschen in der SBZ vielfach schlechtere Startbedingungen als die Bürger der BRD. Alle negativen Faktoren, die vom westlichen Ausland mit der BRD als Vorreiter auf sie einwirkten, sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt. Die Ausgangssituation beider deutscher Staaten möchte ich mit einem 100-m-Lauf vergleichen. Der BRD-Läufer trägt Rennschuhe mit Spikes, ein enges Trikot und startet auf einer Tartanbahn. Der SBZ/DDR-Läufer trägt Turnschuhe, ein weites Trikot und benutzt eine Aschenbahn.

Unter diesen Voraussetzungen müßte der Einlauf eigentlich folgender sein: Als der BRD-Sprinter die Ziellinie erreicht, befindet sich sein DDR-Konkurrent erst bei der 50-m-Marke. Doch tatsächlich verlief das Rennen anders. Als der BRD-Läufer die Ziellinie überschreitet, befindet sich der DDR-Läufer bereits bei der 75-m-Marke. Eine hervorragende Leistung, wenn man die Startbedingungen fair bewertet.

Wie aber ist die Reaktion auf den Rängen? Siegestaumel bei den BRDlern. Für sie zählt nur der Erfolg, egal, wie er zustande gekommen ist.

Bei den DDRlern ist ein Teil deprimiert. Das Warum der Niederlage wird nicht hinterfragt. Andere resignieren: Da ist eben nichts zu machen. Der Rest aber ist stolz auf die Leistung des Läufers, hat er doch unter ungleich schwierigeren Voraussetzungen mehr erreicht, als ihm von der Sportfachwelt zugebilligt worden war.

Johann Weber, Ruhstorf (Niederbayern)

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"Gott mit uns" stand auf dem Koppelschloß

Die Freidenker, einig in der Verurteilung von Rassismus, religiösem Fanatismus und imperialistischem Krieg, klagen die Doppelmoral des Westens, den Mißbrauch der Religion und das Schüren religiöser Spannungen durch die Kriegstreiber an." So steht es in einem Beschluß der Weltunion der Freidenker, die vom 24. bis 26. Mai auf ihrem Kongreß über die künftige Strategie berieten.

Diese Mahnung, auch ins Stammbuch christlicher Kirchen geschrieben, ist einmal mehr notwendig geworden, weil sich unter dem Einfluß evangelikaler Haßprediger und Kreuzfahrer wie George W. Bush eine zynische Rechtfertigungstheologie zur Absegnung imperialistischer Angriffskriege auch hierzulande breitgemacht hat.

2009 bekannte der einstige Jugendpfarrer der nicht mit dem Friedensrat zu verwechselnden "DDR-Friedensbewegung", Joachim Gauck, er sei kein Pazifist. Gewalt erscheine ihm notwendig und sinnvoll, um Frieden, Freiheit und Leben anderer Menschen mit der Waffe zu verteidigen. Deshalb mahnte er auch auf Kirchentagen mehr Aufgeschlossenheit für Auslandseinsätze der Bundeswehr an, die genau das täte. Er bezeichnete sie als "meine Armee", Teil des "Demokratiewunders nach der Wende", "Stütze der Freiheit", "Armee des Volkes" und "Friedensmotor". Etwa zeitgleich zum Hamburger Evangelischen Kirchentag veranstaltete die BRD-Marine in Wilhelmshaven eine "Schulwoche" zur Werbung neuen Kanonenfutters. Bei Truppenbesuchen in Hamburg und Mazar-i-Sharif pries Gauck überdies die "Bereitschaft zum Dienen und zur Hingabe". Er zeigte sich wegen des mangelnden Interesses der Bevölkerung "am Militärischen insgesamt" besorgt.

Natürlich vergaß er auch diesmal nicht, die Nationale Volksarmee der DDR der "Unterdrückung des eigenen Volkes, der Erziehung zum Haß in den Schulen und der Militarisierung der DDR-Gesellschaft" zu bezichtigen. Er attackierte damit eine Armee, die im Unterschied zur Bundeswehr niemals an Kriegseinsätzen beteiligt war.

Seit der byzantinische Kaiser Konstantin das Christentum auf die Schilde seiner Soldaten hob - das war um 313 n. u. Z. -, gibt es "gottgefällige" Kriege gegen das "Reich des Bösen". Das vermeintliche Recht, als Christ und Soldat Gebote mißachten zu dürfen, begründet eine sich windende und wandelnde Rechtfertigungstheologie der Militärkaste. Diese basiert auf der immer gleichen Unterstellung. Während der erklärte politische Gegner stets das "Böse" verkörpert, vertritt man allzeit selbst das "Gute und Edle", wobei man nicht darauf verzichtet, bei aller "Feindesliebe" und "Achtung vor dem Geschöpf Gottes" zu foltern und zu töten. Stand nicht einst auch auf Koppelschlössern "Gott mit uns"?

Derzeit drängt es die NATO-Missionare in die Kirchen. Bei speziellen Gottesdiensten mit Kantoreibegleitung und anschließender Aussprache bei Kaffee und Kuchen verkünden "Bürger in Uniform aus der Mitte der Gesellschaft" makabre pseudoreligiöse Standpunkte. Im Juni gab beispielsweise Oberstleutnant Freuding, Standortältester, ehemals Kompaniechef der NATO-Schutztruppe in Bosnien-Herzegowina und dann Stabschef am Hindukusch, in geselliger Atmosphäre folgendes zum Besten: "An der Friedensordnung in der erlösungsbedürftigen Welt, an einer gerechten Ordnung mitzuwirken, ist uns Christen als zur Freiheit berufenen Geschöpfen fortwährende Aufgabe."

Selig sind die Friedensstifter! Auch Bonhoeffer (!) habe den Beruf als Ort der Verantwortung definiert, will man einen der Großen der Christenheit vor den eigenen Karren spannen. Dem Christen, der sein Handeln an der Verheißung der messianischen Friedensordnung ausrichte, werde die Forderung nach Feindesliebe handlungsbegleitend: "Liebt Eure Feinde und bittet für sie!"

Diese Maxime soll auch Oberst - jetzt General - Klein beim Vernichtungsbefehl gegen die einen im Flußbett steckengebliebenen Tankwagen bei Kundus umringenden Zivilisten im September 2009 beherzigt haben. Freuding und andere "Gotteskrieger" können dabei auf eine "Fatwa" namens "Gaudium et spes" des 2. Vatikanischen Konzils bauen: "Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit des Volkes. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei."

Freidenker allerdings messen solche religiös verbrämten Spitzfindigkeiten mit der Elle auf Erfahrung beruhender Weisheit: "An ihren Taten sollt ihr sie erkennen."

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Warum die DDR-CDU einem Pastor zur politischen Heimat wurde

Ein Theologiestudent kurz vor dem Abschluß seines Studiums sitzt im großen Hörsaal der Greifswalder Fakultät und hört aufmerksam einem Vortrag zu. Redner ist der drei Jahre zuvor gewählte Präsident der DDR-Volkskammer Dr. Johannes Dieckmann. Sein Thema lautet: "Die Nationale Front des demokratischen Deutschland und ihr Ruf an uns alle". Der Politiker, der zu den etwa 80 Anwesenden spricht, ist praktizierender Christ und hat sich als Liberaler der LDP für den Sozialismus entschieden.

Zwei deutsche Staaten stehen sich in sehr unterschiedlichen Machtpositionen und im Ergebnis eines von seinen Verursachern total verlorenen Weltkrieges antagonistisch gegenüber. Im Westen haben die drei Siegermächte - USA, Großbritannien und Frankreich - für die Bildung der BRD gesorgt. Aus der sowjetischen Besatzungszone im Osten ist die DDR hervorgegangen.

Für wen wird sich der zuhörende Student entscheiden, wenn er das Examen abgelegt hat? In welcher Landeskirche wird er seinen Dienst aufnehmen? Die Grenzen sind offen, das Hin und Her der Bürger von West nach Ost oder in umgekehrter Richtung erfolgt reibungslos, aber der Antagonismus besteht weiter.

Der suchende, für gesellschaftliche Aufgaben offene Absolvent beginnt seinen Dienst in der Berlin-Brandenburgischen Landeskirche und übernimmt zwei Jahre nach dem 17. Juni 1953 eine Pfarrstelle mit vier Gemeinden im Havelland. Er erlebt die komplizierte politische Situation in der DDR und fragt sich nach der eingeleiteten Reform, ob die gesellschaftliche Mitarbeit beim Aufbau des Sozialismus für ihn und die ihm anbefohlenen Christen seiner Gemeinden ebenfalls Auftrag und Ziel sein kann.

Es kommt zu einer zweiten entscheidenden Begegnung, diesmal mit einem stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR: dem CDU-Vorsitzenden Otto Nuschke. Zur Einweihung eines Dorf-Warenhauses erscheint der ranghohe Politiker in einer Gemeinde, deren Bürgermeisterin ebenfalls der CDU angehört.

Wer Otto Nuschke erlebt hat, weiß um die Überzeugungskraft, Klarheit, Logik und Wirkung seiner Worte. Was ihn besonders ausgezeichnet hat, war seine entschiedene christliche Glaubenshaltung. In den Wirren des 17. Juni von Westberliner Provokateuren an der Oberbaumbrücke in seinem PKW in den Westen geschoben, bekennt sich Otto Nuschke zum Sozialismus, wird nicht zum Kollaborateur und kehrt an seinen Arbeitsplatz in der DDR zurück.

Das Ergebnis des längeren Gesprächs zwischen dem jungen Pfarrer und dem hohen Staatsmann war der Entschluß des Erstgenannten, Mitglied der CDU zu werden und in der Nationalen Front als der Plattform einer demokratischen Entwicklung, die der formellen Demokratie des Westens diametral entgegengesetzt war, mitzuarbeiten.

Der dann folgende Weg über Jahrzehnte des Lebens war für mich nicht immer einfach. Ich wollte Pfarrer und Seelsorger bleiben. Jegliche Ambition, kirchlich oder politisch Karriere zu machen, war mir fremd, obgleich ich manche Möglichkeiten dazu gehabt hätte. Die Gedanken - Folgerungen aus der Geschichte wie der jüngsten Vergangenheit nach dem Zweiten Weltkrieg -, die Dieckmann und Nuschke motivierten, haben meine Entscheidungen stark beeinflußt.

Die politische Überzeugung stimmte allerdings auch mit meiner Arbeit als Geistlicher, die von der theologischen Erkenntnis Karl Barths und Dietrich Bonhoeffers innerlich getragen war, ganz wesentlich überein. Als 1964 die Dietrich-Bonhoeffer-Kapelle in meiner Gemeinde Kienberg durch Generalsuperintendent Dr. Lahr aus Potsdam geweiht wurde, kam dies in besonderer Weise zum Klingen.

Die Arbeit in der Nationalen Front wurde immer vom Miteinander aller politischen Parteien und bereitwilligen Menschen getragen, denen der sozialistische Weg als der richtige erschien. Das Gegeneinander der verschiedenen Parteien im demokratischen Formalismus des Westens, entscheidend gelenkt vom Kapital und dessen Einflußnahme auf die gesamte wirtschaftliche Kraft, halte ich ethisch für nicht verantwortbar. Im Sinne eines Tätigwerdens für das angestrebte Wohl der Menschen kann nur der Sozialismus zur Maxime politischen Handelns werden.

War dies der Weg der DDR bis 1989/90? Aus meiner Sicht können sich die Erfolge einer 40jährigen Aufbauarbeit, wenn man die Elle des Weltmaßstabs anlegt, durchaus sehen lassen. Das Wirtschaftspotential der BRD, die sich seit dem Marshallplan auf die kompakte Kraft des westlichen Kapitalismus stützen konnte, war dreimal größer als das der DDR. Mit ihm war in vier Jahrzehnten nicht gleichzuziehen.

In dieser Frage haben sich die Genossen oft geirrt, aus Euphorie politisch falsch argumentiert und gehandelt. Manche von ihnen schossen über das Ziel hinaus und blieben nicht auf dem Boden der Tatsachen. Doch die führende politische Kraft im Block der fünf Parteien mußte die SED sein. Wir haben auf Kreis- und Bezirksebene in der Nationalen Front gute, bisweilen aber auch bedrückende Erfahrungen gemacht.

Für ein Volk ist es besser oder vernünftiger, Politik und Zusammenleben so zu gestalten, daß man sich in den Parlamenten nicht im Gegeneinander der Meinungen bis aufs Messer streitet. Ist angesichts des Parteienhaders und intrigengeladenen Gerangels einerseits oder des Duckmäusertums andererseits nicht eine vernünftige Blockpolitik zum Wohle aller der bessere Weg?

Hier spielt ein Freiheitsbegriff hinein, der politisch, ja auch weltanschaulich höchst fragwürdig ist. Das habe ich bei Karl Barth und im Handeln Dietrich Bonhoeffers mit Blick auf dessen Widerstand im Dritten Reich gelernt. Die Kirchen in der DDR hatten es im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung erkannt. Die Gespräche, die während der 40jährigen Existenz der DDR zwischen dem Staat und den Vertretern der Religionsgemeinschaften stattfanden, erfuhren durch die Begegnung der Leitung des Kirchenbundes unter Bischof Schönherr mit dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker am 6. März 1978 ihren Höhepunkt. Eine wesentliche Vorarbeit dazu leistete übrigens auch der spätere Ministerpräsident des Landes Brandenburg Manfred Stolpe.

Unsere Arbeit an der Basis hat sich gelohnt. Wir haben nie taktiert oder manövriert, sondern stets riskiert, gehandelt und - nach einem alten prophetischen Wort der Bibel - "der Stadt Bestes" gesucht. Dabei war die CDU der DDR unsere politische Heimat. Mit 32.000 Unterschriften praktizierender christlicher Bürger und Amtsträger, die 1961 dem Staatsrat übergeben wurden, bekundeten diese ihre Bereitschaft, am Aufbau des Sozialismus aktiv mitzuwirken.

Im 88. Lebensjahr stehend, werde ich den Wechsel der Systeme in der vor uns aufblitzenden Zukunft nicht mehr erleben. Doch das, was wir derzeit wahrnehmen, deutet auf politische und wirtschaftliche Krisen ohne Ende hin. Die heute in vielen Ländern Mächtigen besitzen kein Rezept, nach dem sinnvoll zu handeln wäre. Menschen, welche eine Politik durchdringend sozialen Tätigwerdens zum Wohle aller verfolgen, werden jene Erkenntnisse neu zu gestalten haben, die einst in der DDR geprägt worden sind.

Pastor em. Hans-Joachim Brühe, Falkensee

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Wo ein Nazi-"Rassenforscher" Namensgeber bleiben darf

West-CDU hält an Willy-Klenck-Weg fest

Bei uns in Lamstedt heißt seit den 60er Jahren eine Straße nach dem für seine "heimatkundlichen Forschungen" 1956 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten Erzfaschisten Willy Klenck. Nachdem die niemals verhehlte, doch lange Zeit verharmloste Vergangenheit des einstigen Dorfschullehrers nicht länger bagatellisiert werden konnte, entzündete sich an der Haltung zu diesem ideologischen Exponenten des NS-Regimes eine heftige Auseinandersetzung. Sie blieb keineswegs nur ein kommunaler Konflikt, sondern sorgte in der ganzen Region für Aufsehen und Proteste.

Vier Schülerinnen, die sich "Gruppe Zebra" nennen, und ihr engagierter Geschichtslehrer Thomas Doege ergründeten in zweijährigen Nachforschungen wichtige Details zur üblen Rolle Willy Klencks. Dabei stellte sich heraus, daß dieser während des "1000jährigen Reiches" keinesfalls ein bloßer Mitläufer, sondern ein Einpeitscher ersten Ranges gewesen ist. Die engagierten "Zebras" stellten sich mit dieser Arbeit in die Tradition ihrer Bildungsstätte "Am Hohen Rade", die 2004 mit dem Titel "Schule ohne Rassismus -Schule mit Courage" ausgezeichnet worden war.

Die "Cuxhavener Nachrichten" schilderten das Resümee der "Zebra"-Recherche: "Auf jeden Fall gehört Willy Klenck zur Reihe gewissenloser 'Schreibtischtäter', die dem NS-Regime aus Überzeugung und mit großem Eifer zugearbeitet haben."

Der von interessierter Seite als "schlichter Heimatforscher" Ausgegebene wird in der Schülerdokumentation total demaskiert. 1943 war Klenck das "Rassenpolitische Amt Ost-Hannover" anvertraut worden. Ein Jahr später trat er an die Spitze der Lüneburger Forschungsstelle "Rasse und Raum". In seinen Publikationen sprach der den Weg nach Auschwitz ideologisch vorbereitende Ultra-Rassist schon 1934 von "minderwertigen Menschen, die man unfruchtbar machen" müsse. Für "Juden, Neger, Zigeuner, asoziale Elemente und Gauner" sollten spezielle Karten angelegt und deren Duplikate "übergeordneten Dienststellen" zugänglich gemacht werden, forderte das NSDAP-Mitglied Klenck in seinem Machwerk "Deutsche Volkssippenkunde".

Auf einem dem Lamstedter Straßenschild samt Konterfei des Faschisten zugeordneten Erläuterungstext zur Person wird dieser als "verdienstvoller Pädagoge" dargestellt, wobei man aus Klencks krimineller Vergangenheit kein Hehl macht.

"Mitglieder Tausender Familien" seien aufgrund einer von ihm initiierten "rassekundlichen Erhebung" fotografisch erfaßt worden, wobei man auch ihre Schädelformen vermessen habe, erfährt man dort. Und weiter: Klencks "Ergebnisse über Sippenforschung" seien "vom NS-Lehrerbund übernommen worden". Als "Beauftragter für Sippenforschung" habe dieser "Reisen durch das gesamte Reichsgebiet unternommen", um die "sippenkundliche Bestandsaufnahme der deutschen Bevölkerung in allen Gauen zu organisieren".

1945 wurde der berüchtigte Rassenfanatiker nur kurz interniert, bevor er in den Schuldienst zurückkehren durfte.

Es versteht sich, daß alle antifaschistisch-demokratisch gesinnten Bürger - nicht zuletzt unter Berücksichtigung der aufschlußgebenden Forschungsarbeit der "Zebras" und ihres Lehrers - die Forderung nach sofortiger Entfernung des Lamstedt diskreditierenden Straßenschildes erhoben. Auch die SPD-Fraktion im Gemeinderat setzte sich für eine Umbenennung des Willy-Klenck-Weges ein. Ihr Informationsblatt "Börde-Bote" hatte schon im August 2011 auf die braune Vergangenheit dieses Namensgebers nachdrücklich hingewiesen.

Doch am Ende kam - in Anbetracht der CDU-Mehrheit im Gemeinderat und gegen die Stimmen der SPD-Vertreter eine "Lösung" heraus, bei der der Wolf satt und das Schaf nicht gefressen werden sollte. Während es beim Namen des NS-Verbrechers blieb, wurde das Schild durch eine die bisherigen "Informationen ergänzende Zusatztafel erweitert".

So ist unsere Forderung nach wie vor aktuell: Der Name Willy Klenck muß endlich aus unserem Ort verschwinden!

Günter Waldeck, Lamstedt

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Welcher Traditionslinie folgt Drohnen-Minister de Maizière?

Hitlers "Wunderwaffen"-Debakel

Der militärische Einsatz unbemannter Marschflugkörper wurde 1944/45 durch Hitler-Deutschland initiiert und wird heute mit sogenannten Drohnen von den USA massiv betrieben. Zahlreiche Tote - 3300 Opfer, überwiegend Zivilisten, darunter 76 Kinder allein in Pakistan - zeugen davon. Aber auch in Afghanistan, Jemen und weiteren Staaten sind diese Mordinstrumente durch das Pentagon eingesetzt worden. Beim NATO-Krieg gegen Libyen wurden 176 Bombenangriffe mit "Drohnen" geflogen. US-Präsident Obama läßt Todesurteile an "internationalen Terroristen" vollstrecken. "Krieg gegen den Terror" heißt es summarisch. Es handelt sich um einen Bruch des Völkerrechts und eine Mißachtung der Menschenrechte in höchster Potenz. Unter Negierung internationaler Abkommen werden "Drohnen" weltweit eingesetzt - gibt es dann noch eine Steigerungsform für Terrorismus? Der Topterrorist sitzt im Weißen Haus!

Auch BRD-Militärs trachten seit Jahren danach, ihre Streitmacht mit Drohnen auszustatten. Nicht einmal das jüngste Desaster hat de Maizière davon abzubringen vermocht, obwohl Hunderte Millionen Euro in den Sand gesetzt wurden.

Die Vorgänge auf diesem Gebiet veranlassen mich, über meine negative Bekanntschaft mit unbemannten Marschflugkörpern des Typs V I, wie das Einsatzmodell 1944 von den deutschen Faschisten getauft wurde, zu berichten. Damals war ich Soldat der Wehrmacht. Im November 1944 mußte meine Infanteriekompanie in der Eifel unweit von Bitburg auf einer großen Waldlichtung antreten. Offiziere bleuten uns ein: "Wenn es losgeht, dann mit allerbester Moral vorwärts gegen den Feind. Denn das Ende des Krieges naht.

Wir werden siegreich sein. Deutschlands neue Flugraketen helfen uns, dem Gegner eine Niederlage zu bereiten." Etliche Infanteristen - so auch ich - hegten Zweifel an dieser ultraoptimistischen Parole, die unsere Vorgesetzten da ausgaben. Doch das auch nur andeutungsweise zu sagen, führte vor das Kriegsgericht.

Wir kannten die V I ja schon aus der Zeit vor der Ardennen-Offensive, und zwar durch Blindgänger am Boden. Die Raketen waren von einer Startrampe in der Eifel abgeschossen worden, gingen nur kurz hoch und kamen schon bald wieder zur Erde zurück. Von der Bevölkerung wurden sie "Eifelschreck" genannt. Es hieß, dieses Versagen wäre auf Sabotage durch ausländische Zwangsarbeiter zurückzuführen.

Einige Wehrmachtsangehörige hatten überhaupt keinen Respekt vor solchen Blindgängern. Sie lehnten sich an diese sogar an und ließen sich vor ihnen fotografieren. Ein Obergefreiter montierte an einer Nietstelle ein Stück Leichtmetall ab. Von Beruf Graveur, fertigte er aus dem Material einen Bilderrahmen mit Blumenmustern.

Als Mitte Dezember 1944 die Ardennen-Offensive losging, "marschierten" die Flugkörper mit uns - die meisten waren auf England gerichtet. Doch einige explodierten auch in Brüssel sowie in anderen Industrie- und Wohngebieten Belgiens.

Als ich am 3. Januar 1945 dort mit noch anderen Soldaten in US-Kriegsgefangenschaft geriet, befanden auch wir uns automatisch im Fadenkreuz der V I. Ein solcher Marschflugkörper traf unser Kriegsgefangenenlager im Hafen von Antwerpen. Es gab 96 Tote, darunter auch amerikanische und kanadische Wachposten. Wir überlebenden deutschen Gefangenen hatten danach allerhand auszustehen, da die nachfolgenden Wachposten rabiat mit uns umsprangen. Auch außerhalb des Lagers wurden wir beim Auf- und Abladen von Materialien der US-Transportdivision 6966 durch Einwohner verbal attackiert.

Natürlich waren abfällige Bemerkungen an die Adresse Hitler-Deutschland mehr als berechtigt. Doch nicht die Naziführung, sondern wir bekamen sie ab. Zweimal wurden wir von älteren belgischen Frauen mit Knüppeln verprügelt. Solche Erlebnisse waren für uns damals 20jährige Anlaß, noch sehnsüchtiger das Ende des Krieges herbeizuwünschen.

Heute sind Menschen in Asien, Afrika oder dem Nahen Osten die Betroffenen. Am Konflikt völlig unbeteiligte Familien mit Kindern verlieren bei "Vergeltungsschlägen" der USA mit "Drohnen" ihr Leben.

2004 nahmen meine Frau und ich an einer von der PDS des Saale-Orla-Kreises arrangierten Busreise teil. Zu den angesteuerten Zielen gehörte auch die einstige V I-Produktionsstätte in Peenemünde.

Vor dem dortigen Museum ist eine V I aufgestellt. Im Begleittext erläutert man: "Eine neue Waffe sollte Überlegenheit bringen. Produktion, auch unterirdisch, im Harz, zumeist von KZ-Häftlingen. 20 000 Menschen kamen dabei ums Leben. Propagandaminister Goebbels nannte diese Flugkörper 'Vergeltungswaffen'. Die sogenannte Wunderwaffe konnte den Verlauf des Krieges aber nicht beeinflussen."

Was die Drohnen des Pentagons, nach denen Merkels de Maizière giert, betrifft, ist davon auszugehen, daß sie zwar eine grausige Spur von Tod und Vernichtung ziehen werden, den Niedergang des Kapitalismus aber kaum aufhalten dürften.

Herbert Klinger, Nimritz (Thüringen)

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"RotFuchs"-Wegbereiter (4): Frank Mühlefeldt

Im Mai 2008 haben wir im RF-Leitartikel über die herausragende Rolle von Annemarie und Frank Mühlefeldt beim Entstehen unseres Fördervereins berichtet. Auf die Idee, ein stabiles parteiunabhängiges "Dach" für die bereits seit Februar 1989 erscheinende Zeitschrift zu suchen, war Frank als einer der ersten gekommen. Der heute 82jährige - das Rentnerpaar lebt abwechselnd in Berlin und auf dem Darß - brachte dabei seine große berufliche und politische Erfahrung ein. Übrigens war es nicht leicht, dem für seine sprichwörtliche Bescheidenheit bekannten Genossen einige Details über die eigene Entwicklung zu entlocken.

Noch in der Weimarer Republik geboren, verbrachte Frank seine Kindheits- und Jugendjahre unter dem Faschismus. 1948 konnte er an der Berliner Humboldt-Universität ein vierjähriges Ökonomiestudium aufnehmen. Mit dem Diplom ausgerüstet, war er zunächst in hauptstädtischen Industriebetrieben und dann in dem durch Heinrich Rau geleiteten Ministerium für Maschinenbau tätig. Nach dessen Teilung kam er in das Erich Apel unterstehende Ministerium für Schwermaschinenbau. Er war eine Zeitlang Berater und gehörte bis 1958 dem Sekretariat dieses Hauses an. Zum Rat des Bezirkes Halle versetzt, lernte Frank dessen Vorsitzenden Otto Leopold kennen und schätzen, der ihn 1965 in den Militärbereich der Staatlichen Plankommission delegierte. Dort war er viele Jahre als Militärökonom mit dem letzten Dienstgrad Oberst der NVA tätig.

Nach der Niederlage des Sozialismus in der DDR und Europa wechselte der gestandene Kommunist nicht seine Farbe. Als wir erste Kontakte mit ihm aufnahmen, steckte Frank bereits in verschiedenen bürgernahen Projekten. Seine solide Sachkenntnis, seine kameradschaftliche Art des Umgangs mit anderen, vor allem aber sein reifes politisch-ideologisches Urteilsvermögen waren für das gerade erst entstehende "RotFuchs"-Kollektiv von besonderem Wert. So ergab es sich, daß der heute 1660 Mitglieder zählende RF-Förderverein im Sommer 2001 durch eine Handvoll Ungebeugter in Mühlefeldts damaligem Karower Garten gegründet wurde.

RF

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Die Welt der "Raffkes", auch Kapitalismus genannt

Peter Hartz im "KAZ"-Porträt

Der als Rettungsanker ausgegebene Generalangriff auf den Lebensstandard der ärmsten Bevölkerungsschichten der BRD wurde vom deutschen Großkapital mit Hilfe der Schröder-Fischer-Regierung aus SPD und Grünen vor Jahren eingeleitet. Er ist mit dem Namen eines Vorbestraften verbunden: Peter Hartz. Nach ihm heißen die Instrumente zur sozialen Demontage Hartz I bis IV.

Die in Nürnberg erscheinende "Kommunistische Arbeiterzeitung" - eine anspruchs- und niveauvolle Publikation - stellte ihren Lesern jetzt Peter Hartz, das Idol der einen und den Schrecken der anderen, anhand seiner lückenlosen Biographie maßstabsgerecht vor. Hier der Wortlaut:

1941: geboren in St. Ingbert, Saarland. Vater Hüttenarbeiter, Realschule, Mittlere Reife 1959 Ausbildung zum Industriekaufmann in einer Maschinenbaufirma, 2. Bildungsweg, Bundeswehr.

1965: Studium der Betriebswirtschaft in Saarbrücken. 1969 Leitende Funktion bei der französischen Firmengruppe Pont-a-Mousson S. A. 1976 Arbeitsdirektor der Röchling-Burbach Weiterverarbeitung GmbH, Völklingen.

1979 Arbeitsdirektor der Dillinger Hüttenwerke AG. 1986 Arbeitsdirektor der Saarstahl AG. 1989 Arbeitsdirektor der DHS-Dillinger Hütte Saarstahl AG. Personalvorstand Volkswagen AG, wird bekannt für unkonventionelle Lösungen im Personalmanagement in Kooperation mit dem Betriebsrat.

Einführung der 4-Tage-Woche bei VW, Ehrendoktorwürde

2002: Im März Berufung an die Spitze der Kommission zur Reform der Bundesanstalt für Arbeit und des Arbeitsmarktes durch Bundeskanzler Schröder.

2002: Die nach Hartz benannte Regierungskommission stellt im August die Vorschläge zur "Radikal-Kur gegen Arbeitslosigkeit" vor.

Hartz erhält das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. 2002/5. Vier Gesetze (Hartz I-IV) werden nach ihm benannt.

Im Oktober billigt der Bundestag die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV) sowie den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit (Hartz III). Ehrenprofessorwürde.

Hartz gerät in die Schlagzeilen im Zusammenhang mit einer Korruptionsaffäre bei VW.

2005: Im August Rücktritt als Personalvorstand der VW AG.

Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im Oktober wegen Bestechung des Betriebsrats Im Juli Gründung des Consulting-Büros "Professor Dr. h.c. Peter Hartz GmbH & Co".

Im Januar Verurteilung wegen Bestechung von Betriebsratsmitgliedern ("VW-Schmiergeldaffäre") Daraufhin Rückgabe des Bundesverdienstkreuzes.

Peter Hartz ist heute noch Mitglied der SPD und der IG Metall.

Mit der Einführung der 28-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich 1994 bei VW hat er Erpressung und Opfer der Belegschaften für den Profit salonfähig gemacht. Auch in Südafrika wurden Arbeiter Opfer eines Hartz-Projekts: Im größten Autowerk Afrikas, dem VW-Werk im südafrikanischen Uitenhage, wurden im Februar 2000 wegen eines Massenstreiks 1287 Beschäftigte entlassen. Peter Hartz begründete in seiner Hauptverantwortung für die Konzern-Personalpolitik diese Maßnahme damit, daß der Streik illegal gewesen sei. Die Beschäftigten wurden trotz Schlichterspruch nicht wieder eingestellt. Diese Entlassungen hatte Hartz in Südafrika mit Unterstützung des damaligen VW-Betriebsratsmitglieds und Generalsekretärs des Welt-Konzernbetriebsrates Hans-Jürgen Uhl gnadenlos durchgesetzt.

Nicht nur mit der Peitsche, auch mit Zuckerbrot führte er seine Politik "verantwortungsvoll für seinen Konzern" durch: Probleme wie in Südafrika sollten an der Heimatfront nicht passieren. "Sein" Konzern-Betriebsratsvorsitzender, Klaus Volkert, auch ein altgedienter Sozialpartner und Parteifreund, erhielt von ihm zwischen 1995 und 2005 nicht nur legal Gehalt und Privilegien eines Mitglieds der Konzerngeschäftsleitung, sondern, wie im Korruptionsprozeß nachgewiesen, außerdem illegale Zuwendungen, persönlich und für seine Geliebte, von insgesamt ca. zwei Millionen Euro. Das Landgericht Braunschweig verhängte am 25. Januar 2007 wegen Untreue und Begünstigung des VW-Betriebsratschefs eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, sowie eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen à 1600 € (insgesamt also 576.000 €). Peter Hartz gilt damit als vorbestraft. Gegen seinen Vorgesetzten, den VW-Chef, Großaktionär und Porsche-Erben Ferdinand Piech, wurde keine Anklage erhoben. Gegen den bestochenen Betriebsratschef Klaus Volkert erging Haftbefehl. Er wurde zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt, nicht zur Bewährung ausgesetzt.

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Die Zusagen der Bundeskanzlerin platzten wie Seifenblasen

Rentenbetrug ist strafbar

Am 9. Juni 2009 erklärte Bundeskanzlerin Merkel bei der Eröffnung des 9. Deutschen Seniorentages in Leipzig: "... Ich stehe dazu, daß wir eine solche Angleichung von Ost und West brauchen. Ich würde, wenn Sie mich nach dem Zeitrahmen fragen, sagen, daß das Thema in den ersten beiden Jahren der nächsten Legislaturperiode erledigt sein wird."

Übrigens beruhte dieses bis heute nicht eingelöste Versprechen auf dem Einheitsvertrag von 1990, wurde also erstmals vor 23 Jahren abgegeben.

Nach den Wahlen vom 18. März 1990 änderte sich in der Noch-DDR die Rechtslage. Der Staatsvertrag zwischen der BRD und der DDR vom 18. Mai 1990 sah u.a. vor, das Sozialversicherungsrecht der DDR an das Recht der BRD anzugleichen. Es sollte eine beitragsfinanzierte Rentenversicherung mit lohnorientierten, dynamischen Leistungen geschaffen werden.

Für die bei Abschluß des Staatsvertrages bereits laufenden Rentenzahlungen waren eine Umstellung auf D-Mark im Verhältnis 1:1 und eine Angleichung an das bundesdeutsche Rentenniveau vorgesehen Außerdem sollten die Bestandsrenten künftig an die Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter angepaßt werden. Dies ist jedoch nicht erfolgt, was eine Verletzung der Artikel 3, 14 und 20 des Grundgesetzes bedeutet. Danach hätte die Rente schon mit der 1. und 2. Rentenanpassungsverordnung dynamisiert werden müssen.

Die "Abschmelzung" und endgültige Außerkraftsetzung von Ansprüchen aus der Zusatzversorgung führte dazu, daß nur noch eine Grundversorgung gewährt wird.

Nach dem "Beitritt" der DDR zur BRD bestand die Verpflichtung zur Fortführung der Versorgungsleistungen, die keinem geringeren Grundrechtsschutz unterliegen als das Eigentum.

Wie das Bundesverfassungsgericht bereits im Zusammenhang mit westdeutschen sozialversicherungsrechtlichen Positionen hervorgehoben hat, beruht der Eigentumsschutz in diesem Bereich ganz wesentlich darauf, daß die in Betracht kommende Rechtsposition durch die persönliche Arbeitsleistung der Versicherten mitbestimmt ist, die in den einkommensbezogenen Leistungen lediglich einen Ausdruck findet.

Die Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich bedenklich, da die Menschen mit Ansprüchen aus Versorgungssystemen der DDR für lange Zeit oder dauerhaft auf den garantierten Zahlbetrag des Einigungsvertrages verwiesen werden, ohne daß dieser dynamisiert wird. Es besteht kein Grund, Rentner aus der DDR im Hinblick auf die Anpassung ihrer Bezüge unterschiedlich zu behandeln.

Diese verfassungsrechtlichen Bedenken können nach über 20 Jahren nicht mehr durch eine noch so "verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften zur Rentenangleichung Ost" ausgeräumt werden. Gemäß Art. 3, 1 GG ist es nicht mehr hinzunehmen und vertretbar, die Berechtigten und Rentner der DDR darauf zu verweisen, daß "der an ihre berufliche Stellung anknüpfende Lebensstandard, den sie im Zeitpunkt der Wiedervereinigung hatten, aufrechterhalten" sei ... Berücksichtigt man zusätzlich noch, daß in den neuen Bundesländern neben der Rente zumeist weitere Einkünfte fehlen, führt dies bei einem Großteil - jedenfalls den Alleinstehenden - zur Altersarmut. Nach einem lebenslangen Arbeitsleben ist dies für die Betroffenen - wie auch für das Ansehen eines der führenden Industriestaaten der Welt - ein katastrophaler Zustand. Die "deutsche Einheit" ist bei den Renten nicht vollendet.

Nach dem im BGB verankerten Rechtsgrundsatz von "Treu und Glauben" dürfte die Bundeskanzlerin nicht ein öffentliches Wahlversprechen abgeben, um es dann nicht einzuhalten. Das ist Wahlbetrug.

Das im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 fixierte und später auch im Grundgesetz niedergelegte Versprechen der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West ist nach wie vor nicht eingelöst. Betroffen sind über 4 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland.

Auf die Herstellung der Rentengerechtigkeit und die Gewährleistung der Gleichstellung vor dem Gesetz im Sinne des Artikel 3 des GG warten die Rentner des Ostens nun schon mehr als 23 Jahre und nehmen dabei ein sehr hohes Rentenminus zwangsläufig in Kauf.

Der Bericht der Bundesregierung beschränkt sich zum Thema Alterssicherung auf die Renten. Das aber verzerrt das Bild erheblich. Zu den Alterseinkommen gehören nämlich neben den Renten auch die Beamtenpensionen, Betriebsrenten und Kapitaleinkünfte. Bezieht man diese ein, so ist der Rückstand der ostdeutschen Alten noch beträchtlich größer. Seit mehr als 10 Jahren verharrt das Niveau der ostdeutschen Alterseinkommen bei 75 Prozent der Westeinkommen.

Ebenfalls unerwähnt bleibt in dem gerade erwähnten Bericht die Entwertung der Alterseinkommen durch Inflation. Sie betrug im vergangenen Jahrzehnt mehr als 10 Prozent.

Die gesetzliche Rente (GRV) bildet in Deutschland die Grundlage des Rentensystems. Dieses durch eine Umlage finanzierte System der Alterssicherung stellt den überwiegenden Teil der dafür erforderlichen Mittel bereit. 92 Prozent der Rentenleistungen im Osten und 59 Prozent im Westen - hier ergänzt durch Beamtenpensionen, betriebliche oder private Versorgungssysteme - werden von der GRV erbracht.

Besonders bemerkenswert ist die Aufhebung des bis dato geltenden wertneutralen Rentenrechts mittels politisch und sozial motivierter Rentenkürzungen für ehemalige DDR-Bürger. Seit 1992 erhalten sie weniger Rente als Bürger im Westen. Aktuell sind das 11,2 Prozent.

Trotz des eingangs erwähnten Versprechens der Bundeskanzlerin vor vier Jahren liegt der Rentenwert Ost immer noch etwa drei Euro unter dem Rentenwert West. Frau Dr. Merkel hat 2009 vor den Senioren in Leipzig also vorsätzlich die Unwahrheit gesagt. Nach Presseberichten sieht das Kanzleramt derzeit keinen juristischen oder sachlichen Zwang, das Rentensystem noch in dieser Legislaturperiode zu vereinfachen. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Angleichung der Renten in Ost- und Westdeutschland findet demnach nicht statt.

Folgt man aktuellen Berechnungen, dann würden beim derzeitigen Tempo der Rentenanpassung noch etwa 160 Jahre vergehen, bis eine Einheitlichkeit hergestellt worden ist. Generationen nach uns würden dafür bestraft, daß ihre Vorfahren ehrliche DDR-Bürger waren.

Diesen Betrug darf man der CDU bei der Bundestagswahl 2013 nicht durchgehen lassen!

Die Bundeskanzlerin sei an ihre eigenen Worte in Leipzig erinnert: "Die Rente ist kein Almosen, sondern eine Gegenleistung ... Wer ein Leben lang hart gearbeitet hat, der hat auch Anspruch auf eine gute Rente. Gleich, ob in West- oder in Ostdeutschland. Sozialleistungen sind keine milde Gabe. In den Versorgungssystemen liegt einiges im argen. Die Renten müssen gleich wie die Pensionen zum Leben reichen."

Die Rentenfrage ist zu einem wichtigen Wahlkampfthema geworden. Die soziale Spaltung zerreißt das Land. Jeder dritte Rentner erhält weniger als 600 Euro und lebt in Altersarmut.

Dr. Horst Schulz


Unser Autor gehört dem Bundesverband Freier Sachverständiger an.

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Zweckoptimistisches aus Hamburg

Nur Wochen vor dem Urnengang zum Deutschen Bundestag nimmt das mediale Geschwätz von einer erneuten Schicksalswahl für die BRD wieder deutlich zu. Doch vor welchen Alternativen steht der bundesdeutsche Wähler? Monopolherrschaft pur oder Kapitalismus mit rosa-grünen Farbsprenkeln - mehr ist nicht zu haben.

Ständige Meinungsumfragen nehmen dem Wahlakt überdies die Spannung, steht das Ergebnis im Grunde genommen doch schon lange zuvor fest. Doch ganz geschickt kann man mit derlei Zahlenspielereien unentschlossenen Wählern oktroyieren, hinter welcher Partei sie auf dem Stimmzettel ihr Kreuzchen zu machen haben. Denn wer möchte nicht wenigstens einmal im Leben zu den Siegern gehören!

Problematisch wird es erst, wenn große Teile des vom Kabarettisten Georg Schramm ausgemachten "Urnenpöbels" ihre Unlust kundtun, eine Wahlkabine überhaupt noch betreten zu wollen. Dann muß zeitnah gute Laune verbreitet werden. Hierfür steht in der BRD eine ganze Armada bourgeoiser Medien bereit. Den Vogel bei solcher positiven Stimmungsmache hat in diesem Jahr vermutlich die in Hamburg erscheinende Wochenschrift "Die Zeit" abgeschossen, die im Rahmen einer Artikelserie in großen Lettern titelte: "Wir haben schlechte Nachrichten: Es geht uns gut." Dazu gesellte sich folgende Unterzeile: "Ob Bildung, Familie, Umwelt oder Gesundheit - nie war die Lage besser. Diese und andere Erfolgsmeldungen will nur keiner richtig wahrhaben."

Wochen- und seitenlang wurde dann schöngefärbt, was die aktuelle Lage in der BRD so alles hergibt. Zum Glück habe die Psyche schuld, daß die Deutschen die Welt düsterer sähen als sie wirklich sei - so die Meinungsmacher von der Alster. Es wäre aber auch fatal gewesen, wenn der Verstand von deutschen Frauen und Männern hier schon ins Spiel gekommen wäre. Die "Zeit"-Redakteure hätten sich ihre Arbeit dann nämlich glatt sparen können. Immerhin wurde in einem Halbsatz erwähnt, daß "nicht alle in gleichem Maße von diesem Mehr an Lebensqualität und Wohlstand profitieren". Damit sollte es an kritischen Äußerungen aber auch genug sein.

"Schrecklich gesund - Trotz vieler Lebensmittelskandale: Jeder kann sich heute gut ernähren", war weiter zu erfahren. Wobei die Betonung auf dem Wort jeder liegen sollte. Diesen Satz müßte man einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern, einem Hartz-IV-Empfänger oder einer Rentnerin mit Nettobezügen von 550 Euro vorlegen. Unterschreiben würden sie ihn garantiert nicht, weil ihr monatliches Budget niemals ausreicht, sich täglich hochwertige Lebensmittel, obendrein auch noch biologisch erzeugt, leisten zu können.

"Aber sicher! - Von wenigen Delikten abgesehen, sinkt die Zahl der Verbrechen jährlich." Es ist das Pech des "Zeit"-Autors, daß die polizeiliche Kriminalstatistik in dieser Hinsicht etwas ganz anderes aussagt. So stieg z. B. die Zahl der Wohnungseinbrüche in der BRD im Jahr 2012 auf 144 117 - ein beschämender Rekord! Und weil man hierzulande so sicher leben kann, muß derzeit vor dem Oberlandesgericht in München auch die NSU-Mordserie verhandelt werden.

"Alles so sauber - Der Himmel über dem Ruhrgebiet ist wieder blau. Ein Besuch in der einst dreckigsten Region Deutschlands." Ganz bestimmt ein schöner Aspekt. Doch findet sich in dem Beitrag kein deutliches Wort zur Kehrseite der Medaille. Denn der wirtschaftliche Kahlschlag im Ruhrgebiet, der letztlich die Voraussetzung für die Gesundung der ökologischen Umwelt war, wird hier lieber nur am Rande erwähnt. Doch die offiziell 14,3 Prozent Arbeitslosen in Gelsenkirchen oder die Erwerbslosen von Dortmund, Duisburg und Essen bleiben außer Betracht. Die von der "Freisetzung" Betroffenen haben jetzt wenigstens genügend Zeit, sich bei ausgedehnten Spaziergängen am frischen Grün der Wiesen und an der Klarheit sauberer Flüsse zu erfreuen. Ob das allein ausreicht, um ein erfülltes und materiell abgesichertes Leben führen zu können? - "Verdammt alt - Unsere Lebenserwartung steigt, dank des medizinischen Fortschritts." Sicherlich eine begrüßenswerte Entwicklung. Doch die entscheidende Frage ist dabei wohl eher, unter welchen Bedingungen Menschen altern. Wer irgendwann auf stationäre Pflege angewiesen ist und beispielsweise im Winterhalbjahr ab 16 Uhr im Dunkeln liegt, weil keiner der völlig überlasteten Betreuer die Zeit hat, außerhalb der regulären Zimmerdurchgänge mal schnell das Licht anzuschalten, der wird es wohl verfluchen, "verdammt alt" zu werden. Und gleiches gilt für den Sommer, wenn die so "Umsorgten" zwei oder drei Stunden lang nichts zu trinken gereicht bekommen.

Ganz groß wurde außerdem ein Beitrag unter dem Titel "Der Siegeszug der Demokratie" ins Bild gesetzt. Doch wo Sieger sind, gibt es auch Verlierer. Und es fragt wohl kaum jemand das afghanische Volk, wie glücklich es nach etwa zwölf Jahren Kriegszustand über diesen "Siegeszug der westlichen Demokratie" ist. Die aktuelle Lage in Ägypten mit dem sicher von den Massen gewollten Sturz Staatspräsident Mursis, der erst im Juni vergangenen Jahres "frei" gewählt und dabei von den westlichen Mächten als ihnen genehmer neuer Heilsbringer hofiert wurde, zeigt zweierlei: einerseits die Kraft des Volkes, andererseits aber auch das Vermögen der Imperialisten, die einen Figuren durch andere ähnlicher Art beliebig auszutauschen. Ein "Siegeszug der Demokratie" ist das wohl kaum.

Der "Zeit"-Titel "Die Bildungsexpansion" dürfte nicht nur beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung für ein müdes Lächeln gesorgt haben. Dieses kritisierte nämlich erst jüngst, daß die BRD lediglich 5,3 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für die Bildung der Kinder ausgibt. Damit liegt der angebliche europäische Vorreiterstaat hinter den meisten OECD-Ländern deutlich zurück.

Das Hamburger Wochenblatt hat somit sein möglichstes getan, um die BRD vor der Bundestagswahl ins rechte Licht zu rücken. Nun kommt es auf die Wähler an. Nämlich darauf, ob sie sich von derartigen Schlagzeilen beeindrucken lassen oder nicht.

Rico Jalowietzki

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Prestigebauten der BRD symbolisieren deren Erblast

Zwei preußische Triumphbögen

Im Herzen Roms steht der größte der drei noch erhaltenen Triumphbögen im Gebiet um das Forum Romanum: der Konstantinsbogen. Kaiser Konstantin ließ ihn anläßlich seines Sieges in der Schlacht an der Milvischen Brücke (312 u. Z.) errichten.

An diesen Bogen muß ich denken, wenn ich mir die Bauwerke und Monumente anschaue, mit denen sich heutige "Imperatoren" der BRD für die Ewigkeit in das Antlitz unserer Städte brennen wollen.

Ich denke dabei vor allem an zwei große Projekte bundesdeutscher "Staatsbaukunst", die uns in Zukunft beim Spaziergang durch Berlin und Potsdam erfreuen sollen: das 1950 nach schweren Kriegszerstörungen abgetragene Schloß und die Garnisonkirche. Beide Vorhaben sagen viel über die geistige und kulturelle Beschaffenheit dieses Landes aus.

Das Berliner Schloß war das Herz preußischen Großmachtgetues. Schon seine Entstehung ab 1443 kam gegen den Willen der Bürger zustande und führte zum "Berliner Unwillen". Von hier wurden Kriege ausgelöst, wurde die Märzrevolution 1848 niedergeschlagen und der 1. Weltkrieg durch zwei Reden Wilhelms II. eingeläutet. Allerdings rief von seinem Balkon auch Karl Liebknecht 1918 - verfrüht - die sozialistische Republik aus.

Zweifellos war das Schloß von künstlerischer und städtebaulicher Bedeutung, doch die Zerstörungen des 2. Weltkrieges hinterließen nur eine Ruine, und die junge DDR hatte wohl weitaus andere Sorgen als den Wiederaufbau dieses ausgebrannten Kolosses im Herzen Berlins.

Auch die Potsdamer Garnisonkirche ist ein Symbol des preußisch-deutschen Imperialismus. An kaum einem anderen Ort wurde der Tod auf dem Schlachtfeld und der Krieg, den Hindenburg als "Badekur" empfand, so verherrlicht wie dort. Sie bekam ihm so gut, daß er 1933 einen neuen "Bademeister" ernannte. In der Garnisonkirche reichte er dem Garanten für millionenfaches Morden die Hand, und Hitler hielt, was er versprach - nur nicht mit dem prophezeiten Ausgang. Der Krieg kehrte zur Garnisonkirche zurück, und alle in ihr ausgestellten Fahnen und Siegestrophäen verbrannten mit ihr. 1968 wurde die Ruine gesprengt. Nun soll hier wieder "Treu und Redlichkeit" verkündet werden, womit wohl gemeint ist, ohne nachzudenken in neue Schlachten zu ziehen. Peinlicherweise wollen sich aber Siegestrophäen aus Afghanistan und von anderswo nicht einstellen.

Um es deutlich zu sagen: Ich bin gegen das Schleifen von Bauwerken, nur weil sie durch Handlungen von Personen belastet sind. Das Kolosseum nahe dem Konstantinsbogen sah Ströme von Blut - doch wird es wohl kaum jemand missen wollen. Die Sprengung des Berliner Schlosses und der Garnisonkirche war aus meiner persönlichen Sicht kunsthistorisch falsch. Bauwerke sind Zeugnisse der Geschichte, und diese besteht nicht nur aus glanzvollen Augenblicken. Stätten dieser Art zeigen uns Höhen und Tiefen. Sie sind steingewordenes Gedächtnis. Denen allerdings, die heute die DDR wegen des Abrisses des Berliner Schlosses verurteilen, sei gesagt, daß das erst recht für jene gilt, welche Paläste des Volkes abreißen lassen. Doch das nur am Rande.

Wenn die in der BRD Herrschenden gerade die beiden genannten Projekte verwirklichen wollen, dann ist das nicht nur ein umstrittenes Thema bei Denkmalpflegern und Stadtplanern. Es sagt viel über den alten Ungeist dieser neuen Bauherren aus, die wieder den Tod fürs Vaterland glorifizieren. Abermals werden wir von selbstgefälligen Potentaten regiert, die wohl meinen, man könne nur in barocker Kulisse wirklichen Glanz ausstrahlen. Dabei stört es sie nicht, daß man in der Bevölkerung mehrheitlich kein Verständnis für solche kostspieligen Prestigeobjekte aufbringt. 61 Prozent der Berliner sind nach einer Forsa-Umfrage gegen den Schloßbau, doch wie schon 1443 wird deren Wille ignoriert. Leider aber gibt es keinen neuen Berliner Unwillen!

In Potsdam sieht es ähnlich aus. Die wieder an den Futtertrögen der Macht sitzenden kirchlichen Würdenträger, die für den Wiederaufbau optieren, kommen nicht auf die Idee, sich die aus meiner Sicht für einen Christen naheliegendste Frage zu stellen: Würde sich der Jesus Christus der Bergpredigt in einer solchen Kirche wohl fühlen? Megalomanie nimmt fundamentale Tatsachen und Fragen aus luftiger Höhe nur noch als Bodensatz wahr.

Kunsthistoriker meinen mit Blick auf den Konstantinsbogen in der Stadt am Tiber, daß sich hier künstlerisch der Niedergang des alten Römischen Reiches manifestiert habe. Es war einfach nicht mehr dazu imstande, große Monumente der Kunst zu erschaffen. Die Zeit siegreicher Schlachten und Triumphzüge war vorbei.

Die Tatsache, daß man diesen Triumphbogen aus Bruchstücken anderer Bauten erschuf, ist symbolhaft: Das alte Gesellschaftssystem mit seiner Religion und Staatsordnung befand sich im Absturz, und etwas Neues, das später als Byzantinisches Reich in die Geschichte eingehen sollte, war noch nicht vollendet.

Auch hierzulande scheint es an eigener schöpferischer Kraft zu fehlen. So flüchtet man sich in Vergangenes. Es wird zur Krücke, um auf ausgetretenen Wegen scheinbaren Ruhmes anderer Epochen humpelnd ans Ziel zu gelangen. Man möchte so gern im alten Glanz erstrahlen, hat aber selbst keine Strahlkraft mehr! Die Parallele zum Konstantinsbogen ist augenfällig.

In allen Epochen waren die Herrschenden Auftraggeber großer Bauten. Die alte Ordnung der BRD aber ist zu eigener, überzeugender Schöpferkraft nicht mehr fähig. Der Schloßwiederaufbau und der Ruf nach der Garnisonkirche verdeutlicht mir: Diese Gesellschaftsordnung ist im Niedergang begriffen!

Selbst bei der Fülle eigener Bauten oder neuer Kunstwerke beschleicht einen das Gefühl seltsamer Leere. Das Regierungsviertel strahlt die Vorstellungen eines "großen Oggersheimers" von Repräsentation aus. Und an Flughäfen und Philharmonien sollten sich unsere "Eliten" doch lieber gar nicht erst heranwagen! Selbst ein Ort der Mahnung wie das Holocaust-Denkmal wirkt da nicht überzeugend. Es fehlt an der Aufrichtigkeit des Beweggrundes.

Und plötzlich wird mir klar, warum so viele Monumente unserer Republik der Arbeiter und Bauern vernichtet worden sind: Sie zeugten von Wahrhaftigkeit! Der Palast der Republik wäre immer ein Stachel im Fleisch der temporären Sieger geblieben! Kapitalisten bauen keine Paläste für das Volk! Unsere Bücher mußten millionenfach vernichtet werden, denn der Bourgeois hätte deren Inhalt ohnehin nicht begriffen und fürchtete sich vor ihnen wie der Teufel vor dem Weihwasser. Denkmäler, die den Frieden priesen, mußten zerstört werden, war doch die Friedensliebe der DDR ernst gemeint!

Und auch die Monumente der von Nazis mitgegründeten BRD für die Opfer faschistischer Verbrechen zeugen von Heuchelei. Sie können neben den Buchenwalder Figurengruppen Fritz Cremers nicht bestehen, weil die DDR wirklich antifaschistisch war. Was der BRD bleibt, ist die Flucht in betonierte Häßlichkeit und pseudobedeutungsschweren, künstlerisch aber bedeutungslosen Symbolkitsch, wie die Entwürfe für das "Einheitsdenkmal" beweisen. Oder eben in symbolbelastete Schlösser und Kirchen.

Ulrich Guhl

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Aus Eddas Blickwinkel: Der verschandelte Alex

Du kannst dir nicht vorstellen, wie sich der Berliner Alexanderplatz in fünfzig Jahren verändert hat!

Aufgeregt und frierend warteten wir kurz nach Mitternacht auf dem Rostocker Hauptbahnhof, um nach Berlin zu fahren. Wir - das waren die Schüler einer elften Klasse. Nach stundenlanger Fahrt kamen wir in Lichtenberg an und quetschten uns dort in die volle S-Bahn. Vom Berliner Tempo wußten wir nichts. So war es kein Wunder, daß einige Schüler auf dem Bahnsteig stehenblieben.

Der Alexanderplatz war eine öde Fläche, die Trümmerfrauen hatten ihn gerade erst vom Kriegsschutt befreit, nur an das beschädigte Alexander- und das Berolinahaus erinnere ich mich, auch an endlose Wege, die zu bewältigen waren. Wir sahen uns die Neubauten der Stalinallee an, besuchten das Museum für Deutsche Geschichte und den Berliner Weihnachtsmarkt.

Ich staunte über die erste Leuchtreklame meines Lebens, verdrückte gierig eine lebensmittelmarkenfreie Riesendampfwurst und fuhr mit dem Kettenkarussell. Zuletzt wurde ich, inzwischen waren wir fast vierundzwanzig Stunden unterwegs, von zwei Klassenkameraden untergehakt und vorwärtsgeschleift, weil ich im Gehen vor Erschöpfung fast einschlief. Meine zweite Begegnung mit Berlin hatte ich im August 1961. Wegen der gerade erfolgten Grenzschließung durften wir auf der Fahrt nach Polen den Ostbahnhof nicht verlassen und sahen den Alex nur vom fahrenden Zug aus. Keine wesentlichen Veränderungen!

Als ich vier Jahre später nach Berlin zog, war der erste Neubau am Alexanderplatz, das Haus des Lehrers, gerade fertig geworden und strahlte mit seiner Womacka-"Bauchbinde" in die Runde. Ich aber schlug mich mit der etwas schnoddrigen Art der Berliner herum. Ein halbes Jahr lang dachte ich, hier bleibst du nicht! Besonders einige kesse Schüler waren mir eine Plage. Dann aber gewöhnte ich mich an ihre vorwitzige Art und hatte gewonnen, als es mir gelang, allzu dreiste Redner mit frechen Sprüchen zu verblüffen.

Der Alex aber entwickelte sich zum zentralen Platz der Stadt, kreuzungsfrei und mit Anbindungen an die wichtigsten Straßenachsen in alle Himmelsrichtungen, gesäumt vom Kuppelbau der Kongreßhalle, dem Haus des Reisens und dem Fernsehturm. Wie eine riesige Schnecke mutete von dort oben der freie Platz mit seinen Gehplatten, der Rundbank und dem Brunnen der Völkerfreundschaft an. Wie die Weltzeituhr war er ein beliebter Treffpunkt für Berliner und Auswärtige. Einmal wartete ich dort allerdings vergebens auf meinen Mann, während der wütend auf der anderen Seite des S-Bahnhofs am Neptunbrunnen stand. Wer hatte bei der Verabredung nicht richtig zugehört?

Während der Weltfestspiele 1973 schob ich den neugeborenen Sohn im Kinderwagen über den Alex. Der Platz war ein blaues, wogendes, singendes Meer. FDJler überall und dazwischen lachende Menschen aus aller Welt, viele in Nationaltracht. Die Chilenen beeindruckten mich besonders. Sie erfüllte Hoffnung, weil in ihrem Land Allendes Sozialisten durch Wahlen ans Ruder gekommen waren. Victor Jaras Siegeslied "Venceremos" hing über dem Platz, erklang immer wieder!

Vier Wochen dauerte die Rückreise der Chilenen mit dem Schiff. Doch am 11. September fand in Santiago ein faschistischer Militärputsch statt. Die Heimkehrenden wurden sofort abgefangen, in Stadien zusammengetrieben, gefoltert und viele von ihnen getötet. Wir weinten, als wir die Kunde vom schrecklichen Ende Victor Jaras erhielten.

Am 4. November 1989 war ich mit mehr als einer halben Million Menschen wieder auf dem Alex.

Ostberliner Kulturschaffende hatten zu einer Kundgebung "für Reformen und Demokratie, für unser Land" aufgerufen. Unter den vielen Rednern sah man Christa Wolf, Stefan Heym, Markus Wolf, Friedrich Schorlemmer, Gregor Gysi. Was wir indes nicht ahnten: Wir bekamen nichts für unser, wir bekamen ein anderes Land, nicht Reformen, sondern "Begrüßungsgeld". Wir erlebten nicht Demokratie, sondern wurden einfach abgewickelt. Im "Rechtsstaat" gelandet, kannst du dein Recht einklagen, allerdings mußt du gut bei Kasse sein.

Auf dem heutigen Alex mästet sich das Geld in häßlichen Konsumpalästen. Mühsam suchen die Touristen nach bekannten Motiven, doch immer wieder versperrt ihnen ein anderer Betonklotz gieriger Investoren die Sicht. Den weiten schönen Platz von einst gibt es nicht mehr. Straßenbahnen schieben sich langsam über das Areal, Menschen hasten achtlos aneinander vorüber, gehen ihren Geschäften nach, Bettler belagern die Ecken, Drogen wechseln den Besitzer, Obdachlose bevölkern mit ihren Hunden die Unterführungen, Taschendiebe und Hütchenspieler ergaunern sich ihr Stück vom Kuchen.

Trübe Aussichten! Ein trauriger Anblick! Indes: Die Kongreßhalle existiert immer noch. Sie steht sogar unter Denkmalschutz. Den Betreibern ist es gelungen, sie zu modernisieren, ohne daß sie dabei ihren Charakter verloren hat. Die bunten Mosaikfenster der Lichthöfe in dem zu Konferenzräumen umgebauten Kellergeschoß erinnern mich nicht mehr an jenen Lagerraum, in dem unsere Chorkleidung einst aufbewahrt wurde, aber an zahlreiche erfolgreiche Auftritte des Lehrerensembles jener Tage. Wir sind noch da und unser schönes vertrautes Haus am Alex auch!

Edda Winkel

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RF-Extra
Gysi und Modrow zum SED-Sonderparteitag und dem Ende der DDR

Aus dem Nähkästchen geplaudert

Das Buch, das hier betrachtet werden soll, vermittelt der Öffentlichkeit ein Gespräch, das Verleger Frank Schumann mit Gregor Gysi und Hans Modrow am 13. Dezember 2012 im Bundestagsbüro des Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke geführt hat. Es litt darunter, daß Gysi mehrmals unterbrochen wurde, weil er an parlamentarischen Abstimmungen teilnehmen mußte. Außerdem standen beide Gesprächspartner unter dem Druck kurz bevorstehender Auslandsreisen. Während Gysi in die USA wollte, folgte Modrow einer Einladung nach Kuba.

Das Buch ist vor allem seinerzeitigen SED-Mitgliedern zu empfehlen, welche das Geschehen während der sogenannten Wende 1989/90 besser durchschauen wollen. Die Ereignisse, an die sich der seinerzeitige DDR-Ministerpräsident und der damalige PDS-Vorsitzende erinnern, betreffen nicht zuletzt auch ihren eigenen Anteil daran. Manches war bisher so noch nicht bekannt.

Frank Schumann begründet sein Anliegen folgendermaßen: Eine "ehrliche Rückschau" beuge "sowohl einem Realitätsverlust vor ..., als auch der Illusion, man könne Politik ohne Geschichte machen". Es sei egal, ob man das Ausblenden der Vergangenheit nun Zeitgeist oder Zwang zur Anpassung nenne, oder ob es sich um schlichte Unwissenheit handele. Ohne Wurzeln gebe es keine Standfestigkeit, das wüßten nicht nur Forstarbeiter. (S. 13)

Gysi und Modrow, zwei Politiker, die in der Schlußphase der DDR an die Spitze der SED/PDS und der Regierung katapultiert wurden, haben zweifellos den Verlauf der "Wiedervereinigung" auf seiten der DDR mitgeprägt. Modrow galt in den Westmedien als "Hoffnungsträger" der "Reformer", während Gysi quasi über Nacht in die höchste Funktion der sich wandelnden Partei aufstieg. Die Politiker waren sich erstmals am 3. Dezember 1989 begegnet, als in Vorbereitung des SED-Sonderparteitags ein "Untersuchungsausschuß zur Überprüfung von Amtsmißbrauch und Korruption" gebildet wurde.

Beide vermuten, daß es Markus Wolf gewesen sein dürfte, der dafür gesorgt habe, daß Gregor Gysi als Vorsitzender dieses Gremiums gewählt wurde. Durch wen eigentlich? Gysi merkt an, es sei vereinbart worden, die Namen der Mitglieder dieser Untersuchungskommission nicht bekanntzugeben. Daran habe man sich gehalten. Er glaubt, sich nicht mehr daran erinnern zu können, wer seine Mitstreiter bei der "Ausrottung der Korruption in der SED" gewesen waren. Darf hier gefragt werden, warum diese Personen auch weiterhin anonym bleiben wollen? Um den großen Besen, der Gysi in die Hand gedrückt wurde, weiß dieser natürlich, nicht aber, wo sich das historische Gerät heute befindet. Der Besen sei spurlos verschwunden. "Seine Aufgabe hatte sich ja auch erledigt", meint Gysi. (S. 26)

Darf also weiter gefragt werden: Welche Aufgabe hatte der Besen tatsächlich zu erfüllen? Und durch wen wurde sie gestellt? Hatte sich mit dem Ausschluß führender Funktionäre wie Erich Honecker, Egon Krenz und Heinz Keßler - also mit der politischen Enthauptung der SED - die Funktion dieses Instruments erledigt?

Auf dem SED-Sonderparteitag, der zum Gründungsparteitag der PDS mutierte, spielte der "Stalinismus" bekanntlich eine besonders herausgehobene Rolle. Obwohl diesen Begriff bis jetzt noch niemand definiert hat, vollzog der Parteitag nach Gysis Worten "einen radikalen Bruch mit dem Stalinismus". (S. 27) Der Fraktionsvorsitzende hält das auch heute noch für das Wichtigste dieses einschneidenden Ereignisses.

Ich möchte das Nachdenken befördern, indem ich frage: War der "Stalinismus", wie immer er auch beschrieben oder ausgelegt werden mag, am Jahresende 1989 etwa die Hauptgefahr für die DDR? Stellten vermeintliche Stalinisten deren gefährlichste Feinde dar? Außerdem: Wer ist denn nicht alles seitdem als "Stalinist" gebrandmarkt und kaltgestellt worden?

Genossen, die damals als Mitglieder oder Funktionäre der SED die DDR verteidigen halfen, dürften sich über einige Aussagen Gregor Gysis wundern. So auch darüber, wie damals um den Posten des Parteivorsitzenden gefeilscht wurde. Auseinandersetzungen gab es auch um die Frage, ob sich die SED selbst auflösen solle oder nicht. Gysi, der dagegen war, setzte sich mit dem Argument durch: "Das Parteivermögen wäre doch plötzlich herrenlos geworden." (S. 36) - Auch der Streit über den Verbleib des Parteivermögens ist für frühere SED-Mitglieder von besonderem Interesse, war es doch schließlich ihr kollektives Eigentum, über das da entschieden wurde. Es belief sich im Juni 1990 noch auf etwa eine Milliarde DDR-Mark und 20 bis 30 Millionen Valutamark. Im Zusammenhang mit einem "Finanzskandal", welcher der PDS sehr schadete, wurde in einer 15stündigen Sitzung ihres Vorstands beschlossen, den Hauptteil des Vermögens "gemeinnützigen Zwecken zuzuführen". Dieser "rigorose Schritt" hatte zur Folge, daß die PDS über Nacht 95% des ursprünglichen SED-Vermögens einbüßte.

Gysi erzählte eine Episode, die scheinbar auch seinen Gesprächspartnern nicht bekannt war. Dabei geht es um einen Druckfehler im Programm der PDS, das Anfang 1990 veröffentlicht wurde. Gysi schilderte, wie es zu diesem Mißverständnis kam: "Der Fehler stand im ND, was zu einem echten Problem führte. Unter der Programmzeile 'Welche Wirtschaft wir wollen' hatten wir geschrieben, daß wir eine 'sozialistische Marktwirtschaft' einführen wollten. Das ging im wesentlichen auf Dieter Klein zurück. Offenbar konnten sich auch die Redakteure darunter nichts vorstellen, und so machten sie daraus 'soziale Marktwirtschaft'. Uns fiel das beim Korrekturlesen nicht auf, und so beschlossen die Delegierten des Wahlparteitags, daß die PDS für eine 'soziale Marktwirtschaft' streiten werde." (S. 65)

Laut Gysi wurde der Begriff "sozialistische Marktwirtschaft" in den Text aufgenommen, obwohl nicht einmal die Autoren wußten, was eigentlich darunter zu verstehen sei. Hierzu gibt es zwei denkbare Interpretationen: Entweder wurden die Delegierten absichtlich getäuscht, oder es ist davon auszugehen, daß ein Programm kaum gelesen, geschweige denn befolgt wird.

Im Gespräch nimmt die Erinnerung an den "Weg zur Einheit" einen wichtigen Platz ein, darunter Modrows Treffen mit Gorbatschow am 2. Februar 1990, nachdem der DDR-Regierungschef per Bildschirm die Formel "Deutschland, einig Vaterland" verkündet hatte. Diese bereitete nicht nur Gysi Bauchschmerzen. Erst viel später habe er erfahren, daß die Würfel über das Schicksal der DDR in Moskau gefallen waren, sagte Gysi. Er fügte hinzu: "Bonn diktierte den Fahrplan." Wir Dresdener hatten das allerdings schon bei Kohls Rede in unserer Stadt am 19. Dezember 1989 festgestellt.

Gysi begründet das Ende der DDR damit, daß eine Bevölkerungsmehrheit ihren Staat nicht mehr gewollt habe. O-Ton Gysi: "Daß viele ihm (Helmut Kohl, H. S.) folgten, hatte sich die SED selbst zuzuschreiben." (S. 50)

Man könnte das auch anders formulieren: Am Untergang der DDR sei die SED schuld gewesen, weil sie die Unterstützung der Mehrheit der Bürger verloren habe. Der Leser wird hierzu eine Menge Fragen haben.

Modrow setzte Gysi entgegen: " Diese ganzen Prozesse müssen in eine wahrhafte Geschichtsauffassung einfließen. Man kann das nicht darauf reduzieren: In Leipzig haben sie den Honecker wegdemonstriert, am 9. November wurde aufgrund eines Versprechers die Mauer geöffnet, die DDR-Bürger wählten am 18. März 1990 die D-Mark, und am 3. Oktober brach dank der deutschen Einheit auch im Osten das Paradies aus." (S. 62) Modrows Sarkasmus ist berechtigt.

Im Gespräch berichten Gysi und Modrow über ihre unterschiedlichen "West-Erfahrungen". Das mag teilweise an ihren voneinander abweichenden Biographien liegen. Modrow hatte schon als leitender FDJ-Funktionär Freunde wie Jupp Angenfort. Als er dann 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden war, kreuzten sich seine Wege mit denen vieler Politiker aus der BRD.

1989 standen auch die Beziehungen der SED zur DKP auf dem Prüfstand. "Gregor wollte eigentlich niemanden aus dieser Partei", urteilt Modrow. Vermutlich gelangten deshalb auch keine früheren DKP-Mitglieder als PDS-Abgeordnete in den Bundestag. Wäre es nicht nützlich, die Ursachen und Folgen dieses Sachverhalts genauer zu untersuchen? Wem dient denn der jetzige Stand der Dinge?

Der rote Faden des Gesprächs ist der Streit innerhalb der Linken um das Geschichtsbild zur DDR. Einer der Gipfelpunkte war die Stellung der PDS gegenüber der Eppelmann-Kommission und deren Arbeitsergebnissen. Die parteioffizielle Haltung mancher PDS-Funktionäre führte bekanntlich zu einer großen Austrittswelle. Modrow lehnt die verordnete Verteuflung der DDR ab: "Geschichte läuft nicht nach dem Muster eines Western, wo von vornherein klar entschieden ist: Der eine ist der Schuft, der andere der Gute." In diesem Kontext wandte sich Modrow an die Adresse verantwortlicher Politiker aus dem eigenen Lager: "Die Parteiführung hatte und hat kein Verhältnis zu ihren älteren Mitgliedern. Als Schwungmasse und Wahlvolk sind sie willkommen, sonst nicht. Sie drücken das Durchschnittsalter - auch die PDS möchte nicht als 'alte' Partei erscheinen - und sterben überdies noch aus, womit die Zahl der Mitglieder schrumpft. Damit sinken die Beitragseinnahmen und die Zahl der Abonnenten des 'Neuen Deutschland', dessen Hauptaktionär ja die Partei ist."

Ich bin hier auch persönlich betroffen, möchte aber noch auf eine andere Textstelle aufmerksam machen. Bei Gysis "Geschichtsphilosophie" über die "Diktatur" sträuben sich einem Marxisten die Haare: "Es gibt viel Probleme in einer Diktatur. Ich lasse jetzt mal Demokratie-, Freiheits- und Menschenrechtsfragen unberücksichtigt Eine Sache steht darüber hinaus fest: Eine Diktatur ist zu Beginn ungeheuer kreativ. Da kommen neue unverbrauchte Leute an die Macht, die haben neue Ideen, welche sich rascher umsetzen lassen als bei langen demokratischen Entscheidungsprozessen. Dieser Aufbruch kann auch Zuspruch bei der Bevölkerung finden. Aber da es nie einen demokratischen Wechsel gibt, entsteht eine Stagnationsphase. Das kann man deutlich bei Breshnew sehen. Und auch bei Honecker. Was ich noch immer nicht verstehe: Warum Honecker annahm, sich erfolgreich gegen Moskau stellen zu können. Die sowjetische Parteiführung unter Gorbatschow beschließt, eine andere Politik zu machen, und unsere Führung sagt: Da machen wir nicht mit. Ja, was dachten sie denn, wer sie sind?" (S. 75)

So viele Fehlurteile auf einen Schlag können aus Platzgründen hier nicht korrigiert werden. Doch der Leser darf wohl mal fragen: Wie wäre es, Gysis Äußerung über den "Beginn einer Diktatur" am Beispiel der Machtauslieferung an Hitler zu überprüfen? Und kann man Honecker etwa deshalb einen Vorwurf machen, weil er sich dem antisozialistischen Kurs der letzten sowjetischen Führung widersetzt hat? War Gorbatschow etwa jemand, der keinen Widerspruch erfahren durfte?

In Gysis ideologischem Gemenge kommen die Begriffe Totalitarismus, totalitäre Diktatur, SED-Diktatur nicht vor, obwohl über sie in Bundestagsdokumenten, die zur Abstimmung standen, viel zu lesen ist. Der Neumann-Bericht über den "Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur" beschäftigte das Parlament der BRD von Januar bis Juni 2013. Hier wäre eine klare Abgrenzung zu erwarten gewesen.

Schon 1962 habe ich den Geschichtslehrern der DDR die Totalitarismusdoktrin als "vergifteten Dolch" vorgeführt, was damals noch höheren Ortes auf Unverständnis stieß. Nach 1990 entwickelte sie sich dann zur Hauptdoktrin der deutschen Antikommunisten bei der "Aufarbeitung" der DDR-Geschichte.

Wer den Gegner nicht wahrnimmt oder unterschätzt, hat schon verloren. Diese These ist bisher durch nichts und niemanden widerlegt worden.

Prof. Dr. Horst Schneider


Gysi und Modrow im Streitgespräch. Ostdeutsch oder angepaßt.
Edition Ost, Berlin 2013, 160 S., 9,99 €

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Gabriel Garcia Márquez zu den Hintergründen einer Konterrevolution

Warum Allende sterben mußte

Im März 1974 veröffentlichte die britische Zeitschrift "New Statesman" einen Artikel des in Mexiko lebenden kolumbianischen Nobelpreisträgers für Literatur Gabriel Garcia Márquez über die Hintergründe der gegen Allende gerichteten Konterrevolution in Chile, die Rolle der Vereinigten Staaten dabei und den Putsch des Generals Augusto Pinochet. Heute leidet der Hochbetagte an der Alzheimerkrankheit. Um an ihn und sein Werk zu erinnern, brachte der "New Statesman" Auszüge des seinerzeitigen Beitrags.

Ende 1969 dinierten in Washington drei Pentagon-Generale mit fünf chilenischen Offizieren. Das Thema waren die in Chile anstehenden Präsidentschaftswahlen. Einer der US-Militärs fragte unverblümt, was die chilenische Armee zu tun gedenke, falls Salvador Allende, der Kandidat der Linken, gewinnen sollte. "Wir würden die Moneda (den Präsidentschaftssitz, V. B.) binnen einer halben Stunde besetzen, selbst wenn wir sie in Brand stecken müßten", lautete die Antwort. Bei weiteren Treffen in Washington und Santiago wurde ein Plan festgelegt, demzufolge die den USA am meisten hörigen Militärs im Falle eines Wahlsieges der Unidad Popular Allendes die Staatsmacht ergreifen würden.

Auf US-Seite war die Defence Intelligence Agency des Pentagons organisatorisch mit im Spiel, die eigentliche Verantwortung aber trug die Naval Intelligence Agency unter Anleitung der CIA und des Nationalen Sicherheitsrates. Die Teilnahme der Navy hatte ihren Grund in den alljährlich stattfindenden gemeinsamen Manövern der US-Seestreitkräfte und der chilenischen Marine im Pazifischen Ozean. Sie ermöglichten es, spezialisiertes Personal und Ausstattungen nach Chile zu befördern, ohne dabei Verdacht zu erregen.

Damals sagte Henry Kissinger zu einer Gruppe Chilenen: "Ich bin nicht informiert und weiß auch nichts über den Teil der Welt südlich der Pyrenäen." Zu der Zeit war der Krisenplan in allen Einzelheiten bereits ausgearbeitet, und es erscheint kaum glaubhaft, daß weder Kissinger noch Präsident Nixon darüber Bescheid wußten, konstatierte Garcia Márquez.

Geographisch ist Chile ein ungewöhnliches Land: Etwa 2820 Kilometer lang und von der Küste bis zur inneren Grenze im Durchschnitt 304 Kilometer breit, mit einer lebenslustigen 10-Millionen-Bevölkerung. Davon leben allein 3 Millionen im Großraum Santiago. Haupterzeugnis ist Kupfer von der weltbesten Sorte, wobei das Produktionsvolumen nur von den USA und Rußland überboten wird. Außerdem reift in Chile ein ausgezeichneter Wein, der mit den besten europäischen Sorten durchaus konkurrieren kann. Das Pro-Kopf-Einkommen ist mit 650 US-Dollar das höchste in Lateinamerika, doch traditionell fließt fast die Hälfte des BIP in die Taschen von nur 300.000 Personen.

Selbst die nüchternsten Geographen betrachten Chile nicht als einen Teil des Kontinents, sondern als Ausläufer der Anden, der sich in die neblige See erstreckt und eines Tages im Ozean verschwinden wird.

Trotz allem haben die Chilenen eine bemerkenswerte Zivilisation und politische Reife erlangt, wodurch sie sich von den anderen Ländern des Kontinents unterscheiden. Unter den drei lateinamerikanischen Nobelpreisen für Literatur entfallen zwei auf Chile. Pablo Neruda wird als einer der größten Dichter des 20. Jahrhunderts gepriesen.

Am 4. September 1970 wurde der Sozialist Salvador Allende zum Präsidenten gewählt. Der Sieg der Unidad Popular (Volkseinheit) rief in Washington noch keine besondere Bestürzung hervor. Im Gegenteil: Die Souveränität der neuen Regierung in internationalen Angelegenheiten und ihre entschlossene Wirtschaftspolitik schufen eine positive Atmosphäre. Eine Überprüfung des ins Auge gefaßten Umsturzprojekts ergab, daß es viel zu militärisch ausgerichtet war und, der US-Botschaft in Santiago zufolge, die politischen und sozialen Bedingungen Chiles nicht genügend in Betracht zog.

Im ersten Jahr der Allende-Regierung wurden 47 Industrieunternehmen nationalisiert, zugleich auch der größte Teil der Banken. Die Agrarreform führte zur Enteignung von 6 Millionen Acres Land, das früher Großgrundbesitzern gehört hatte und in gemeinschaftliches Eigentum umgewandelt wurde. Die Inflation konnte verlangsamt werden, die Vollbeschäftigung wurde Wirklichkeit, die Nettolöhne erhöhte man pauschal um 30%.

Die vorangegangene Regierung des Christdemokraten Eduardo Frei hatte zögernde Schritte zur Nationalisierung der Kupferminen unternommen, was dieser Präsident als "Chilenisierung" ausgab. Sein Plan bestand darin, 51% der in der Hand nordamerikanischer Konzerne befindlichen Unternehmen zu kaufen. Für die El-Teniente-Mine allein wurde mehr bezahlt, als deren Buchwert betrug.

Allendes Regierung errang im Parlament die Zustimmung aller Parteien zur entschädigungslosen Nationalisierung sämtlicher Kupfergruben, die von den US-Konzernen Anaconda und Kennecott sowie deren Filialen betrieben wurden. Die Regierung hatte ausgerechnet, daß deren Profite im Laufe von 15 Jahren bei mehr als 800 Millionen US-Dollar lagen.

Die Christdemokraten kontrollierten im Bunde mit dem rechten Flügel der Nationalpartei den Kongreß und die Gerichtsbarkeit, während Allendes Unidad Popular nur über die Exekutive verfügte. Es war bemerkenswert, wie der Katholik und vorherige Präsident Frei die Vorteile im Kampf beider Seiten erblickte, um die Regierung zu destabilisieren und das Land in den Abgrund der Demoralisierung wie des wirtschaftlichen Zusammenbruchs zu stürzen.

Die US-Wirtschaftsblockade erfolgte als Reaktion auf Enteignungen ohne Entschädigung und tat das ihre.

Die chilenische Industrie basiert zu 60% auf Auslandsinvestitionen, 80% der benötigten Grundstoffe müssen importiert werden. Außerdem benötigt Chile alljährlich etwa 30 Millionen US-Dollar zur Einfuhr von Konsumgütern und 450 Millionen Dollar zur Schuldendeckung im Ausland.

Doch die Damen der Bourgeoisie zogen - mit Töpfen und Pfannen rasselnd - auf die Straße, um gegen die Rationierung von Bedarfsartikeln und die Geldentwertung zu protestieren. Bei ihnen wimmelte es nur so von zur Schau gestellten Silberfüchsen und Strohhüten mit üppiger Blumendekoration. Dennoch bescherten die Märzwahlen des Jahres 1973 dem Bündnis Allendes einen Stimmenanteil von 44%.

Ein friedlicher Prozeß in Richtung Fortschritt und soziale Erneuerung - das war für Washington nicht mehr hinnehmbar! Verheerend wirkte sich der von der CIA inszenierte und finanzierte Streik der Lastwagenbesitzer und -fahrer aus, auf deren Gütertransport das langgestreckte Land dringend angewiesen war. Mit ihrem vermutlich nicht gerade zufälligen Ausstand kam ganz Chile zum Stehen. Eine Woche vor dem Umsturz gab es weder Treibstoff noch Milch, noch Brot ...

Zwei Tage vor dem Coup gelang es der rechten Opposition, sämtliche hochrangigen Offiziere, die auf seiten Allendes standen, militärisch zu degradieren und an deren Stelle Washington hörige Personen zu setzen. Die Geschichte des chilenischen Streitkräfte beweist, daß sie immer dann in die Politik eingriffen, wenn die herrschende Klasse ihre Interessen bedroht sah.

Ein solcher Staatsstreich konnte nicht unblutig verlaufen. Dessen war sich Allende voll bewußt. Die Blutgier der chilenischen Armee ist notorisch und beruht auf einer 200jährigen Erfahrung im Nahkampf mit den Araukaria-Indianern - den Ureinwohnern des Landes.

Die Chronologie der Intrigen, die dem Coup vorangingen, muß verschiedenen Quellen entnommen werden, die als mehr oder weniger zuverlässig gelten. Eine Vielzahl ausländischer Agenten scheint darin verwickelt zu sein. Nach geheimen Informationen erfolgte die Bombardierung des Regierungspalastes Moneda durch eine Gruppe US-amerikanischer Luftakrobaten, die unter dem Vorwand einer Vorführung zu Chiles Nationalfeiertag, dem 18. September, nach Santiago gekommen waren, nicht aber durch Maschinen der eigenen Luftwaffe. Es gibt auch Beweise dafür, daß Agenten mehrerer Geheimdienste aus Nachbarländern, besonders aus Bolivien und Brasilien, eingesickert und bis zum Tag des Putsches in Deckung geblieben waren. Teile für Brasilien bestimmter US-Anleihen wurden über La Paz nach Chile geschleust, um den Putsch zu finanzieren.

Am 11. September lief die "Operation Unitas" genau so ab, wie sie drei Jahre zuvor in Washington vereinbart worden war. Auch in diesem erbitterten Endkampf fühlte sich Allende noch immer an Regeln der Legalität gebunden. Er war ein prinzipieller Gegner von Gewalt, zugleich aber auch ein leidenschaftlicher Revolutionär! Als Präsident setzte er auf einen evolutionären Weg zum Sozialismus und begriff zu spät, daß eine Regierung ohne hinreichende Macht das System nicht verändern kann.

Späte Enttäuschung muß den rechtmäßigen Staatschef dazu bewegt haben, das brennende Gebäude sechs Stunden lang zu verteidigen - u.a. mit einer Maschinenpistole, die er von Fidel Castro als Geschenk erhalten hatte.

Gegen 4 Uhr nachmittags vermochten Generalmajor Javier Palazios und sein Adjutant Hauptmann Gallardo den 2. Stock zu betreten. Allende erwartete sie in Hemdsärmeln und ohne Krawatte. An seiner Kleidung sahen sie Blut. Er hielt die Maschinenpistole in Händen.

Der Präsident kannte Palazios und rief "Verräter", als dieser am Treppenaufgang erschien. Ein Zeuge berichtete, der Präsident sei im Feuerwechsel gefallen. Die übrigen Offiziere traten an den Leichnam heran und feuerten aus ihren Waffen in den leblosen Körper. Schließlich zermalmte einer Allendes Gesicht mit seinem Gewehrkolben.

(Andere Versionen, die dieser Darstellung widersprechen, und später bekannt wurden, waren Garcia Márquez zum Zeitpunkt der Niederschrift seines Artikels natürlich noch nicht zugänglich - RF)

Man spricht vom Foto eines Journalisten der Zeitung "El Mercurio", das allerdings niemals veröffentlicht wurde. Danach soll das Gesicht Allendes derart entstellt gewesen sein, daß man nicht mal seiner Frau Hortensia gestattete, es zu sehen. Der Präsident war gerade 63 Jahre alt.

Das von Todfeinden der Revolution dominierte Parlament erklärte - den Forderungen der Usurpatoren der Macht entsprechend - Allendes Regierung unverzüglich für illegal.


Übersetzung aus dem Englischen und gedankliche Zusammenfassung des Materials:
Dr. Vera Butler, Melbourne

Ende RF-Extra

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Wie die Geheimnisse der Imperialisten verpfiffen wurden

Die Großtat der "Whistleblower"

Über die Motive und die ideologische Position der "Whistleblower", wie man inzwischen nicht mehr nur im englischsprachigen Raum Leute bezeichnet, die besonders streng gehütete Geheimnisse "verpfeifen", wissen wir so gut wie nichts. Doch das ist eigentlich auch nebensächlich. Vermutlich dürfte keiner aus dem Trio der auf solche Weise zu weltweiter Prominenz Gelangten - es handelt sich um den Australier Julian Assange und die beiden US-Bürger Bradley Manning und Edward Snowden - in die politische oder weltanschauliche Nähe von Kommunisten oder Sozialisten zu rücken sein, auch wenn sie von ihren Anklägern des "Geheimnisverrats gegenüber dem Feind" bezichtigt werden.

Dieser imaginäre Gegner sind ganz offensichtlich die internationale demokratische Öffentlichkeit und die friedliebenden Menschen in aller Welt. Die "Whistleblower" haben deren Feinde auf bisher einmalige Weise bloßgestellt. Das aber ist objektiv als eine antiimperialistische Großtat zu werten. Deshalb handelt es sich bei jenen, welche die Karten der Kriegstreiber und Kriegsverursacher aufdecken, in der Tat um Friedenshelden, die unsere uneingeschränkte Sympathie und Solidarität verdienen.

Der in Sydney erscheinende "Guardian" - die sehr informative Wochenzeitung der KP Australiens, auf deren außenpolitische Berichte wir uns so manches Mal gestützt haben -, schilderte unlängst Einzelheiten zum Wirken der Internet-Enthüllungsplattform WikiLeaks Julian Assanges, der inzwischen eine eigene Partei gegründet hat und für den Senat seines Landes kandidiert. Er hat bekanntlich schon vor mehr als einem Jahr in der Londoner Botschaft Ekuadors Zuflucht vor den Häschern der USA-Geheimdienste suchen müssen.

Seit ihrer Gründung im Jahr 2007 beschäftigt sich die Internet-Plattform vor allem damit, die Wahrheit über Kriege, Morde, Folter und Verschleppung sowie dubiose Konzernaktivitäten, Korruption, Machtmißbrauch, Unterdrückung der Meinungsfreiheit und bestimmte Kulthandlungen oder Verschleierungsmanöver zu verbreiten. Als dann aber 2011 plötzlich Hunderttausende streng geheime Depeschen, Dossiers und Berichte des US-Außenministeriums, der Geheimdienste und des Pentagons weltweit publik gemacht wurden, löste das in Washington begreiflicherweise Schockwellen aus. Die Lügen der Lügner und die Wahrheit über von den Imperialisten bereits verübte oder geplante Verbrechen kamen schlagartig ans Tageslicht.

US-General Michael Hayden, der nacheinander Direktor der NSA und der CIA war, erklärte in einem vom "Guardian" auszugsweise nachgedruckten Interview für den Dokumentarfilm "Die Geschichte von WikiLeaks" unumwunden: "Wir stehlen Geheimnisse. Wir stehlen die Geheimnisse anderer Nationen. Man kann das tun und dabei sehr lange Erfolg haben."

Doch während man den "WikiLeaks"-Gründer wegen der Preisgabe der Intimsphäre imperialistischer Staaten zum Freiwild erklärt hat, sind die von Hayden eingestandenen Verbrechen der Geheimdienste Washingtons tabu.

"WikiLeaks" erhält nicht wie diese eine vielstellige Milliardensumme, sondern bezeichnet sich als nichtprofitorientierte Medienorganisation. "Unser Ziel ist es, wichtige Neuigkeiten und Informationen an den Mann zu bringen", erklärte dessen Mitarbeiter Nick Davis in dem erwähnten Film. "Eine unserer wichtigsten Aktivitäten besteht darin, Original-Quellenmaterial einem breiten Publikum, aber zugleich auch Historikern zugänglich zu machen. Wir sind eine junge, sehr schnell gewachsene Einrichtung, die sich auf ein Netz dieser Sache ergebener Freiwilliger in der ganzen Welt stützen kann ... Wir wollen, daß die Wahrheit herauskommt und Verbreitung findet."

Robert Mannes sagte in dem Streifen über Assange: "Dieser 'Whistleblower' ist weder ein Freiheitsverfechter rechter Tendenz noch ein Standard-Linker. Ich halte ihn für einen humanitär eingestellten Anarchisten, einen Revolutionär vom Schlage John Lennons, der von einer besseren Welt träumt." Übrigens sind Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine wie die "New York Times", "Der Spiegel", der britische "Guardian Weekly" und Australiens Fairfax-Medienimperium für ihren maßgeblichen Anteil an der Verbreitung von Geheimnissen, die "Wiki-Leaks" preisgegeben hat, nie belangt worden, während die "Whistleblower" als Frontsoldaten solider Information lebenslang hinter Gitter gebracht oder sogar physisch ausgeschaltet werden sollen.

Der jetzt in Fort Meade (Maryland) abgeurteilte hochqualifizierte Computerspezialist Bradley Manning wurde von der US-Army an deren "Innereien" herangelassen, ohne daß sie ahnen konnte, daß er sein Wissen auf spektakuläre Weise in die Kanäle von "WikiLeaks" einspeisen würde. Eine couragierte Aktion im Dienste der Menschheit!

Edward Snowden vervollständigt das Dreigespann derer, die Washington nicht grundlos als seine Todfeinde betrachtet. Auch der frühere NSA-Mitarbeiter deckte strategisch bedeutsame Karten im Spiel der Aggressoren auf. Obamas Generalstaatsanwalt sprach von "extremem Schaden". Für wen? Auch hier gibt es Verlierer und Gewinner. Ein Mann, der massive Regierungskriminalität aufklären half, wird zum Kriminellen gestempelt.

"Wie können wir nur derart durch Informationen darüber, was unsere Geheimdienste erkundet haben, bloßgestellt werden, daß man ganz offiziell davon sprechen muß, unsere nationale Sicherheit sei ernsthaft beschädigt worden", klagte Nancy Pelosi, die Fraktionsführerin der Demokratischen Partei Obamas im US-Repräsentantenhaus. Und die Abgeordnete Loreta Sanchez bemerkte, man müsse davon ausgehen, daß die durch Snowden preisgegebenen Geheimnisse "nur die Spitze eines Eisbergs" seien.

So ist "Whistleblower" (von "to blow the whistle", in die Pfeife blasen) zu einer Vokabel geworden, die in Windeseile auch den letzten Winkel der Erde erreicht hat und für die Blamage jener steht, deren finstere Pläne "verpfiffen" worden sind.

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney, und "Global Research", Kanada

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Wird Syrien zu Obamas Irak?

Barack Obama - zweifellos ein kluger Mann - ist dennoch bei seinem dümmlich-bornierten Vorgänger George W. Bush in die Schule gegangen. Anders ausgedrückt: Erfand der eine Saddam Husseins dann niemals entdeckte "Massenvernichtungswaffen", die als Vorwand für den Überfall der USA auf Irak dienten, dann will der andere plötzlich "Chemiewaffen" bei der Armee des syrischen Präsidenten Assad entdeckt haben, was ein direktes Eingreifen der Vereinigten Staaten gegen Damaskus "moralisch" rechtfertige.

Obamas imaginäre "rote Linie", die angeblich überschritten worden sei, ist in Wahrheit nichts anderes als eine Neuauflage der Lügenstory des schon jetzt als "Mr. Smallbrain" in die Geschichte eingegangenen Präsidenten Bush. Vieles deutet darauf hin, daß Washington ein zweites Libyen ins Kalkül ziehen könnte, das sich ohne russisches Stoppschild wohl längst ereignet haben dürfte.

Seit 2011 hat Obamas Pentagon den auf die Liquidierung eines unabhängigen und funktionsfähigen syrischen Staates hinwirkenden "Freiheitskämpfern" Tausende Tonnen Handfeuerwaffen und Munition aller Typen geliefert. Die "New York Times" lüftete jetzt ein bisher streng gehütetes Geheimnis: Sie gab preis, daß die CIA mit Hilfe Saudi-Arabiens und Katars eine ständige Nachschublinie für die syrischen "Regimegegner" eingerichtet habe. Im Klartext heißt das: Zehntausende Menschen auf beiden Seiten - vor allem aber ins Kreuzfeuer geratene Zivilisten - hätten ohne Obamas Einmischung in einen vom Imperialismus angeheizten Bürgerkrieg nicht sterben müssen.

Ihre massive Intervention bezeichnen die USA bis heute als "non-lethal aid (nicht tödliche Hilfe - RF) für oppositionelle Kräfte".

Wie einst bei der Auslösung des Überfalls auf Irak tragen die bürgerlichen Medien auch durch Verbreitung von Horrorgeschichten über Syrien, die in jeden Winkel der Erde gelangen, schamlos zur Verschärfung der Lage bei. So kolportierten sie Obamas Behauptung über Assads Chemiewaffeneinsatz, obwohl sich unabhängige Experten längst gegen die "Vermutungen" des US-Präsidenten ausgesprochen hatten.

Übrigens ist es Sache der UNO, einem solchen Verdacht gegen ein Mitgliedsland nachzugehen. Die nicht gerade als antiamerikanisch geltende UN-Topjuristin Carla del Ponte erklärte: "Den Beweisen zufolge, die wir gesammelt haben, setzen die Rebellen diese Waffen ein, wobei sie von Sarin Gebrauch machen."

Auch der seit Jahren als UN-Generalsekretär amtierende ehemalige südkoreanische Außenminister Ban Ki Moon, der ebenfalls kaum unter den Gegnern der USA angesiedelt sein dürfte, nannte Obamas Option für direkte Waffenlieferungen an die vom Imperialismus erfundene und installierte "Freie Syrische Armee" eine "schlechte Idee", die "wenig hilfreich" sei. Doch wie George W. Bush brüskiert auch "Friedensnobelpreisträger" Barack Obama weiterhin die Gremien der Vereinten Nationen.

In Washington wurde schon sehr früh die Entscheidung getroffen, eine Handvoll reicher Emigranten in einer durch die USA offiziell anerkannten "Regierung Syriens" zu versammeln und zugleich Druck auf die "NATO-Partner" auszuüben, diese sinistre Kreation ebenfalls als "legitimes Kabinett" zu betrachten.

Zugleich sorgten die USA dafür, daß Syriens Nachbarstaaten Jordanien, Libanon und Türkei, welche mit Damaskus zuvor keinerlei ernste Differenzen gehabt hatten, ihre diplomatischen Beziehungen zum "Assad-Regime" abbrachen. Sie taten das unter massivem Druck aus Übersee. Dieser Schritt trug zur weiteren Destabilisierung einer Region bei, die sich noch nicht von den schrecklichen Folgen des Irak-Krieges zu erholen vermocht hat.

Obama gab die Parole "Assad muß fallen!" - verbunden mit der Ankündigung unverhüllter eigener US-Nachschublieferungen an die "Rebellen" - zu einem Zeitpunkt aus, in dem die syrische Armee die Lage in weiten Teilen des Landes militärisch unter Kontrolle zu bringen begann.

Der frühere US-General Wesley Clark erläuterte in der "New York Times" einige Gründe für Obamas "Brinkmanship", wie man in den Vereinigten Staaten seit den Tagen des berüchtigten Außenministers John Foster Dulles einen Kurs des Balancierens am Rande des Abgrunds bezeichnet. "Präsident Obamas Entscheidung, den Rebellen Handfeuerwaffen und Munition zu liefern, ist möglicherweise nur der erste Schritt zu einer direkten amerikanischen Intervention ... Wir bedienten uns einer ähnlichen Strategie 1999 gegen den serbischen Führer Slobodan Milosevic in Kosovo, wo ich damals die US-Streitkräfte befehligte, und zeigten, daß die NATO die Fähigkeit zur Eskalation besitzt."

Obamas Vorschlag zur Einrichtung einer längst angedachten Flugverbotszone über Syrien sei nur ein euphemistischer Ausdruck für einen Krieg ohne Einschränkungen, da solche Zonen erfahrungsgemäß die totale Vernichtung der gegnerischen Luftstreitkräfte, sämtlicher Boden-Luft-Raketen und anderer Teile der Infrastruktur des betroffenen Landes zur Voraussetzung hätten.

In Libyen hatten die USA und andere NATO-Mächte die unter Bruch des Völkerrechts gegen Tripolis verhängte Flugverbotszone in kürzester Frist zu einem großen Krieg ausgeweitet, der im Sturz der Regierung Gaddafi mündete. Dieses "Modell" scheint dem US-Präsidenten auch im Hinblick auf Syrien vor Augen zu schweben.

Übrigens ist der arabische Staat wie die USA einer der 51 Gründer, welche am 26. Juni 1945 in San Francisco die Charta der Vereinten Nationen unterzeichnet haben. Deren Artikel 2 besagt: "Alle Mitglieder sollen sich in ihren internationalen Beziehungen der Drohung mit oder des Gebrauchs von Gewalt gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit irgendeines Staates ... enthalten."

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney, und "Global Research", Kanada

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Ein weiteres Gleiwitz der USA

Bekanntlich ging dem am 1. September 1939 den 2. Weltkrieg auslösenden Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen eine ungeheuerliche Provokation unmittelbar voraus: der fingierte SS-Überfall unter Mißbrauch in polnische Uniformen gesteckter KZ-Häftlinge auf den "Reichssender Gleiwitz".

Nach dem zur "Rechtfertigung" ihres Angriffs auf Nordvietnam inszenierten Zwischenfall im Golf von Tongking gab es ein weiteres "Gleiwitz" der imperialistischen Hauptmacht: Am 5. Februar 2003 präsentierte Bushs Außenminister Colin Powell im UN-Sicherheitsrat einen "Beweis" für Bagdads angeblich in großem Umfang betriebene Produktion bakteriologischer Massenvernichtungswaffen. Tatsächlich enthielt die von ihm vorgezeigte Ampulle nicht Sarin, sondern eine harmlose Milchlösung.

RF, gestützt auf "Initiative Communiste", Paris

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Um was geht es in Brasilien?

Mehr als eine Million Brasilianer haben mit einem anfangs eher spontanen Protest gegen neue willkürliche Tariferhöhungen bei städtischen Verkehrsmitteln binnen Stunden eine Solidaritätswelle ohnegleichen ausgelöst. Diese geballte Kraft zeigte den das größte Land Lateinamerikas Regierenden ihre Grenzen auf. Was am 11. Juni in São Paulo begann, griff fast sofort auch auf Rio de Janeiro und nahezu alle anderen brasilianischen Großstädte über. Dazu hatte nicht zuletzt der äußerst brutale Polizeieinsatz gegen Demonstranten in São Paulo beigetragen. Deren Empörung besaß viele Facetten: Zunächst spielte auch die Verausgabung astronomischer Summen im Vorfeld der 2014 in Brasilien stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaften bei anhaltender Drosselung der völlig unzureichenden Mittel für das Gesundheits- und Bildungswesen eine wichtige Rolle. Bald ging es jedoch um Themen aus dem Alltag des brasilianischen Kapitalismus, der sich nicht weniger rabiat als anderswo gebärdet. Zu den ins Zentrum rückenden Aspekten gehörte die grassierende Korruption, von der auch die regierende Partei der Arbeit (PT) nicht verschont ist.

Zunächst bildeten Weiße mit Durchschnittseinkommen das Gros der Demonstranten - also Sektoren der Gesellschaft, welche nicht zu den eigentlichen Stützen der eher auf das Votum der Arbeiter und Menschen anderer Hautfarben orientierten Regierung der Präsidentin Dilma Rousseff gehören. Es dauerte nur Stunden, bis sich die gesamte brasilianische Linke, darunter ihre beiden kommunistischen Parteien, PCB und PC do B, bei den Demonstranten einreihte.

Am 21. Juni fand dann in São Paulo ein Treffen von 76 wichtigen, im weitetesten Sinne linksgerichteten Organisationen und Gewerkschaften statt, an dem sich außer den Kommunisten auch Rousseffs sozialdemokratische, aber sehr heterogene PT, die Zentrale Union der Werktätigen Brasiliens (CUT), der Nationale Studentenverband und die Brasilianische Sozialistische Partei beteiligten. Dort standen Veränderungen in der gesellschaftlichen Struktur Brasiliens - darunter auch Kernforderungen der Demonstranten - auf der Tagesordnung. Von der PCB wurde außer dem Verlangen, endlich eine Bodenreform in die Wege zu leiten und den Landhunger der Besitzlosen zu stillen, auch die Forderung geltend gemacht, ab sofort 10 % des brasilianischen BIP für Zwecke der Volksbildung einzusetzen.

An dieser Stelle erscheint eine Charakterisierung Dilma Rousseffs angebracht. Bei der Präsidentin handelt es sich um eine frühere Guerillakämpferin gegen die im Frühjahr 1964 in Brasilien nach dem Sturz João Goularts von der CIA installierte faschistische Militärdiktatur. Sie war selbst längere Zeit inhaftiert und wurde gefoltert. 2010 zog Dilma als Nachfolgerin des PT-Präsidenten Lula da Silva mit gesteigerter Stimmenzahl für die PT in das höchste Staatsamt Brasiliens ein. Vieles von dem, was sie sich vermutlich vorgenommen hatte, konnte indes nicht umgesetzt werden, zumal die in einander befehdende Flügel zerfallene PT weder in der 513 Sitze zählenden Abgeordnetenkammer noch im 81köpfigen Senat Brasiliens über eine eigene Stimmenmehrheit verfügt, so daß sie äußerst fragwürdige, einen konträren Kurs verfolgende Partner wie die antisozialistische PMDB mit ins Regierungsboot nehmen mußte. Auch der Oberbürgermeister von Rio de Janeiro zählt zu den politischen Gegnern der PT.

Trotz dieser Machtverhältnisse sind in der Amtszeit Lulas und Dilmas mehr als 36 Millionen von 200 Millionen Brasilianern im Rahmen des Programms "Bolsa" (Familienetat) aus extremster Armut herausgeholt worden. Bis zu den jüngsten Protesten bescheinigten Meinungsumfragen der Präsidentin, daß sie gute Aussichten besitze, 2014 in ihrem Amt bestätigt zu werden. Nach wie vor verfügt sie über eine große Anhängerschaft.

Nicht verschwiegen werden soll, daß auf den fahrenden Zug der gewaltigen Protestdemonstrationen sofort auch Brasiliens Rechte einschließlich faschistischer Organisationen aufgesprungen sind, was die Linkskräfte zu einem taktisch differenzierten Vorgehen veranlaßte.

RF, gestützt auf "People's World", New York

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Kubas "Libreta": Rationierung oder Existenzsicherung?

Seit vielen Jahren spielt in Kuba die während der extrem harten Sonderperiode nach dem plötzlichen Wegbrechen der UdSSR und der sozialistischen Staatengemeinschaft Europas eingeführte "Libreta" keine geringe Rolle. Dabei handelt es sich nicht, wie im Westen behauptet wird, um eine staatliche Rationierungsmaßnahme, sondern um eine landesspezifische Form elementarer Existenzsicherung. Jede Familie erhält am Beginn eines Monats ein als Libreta bezeichnetes Heft zum extrem verbilligten Bezug einer bestimmten Menge von Grundnahrungsmitteln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs. Dabei können auf Diät angewiesene Personen während der Gesamtdauer ihrer Erkrankung spezielle Lebensmittel per Libreta erhalten.

Während eine Reihe von Artikeln im Laufe der Zeit aus dem Angebotsfächer herausgenommen wurde, blieb anderes davon unberührt: So ist z. B. das kleine Rundbrot, welches zur täglichen Kost aller Kubaner gehört, weiterhin auf Libreta erhältlich - ein Stück pro Tag und Person für nur 0,05 Peso. Im Handel kostet es das Zwanzigfache davon - 1 Peso. Für den monatlichen Wasserverbrauch zahlt jeder Libreta-Inhaber ebenfalls einen Peso. Auf das zum kubanischen Alltag gehörende Heftchen werden für einen symbolischen Preis pro Person abgegeben: 6 Pfund Reis, 3 Pfund Weißzucker, 2 Pfund Rohzucker, ein Viertelliter Öl, ein halbes Pfund schwarze Bohnen, ein Liter Milch für Kinder bis zu sieben Jahren, 1 Liter Sojagetränk für 7- bis 13jährige. Jede Familie erhält alle zwei Monate ein 500-Gramm-Paket Salz. Hinzu kommen bestimmte Mengen Hühnerfleisch und Hackfleisch für Kinder zwischen 7 und 13 sowie 10 Eier. Sämtliche erwähnten Nahrungsgüter sind auch zum vielfach höheren Normalpreis erhältlich.

Zu den Errungenschaften der letzten Jahre gehört ein reichhaltiges Obst- und Gemüse-Angebot auf überall eingerichteten Produzentenmärkten.

RF, gestützt auf "Initiative Communiste", Paris

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Politisches Vakuum im Lande Gramscis, Togliattis und Berlinguers

Italien ohne IKP

Zweifellos gibt es in Italien nach wie vor dem Klassenkampf und der kommunistischen Sache Treugebliebene, die das Vermächtnis solcher Pioniere der revolutionären Arbeiterbewegung wie Antonio Gramsci und Palmiro Togliatti, aber auch Berlinguers in Ehren halten. Nur ein kleiner Teil von ihnen ist organisiert. Doch die einst international Maßstäbe setzende IKP wurde seit den 70er Jahren immer stärker von reformistischen Kräften, die sich unter dem Banner des "Eurokommunismus" versammelt hatten, zum Verlassen ihres ursprünglichen Kurses gedrängt.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der sozialistischen Staaten Europas zunächst noch existent und angeblich nur neu etikettiert, verschwand die IKP schon wenig später gänzlich von der politischen Bildfläche Italiens. Die ihr folgende Demokratische Partei operierte bereits auf der Basis einer offen zur Sozialdemokratie tendierenden Ideologie, um später gänzlich die Seiten zu wechseln und sich der Politik des NATO- und EU-Staates Italien anzupassen. Dessen oberster Repräsentant gehört zu jenen, welche schon längst "alles vergessen" haben: Staatspräsident Giorgio Napolitano war einst Mitglied des IKP-Politbüros und galt als Symbolgestalt der Parteirechten. Unlängst brachte "L'Humanité Dimanche" ein Interview mit einer historischen Gestalt der alten IKP: Luciana Castellina war Mitbegründerin der Zeitung "Il Manifesto". Zwei Jahrzehnte lang gehörte sie Italiens Parlament und zeitweilig auch dem Europaparlament an. Jetzt ist die 84jährige als Literatin hervorgetreten.

"Die Auflösung der IKP ließ eine große Leere entstehen. Das bescherte meiner Generation eine bittere Erfahrung, war doch die IKP für uns weit mehr als eine Partei. Übrigens wurde von mir unlängst ein Buch unter dem Titel ,Die Entdeckung der Welt' veröffentlicht. Das Instrument dazu war für mich die IKP.

Meine Nostalgie ist indes nicht nur politischer, sondern auch kultureller Natur", erklärte Luciana Castellina. Ihr erstes Engagement für die Partei sei übrigens die Teilnahme an einer von Kommunisten ausgerichteten Konferenz zum Kubismus gewesen. Sie habe sich über die Beschäftigung mit Themen der Kultur dem Kommunismus genähert. Durch Gemälde wie Pablo Picassos "Guernica" sei sie tiefer in die Problematik des Krieges eingedrungen und habe auf diese Weise den Heroismus des Widerstandes und dessen grandiose Schlachten stärker verinnerlicht.

"Nach dem Sieg über den Faschismus hatte die IKP als Motor des Partisanenkampfes und des Neubeginns in Italien nichts zu rekonstruieren, aber sehr viel Neues zu konstruieren", sagte Luciana Castellina. "Uns ging es um einen Nationalstaat, an dem das Volk tatsächlich teilhaben konnte." In jenen ersten Jahrzehnten nach der Mussolini-Diktatur sei die Politisierung der Italiener äußerst stark gewesen. Als die Partei dann am Beginn der 90er Jahre plötzlich nicht mehr existierte, habe das ein enormes Vakuum entstehen lassen. In dieses seien dann auch die Kräfte um Berlusconi hineingestoßen.

Die Linke existiere natürlich in Italien auch weiterhin, doch der Untergang der IKP mit ihren rund zwei Millionen Mitgliedern und einem Wähleranteil von bis zu 30 Prozent sei ein Vorgang von enormer Tragweite gewesen. "Dieses wichtige nationale Netz der Linkskräfte brach über Nacht weg. In den ersten Jahren nach diesem Debakel seien 800.000 Parteimitglieder im Nirwana verschwunden.

Viele hätten sich einfach verlassen und verraten gefühlt. Die Partei der Kommunistischen Neugründung (Rifundazione) habe nur einen Bruchteil der Genossen auffangen können. Ihre ersten Erfolge seien wohl eher begrenzter Natur gewesen.

Der den Kommunisten Italiens mit der Liquidierung der IKP versetzte Schlag wirke bis heute nach.

Was die überwiegend von abtrünnig gewordenen und angepaßten einstigen IKP-Mitgliedern ins Leben gerufene Demokratische Partei betreffe, so folge sie dem Modell der Democratic Party in den USA. Sie sei niemals eine wirkliche Partei gewesen, besitze keine eigene Identität, von Einheit der Reihen ganz zu schwiegen. Auch in der Rifundazione habe es Spaltungen gegeben.

Auf die Frage, warum sich die IKP in der italienischen Gesellschaft nicht dauerhaft habe etablieren können, erwiderte Luciana Castellina: "In unserem Land wurde das historische Gedächtnis geradezu ausgelöscht. Es wird alles getan, um die großen Herausforderungen des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten zu lassen."

Die Übertragung der reichen Erfahrungen früherer Generationen auf Jüngere und Heranwachsende sei bisher nicht von Erfolg gekrönt worden. So hätten Meinungsumfragen ergeben, daß viele junge Italiener glaubten, die IKP habe das Land 40 Jahre lang regiert und dann abtreten müssen. Sie sei von ihrem Enkel gefragt worden, ob sie wirklich der IKP angehört habe. Als sie bejahte, habe er fast angenommen, sie sei Teil einer Mörderbande gewesen.

Tatsächlich habe sich die IKP zwar immer als eine führende Kraft der italienischen Gesellschaft erwiesen, sich aber niemals am Ruder des Staates befunden.

Italiens heutige linke "politische Kultur" werde von Auffassungen des Neo-Anarchismus beherrscht, sagte Luciana Castellina. Wirkliche Parteien des linken Spektrums hätten es schwer, dagegen anzukämpfen. Als großer Gewinner habe sich groteskerweise ein Mann wie Beppo Grillo erwiesen. Dieser verkörpere den sogenannten antipolitischen Protest, der sich pauschal gegen Parteien, Gewerkschaften und Institutionen richte. In dieser zutiefst politischen "Entpolitisierung" liege derzeit eine der größten Gefahren. Durch sie werde jenes Klima geschaffen, in dem Berlusconi und die Rechtsextremen freie Bahn erhielten.

Glücklicherweise gebe es in Italien aber auch immer mehr erfolgreich verlaufende Kämpfe und Kampagnen. Zu erwähnen sei hier der Widerstand gegen die Privatisierung des Wassers, wobei leider festgestellt werden müsse, daß die politischen Parteien in dieser Frage einmal mehr völlige Abstinenz an den Tag gelegt hätten.

"In Italien finden Streiks und heftige soziale Auseinandersetzungen statt, was zuletzt die grandiose Aktion der Metallarbeiter am 18. Mai bewiesen hat", sagte Luciana Castellina. Dennoch lasse sich eine in den Massen verwurzelte Partei wie die IKP dadurch nicht ersetzen. Die Aktionen seien aber ein Grund zur Hoffnung.

RF, gestützt auf "L'Humanité Dimanche", Paris

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Französische Marxisten: Brüssel erdrosselt die nationale Souveränität der EU-Staaten

In ihrer Ausgabe Nr. 24 veröffentlichte "ÉtincelleS" (auf deutsch: Die Funken) - das theoretische Organ des Pols der Kommunistischen Wiedergeburt in Frankreich (PCRF) - bemerkenswerte Beiträge zu einem wichtigen Thema. Jean-Pierre Hemmen, dem politischen Direktor dieser Publikation, geht es um die Frage, wie es sich im Europa der Monopole mit der Volkssouveränität und der nationalen Souveränität verhält. Beide bilden nach Auffassung des marxistischen Autors die Grundlage sozialer Demokratie und sind "historisch nicht voneinander zu trennen".

"Was versteht man eigentlich unter Souveränität?", fragt Hemmen. Eine wirkliche Demokratie gehe von dem Prinzip aus, daß sie ausschließlich auf dem Willen des Volkes beruhen müsse. Jean-Jacques Rousseau habe diesen Begriff als absolute Gleichheit aller Menschen definiert. Die Gesamtheit der Bürger bilde das Volk, das seine Souveränität konkret bestimmen müsse. Sie könne nicht an irgendeine nationale oder internationale Autorität, einzelne Menschen oder eine Gruppe von Personen delegiert oder diesen gegenüber aufgegeben werden. Verfassung und Gesetze seien demnach Ausdruck des Willens der Bürger. Das allgemeine, direkte und geheime Wahlrecht diene als ein Instrument, um diesem Willen Geltung zu verschaffen. Gewählte Repräsentanten hätten dem Rechnung zu tragen.

Hemmen stützt sich auf Rousseau und stellt fest: "Aus dieser Theorie ergeben sich bestimmte praktische Konsequenzen. Jeder einzelne soll die reale Möglichkeit erhalten, seinen Teil der Souveränität wahrzunehmen. Gewählte Abgeordnete müssen jederzeit abberufen werden können." Seit über einem Jahrhundert sind diese Prinzipien in der Präambel jeder Verfassung der Grande Nation formell verankert. In Frankreichs 5. Republik - so Hemmen - seien sie allerdings durch persönliche Macht und autoritäres Gehabe mehr und mehr ausgehebelt worden. Man habe die direkte durch eine sogenannte partizipative Demokratie ersetzt. Das Volk könne von seinen Souveränitätsrechten nur noch formell Gebrauch machen, sie aber nicht wirklich ausüben.

All das zeige sich am krassesten in der sukzessiven Preisgabe der nationalen Souveränität durch die Regierenden der EU-Länder. Die sogenannten europäischen Institutionen seien erklärtermaßen "supranational". Zwischen ihnen und der nationalen Souveränität bestehe ein als Antagonismus bezeichneter unüberbrückbarer Gegensatz. Ihre Aufgabe sei es, die nationale Souveränität der Völker Europas ein für allemal auszulöschen.

Die derzeitige FKP-Führung und die Europäische Linkspartei verhielten sich in dieser Frage wie alle anderen. Die FKP weigere sich, ihren Part im Kampf gegen Brüssel zu übernehmen. Diese Entwicklung habe sich in der einst glorreichen Partei bereits seit ihrer ideologischen Wende in den 90er Jahren angedeutet.

Um so mehr, liest man bei Hemmen, sei es die Aufgabe standhaft gebliebener Kommunisten, sowohl den Marxismus-Leninismus - die übergreifende Theorie der revolutionären Arbeiterbewegung - als auch Frankreichs nationale Quellen Rousseau, Babeuf, die Pariser Commune und das Programm des Nationalrats der Résistance wieder zu entdecken. Niemand könne Vaillant-Couturier des Nationalismus bezichtigen, weil er einst die Parole "Wir bleiben Frankreich!" ausgegeben habe. Nicht anders verhalte es sich mit der berühmten Äußerung des langjährigen FKP-Generalsekretärs Maurice Thorez, daß der Kampf unter dem roten Banner der Partei und der Tricolore ausgefochten werden müsse. Auch Frankreichs kommunistischer Dichter Louis Aragon habe mit Fug und Recht geschrieben, die Internationale sei die Fortsetzung der Marseillaise.

In derselben Ausgabe von "ÉtincelleS" stellte ihr Autor Bidault fest: "Wenn sich die Demokratie mit der EU und den ihr dienenden Regierungen schlecht verträgt - und es zeigen sich gewisse Anzeichen einer Faschisierung unserer Gesellschaften -, dann wäre die Behauptung dennoch übertrieben, wir lebten bereits unter einem faschistischen Regime. Die derzeitige EU sei nicht der Faschismus, sondern ein Neoliberalismus mit immer ausgeprägteren autoritären Zügen. Es handle sich dabei vielleicht um keinen Unterschied fundamentaler Art, sondern eher um eine Differenz im Maß der Gewaltanwendung, also um eine wichtige Nuance. Die Risiken, daß es in der EU tatsächlich zum Faschismus komme, erhöhten sich allerdings in dem Maße, in dem extrem rechte und rassistische Kräfte innerhalb einzelner Mitgliedsstaaten und dadurch in den Brüsseler Institutionen weiter an Boden gewännen. Dabei spiele der Antikommunismus wie eh und je eine zentrale Rolle.

Die Faschisierung im Europa der Monopole zeichne sich seit Jahren ab, bemerkt Bidault. Sie habe sich nicht zuletzt auch in der wiederholten Mißachtung des Bevölkerungswillens - der Volkssouveränität - gezeigt. Das mehrheitlich ablehnende Votum bei den 2005 in Frankreich und den Niederlanden erfolgten Referenden über einen europäischen Verfassungsvertrag sei einfach ignoriert worden. Statt dessen habe man den EU-Staaten den Lissabonner Vertrag aufgezwungen.

Nicht anders sei es zugegangen, als die Iren im Juni 2008 nein sagten, worauf sie im Oktober 2009 noch einmal zu den Urnen gerufen wurden, um nunmehr ihr Ja zu bekunden.

Das Fazit Bidaults lautet: "Der Absolutismus der EU zerstört jede Form nationaler Souveränität."

K. S., gestützt auf "ÉtincelleS", Paris

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Ukrainische Nazis und ihre Wurzeln

Nach seinen erfolgreichen Publikationen "Schöne Grüße aus Pullach. Operationen des BND gegen die DDR" (2000) und "Der Krieg deutscher Geheimdienste gegen den Osten seit 1917" (2011), hat Oberstleutnant a. D. Helmut Wagner, Spezialist der Spionageabwehr des MfS der DDR, nun ein neues Buch vorgelegt.

Ausgangspunkt ist der Einzug von 37 Abgeordneten der ultranationalistischen, profaschistischen Partei "Swoboda" in das zentrale Parlament der Ukraine Ende 2012. Im Westen des Landes mit Lwiw (Lwow) als Zentrum erhielt diese Gruppierung sogar mehr Stimmen als jede andere Partei. Besonders skandalös ist dabei, daß ihre Erfolge nicht zuletzt das Ergebnis von Wahlabsprachen der durch Politiker wie Medien der BRD und anderer westlicher Mächte als "demokratische Opposition" gefeierten Parteien Batkiwschtschina" (Vaterland) der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und "Udar" (Schlag) des Box-Champions Vitali Klitschko mit den Ultrarechten sind. Nach den Wahlen handeln diese Parteien nun im Parlament und auf der Straße in der Manier einer Oppositionskoalition. Überdies haben sie mit Blick auf die nächsten Präsidentenwahlen bereits einen von den Parteivorsitzenden unterzeichneten Wahl-Pakt vereinbart.

Der Erfolg von "Swoboda" wirft die Frage nach den Wurzeln des starken Einflusses ultranationalistischer, profaschistischer Kräfte in der Ukraine und besonders in deren westlichen Regionen auf. Diese reichen weit in die Geschichte zurück, vor allem aber in die Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Damals nahm der ukrainische Nationalismus einen steilen Aufschwung. Dementsprechende Formationen bildeten sich heraus. Deren bedeutendste war die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Sie konstituierte sich Anfang 1929 und strebte die Errichtung eines unabhängigen ukrainischen Staates an. Ein absoluter Herrschaftsanspruch bildete den Kern ihrer Ideologie. Alle anderen politischen Vorstellungen und Ziele sollten als feindlich bekämpft werden. Individueller Terror galt dabei als legitim. Das Credo lautete: "Die Idee von Expansion, Gewalt, Härte und fanatischem Kampf führt zur Nation. Dieses Interesse steht über allem."

Dem individuellen Terror der OUN fielen bereits in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen Polen, Juden und Russen, aber auch Kommunisten in großer Zahl zum Opfer. Dies wird in Wagners Buch anhand konkreter Beispiele belegt. Er stellt fest, daß die OUN "nichts anderes als eine typische Vertreterin der in den 20er Jahren in Europa entstandenen nationalistischen Bewegungen mit faschistischer Grundausrichtung" gewesen sei.

Noch vor dem 2. Weltkrieg kam es bereits zu einer Zusammenarbeit zwischen dem militärischen Geheimdienst der Nazis und der OUN, die im Vorfeld des Überfalls auf Polen und in dessen Verlauf intensiviert wurde. Im Frühjahr 1938 schlossen der Apparat von Admiral Canaris und die OUN einen schriftlich fixierten und von den Vertretern beider Seiten unterzeichneten Pakt. Er sah u. a. die geheimdienstliche und militärische Ausbildung von Angehörigen der OUN sowie den Aufbau von Diversionsgruppen aus deren Mitgliedern vor. Diese wurden dann als Killerkommandos zu Massakern unter Intellektuellen und Juden eingesetzt.

Im Ergebnis eines langandauernden Konflikts zwischen der Exil-OUN und der Landesexekutive kam es 1940 zur Spaltung dieser Organisation. Die Anhänger Banderas erklärten sich zur einzig legitimen Organisation Ukrainischer Nationalisten und nannten sich fortan OUN-B, wobei das B für Bandera stand. Die andere Gruppierung bezeichnete sich nun als OUN-M (M für Melnyk). Die hitlerfaschistische Abwehr nutzte beide Gruppen für ihre Ziele.

Mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion begann der blutigste Abschnitt in der Geschichte des ukrainischen Nationalismus. An zahlreichen Beispielen stellt der Autor die Rolle der OUN bei der Aufstellung der "Legion Ukrainischer Nationalisten", der Mordbanden "Nachtigall" und "Roland", der Galizischen Waffen-Grenadier-Division der SS und anderer Hiwi-Verbände dar, die an der Seite der Okkupanten gegen die Rote Armee und sowjetische Partisanen kämpften sowie das Wüten der die Zivilbevölkerung terrorisierenden OUN-Milizen.

Ausführlich werden die Legenden um die OUN (B) und die "Ukrainische Aufständische Armee" (UPA) enthüllt, die nach der "Orangenen Revolution" in der Ukraine zur "Nationalen Befreiungsorganisation" und "Befreiungsarmee" hochstilisiert wurden. Deren Führer Bandera und Schuschewitsch dekorierte der seinerzeitige Kiewer Präsident Juschtschenko sogar mit dem Titel "Held der Ukraine". Heute werden OUN und UPA, "Politiker" wie Bandera und Schuschewitsch oder die Galizische SS-Division von "Swoboda" und ihrer Jugendorganisation als Vorbilder gefeiert.

Hauptfeinde der UPA waren die Rote Armee und sowjetische Partisanen. Gegen die faschistische Wehrmacht und andere Einheiten der Nazis führte sie unter Beibehaltung dieser Orientierung erst dann begrenzte Kampfhandlungen durch, als sich die Niederlage der deutschen Aggressoren abzeichnete und sich auch jene Bevölkerungsteile in der Westukraine, die das Umfeld der UPA gebildet hatten, gegen die Hitler-Faschisten wandten. Zugleich gab es aber auch weiterhin Absprachen mit diesen. So fanden seit Januar 1944 Verhandlungen der Führung von OUN (B) und UPA mit der Nazi-Abwehr, der Sicherheitspolizei und dem SD statt, die durch den Reichsführer SS Heinrich Himmler genehmigt worden waren. Der UPA wurde u. a. die Lieferung von Waffen, Munition und Verbandsmaterial in Aussicht gestellt.

Im Schlußteil seines auch andere Felder der Kollaboration mit den Hitlerfaschisten in Europa berührenden Buches führt Helmut Wagner erschütternde Beispiele dafür an, welche giftigen Blüten die in der Regierungszeit von "Orange" ausgebrachte faschistische Saat und deren Pflege durch "Swoboda" hervorgebracht haben.

Willi Gerns, Bremen


Helmut Wagner, unter Mitarbeit von Frank Schumann: Rechte in der Rada - Über "Swoboda", Nationalismus und Kollaboration mit den Faschisten in der Ukraine und in Europa, Verlag am Park in der edition ost, Berlin 2013, 216 Seiten, 14,99 Euro

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Nachklänge der "Karpaten-Rhapsodie" des ungarischen Autors Béla Illés

Der heiße Atem der Weltgeschichte war in den 30er Jahren besonders stark in der Karpato-Ukraine zu spüren, die nach dem Ersten Weltkrieg an die neu gegründete Tschechoslowakei angegliedert wurde. In diesem ärmsten Winkel Europas, der viele Jahrhunderte lang zu Ungarn gehörte und etwa eine Million Einwohner zählte, lebten zahlreiche Nationalitäten: Ruthenen (später in der Sowjetunion als Karpato-Ukrainer bezeichnet), Magyaren, nahezu zwanzig Prozent Juden, Slowaken, Tschechen, Polen, Rumänen, "Zigeuner" und auch Deutsche. Sie befehdeten sich auf Geheiß von Berlin, Budapest, Prag und Moskau. Die internationalen Konflikte spiegelten sich in diesem brodelnden Kessel wie das Meer in einem Tropfen.

Aber nicht nur die nationalen Zwistigkeiten schürten die Feindschaft. Die soziale Ungerechtigkeit schrie geradezu zum Himmel. Darüber berichteten nicht nur Iwan Olbracht und F. C. Weiskopf, sondern auch Anna Seghers und Ludwig Renn. Als Repräsentant der Internationalen Arbeiterhilfe besuchte Renn 1932 die "Hungergebiete" und berichtete darüber in erschütternden Zeugnissen. Da ich wie Béla Illés aus dieser Gegend stamme und mehrfach über meine alte Heimat in der Presse berichtet hatte, faßte ich den Plan, Ludwig Renn auf einer Reise durch die Karpato-Ukraine zu begleiten, damit er den vollzogenen Wandel bescheinigen möge. Er willigte ein und freute sich schon auf die geplante Reise. Leider vereitelte sein Tod dieses schöne Vorhaben.

Natürlich habe ich das Wirken von Béla Illés aufmerksam verfolgt. Besonders lieb war mir die "Karpaten-Rhapsodie" - sie erschien 1951 im Dietz-Verlag auf deutsch -, seine von revolutionärer Romantik durchdrungene Autobiographie. Darin spielen auch einige Verwandte von mir eine Rolle. Zum Beispiel Mihály Finczicky, der bis zu seinem Tode 1914 Bürgermeister von Ungvár, der Hauptstadt der Karpato-Ukraine, war und in seiner Freizeit die großen Romane der russischen Literatur ins Ungarische übertrug. Er stammte aus Ruthenien und editierte eine Sammlung dortiger Volkslieder. Doch im wesentlichen geht es in diesem Roman um den Freiheitskampf der Magyaren 1848 unter der Führung des legendären Lajos Kossuth und um die Ungarische Räterepublik von 1919, die sich immerhin 133 Tage lang tapfer behauptet hat. Und es geht um die Unterdrückung der Minderheiten.

Illés lebte und wirkte später in der Sowjetunion, wo er leitende Funktionen - unter anderem auch im Schriftstellerverband - bekleidete. Als Major der Roten Armee nahm er an der Befreiung Ungarns teil. Seine Liebe zum ungarischen Volk bekannte er in der ergreifenden Erzählung "Denn es ist ein gutes Volk", in der seine Mutter ihn mahnt, mit seinen vielgeprüften Landsleuten human umzugehen. An einem schönen Sommertag - es mag Mitte der 60er Jahre gewesen sein - wandelte ich Arm in Arm mit ihm auf Berlins historischer "Flaniermeile" Unter den Linden. Er hatte gerade die Stelle in meiner "Geschichte der ungarischen Literatur" gelesen, die sein Werk betrifft, und sparte nicht mit Lob. "Mein lieber Landsmann, Freund und Genosse", sprach er zu mir, "so eine einfühlsame und verständnisvolle Würdigung meines Schaffens habe ich selten gelesen." Vielleicht war es folgende Passage, die ihn so beeindruckt hatte. "Alles, was er schreibt, hat er miterlebt und mitgestaltet. Daher der Zauber der Unmittelbarkeit, den seine Bücher ausstrahlen. Er vermag das Wesen unseres durchaus politischen Zeitalters so ins Allgemein-Menschliche zu übertragen, daß man die Sache, für die er mit der Feder und der Waffe streitet, als die beste in der Welt ansehen muß." Und es mochte ihm auch gefallen haben, daß ich ihn als Fortsetzer und würdigen Nachfolger der heiter-humorvollen Erzählweise von Kálmán Mikszáth hinstellte, dessen Romane, so "Sankt Peters Regenschirm" (Rütten & Loening, 1959) auch in der DDR sehr beliebt waren.

Natürlich unterhielten wir uns ausgiebig über unsere gemeinsame alte Heimat. Seit dieser Begegnung reifte bei mir allmählich der Gedanke heran, die "Rhapsodie" fortzusetzen. Zehn Jahre lang schrieb ich an meiner romanhaften Autobiographie "Mit tausend Zungen - Beichte eines wechselvollen Lebens", bis sie 1984 endlich erscheinen konnte.

2006 kam meine erweiterte Autobiographie "Wie die Jungfrau zum Stier wurde - Fluch und Segen eines Jahrhunderts" heraus. Als "Jungfrau" geboren, wurde ich später zum "Stier", der die morsch gewordene Welt aufspießen und ändern will. Die Präsentation des Buches moderierte György Dalos, der Träger des Leipziger Buchpreises 2010. Er sprach u. a. davon, der Autor setze die besagte Traditionslinie von Mikszáth und Illés in der ungarischen Literatur fort, und empfahl, das Buch ins Ungarische zu übertragen.

Als meine Vaterstadt Ungvár durch den Wiener Schiedsspruch 1938 zu Ungarn zurückkehrte, bekam ich mit dem halbfeudalen Ständestaat Horthys erhebliche Schwierigkeiten. Nach und nach geriet ich als Student, später als Gymnasiallehrer und Rekrut in Konflikt mit dem Unterrichtswesen und dem Militär, ja sogar mit der Kirche. Das Duell, das ich mit einem arroganten Adelssproß zu führen genötigt war, fand eigentlich symbolisch zwischen mir und dem Horthy-System statt.

Nach der Befreiung fühlte ich mich wie einer, der aus der Wüste kam, um eine Botschaft zu verkünden und eine Schicksalswende einzuleiten. Meinen Vortrag über "Dostojewski und die Russen", den ich wenige Monate nach Kriegsende an einem bitterkalten Sonntagvormittag im Kulturbund hielt, nannte Dr. Heinz Reinherz, der die Veranstaltung leitete und als Jude das "tausendjährige Reich" überlebt hatte, eine "Sonntagsandacht neuer Art".

Ich redete und redete, und es knurrten schon die hungrigen Mägen, aber keiner wollte gehen. Ich schloß mit den Worten: "Jetzt, da wir tief gefallen sind und am Boden liegen, jetzt, da wir schlimme Not an Leib und Seele erleiden, jetzt wissen wir es besser denn je, daß der Mensch nicht allein vom Brot lebt, gerade in einer Zeit, in der Brot am knappsten ist. Die Sieger gebärden sich durchaus im Geiste ihrer großen humanistischen Romanciers Dostojewski, Tolstoi und Gorki. Sie betrachten uns nicht als unterworfene und gedemütigte Verlierer, sondern als Befreite, die es zu erheben und aufzurichten gilt."

Anfang der 50er Jahre, als die alte Welt, gegen die ich rebelliert hatte, allmählich zurückkehrte und sich etablierte, übersiedelte ich mit meiner Familie vom Gesundbrunnen in den Demokratischen Sektor, die Hauptstadt der DDR. Als notorischer Einzelgänger hatte ich später nicht wenige Konflikte mit Behörden auszutragen. Dennoch fühlte ich mich in der DDR zu Hause, wie das Bruni Steiniger in ihrer RF-Rezension einfühlsam erkannt hat.

In vier Kulturen, der ungarischen, der tschechischen, der deutschen und der russischen groß geworden, bin ich bemüht, die Völker einander näherzubringen und den Humanismus mit neuen Inhalten zu füllen. Der Kapitalismus hat abgewirtschaftet, ist am Ende. Aber die "Rhapsodie" von Béla Illés ist nicht verstummt, sie tönt fort und macht hoffen.

Almos Csóngar, Berlin

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Max von der Grün über den Arbeiter-Alltag im Westen und eine Nazi-Provokation

"Flächenbrand" im Ruhrgebiet

In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mischte Max von der Grün mit seinem Roman "Irrlicht und Feuer" die etablierte bürgerliche Literaturszene auf. Der schreibende Bergarbeiter hatte darin die realen Lebensbedingungen der Kumpel ausgeleuchtet - und bekam es prompt mit wütenden Protesten und seiner fristlosen Entlassung aus der Zeche zu tun. Zugleich begründete dieses Buch seinen internationalen Ruhm als Arbeiterschriftsteller. Auch die dramatische Handlung seines Romans "Flächenbrand" aus dem Jahre 1979 spielt im Arbeitermilieu des Stahl- und Kohlereviers. Höchste Aktualität gewinnt "Flächenbrand" jedoch vor allem durch die Dramatik um eine sich bewaffnende neofaschistische Organisation. Der Ich-Erzähler und Romanheld Lothar und sein Freund Frank decken die Machenschaften auf. Aber sie verlieren dabei: Der eine das Vertrauen in den Rechtsstaat und beinahe seine Tochter, der andere den Kampf um den Erhalt der Nordsiedlung und seine Funktion als SPD-Ortsvereinsvorsitzender.

Lothar Steingruber denkt nach, grübelt über seine Entlassung bei einem Bauunternehmen sieben Monate zuvor und über seinen Rausschmiß aus der SPD. Die zuständigen Parteiführer hatten ihm sein Zusammengehen mit Kommunisten bei einer gewerkschaftlichen Protestaktion verübelt.

An Lothars Wohnviertel, in dem Facharbeiter mit ihren Familien im bescheidenen Eigenheim leben und wo auch er sein Häuschen gebaut hat, grenzt die Nordsiedlung. Sie soll abgerissen werden. Deren Bewohner sind sozial schlechter gestellt, doch auch sie hängen an ihrem Zuhause. Generationen von Arbeiterfamilien waren dort verwurzelt. Frank stellt sich kraft seiner örtlichen SPD-Führungsposition an die Spitze der Abrißgegner. Doch der Bauunternehmer Bahlke verfügt über weitreichende Verbindungen bis hinein in die Reihen der SPD-Stadtverordneten - und nutzt sie. Denn das hochprofitable Geschäft auf dem frei werdenden Baugelände will sich Bahlke keinesfalls entgehen lassen.

Vor diesem Handlungshintergrund entwickelt von der Grün einen zweiten Erzählstrang: Lothar Steingruber, der arbeitslose Maurer, hat bei der Suche nach einer qualifikationsgerechten Stelle resigniert. Er nimmt zunächst Bahlkes zweifelhafte Job-Offerte an: Kraftfahrer-Dienstleistungen, über die er nicht sprechen und nichts dokumentieren darf. Als er jedoch entdeckt, daß die Kisten, die er transportiert, illegale Waffenlieferungen sind, kündigt er bei Bahlke und übernimmt eine Stelle als Totengräber auf dem städtischen Friedhof. Sorgen macht ihm sein einziges Kind, die begabte Abiturientin Claudia. Nach Ablehnung an der Musikhochschule verschwindet das Mädchen angeblich ins Ausland. Doch Lothars Frau Helen, Claudias Mutter, ahnt, daß etwas daran nicht stimmt. Helen ist es auch, die als beamtete Bibliothekarin in der Familie Steingruber für wirtschaftliche Sicherheit sorgt - und außerdem für ein waches Bildungsinteresse ihres Mannes durch solide Belesenheit. Lothar leidet also weder unter Hunger noch an mangelndem Wohnraum oder am Fehlen geistiger Nahrung. Dennoch fühlt er sich zunehmend bedrückt: Arbeitslosigkeit ist ein hartes Los.

Eindringlich schildert von der Grün die Gefühle eines Menschen, den die scheinbar anonyme Macht des Arbeitsmarktes unter die Überflüssigen aussondert.

Lothars neuer Job an den letzten Ruhestätten der Verstorbenen bringt ihm Beschaulichkeit und melancholischen Rückzug. Bis er eines Friedhofsarbeitstages im Inneren einer steinernen Familiengruft ein Waffenlager entdeckt. Er zieht Schlüsse aus verdächtigen Beobachtungen und informiert seinen älteren Kollegen Bühler, später auch den jungen Pfarrer, seinen Freund Frank und andere Mitstreiter. Gemeinsam planen sie eine gewagte, spektakuläre Aktion. Ein aufsehenerregender Demonstrationszug durch die Dortmunder Innenstadt zwingt die Behörden zum Handeln und die Polizei zur Festnahme der führenden Terrorzellen-Mitglieder.

Am Ende führt von der Grün die Erzähllinien zusammen. Der dubiose, krimineller Umtriebe überführte Neu- und Altnazi-"Verein zur moralischen Erneuerung Deutschlands" brauchte die Waffen, die Bahlke beschaffte. Mit diesem Wissen will Frank den Unternehmer unter Druck setzen. Er soll die Finger von der Nordsiedlung lassen. Doch der Deal mißlingt, weil Bahlke den Trumpf der von ihm korrumpierten SPD-Stadtverordneten ausspielt.

So endet das Buch nicht mit einem Sieg über die neu erstarkende rechte Szene, aus deren Fängen Lothars Tochter Claudia gerade noch mit knapper Not entkommen ist, sondern mit einem Bild von Zerstörung. Wie Panzer im Krieg brechen die Räumfahrzeuge im frühen Morgengrauen über die traditionsreiche Nordsiedlung herein: "... sie knickten Gartenzäune nieder wie Streichhölzer, entwurzelten Obstbäume, es dröhnte, knirschte und splitterte vor uns. Und die Häuser stürzten unter den schwingenden Eisenkugeln zusammen. (...) Der Pfarrer hatte recht: Das war Krieg. (...) Das war generalstabsmäßig geplant. Und es ist ihnen auch gelungen, diese Aktion bis zur letzten Sekunde geheimzuhalten. (...) Warum? (...) Die Nordbau-AG hat wahrscheinlich befürchtet, daß im letzten Moment von irgendeiner Seite Widerstand kommen könnte."

Widerstand leisten bildet den Kern in Max von der Grüns Botschaft. Widerstand ist nötig, ob gegen Naziterrorzellen und deren Netzwerker in den Behörden oder in den etablierten, von Lobbyisten durchdrungenen Verwaltungen und Gremien der "marktkonformen Demokratie". Nicht allein deshalb ist der Roman über die Dortmunder Lebenswirklichkeit der 70er Jahre eine Empfehlung. Wie die Entwicklung der rechten Szene gerade dort zeigt, hatte Max von der Grün mit "Flächenbrand" schon vor über 35 Jahren zu Recht eindringlich gewarnt.

Marianne Walz

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Briefmarken offenbaren den Charakter eines Staates

Philatelistische Visitenkarte der DDR (4)

Während man sich im Staat des deutschen Monopolkapitals - neben gelegentlicher Herausgabe professionell gemachter Postwertzeichen auch zu verdienstvollen Persönlichkeiten und feiernswerten Anlässen - in philatelistischer Hinsicht während der gesamten Existenzdauer der "Alt"-BRD begreiflicherweise auf der eigenen Klasse Liebes und Vertrautes konzentrierte, ging die DDR völlig andere Wege. Ohne die Bürde einer staatlich tolerierten, aus öffentlichen Geldern finanzierten NPD und der ganzen Palette ähnlichen Gelichters stand die historisch orientierte und zugleich in der Gegenwart angesiedelte Editionsarbeit der DDR und ihres Postministeriums ohne Abstriche im Zeichen des proletarischen Internationalismus und des antifaschistischen Kampfes.

Zu den schönsten Serien, die der sozialistische deutsche Staat herausbrachte, gehörten zweifellos die dem 50. Jahrestag der Matrosenbewegung und den Helden des Kieler Aufstandes der Blaujacken wie der spartakistischen Volksmarinedivision gewidmeten Marken. Die 1967 erschienenen Postwertzeichen zeigen zwei von der kaiserlich-weißen Soldateska erschossene Märtyrer - Max Reichpietsch vor "seinem" Großlinienschiff "Friedrich der Große" und Albin Köbis vor der Silhouette des Großlinienschiffs "Prinzregent Leopold" sowie einen Demonstrationszug roter Matrosen unter der Arbeiterfahne.

Eine zweite Serie, die nicht nur bei DDR-Philatelisten lebhafte Zustimmung auslöste, war 1966 den Kämpfern der Internationalen Brigaden gewidmet, die nach dem durch Hitler und Mussolini inspirierten Putsch des Faschistengenerals Franco gegen die Spanische Republik ab 1936 in das überfallene Land jenseits der Pyrenäen strömten. Unter denen, die sich den durch Berlin und Rom personell wie materiell "großzügig unterstützten" Franco-Horden mutig entgegenstellten und tausendfach ihr Leben opferten, befanden sich ungezählte deutsche Antifaschisten. Die Marken der Serie heben sechs von ihnen hervor: den Kommandeur der XI. Internationalen Brigade Hans Kahle, den Politkommissar und späteren Präsidenten des DDR-Schriftstellerverbandes Willi Bredel, das vor Madrid gefallene bayerische Mitglied des Thälmannschen Politbüros der KPD Hans Beimler, den späteren Minister der DDR Heinrich Rau, den Arbeiterschriftsteller Hans Marchwitza und den durch die Faschisten ermordeten führenden KJVD-Funktionär Artur Becker, nach dem der sozialistische Jugendverband der DDR seine höchste Auszeichnung benannte.

Mit der Ehrung dieser Widerstandshelden durch graphisch hervorragend gestaltete Postwertzeichen hat die Deutsche Demokratische Republik - der Staat des Antifaschismus auf deutschem Boden - zugleich auch allen anderen Kämpfern der Interbrigaden ein bleibendes Denkmal gesetzt.

Rainer Albert, Zwickau

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Herbert Ziergiebel - ein Autor der wissenschaftlichen Phantastik

Am 25. September vor 25 Jahren verstarb in Berlin der Schriftsteller Herbert Ziergiebel nach kurzem schwerem Krebsleiden im Alter von 66 Jahren. Er wurde am 27. Juni 1922 im niedersächsischen Textilarbeiterzentrum Nordhorn geboren und war nach einer Schlosserlehre als technischer Zeichner tätig. Seinen Wunsch, Ingenieur zu werden, konnte er sich seinerzeit nicht erfüllen.

Bereits in jungen Jahren beteiligte sich Ziergiebel aktiv am antifaschistischen Widerstandskampf, vor allem durch Verbreitung von Flugblättern.

Einer drohenden Verhaftung im Jahre 1942 wegen des Auffindens illegaler Druckschriften in seiner Wohnung konnte er sich durch die Flucht entziehen. Er tauchte zunächst in Tirol unter, wurde aber im selben Jahr in Innsbruck von der Gestapo aufgespürt und ins KZ Dachau eingeliefert. Von dort flüchtete er unter abenteuerlichen Umständen kurz vor der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner. In Dachau wurde Herbert Ziergiebel von deutschen und luxemburgischen Mithäftlingen in die Kommunistische Partei aufgenommen. Sein weiterer Weg führte ihn nicht zurück in die angestammte Heimat, sondern in die sowjetische Besatzungszone.

An der Berliner Humboldt-Universität studierte er Philosophie und Geschichte. Anschließend war er für einige Jahre als Journalist, u. a. in Budapest, tätig. Ende 1956 wurde er von dort zurückgerufen. Neben seiner journalistischen Arbeit hatte Ziergiebel bereits Anfang der 50er Jahre erste literarische Werke - so die Hörspiele "Auf Wiedersehen, Gustav" und "Kapitän Brown verliert seine Wette" - verfaßt. 1956 erschien als Ergebnis einer Reportagereise in die Volksrepublik Albanien "Der letzte Schleier - Albanische Reisebilder". Es war der erste und wohl auch letzte Reisebericht über das Land der Skipetaren, der in der DDR herauskam.

Ziergiebels erster Roman "Rebellen" um Ferdinand von Schill wurde bereits 1953 veröffentlicht. Eine ins Auge gefaßte Fortsetzung des historischen Stoffes konnte allerdings im Zusammenhang mit der damaligen Formalismus-Debatte nicht erscheinen. Man warf Herbert Ziergiebel vor, adlige Offiziere hätten ihm statt der Volksmassen als Helden gedient. Es folgten zeitgeschichtliche Romane und Erzählungen, wie "Das Gesicht mit der Narbe" (1959 erschienen, dann 1962 von der DEFA unter dem Titel "Die letzte Chance" mit Armin-Mueller-Stahl in der Hauptrolle verfilmt) und im selben Jahr "Satan hieß mich schweigen", in denen er sich mit seiner Haftzeit im KZ, seiner Flucht und den Wirren danach auseinandersetzte. Eine erste Skizze zu "Das Gesicht mit der Narbe" war bereits 1955 als autobiographische Kurzgeschichte unter dem Titel "Die Flucht aus der Hölle" veröffentlicht worden. Sein fast vergessener Roman "Wenn es Tag wird" (1963) ist ein familienbiographisches Werk, das in der Zeit der Weimarer Republik handelt.

Ab Mitte der 60er Jahre wandte sich Ziergiebel der wissenschaftlich-phantastischen Literatur zu. 1966 erschien sein vielbeachteter Science-Fiction-Roman "Die andere Welt", der - seiner Zeit weit voraus - die inneren Konflikte einer Raumschiffbesatzung schildert, welche durch einen Unfall ins Weltall hinauskatapultiert wurde und mit der Tatsache ihres nahenden Todes zurechtkommen muß. Das Buch erlebte zahlreiche Nachauflagen und wurde auch ins Tschechische und Ungarische übersetzt.

1972 folgte der Roman "Zeit der Sternschnuppen", worin Ziergiebel auf originelle und humorvolle Weise die Frage nach Leben im Weltraum beantwortet. Der Held wird aus dem seinerzeitigen Hier und Heute samt Dackel Waldi von Außerirdischen aufgelesen, weil ihnen aufgefallen ist, daß das kaum gealterte irdische Mädchen, das sie vor ein paar tausend Jahren in Babylon mitgenommen hatten, nun einen Partner benötigen könnte. Großzügig setzen sie ihn und den Dackel aber doch noch einmal zu Hause ab, damit er sich zwischen seiner Heimat einerseits und einer Existenz zwischen den Sternen andererseits entscheiden kann. Er optiert gegen das Abenteuer.

Ab Mitte der 70er Jahre wurde es ruhiger um Herbert Ziergiebel. Im Schriftstellerverband hatte er sich gegen die Ausschlüsse von Mitgliedern wegen deren Haltung zur Biermann-Ausbürgerung gewandt. Zugleich machten ihm aber auch gesundheitliche Folgen seiner KZ-Haft immer mehr zu schaffen. So veröffentlichte er nur noch die Science-Fiction-Erzählung "Die Experimente des Professors von Pulex". Sie erschienen im Sammelband "Der Mann vom Anti" und 1975 unter dem Titel "Vizedusa", einer Zusammenstellung humoristischer Anekdoten. Allerdings erlebten seine beiden SF-Hauptwerke in der DDR und in Osteuropa etliche Nachauflagen.

Ziergiebel zog sich seit dieser Zeit immer mehr auf sein Grundstück "Manik Maya" in Spreeau bei Berlin zurück, das seinen Lesern als Start- und Landeplatz von Raumschiffen aus den Romanen gut bekannt ist. Dort beschäftigte er sich viel mit Astronomie und verlegte sich mehr und mehr auch auf die Malerei. Dennoch sollten Probleme der Umwelt und der Zukunft der Menschheit Thema eines weiteren Romans werden. Dieser blieb aber, bereits auf mehrere hundert Seiten angewachsen, unter dem Arbeitstitel "Am Tag, als der Laleb kam" unvollendet.

Der antifaschistische Widerstandskämpfer Herbert Ziergiebel hat, bei aller von ihm offen geäußerten Kritik an manchen Vorgängen in seiner Wahlheimat DDR, den kommunistischen Idealen bis zum Lebensende die Treue gewahrt. Vielbeachtete wissenschaftlich-phantastische Romane und Erzählungen aus seiner Feder zeugen davon.

Siegfried R. Krebs, Weimar

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Griff in die literarische Schatztruhe (11. Teil)

Einst erfolgreiche DDR-Autoren dem Vergessen entreißen

Rudolf Leonhard kam am 27. Oktober 1889 in einem "gutbürgerlichen Hause" zur Welt. Später studierte er Philologie und Jurisprudenz in Berlin und Göttingen. 1914 meldete er sich freiwillig an die Front. Leonhard verfaßte früh expressionistische Lyrik, die zum Teil in der Sammlung "Menschheitsdämmerung" (1919) zu finden ist, so sein Gedicht "Der tote Liebknecht".

Das Grauen des Krieges öffnete ihm die Augen: "Es hat für mich wenigstens eines Weltkrieges bedurft, daß ich erkennen konnte, daß unsere Dichterträume gründlich falsch, gefährlich waren." Er protestierte öffentlich gegen das Morden, so daß man ihn vor das Kriegsgericht stellte.

1918 wurde Leonhards Schauspiel "Die Vorhölle" als erstes deutsches Antikriegsstück aufgeführt. 1921 veröffentlichte er den Gedichtband "Spartakus-Sonette". Sie stellten einen rhetorischen Appell an die Teilnehmer der Novemberrevolution dar.

Sein zweites Schauspiel "Segel am Horizont" (1925) hatte an der Berliner Volksbühne Erfolg und rückte ihn in die erste Reihe junger Dramatiker.

1927 übersiedelte Leonhard nach Paris, wo er sich leidenschaftlich gegen den aufkommenden deutschen Faschismus wandte. Er wurde Mitbegründer des "Schutzverbandes deutscher Schriftsteller im Exil". Im Pyrenäenlager Le Vernet interniert, wo er zwischen 1939 und 1941 über 600 Gedichte schrieb, entfloh er von dort auf abenteuerliche Weise und lebte fortan im französischen Untergrund. 1944 kehrte Leonhard nach Paris zurück. Er verfaßte sein Schauspiel "Geiseln" (1945), in dem zehn unschuldig zum Tode Verurteilte zehn Minuten Zeit haben, über ihr Leben nachzudenken.

1947 nahm der Autor am I. Deutschen Schriftstellerkongreß in Berlin teil, konnte aber aus gesundheitlichen Gründen erst 1950 endgültig in die DDR übersiedeln. Er veröffentlichte die Bände "Deutsche Gedichte", Hörspiele "Die Stimmen gegen den Krieg" und ein Buch über Hölderlin. In seinem Werk "Unsere Republik" bekannte er sich zum Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung in der DDR. Zwischen 1950 und 1953 schrieb er noch fünf Hörspiele, in denen er bedeutsame zeitgeschichtliche Vorgänge künstlerisch zu erschließen versuchte.

Seine Aufgabe sah Leonhard darin, junge Autoren in einem Arbeitskreis zu fördern. Zugleich rechnete er in der Schrift "Unsere Republik" (1950) mit Tendenzen einer Verharmlosung des sich im Westen abermals formierenden Faschismus ab. Eine Woche vor seinem Tod am 19. Dezember 1953 nahm der Schriftsteller noch am Deutschen Friedenskongreß in Weimar teil. Maximilian Scheer legte 1958 den Band "Freunde über Rudolf Leonhard" vor. Steffen Mensching gab 2001 Rudolf Leonhards umfangreiches Traumbuch des Exils "In derselben Nacht" heraus. Es enthält über 3000 Träume von 1941 bis 1944, die unter Haftbedingungen aufgeschrieben wurden.

Dieter Fechner

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Archies bedrohtes Paradies

Es gab eine Zeit - die 50er Jahre - da war Archie viel in der DDR unterwegs. 1952 hatte er im sächsischen Bischofswerda auf einem humanistischen Gymnasium, an dem auch Altsprachen unterrichtet wurden, das Abitur gemacht. Als Student wohnte er am Berliner Zionskirchplatz. In seiner kleinen Stube fiel ihm gelegentlich die Decke auf den Kopf. Des öfteren sauste er mit seinem tschechischen Rennrad zur Uni oder zu Bibliotheken. Später kam ein gebrauchtes Motorrad der Marke Horex hinzu - ein älteres Knattermobil mit reichlich PS, das sich auf den holprigen Landstraßen als robust erwies. Zwischen Berlin, der Lausitz und der Ostsee ratterte er hin und her, um die DDR zu erkunden, Land und Leute kennenzulernen. Er besuchte auch Tanten und Cousinen, die früher wie er selbst in Schlesien gelebt hatten und jetzt über Thüringen verstreut waren. Fast jedes Mal, wenn er in Bad Langensalza oder Mühlhausen eintraf, besaß er eine Cousine weniger. Der Sog des "Goldenen Westens" hatte sie erfaßt und mitgerissen. Archies Tanten waren darüber untröstlich, verloren sie doch die erhoffte Stütze ihres Alters.

Bei den Fahrten durchs schöne Thüringer Land rund um den Kyffhäuser stieß Archie häufig auf Gegner der DDR, ja regelrechte Sozialismus-Hasser. Übrigens mehr als anderswo. Bei späteren Aufenthalten in der Region, so in Ferienheimen der Gewerkschaft FDGB, sollte sich sein Eindruck zum Positiven hin verändern. Vielleicht waren auch die Menschen inzwischen zu neuen Einsichten gelangt.

Abstecher, die ihn nach Mecklenburg und an die Ostsee, nach Prerow und auf den Darß führten, ließen Archie keine so negativen Erfahrungen sammeln. Im Norden der Republik trugen die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) bereits erste Früchte, und die nun gemeinsam wirtschaftenden Bauern gelangten Schritt für Schritt zu bescheidenem Wohlstand. Wenn sich aber die halbe DDR in den Sommerferien an der Ostsee tummelte - dazu noch etliche Urlauber aus der CSSR und Ungarn - waren die küstennahen Kleinstädte und Dörfer derart überlaufen, daß sich vor den Gaststätten Schlangen bildeten, zumal die Preise auf den Speisekarten äußerst niedrig waren. Trotz der Drängelei wurden auf den Campingplätzen, so am Pepelower Salzhaff und anderswo, rauschende Sommerfeste gefeiert. Bier und Wein flossen dabei in Strömen, Bratwurst vom Grill und Fisch gab es jede Menge. Die Parkplätze waren überfüllt.

Natürlich fehlte es auch hier nicht an Unzufriedenen, von denen einige sogar mit dem Paddelboot über die Ostsee abhauen wollten. Auch zwackte manchen das Fernweh, wenn er bei Kap Arkona am Leuchtturm stand und einen weißen Luxus-Liner am Horizont vorübergleiten sah. Selbst dieser oder jener mit der DDR verbundene Genosse mag da in seinem Innersten gedacht haben: Auf immer und ewig sollte sich eine solche Grenze nicht durch Deutschland ziehen. Allerdings dürften sich die meisten, die solche Erwägungen anstellten, eine Einheit unter völlig anderen Vorzeichen als jenen, welche sie dann wahrnehmen mußten, ausgemalt haben.

Archie erschien die DDR wie ein bedrohtes Paradies, das sich inneren und äußeren Feinden gegenübersah. Keineswegs alle waren da seiner Meinung, wie er bekümmert feststellen mußte. Er hatte sich schon als Halbwüchsiger für dieses Land entschieden - nach den schlimmen Erfahrungen des 2. Weltkrieges, der ihn selbst betroffen hatten. Die DDR war zu seinem Biotop geworden, das er verbessern, aber niemals loswerden wollte, wobei in seinem Denken gewiß auch ein Schuß Naivität gesteckt haben mag.

Als er am zurückliegenden 17. Juni die heuchlerischen Reden in Radio und TV vernahm, wurde ihm bei so viel Lüge und Verdrehung speiübel. 60 Jahre zuvor war Archie Unter den Linden entlang zur Humboldt-Universität geradelt und hatte dort mit Erschrecken eine große Zahl politischer Trittbrettfahrer beobachtet, die mit ideologischen Brandbeschleunigern unterwegs waren, um die Situation anzuheizen und zu zündeln. Wenn Archie im Autoradio vernahm, wie der einstige RIAS-Chefredakteur und damalige Haupteinpeitscher Egon Bahr in einer Gesprächsrunde vollmundig behauptete, man habe damals die als Zone bezeichnete DDR durchaus zu schonen versucht, kann er nur lachen. Bloß kein Öl ins Feuer gießen, sei die Devise gewesen, tönte Bahr. Schließlich habe es ja noch den Viermächtestatus gegeben, und überdies hätte die Gefahr eines dritten Weltkriegs in der Luft gelegen. Leider war das Denken und Handeln der Feinde der DDR dieser geschönten Situationsschilderung gegenüber völlig konträr.

Als er an jenem "Jubiläumstag" die Zeitungen aufschlug, las er zu seiner Verblüffung, am 17. Juni 1953 habe sich eine Million Menschen der "Ostzone" wie ein Mann erhoben, um mit dem "Regime" Schluß zu machen. Die Schlagzeilen strotzten vor Lügen. Multiplikation ist alles. Je länger ein Ereignis zurückliegt und je weniger Zeitzeugen es gibt, um so brutaler entstellt man die Wahrheit. Der vielgedruckte, schon immer auf zwei Schultern tragende Bücherschreiber Rolf Schneider, der zu den Standardgästen der US-Botschaft zählte, verkündete im Beisein Bahrs, ohne Einsatz der sowjetischen Panzer wäre die DDR wie ein Kartenhaus zusammengefallen.

Wenn Archie demgegenüber seine eigenen Wahrnehmungen mit der heutigen Entstellung des Geschehens vor 60 Jahren vergleicht, fragt er sich, welches Bild sich wohl ein jetzt 18jähriger von den Vorgängen machen soll. Mit der Realität dürfte es nichts mehr zu tun haben.

In den 50er Jahren steckte noch unendlich viel Braunes in etlichen Köpfen. Auch ein Gutteil der protestierenden Bauarbeiter hatte der Nazi-Partei und deren Gliederungen angehört. 1945 waren nämlich fast sämtliche früheren NSDAP-Mitglieder von ihren lukrativen Posten entfernt und nicht gerade freiwillig zum Mittun beim Wiederaufbau des von ihrem "Führer" Zerstörten gezwungen worden. Natürlich gab es auch nicht wenige, die einen starken Willen zur Errichtung einer neuen, besseren Gesellschaftsordnung entwickelten, darunter auch ehemalige Nazis.

Handelt es sich bei all dem nur um Schnee von gestern, oder ist nicht vieles, was heute als demokratisch verkauft wird, in Wirklichkeit immer noch mit Brauntönen durchsetzt? Walter Ulbricht würde sagen: "Eine gute Frage."

Manfred Hocke

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Leserbriefe an RotFuchs

Der Juli-Leitartikel "Das Heulen der Wölfe" trifft wieder ins Schwarze: Tatsächlich geht es darum, möglichst viele wirklich linksorientierte Kandidaten der Partei Die Linke ins Parlament zu bringen. Ich kenne mich leider zu wenig in deutschen Wahlgepflogenheiten aus, aber die Mahnung im Leitartikel, das tatsächlich Erreichbare anzustreben, sollte auch aus meiner Sicht konsequent befolgt werden. Das in der BRD bestehende Vielparteiensystem bietet hinreichend Spielraum für Manipulationen und verleitet aufrechte, suchende Menschen dazu, den geübten Flötenspielern aus Hameln zu folgen - zum eigenen Schaden.
Noch ein Wort zur außenpolitischen Berichterstattung des RF. Mir gefallen die vielschichtigen Informationen, die in den großen Blättern der Bourgeoisie entweder trivialisiert werden oder überhaupt wegfallen. An deren Stelle treten dort Profisport, Mode-Chic, Histörchen aus Königshäusern in England, Schweden, den Niederlanden, Belgien oder gar Monaco.

Dr. Vera Butler, Melbourne


Erst seit kurzem weiß ich von Eurer Existenz! Manchmal geht auch an politisch interessierten und links stehenden Menschen etwas vorbei. Ich schreibe Euch als Mitarbeiter der "Ubbo-Emmius-Gesellschaft" in Emden, die sich besonders der Aufklärung des antifaschistischen Widerstandes in Ostfriesland widmet.
Mir ist unklar, ob man an die Leser des RF Fragen stellen darf. Ich denke aber, daß sie aufgrund ihrer politischen Herkunft und - wie ich in diesem Falle hoffe - ihres Alters dazu in der Lage sind, Auskünfte zu erteilen, die sonst nirgends mehr zu erhalten sind. Uns geht es z. B. um den Emder Seebäderdampfer "Rheinland", der in den letzten Tagen der Naziherrschaft in Kiel lag. Er sollte KZ-Häftlinge aus Neuengamme an Bord nehmen und mit dem Schiff versenken. Es kam nicht dazu, weil die Mannschaft dies verhinderte. Hier habe ich die Aussage einer einzigen Person, die selbst nur mittelbar davon erfahren hatte. Vielleicht gibt es aber unter alten RF-Lesern jemanden, der diese Geschichte bestätigen könnte.
Ich freue mich, zu Euch Kontakt hergestellt zu haben und hoffe auf weitere gute Zusammenarbeit.

Hans-Gerd Wendt, Emden


Die Beachtung und Bewertung politischer und gesellschaftlicher Vorgänge erfolgt heute oftmals aus einer ganz anderen Sicht, als sie von Menschen der alten und älteren Generation wahrgenommen werden. Ich selbst bin 91.
Der unterschiedliche Blick auf das Geschehen ist völlig verständlich. Wer den Terror der Faschisten bis 1945 nicht miterlebt hat, nicht Hunderte Nächte mit furchtbaren Ängsten in den "Luftschutzkellern" von Berlin, Hamburg, Köln oder Magdeburg zugebracht oder in den Schützengräben zwischen Tobruk und Stalingrad gelegen hat, vermag mit Sicherheit nicht nachzuvollziehen, was Menschen in jener Zeit durchgemacht haben.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Wiederherstellung der Schloßfassade und zum "Umgang" der BRD-Justiz wie anderer staatlicher Organe mit NPD und NSU: Wie würden die Toten des Ersten Weltkrieges, die "für Gott, Kaiser und Reich" millionenfach ihr Leben lassen mußten, darüber entscheiden, ob die Fassade der Hohenzollern-Zwingburg wieder aufgebaut werden soll? Und: Wie würden die in den faschistischen Konzentrationslagern gemarterten Antifaschisten und die Millionen in Hitlers Gaskammern Umgebrachten über die Münchener NSU-Farce denken?

Helmuth Hellge, Berlin


Prof. Dr. Schneider erwähnt in seinem Israel betreffenden Beitrag Tel Avivs "Frontstellung für Europa und die westliche Zivilisation". In der Tat erinnert das an "allzu bekannte Töne aus brauner deutscher Vergangenheit". Noch unheimlicher wird es allerdings, wenn man sich vor Augen führt, daß es sich nicht bloß um das übliche Gerede eines Rechtsaußen, sondern um einen Bestandteil der staatstragenden Doktrin Israels handelt. Deren geistiger Vater Theodor Herzl schrieb 1895 in seinem Buch "Der Judenstaat", in Palästina werde dieser "ein Stück des Walles gegen Asien bilden". Die Juden müßten dort "Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei leisten". Insofern ist es bedauerlich, daß die Vereinten Nationen ihre 1975 getroffene Einschätzung des Zionismus als einer Form des Rassismus verworfen haben. Bekanntlich wird Israel oftmals mit dem Apartheid-Regime Südafrikas verglichen. In diesem Kontext sei daran erinnert, daß Pretorias Rassistenregime erst 1988 ernsthaft in politische Bedrängnis geriet und einzulenken gezwungen wurde, nachdem die Befreiungsbewegungen des südlichen Afrika - vor allem Angolas MPLA und Namibias SWAPO - an seinen Grenzen standen. Von der heutigen israelischen Regierung sind solange keine Schritte zu einem ernsthaften Dialog mit den Palästinensern zu erwarten, bis der "Arabische Frühling" endlich eine antiimperialistische Komponente hinzugewinnt.

Cihad Rehbehn, Essen


Eine Bemerkung zum Artikel "Der Leuna-Deal" im Juli-RF: Es ist dankenswert, wenn die Machenschaften der "Treuhandanstalt" bei der Verschleuderung des DDR-Volkseigentums faktenbelegt aufgedeckt werden. Leider vermisse ich hier und dort die erforderliche Sorgfalt bei der Behandlung des Themas.
Leuna liegt im Kreis Merseburg. Halle und Bitterfeld haben mit den Leuna-Werken außer der damaligen Zugehörigkeit zur IG Farben nichts zu tun. Die 1925 aus drei großen Chemie-Kartellen entstandene IG Farben besaß 1930 nicht weniger als 170 inländische und 300 ausländische Firmen. 1943 waren die Betriebe im Inland auf 380 und im Ausland auf etwa 500 angewachsen.
Der ehemalige Leiter der Leuna-Werke Bütefisch erklärte vor dem US-Militärtribunal wörtlich: "Ohne IG Farben, insbesondere ohne die IG-Produktion auf den Gebieten des synthetischen Gummis, der Treibstoffe und des Magnesiums wäre es für Deutschland ausgeschlossen gewesen, einen Krieg zu führen." Am 3. Juli 1944 schrieb SS-Reichsführer Heinrich Himmler an Rüstungsminister Speer: "Heute sind wir im chemischen Fortschritt einzig und allein auf die Arbeit von IG Farben angewiesen."
Die Leuna-Werke überdauerten nicht - wie es im RF-Beitrag heißt - "nur leicht zerstört" den Krieg. Tatsächlich erfolgten viele Bombardements, die schlimmsten vom 11. bis 13. Januar 1945. Ich weiß das aus persönlichem Erleben, da mein Heimatort, in dem ich die Kriegszeit verbrachte, nur wenige Kilometer von Leuna entfernt liegt.
Übrigens findet sich in meinen sämtlichen Unterlagen über die IG Farben kein Hinweis darauf, daß die Thyssen-Gruppe jemals IG-Farben-Teilhaber war.

Helga Plache, Berlin


Wenn ich am 29. September meinen 85. Geburtstag begehen kann - leider ist mein Gesundheitszustand sehr fragil -, blicke ich auf eine gute Entwicklung in der DDR zurück. Ich bin sehr froh, nach 1945 meinen politischen Weg stets aufrecht gegangen zu sein. Er führte mich auch in den Autorenkreis des "RotFuchs", aus dem ich mich jetzt leider zurückziehen muß. Mir hat das gründliche Klassiker-Studium, vor allem der Werke Lenins, stets Kraft und Optimismus verliehen.
Zu meinen Erfahrungen gehört: In der Politik sollten wir Überheblichkeit und Besserwisserei sowie alles Aufgesetzte vermeiden und immer bei den marxistischen Ursprüngen bleiben. In diesem Sinne bin ich sehr froh, mit Götz Dieckmann an der SED-Parteihochschule "Karl Marx" gearbeitet zu haben und an der "Linie" des RF beteiligt gewesen zu sein, die besonders von seinen Leitartikeln geprägt wird. Ich wünsche Euch auch weiterhin viel Erfolg.

Dr. Rudi Dix, Zeuthen


In der Regierung wußte natürlich niemand etwas von der Schnüffelei der US-Geheimdienste - weder die Kanzlerin noch der Innenminister ... Selbst die mit NSA und CIA eng kooperierenden bundesdeutschen Dienste hatten anfangs "absolut keine Ahnung".
Nach der - galant ausgedrückt - "feindlichen Übernahme" der DDR durch die BRD wurde immer wieder behauptet, die West-Dienste spielten, im Gegensatz zum MfS der DDR, nicht "Staat im Staate", sondern unterlägen "parlamentarischer Kontrolle". Ein Bluff!
Die NSA hat seelenruhig mit Wissen des BND die E-Mail-Adressen von Absendern und Empfängern mit der entsprechenden Betreff-Spalte gespeichert. Da ich in E-Mails wiederholt den Begriff "Terrorismus" verwendet habe, stehe ich längst in den Dateien der NSA.
Das kann indes für User (Nutzer) auch von Vorteil sein: Man stelle sich vor, der private Rechner stürzt ab, Festplatte kaputt, Daten weg. Doch das ist jetzt kein Problem mehr. Man wendet sich einfach an seine "amerikanischen Freunde" von der NSA mit der Bitte um Übermittlung einer Kopie dort gespeicherter Daten. Ist das etwa nichts?

Wilfried Steinfath, Berlin


Ein Klassentreffen der Oberschulabgänger des Jahrgangs 1959 (OS 7 in Potsdam) war der Impulsgeber für einige Frauen mit DDR-Vergangenheit, den "RotFuchs" zu abonnieren. Ich bitte Euch also um dessen Zustellung an folgende vier Adressen ... Euer "RotFuchs"-Leser

Gerhard Konrad, Potsdam


Wenn wir heutzutage die Massenmedien ertragen müssen, dann wird uns nur selten bewußt, in welchem Maße Informationen mit einem ganz bestimmten Zweck an unser Auge und Ohr herangetragen werden, handelt es sich dabei doch um den Bereich mit den größten Möglichkeiten zur Meinungsmanipulation. Diese erfolgt überwiegend durch die Information selbst, in der die vorbestimmte Bewertung bereits versteckt ist. Zugleich gilt es zu beachten, wer Eigentümer einer Information ist. Der bestimmt nämlich darüber, was andere erfahren sollen oder nicht. Informationen werden heutzutage generell abgespeichert, die Einsicht oder Kopie sind nur einen Mausklick und ein Paßwort entfernt.
Angst vor einem imaginären Terrorismus, deren Ursache eigene Untaten sind, mit einer gigantischen digitalen Datenschnüffelei begründen zu wollen, ist paranoid.

Jochen Singer, Leipzig


In beiden Leserzuschriften zu meinem Artikel "Zur Dialektik von Verstand und Gefühl" im Juli-RF muß ich leider ein Mißverstehen des Textes feststellen.
Mit Dr. Vera Butlers auf mich bezogenem Begriff "Pietismus" fühle ich mich in eine Schublade gesteckt, obwohl ich solche überhaupt nicht mag! Daß sie als Kind die unterschiedliche Zeitmessung der verschiedenen Kirchen als Glaubenszweifel erlebt hat, nehme ich staunend zur Kenntnis, weil es mit Glauben doch überhaupt nichts zu tun hat, wenn jemand eine andere Zeitrechnung verwendet.
Zu Wolfgang Schröder: Er hat leider meinen Text nicht gründlich genug gelesen. Das "gedankenlose Nachbeten von Psalmen und Suren" ist eine von mir kritisierte Äußerung Frau Butlers, doch natürlich nicht meine.

Peter Franz, ev.-luth. Theologe Weimar


Daß die heiligen Schriften der drei monotheistischen Religionen "keine Quellen wissenschaftlicher Erkenntnis" seien, sondern "von den Gläubigen Unterwerfung und gedankenloses Nachbeten von Psalmen und Suren verlangen", betrachte ich als persönliche Meinung der Autorin, nicht aber als Bestätigung durch einen Theologen. Das wäre auch absurd. Zumindest die Bibel als heilige Schrift der Juden und Christen enthält Botschaften der Befreiung und verlangt keineswegs Unterwerfung und gedankenloses Nachbeten. Sie entstand unter den Armen.
Natürlich wurde die Bibel seit Kaiser Konstantin immer wieder von den jeweiligen Machthabern in deren eigenem Interesse interpretiert. So wie das auch heute noch der Fall ist.

Fritz Klinger, Neubrandenburg


Der Beitrag "CIA-Anschlag vor der Küste von Barbados" ist gut und kämpferisch geschrieben. Einige Details bedürfen jedoch der Korrektur.
Leider mußten die Rädelsführer des Anschlags vom Oktober 1976 (nicht 1972) Bosch und Carriles ihre Strafen nicht absitzen. Gegen Bosch wurde gar nicht erst Anklage erhoben, Carriles konnte mit entsprechender Hilfe nach rund acht Jahren aus der U-Haft fliehen.
Verurteilt wurden lediglich die Kriminellen Lugo und Lozano. Die CIA bezahlte sie, ohne daß sie direkt auf ihrer "Gehaltsliste" standen. Sie handelten nicht aus politischen Motiven. Für ein paar tausend Dollar waren sie zu diesem grausigen Verbrechen bereit.
"Natürlich" hat die CIA den Anschlag "nur" empfohlen, wobei sie stets im Bilde war, was ihre Schützlinge von der CORU gerade planten. Die USA haben nichts getan, um dieses Attentat ihrer Kreaturen, das zu den schwersten Terroranschlägen in der Geschichte der Zivilluftfahrt zählt, zu verhindern.

Volker Wirth, Berlin


Wenn in Rostock 1,8 Mio. Euro für die Rekonstruktion eines "Stasi-Knasts mit Museumscharakter" locker verfügbar sind, dann ist mir absolut unverständlich, warum dem Museumssterben in unserem Land nicht Einhalt geboten werden kann.
So stand vor geraumer Zeit auch das Schliemann-Museum in Ankershagen auf dem Prüfstand der Rotstift-Jongleure.
Geldmangel kann ebensowenig der Grund dafür gewesen sein, daß ein Schweriner Museumsdirektor 8000 Jahre alte Einbäume - ein Stück Menschheitserbe aus den Zeiten unserer Vorfahren - einfach verkommen ließ. Hier war es wohl eher Fahrlässigkeit, die zur Vernichtung von Kulturgütern mit unschätzbarem Wert führte. Kann es aber bei der Vergeudung von Mitteln für Zwecke wie den obengenannten nicht bald zur Häufung solcher Vorfälle kommen?
Übrigens hätte man mit 1,8 Mio. Euro allen bedürftigen Kindern unseres Bundeslandes für die Dauer eines Jahres ein kostenloses Mittagessen spendieren können.

Dr. med. Gerd Machalett, Siedenbollentin


Mit Freude habe ich die Veröffentlichung meiner Auffassungen im Juli-"RotFuchs" zur Kenntnis genommen. Die redaktionelle Bearbeitung findet meine volle Zustimmung und Unterstützung. Mir schwebt vor, dem Thema "Ursachen des Niedergangs und der Zerstörung der DDR" als jemand weiter nachzugehen, der diesem Staat bis zum letzten Tag seiner Existenz gedient hat. Bestärkt wurde ich durch drei Bücher, die ich im Urlaub las: Gerd Königs "Fiasko eines Bruderbundes", Irina Liebmanns "Wäre es schön? Es wäre schön!" und Klaus Blessings "Die Schulden des Westens". Vieles von dem, was ich dort erfuhr, war mir zwar nicht neu, bestätigte mich aber in meinen Vermutungen hinsichtlich einiger Ursachen des Untergangs der DDR, deren führender Partei ich 1968 aus Überzeugung beitrat. Ihr Dokument habe ich auch 1989 nicht abgegeben.
Auf jeden Fall stimme ich Klaus Blessing zu: "Geistig tragen wir den Bazillus des Sozialismus noch in uns. Wir müssen den ganzen Körper Bundesrepublik damit infizieren." Und: "Inzwischen sind 57 % der Ostdeutschen der Meinung, daß die DDR mehr gute als schlechte Seiten hatte. Dieses Protestpotential gilt es zu erschließen." Der "RotFuchs" ist dabei auf einem guten Weg!

Siegfried Schubert, Plauen


Siegfried Schuberts Beitrag "Eigene Defizite nicht bagatellisieren!" habe ich mit besonderem Interesse gelesen. Die durch ihn aufgeworfenen Fragen beschäftigen auch mich seit einer Reihe von Jahren. Ich habe mich in der "RotFuchs"-Gruppe und auch an anderer Stelle mehrfach dazu geäußert. Allerdings möchte ich bezweifeln, daß man bereits von einer "Debatte" über die Ursachen des Untergangs der DDR sprechen kann. Sofern diese das Ziel verfolgt, Erfahrungen und Erkenntnisse an nachfolgende Generationen zu vermitteln - und ein anderes Anliegen kann es ja eigentlich gar nicht geben -, ist Detailwissen einer Vielzahl von Zeitzeugen und am sozialistischen Aufbau Beteiligter gefragt. Schlußfolgerungen aus Fehlern und Ungereimtheiten, die es zweifellos gegeben hat, dürfen nicht fehlen. Dabei sollte nicht gezögert werden, denn mit der Entfernung vom Zeitpunkt des Geschehens geht viel Wissen verloren. Eindrücke und Wahrnehmungen verblassen. Die Zahl der in Betracht Kommenden reduziert sich ständig. Bereits in 20 Jahren wird man die notwendigen Informationen nur noch aus Büchern - mit den jeweiligen Interpretationen - entnehmen können.

Helmut Müller, Berlin


Wenn ich anderen sage, daß ich in einem kommunistischen Elternhaus erzogen wurde und stolz darauf bin, erfahre ich selten Zuspruch. Doch der Kommunismus stellt nicht mehr und nicht weniger als die gesellschaftliche Alternative zur kapitalistischen Ausbeuterordnung dar. Da ist es doch kein Wunder, wenn deren Verteidiger und Nutznießer, sobald auch nur die Worte Sozialismus oder Kommunismus fallen, Gefahr wittern.
Länder, die sich auf einen sozialistischen Weg orientieren - Kuba sowieso, aber auch Venezuela, Bolivien oder Ekuador, um nur einige Beispiele zu nennen -, werden auf jede nur denkbare Weise in Mißkredit gebracht und bedroht. Angeblich "ganz unpolitische" Menschen finden das sogar in Ordnung. Die bürgerliche Medienübermacht bleibt nicht ohne Wirkung. Wie lange noch wird die Verteufelung des Kommunismus die Besitzlosen vom Kampf für ihre ureigensten Interessen abhalten?

Elisabeth Monsig, Gartz


Angeregt durch die RF-Serie "Griff in die literarische Schatztruhe" habe ich einen Blick in meinen Bücherschrank geworfen und festgestellt, daß da so einiges schlummert, was erweckt werden sollte. Deshalb habe ich mich entschlossen, Teile meiner Bibliothek interessierten "RotFüchsen" bei Übernahme der Versandkosten unentgeltlich zu überlassen. Persönliche Abholung ist bei Vereinbarung eines Termins möglich. Meine Telefonnummer: 037360 / 693270.

Siegfried Schlenker, Olbernhau


Botschafter Seidel und die "Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg", deren Vorsitzende ich bin, waren in den 90er Jahren die einzigen, die Prof. Dr. Günther, dem Entdecker des Golfkriegs-Syndroms, ideell wie finanziell geholfen haben. Daß der verdienstvolle Wissenschaftler überhaupt noch am Leben ist, hat er dem Wirken der "Mütter" zu verdanken.

Brigitte Queck, Potsdam


Liebe Redaktion, hallo Herr Steiniger, liebe NSA-Mitlesende! Zum Brief Gerda Hubertys (RF 186), der gegenüber ich keinesfalls unsolidarisch erscheinen will, möchte ich bemerken: Daß das BRD-Fernsehen nicht über den Jahrestag des Sieges der Roten Armee berichtet hätte, trifft so nicht zu. Tatsächlich wurde die große Militärparade auf dem Roten Platz bei "Phoenix" in voller Länge live übertragen. Auch die Anwesenheit von Veteranen blieb dabei nicht ausgespart.
Frau Huberty hat indes auf einen wichtigen Aspekt hingewiesen. Die Medien zeigen zwar durchaus bemerkenswerte Dokumentationen und bringen sogar bisweilen knallharte Wahrheiten auf den Tisch ... allerdings nur in ihren Spartensendern und vorzugsweise zu sehr später Stunde. So gibt es beispielsweise eine erstaunliche "Arte"-Dokumentation, die mit schonungsloser Offenheit darlegt, welcher Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus besteht.
Genau dieses Vorgehen der Medien aber ist Strategie. Das - sagen sie - sei Pressefreiheit. Niemand könne ja behaupten, es gäbe keine kritischen Beiträge. Stimmt. Eigene Propaganda bringen die großen Stationen zur Hauptsendezeit, Teile der Wahrheit die kleineren gegen Mitternacht.

Andreas Steike, Berlin


Man kann es einfach nicht verstehen, daß eine Europa-Abgeordnete der "Linken" der antikubanischen Hetze in sturer Kontinuität Schützenhilfe leistet. Brüssel ist weit und kann den Blick auf politische Realitäten erheblich verstellen, was bereits Lothar Bisky mit seiner Zustimmung zur Flugverbotszone in Libyen gezeigt hat.
Gabi Zimmer unterstützt mit ihrem Verhalten keineswegs unverzichtbare Reformen beim Aufbau eines sozialistischen Kuba, sondern fördert Aktivitäten, die auf einen Sturz der Regierung in Havanna hinauslaufen. Konsequent links wäre es, sich dafür einzusetzen, daß die Embargopolitik und andere diskriminierende Maßnahmen der USA wie ihrer Verbündeten endlich aufgehoben werden.
Die politischen und ökonomischen Maßnahmen zur Erdrosselung Kubas - auch jene des EU-Parlaments - stellen eine eklatante Verletzung des Völkerrechts wie der Menschenrechte dar. Ich frage mich, ob jemand durch Sitzenbleiben im Saal bei der Übergabe des sogenannten Sacharow-Preises, die von den meisten Abgeordneten der eigenen Fraktion durch Abwesenheit boykottiert wurde, das Image antiimperialistischer Solidarität loswerden möchte. Hoffentlich gibt es bis zur nächsten Europawahl auch personell wirklich linke Alternativen.

Raimon Brete, Chemnitz


Es wäre schon viel erreicht, wenn "Die Linke" auch künftig eine starke Oppositionsfraktion im Bundestag stellen würde. Alles liegt jetzt an den Wählern: Wer seine Stimme nicht für die Partei Die Linke abgibt oder der Wahl fernbleibt, sollte sich nicht im nachhinein beschweren, wenn alles beim alten bleibt.

Siegfried Tietz, Altenberg/Sa


Im Juli-"RotFuchs" las ich den Satz: "Dabei sind wir uns durchaus im klaren, daß die Partei Die Linke weder den Kapitalismus als Gesellschaftsformation hinterfragt noch eine systemverändernde politische Formation sein will." Damit werden die Anstrengungen der "Linken" heruntergeredet.
Bei allem Respekt vor den großartigen journalistischen Leistungen und dem Bemühen vor allem der Leitartikel um politische Aufklärung wird da etwas in den Raum gestellt, was aus den offiziellen Dokumenten der "Linken" so nicht hervorgeht. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Erfurter Programm der Partei vom Oktober 2011. Es schmerzt mich, wenn ich auf RF-Veranstaltungen oder in der Publikation selbst immer wieder mal höre oder lese, daß den "Linken" der Wille zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD fehle.
In der Partei war wohl noch nie alles paletti, und manches dringt dann auch nach unten durch, wo es in Teilen der Mitgliedschaft für Verstimmung sorgt. Vieles davon ist jedoch auch den mißlichen oder außerordentlich schwierigen Bedingungen geschuldet, unter denen die organisierte Linke ihre politische Alltagsarbeit verrichten muß.

Wilfried Baldauf, Schlanstedt


Den Artikel "Eastern Germany" aus britischer Sicht im RF 186 finde ich sehr interessant. Ich wünschte mir, daß er auch Lesern über den "RotFuchs" hinaus bekannt würde. Den Aspekt, daß die NATO-Staaten den sozialistischen Ländern mit äußerster Feindschaft begegneten, kann man heute nicht oft genug hervorheben. Neben wirtschaftlicher Diskriminierung war es vor allem auch politische und ideologische Einmischung des Westens, wie sie noch heute gegenüber Kuba praktiziert wird.
Erinnert sei daran, daß die BRD von Anbeginn ihren anmaßenden Alleinvertretungsanspruch international durchzusetzen bemüht war, was zur Folge hatte, daß Reisedokumente der DDR oftmals nicht anerkannt wurden.

Gernot Bandur, Berlin


Als RF-Leser stelle ich immer wieder fest, daß bei Bemerkungen zu den Gründen des Untergangs der DDR und anderer im Aufbau befindlicher sozialistischer Gesellschaften Europas von den Verfassern hinzugefügt wird, sie hätten das heraufziehende Desaster "schon frühzeitig bemerkt".
Mir scheint: Es hat viel zu viele bei uns gegeben, die bereits lange vor dem Ende "erkannt" hatten, daß etwas schieflief, dennoch nach der Devise "andere werden's schon richten" weitergemacht haben. Sie täten das auch heute noch, wäre da nicht die als Wende verkaufte Konterrevolution "dazwischengekommen", die ihnen "erst richtig die Augen geöffnet" hat.

Siegfried Wunderlich, Plauen


Ich bin einer der durch Eberhard Aurich im Juni-RF als "einfache Parteimitglieder" Bezeichneten - kleine Funktionen auf unterer Ebene. Allerdings versuche ich nicht, "aus Gründen des Selbstschutzes" anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Wir haben eine gute Sache, "eine großartige Idee (Rudi Krause im April-RF) an den Baum gefahren. Das müssen wir ehrlich so benennen, jeder von dem Platz aus, auf dem er einst gewirkt hat. Ich halte nichts von einer "Blödheit des Personals" oder dessen "vermeintlicher" Amnesie. Denn das wäre dann ja eine Krankheit, die Mitleid verdiente. Diskutieren wir lieber sachlich über die Ursachen unserer Niederlage weiter, damit es die Enkel besser ausfechten können.

Harry Pursche, Leipzig


Nein, Amnesie kann ich Dir, Eberhard Aurich, nicht bescheinigen. Allerdings stellt Deine Aussage einen Quantensprung in der Negation von Realitäten dar. Du, der Du in einem großen Haus Unter den Linden in Berlin wie ein pseudosozialistischer Fürst regiertest, hattest immerhin Sitz und Stimme im ZK der Partei, also hinreichend Gelegenheit, von Dir entdeckte "Systemfehler" kritisch zur Sprache zu bringen.
Ich selbst habe im Bereich Wissenschaft und Technik des Zentralrats der FDJ mit Zuständigkeit für Jugendobjekte gearbeitet. Damals erfreutest Du Dich am Beifall der "einfachen" Partei- und FDJ-Mitglieder, die Dich nach Treu und Glauben als ehrlichen Sozialisten betrachteten. Doch weder in Karl-Marx-Stadt noch in Berlin hast Du die Gabe eines Egon Krenz besessen, einfühlsam und verständlich mit jungen Menschen zu sprechen, sie von der sozialistischen Idee zu begeistern. Leider muß ich annehmen, daß Du weder Marx noch Lenin verstanden hast, sondern einfach nur "nach oben" wolltest.

Thomas Kuhlbrodt, Zeitz-Zangenberg


Danke, daß es Euch, uns und unsere wunderbare Zeitung gibt, die von Mitgliedern wie Lesern, allen aufrichtigen Kommunisten und Sozialisten lebt. Und weil das so ist, konnte ich eine neue Leserin hinzugewinnen. Sie heißt ...

Renate Weinbrecht, Chemnitz


Besonders freue ich mich immer über die vielen Leserbriefe, weil sie mir bestätigen, daß es nach wie vor nicht wenige Menschen gibt, die sich mit der DDR verbunden fühlen.
Vor kurzem stattete Kanzlerin Merkel der Stadt St. Petersburg - dem einstigen Leningrad - einen Besuch ab und besichtigte dort auch die Ermitage. Die Visite hätte ja keinen so üblen Nachgeschmack hinterlassen, wenn von Frau Merkel nicht erneut "Beutekunst" zurückgefordert worden wäre.
Es befremdet mich immer wieder, wenn ausgerechnet solche Vertreter der BRD, die zuvor in der DDR gelebt haben und dort sogar zu akademischen Ehren gelangten, Fragen aufwerfen, die von der Geschichte längst entschieden sind. In diesem Zusammenhang muß an gleichartige Forderungen der Vertriebenenverbände erinnert werden. Allzu viele haben vergessen, daß das faschistische Deutschland den Krieg begonnen und unendlich viel Leid über Europa gebracht hat.

Josef Schurich, Berlin


Ein bemerkenswertes Detail von meiner Urlaubsreise nach Bosnien und Kroatien: Bei einer durch mich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung (14 km/h) ließ uns ein netter Polizist ohne Abmahnung die Reise fortsetzen, nachdem er meine alte Fahrerlaubnis gesehen hatte. "Du kommen aus DDR, guter Junge!" meinte er nur ...

Carsten Hanke, Lambrechtshagen


Im Berliner Ortsteil Johannisthal fand eine Premiere statt: Auf Initiative Armin Lufers kamen erstmals dortige "RotFuchs"-Leser aus verschiedenen linken Parteien sowie Parteilose zusammen. Sie wollen, daß das junge linke Pflänzchen kräftig wächst. und sind bestrebt, neue Interessenten zu gewinnen. Die ersten beiden Diskussionsrunden verliefen ermutigend.

Helmut Holfert, Berlin


Man sollte das Recht auf Akteneinsicht zur Ermittlung der Zahl von Anträgen wegen Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit im kapitalistischen Europa einfordern. Allein im Osten der BRD sind im ersten Halbjahr 2013 wiederum 1.137.000 Erwerbslosigkeits-Meldungen eingegangen. Mehr als die Hälfte der Langzeitarbeitslosen ist von diesem Übel bereits vier Jahre und mehr betroffen - auch bei uns in Leipzig. In der bürgerlich-antisozialistischen LVZ gelang es mir, in ein und derselben Ausgabe gleich zwei kritische Leserbriefe zu dieser Thematik unterzubringen. Das hatte ich nicht erwartet.
Themenwechsel: Gegen die Spionage der Amis und der Briten sei die "Stasi" der reinste Rot-Kreuz-Verein gewesen, meinte gerade mein Nachbar.
Und noch eine Idee: Man sollte aus der Tarnsprache des politisch-medialen Komplexes - der Hauptsäule organisierter Volksverdummung in der BRD - eine Vokabelsammlung ins Auge fassen. Sie wäre Victor Klemperers berühmter Schrift "LTI" (Die Sprache des Dritten Reiches) an die Seite zu stellen.

Joachim Spitzner, Leipzig


Eure Zeitung lese ich seit fünf Jahren mit großem Interesse. Das Mitglied Eures Autorenkreises Wolfgang Clausner hat mich auf die Spur des RF gebracht.
Als ehemaliger Volkspolizist bin ich übrigens der Meinung, auch meine Genossen hätten es verdient, wie die Angehörigen der anderen bewaffneten Organe der DDR öfter mal gewürdigt zu werden. Es war ja kein Zufall, daß man uns damals "Freund und Helfer" nannte.
Nicht wenige der Unseren ließen ihr Leben für den Schutz des sozialistischen Vaterlandes. Dafür steht beispielhaft der Name Helmut Just.
Vielleicht sollte auch daran gedacht werden, daß die Genossen der VP Tag und Nacht unterwegs waren, um überall für die notwendige Sicherheit der DDR-Bürger zu sorgen.

Manfred Liepe, Berlin


Jeder Mensch muß essen, trinken, sich kleiden, wohnen - er braucht Bildung, Kultur und Erholung. Darin unterscheidet er sich, obwohl selbst Teil der Natur, von allen anderen Wesen. Im Kommunistischen Manifest schreibt Marx, die Bourgeoisie habe die Menschheit um Jahrhunderte vorangebracht. Das betrifft vor allem Wissenschaft und Technik, längere Lebensdauer, Bekämpfung von Krankheiten und Arbeitserleichterungen. Was inzwischen auf vielen Gebieten erkannt worden ist, davon konnten frühere Generationen nicht einmal träumen.
Wie aber sieht es auf sozialem Gebiet aus? Ohne Zweifel sind Sklavenhaltung und Leibeigenschaft zumindest in entwickelten Ländern passé. Vollkommen? Sprechen wir denn nicht auch heute noch von "Arbeitssklaven" und "Lohnsklaverei"?
Die Menschheit braucht weder Millionäre noch Milliardäre. Sie bedarf auch keiner "Überproduktion" - einer Warenfülle, die gar nicht absetzbar ist. Müssen sich Menschen bis an die Zähne bewaffnen, um leben zu können? Brauchen sie Drohnen, Kanonen und Maschinengewehre?
Und: Wer bestimmt eigentlich, was Menschen benötigen und was nicht?

Gerda Huberty, Neundorf


Thomas de Maizière ist wirklich ein würdiger Sohn seines Vaters. Der war im Frühjahr 1945 Erster Generalstabsoffizier in der Operationsabteilung des Oberkommandos des faschistischen Heeres. In der BRD avancierte er zum Generalinspekteur der Bundeswehr.
Mit der Ernennung zum Bundesverteidigungsminister im März 2011 hat der Sohn seinen Vater auf der Karriereleiter nicht nur überholt, sondern sich - im Zusammenhang mit der Neuausrichtung der Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee - sogar zu einem "Global Player" entwickelt. Welch ein Aufstieg für einen peniblen Beamten preußischer Prägung und treuen Parteisoldaten der CDU! Jetzt ist er sogar als künftiger NATO-Generalsekretär im Gespräch.
Neuerdings betätigt sich de Maizière auch als "Militär-Theoretiker": Bei einer Veranstaltung in der Berliner Französischen Friedrichstadtkirche vertrat er die Auffassung, gerechte Kriege gäbe es nicht. Eine absurde These, welche die tausendfach bestätigte marxistische Konzeption vom gerechten Krieg widerlegen soll. Dafür aber vertrat der Drohnen-Minister die Meinung, einen "gerechtfertigten Krieg" könne es durchaus geben. Die benötigte Rechtfertigung dafür wird sich doch wohl finden lassen!

Oberstleutnant a. D. Roland Potstawa, Potsdam


Als überzeugter Marxist verfolge ich seit Jahrzehnten die internationale Politik. Unverändert bin ich Anhänger der sozialistischen Idee, wenn sie sich zielgerichtet und durchdacht, nicht aber engstirnig, machtbesessen und schönfärberisch auf der Basis des gesellschaftlichen Eigentums entwickeln kann. Persönlich habe ich zu Zeiten der DDR Höhen und Tiefen erlebt. Seit zwei Jahrzehnten beschäftige ich mich kritisch mit der Aufarbeitung ihrer 40jährigen Geschichte, ohne dabei meine Identität - es waren ja 40 Jahre aktiven Arbeitslebens - aufzugeben oder ad acta zu legen.
Ein jüdischer Schulkamerad, der seit 1955 in Brasilien lebt, sagte mir auf die Frage, wie er das derzeitige Weltgeschehen beurteile, sinngemäß: Weder Obama noch Merkel bestimmen dessen Verlauf. Die Entscheidung darüber, wann und wo Kriege geführt werden, trifft allein jene Handvoll privater Kapitalbesitzer, die alle Fäden der Macht in Händen hält.
Drei internationale Säulen sind dabei vor allem maßgeblich: der militärisch-industrielle Komplex, der allein in den USA für über 50 % des Bruttoinlandsproduktes steht; das internationale Finanzsystem mit IWF und Weltbank an der Spitze, das alle diesbezüglichen Entwicklungsprozesse steuert, lenkt oder beeinflußt; die eng miteinander verflochtenen Spionage- und Abwehrsysteme, deren Erkenntnisse maßgeblich auf Entscheidungen der jeweiligen Regierungen einwirken.
Der Imperialismus verstrickt sich immer mehr in seine inneren Widersprüche, wie es Lenin treffend formulierte, wobei das Privateigentum an Geld und Produktionsmitteln die Grundlage des herrschenden Machtsystems ist und bleibt.

Horst Winter, Ilmenau

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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2013